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Geschichte der Zerstörung der Stadt Jerusalem
nach dem jüdischen Geschichtschreiber und Augenzeugen Josephus.

Anfangs April des Jahres 70 nach Christi Geburt rückte der römische Feldherr Titus mit seinem wohlgerüsteten Heere und in Begleitung des Josephus vor die Stadt Jerusalem. Nachdem Titus den Juden vergeblich den Frieden hatte anbieten lassen, ward die Belagerung mit großem Eifer fortgesetzt und gegen das Ende des April die erste Mauer und fünf Tage nachher die andere eingenommen, und obwohl die Juden sich der letzten wieder bemächtigten, ward solche doch nach einer dreitägigen Bestürmung mit einer großen Niederlage der Juden völlig behauptet. Wenige Tage nachher ward der Angriff auf die Burg Antonia gerichtet. Titus ließ nach seiner gütigen, und mitleidigen Gesinnung die Belagerten abermals durch Josephus zur Übergabe ermahnen, allein ob dieser gleich mit einer sehr nachdrücklichen Rede und mit Tränen sie zu bewegen suchte, so wurden doch alle Vorstellungen nur mit Schimpfworten und sogar mit Pfeilen erwidert. Viele Einwohner suchten indes durch die Flucht ihre Rettung und erhielten auch solche, wenn sie der Wachsamkeit und den Schwertern der Besatzung zu entgehen vermochten, durch die Gelindheit des Titus. Die aber als Gefangene in die Hände der Römer fielen, wurden in so großer Menge angesichts der Stadt gekreuzigt, daß nach Josephus' Ausdruck es zuletzt an Raum und an Holz zu Kreuzen mangelte. Ein gewiß sehr merkwürdiger Anblick vor einer Stadt, deren Einwohner die Kreuzigung Christi dem Pilatus mit der größten Wut abgerungen hatten! Titus ließ inzwischen diese Grausamkeit zu, um zu versuchen, ob vielleicht die Furcht vor einer gleichen Bestrafung die Hartnäckigkeit der Belagerten überwinden möchte. Aber so wenig dieses als die bereits zunehmende Hungersnot noch auch die wiederholten Warnungen des römischen Feldherrn, die Stadt, den Tempel und ihr eigenes Leben zu retten, vermochten etwas bei diesen gänzlich Verstockten auszurichten; sie erklärten vielmehr dem Titus selbst mit untermengter Schmähung, daß sie lieber sterben, als sich ergeben wollten, und beriefen sich dabei frech auf den Schutz Gottes, dessen Verächter sie doch waren.

Die Fortsetzung ihrer verzweiflungsvollen Gegenwehr nötigte endlich den Titus, die Stadt mit einer Mauer völlig einzuschließen. Hierdurch ward dasjenige aufs genaueste erfüllet, was Christus vorher geweissaget, und die schrecklichste Hungersnot nebst allem damit verbundenen äußersten Elend nahm nun völlig überhand. Ausgezehrte Menschen suchten bei Tausenden vergeblich ihre Erhaltung. Die bewaffneten Räuber fielen in die Häuser, bemächtigten sich aller Nahrungsmittel und quälten mit den entsetzlichsten Martern alle und jede, auf welche nur der Verdacht einiger Verbergung fiel. Die Eltern rissen ihren Kindern und diese ihren Eltern und Geschwistern den letzten Bissen aus dem Munde. Viele, die diesem Jammer durch die Flucht zu den Römern zu entrinnen suchten, wurden von den Soldaten in der Vermutung, daß sie Gold verschlungen, lebendig aufgeschnitten. Man suchte durch die unnatürlichsten Mittel die Stillung des Hungers, und eine bemittelte Mutter, die durch diese Plage zur äußersten Verzweiflung gebracht war, schlachtete und kochte ihr eigenes Kind und bot, da sie einen Teil desselben verzehret, den grausamen Kriegsknechten die andere Hälfte dar. Alle Straßen waren mit Leichen bedeckt, und das Sterben war so häufig, daß vom 14. April bis zum 1. Julius 115,880 Leichen zu einem Tore hinausgebracht und 600,000 über die Mauer geworfen wurden. Titus ward durch diese erschrecklichen Umstände äußerst gerührt und bezeugte mit gen Himmel gehobenen Händen, daß er an diesen unnatürlichen Grausamkeiten unschuldig sei und solche unerhörte Greuel unter den Trümmern der Stadt begraben werden müßten.

Nachdem die Burg Antonia unter vielem Blutvergießen erobert und völlig niedergerissen war, mußte nun auch der sowohl durch seine Lage als die stärksten Mauern ausnehmend feste Tempel angegriffen werden, zu welcher Zeit auch das tägliche Opfer in demselben aufhörte. Titus, der für dieses herrliche Gebäude und für den Gottesdienst der Juden eine bewundernswürdige Ehrerbietung äußerte, ließ sich dessen Erhaltung mit der äußersten Sorgfalt angelegen sein und ermüdete nicht, sowohl in eigner Person als durch den Josephus den Johannes mit seinem gottlosen Haufen durch wiederholte rührende Vorstellungen zu bewegen, daß sie durch ihren fortgesetzten Frevel das Heiligtum Gottes nicht entweihen, vielmehr durch eine endliche Übergabe es dem nahen Untergange entreißen möchten, versprach ihnen auch die ungestörte Fortsetzung ihres Gottesdienstes. Allein diese Bösewichter verschmähten dieses alles, besetzten die Tore des Tempels mit Kriegsmaschinen und machten denselben durch Raub und Blutvergießen nach Christi Worten nun völlig zur Mördergrube. Daher sah sich Titus endlich genötigt, die äußerste Gewalt zu gebrauchen, und nach verschiedenen abgeschlagenen Stürmen an die Tore desselben Feuer legen zu lassen, welches denn alle bedeckten Gänge um den Tempel ergriff. Er gab zwar sogleich Befehl, das Feuer zu löschen und das noch unversehrte Hauptgebäude zu erhalten, aber keine menschliche Vorsicht vermochte den Ratschluß Gottes zu verhindern. Ein heftiger Ausfall der Juden zog das Gefecht in die Nähe des Tempels, und ein römischer Soldat warf aus eigenem Antriebe oder vielmehr von einer höheren Hand geleitet einen feurigen Brand in ein Fenster der an den Tempel gebauten Zimmer. Sogleich breitete sich das Feuer in diese Nebengebäude aus. Titus eilte alsbald den Brand zu löschen, aber seine Befehle wurden nicht vernommen. Die römischen Legionen drangen wütend auf den Tempel zu, unterhielten die immer weiter um sich greifenden Flammen und erfüllten alles mit Blut und Leichen. Titus begab sich mit einigen seiner Heerführer selbst in den Tempel, besah dessen Heiligtum und die darin befindlichen Geräte und fand, daß die Pracht alle Nachrichten davon weit überträfe. Er erneuerte die eifrigsten Bemühungen, dieses Innere des Tempels zu retten, aber vergeblich, der ganze Tempel ward, wie Josephus bemerkt, an eben dem Tage, da der erste von den Babyloniern verbrannt worden, durch die Flammen völlig verzehrt. Ein allgemeiner Raub und die blutigste Niederlage verbreitete sich ohne die mindeste Schonung in dem ganzen Raum des Tempels. Die römischen Soldaten pflanzte:: an das östliche Tor des Tempels ihre Kriegszeichen, brachten daselbst ihre heidnischen Opfer und riefen den Titus als Sieger aus. Eine Anzahl Priester, so aus einer Mauer des Tempels ihre Sicherheit gesucht, flehten vergeblich um ihr Leben. Titus antwortete, die Zeit der Gnade sei geendet, und sie müßten nunmehr mit ihrem Tempel umkommen.

Die Aufrührer hatten sich inzwischen mit gewaffneter Hand den Weg aus dem Tempel geöffnet und verlangten eine Unterredung mit dem Titus. Dieser erbot sich, ihnen das Leben zu scheuten, wenn sie sogleich die Waffen niederlegten und sich ergeben würden; als sie sich aber dessen unter der Vorschützung eines Eides weigerten und einen freien Abzug verlangten, versagte er ihnen alle Gnade, übergab die untere Stadt der Plünderung und dem Feuer und griff den noch übrigen obern Teil derselben an, in welchen sich die sämtlichen Aufrührer unter Simon und Johannes gezogen hatten. Sobald die römischen Maschinen auch hier die Mauer durchbrochen, überfiel diese Hartnäckigen die mutloseste Verwirrung. Voll Furcht und Schrecken verließen sie die von ihnen besetzten sehr festen Türme, versuchten vergeblich durch die römischen Verschanzungen zu entkommen und verbargen sich endlich in unterirdischen Höhlen. Die Römer bemächtigten sich also auch der ganzen oberen Stadt, plünderten selbige und zündeten sie nach der entsetzlichsten Niederlage unter den Einwohnern an. Dieses geschah am 8. September des Jahres 70 nach Christi Geburt.

Als Titus in die nun völlig eroberte Stadt ging und die ungemeine Festigkeit ihrer Mauern und Türme bewunderte, brach er in dieses ihm rühmliche Bekenntnis aus: Wir haben mit Gottes Beistand Krieg geführt, es ist Gott, der die Juden aus diesen Festungen herausgetrieben hat, denn was würden menschliche Hände und Maschinen gegen solche Türme vermögen?

Gleich nach der Eroberung wurden die noch übrigen Aufrührer sämtlich getötet. Die ansehnlichsten Jünglinge wurden zum Triumphe des Titus, die übrigen Gefangenen aber zu den römischen Schauspielen oder zu schweren Arbeiten bestimmt. Die, so unter 17 Jahren, wurden verkauft. Die Zahl aller in dem ganzen Kriege Gefangenen rechnet Josephus aus 97,000 und der in der Belagerung Umgekommenen auf 1,100,000 außer der großen Menge, die sonst in diesem Kriege ihr Leben verloren. Simon und Johannes gerieten aus ihren Höhlen endlich auch in die Hände der Römer. Sie wurden gleichfalls zum Triumph des Titus aufbehalten und nach selbigem der erste zum Tode, der andere aber zeitlebens zum Gefängnis verurteilt.

Die sämtlichen Ueberbleibsel der Stadt außer dreien Türmen und einem Teil der Mauer wurden auf Titus Befehl dem Erdboden gleich gemacht. Jerusalem ward also nach Christi Weissagung völlig geschleift.

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