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Sechzehntes Kapitel.

In Zadoks Haus suchte natürlich in jener Nacht niemand die Ruhe, und gegen Tagesanbruch hielten unsere Freunde es kaum mehr daheim aus. Als endlich um die sechste Stunde die Sonnenstrahlen in horizontaler Richtung auf die Terrasse fielen, drang wildes Freudengeschrei an ihr Ohr. Gleich darauf trat Zadok ins Zimmer und sagte feierlich: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt!«

Alle brachen in Tränen aus; Amaziah aber ließ dem Schmerze nicht lange freien Lauf, sondern kniete inmitten der kleinen Gruppe nieder und dankte Gott mit einer Ruhe, die Zadok und Salome in Erstaunen setzte, daß sein Sohn den guten Kampf gekämpft und Glauben gehalten hatte!«

Darnach nahm er seinen Bruder beiseite und bat ihn, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, um Javan zu vermögen, die Auslieferung von Theophils Leichnam beim Rate zu beantragen, damit sie wenigstens den Trost hätten, ihn vor ihrer Abreise bestatten zu können. Zadok versprach, sein mögliches zu tun, machte sich aber nicht viel Hoffnung, etwas bei seinem Sohne zu erreichen.

Als er Javan nach langem Suchen fand, sagte er mit vor Bewegung bebender Stimme: »Nachdem nun alles vorüber ist und Theophil die an der Religion seiner Väter begangene Schuld mit dem Leben bezahlt hat, bitte ich dich als persönliche Vergünstigung um den Leichnam unseres Verwandten, damit er nicht öffentlich zur Schau gestellt werde. Letzteres soll auf deinen Antrag hin geschehen, also steht es sicherlich in deiner Macht, den Befehl widerrufen zu lassen, sei es auch nur in Bezug auf deinen Vetter.«

»Mein Vater,« antwortete Javan, »ich fühle wohl, daß auch du meiner Handlungsweise falsche Beweggründe unterschiebst, und es ist mir das überaus schmerzlich; dennoch kann ich deinem Wunsche nicht willfahren. Es muß der Gerechtigkeit ihr Lauf gelassen werden.«

Zadoks Stirn umwölkte sich, und da er sah, daß er nichts bei seinem Sohne ausrichten werde, ging er schweren Herzens wieder heim.

Javan kam an jenem Tage nicht nach Hause, und traf auch keinerlei Maßnahmen zur Vereitlung der beabsichtigten Flucht seiner Verwandten, obwohl er genaue Kenntnis von allen Einzelheiten hatte. Er leistete der Abreise sogar insgeheim Vorschub, und seiner Wachsamkeit hatte Amaziah es zu verdanken, daß er mit den Seinen, in Begleitung Zadoks, Naomis und der treuen Hanna ungehindert entkam. Unweit Joppe sah die kleine Karawane eine Abteilung Soldaten auf sich zukommen, in deren Führer die Flüchtlinge zu ihrer Beruhigung Marcellus erkannten.

»Wo ist meine Schwester? Wo ist Naomi?« rief der junge Mann, ohne in seiner Freude den Ausdruck tiefer Trauer in den Mienen seiner Freunde zu bemerken. Erst als Zadok ihn schweigend beiseite nahm, fragte er besorgt: »Was ist geschehen? Ist Naomi gesund?«

»Nicht Naomi, sondern deine arme Claudia bedarf in erster Linie deiner Teilnahme, mein Sohn,« antwortete Zadok. »Alle ihre Hoffnungen sind mit einem Schlage vernichtet und ihr Herz ist dem Brechen nahe; denn Theophil ist nicht mehr.«

»Der Herr erbarme sich ihrer!« rief Marcellus. »Welche Krankheit hat den armen Theophil so schnell dahingerafft? Mein teures Schwesterlein! Führe mich schnell zu ihr! Sie soll fühlen, daß sie einen Bruder hat, der mit ihr um den schweren Verlust trauert.«

Er stieg vom Pferde, warf einem Diener die Zügel zu und näherte sich der Sänfte, in der Claudia und Naomi saßen. Sobald erstere ihn sah, stürzte sie ihm entgegen und warf sich schluchzend in seine Arme. Marcellus flüsterte ihr einen Zärtlichkeitsausdruck nach dem andern ins Ohr, dann half er ihr wieder in die Sänfte steigen und begrüßte mit vor Bewegung zitternder Stimme Naomi. So sehr letztere ihre Gefühle zu verbergen suchte, sah er zu seiner Freude, daß ihre anscheinende Zurückhaltung erzwungen war und die verräterische Röte auf den vorher so bleichen Wangen mit jedem Worte, das er an sie richtete, zunahm. Dennoch vergaß er darüber nicht des schweren Kummers, der aus seinen Freunden lag, und die Art und Weise, wie er Judith begrüßte, erinnerte die trauernde Mutter mehr als irgend etwas an den Heimgegangenen, der in feiner Kindheit so viel mit Marcellus verkehrt hatte.

Während des übrigen Teils der Reise ritt der junge Römer neben der Sänfte der jungen Mädchen her und sagte Claudia manches fromme Trosteswort, ohne jedoch den Namen Jesu auszusprechen, und auch die beiden Freundinnen hielten den Augenblick nicht für passend, um von Dem zu reden, Der ihnen Ein und Alles geworden war. So kamen die drei jungen Leute mit dem Eindruck nach Joppe, daß der andere Teil den Weg des Lebens und des Friedens noch nicht kannte.

Rufus empfing sie mit großer Herzlichkeit und nahm warmen Anteil an dem Verluste seiner Tochter, gab auch bereitwillig seine Zustimmung zu Claudias Bitte, Amaziah und Judith nach Ephesus begleiten zu dürfen. Das arme Kind suchte in seiner Gegenwart ihren Schmerz so viel wie möglich zu bemustern; aber als sie mit Naomi und Marcellus allein war, brach er mit doppelter Gewalt los.

»O Marcellus,« sagte sie, »wie lieb hättest du ihn gehabt, wenn der Herr erlaubt hätte, daß er dein Bruder geworden wäre! Und doch hättest du ihn schwerlich ganz verstanden, denn die Standhaftigkeit, mit der er um seines Glaubens willen dem Tode trotzte, wäre in deinen Augen Torheit gewesen.«

»Was willst du sagen?« fragte Marcellus. »Ist Theophil nicht eines natürlichen Todes gestorben?

»Zadok hat dir also nicht gesagt, daß er um des Namens Jesu von Nazareth willen den Märtyrertod erlitten und daß deine Schwester aus seinem Munde den Heilsweg kennen gelernt hat und nun in dem Glauben, den du verachtest, ihren einzigen Halt findet?«

»Geliebtes Schwesterchen,« erwiderte Marcellus, indem er sie zärtlich umarmte, »das ist eine unerwartete frohe Entdeckung. Demnach sind wir nicht nur Blutsverwandte, sondern mit dem innigsten, heiligsten Bande verknüpft. Auch ich bin ein Christ.«

Naomis Augen füllten sich mit Freudentränen, als sie dieses Bekenntnis hörte, und ein Blick auf sie überzeugten ihn, daß sein heißes Flehen Erhörung gefunden hatte, und somit das Hindernis zu ihrer Vereinigung aus dem Wege geräumt war.

»Naomi,« sagte er, »habe ich recht mit der Annahme, daß du die Gefühle meiner Schwester teilst? Mein Glück wäre vollkommen, wenn ich von deinen eigenen Lippen hörte, daß auch du an den Namen Jesu Christi gläubig geworden bist.«

»Gelobt sei Sein heiliger Name!« antwortete Naomi inbrünstig. »Ich glaube, daß in keinem andern Namen Heil zu finden ist.«

»Wie groß ist Sein Erbarmen!« rief Claudia. »Wann hast du von Jesu gehört, mein Bruder?«

Marcellus erzählte nun ausführlich, wie er zur Bekehrung gekommen war, und auch die jungen Mädchen statteten genauen Bericht über ihre Aufnahme in die christliche Gemeinde ab.

Es war das eine liebliche Musik für den jungen Römer und es läßt sich denken, daß er nicht lange wartete, ehe er sich der Gefühle Naomis für ihn versicherte und als er die Bestätigung hatte, daß sie seine Liebe erwiderte, bei dem Priester Zadok um ihre Hand anhielt. Früher hätte dieser das Anerbieten wohl verächtlich zurückgewiesen; nun er aber wußte, daß Naomi niemals in die Heirat mit einem Juden willigen würde, trugen die Liebe zu seinem Kinde und die Hochachtung für den edlen Charakter des jungen Römers den Sieg über seine Vorurteile davon, und er gab zur Freude aller seine Zustimmung. Selbst Claudia suchte den eignen Schmerz in den Hintergrund zu drängen und stammelte, wenn auch unter Tränen, ihre Glückwünsche.

Eine Woche später schifften sich Amaziah, Judith und Claudia nach Ephesus ein, und noch am nämlichen Tage kehrten Zadok und Naomi nach Jerusalem zurück, wo des Priesters Anwesenheit um der dort eingetretenen politischen Ereignisse willen dringend geboten war. Rufus und sein Sohn begleiteten Vater und Tochter bis Lydda und stießen dann in Cäsaräa mit ihren Kameraden zusammen. Nun erst gab der Hauptmann seiner Entrüstung über Javans Verhalten Ausdruck und schwur dem Verräter Rache, der trotz seines gegebenen Wortes aus dem römischen Lager entronnen war, um Jammer und Herzeleid über seine eigne Familie zu bringen. Marcellus suchte den Vater zu beruhigen, doch wunderte es ihn nicht, daß ein Götzendiener so von einem Manne sprach, der sich seines Glaubens rühmte und dabei grausamer und hinterlistiger handelte als mancher Heide.


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