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Elftes Kapitel.

In demselben Augenblick kam Javan zurück und sagte mit erzwungener Heiterkeit: »Meine Eltern erwarten euch im Eßzimmer. Das Abendessen ist aufgetragen, und der Rabbiner Joazer wird uns Gesellschaft leisten.«

Nach den üblichen Waschungen, an welchen auch Naomi und Theophil teilnahmen als an einer Zeremonie, die nicht gegen die Lehre des Christentums verstieß, setzte man sich zu Tische; aber Javan nahm keinen Bissen zu sich, aus Furcht sich zu verunreinigen, und beobachtete während der ganzen Mahlzeit ein finsteres Schweigen. Kaum hatten sich jedoch die Dienstboten zurückgezogen, so sagte er zu Theophil: »Du hast uns einen Bericht über euren heutigen Spaziergang versprochen. Es interessiert mich vor allem, zu hören, wohin du meine Schwester und Claudia geführt hast. Ich hätte euch gern begleitet; aber als ich heimkam, erfuhr ich, daß ihr schon über eine Stunde fort ward.«

»Wie ich sehe, ist es nicht bloße Neugierde, die dich zu dieser Frage veranlaßt,« antwortete Theophil mit vollkommener Gelassenheit; »ich will dir daher unumwunden gestehen, daß deine Vermutung richtig ist: ich habe heute abend eine alte Christin besucht, für die ich mich interessiere, und zwar nicht nur um ihres Alters und ihrer Gebrechlichkeit willen, sondern weil sie eine Jüngerin des Herrn Jesu Christi ist.«

»Hast du's, gehört, gerechter Zadok!« rief der Rabbiner, indem er aufsprang. »Der Dämon der Ketzerei ist schon wieder in deine Familie gedrungen.«

»Still Joazer!« erwiderte Zadok beschwichtigend; denn er fürchtete, der Rabbiner könnte in seinem Ingrimm vergessen, daß Javan um den Abfall seiner Schwester noch nicht wußte. »Laß Theophil Gelegenheit, uns die nötige Aufklärung zu geben.«

»Ja, das werde ich,« entgegnete Theophil kaltblütig. »Ich schäme mich weder, noch fürchte ich mich, zu bekennen, daß auch ich diesen Jesum von Nazareth anbete.«

»Ich wußte es!« rief Javan entrüstet, »und du hast wohl daran getan, es nicht zu verheimlichen. Gesteh nun auch, ob du es gewagt hast, meine Schwester zu der Nazarenerin mitzunehmen. Ich kenne das Weib, und möge Gott die Meinen vor dem traurigen Lose bewahren, von demselben irregeführt zu werden!«

»Du kennst ja die christliche Lehre gar nicht, Javan; wie kannst du dir da ein Urteil anmaßen?« erwiderte Theophil. »Claudia ist meine Braut; kein Wunder also, wenn ich sie von der Wahrheit des Glaubens, den ich angenommen habe, zu überzeugen suche! Naomi hat uns zu Maria von Bethanien begleitet, aber ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich nie etwas getan habe, um den Glauben deiner Schwester zu erschüttern.«

Salome erriet, was bei diesen Worten Theophils in der Seele ihres Kindes vorging; in ihrer Angst, Naomi könnte sich gedrungen fühlen, offen zu bekennen, daß auch sie eine Jüngerin des verachteten Nazareners war, winkte sie ihr und Claudia, ihr ins anstoßende Zimmer zu folgen. Naomi gehorchte schweren Herzens, und auch Claudia wäre lieber bei der Unterredung der Männer zugegen gewesen; denn sie kannte Javans Leidenschaftlichkeit und fürchtete, er könnte sich ihrem Verlobten gegenüber zu Tätlichkeiten hinreißen lassen. Es war eine lange Konferenz, die nun zwischen dem jungen Christen und seinen jüdischen Verwandten stattfand. Als Judith kam, um zu sehen, was aus ihrem Sohne geworden war, fand sie Salome und die beiden Mädchen in großer Bestürzung. Endlich trat Theophil ins Zimmer und sagte mit dem Ausdruck tiefer Bewegung: »Ich komme, um Abschied von dir und Naomi zu nehmen, geliebte Tante. Zadok hat mir jeglichen weiteren Verkehr mit euch aufs strengste verboten; aber, mag uns hienieden ein Wiedersehen beschert sein oder nicht, ich werde nicht aufhören, Gott zu bitten, Er möge uns droben in der oberen Welt vor dem Throne des Lammes wieder zusammenführen. Ich bin der festen Zuversicht, Tante, daß dich der Herr Jesus ebenfalls zu sich ziehen wird. Unserer teueren Naomi wird das Glück vorbehalten sein, dich auf den Weg der Wahrheit zu leiten.«

»Sprich nicht so, Theophil,« erwiderte Salome. »Deine Worte haben einen merkwürdigen Einfluß auf mich, aber ich darf dich nicht anhören. Wollte Gott, du wärest schon außer Land; denn Javan ist dir niemals hold gewesen, und nun wird er dich mit seinem Hasse verfolgen.« »Ich fürchte ihn nicht, Salome,« antwortete Theophil. »Ehe wir Erlaubnis von Rufus haben, Claudia mitzunehmen, kann von unserer Abreise von Jerusalem keine Rede sein.«

»Um meinetwillen sollst du dich keiner Gefahr aussetzen, Geliebter!« warf Claudia dazwischen. »Wenn meines Vaters Brief nicht rechtzeitig eintrifft, begleite ich euch bis Joppe und warte dort seine Zustimmung zu meiner Weiterreise ab.«

»Ich bin überzeugt, er wird dieselbe nicht vorenthalten,« sagte Judith; »hat er dir doch keinen andern Zufluchtsort zu bieten, und Jerusalem ist keine sichere Aufenthaltsstätte mehr für dich. Du sollst wie unser eignes Kind bei uns gehalten werden, und ich werde alles aufbieten, dir die Mutter zu ersetzen, die du in so früher Jugend verloren hast.«

»Zadok wird sich diesem Vorhaben nicht widersetzen,« sagte Theophil; »denn er hat mir auf Javans ausdrückliche Bitte erklärt, daß weder Claudia noch ich Naomi je wieder allein sprechen dürfen.«

Claudia warf sich bei diesen Worten ihres Verlobten weinend in der Freundin Arme, und auch Naomi konnte sich der Tränen nicht länger enthalten.

Im nächsten Augenblick trat Javan ins Zimmer und ergoß sich in neuen Schmähungen über Theophil. Dieser verließ, ohne ein Wort zu erwidern in Begleitung von Mutter und Braut das Zimmer, eingedenk Dessen, Der nicht wieder schalt, da Er gescholten ward, nicht drohte, da Er litt, sondern es Dem anheimstellte, welcher recht richtet. Als sie sich entfernt hatten, baten Salome und Naomi Javan mit Tränen, er möge doch seiner Leidenschaftlichkeit nicht die Zügel schießen lassen und seiner Verwandten schonen; aber umsonst!

Am nächsten Tage kam er nicht vor Abend heim, und machte dann seinem Vater die Mitteilung, daß eine entfernte Cousine von Salome aus Bethezob gekommen sei, um Unterkunft in der heiligen Stadt zu suchen und daß er sie im Namen seines Vaters in ihr Haus eingeladen habe. Zadok erklärte sich einverstanden mit dem Anerbieten und machte sich sofort auf den Weg, die etwas verwöhnte Dame zu holen. Die junge Witwe wurde von sämtlichen Familiengliedern mit großer Herzlichkeit ausgenommen, und Naomi war es ein Trost in ihrem Jammer, sich mit dem zweijährigen kleinen David zu beschäftigen. Mittlerweile hatte ein römischer Gesandter, der im Auftrage Vespasians mit einer erneuten Aufforderung zur Übergabe nach Jerusalem kam, Claudia den heißersehnten Brief von ihrem Vater gebracht. Die Vorschläge des römischen Generals wurden mit Geringschätzung und Hohnreden ausgenommen, und der Überbringer derselben kehrte mit einer beleidigenden Antwort und einem Schreiben von Claudia an ihren Vater ins römische Lager zurück.

Rufus gab seiner Tochter gern die Einwilligung zu ihrer Vermählung mit Theophil, dem Neffen seines langjährigen Freundes, und schlug vor, daß die Trauung in Joppe stattfinde, damit nicht nur er und Marcellus derselben beiwohnen konnten, sondern auch Zadok und Naomi.

Claudia ließ nicht nach mit Bitten, bis Zadok seine Zustimmung zu dem Plane ihres Vaters gegeben hatte, und als ihr dies endlich gelungen war, brachte sie der Freundin jubelnd die frohe Botschaft.

Maria von Bethezob hatte inzwischen ein großes Haus in der Nähe von Zadoks Wohnung bezogen und dasselbe zum Sammelplatz ihrer vergnügungssüchtigen Bekannten gemacht.

So sehr Javan einerseits die im Augenblick in Jerusalem wenig angebrachten Festlichkeiten mißbilligte, nützte er sie zur Erreichung seiner politischen Pläne aus und hielt unter Deckung der fröhlichen Festgenossen ungestört seine Zusammenkünfte mit den Obersten der jüdischen Nation, die er für die Partei Simons, des Sohnes des Gioras, zu gewinnen hoffte.

Über den politischen Umtrieben vergaß er indes keineswegs der seinem Vetter Theophil gemachten Drohungen. Seinen eifrigen Nachforschungen war es gelungen, die wenigen noch in Jerusalem befindlichen Jünger Jesu ausfindig zu machen und durch ein Komitee von Pharisäern und Schriftgelehrten, die ihm an Fanatismus ebenbürtig waren, zum Tode verurteilen zu lassen. Wenn er Theophil noch nicht der Wut seiner Gesinnungsgenossen ausgeliefert hatte, so war es nur, weil er auch dessen Eltern, gegen die er wohl Verdacht schöpfte, aber noch keine Beweise in Händen hatte, in seine Gewalt bekommen wollte.

Auch Maria von Bethanien war in seine Rachepläne inbegriffen. Da die von ihm ausgesandten Spione ihm nicht die gewünschte Auskunft brachten, beschloß er, selbst zu ihr zu gehen, um aus ihrem eignen Munde das Bekenntnis ihres Glaubens an Jesum von Nazareth zu hören. Die Standhaftigkeit, mit der Christi Jünger um ihres Meisters willen sogar den Tod erlitten, steigerte noch feinen Haß gegen das Christentum, und er hielt es für eine äußerst verdienstvolle Handlung, dasselbe auszurotten.

Eines Abends begab er sich denn zu ihr, und trotz seines Abscheus vor den Nazarenern konnte er sich beim Anblick der ehrwürdigen Dulderin der Bewegung nicht ganz erwehren. Bei seinem Eintritt rollte Hanna hastig das Manuskript zusammen, aus dem sie der Kranken vorgelesen hatte; denn Javan war ihr nicht bekannt, und die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß Vorsicht dringend geboten war. Maria, der der Besucher ebenfalls fremd war, erkundigte sich freundlich nach dessen Begehr, verhielt sich aber im übrigen zurückhaltend und lehnte dankend des jungen Mannes Anerbieten ab, sich ihr behilflich zu erweisen.

»Bist du Christ?« fragte ihn Maria mit ernster Stimme.

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Jerusalem vom Oelberge aus gesehen.
(Nach einer Photographie.

»Ich möchte die christliche Lehre zuerst genauer prüfen, ehe ich mich zu ihr bekenne,« antwortete Javan ausweichend, »und niemand kann mich in derselben besser unterweisen als du und deine edlen Glaubensgenossen.«

»Kennst du meine Freunde, und von welchen von ihnen sprichst du?« fragte Maria sichtlich besorgt.

»Ich spreche von Amaziah, dessen Frau und Sohn, sowie von Zadoks Tochter, deren Nichte. Wenn ich nicht irre, ist letztere ja auch zum Christentum übergetreten, nicht wahr?«

»Möge dir der Herr Jesus vergeben, wenn du mich mit der Absicht, denen, die mir Liebe bewiesen haben, zu schaden, zu hintergehen suchst!« sagte die Greisin. »Ich kann nicht leugnen, daß mir Amaziah und die Seinen viel Liebe erzeigt haben, so lange sie in meiner Nachbarschaft lebten. Einem Fremden gegenüber von ihren religiösen Anschauungen zu sprechen, steht mir nicht zu; hingegen mache ich kein Hehl daraus, daß ich für meine Person dem Herrn Jesus glaube.«

»Du bist allzu vorsichtig, verehrte Freundin,« sagte Javan. »Warum mißtraust du mir? Ich kenne die Gefühle, die deine Wohltäter beseelen, schon lange, und wenn ich sie hätte verraten wollen, hätte ich damit schwerlich bis heute gewartet. Bedenke doch, daß deine Lehren mir zum Heile gereichen können und laß das Mißtrauen gegen mich fahren. Enthält jene Rolle, aus der deine Dienerin dir bei meinem Eintritt vorgelesen hat, nicht etwa eine Zusammenfassung der christlichen Wahrheiten? Bitte, laß sie mich sehen. Ich hätte so lange schon gern einen ausführlichen Bericht über das Leben Jesu gelesen.«

Maria war eine arglose Natur und hatte ihren Meister zu lieb, um diese Gelegenheit, Ihm zu dienen, unbenützt vorübergehen zu lassen. Sie wandte sich daher zu Hanna und sagte: »Gib mir die Rolle, meine Tochter, und laß uns allein; denn ich möchte mit dem jungen Mann unter vier Augen reden.«

Auf der Greisin Bitte las Javan mehrere der interessantesten Begebenheiten aus dem Leben Jesu laut vor, während sie die nötigen Erklärungen hinzufügte. Die Reinheit der Lehren und die wunderbaren Ereignisse, von denen er las, verfehlten ihres Eindrucks auf Javan nicht; aber er war leider zu sehr in den Banden des Fanatismus verstrickt, um ihnen sein Herz zu öffnen, und so kam es, daß er den Worten der sterbenden Jüngerin lauschen und zugleich über Mittel und Wege sinnen konnte, sie den Händen der Pharisäer und Schriftgelehrten auszuliefern. Er hielt sich für einen Diener Gottes, in Wirklichkeit aber war er ein Werkzeug des Teufels.


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