Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Zweite Szene

Marktplatz.

Hieronymus, Valerio.

Hieronymus: Nochmals vielen Dank für Eure Höflichkeiten, die ich von Euch und Euren Freunden hier in Zypern genossen habe. Wenn Ihr einmal nach London kommt, will ich es Euch zu vergelten suchen. Die Galeere, die mich nach Venedig bringt, will absegeln, der Graf von Flandern ist zur Fahrt bereit, er wird gleich kommen, wenn er seine Geschäfte mit Eurem Freunde Ridolfo beendigt hat.

Valerio: Werdet Ihr Euch vielleicht in Eurem Vaterlande, der Lombardei, einige Zeit verweilen?

Hieronymus: Ich habe diesmal keine Zeit, ich bin länger in Palästina zurückgehalten worden, und jetzt hier in Famagusta, als ich vermutet hatte, und darum muß ich um so schneller nach London eilen. Hier kommt der Graf.

Der Graf von Flandern mit Gefolge. Ridolfo.

Graf: Lebt wohl, mein Freund. Sieh da, Meister Hieronymus, der Wind hat sich gedreht, wir lichten in einer Stunde die Anker. Ich gehe jetzt, um nur einige Worte mit des Königs Marschall zu sprechen, und bin dann bereit. Ab mit Gefolge.

Valerio: War der Handel gut?

Ridolfo: Nicht so gar, der Graf will die meisten Dinge in Venedig einkaufen, das einmal den Ruf vor allen Städten in kostbaren Waren hat.

Valerio: So beherrscht das Vorurteil die Welt, denn vieles könnte er hier doch besser und wohlfeiler haben.

Hieronymus: Es geht die Mode hin und her, und der Kaufmann muß von ihrer Wandelbarkeit Gewinn ziehn. Fängt doch Brabant an, mit Tüchern Genua und Venedig den Preis abzugewinnen, wollen doch sogar die Engländer manches selbst fabrizieren, was sie sonst nur von Italien bezogen. Der Geldumsatz ist drum immer der sicherste Gewinn.

Valerio: Und Geld ausleihen, und auf Pfänder borgen, nicht wahr? Wie ihr Lombarden es zu tun pflegt.

Hieronymus: Sacht, sacht, mein Herr Valerio. Man hat mir hier in Famagusta gesagt, daß Ihr und noch andre diese Künste auch verstehn. Das Zwölf und Zwanzig vom Hundert ist durch die ganze Welt verbreitet. – Wer ist der stattliche Herr, der dort herschreitet?

Ridolfo: Graf Nimian, ein vornehmer Staatsmann.

Graf Nimian kommt mit Gefolge.

Nimian: War das nicht der junge Fortunat, der an uns vorbeilief?

Diener: Er war es, gnädigster Herr.

Nimian: Ruft ihn zurück, ich habe ihm ein paar Worte zu sagen. Der Diener kommt mit Fortunat. Hieher, mein junger Mensch. – Mir ist gesagt worden, und ich habe es auch zum Teil selbst wahrnehmen können, daß Ihr unser Haus fleißig besucht, und Euch des nachgiebigen Gemütes meines Sohnes bemeistert. Das ist bis jetzt ohne Folgen gewesen: da aber der Knabe nun anfängt, den Erwachsenen gleichzukommen, und er nur in seinen Studien, oder in dem Umgange mit seinesgleichen gestört werden dürfte, so werdet Ihr ohne mein Erinnern einsehn können, daß es euch beiden passender ist, wenn ihr euch mehr entfremdet; denn jedermann soll mit Personen seines Standes umgehn. Alles Eindrängen, alles Ungeziemende ist mir und allen gebildeten Menschen so unangenehm, wie es die Natur der Sache mit sich bringt.

Fortunat: Gnädiger Herr, bei aller Ehrfurcht vor Euch müßt Ihr mir vergönnen, mich über diese unvermutete Ermahnung zu verwundern. Ich habe Euern Sohn nicht aufgesucht, ich habe weder Gewinn noch Ehre durch seinen Umgang erwartet, ich habe Mühe gehabt, ihm einige Falken abzurichten und Pferde zuzureiten, und er ist zuerst in unser Haus gekommen, in welchem ich vor einigen Jahren die Ehre gehabt habe, Euch kennenzulernen.

Nimian: Kann sein; habt Ihr Mühwaltung für ihn übernommen, werde ich in meiner Erkenntlichkeit derselben nicht saumselig sein, aber der familiäre Umgang, das Kameradsein, das – wie man mich hat versichern wollen – unanständige Duzen, will ich mir ein für allemal verbitten. Man hat mich verstanden, mein junger Freund? Ab mit Gefolge.

Fortunat: Mehr als genug, ich verlange nichts, keinen Heller von Euch, Ihr hochmütiger Pfauhahn! Gott behüte, was der die Worte setzt und herausgurgelt. Ach, Herr Valerio, Euer Diener.

Valerio: Hört mal, junger Mensch, ich bin froh Euch zu treffen. Es ist wahr, Ihr seid eine gute Haut, und man kann keine Klage über Euch führen, aber ich muß Euch doch bitten und ersuchen, den Umgang mit meinem Sohn Felix kurz und gut abzubrechen. Ihr taugt nicht füreinander. Er soll ein Kaufmann, ein ehrsamer Bürger werden, Handel lernen, das Geld zu Rate halten, Kleider schonen, jungen Wein trinken und wenig: Ihr aber seid hoch hinaus, seid mir zu vornehm, verderbt mir den Jungen, setzt ihm Albernheiten und Hochmut in den Kopf, und somit bitt ich Euch, laßt ihn laufen; haltet Euch zu Euresgleichen, zu jungen Adlichen, da mögt Ihr von Pferden und Hunden sprechen und Euch über uns Bürgersleute lustig machen. Seid so gut, nehmt mir meine Bitte nicht übel.

Fortunat: Was sollt ich mit Euch anfangen, wenn ich's täte? Ihr wißt weder mit Degen noch Schild umzugehn, Ihr könnt mich nicht beleidigen. – Schöne Geselligkeit hier in meinem Vaterlande. Bin ich doch in meinem Leben nicht so durchdringlich gehofmeistert worden! Geht ab.

Hieronymus: Wer ist der hübsche junge Mensch?

Ridolfo: Ein Windbeutel, ein Obenaus; ich habe die Ehre, durch seine Mutter mit ihm in Verwandtschaft zu stehn. Einer von denen, deren es hier viele auf der Insel gibt, die von der Luft, von Hoffnungen oder Versprechungen der Großen leben, spanische Schlösser bauen und Schulden darauf machen. Sein Großvater war ein reicher Kaufmann, der seinen Sohn verzog, und ihn endlich adeln ließ. Der war ein berühmter Mann auf allen Turnieren und Ringelrennen, der erste Tänzer im Lande, beredt und belesen, machte Verse und sang; wie er so ziemlich mit seinem Vermögen auf dem trocknen war, bewarb er sich um die Tochter des reichsten Kaufmanns hier, der Vater ließ sich durch Eitelkeit blenden: nun konnten wieder nicht genug Schornsteine rauchen, nicht Pferde genug gekauft und totgeritten werden, da war Festieren und Jagd, und Lustbarkeit aller Art. Das dauerte einige Jahre, darauf ging denn ein Landgut, ein Meierhof nach dem andern fort, das ganze Leibgedinge der Frau, so wie sein eignes Vermögen, und jetzt sitzen sie im Elende und fallen allen Verwandten und Bekannten mit Borgen beschwerlich.

Valerio: Ja, ja, mancher Verwandte hat denn auch seinen Vorteil dabei ersehn. Euer Landgut am Meer ist in schönem Zustand, Schwager.

Ridolfo: Ich hab es über den Preis bezahlt, vollends damals. Nein, was das betrifft, da hab ich mir keine Vorwürfe zu machen. Und nachher noch einige hundert Mark verborgt, ohne Hoffnung, einen Heller wiederzuerhalten.

Valerio: Freilich ist der Kaufmann immer am schlimmsten dran, und am meisten bei jenem hochmütigen Volke, das sich zu gut dünkt, mit uns umzugehn, nicht aber uns um unser Geld zu bringen. Ja, mein Herr Hieronymus, Ihr glaubt gar nicht, wie sich die Zeiten hier geändert haben. Was war das in meiner Jugend ein andres Wesen mit den Handelsleuten! Ich weiß es noch, als wenn es heute wäre, wie mir der erste Taler, den ich aus einem kleinen Vorschuß meines Vaters durch Handel und Verkehr erübrigt hatte, ganz anders vorkam, wie alle andre Münze der Welt; hundertmal dreht ich ihn um und betrachtete ihn von allen Seiten. Als ich ein Goldstück eingewuchert hatte, küßt ich es und weinte vor Freuden. Des Nachts träumt ich von Geldsäcken. Bald durfte mir mein Vater die wichtigsten Geschäfte vertrauen, und er hatte seine Freude daran, wie ich ihm ein Profitchen nach dem andern so sauber vor der Nase wegnahm, so daß er am Ende wie neidisch wurde. Keinen Rock wollt ich an mich wenden: – aber jetzt, man sehe nur das junge Kaufmannsvolk, lauter Putz, Flitterstaat, den Vornehmen wollen sie's gleichtun, wollen die Edelleute spielen, verachten Geld und Gewinst, und setzen eine Ehre darin, wer am meisten verschwenden kann. O die Haare stehn mir zu Berge, wenn ich an die böse Zeit denke!

Ridolfo: Die ganze Welt ist umgekehrt, das ist gewiß. Aber, Herr Hieronymus, Ihr sagt kein Wort dazu?

Hieronymus: Ihr habt recht, meine Herren, aber ich denke jetzt auf meine Rückreise, und muß mich eurem Wohlwollen empfehlen.

Valerio: Ihr erlaubt uns erst noch, Euch zu Eurem Schiff zu begleiten.

Hieronymus: Ihr seid zu gütig und höflich.

Gehn ab.

Fortunat und Felix kommen.

Felix: Es ist dein Ernst?

Fortunat: Mein fester Wille, ich bin des Lebens hier überdrüssig. Dein Vater hat mir den Umgang mit dir verboten, meinen Falken habe ich fliegen lassen. –

Felix: Deinen Falken?

Fortunat: Was soll ich mit dem, wenn ich fortgehe?

Felix: Aber wohin?

Fortunat: Das weiß ich selbst noch nicht, wohin mich meine Sterne führen.

Felix: O daß ich mit dir könnte! Aber ich muß da beim Rechenbuch und verrufenen Münzen sitzen; ich wollte, ich hätte deinen Mut.

Fortunat: Wir sehn uns wohl einmal wieder. Lebe wohl, lieber Junge, und vergiß mich nicht.

Felix: Lebe recht wohl, wenn du weg bist, wird mir die ganze Insel wie ein Gefängnis sein. Ab.

Der Graf von Flandern kommt mit Gefolge.

Fortunat: Es will nur gewagt sein; das Schlimmste ist eine abschlägige Antwort, und dann bin ich ja nachher noch so gut als ich war. – Mein Herr Graf, wenn Ihr noch einen Augenblick von Euren Geschäften abmüßigen könnt, so geruht ein Wort und eine Bitte von mir anzuhören: wenn ich Euch lästig falle, so habt Ihr es nur Eurem leutseligen und freundlichen Wesen zuzuschreiben, welches mich so dreist macht, Euch beschwerlich zu werden.

Graf: Worin kann ich Euch dienen, junger Mensch?

Fortunat: Darin, daß Ihr so gnädig sein mögt, Euch von mir bedienen zu lassen.

Graf: Wer seid Ihr? Eure Sprache und Euer Anstand sind feiner, als ich an meinen Dienern gewohnt bin.

Fortunat: Ein so edler mächtiger Herr, wie Ihr, bedarf der Diener von unterschiedlicher Art. Ich bin hier von der Insel, meine Herkunft ist nicht die niedrigste, doch, da ich nur arm bin, wünsche ich einem Herrn anzugehören, auf den ich stolz sein, und den ich lieben kann; da ist mein Wunsch auf Euch gefallen; ich weiß Pferde abzurichten, mit Waffen umzugehn, im Beizen und Jagen dünke ich mir Meister zu sein, und wo ich unwissend und so edlen Herrn zu bedienen ungeschickt bin, muß mein guter Wille und Eure Nachsicht und Belehrung meinen Mangel verzeihen und ergänzen.

Graf: Du gefällst mir mein Sohn. Wie ist dein Name?

Fortunat: Besser als mein Geschick: Fortunat.

Graf: Ich könnte wohl einen Diener deiner Art brauchen, der die Aufsicht über meine Leute und Rosse hätte, und nahe um mich wäre. Aber ich führe dich aus einem schönen Lande in eine ferne kalte Gegend, die ihr Welschen nicht mit besonderm Wohlgefallen betrachten könnt. Du entbehrst dort dieser warmen Luft, dieses heitern Himmels, dieses glühenden Weins, und ich fürchte, das Heimweh quält dich, wie wir angelangt sind.

Fortunat: Edler Herr, wenn ich meine Meinung sagen darf, so scheint mir das Menschengeschlecht aus ruhigen, bürgerlichen, einheimischen Menschen, und aus jenen zu bestehen, die den Zugvögeln gleichen, denen der Trieb zu wandern mit dem Frühling und Herbst erwacht, da jene den Spatzen und Krähen ähnlich sind, die bei demselben Zaun und Strauch verharren, und Nachtigall, Drossel und Storch töricht nennen. Mein Trieb, die Heimat zu verlassen, die übrige Welt zu sehn, und in sie hineinzureisen, je ferner je lieber, ist seit lange übermächtig in mir. Dann bin ich auch nicht so ohne Unterricht, daß ich nicht wissen sollte, daß bei euch, gnädigster Herr, die Sonne zwar nicht so heiß und lange scheint, daß ihr aber dafür im Winter eure Stuben warm und anmutig zu machen wißt, daß man bei euch die Weine trinkt, die man auswärts baut, und besser als in Zypern und Spanien, daß man fröhlich lebt, und zwar nicht die Tafel in so großen Marmorsälen aufstellt, sie aber dafür in den hölzernen Zimmern um so besser besetzt. Kurz, gnädiger Herr, wenn Ihr mich irgend brauchen könnt, so ersuche ich Euch nochmals demütigst, laßt mir die Gnade widerfahren, mich zu Eurem Gefolge rechnen zu dürfen.

Graf: Nun so folge mir denn, Fortunat, der Wind ist günstig, alles ist zur Abfahrt bereit.

Gehn ab.

 


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