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Burg Rötteln, am 23. September 1273.
Wie ein Traum ist's mir, unfaßlich und schier zu wunderbar, um Wahrheit zu sein, aber dennoch, es ist so: ich bin wieder auf Rötteln!
Da sitze ich in meinem Gemach, um mich herum alles, wie ich's einst verließ. Und so ich den Blick erhebe, schweift er über das liebliche Wiesetal und grüßt die Schwarzwaldberge. Ich lese des Morgens die Messe, die Mahlzeiten sind wie ehedem in der großen Halle unten, alles so wie einsten auch, – und doch so ganz anders!
Hätt' nimmer geglaubt, da mein Leben im Kloster so ruhig hinfloß, daß ich diese Blätter noch einmal hervorholen würde. Sie haben in meiner Lade geruht seit meinem Fortgang damals von Rötteln; aber es kommt des öfteren anders denn man meinet! Hätt' wohl gar mancherlei zu schreiben gehabt, aber entbehrete der Lust dazu, will's heute nachholen!
»Rubertus, wir sind glückliche Menschen«, also sagte Hieronymus zu mir, da wir das letzte Weihnachtsfest begingen. Dabei lag ein Ausdruck glücklichen Friedens über seinem ernsten, milden Gesicht, und er summte leise ein » Soli deo gloria« vor sich hin.
Dem Wort habe ich lange nachdenken müssen, es ist aber ein wahres. Glückliche Menschen, ja, aber nicht im gewöhnlichen Sinne. Ich bin glücklich in Gott; er gab mir ein anderes, höheres, ewiges Glück, da er mich mein irdisches Glück begraben ließ! Damals hätt' ich nimmer geglaubt, daß ich also einmal schreiben und empfinden würde, damals, als ich Abschied genommen von jenem teuren Grab und tags darauf von der Burg. Still und ergeben war ich wohl schon, aber doch blutete die Wunde, und das Wort »Glück« verursachte mir schier körperlich Weh.
Da ich hier im Kloster anlangte, nahm Abt Meinrath meine Hand, sah mir lange ins Antlitz und sagte dann: »Die Welt macht müde, komm und ruhe dich aus. Du bist krank, nicht von außen, aber von innen, hier wirst du mit Gottes und unserer lieben Frauen Hilfe genesen. Für die ersten Tage erteile ich dir noch Dispens von des Klosters Regeln, daß du dich erst wieder mählich daran gewöhnest. Burgleben ist anders denn Klosterleben.«
Gütig und mild hatte seine Stimme geklungen; ich konnte aber nichts darauf sagen. Er nickte mir freundlich zu, ich wandte mich und ging zu Hieronymus. Er saß am Tisch in seiner Zelle, da ich eintrat; wenig erstaunte er, dieweil er von meinem baldigen Kommen gewußt hatte.
Als ich ihn aber sah mit seinem milden Antlitz, als ich in die treuen Freundesaugen blickte, so voll Liebe auf mir ruhten, da kam's über mich, nimmer weiß ich wie, – ich bin vor ihm hingekniet, hab' meinen Kopf in seiner Kutte geborgen und geweint wie ein Kind. Es war mir aber auch gleich einem Kind zumute, wenn es nach mühevollen Stunden, so Angst und Not gebracht haben, sich mit Tränen am Mutterherzen zurechtfindet. Hieronymus sagte kein Wort; beruhigend strich er nur mit der Hand über mein Haar, dann, als ich den Kopf zu ihm erhob, sagte er freundlich: »So war's gut; nun wirst du genesen! Ich wußte, daß du kommen würdest. Grüß dich Gott daheim, mein Rubertus, tausendmal.«
Ich wollt' allsogleich beginnen zu reden, da wehrte er mir lächelnd und sagte: »Nicht jetzt, aber heut abend, da bist du ruhiger, und so geht's besser.« Solches war um die Mittagszeit. Am Abend, da wir wiederum allein waren, nahm er meine Hand: »Nun erzähle!«
Da sagte ich ihm alles – alles! Als ich geendet, streichelte er sanft meine Hand: »Ich verstehe dich«, sprach er, »und weiß, was du gelitten. Aber schau' auf zum Herrn! Du hast einen bessern Halt an ihm, denn ich einst hatte, Rubertus; du kennst ihn – ich kannte ihn dazumalen noch nicht! Du tatest klug daran, zurück gen Einsiedeln zu kommen, hier wirst du lernen, ganz still und froh zu werden in Gott.«
»Nimmer«, begehrte ich auf, »still wohl, froh nimmer! Die Sehnsucht nach meiner Waldblume, wenigstens an ihrem Grabe zu beten, wird mich nimmer froh werden lassen.«
Er schüttelte den Kopf: »Doch, Rubertus, froh im Herrn, das kann der Jünger Jesu auch unterm Kreuz sein.«
»Ich werd's nimmer lernen«, rief ich seufzend. Er lächelte leicht. »Ich lernte es auch! Doch von Antonius mußt du mir ein andermal noch manches sagen, – mich will bedünken, er sei einer, der seiner Zeit weit vorauseilte! Heute sag' mir nur noch eines, und dann wollen wir schlafen gehn, wie starb Edelgundis?«
Mit sinkender Stimme fragte er solches, – und ich schämte mich, maßen ich vergessen hatte, ihm die letzte Botschaft der edlen Frau zu bringen, und selbstsüchtig in meinem Schmerz ihren Tod nur so nebenher erwähnt hatte! Nun begann ich erst recht zu erzählen von ihrem Wesen und Wirken, ihrer grenzenlosen Güte und Sanftmut, und wie sie sich die Todeskrankheit im Dienst bei andern zugezogen hatte. Er hatte den Kopf gestützt und die Augen mit der Hand bedeckt. Ich fühlte, daß er jedes Wort mit der Seele aufnahm! Dann sprach ich von ihren letzten Stunden, die so gar schnell kamen, und wiederholte ihm genau die Worte, die mir die Sterbende aufgetragen hatte. Ein leichtes Zittern ging durch seine Hand, aber er schwieg auch jetzt.
Da ich geendet, erhob er sich. Er sah blaß aus. »Gute Nacht, Rubertus«, sagte er mit seinem gewöhnlichen freundlichen Lächeln, »der Segen des Herrn behüte dich!« Damit ging er hinaus in seine Zelle.
Ich aber gelobte mir in jenen Nachtstunden, nicht nur still zu sein und ergeben in meinem Gott, sondern auch von dem irdischen Schmerz um mein totes Glück mich loszumachen und nur noch eines zu sehen auf meinem Lebensweg: Jesum allein, – wie weiland die Apostel, da sie mit dem Herrn auf dem Verklärungsberge waren.
Solches ist mir auch durch die Gnade des Herrn gelungen; aber nächst ihm danke ich auch das Gelingen meinem treuen Freund. Oft und viel in der ersten Zeit fragte er nach diesem und jenem aus Elisabeths Leben und ließ mich von ihr reden, er wußte wohl, daß Aussprechen ein Herz am ersten beruhigen kann. Auch von Antonius sprachen wir viel, und immer redete er von ihnen als solchen, die da leben und sich mit uns aufs Wiedersehen freuen.
Vergessen hab' ich Elisabeth nicht und werde ich nie, wie könnte auch solches geschehen! Aber meine Seele freut sich aufs Wiedersehen, und mein Geist wurde glücklich in seinem Gott auch unterm Kreuz.
Noch eine schwere Prüfung hatte der Allmächtige mir Vorbehalten! Bald nach Neujahr erkrankte mein treuer Freund, und ich mußte sehen, daß der Herr mir auch dies letzte, so ich hatte, nehmen wollte. Noch einmal mußte ich das Zittern und Beben um das Leben eines geliebten Menschen durchkosten, noch einmal das Bittere des Scheidens! Alle Fäden, die mich an dieses Dasein noch fesselten, knüpfte der Allmächtige oben an seinem Thron an, um mich ganz nach oben zu ziehen. Bei aller Prüfung hat der Höchste weise Absichten und will uns zu seinen rechten Kindern erziehen. Ich bin einer von den Menschen, die zwar alles Leid, was sie betroffen, dem Höchsten sagen, doch aber noch einen irdischen Halt suchen und haben wollen. Gar leichtlich ist dann aber die große Gefahr vorhanden, daß ihnen der irdische Halt werter wird, denn der himmlische – – ob Gott sah, daß ich in solcher Gefahr stand? Freilich, ich habe zuerst gemeint, ich könnte ohne ihn nicht fertig werden – – und nun zeigte mir der Herr: Du mußt!
Und es ging, wenngleich das Herz in der ersten Zeit meinte, es könne nicht gehen! Aber nimmer leget der Herr mehr auf, denn wir tragen können; er tat es auch bei mir nicht! In tiefer Sehnsucht denk' ich freilich noch oft meines Freundes – aber wir sehen uns ja wieder, und dann ohne Trennung!
Ruhe in Frieden, mein Hieronymus! Du schauest in ewiger Freude deinen Herrn und alle deine und meine Lieben!
Alsdann las ich sein Tagebuch, sein Vermächtnis an mich! Nun wußte ich alles ... alles! Das erste Blatt war alt und schon ein wenig vergilbt, das letzte weiß und zeigte als letztes Datum den Tag vor seiner Erkrankung. Welch ein starker und edler Geist trat mir in diesen Blättern entgegen – – und er stand allein in den schwersten Stunden! Ohne Freund, ohne Gott, und ich hatte beides!
Nur einiges Wenige will ich hier von ihm berichten. Seinem Wunsche gemäß verbrannte ich die Blätter. Seine Geschichte ist in mein Herz geschrieben.
Meine Ahnung damals hatte mich nicht betrogen: Hieronymus und Edelgundis hatten sich gekannt, und ihre Herzen schlugen füreinander. Er ist einmal, von wildem, sehnsüchtigem Drang gefaßt, zum Abt gegangen und hat ihn gebeten, ihn hinauszulassen. Der willfahrte seinem Begehr und schickte ihn als Burgpriester nach Neuenburg am See. Des Grafen Tochter hatte sich, dem Wunsch des Vaters gemäß, Herrn Kunrad von Rötteln vermählt, ohne Zuneigung und auch ohne Abneigung. Gerade als Hieronymus in Neuenburg war, kam sie zu Besuch zu ihren Eltern. Sie waren täglich beisammen, – ihre Herzen fanden sich!
Eines Tages kam ein unbewachter Augenblick, in dem sie sich beide verrieten. Am anderen Tage verließ Hieronymus die Burg und kehrte nach Einsiedeln zurück. Seine Kämpfe, seine innere Dunkelheit sind entsetzlich gewesen, mein Herz zitterte, da ich es las, schier konnte ich zuweilen nicht weiterlesen!
Er kämpfte ohne Gott, ja in sündhaftem Aufbegehren gegen Gott. Der Abt schickte ihn in die Bibliothek; er fand Lust am Malen, und so übertrug ihm der Abt manche Arbeit mit dem Pinsel zu tun. Dabei kamen ihm des öfteren alte Rollen in die Hände, die er zum Zeitvertreib auch durchlas. Also auch einmal eine Abschrift der Evangelien und der Epistel an die Römer und Korinther. Beim Lesen dieser heiligen Schriften sind ihm die Augen aufgegangen über sich selbst. Nun begann ein neuer Kampf, anders denn der erste, aber ungleich schwerer! Nun galt es seine Seele! Hab' nimmer ahnen können, daß ein Mensch solche Tiefen durchmachen kann!
Endlich lernte er, an die vergebende Kraft des Blutes Christi glauben, und seine Seele flüchtete sich zum Kreuz. Da kam der Friede Gottes über ihn, und nun durchklang ein Jubelton die Seiten. Die müde Seele hatte Ruhe gefunden; sie ruhte am Heilandsherzen, und die Heilandshand half auch alles irdische Weh tragen und heilte allgemach die Schäden und Wunden.
Hieronymus wurde nach und nach der, als den ich ihn kennen und verehren und lieben lernte, ein starker, fester Charakter, ein demütiger Jünger seines Herrn, ein Vorbild in seinem Wandel für uns alle, eine Zierde des Klosters! Er selbst sagt von sich: Nicht ich, Gottes Gnade ist es – durch Gottes Gnade bin ich, das ich bin!
Ich studierte viel im Kloster nach meines Freundes Abscheiden, war fast immer in der Bibliothek zu finden. Eines Tages rief mich der Abt zu sich und sagte, ich solle die Klosterschüler unterweisen und also meine Gelehrsamkeit verwenden. Ist mir auch eine Freude gewesen und wurde es noch mehr, da ich sah, wie die jungen Gemüter gern aufnahmen, was ich geben konnte.
Aber meinem Herzen tat im besonderen wohl, daß sie mit Liebe an mir hingen und eitel Herzeleid bei ihnen war, da ich vor nunmehr vier Tagen fortzog. Doch Kindertränen trocknen schnell, – sie sind anders denn Mannestränen!
Fünf Tage sind es her, da ein reisiger Zug bei uns am Tore hielt, Einlaß begehrete und ich sehr bald zum Abt Meinrath berufen wurde. Ich erstaunte; aber mein Erstaunen wuchs, da ich Röttler Mannen erkannte.
»Graf Walter von Rötteln hat zu mir gesandt«, hob der Abt an, »er braucht einen Burgkaplan. Inständig bittet er dich, er möcht' nur dich wiederhaben. Ist anjetzo noch leidend, der edle Herr, hofft aber baldige Genesung.«
»Graf Walter krank?« fragte ich erstaunt.
Da sagte der lange Friedung, den ich ja so gut kenne: »Ja, Hochwürden, er war recht krank. Schier hat man an seinem Leben verzweifelt. Vor mehr denn vier Monden brachten sie ihn uns von Werra, allwo er gelegen hatte. Er läßt Euch seinen Gruß entbieten und bitten: kommt wieder zu uns!«
Zwei Jahre sind dahingegangen, seit ich von Rötteln zog, aber die Zeit versank mir in diesen Augenblicken, mir war, als hätt' ich gestern Abschied genommen, die Sehnsucht wallte in mir auf! Ich besann mich nimmer lang, sondern sagte rasch: »So Ihr mich ziehen lasset, hochwürdigster Herr Abt, möcht' ich gerne wieder hin.«
»Geh' mit dem Segen unserer lieben Frau«, sagte Herr Meinrath gütig.
Ich ging, meine wenigen Habseligkeiten zu ordnen, und nahm Abschied von den Brüdern, den Kindern und von dem Hügel Hieronymus'.
Mir war zu Sinn, als wenn ich lange, lange nicht wiederkehren würde! Am anderen Morgen früh zogen wir fort. Der Abt gab mir seinen Segen, und nach drei Tagen langten wir hier an. Da wir vor dem Tor erschienen, blies der Wächter ein froh Willkommen, ... im Zwinger waren sie zusammengelaufen, die Knechte und Knappen, Mägde und Frauen, aber nur wenige kannte ich, sind doch die meisten der tapferen Mannen bei Röttelns Einnahme, davon mir Friedung unterwegs berichtete, geblieben!
Gräfin Ursula kam mir entgegen, da ich vom Pferde stieg – – damals grüßte mich eine andere – –
Schier hätte ich die Burgherrin nimmer erkannt, das liebliche, schüchterne Kind ist ein vollerblüht Weib geworden; ruhige Sicherheit liegt in ihrem Wesen. Hat gar großen Mut bewiesen in jener Nacht in Rudolfs Lager! Hab's schier nimmer fassen können, da ich's vernahm! Aber freilich, sagte doch schon Paulus den Korinthern: Die Liebe verträgt alles und duldet alles!
Da ich mit ihr zur Oberburg schritt, kam Graf Otto mir rasch entgegen. Das war ein bewegt Wiedersehen! Gleich Brüdern lagen wir uns in den Armen und hielten uns umschlungen. Alsdann führten sie mich zu Walter. Er hat mit seiner Gemahlin etliche Gemächer inne, so über dem großen Saal liegen. Gräfin Odalsinde saß bei ihm, da ich eintrat. Ich grüßte sie nur schnell – mein Herz zog mich zu dem bleichen Mann dort auf dem Ruhepolster am großen Bogenfenster.
Ich beugte mich zu ihm, konnt' aber kaum reden, da ich ihm ins Antlitz sah! Blaß und eingefallen war das Gesicht; die dunkelblauen, sprühenden Augen verschleiert, – – das war Graf Walter nicht mehr!
Mit warmem Lächeln drückte er immer wieder meine Hand. »Ich wollt' nur Euch, Rubertus«, sagte er leise, »bin der Meinung, so Ihr da seid, würd' es bessere Zeit werden.«
Ich schlug das Zeichen des Kreuzes über ihm und sagte: »Solches liegt nur am Segen des Allmächtigen! Soviel ich aber dazu tun kann, soll geschehen, Walter!«
Hierauf führte mich Odalsinde hinauf in mein Gemach und drückte mir voller Freude die Hand: »Wie dank' ich's dem Vater im Himmel, daß Ihr wieder hier seid, Pater Rubertus! Hoff' nun, den Weg zum Gottesherzen noch besser zu finden, da Ihr ihn mir weisen könnt.«
Ich muß sie wohl ob ihrer Rede erstaunt angesehen haben, denn sie fügte leise hinzu: »Elisabeth unterwies mich.«
Sie ging hinaus; ich war allein. Aber mich trieb's allsogleich hinab zur Kapelle, mein Herz vor dem Herrn auszuschütten. Wie lange ich dort gesessen, weiß ich nimmer, – ich war erfüllet von dem, was ich durch Friedung erfahren und hier selbsten gesehen. Später bin ich hinab zum Friedhof gegangen und hab' ihren Hügel gegrüßt. –
Beim Abendimbiß fehlte Lutold, so wie am Nachmittag allbereits. Er war in Basel beim Bischof. Ich konnte ihn erst heute grüßen. Wie ist er verändert! Was mag er gelitten haben, daß aus dem lebensfrohen Jüngling solch ernster Mann mit den vielen Silberfäden im Haar geworden ist! Ich ahne manches, – doch kein Wort soll es ihm verraten. Fremd Leid soll heilig sein gleich dem eigenen!
Gestern, am zweiundzwanzigsten, ist der Waffenstillstand endgültig geschlossen worden; soll währen bis zum Gallustage. Sind darauf heut die Sternen wieder in Basel eingezogen, geleitet von Rudolf, und werden heut abend ein Bankett in ihrer Trinkstube »Zum Brünn oder Seufzen« haben. Wird wohl also dabei hergehen, daß es »zum Seufzen« sein mag!
Am 25.
Walters Aussehen gefällt mir nimmer. Die Wunde in der Brust ist wohl recht bös gewesen. Gräfin Ursula vermeinet freilich, er sei blühend gegen die Zeit, da er aus Werra kam, mag sein! Gott gebe, daß er geneset! Sein Herz verlanget mit allen Fasern danach. Und ist ja so begreiflich! So jung noch, erst zweiunddreißig, dazu so glücklich in seiner Ehe – mein täglich Gebet ist, Gott möge ihm helfen und ihm sein Glück erhalten!
Ist ein selten schön Leben zwischen den Geschwistern hier und in den beiden Familien. Gräfin Odalsinde blüht in ihrem Glück, Graf Ottos Drang nach Wissenschaften hat merklich nachgelassen! Nur Lutold ist wortkarg und in sich gekehret, aber ruhig und freundlich.
Im Dorf unten war große Freude, als ich in die Hütten einkehrte. Hab' viel Liebe gefunden bei den Bauern, sie kannten mich noch gar gut. Mir tat solches sehr wohl!
Drunten in Basel pflegen sie gar eifrig Beratung. Ob der Gallustag den heißersehnten Frieden bringen wird? Graf Rudolfs erster Schiedsmann, Friedrich von Hohenzollern, Burggraf von Nürnberg, kann nicht dabei sein, maßen er zu den deutschen Fürsten gehöret, so gegenwärtig in Frankfurt am Main zusammen sind, um einen Kaiser zu küren. Mag nicht leicht sein, in jetziger Zeit einen zu finden, es ist gar böse Zeit! Seit Jahrzehnten keiner auf dem Thron, all und jeder tut, was ihn gelüstet, da muß der neue Kaiser eine gar starke Hand haben und große Energie.
Ist heute unten in Basel Bankett auf der »Müggen«, in der Trinkstube derer vom Sittich. Auch Graf Otto und Lutold sind dorten. Soll Aussöhnung gefeiert werden zwischen dem Sittich und Stern.
Am 27.
Es ist Mitternacht; aber solch Tag als der heutige raubet den Schlaf. Gegen die Mittagszeit meldete der Wächter einen Zug Reiter, so gegen Rötteln zuritten. Um wenig später taten sich die Tore weit auf, und in prächtiger Gewandung ritt Graf Rudolf von Habsburg ein, gefolgt von einer kleinen Zahl seiner erlesensten Ritter.
Graf Otto eilte ihnen in maßlosem Erstaunen entgegen, denn der Graf hatte ihm mit keinem Wörtlein am Bankett solchen Besuch vermeldet! Auch ich eilte hinab und begegnete ihnen auf der oberen Zugbrücke. Otto und Lutold geleiteten ihren Gast. Er neigte sich tief vor mir, und ich segnete ihn mit des Kreuzes Zeichen.
Des öfteren blieb er im Weiterschreiten stehen, schaute die Burg an und sagte lächelnd: »Ja, ja, ihr Herren, Rötteln ist euch gleich, stark und fest und unbezwingbar!«
Oben begehrte er zuerst nach dem Altanzimmer geführt zu werden. Kopfschüttelnd schaute er immer wieder in die grause Tiefe, und er erzählte den beiden Brüdern und mir Walters Meisterstück ausführlich. So genau hatten wir es noch gar nie gehöret, – war ja auch nicht möglich gewesen, da alles um ihn von den Seinen tot war! Er selbsten hatte wenig davon gesprochen, wie Walter überhaupt nicht viel Redens von sich macht! Mir zitterte das Herz und schwindelte, als ich dort hinabschaute, wahrlich ein Helden- und Meisterstück!
»Bei Werra kam sein zweites Heldenstück«, sagte Rudolf, da wir wieder zum Hof schritten, »und alsdann das von Euch, Graf Lutold! Wahrlich, Graf Otto«, wandte er sich zu diesem, »seit jener Zeit schlägt mein Herz für Rötteln und seine Herren in warmer Zuneigung.«
Wir führten ihn zu Walter. Die beiden edlen Männer streckten sich die Hände entgegen zu festem Druck und schauten sich lange schweigend an. Jetzo wandte sich Rudolf und winkte seinem Knappen. Der eilte hinaus und kam bald wieder, gefolgt von etlichen Mannen, die verschiedenes trugen. Sie reichten ihrem Herrn zwei kostbare Schwerter. Köstliche, biegsame Damaszener Klingen waren es, die Griffe von purem Gold, reich mit edlen Steinen besetzt.
Er bot sie Walter und Lutold und sagte: »Das Beste und Kostbarste, so ich habe, den beiden edelsten Männern, die ich kenne! Nehmt's an, ihr liebwerten Herren, als Zeichen meiner Zuneigung und Hochachtung.«
Otto bot er alsdann einen köstlichen Helm und den beiden Schwestern zierliche Hals- und Armringlein, mit leuchtenden Steinen geschmückt.
Solches war eine gar große Überraschung und Freude bei allen! Viel lebhafte und herzliche Rede wurde getauscht, und hat mich gar sehr verwundert, wie der edlen Herren Meinungen zueinander stimmten! Alsdann rief Ursula zum Mahle in die Halle, so in Eile gerichtet war. Doch hat es dem edlen Grafen von Habsburg und den Seinen gut gemundet, und uns desgleichen. Graf Walters Augen leuchteten heute hell; solches gemahnete mich in etwas an früher, – ich fange an, für ihn zu hoffen.
Am Tisch hob Walter zuerst den Pokal: »Dem tapferen Burg- und Herzbezwinger!«
»Ihr seid beides mehr denn ich, Röttler Graf! Ich trinke auf Euer und Eures edlen Geschlechtes Fortbestehen, und –« er machte eine kleine Pause, erwartungsvoll schauten wir ihn an, langsam fuhr er fort: »– und auf ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen Rötteln und Habsburg, so heut geschlossen werden soll, – – wollt Ihr?«
Ungestüm wie früher sprang Walter auf, sank aber zugleich zurück; die Schwäche übernahm ihn! Er streckte beide Hände dem Grafen über den Tisch hin, Otto und Lutold gaben die ihren dazu und gelobten sich also die Herren, in Minne und Recht zueinander zu stehn für alle Zeiten!
Da hab' ich nimmer anders gekonnt, bin rasch dazugetreten, hab' meine linke Hand auf die ihren geleget, die rechte erhoben und also den Bund gesegnet! Auch mein Herz in lautem Gebet für die beiden edlen Geschlechter erhoben zu Gott, dem Herrn aller Herren, um Fortgang und Bestehen beider!
Waren gar bewegte Minuten und frohe Stunden, so nunmehr folgten. Ernste und heitere Reden wurden getauscht, die Zeit strich rasch dahin.
Als die Tafelei beendet und die Herren noch am Pokal saßen, zog mich Walter von Klingen, der edle Minnesänger, mein Tischnachbar, hinaus auf den Burghof. Wir wandelten dorten auf und ab und setzten uns endlich auf die niedere Mauer. Gar ein wundersam Ding erzählete er mir dabei, so wundersam, daß es wohl wichtig ist, hier vermeldet zu werden.
Ihm hatte in der Nacht zuvor geträumt, er sähe die Kurfürsten und Wähler des Reiches in Frankfurt am Main beieinander versammelt. Sie sprachen: »Welcher unter uns die Krone in unserer Mitte aufheben kann, der soll von allen für einen König erkannt werden.« Einer nach dem andern versuchte es, aber keiner konnte sie in die Höhe heben. Endlich trat auch Rudolf von Habsburg hinzu, hob sie auf und setzte sie sich aufs Haupt. So erzählte mir der Herr von Klingen. Er sagte mir noch dazu, er schaue seinen Herrn jetzo mit anderen Augen an, denn vorher! Ist mir ebenso ergangen, da ich ihn wiedergesehen habe in der Halle, – gar oftmalen zeigt es der Allmächtige im Traume an, so er wundersame Dinge vor hat zu tun!
Soll mich verwundern, wen die deutschen Fürsten küren werden!
Wenig später sind die edlen Herren davongezogen, noch bis Rhyn geleitet von Otto und Lutold. Walter brachten wir sofort hinauf; der Erregungen waren ein wenig viel gewesen. Doch, hoff' ich, ist es morgen mit ihm besser.
Ich aber bin hinab zum Friedhof gegangen, – ist doch solches mein Weg alle Tage, nimmer hätt' ich ihn heut lassen können! Lang hab' ich am Hügel Elisabeths gesessen; ein heiß Weh ist in mir aufgestiegen! Hätten sich die edlen Herren eher gekannt gleich heute, es wäre wohl nimmer zu solch blutigem Kampf gekommen, auch würde vielleicht noch Elisabeth leben –
Aber nein, ich wehrte allem Weh, – ihr ist wohl! Das menschliche Herz fraget eben immer wieder so gerne: warum? Statt dessen es lieber fragen sollte: wozu?! Hat doch der Meister bei allem seine weisen Absichten und tut nichts in Willkür! Diese Absicht zu erkennen ist unsere Sache, sehen wir sie nicht, ist's unsere Schuld. Der Mensch hält leider aber gemeinhin lieber beide Augen zu und geht seinen eigenen Weg, denn den Weg Gottes! Es gehet eben immer noch nach dem Wort, so der Hochgelobte im Propheten Jesajas sagt im achtundvierzigsten Kapitel: »O, daß du auf meine Gebote merktest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom.« Reichlich habe ich solches an mir erfahren.
Am 29.
Ich merk's, daß ich nimmer in Einsiedeln bin, sondern auf einer Burg, und mitten im Leben! Saß heute in den Vormittagsstunden wieder unten auf dem Friedhof und sinnierte ob dem und jenem. Es raschelte im Gebüsch, und Lutold trat an das Grab. Ein leicht Staunen ging über sein Antlitz, da er mich sah. Er fragte: »Ihr hier, Herr Pater?«
Ich nickte nur, aber es war mir zu Sinne, als müsse ich noch etwas sagen, das ihm vielleicht ein kleiner Anstoß wär' zum Reden. Vermeinete schon oft, eine Aussprach' müßt ihm gut tun, wie mir auch einsten! Rasch sagte ich daher ehe mir's leid wurde: »Mein Weg führt mich täglich hierher, Graf Lutold.«
Ich fühlte meine Wangen heiß werden, – betroffen schaute er mich an. Eine Zeit war's still zwischen uns, ich hatte den Kopf geneigt, meine Hand lag auf dem Hügel; ... schwer ging des Grafen Atem.
Doch dann rang es sich von seinen Lippen los: »So werdet Ihr mich verstehen, Rubertus! Ihr sollt wissen, was anjetzo noch niemand weiß, aber sie in Bälde hören werden: am ersten Dezember werde ich geistlicher Herr zu Basel! Hab' mit dem Ohm allbereits alles vereinbart. Das Kloster Sankt Alban wird mir Heimat werden.«
Schier benahm mir's die Luft, – ich muß ihn wohl merkwürdig angeschaut haben. Ein trüb Lächeln ging über sein Gesicht.
»Und Eure Brüder?« konnt' ich endlich fragen.
»Sie werden sich wundern, gleich Euch«, sprach er ruhig, »aber sie werden's zufrieden sein.«
Ich nahm seine Hand; nimmer konnt' ich der Frage wehren: »Und warum, Lutold?«
Ein jäh Zittern ging durch den ernsten Mann, er preßte meine Hand und fragte zurück mit seltsam klingender Stimme: »Weshalb ist dies Grab täglich Ziel Eures Weges, Rubertus?«
Lang und tief schauten wir uns an, – nicht allsogleich fand ich die Antwort. Dann aber sagte ich leise: »Hier ruhet mein irdisch Glück!«
Schweigend setzte er sich neben mich; wieder war's lange still zwischen uns. Aus der Tiefe des Herzens aber lösten sich seine Worte, da er mir endlich sagte: »Ich gehe – – ich muß gehen wegen Ursula, meines Bruders Weib!«
»Ich hab's gedacht«, entgegnete ich.
Er fuhr auf: »Um der Heiligen willen, hat man's gemerkt?«
Beruhigend legte ich die Hand auf seine Schulter. »Wohl nur ich sah und merkte solches, Lutold! Eigen Leid, so es sich fügen lernt unter Gottes Hand, hat scharfen Blick für fremd Leid.«
Lang saßen wir noch schweigend beisammen und gingen auch schweigend heim. Hab' ihm heut nimmer von der großen Gottesliebe reden können, so uns durch Kreuz und Weh zu sich ziehen will, – fand, es sei nicht die rechte Zeit. Nicht nur zum Reden, auch zum Schweigen braucht's Klugheit, manchmal zum letzteren noch mehr. Aber gebetet hab' ich für ihn und will's treulich im besonderen jetzo tun. Fürbitte ist ein gar köstlich Ding und hat große Verheißungen des Höchsten.
Am 1. Oktober.
Ein Geschehnis jaget das andere! Die kaiserlose Zeit ist beendet – Deutschlands Fürsten wählten! Und wen sie wähleten? Rudolf, Graf von Habsburg.
Schier möcht' ich mich an der Nasenspitze zwicken, um zu erfahren, ob ich wirklich nimmer träume, aber ist doch Wahrheit, reine Wahrheit! Der Habsburger ist deutscher Kaiser geworden!
Heil uns! Wieder ein Oberhaupt nennen wir unser, und noch solch Oberhaupt!
Herr Walter von Klingen, Euer Traum war von Gott!
Mich will dünken, nimmer hätten die deutschen Fürsten einen Besseren küren können. Hart wie Stahl ist der Mann, und hat doch ein gar edel Herz in der Brust; von Eisen schier ist sein Kopf und gehet durch, wo er will, unbeugsam sein Wille und sieghaft sein Schwert. Grad solchen Mann aber benötigt Deutschland sehr, sintemal das Raubritter- und Fehdewesen schier überhand genommen hat!
Lachen mußt' ich ob unserem Bischof. Der hohe Herr war heut bei uns in der Burg. Kam schon in den Morgenstunden und hat den Brüdern Walter und Otto eröffnet, daß Lutold geistlich werden wird. War zuerst groß Staunen bei allen; aber gefragt hat niemand: warum, und ich war sehr froh darüber. Sie haben sich im Gegenteil alle gefreut, – es ist eben eine Ehre, geistliche Herren in der Familie zu haben, und in dem Röttler Grafengeschlecht war schon manch geistlicher Herr.
Sie haben ihm alle viel Glück gewünscht; ich sagt' ihm aber nur leise: »Gott gebe Euch, was Ihr sucht, ein still Herz!«
Nach dem Mittagsmahl saßen wir im Kreis froh beieinander; der Bischof erzählte just, wie Graf Rudolf tags zuvor ihm einen Besuch gemacht und ihn auf die Habsburg geladen hätt', auch die Möglichkeit eines Schutz- und Trutzbündnisses, wie mit Rötteln, so mit Basel in Erwägung gezogen. Mitten hinein klang des Turmwächters Horn; Otto schritt hinaus, um zu sehen, wer der Gast sei. Es währete nicht lang, so kam er wieder mit dem Grafen von Schauenburg, einem von des Bischofs Getreuen.
Auf dem Antlitz beider glühte die Erregung, und Otto rief: »Herr Ohm, Graf Schauenburg bringet wundersame Kunde! Gleich einem Lauffeuer ist es durch Basel gegangen, höret!«
Und der Schauenburger Herr fuhr fort: »Heut, da die Nacht zu Ende ging, kamen Gesandte der deutschen Fürsten aus Frankfurt am Main ins Lager, an ihrer Spitze Burggraf Friedrich von Nürnberg. Die verkündeten, Rudolf von Habsburg sei gekürt zum deutschen König und Kaiser. Hab' erst genau erkundet, ob es Wahrheit sei, und da ich es also fand, kam ich in Eile her, Euch, hochwürdigster Herr, solches zu vermelden.«
Da er also sprach, fuhr der Bischof von seinem Sitz empor, hob beide Arme gen Himmel und rief schier fassungslos: »Hilf, Herre Gott, sitz' fest auf deinem Thron, sonst steiget dir dieser Rudolf noch herauf!«
Hat auch geraume Zeit gebraucht, bis er sich beruhigen konnte. Hab' ihnen hierauf Herrn von Klingens Traum erzählet und zu meiner Freude wahrgenommen, daß unsere Grafen sich herzlich der Kaiserwahl gefreut haben.
Auch der Bischof gab sich endlich zufrieden, und als Otto vorschlug, zum neuen Kaiser hinzureiten und ihm Glückwünsche darzubringen, willigte er ein, ist aber sein Lächeln doch recht süßsauer dabei gewesen!
Graf Otto hieß seinen Knappen einen prachtvoll silbernen Panzer bringen, desgleichen ein Schwertgehänge von Goldband mit leuchtenden Steinen reich besetzt, beides als Ehrengabe für den deutschen Kaiser. Um wenig später ritten die Herren fort, Otto und Lutold in köstlicher Rittergewandung, gefolgt von ihren Knappen, die die Ehrengabe trugen. Walter schaute ihnen nach, ist zwar schon kräftig genug, kleine Ritte in der Gegend zu machen, darf aber nicht allzuviel sich zumuten.
Bis anjetzo sind die edlen Herren nicht zurück, – wird wohl ein gar fröhlich Bankettieren im Lager sein!
Möge der Segen des Allmächtigen auf dem neuen Kaiser ruhen!
Am 3. Oktober, Mitternacht.
Gelobet sei Gott, der Allerhöchste, es ist Friede!
Da solche Umwälzung im Leben Rudolfs geschehen, hat er nimmer warten wollen bis zum Gallustage, hat gestern einen Ritter zum hochwürdigsten Bischof gesandt, ihn bitten lassen, ins Lager zu kommen, und hat kurzerhand Frieden geschlossen. Die vier Schiedsmannen sind Zeugen dabei gewesen. Ein Eilbote brachte gestern am Abend noch die Kunde nach Rötteln und bat die Grafen gen Basel für heut früh. Auch Graf Walter ist heute mitgeritten, das erstemal.
Am Vormittag in der zehnten Stunde haben alle Glocken in Basel geläutet, ... der Bischof an der Spitze, hinter ihm die Geistlichkeit, alsdann die Grafen, Ritter und Zunftmeister, und in langem Zuge die Bürger der Stadt zogen dem deutschen Kaiser entgegen.
Der ist in königlicher Pracht aus dem Lager zur Stadt gekommen, am Sankt Johanntor vom Bischof empfangen und in feierlichem Zuge zum Münster geleitet worden. Dort hat ein Hochamt stattgefunden als Dank für den Frieden und nachher ein groß Bankett im bischöflichen Palast. Hat dabei Graf Walter dem Kaiser gegenübersitzen müssen und Rudolf einen Trinkspruch auf den kühnen Ritter ausgebracht und öffentlich sein Meisterstück erzählet.
Morgen sollen die Söldner abgelohnt werden in der Stadt und im Lager, alsdann wird der Bischof den Kaiser zur Krönung nach Aachen begleiten.
Ich las heute erst eine Dankmesse hier oben und dann unten im Dorf; schier faßte das schlichte Kirchlein nimmer die Schar der Andächtigen, und reichliche Freudentränen sind geflossen. Welch ein Glück und Jubel in dem Wort »Friede« liegt, kann nur der verstehen, der den Krieg kennet mit seinen Schrecken.
Mir aber liegt schon den ganzen Tag ein Wort im Sinn, so im Buch des Propheten Jesajas stehet: »Er heißet Friedefürst.« – Noch mehr wert denn der Friede draußen ist der Friede drinnen, – – wohl dem, der ihn fand und sein eigen nennet durch ihn, dessen Name genannt ist: Jesus!
Am 4.
Graf Otto geleitet den Herrscher gen Aachen, so hat er selbst gestern gebeten. Ist gar große Ehre für Rötteln! Graf Walter hätte es eigentlich tun sollen, ist aber noch nicht stark genug für solche Reise.
Am 13.
Gestern ist die Gemahlin Rudolfs von Bruck nach Basel gekommen, allwo sie Quartier auf einen Tag genommen hat. Die Domherren und Geistlichen mit den heiligen Reliquien und die Bürger haben sie empfangen. Morgen reiset sie weiter gen Aachen, ihrem hohen Gemahl nach.
Am 31.
Heut ist die Krönung in Aachen. Unsere Gedanken weilen dort, und unsere Herzen erflehen Segen und Heil auf den Kaiser vom Allmächtigen herab!
Auch wir feiern den Tag hier oben. Am Morgen las ich eine Messe für den Kaiser, am Nachmittag aber werden die Grafen von Rhyn, Homburg, Schauenburg, Bärenfels und die Herren von Lörrach mit ihren Gemahlinnen zu einem Festessen erscheinen. Inzwischen will ich einen Gang zum Friedhof machen.
Am 2. November.
Heut ist Allerseelentag. Wir haben einen selten schönen Herbst; noch merkt man nichts von seiner Rauheit. Freilich fallen die Blätter und decken den Boden; es rauscht und raschelt, so man durch die Wälder gehet. Schön ist der Herbst; gleich einem goldigen Schimmer liegt's über den Wäldern, und nur die Tannen ragen in ihrem immergrünen Gewande ernst und ruhig empor.
's ist heut der Tag, da man im besonderen der lieben Toten denket. Hab' erst, wie immer, in der Burgkapelle die Messe gelesen, alsdann im Dorf unten. Danach bin ich zu den beiden Hügeln gegangen und hab' lang Rückblick gehalten. Auch der teuren Freunde Hieronymus und Antonius gedachte ich, Wehmut füllte mein Herz!
Als ich aber auf die eufeuumsponnenen Hügel niederblickte, kam mir ein Wort in den Sinn: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach! Noch heute werden die Augen der Dorfbewohner feucht, wenn sie der teuren Herrin Edelgundis denken, die in ihren Hütten bekannt war gleich einem Familienglied in Leid und Freud.
Elisabeth aber wies Odalsinde zur Quelle der Kraft und der Gnade, und Odalsinde gab das Empfangene weiter unserer jungen Burgherrin; beide lauschen gern und mit offenen Herzen und Ohren, so ich bisweilen in den Abendstunden rede von dem, das ich gelesen im Wort des Hochgelobten.
Ja, selig die Toten, aber nur solche, die in dem Herrn sterben!
Und die anderen? ... unselig? ... und wenn unselig ... alsdann wo?
Schaudervoller Gedanke! – –
Gott gebe uns allen, so unser Stündlein kommt, eine selige Heimfahrt durch Jesum Christ, seinen einzigen Sohn, unseren lieben Herrn, Amen.
Am 10.
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich! Also begann ich heute die Morgenmesse, und also beginne ich hier.
Dem edlen Grafengeschlecht ist Heil widerfahren; ein neu Reislein ist am alten Stamm erblühet, ein kräftig Stimmlein begrüßte die Welt, – Gräfin Odalsinde schenkte ihrem Gemahl, der noch abwesend, ein Söhnlein, – das erste!
Herrschet eine Freude hier oben, wie ich immer gemeint hab', sie je zu erleben! Mein Herz freut sich und jubelt mit ihnen; möcht' dem edlen Geschlecht hier oben gelten das Wort des Herrn: dein Weib wird sein wie ein Weinstock und deine Kinder wie Ölzweige um deinen Tisch her.
Am 15.
Graf Otto ist heimgekehret von Aachen. Einen Boten hatte er von Freiburg vorausgesandt, ihn zu melden, so erwarteten wir ihn alle.
Ich segnete ihn zuerst und rief alsdann mit freudigem Herzen: »Glück auf für Euren Sohn, Otto!«
Einen Augenblick stand er schier starr; aber hierauf stürmet er ohne sonsten jemand zu grüßen vorwärts, hinauf zur Burg. Wir anderen folgten froh bewegt. War ein schöner Willkommengruß für unseren teuren Grafen!
Am 30.
Heute haben wir den kleinen Erdenbürger dem Herrn und seinem lieben Sohn dargebracht in der heiligen Taufe. War ein feierlicher Tag! Der Bischof Heinrich hat selbsten ihm den Segen gespendet. Unsere Burgherrin Ursula hielt den Knaben, – war ein gar lieblich Bild, die schlanke, feine Gestalt im langwallenden, weißen Gewand mit dem Kindlein im Arm!
Als Paten standen daneben Graf Walter, Herr von der Homburg und Markgraf Etto von Hochberg. Neben Walter aber stand noch ein Pate, so besondere Erwähnung verdienet, nämlich Walter, der Herr von Klingen. Er war aber entsandt vom Kaiser Rudolf als sein Stellvertreter, da dieser der erste Pate war! So hatte er sich's ausbedungen bei Otto, und so war's geschehen. Als Angebinde hatte er dem Kindlein einen kostbaren Schild auf die alte Grafenwiege gelegt, der Gräfin aber ein gülden Halsgehänge gesendet.
In der heiligen Taufe erhielt das Knäblein die Namen Walter Rudolf, nach seinem tapferen Ohm und hochedlen Paten. Möcht' er beiden gleichen! Möcht' er aber vorerst und immer ein tapferer Streiter seines himmlischen Königs werden, ein Kämpfer Jesu Christi und ein Sieger über sich selbst! Alsdann auch ein Freund und Helfer der Armen und Unterdrückten, – das walt' Gott Vater, Gott Sohn und Gott der heilige Geist, Amen! –
Ein glänzend Mahl beschloß den Tag; auf Ottos Antlitz lag ein ganzer Himmel von Glück, Freude und Stolz. Hat bis anjetzo noch immer so hin und her etlich Zeit für die Pergamente gehabt, freilich nimmer allzuviel – behüte! Ob er jetzt mehr haben wird? ... Hab so meine Gedanken darüber; werde mich wohl erbarmen und den Rollen von nun an Platz und Unterkunft in meinem Gelaß geben müssen!
Am 1. Dezember.
Graf Lutold hat uns für immer verlassen. Auf dem Hof stand das Gesinde und alle Mannen, da er davonzog, ich gab ihm das Geleit bis unten zum Tor und einen brünstigen Segenswunsch mit auf den Weg. Graf Otto ritt mit ihm gen Basel. Lutold hat sich nicht einmal umgewandt; ist auch sein Abschied von den Seinen gar kurz und schnell gewesen.
Möcht' er finden, was er sucht. So er's aber nicht bei dem einen suchet, der da gesagt hat: kommet zu mir, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch erquicken, so wird er's wohl nimmer finden! Wenig konnt' ich ihm davon reden; er sprach nie von sich, wie hätt' ich da anfangen können! Etliche Male tat ich's; er hörte nur stille zu. Ob er mich verstand, weiß ich nimmer.
Am Weihnachtstag.
Schier ist es eine himmlische Pracht draußen! Tiefer Schnee ist gefallen; wie ein blendend weiß Tuch liegt es über der Erde. Der Wald ist gleich einem lichten Märchen, auch das kleinste Ästlein hat eine Schneehülle. Dazu wölbte sich heute den ganzen Tag ein blauer Himmel über der bräutlichen Erde; die Sonne leuchtete, also daß es schien, als wären viel Tausende Diamanten und Perlen über die Schneedecke gestreut.
Recht ein Weihnachtswetter, und recht eine Weihnachtsfreude im Herzen! Klinget und singet mir heute den ganzen Tag das Te deum des Kirchenvaters Augustin in den Ohren und in dem Herzen. Auch meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes! Meine Seele jauchzet dem Kindlein in der Krippe entgegen.
Welch heilig Wunder ist hier zu schauen, wahrlich ein Wunder, nur zu glauben, nimmer zu fassen und zu verstehen!
Ist solches bei einem Wunder denn überhaupt möglich? Nein, alsdann wär's kein Wunder mehr! Auch ist der Glaube da, um zu glauben, nimmer zu begreifen, – alsdann wär's kein Glaube mehr. Und ob es überhaupt Wunder gibt? Eigentlich überflüssige Frage! Sind wir nicht tagaus, tagein von Wundern umgeben? Ist nicht jeder Baum, jede Pflanze, das Wachsen und Werden, das Kommen und Vergehen, ein Wunder? Können wir's begreifen, wie alles entsteht und wird? Ist nicht alles ein Wunder für uns, von Gott also geordnet?
Wir brauchen einen Gott, so Wunder tun kann, getan hat und noch tut; denn so das nicht wäre, wär' er kein Gott, – – was sollt' er uns hinfort noch sein?
Mir kam, als ich heute ob den Wundern des Allmächtigen sinnierte, der Gedanke, ob Gott mit seinen Wundern bestehende Gesetze durchbräche, wie es uns scheinet, oder nicht. Hab' lang gesonnen und bin zu der Meinung gekommen: nein, er tut solches nicht! Die Gesetze und Schranken, so er uns gegeben und gezogen hat in allem Bestehenden, sind angepaßt unserem engbegrenzten, kleinen Verstand und Wissen. Er aber hat göttlich Wissen; ihm ist nichts begrenzt, oder alles göttlich begrenzt. Also sind die Dinge, die wir »Wunder« nennen, zwar unfaßbar und unerklärlich für unser menschlich Wissen und Begreifen, er aber handelt darin nur nach göttlichen Gesetzen und durchbricht nicht eine bestehende Grenze damit. Ihm ist es als Gott alles göttlich, natürlich, selbstverständlich. Wir aber werden es im ewigen Licht einst klar erkennen.
O der Wunder, die uns in der Ewigkeit so göttlich selbstverständlich erscheinen werden! »Wir sehen jetzt durch Spiegel undeutlich«, also schreibet Paulus den Korinthern, »dann aber von Angesicht zu Angesicht.«
Mein Herz, freue dich der güldenen Ewigkeit, da du erst recht deinen Gott als Gott erkennen sollst!
Auf Silvester.
Das Jahr scheidet, bald ist es dahin! Wir wollen das neue Jahr miteinander in der Halle erwarten und dem alten Valet sagen. – Was mag das neue Jahr bringen?
Menschen gehen dahin, Tage, Monde, Jahre fliehen – Jesus bleibet! Er derselbe, gestern, heute und in den Ewigkeiten. Wohl uns, so wir ihn kennen und haben!
Viel hat dieses Jahr gebracht, zum letzten noch die Freude, daß Walter an einem fröhlichen Jagen gestern teilnehmen konnte. Ist das erstemal nach seiner langen Krankheit. Doch scheinet es ihn angegriffen zu haben; hat eine Stunde ruhen müssen, da er heimkam. Blaß ist er noch immer, schlank und schmal die Gestalt geworden, aber doch leuchtet hin und wieder sein Auge auf; allgemach kehret die alte Lebenskraft wieder. Freilich machte mich gestern eines stutzig. Als er heimgekommen war und auf dem Ruhebett lag, saß ich bei ihm. Da sah ich, daß er etliche Male nach der Seite faßte, allwo er die Wunde gehabt hatte.
»Schmerzt's Euch, Walter?« fragte ich besorgt.
Darauf sagte er so leichthin: »O nein, Rubertus, nur so ich mich rasch bewege, auch recht tief atmen will, sticht es mich ein wenig.«
»Seid vorsichtig«, bat ich ihn. Da lachte er. Mir will's nicht recht passen, solche Stiche sind nimmer gut! Gott walt's, daß er bald ganz genese!
Klein Walter gedeiht, es ist eine Lust! Der Eltern Stolz und Freude ist gar groß.
O Herr, laß deine Augen offenstehen über Rötteln und seinem Geschlecht Tag und Nacht! Bleibe bei uns, wie du es gewesen bist, wofür dir Ehre und Preis sei jetzt und immerdar.
Anno Domini 1274.
Am 15. Januarius.
Kaiserwetter ist's, echtes, rechtes Kaiserwetter, und nicht nur heute, sondern schon seit zwei Tagen. Schier ist's, als strahlte der Himmel doppelt freundlich, als hätte die Erde ihr schönstes, weißes Gewand angezogen, den Kaiser zu begrüßen, der am dreizehnten Januarius in Basel einritt.
Gar würdevoll und feierlich hat der edle Bischof ihn empfangen – zweiundvierzig Dominikaner, sechsunddreißig Barfüßler, zwölf Sackbrüder und acht Fratres Mariae Virginis gingen ihm entgegen! Hat auch der Bischof alle Ursache, den hohen Herrn also zu begrüßen, – vor drei Wochen hat der Kaiser alle Rechte und Freiheiten der Kirche von Basel, so sie von Friedrich dem Zweiten und dessen Vorgänger erhalten hat, neu bestätigt.
Gestern nun erschien ein kaiserlicher Bote hier oben, der seinen hohen Herrn mit kleinem Gefolge auf etliche Tage bei unseren Grafen anmeldete. Solche Kunde wirkte gleich einem Stock, so man in einen Ameisenhaufen stößet! Alle Hände waren alsbald in freudiger Bewegung, alles aufs beste zum Empfang des hohen Herrn herzurichten.
Heute mittag ist er eingeritten, und werden nun die nächsten Tage eitel Freude und Lustbarkeit hier sehen. Der hohe Herr hat schon gar viel Gutes im Reich geschaffen, ja, er allein konnte die Krone aufheben, das hat er in manchem bewiesen! Ist auch ein gar frommer Herr und tut Gutes, wo er kann. Deutschland ist wohlberaten unter ihm!
Am 18.
Der Kaiser ist heute fortgezogen; die Herren gaben ihm Geleit bis Basel.
Fröhlich Jagen und Lanzenstechen verkürzten die Tage; nur gestern wurde das Wetter anders. Ein milder Wind sprang auf und brachte Regen, – naß, gleich den Katzen, kamen die Herren vom Jagen heim. Hat hoffentlich nichts geschadet, – Walter gefällt mir nicht, er sieht heut bleich aus. Hat in diesen Tagen ebenso mitgetan wie ehedem, nur sah ich ihn zuweilen die Hand auf die Brust legen. Die Erinnerung an Werra hat er behalten! So er viel reitet, schmerz ihm die Brust, und will er's nicht achten, wie manchmal schon, muß er's mit tagelangen Schmerzen büßen. Hat gar oft schon dagegen aufbegehret in wildem Trotz, – so ihn aber Ursula bittend anschauet, beißt er die Zähne zusammen und schweigt.
Wenn ich mich zu ihm setzte in solchen Tagen und ihn trösten wollt', hat er mich nimmer reden lassen und sich weidlich über die lieben Heiligen aufgeregt. Schließlich könnt' ich ihm mählich beibringen, daß sie wirklich schuldlos wären, sintemal Gott der Herr unsere Schicksale in der Hand hat und nicht selig gewordene Menschen.
Schier hab' ich lachen müssen ob seiner erstaunten Augen, da ich das zum erstenmal ihm sagte! Als er's aber begriffen, wurde sein Trotz allgemach geringer; er scheute sich in heiliger Gottesfurcht, gegen den Allmächtigen so aufzubegehren. Hat ihn aber viel gekostet, ehe der wilde Mann sich dem eisernen »Muß« gefüget hat, und kostet ihn noch viel. Mir tut das Herz gar manchmal weh, so ich sehe, wie er tapfer leidet und sich nicht unterkriegen lassen will. Kann nur für ihn beten und will's weiterhin tun.
Am 19.
Barmherziger, muß ich wieder von neuer Trauer melden, so hier eingekehret ist?
Walter raset im Fieber; es sei von der Lunge, erklärte der Medikus, wär' über kurz oder lang doch gekommen, da innerlich eine ungute Stelle sei. Jetzt hat der schwere Regen bei der Jagd, da die Herren erhitzt waren, die Sache beschleunigt und eine starke Entzündung hervorgerufen. Walter kennt niemanden! Herr, erbarm' dich!
Am 20.
Heute, da ich bei ihm saß, kam ein lichter Augenblick.
»Rubertus«, flüsterte er matt, »kommt der Tod?«
»Ich weiß nicht, Walter«, sagte ich traurig. »Euer Leben stehet bei Gott.«
Drauf war er lange still. Mit geschlossenen Augen lag er da. Plötzlich sagte er: »Rubertus, ich tat immer, was ich wollte, kümmerte mich wenig um die Heiligen. Wird mich der Allmächtige annehmen?«
Mein Herz zitterte. »So Ihr glaubet an den Sohn Gottes und begehret der Sündenvergebung durch sein Blut, mag es wohl sein, Walter.«
Mit tiefer Demut sagte er da: »Ich glaube solches und begehre, durch das Verdienst des hochgelobten Erlösers selig zu werden. Wollt Ihr mir darauf die letzte Ölung geben?«
Milde entgegnete ich ihm: »Glaubet Ihr gewißlich, daß Jesus Euch alles vergeben kann, und begehret Ihr ernstlich solches?«
»Ja«, sagte er und sah mich voll an mit den großen, blauen, fieberglänzenden Augen.
Ich rief die anderen und gab ihm die letzte Wegzehrung.
Ursula weicht keine Minute von ihm, – wie Schnee ist ihr Antlitz, – und vermag doch noch, ihm zuzulächeln, – wahrlich, eine Heldennatur! Armes, armes Weib, so kurz das Glück, nur ein Jahr, – so Schweres in der Zeit durchlebt, so jäh zu Ende – – Herr, unerforschlich sind deine Wege! Alle Hoffnung auf sein Leben ist geschwunden – – Herr, beschere ihm eine selige Heimfahrt!
Am 21.
In der Morgenfrühe hat unser Walter ausgelitten! Wir waren alle um ihn versammelt, ich habe hin und her halblaut gebetet! Gab erst noch ein heiß Ringen zwischen Seele und Leib, doch mählich wurde er ruhiger und ist endlich sanft eingeschlafen.
Gott schenke ihm ein fröhlich Auferstehen!
Nun ruhet er auf der Bahre in der Kapelle; der Rittermantel ist um ihn gelegt, sein kostbarer Schild deckt ihn. Zu seinen Füßen liegen Schwert und Helm.
Lutold kam am Vormittag; – marmorbleich waren seine Züge ... wie gebrochen sank er mit dumpfem Stöhnen neben dem toten Bruder nieder und kniete dort lange – lange – –
Ursula trägt ihr Weh heldenhaft! Nur öfters reißt sie klein Walter, der die dunkelblauen Augen seines Ohms hat, in die Arme und drückt das Gesicht in seine Locken. Aber ob ihr Herz auch blutet ob dem Verlust, sie hat doch den rechten Trost gefunden! Unten an der Bahre sagt sie mir: »So die Efeuranke jetzt nicht das Kreuzesholz hätte, Pater Rubertus, würde sie zerbrechen. Nun aber hält sie sich um so fester daran!«
Ich neigte den Kopf und entgegnete: »So hab' ich Euch nichts mehr zu sagen, Ursula, Ihr habt den besten Tröster; wohl Euch!«
Ja, sie hat ihn in Wahrheit, denn »ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet«.
Am 23.
Am Nachmittag haben wir ihn eingebettet in die kühle Erde, unseren »Wilden«, der aber schon lange nimmer so hieß!
Ach, so sich ein solcher Hügel schließt, wollen die Augen und die Herzen schier überquellen vor Weh und Schmerz! Da alles vorüber war, mußte Ursula hinauf zur Burg getragen werden, sie war nun doch zusammengebrochen. Ist aber nur eine tiefe Ohnmacht gewesen – – armes Weib!
Neben Elisabeth ruhet Walter, – drei Hügel in einer Reihe! Über allen aber leuchtet das köstliche Wort gleich lichtem Ewigkeitsmorgenrot: »Ich bin die Auferstehung und das Leben!«
Heil uns, auch wir gehen der herrlichen Seligkeit entgegen, wohin die anderen vorausgeeilt sind!
Am 28.
Otto will eine große Grabkapelle errichten lassen auf dem Friedhof. Sollen nicht nur die drei teuren Gräber überbauet werden, sondern noch Platz sein für viele andere des edlen Geschlechtes, und soll die Kapelle der heiligen Jungfrau gewidmet sein.
Ich war heute, wie oftmals schon, auf dem Chrischonaberge. Hab' gar manchmal schon dort eine Messe gelesen, dieweil noch immer kein Nachfolger Antonius' in das Hüttlein neben der Kirche eingekehret ist. So das unterbleibet, verfällt alles im Laufe der Jahre, – wie schade wär's drum, war's doch eine solche Segensstätte! So ich hinkomme, sitz' ich wohl stundenlang und hänge meinen Gedanken nach, die gehen dann zurück in jene Zeit, da alle lebten, die ich liebte – –
Am 14. September desselben Jahres.
Ist heute Trauerkunde von Basel gekommen: Herr Heinrich, der Bischof, ist gestern, am Abend des dreizehnten, selig entschlafen. Kränkelte seit dem Feldzug und schnellen Frieden des letzten Jahres ein wenig, zu wenig, um ernstlich Sorge zu erregen, zu viel, um es nicht zu achten. Hat auch jetzt nur fünf Tage gelegen, und vermeinete niemand sein Ende so nahe.
Auf dem Sterbelager hat er des öfteren zu Lutold gesagt: »Alle meine Pläne sind zu Wasser geworden und mir in den Händen zerflossen. Ich wollte das Bistum erweitern und seine Macht vergrößern, dieser Rudolf wehrte mir's Jahre hindurch! Zu allerletzt wurde er gar noch Kaiser – – o dieser Rudolf!« Ist schier anzunehmen, daß ihm das Mißlingen seiner Pläne also am Herzen genaget und seinen Tod herbeigeführet hat, – – o Bischof von Basel, ... und was wird dein Gott dich wohl zuerst gefraget haben, da du vor ihm erschienen bist ... ob wohl die erste Frage nach der Größe deiner Macht war?! – Ich glaub's nimmer, doch bin ich nicht sein Richter! Der Allmächtige lasse ihm sein ewig Licht leuchten!
Am 15.
Bischof Heinrich ist heute zur letzten Ruhe geleitet. Im Münster, in der von ihm erbauten Marienkapelle beim Glockenturm ist er beigesetzt worden. Bin mit Otto auch unten in Basel gewesen – – – ein Grab nach dem anderen schließt sich auf unserem Wege!
Gott schenke dem Staube einst ein fröhlich Auferstehen.
Anno Domini 1275.
Am 25. des Wonnemondes.
Ein Jahr und mehr ist vergangen, seit wir Walter zur Ruhe brachten. Heute wurde die Kapelle eingeweiht.
Ist ein schön, groß Gebäude; mag wohl Platz haben für gar manchen des edlen Geschlechtes! Die drei Gräber decken drei Platten, eine ewige Lampe brennt über ihnen. Möge ihnen, den Teuren, die hier ruhen, also das ewige Licht leuchten und ihre Leiber der frohen Auferstehung entgegenschlummern.
Ist für einen Christen ein tröstlich Ding, zu wissen, daß auch der Leib nimmer im Staube bleibet! Wie solches zugehen mag, ist freilich das wunderbarste der Wunder, doch vollkommen natürlich für unseren Gott. Sollte er, der den Menschen aus dem Nichts schuf durch sein Wort, nimmer vermögen, dem Staub ein neu und unvergänglich Leben zu geben? Ist für einen allmächtigen Gott etwas unmöglich?
Hier oben gehet alles seinen Gang weiter. Ursula gibt sich ganz der Erziehung Walters hin, und Odalsinde wehret ihr nicht. Da zum ersten Male das Glöcklein der »Mariahilfkapelle« auf dem Friedhof heute tönte, flutete schier ein Strom von Sonnenlicht und -glanz durch die Fenster und die offene Tür herein und mischte sich mit dem Schein der Altarkerzen! Man könnte meinen, die Geschehnisse der letzten Jahre seien ein böser Traum, – so nicht gar mancher Hügel zeigte, daß alles bittere Wahrheit sei ...
Darunter als erster dein Hügel, o Elisabeth, du unvergessene, du unveränderlich geliebte.
Am 12. Juli, Anno Domini 1284.
Hab' in meiner Truhe angefangen zu suchen und sind mir dabei diese Blätter wieder in die Hände gekommen. Lang hab' ich drin gelesen, und meine Gedanken sind in ferne Zeiten zurückgeeilt!
Noch immer bin ich auf Rötteln, noch immer ist mein täglicher Weg zur Mariahilfkapelle, noch immer gehe ich von Zeit zu Zeit nach dem Berge der heiligen Chrischona und lese eine Messe, dieweil kein Einsiedler mehr den Weg dorthin fand. Alles wie einst – – nur das heranwachsende Geschlecht zeigt uns den Hingang der Jahre und lehrt uns, daß wir alt werden!
In Ottos Familienkreis blühet noch immer das Glück. Walter hat mehr und mehr Ähnlichkeit mit seinem Ohm Walter. Sind noch vier Sprossen dazu am alten Stamm der Röttler gewachsen: Rudolf, neun Jahre alt anjetzo, Elisabeth, ein Jahr jünger, und die fünfjährigen Zwillinge Otto und Gieselind.
Für Röttelns Fortbestehen ist Sorge getragen, nach menschlicher Meinung gerechnet.
Lutold ist unter Bischof Heinrich von Isny Archidiakon geworden, ein tüchtiger, um die Kirche verdienter Mann! Ist aber wortkarg und ernst schier bis zur Verschlossenheit!
Herrn Heinrichs Nachfolger ist, wie ich schon nannte, auch ein Heinrich. War jener aus dem hochangesehenen, edlen Grafengeschlecht der Welsch-Neuenburger am See, so ist dieser der Sohn eines ehrsamen Bäckers aus Isny in Schwaben. Doch bleibt's ja wohl allewege dabei: nicht die Herkunft und der Name machen den Mann, sondern seine Handlungen.
Gräfin Ursula ist noch immer hier oben und allbeliebt bei jung und alt im Dorfe. Auch die Kinder hängen mit zärtlicher Liebe an der Muhme. Gar mancher Freier aus edlem Geschlecht ist von ihr abgewiesen worden; – Walter ist unvergessen!
Und ich selbst? – –
Da will ich nur eines schreiben: ich freue mich der güldenen Ewigkeit und warte einer seligen Heimfahrt, so mir mein Vater im Himmel durch seinen lieben Sohn Jesum Christum, meinen Herrn und Erlöser, gnädiglich schenken wolle, – Amen!
Will nunmehr die Blätter wieder fortlegen; es ist wertlos, zu vermelden, wie sich das tägliche Leben abwickelt, – auch von keinem Zweck für die Nachwelt.
Ob einstmals fremde Augen hier hineinschauen werden? Ich hoffe nimmer! So ich einstens den Tod mir nahen fühle, werde ich alles vernichten! –