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Neuntes Kapitel

Im Wohngemach zu Rötteln saßen am Abend des gleichen Tages Walter und Otto in ernster, leiser Beratung beieinander. Vor ihnen funkelte roter Schaffhauser in den Krügen; aber ganz gegen seine Gewohnheit hatte Walter den Pokal beiseite geschoben und schaute nachdenklich vor sich hin.

Ab und zu flog ein Blick zu der tiefen Fensternische, in der Ursula und Lutold saßen. Aber vergebens mühte sich Lutold heute, die Aufmerksamkeit seiner Base zu fesseln; sie schien zerstreut und sah träumerisch in den sinkenden Abend hinein.

Unten im Burggarten ergingen sich Odalsinde, Elisabeth und der Pater; wie in Gedanken schaute Ursula ihnen nach. Dabei streichelte sie sanft Ellos glänzend schwarzen Kopf, den das Tier, das zu ihren Füßen lag, auf ihren Schoß gelegt hatte.

Auch Lutold war verstummt und hing seinen Gedanken nach. Er mußte daran denken, was der Bischof ihm heute nachmittag gesagt hatte, und wieder bäumte sich alles in ihm gegen den Priesterstand auf. Er strich sich erregt durch die blonden Locken; nein, er wollte sich nicht hinter den Mauern vergraben, was nützten ihm Ehre und Ansehen, so er nicht glücklich war! Und wo war sein Glück? – Seine Blicke hingen an dem schlanken Mädchen vor ihm, – wie es ihn beglückte, wenn sie, die sonst so schüchtern und zurückhaltend war, mit ihm so fröhlich lachte und scherzte, seine Gesellschaft augenscheinlich so gern hatte! Konnte er sich dieses alles nicht zu seinen Gunsten deuten? – Sollte er jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, ihr zu sagen, was er fühlte, – – vielleicht, ach, vielleicht zog damit neues Glück in der stolzen Burg ein, die jetzt so wenig Glück und Freude barg. Er wollte Ursulas Hand ergreifen, – – da stand Walter vor ihnen.

»Base Sonnenstrahl, zürnt Ihr mir, so ich Euch jetzt in aller Ehrfurcht bitten muß, Lutolds Gegenwart uns zu belassen? Er ist uns vonnöten bei unserer Beratung.«

Ursula war heftig zusammengeschreckt; ein heißes Rot überlief ihre Wangen.

Walter sah es, und ein roter Streifen wurde auf seiner Stirn sichtbar, stets ein Zeichen innerer Erregung bei ihm.

»Ich gehe«, sagte sie leise und stand auf.

»Halt, nicht so«, sprach Walter. »Ich geleite Euch, Ihr müßt mir solches gestatten! Lutold wird unterdessen durch Otto von dem in Kenntnis gesetzt, was wir bis anhero beraten haben.« Damit nahm er ohne weiteres ihre Hand, zog sie durch seinen Arm und führte sie hinaus. Ello folgte ihnen.

»Darf ich Euch zum Garten geleiten?« fragte er freundlich.

Sie nickte.

»Zürnet Ihr mir wieder, Ursula?«

Statt der Antwort schüttelte sie das halbabgewandte Köpfchen. Zugleich bemerkte Walter, wie die kleine Hand, die er auf seinem Arm nur sah, nicht fühlte, heftig zitterte.

Da färbte sich der Streifen auf seiner Stirn dunkelrot – zwar führte er sie noch sorgsam die schmale, gewundene Treppe zum Garten hinab; dort aber ließ er sie los und sprach heftig: »Was ist's, daß Ihr jedesmal so furchtbar erschreckt, wenn ich Euch anzureden wage, Ursula? Bin ich denn ein Ungeheuer, so Euch Furcht und Entsetzen einflößt? Es scheint ja gerade, als ob der Schreck Euch allsogleich der Sprache beraube! Mußt' leider heute zu Euch reden, mußt' Euch leider Lutold fortholen, denn er durfte bei der Beratung nicht fehlen, und Ihr wisset wohl selbst, daß es heuer viel zu bedenken gibt, maßen die Zeiten schwer und ernst sind. Doch so viel ich kann, will ich in Zukunft vermeiden, zu Euch zu reden.«

Sie war blaß bei seinen harten Worten geworden und stand mit gesenktem Haupt vor ihm.

Er zögerte noch einen Moment, dann wandte er sich kurz und wollte nach oben gehen.

»Graf Walter«, kam es zaghaft über ihre Lippen.

Er hatte aber seinen Namen doch gehört; mit einem Satz war er die fünf Stufen, die er schon gestiegen, wieder hinab und stand vor ihr.

»Ihr rieft mich, Gräfin?«

»Ich wollt' Euch nicht kränken – –«

»Es freut mich, daß Ihr Eure Sprache wiedergefunden habt, – ich glaub' es Euch.«

»Ich saß in Gedanken versunken; da standet Ihr plötzlich vor mir, und durch die Stille im Gemach drang Eure Stimme, – da – da –«, sie stockte und schwieg.

»Na – da überkam mich die alte Angst vor Eurem Wesen«, vollendete er, »und ich hätt' Euch am liebsten allsogleich in jenes schöne Land gewünscht, wo sie den Pfeffer pflanzen, nicht wahr, Gräfin, so meintet Ihr?«

»Nein, o nein«, sprach sie mit zuckenden Lippen, »solche Gedanken sind mir nimmer gekommen, ich höre Euch so gern erzählen und reden! Nur so Ihr oftmals gar so plötzlich vor mir stehet und sprecht, – – –«

»Verliere ich die Sprache vor Angst«, ergänzte Walter ironisch.

Sie sagte nichts mehr, sondern wandte sich ab.

Da faßte er ihre beiden Hände; sein Blick ruhte flammend auf ihr, und mit einer Stimme, bebend vor innerer Bewegung, murmelte er: »Törichtes Kind, warum fürchtest du dich so vor mir? – – Weißt du nicht –«

Er brach kurz ab, preßte ihre Hände zusammen und war verschwunden.

Einer Träumenden gleich setzte sich Ursula auf eine Bank, die, vom Wege ein wenig entfernt, in einem Fliedergebüsch stand, und ein paar Tränen rannen über ihr Gesicht. Plötzlich aber leuchtete eine große Glückseligkeit darüber hin; sie schlang beide Arme um Ello, der vor ihr stehengeblieben war, und barg das Antlitz in seinem dichten Fell.

Otto hatte indessen Lutold mitgeteilt, um was es sich in seinem Gespräch mit Walter gehandelt hatte. Walters Eintritt unterbrach ihn, und er sprach, einen dritten Stuhl an den Tisch ziehend: »Nun kann dir unser Wilder selbsten seine Ideen klarlegen.«

»Wobei ihm unsere holde Base also im Wege war, daß er sie einfach – –«

»Hinausführte, jawohl«, fiel Walter gleichmütig in Lutolds unmutige Rede. »Laß das Kind, Lutold! Hold ist sie, ja, derhalben habe ich sie auch ›Sonnenstrahl‹ geheißen, aber bei ernster Männerberatung können wir ihrer nicht brauchen. Und nun genug davon! Es handelt sich also um die Wiederherstellung des unterirdischen Ganges, der uns mit Brombach verbindet.«

»Ich hörte es schon«, entgegnete Lutold, »und verwunderte mich daß darüber, ist er denn notwendig?«

»Solches wohl nur in zwei Fällen«, sagte Otto nachdenklich, »erstens, so die Burg belagert würde und wir mit dem Hunger zu kämpfen hätten. Leichtlich könnte alsdann durch den Gang Nahrung, auch Hilfe von außen herbeigeschafft werden. Zum anderen, so der Feind doch einmal in die Burg dränge, bliebe dieser Weg zu einer Flucht der Unsern offen. Dies beides spricht für den Gang.«

»Doch, vermeine ich, ebenso Gewichtiges dagegen«, wandte Lutold lebhaft ein. »Sehet, es könnte nimmer still bleiben, daß solch Weg hier oben anfinge. Wie nun, so die Feinde seinem Ausgange nachspürten und uns eines Morgens hier grüßten, ei dann?«

»Solch Bedenken hegte ich gleich dir auch«, erwiderte Walter, »aber es stehet in Frage, ob der Vorteil größer denn der Nachteil sei, oder umgekehrt. Und dem Nachteil eines solchen Ganges steht noch ein dritter Vorteil entgegen, wir könnten stets gewisse Kunde von den Bewegungen der Feinde haben, so wir einmal von der Außenwelt abgeschlossen würden.«

Nachdenklich schwiegen alle; nach einigen Augenblicken fragte Lutold: »Seit wie lange hat man ihn nimmer gebraucht?«

»Seit zehn Jahren und mehr«, meinte Otto, seinen langen, blonden Bart streichend, »es wird viel wiederherzustellen geben, so wir ihn benutzen wollen.«

»Sehr viel«, nickte Walter, »und darum wäre es Zeit, bald anzufangen. Er wurde damals zuletzt gebraucht im Kampf mit etlichen Raubrittern, gegen die der Herzog von Zähringen und unser Herr Vater, Gott hab' ihn selig, fochten.«

»Soll er wiederhergestellt werden, Walter«, nahm Otto das Wort, »so dürfen nur Männer, denen wir vertrauen können, solches unternehmen. Da denke ich allererst an Balthasar, ferner Wilbold, den Stallaufseher, und Friedung, den Knecht.«

»Auch ich dachte dieser«, sprach Lutold. »Vergesset auch nimmer Gero, den Fechtmeister der Knappen.«

»Und endlich noch Tillo, den nächsten nach Wilbold«, ergänzte Walter. »Dieser aller dachte ich gleich also, und unter Wilbolds und Geros Leitung könnten sie wohl das Werk meistern. Und so sie noch Hilfe benötigen, nun, so stehe ich meinen Mann!«

»Und ich«, sagte Lutold lebhaft. »Doch, Walter, nur in der Nacht kann solche Arbeit getan werden, – und wo bleibt die Erde, so hinauszuschaffen wird vonnöten sein?«

Nach längerem Hin- und Herreden kamen sie überein, eines der untersten Burgverließe in dem viereckigen Wartturm auszufüllen, der hart an der Zugbrücke in der Oberburg stand.

»Sollten wir dann einst Überfluß an Gefangenen haben, so bleibt uns noch immer überlassen, solchen Raum wieder zu leeren«, lächelte Walter, indes Otto einen Knappen rief und ihn hinabsandte, die fünf bestimmten Männer zu ihren Herren zu befehlen.

Es war bald Mitternacht, da die acht auseinandergingen; rings in der Burg herrschte tiefste Ruhe. Gero, der Fechtmeister, reckte seinen gewaltigen Körper, da sie im kleinen Zwinger standen, fuhr sich durch den schon grauen Bart und flüsterte Walter zu: »Wird ein sauer Stück Arbeit werden, Herr; aber fertig kriegen wir's, was, Wilbold?«

Dieser, ein Riese an Körperbau und Kraft, nickte nur und ging leise zu der steinernen Schwelle, die zu Ottos kleinem Wohnhaus führte. Die erste Stufe war breiter als die zwei anderen, doch nahm man an ihr nichts Besonderes wahr.

Er bückte sich, betastete sie an den Ritzen, lockerte vorn die Erde und winkte Otto: »Sehet, Herr, hier den Eingang. Oftmals machte ich früher den Weg. Unter dieser Steinplatte ist die Tür, so den Gang von hier aus schließet. Sie muß geöffnet sein, auch die Platte nur lose aufliegen, wenn der Gang in Gebrauch genommen wird.«

»Wie nun aber«, flüsterte Lutold plötzlich, auf das Haus weisend, »im ersten Zimmer hier unten hauset unsere Base Ursula, ei, so sie in der Nacht von den Arbeiten in der Erde unter dem Hause etwas gewahr wird?«

»Des seid unbesorgt, Herr«, entgegnete Gero, »hier zu Anfang ist der Gang wohl noch imstand, zu arbeiten gibt's erst weiterhin, da merket's niemand.«

Leise gingen die treuen Diener der Grafen von Rötteln hinab zum untern Zwinger, Otto trat ins Haus, und Walter und Lutold gingen in den Pallas zurück, – – mit einem schelmischen Lächeln auf dem reizenden Kindergesicht zog Ursula ganz vorsichtig und leise die Vorhänge an ihrem Fenster dichter zusammen und schlüpfte unter die Decken ihres Lagers.

Mit klopfendem Herzen sprach sie: »Wie gut, daß ich nicht schlafen konnte und am Fenster lehnte, die heiße Stirn zu kühlen, dadurch ward ich Mitwissende von etwas, was, wie es scheinet, niemand wissen soll! Hab' wahrhaftig erst vermeinet, es seien Gespenster, so da geräuschlos über den Hof hierherschritten, bis ich Walter gewahr wurde und dann auch Lutold und Otto.«

Kurz nach Mitternacht des anderen Tages war es. Lautlos kamen fünf Männergestalten in den kleinen Burghof, bewaffnet mit allerlei Gerätschaften. Gero und Wilbold faßten kräftig die Platte an; nach einigem Widerstand gab sie nach, ließ sich abheben, und nun lag die Tür frei da. Sie wurde mit möglichster Geräuschlosigkeit geöffnet und an der Seite im Gange befestigt. Nun zündete Balthasar ein Windlicht an; in seinem Schein wurde die schmale, steile Treppe sichtbar, die hinabführte in den Gang, – – auch für Ursula, die, wieder hinter dem Fenstervorhang stehend, gespannt jede Bewegung draußen verfolgt hatte.

Sie schauderte, als sie das finstere Loch gähnen sah, in dem jetzt einer nach dem anderen der Männer verschwand, – – nun war auch der letzte fort, – – still und dunkel wie zuvor lag der Burghof da. Als sie am Morgen aus dem Hause trat, glaubte sie zuerst, das ganze Erlebnis der Nacht sei nur ein Traum gewesen, die breite Steinplatte lag wie immer, und nichts verriet auch nur eine Spur davon, daß sich hier ein Geheimnis verbarg und eine schwere Arbeit von wenigen Getreuen getan wurde.


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