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Dreizehntes Kapitel

Aus dem Tagebuch des Paters.

Am 14. August.

Nun ist alles vorüber, alles! Elisabeth, unsere Waldblume, ruhet in der kühlen Erde und schlummert der Auferstehung entgegen. Mir ist zumute, als sei alles ein böser, schwerer Traum, aus dem ich endlich einmal erwachen müsse – aber die Stille in der Burg, die tränenden Frauenaugen, der leere Platz an der Tafel – – o, sie reden nur zu deutlich von dem, das geschehen.

Vier Tage sind es her; aber ich vermeine, der entsetzliche Augenblick im Walde, da ich sie unter dem Baume liegen sah – bewußtlos – wird mir mein Leben lang vor Augen stehen, – gleich der langen, bangen Nacht, da Gott kam und mir das Teuerste, so die Erde für mich trug, zu sich nahm. Allbarmherziger, das waren Stunden der Qual!

Schier ist es mir ein Rätsel, woher ich die letzte Kraft nahm, ihr die letzte Ölung zu geben, und wie ein Nebel liegt es mir über dem, das nachher geschah. Ich sehe nur allüberall ihr holdes Antlitz vor mir. Gleich einer Schlummernden lag sie im Sarge, da ich in der Nacht, die ihrem Hingang folgte, zu der Kapelle hinabkam und lange Stunden neben der Toten saß. Aber vor dem süßen Frieden, der diese reinen Züge verklärte, mußte jeder laute Schmerz schweigen! Von der Stille und Ergebung, so in den letzten Wochen ihre Seele erfüllt hatte, lag ein Abglanz über ihr, – oder war's der Abglanz der Herrlichkeit, die nunmehr sie umfängt? Und daß ich ihr den Weg dorthin weisen durfte, daß ich ihr von der freien Gnade Gottes in Christo reden konnte ... das, o mein Gott, will ich dir danken, so lange ich lebe! Gott nahm dein Opfer an, aber anders, denn wir zuerst meinten. Viel Blutvergießen hast du gehindert – es gab nur den einen Weg dazu –, aber das Schwerste ersparte dir der Höchste selbst!

Empfand der Wartenberger Graf wohl tiefen, wahren Schmerz, da er an ihrem Sarge stand? Ein Bote war am Morgen zu ihm geritten und überbrachte ihm die Kunde, – zwei Stunden später war er hier. Wir hatten sie schon nach der Kapelle gebracht; zwischen einer Fülle von Blumen und Bäumen ruhte die Waldblume, und Kerzenschimmer leuchtete über sie hin. Lange stand er an ihrem Sarge mit gefurchter Stirn, wandte sich ohne ein Wort für die Röttler Herren und ging hinab, bestieg sein Roß und ritt heim. So tat er auch am anderen Tage, ritt auch heute, da wir vom Gottesacker kamen, alsbald heimwärts. Walter sagte ihm zu bleiben, aber er sprach: »Warum? Sie war das Band zwischen Euch und mir, nun ist es zerrissen; was soll ich hier?«

Viele Edle waren heut' gekommen, die Trauerkunde gelangte überall hin, allerorts war die Waldblume geliebt. Der Bischof segnete sie in der Kapelle ein, – heute schwand mein Groll gegen den würdigen Mann – er hat sie doch geliebt! Ihm rannen große Tränen über das Gesicht, da er die Hand aufhob zum Aussegnen und Ritter den Sarg aufhoben, um ihn den Burgweg hinab zum Friedhof zu tragen.

Dort sollt' ich sie zur letzten Ruhe einsegnen, – – ich konnt' es nicht, hab' mich erst gewaltsam fassen müssen. Da aber sah ich im Geist jenseits des Grabes den Erstandenen, der über Tod und Grab triumphiert und alle die Seinen nach sich ziehet. Solches gab mir große Kraft, also, daß ich über meine Waldblume den letzten Segen sprechen konnte. Dann haben sie den Hügel geschlossen, und ich bin in meines Zimmers Stille geflohen.

Nun ruhet sie!

Das Band ist zerstört, so mich an diese Welt fesselte. Der allmächtige Gott tat es mit einem Schnitt. Jetzt hat die Welt nichts mehr für mich – und ich nichts für die Welt! Aber das zerrissene Band hat der Herr in seiner unendlichen Liebe oben an seinem Thron angeknüpft, um mich nur desto fester hinaufzuziehen. Fortan wird mein Blick nimmer erdenwärts gerichtet sein, wohin er sonst, selbst so ich in Einsiedeln gewesen wäre, doch sich verirrt hätte, nein, nunmehr ist er nur himmelwärts gerichtet.

Morgen gehe ich zu Antonius; er ist der einzige, zu dem ich sprach von meinem Leid, wie wird er die Kunde von ihrem Tod aufnehmen, so er sie noch nicht weiß? Dann aber will ich heim gen Einsiedeln. Mehr denn je zuvor verlangt es mich nach unseres Klosters stillem Frieden, nach meines ernsten Freundes milden Worten – – und es ist ja jetzt niemand mehr hier, der da bittet: Bleibet!

 

Den 15. August.

Mein teurer Bruder Antonius ist heimgefahren, das ist das erste, so ich von neuem zu verzeichnen habe auf diesen Blättern, die schon von so viel und bitterem Leide reden. Ich ging heute in der Frühe des Morgens hinüber zu der Einsiedelei und hoffte auf eine gesegnete Stunde bei meinem alten Freunde. Da ich in der zehnten Stunde oben ankam, war die Hütte offen, aber von Antonius nichts zu sehen. Ich ging umher, suchte, rief nach ihm, nur das Echo antwortete mir.

Eine Bangigkeit befiel mich, es möchte ihm etwas begegnet sein, ... ich wartete mehr denn eine Stunde; schließlich machte ich mich auf den Heimweg. Da ich langsam bergab stieg und durch das Dörflein Bettingen kam, so im Tal gelegen ist, begegnete mir ein Bauer, der mich grüßte und scheu stehen blieb. Auch ich blieb stehen und fragte ihn: »Sagt, guter Freund, wißt Ihr etwas von Antonius, dem frommen Alten dort oben?«

»Ach, Hochwürden«, sagte er da, »den trugen wir vor drei Tagen zu Grabe.«

Erschrocken schaute ich ihn an: »Er ist tot?«

»Ja, Hochwürden, etliche von uns fanden ihn vor fünf Tagen auf seinem Lager, da sie zu ihm wollten. Viel Wehklagens herrscht hier darob; wir haben ihn sehr geliebt! Neben seiner Hütte auf dem kleinen Friedhof, so dort an der Kirche ist, haben wir sein Grab gegraben!«

Er wischte sich die feuchten Augen; ich dankte ihm und bin wieder hinaufgestiegen. Das frische Grab fand ich gar bald, und lange, lange saß ich dort. So blieb ihm das Schwere, die Kunde von dem jähen Tod seiner Waldblume, erspart; sie haben droben ein fröhlich Wiedersehen gefeiert. Auf meinem Lebenswege aber schloß sich ein zweites Grab über einem Herzen, das ich geliebt, und das mir teuer war gleich wie der Vater dem Sohn.

All die gesegneten Stunden zogen an meinem Geist vorbei, die ich hier verlebt ... der Trost, dessen ich so brennend gehofft, ist mir nicht geworden! Mein Trost soll in Gott und in dem Erstandenen ruhen, dagegen schwindet der irdische, und so es der beste wäre!

Später bin ich heim, doch nicht, ohne an Elisabeths Grab zu beten. Zwar hat es mich dort wieder übermannt – die Wunde ist zu tief! Aber ich getröste mich des Wiedersehens.

 

Am 20.

Es ist die zehnte Vormittagsstunde. Heute, gleich nach dem Mittagsmahl, zieht Graf Lutold von dannen, gen Werra, und ich – ziehe in drei Tagen gen Einsiedeln.

Heute nach dem Frühmahl sagte ich es Graf Walter, daß ich heimwärts möchte. Er schaute mich lange an; tiefer Ernst lag in den blauen Augen, die sonst so sprühen und leuchten, – er strich den kurzen Bart und fragte: »Warum?«

Ich sagte ihm darauf: »Ich pass' nicht mehr für die Welt und die Welt nicht mehr für mich, mich verlangt nach Ruhe.«

Er nickte nur und entgegnete: »Ziehet in Frieden! Des Friedens und der Ruhe Stätte ist Rötteln nimmer und wird's noch weniger, so der Kampf um seine Mauern toben wird, – und der kommt, kommt sicher! Ersatz für Euch zu finden, wird schwer sein, Herr Pater. Ihr seid ein Mann, anders als die übrigen Pfaffen, Ihr habt mich Achtung vor Euresgleichen gelehret. Doch muß Ersatz geschafft werden; der Ohm kann mir vorläufig einen Priester aus Basel schicken, bis ich später selbst mit Eurem Abt reden kann und er mir wieder einen aus Eurem Kloster gibt.«

Dann redeten wir noch allerlei, bis er seufzend ausrief: »Herr Pater, mir scheint, das Glück wich von Rötteln, seit wann und warum ... ich weiß es nimmer! Erst starb die Mutter, da man schon meinte, der Tod sei aus dem Dorfe gezogen, dann kam das Verhängnis über unsere Schwester und ihr schneller Tod, – was wird noch geschehen? Wie ein alt Weib, so plagen mich oft Ahnungen! Doch sollte Rötteln untergehen« – dabei sprang er auf und aus den Augen brachen Blitze –, »dann werden wir wissen wie Männer zu sterben!«

»Graf Walter, um Gott, was redet Ihr«, sprach ich erschrocken, »wie könnt Ihr an Röttelns Niedergang denken! Schauet Eure kraftvollen Brüder und Euch, – weil zwei schwere Schläge kamen, müssen keine weiteren kommen.«

»Wir werden uns auch dagegen wehren«, sagte er, und die alte Tatkraft leuchtete von seinem Gesicht, »wenn es nicht überirdische Mächte sind, so gegen uns angehen ... mit den irdischen wollen wir schon fertig werden.«

So sprach er zuversichtlich, ach, möcht' er nie getäuscht werden! Mein Flehen zu Gott ist um Röttelns und seines Geschlechtes Wohlfahrt, o möcht' es blühen bis in die spätesten Zeiten!

 

Am Spätnachmittag des gleichen Tages.

Jetzt ist er davongezogen, der jüngste der drei Herren, besten fröhlich Lächeln und jugendschön Antlitz aller Herzen im Fluge gewann. Das war einst, heut ist es anders! Die Zeiten ändern sich, noch mehr die Menschen! Schön ist er noch immer ... aber mich dünkt, er sei auf dem Wege, das Lachen nicht nur, sondern auch das Lächeln zu verlernen!

Der Tod der Mutter, das jähe Sterben der Schwester, dies beides konnte ihn wohl ernst machen, – armer Mann, möcht' dir ein dritter Schlag erspart bleiben! Ich fürcht' aber, er bleibt nicht aus, und er – fürchtet es wohl auch!

Gar stattlich sah er aus in der blinkenden Rüstung, da er zum letzten Mittagsmahl daheim in die Halle trat. Köstlich kleidete ihn das Panzerhemd mit dem gestickten schweren Mantel aus blauem Tuch darüber; an der Seite hing sein Schwert; er war völlig gerüstet. Er schnallte es ab, warf den Mantel über einen Stuhl und aß schweigend mit uns. Nur so er etwas gefragt wurde, gab er kurze Antwort.

Nach dem Mahl trat er schnell auf Ursula zu, die ihm gegenüber gesessen. »Wollet Ihr mein Schwert festschnallen, Ursula?« fragte er leise; sie nickte und tat es. Da sie fertig war, hielt er ihre beiden Hände fest und schaute sie an. Ich stand allein in ihrer Nähe; die anderen beiden Grafen waren schon hinausgegangen, da sie den Bruder ein Stück Wegs begleiten wollten, ... vor dem Priester meinte er wohl keine Scheu haben zu dürfen.

»Ursula, denkt meiner«, sprach er innig bittend, »vergeßt mich nimmer, wie ich stets Euer gedenke.« Sie hatte ihm ruhig die Hände gelassen und blickte ihn unbefangen an. Von dem, das in seinen Augen lag, sah ich bei ihr – nichts!

»Wie sollt' ich Euer vergessen, Lutold«, sagte sie mit tränenfeuchtem Blick, »ich werde Euch sehr vermissen; Ihr waret mir stets ein treuer Bruder und Freund; mögen Euch die lieben Heiligen alle bewahren, daß wir uns fröhlich wiedersehen.«

Es zuckte seltsam über sein Antlitz. »Ich danke Euch«, sprach er sich abwendend, nahm den Mantel und ging hinaus. Wenige Minuten später ritt er davon mit seinen Brüdern und einem Häuflein erlesener Knechte, so ihn geleiten sollen nach Burg Werra. Dort harren sein als ihres Herrn des Bischofs Mannen. Wir blickten ihm trotz des Regens vom hohen Söller lange nach. Ursula schwenkte gleich der Herrin ihr Tüchlein; Graf Lutold sah sich oft um.

Ach, so er doch möchte des Trostes Quell in allem Leid kennen, wie Elisabeth ihn kennengelernt hatte! Aber so ich auch des öfteren mit ihm davon hab' reden wollen, ich mußte immer wieder merken, daß er mir zuhörte, um mir nicht wehe zu tun, daß er aber mit ganz anderen Gedanken im Geist beschäftigt war. Er ist eben durch und durch ein Ritter und vermeinet, so er die heilige Messe höre und seine Gebete treulich sage, auch Gutes tue und der Frauen Schützer und Ritter sei um der heiligen Jungfrau willen und der Liebe zu ihr, so sei es genug. Und er ahnt nicht, daß alles dies das Herz so leer lassen und nimmer Frieden und Ruhe geben kann, so die Seele krank und matt geworden ist!

Es dunkelt allbereits, der Regen fällt in Strömen hernieder, durch die Bäume im Burggarten streicht der Wind und schüttelt sie. Ich will hinab zur Kapelle und beten, solches ist das beste Mittel, schwere Herzen leicht zu machen! Noch zwei Tage, und ich ziehe davon. Ich geh gern; nur von dem stillen Grab dort unten auf dem Friedhof wird es mir schwer, zu scheiden. Ach, daß ich es erst ganz vermöchte, nie mehr in das Grab zu schauen, sondern hinaufzublicken zum Thron unseres Herrn, wo ihr verklärter Geist weilet! Noch kann ich es nicht ganz, aber ich muß es lernen. Herr, hilf meiner Schwachheit!

*

Es war in der neunten Stunde. Walter und der Pater saßen in der Halle beisammen und redeten bald von diesem, bald von jenem. Ursula saß bei ihnen und strich liebkosend über Ellos schwarzen Kopf, den das Tier auf ihren Schoß gelegt hatte. Odalsinde war vor einer halben Stunde hinausgegangen und Otto bald nachher gefolgt.

Plötzlich trat er wieder ein. »Ist Odalsinde hier?«

Erstaunt sah Walter auf. »Du sahest doch, daß sie hinausging; sie ist nicht zurückgekommen.«

»In ihrem Wohngemach ist sie auch nicht.«

»So wird sie sonst wo sein«, sprach Walter gleichmütig.

Otto ging wieder. Wo mochte sie sein? Sie sah so traurig aus am heutigen Abend; gern hätte er ihr ein freundlich Wort gesagt und sein Elisabeth gegebenes Versprechen, Oda glücklich zu machen, angefangen zu erfüllen, – nun war sie nicht zu finden. Er schritt zum Zwinger hinab und fragte Radigundis, ob ihre Herrin drunten sei.

Die Gürtelmagd hatte sie nicht gesehen. Die Antwort hörte aber einer der Knappen und berichtete dem Grafen, er hätte die Burgherrin vor einiger Zeit aus dem Tor schreiten sehen.

Ein Angstgefühl wollte sich Ottos bemächtigen, – wo war sie hin – allein, so spät am Abend – – in dem Wetter? Vielleicht zum Kirchhof ... durchzuckte ihn ein Gedanke, und schnell entschlossen schlug er den Weg dorthin ein.

Wirklich sollte er Oda hier finden; sie war gekommen, um zu beten. Sie hatte nicht des nassen Weges geachtet, nicht des kalten Windes; sie merkte kaum, daß es aufgehört hatte zu regnen und nur von den Bäumen schwere Tropfen fielen; – sie war an dem stillen Hügel in das feuchte Gras gesunken und ließ ihren Tränen ungehindert Lauf. Hier sah es ja niemand außer Gott, zu dem sie flüchten wollte; immer verlassener fühlte sie sich, immer einsamer auf der stolzen Burg; die Sehnsucht nach Elisabeths liebewarmem Herzen wurde immer größer, und dunkler als je zuvor schien ihr das Leben.

Sie drückte das Gesicht in das Gras und schluchzte leise: »Elisabeth, wie sehne ich mich nach dir! Ach, seit der Allmächtige dich mir nahm, bin ich ganz verlassen! Niemand versteht mich, niemand trägt mit mir. O Gott, verlaß du mich nicht; an dir hängt meine Seele, du bist meine einzige Zuflucht! Du verstehest mich, hab' Dank, daß ich zu dir persönlich kommen darf!« Immer leiser wurde ihre Stimme und erstarb schließlich ganz ... Aber Otto, der unhörbar im Grase nähergekommen war, hatte doch jedes ihrer Worte verstehen können.

Es wallte hoch in ihm auf, ... o wie schwer hatte er an seinem Weibe gefehlt! Er hatte ja nie versucht, ihr Verständnis entgegenzubringen, hatte nie versucht, ihr Vertrauen zu gewinnen, und war zornig gewesen, als sie sich so völlig von ihm abschloß. Wer trug die Schuld an dem bisherigen Leben? Gewiß, sie war kalt, herb, stolz, aber war er ihr denn vom ersten Augenblick an, da sie sich vor Jahren sahen, anders als kalt und fremd entgegengetreten? Hätte nicht alles anders sein können, wenn er anders gewesen wäre? Und wie hatte Elisabeth in ihrer letzten Stunde gesagt? »Oda hat ein liebebedürftig Herz; sie verdient, glücklich zu werden und möchte glücklich machen«, – er hatte diese Worte nicht vergessen; unauslöschlich standen sie in seinem Herzen.

Leise rief er ihren Namen; erschreckt hob sie das Haupt, ... sie hatte nicht geahnt, daß sie nicht allein hier sei.

Rasch trat er zu ihr und beugte sich über sie. »Ich bin's, Oda, dein Gemahl«, sprach er weich und innig, »ich kam, mein Weib zu suchen, weil ich mich um dich sorgte.«

Sie antwortete nicht – konnte nicht sprechen – alle ihre Selbstbeherrschung, all ihr Stolz, all ihr zur Schau getragener Gleichmut hatte sie in dieser Stunde am Grabe verlassen.

Er legte die Hand leise auf ihre Schulter und sprach weiter: »Ich sah, daß du heute besonders littest unter Elisabeths Tod, – – warum gingest du denn jetzo hierher und ließest nicht oben deine Tränen fließen, weißt du nimmer, wie sehr du dir hier schaden kannst?«

»Was liegt an mir!« kam es da bitter und unaufhaltsam über ihre Lippen. »Warum ich hierher kam? Weil ich Euch nimmer meine Tränen sehen lassen wollte, wie einst; weil hier das einzige Herz ruhet, das mich verstand, das einzige, so mir warme Liebe in Rötteln entgegenbrachte, das einzige, das mit mir trug, – weil ich's nimmer aushielt dort oben in der Burg, – weil Ihr –«

»Oda, nicht weiter«, bat er mit gepreßter Stimme, »ich weiß, du hast ein Recht, so zu reden, aber hör' mich an, was ich dir jetzt sagen möchte. Versuche alles Vergangene zu vergessen, versuche, in mir nicht den Gemahl zu sehen, dem du aus Pflicht folgen mußtest; laß uns ein neu Leben anfangen!«

Er hob sie mit sanfter Gewalt auf und nahm ihre beiden Hände. »Was ich schon längst, schon vor Jahren hätte tun sollen, ich tu' es heute, Oda: ich werbe um dich, nicht, dieweil ich muß, nein, dieweil mein Herz es will, aus reiner, treuer Minne zu dir.« Er fühlte, wie ihre Hand eiskalt wurde, und mußte schnell den Arm um ihre schwankende Gestalt legen.

Statt aller Antwort lehnte sie den stolzen Kopf an seine Schulter; er umschlang sie innig, und sie weinte lange an seiner Brust.

»Vergib mir alles«, bat sie endlich, sich fassend.

Er schüttelte den Kopf. »Wir haben uns beide viel zu vergeben, Oda; laß uns nimmermehr der Vergangenheit gedenken! So es aber geschieht, alsdann mit innigem Dank gegen die lieben Heiligen für die lichtvoll werdende Gegenwart.«

Eng umschlungen standen sie an dem Hügel; ab und zu leuchtete der Mond durch die zerrissenen Wolken, die am Himmel dahinzogen.

»Ach, daß Elisabeth diese Stunde nicht mehr erleben konnte«, sprach Odalsinde wehmütig, »wie wäre sie glücklich in unserem Glück.«

»Bist du jetzt glücklich?« fragte er bangend.

In dem Augenblick glitt ein Mondstrahl über sie hin; er schaute in ein paar strahlende, dunkle Augen. Dort mußte er wohl Antwort genug gelesen haben, – er preßte sie leidenschaftlich an sich.

»Laß uns heimgehen«, bat er endlich. »Ich sorge mich deinethalben, dir möchte die Nachtluft schaden.« Hand in Hand gingen sie langsam den kurzen Weg zum Schlosse hinauf. Oben am Tore blieb Otto stehen.

»Wirft du dich jetzo wohler fühlen in Rötteln, Oda?«

»Es ist mein Heim; ich möchte nirgends lieber sein, denn hier«, erwiderte sie innig.

Da hob er sie mit einem unterdrückten Jubelruf auf seine Arme und trug sie an dem staunenden Torwächter vorüber in die Burg.

*

Aus dem Tagebuch des Paters.

Am 22.

So ist nun doch endlich das Glück in Rötteln eingezogen. Wie danke ich dem Allmächtigen, daß ich die letzte Aufzeichnung, so ich hier auf der Burg mache, mit solchen Worten beginnen darf!

Gestern abend war es, zu später Stunde; schon hatte ich Graf Walter »Gute Nacht« gewünscht und wollte gehen, als die Tür aufgerissen wurde und Graf Otto eintrat, sein Weib an der Hand. Ich sah allsogleich, daß etwas Besonderes geschehen sein müsse; sein sonst so ernst Antlitz leuchtete, und auf Odalsindes wunderholdem Gesicht lag ein glücklich Lächeln.

»Hier bringe ich euch mein Weib«, sprach der Graf, vor uns tretend.

bild: Franz Stassen

»Solches sehe ich«, entgegnete Walter, halb erstaunt. »Vermeinest du, Odalsinde sei mir fremd?«

Dann mußte auch er wohl dem Bruder in das Gesicht geschaut und allerlei entdeckt haben; er sprang auf und rief: »Otto, was ist's mit euch?«

»An Elisabeths Grab haben wir uns gefunden«, sagte der Graf bewegt und zog sein Weib innig an sich. »Nun wollen wir uns nimmer verlieren; nun bleiben wir beisammen, eins in Freud und Leid, – Walter, die Heiligen ließen uns das Glück finden, und nun – nun kannst du uns Segen wünschen!«

Schon ehe er aufhörte zu reden, hing Ursula lachend und weinend an der Schwester Hals und jubelte unter Tränen: »Oda, Oda, wie bin ich froh, daß du endlich glücklich bist.«

Walter aber hatte des Bruders beide Hände ergriffen, schaute ihn an und sprach kein Wort; aber in den blauen, leuchtenden Augen sah ich es seltsam glänzen! Hätt' den raschen, stürmischen Mann fast nicht solcher tiefen Bewegung fähig gehalten! Plötzlich ließ er den Bruder los, nahm Odas Hand und rief: »Base Sonnenstrahl, laßt Eure Schwester nunmehr einmal mir, maßen ich ihr sagen möchte: Gottwillkommen als Burgherrin, herzliebe Schwägerin; wie freut es mich, daß mein Bruder solch traut Gemahl sein eigen nennen kann! Möge die heilige Jungfrau Euch segnen und Euer Glück schützen und mehren.«

Dabei drückte er ihr ohne weiteres einen Kuß auf die reine Stirn.

Ich aber gedachte des stillen Hügels dort unten, gedachte derer, die noch auf dem Totenbett Sorge trug um des Bruders und der Schwägerin Glück, und mein Herz zog sich in bitterem Weh zusammen. Ach, so sie hätte diese Stunde erleben dürfen! Übervoll war meine Seele; ich trat auf die Glücklichen zu, fügte ihre Hände zusammen und hab' ein laut und innig Gebet zu unserem Herrn emporgesandt für sie beide und für Rötteln.

Das war eine gar bewegte Stunde! Dann aber hat Walter von dem besten Wein bringen lassen; bis an den Rand wurden die Pokale gefüllt, und lange noch saßen wir beieinander. So frohe Gesichter, als an dem Abend, hat man hier oben schon seit Monden nicht gesehen. Allmächtiger, erhalte du dieses Glück! Wache du schirmend über diesen beiden, wache über Rötteln!

Solches geschah vorgestern an dem düstern Regen- und Nebeltage; gestern und heute strahlte die Sonne wieder hernieder, und neu belebt schaute die Natur zu ihr empor.

Wie schön ist die Welt hier, wie wonnig schön!

Ich stand oben auf dem Söller und schaute in das Land, mit bläulichem Duft übergossen waren die Schwarzwaldberge; weiß hoben sich scharf am blauen Himmel der Alpen schneebedeckte Häupter ab; im Westen sah man in matten Umrissen den Wasgenwald. Da wollt' es mir fast schwer werden, von hier zu scheiden, von dem Ort, da ich des Lebens tiefstes Leid erfahren mußte, aber es war nur einen Augenblick; dann freute ich mich, daß ich heim durfte zu unseres Klosters Frieden.

Gestern am Morgen kam der Bote zurück, den ich gen Einsiedeln gesandt mit der Meldung, ich möchte heim; er brachte mir des würdigen Abtes Gruß und den Bescheid: weltmüden Kindern sei das Kloster stets offen, ich solle kommen, sie warten meiner.

So hab' ich denn gestern schon Abschied genommen von den Stätten, so mir lieb und wert waren. Ich war am Nachmittag noch einmal zum Chrischonaberg. Hab' lang dort in der nun einsamen Einsiedlerhütte gesessen, die die Leute im Dorf instand halten, falls wieder ein frommer Bruder des Wegs daherkommt, bin zum Grab Antonius' gegangen und hab' auch dort lang gesessen und der Vergangenheit gedacht. Zuletzt war ich in der Kapelle zu beten. Was wird aus dir, du schlicht Kirchlein, werden in der Zukunft? Also dacht' ich wehmütig, da ich vom Berge die Landstraße hinabstieg und mich noch einmal umwandte, eh denn bei der Biegung des Weges das Kirchlein meinen Blicken entschwand. Viel Segen ging von dort aus, da Antonius lebte, – möcht' es in der Zukunft noch mehr geschehen!

Heut am Spätnachmittag war ich an Elisabeths Grab; ach, das war der schwerste Abschied! Die ganze Zeit hier oben, die ich mit ihr verleben durfte, zog an meinem Geist vorüber. Wieder sah ich meine Waldblume in ihrer holden, lichten Schönheit vor mir, und sah die seelenvollen Augen im Tode brechen, – – da hab' ich die gefalteten Hände auf die Brust gepreßt, weil ich meinte, das Herz müsse mir schier springen vor Weh, und hab' zu Gott gefleht: »Erbarm' dich meiner, die Last ist zu schwer!« Je länger sie hier ruht, je mehr vermisse ich sie!

»Schlaf wohl, Elisabeth, meine Waldblume, ruhe im Frieden Gottes, und der Herr lasse sein ewig Licht über dir leuchten«, also sprach ich noch leise und strich liebkosend über das Gras des Hügels; dann bin ich gegangen.

Morgen in der Frühe zieh' ich fort; jetzt ist es bald Mitternacht. Die letzten Stunden hier oben will ich im Gebet zubringen. Röttelns Geschick wird mir stets, auch in des Klosters Frieden, ein Gegenstand meiner Fürbitte bleiben. Du aber, mein Gott, halte deine Augen offen über alle hier oben und laß uns alle deiner Gnade befohlen sein!


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