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Zwölftes Kapitel

Die Zeit verstrich.

Auf Rötteln hatte man alle Hände voll zu tun mit Vorbereitungen für Elisabeths Vermählung. Es war beschlossen, daß die Hochzeit in der Mitte des August stattfinden sollte, kurz bevor der lange Waffenstillstand beendet war. So hatte es Wolf von Wartenberg gewünscht, und Elisabeth fand nichts dagegen einzuwenden.

Wenige Tage nach der Hochzeit wollte er dann mit seinen Mannen zum Heere des Bischofs unter des Homburgers Oberbefehl stoßen, natürlich nicht, ohne genügend starke Besatzung auf dem Wartenberg zu lassen, die Burg und sein Gemahl zu schützen.

»Nur noch acht Tage, dann ziehest du fort«, sagte Odalsinde eines Morgens zu ihrer Schwägerin. »Mir bangt vor der Trennung.«

»Der Wartenberg und Rötteln sind nicht gar so weit voneinander«, entgegnete Elisabeth tröstend. »Wir werden uns des öfteren sehen, Oda. Auch bleibt dein bester Freund hier, und es gereicht mir zur besonderen Freude, daß ich dir den Weg zu ihm weisen konnte. Du wirst es nun mehr und mehr erfassen, daß wir zu dem Allmächtigen persönlich nahen dürfen und er unserer Seele Frieden schenkt.«

»Ich danke dir, daß du mir den Weg zeigtest.«

Sie waren beschäftigt, Linnen zusammenzulegen, und setzten ihre Arbeit fort, ohne zu reden. Elisabeths Antlitz trug den Stempel völliger Ruhe; sie wußte, was Gott in seinen Händen hat, wird gut auf jeden Fall. Auch an diesem Morgen war ihr diese Gewißheit zu einer Quelle der Freude geworden; fast lag ein Zug der Heiterkeit auf ihren Zügen, und mit freundlichem Wort scherzte sie mit ihrem weißen Kätzchen.

Oda schaute sie verwundert an, sagte aber nichts.

Es war drückend heiß an diesem Tage. Schon seit vierzehn Tagen leuchtete die Sonne von einem wolkenlosen Himmel hernieder. Welk und schlaff hingen die Blätter an den Bäumen herab, vom Staub der Wege grau bedeckt; die Vöglein zwitscherten nicht so munter wie sonst, und träge schlich die Wiese im Tal dahin.

»Ich kann fast nimmer«, sagte Oda gegen den Mittag und sank aufseufzend in einen Stuhl, »die Hitze ist schier unerträglich.«

»So mach' mit mir einen Ritt in das Tal hinab«, schlug Elisabeth vor, aber die Burgherrin hob abwehrend beide Hände. »Bei dieser Glut, und vergissest du, was ich noch zu schaffen habe für das Fest?«

Elisabeth schwieg, aber der Gedanke an einen Ritt blieb in ihr haften. Schon wollte sie nach der Mittagstafel ihren Bruder Lutold auffordern, sie zu begleiten; da sah sie, wie er mit Ursula in den Burggarten hinabging, und nun mochte sie seine Freude nicht stören.

Plötzlich fiel ihr Auge auf den Pater, der eben hinausschritt, – – eine ungestüme Sehnsucht erfaßte sie, nur einmal noch mit ihm allein einen Ritt zu machen – – sie überlegte auch nicht, sie dachte nicht weiter, – sie rief ihn, und er trat zu ihr.

»Reitet mit mir gen Schopfheim!«

Er wurde blaß und senkte das Haupt. »Es tut nicht gut«, wollte er sagen; aber er sprach es nicht aus, sondern fragte nur mit eigentümlicher Betonung: »Befehlet Ihr, Herrin?« ... »Ich befehle«, sprach sie schnell.

»Wann?«

»Sogleich! In einer halben Stunde bin ich fertig.«

Er nickte und ging; auch sie eilte hinauf in ihr Gemach.

Mit fieberhafter Eile kleidete sie sich um und stand schon vor der festgesetzten Zeit im Hofe. Bald nach ihr kam auch Rubertus. Sie gingen zusammen hinunter in den Zwinger, wo ein Knappe die Pferde bereithielt.

»Tut's gern, Herr Pater«, bat Elisabeth, als sie sah, wie langsam er zu Pferde stieg.

Er wendete das Gesicht ein wenig zur Seite. »Ich begleite Euch gern, Herrin!«

Lächerlich auch wär's gewesen, wenn er ihr hätt' sagen wollen, wie ihn eine unerklärliche Angst beim Gedanken an den Ritt gefaßt hatte, wie er sie noch jetzt viel lieber vom Pferde gehoben und sie beschworen hätte, daheim zu bleiben ... wie sollte er das begründen? So schwieg er, und in raschem Trab ritten sie dahin, den Burgweg hinab zum Tal.

Über und über waren die Tiere mit Schweiß bedeckt, als sie nach anderthalbstündigem Ritt in Schopfheim anlangten.

»Wir müssen eine längere Pause machen und können nicht allsogleich umkehren«, sagte Elisabeth, »die Tiere müssen ruhen.« Sie übergaben sie dem Knechte eines großen Wirtshauses, das dicht am Wege stand, und nahmen unter einer großen Linde Platz.

Wenig hatten sie unterwegs geredet; auch jetzt wollte kein rechtes Gespräch in Gang kommen, bis Rubertus den Bann gewaltsam brach und von Einsiedeln allerlei zu berichten begann. Da lauschte sie gespannt, und schnell war eine Stunde verflogen.

»Ich will nach den Tieren sehen«, sprach er aufstehend und blickte dabei nach dem Himmel, weil der helle Sonnenschein verschwunden war.

»Herrin, wir müssen heimwärts«, sagte er schnell, »und das eilends. Ein Wetter ziehet herauf.«

Nun sah auch sie, wie sich eine weiße Dunstschicht vor die Sonne gelegt hatte; geballte Wolken standen zu Hauf, und der Horizont hatte, soweit sie sehen konnte, eine schwarzgraue Färbung angenommen.

»Endlich scheinet der ersehnte Regen kommen zu wollen«, sprach sie, »doch es wär' nicht allzu angenehm, so er und überraschte. Laßt uns eilen.«

»Nun denn, in Gottes Namen, aber schnell«, erwiderte der Pater.

Rasch wurden die Pferde vorgeführt, und in scharfem Trabe ging's den Weg dahin. Aber noch hatten sie kaum die Hälfte zurückgelegt, da brauste ein Sturmwind daher, dem beängstigende Stille folgte, die nur das dumpfe Rollen des Donners unterbrach. Schwer hingen die Wolken über ihnen, von zuckenden Blitzen zerteilt und die Pferde jagten dahin, als ahnten sie eine drohende Gefahr.

Jetzt brach das Gewitter mit voller Gewalt los. Unaufhörlich flammten die Blitze, krachende Schläge folgten; der Sturm raste, und schwere Tropfen fielen.

Die Pferde bäumten sich hoch bei jedem neuen Blitz, um dann fast dahinzufliegen. Der Pater hatte mit raschem Griff Elisabeths Hand, die die Zügel hielt, gefaßt, um über das Tier, das sie kaum noch bändigen konnte, die Macht zu behalten.

»Herr Gott, wir sind in deiner Hand«, sprach er leise bei dem immer stärker werdenden Toben der Elemente.

Da trat plötzlich eine furchtbare Stille ein, der Sturm verstummte, der Regen hörte auf – links am Wege tauchten die Häuser von Bromberg auf; sie bogen rechts in den Wald ... noch wenige Minuten, und Rötteln war von dieser Seite erreicht, sie waren geborgen!

Schon wollte Rubertus aufatmen, – da – ein Flammenmeer – ein Schlag, daß die Erde bebte – ein Splittern und Krachen – kerzengerade bäumte sich sein Tier – zugleich fühlte er einen scharfen Ruck an seiner Hand – betäubt und geblendet mußte er sekundenlang die Augen schließen.

Dabei prasselte der Regen nieder, und mit neuer Gewalt heulte der Sturm durch den Wald.

Gewaltsam öffnete der Pater die Augen – – um mit einem entsetzten Schrei zur Erde zu springen, – die Stelle neben ihm war leer!

Er blickte umher; da sah er rechts am Wege, hart an ihm, eine vom Blitz getroffene, völlig zersplitterte Eiche; die Krone war auf den Weg geschleudert, – und links im nassen Grase unter einem Baum lag eine regungslose Gestalt.

Dem Pater wollte das Blut erstarren; mit einem Sprung war er dort und kniete neben Elisabeth. Der Hut war ihr vom Kopfe geflogen, totenblaß war das Antlitz; aus einer tiefen Wunde am Haupt sickerte Blut heraus und färbte die blonden Haare rot.

Wie Fieberfrost schüttelte ihn die Angst; aber er preßte die Lippen aufeinander ... jetzt galt es, Herr seiner selbst zu bleiben, denn hier tat eilende Hilfe not!

Behutsam hob er sie auf und trug sie zu seinem Roß, das zitternd mit gesenktem Kopf dastand ... von dem anderen Tier war nichts zu sehen. Er schlang die Zügel um einen Baum, nahm die bewußtlose Gestalt in seine Arme und trug sie die wenigen Schritte zum Burgtor hinauf.

»Rasch nach Basel zum Arzt«, rief er im Vorbeigehen dem entsetzten Torwächter zu, und noch bevor er mit seiner teuren Last zur Oberburg kam, jagte unten ein Knappe mit zwei tüchtigen Pferden der Stadt zu.

Inzwischen hatte das Gewitter nachgelassen, es schien, als wäre seine Gewalt mit diesem entsetzlichen Schlage gebrochen; nur der Regen fiel noch gleichmäßig hernieder; ferner und ferner rollte der Donner.

Rubertus achtete es nicht, daß das Wasser ihm aus dem Gewand floß ... ihn beherrschte nur ein Gedanke: Hilfe! Gerade als er auf den oberen Burghof kam, trat Walter aus dem Herrenhause, hinter ihm Odalsinde, die besorgt um Elisabeth und Rubertus auf den Söller steigen wollte, um nach ihnen auszuspähen.

Mit weitgeöffneten Augen starrte sie auf den Mann und seine Last; auch Walter war zuerst wie versteinert, dann aber war er mit einem Schritt beim Pater und nahm dem völlig Erschöpften Elisabeth ab. Jetzt raffte sich auch Odalsinde auf und flog hinauf, ein Lager zu rüsten. Wenige Minuten später lag Elisabeth in ihrem Gemach; mit zitternder Hand suchte Odalsinde das noch immer rinnende Blut zu stillen und aus den Haaren zu entfernen, und stumm und still umstanden die anderen das Lager. Zu jäh war dieser neue Schlag über sie gekommen und hatte sie bis ins Innerste erschüttert.

Der Pater saß in einem Lehnstuhl und sprach nichts, gab keine Antwort, als Lutold ihn leise fragte, wie es geschehen; er sah nur eins ... das todesbleiche Gesicht.

So verrann eine lange, bange Stunde. Elisabeth hatte die Augen noch nicht aufgeschlagen; kaum merklich ging der Atem. Totenstille herrschte ringsum, ... keinen Laut hörte man, als hin und wieder ein leises Flüstern der Geschwister.

Auf den Höfen standen in Gruppen die Mägde und Knechte, Pagen und Knappen beisammen; alle Arbeit ruhte; die Kunde von dem Geschehenen hatte ihre Herzen aufs tiefste erregt. Aller Gedanken weilten oben in dem stillen Gemach, und manche Träne floß aus Sorge um das Leben der geliebten jungen Herrin.

Endlich kam der Arzt.

Mit bebender Angst hingen besonders Odalsindes Blicke an ihm, wie er wieder und wieder Elisabeth untersuchte. Immer ernster wurde sein Gesicht – – endlich wandte er sich zu Otto, der gleich den anderen atemlos auf seinen Ausspruch wartete.

»Soll ich Euch die Wahrheit sagen, edler Graf?«

»Die volle«, antwortete Otto schnell mit gepreßter Stimme.

Da sprach er zögernd: »Der Fall war zu hart; die Wunde ist zu tief, und – es wird mir schwer, so Bitteres zu sagen – die Gräfin wird nur noch bis zum Morgen leben.«

Tiefes Schweigen folgte diesen inhaltsschweren Worten.

Otto schlang schnell den Arm um seine wankende Gemahlin, Walter ballte die Hand und biß die Zähne aufeinander, Lutold beugte sich zu der leise schluchzenden Ursula, und doch rannen ihm selbst Tränen des bittersten Schmerzes über die Wangen.

Mit eisernem Griff faßte Walter des Arztes Rechte. »Verlanget, was Ihr wollt, alles sollt Ihr haben, nur wendet Eure ganze Kunst an, rettet das Leben meiner Schwester!«

»Meine Kunst ist hier zu Ende«, entgegnete der Mann, traurig den Kopf schüttelnd, »ich kann nichts mehr tun.«

Er entfernte sich, nachdem er noch einmal den Verband erneuert und die Bereitung eines Tränkleins verordnet hatte.

Stunde auf Stunde verrann – die Nacht brach an.

Sturm und Regen hatte aufgehört; hell strahlte der Mond hernieder auf die neubelebte Erde.

In Elisabeths Gemach zitterte der Schein einiger Kerzen; mehrmals hatte Odalsinde sich über das Mädchen gebeugt, noch immer ging leise der Atem. Plötzlich schlug sie die Augen auf; halb erstaunt ging ihr Blick von einem zum andern. Wie suchend schaute sie noch einmal umher. Das sah der Pater und trat an ihr Lager – »Elisabeth«, sprach er mit weicher Stimme, sich über sie beugend.

Ein glückliches Lächeln flog über das liebliche Gesicht; leise flüsterte sie: »O Pater Rubertus, Ihr seid unverletzt? und hier? – bleibet hier – bei mir – wollt Ihr?«

»Gewiß, Elisabeth, ich bleibe. Leidet Ihr sehr?«

»Nein«, sprach sie, »nur müde bin ich, sehr, sehr müde. Wißt Ihr, wie alles geschah?«

»Nein, Elisabeth«, erwiderte er, »ich weiß nur, daß es entsetzlich war.«

Sie winkte Oda näher und sprach leise: »Pater Rubertus hielt mein Pferd, dieweil ich schon fast die Gewalt darüber verloren hatte. Da kam der Blitz und Schlag, ich sah den Baum stürzen, fühlte, wie mein Tier zur Seite sprang und mich abschleuderte, – weiter weiß ich nichts mehr.«

Sie schwieg erschöpft; Odalsinde gab ihr etwas Wein; nach einigen Minuten fuhr sie fort: »Ich weiß, daß ich nicht mehr viel Zeit habe; ich fühle es. Sagt meinem Verlobten einen Abschiedsgruß! Ich wollte durch das Wort, so ich ihm gab, viel Blutvergießen hindern, ... ich hoffe, mein Opfer hat genützt, wenngleich ich es nicht ganz vollbringen kann. Rubertus, wisset Ihr noch, wie Ihr mir sagtet, so Gott mein Opfer nicht wollte, hätte er Wege genug, es zu hindern? Jetzt hat er es gehindert, anders zwar, denn wir damals wohl dachten, – aber doch gut.«

»Für Euch gut, Elisabeth. Ihr gehet in die ewige Freude; uns bleibt das Leid«, murmelte Rubertus tonlos.

Odalsinde aber lehnte den Kopf an die Kissen und sprach mit erstickter Stimme: »Mit dir nimmt mir der Allmächtige alles, was ich hier noch hatte, – warum, o warum das?«

»Sprich nicht so, Oda«, bat Elisabeth, »dein treuester Freund und Helfer bleibt dir, und dann, – – o ich weiß gewiß, der Höchste hat noch ein großes, großes Glück für dich, – – solches ist meine Freude.«

Sie versuchte, über der Gräfin tränenüberströmte Wange zu streichen, aber kraftlos sank die Hand zurück; lange war es wieder still in dem Gemach, dann sprach Elisabeth von neuem: »Willst du mir etwas kaltes Wasser holen, Oda?«

Als die Burgherrin hinausgegangen war, winkte sie Otto näher zu sich. Er beugte sich tief herab, um ihre leisen Worte zu vernehmen.

»Hassest du dein Weib?«

Er zuckte zusammen ... die Frage kam zu plötzlich! »Guter Gott, nein«, sagte er verwirrt.

»So versuche, sie zu lieben«, bat sie. »Oda hat ein liebebedürftig Herz, sie ist eine Perle, sie verdient, glücklich zu werden – und möchte glücklich machen, mehr darf ich nicht sagen, – – willst du meiner Worte gedenken, wenn ich nicht mehr bin, Otto?«

Da drückte er einen langen Kuß auf ihre Hand, und seine Stimme bebte, als er antwortete: »Elisabeth, du lässest mich einen Blick in eine glückliche Zukunft tun; o, daß ich es dir nicht mehr danken kann, wie ich möchte! Deine Worte will ich nie vergessen, – – Oda soll glücklich werden.«

In dem Augenblick trat die Gräfin mit dem Wasser ein, und dankbar nahm Elisabeth den erfrischenden Trunk. Danach bat sie um die letzte Ölung. Dem Pater bebte die Hand; seine Stimme versagte ihm immer wieder, aber er brachte die heilige Handlung zu Ende. Dann blieb er neben dem Lager sitzen.

»Rubertus«, sprach sie nach langer Pause, »wißt Ihr, wie Ihr mir einstmals sagtet, was Gott in seinen Händen hat, wird gut auf jeden Fall? Sehet, das Wort hat mich oft getröstet, aber nunmehr habe ich es erst recht erfahren, ja, er hat es gut mit mir gemacht.«

»Gehet Ihr im Frieden heim?« fragte er.

»Ganz im Frieden, auf das Verdienst meines hochgelobten Erlösers«, antwortete sie mit seligem Lächeln.

Stunde um Stunde verstrich; schon färbte sich der Himmel im Osten purpurrot. Der erste Sonnenstrahl fiel in das Gemach. Da richtete sich Elisabeth plötzlich mit der letzten Kraft auf: »Stützt mich«, bat sie.

Rasch schoben der Pater und Oda die Arme hinter sie – liebevoll ließ sie die Blicke von einem zum anderen gleiten – ihr Haupt sank müde an Rubertus' Schulter – noch einmal blickte sie ihn an, und die klaren, blauen Augen schlossen sich für immer.

bild: Franz Stassen


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