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Der Herbst war gekommen und mit ihm das Ende des Waffenstillstandes. Hellauf war die Kriegsfackel gelodert; nun brannte sie fort in leuchtendem Feuer, ihr Schein fiel weit durch die Lande, Angst und Schrecken verbreitend.
Bischof Heinrich von Basel lag mit einem Heer vor der Stadt Mühlhausen im Breisgau, in Gemeinschaft mit dem Bischof von Straßburg, der sein Freund und Bundesgenosse geworden war. Dieses Bündnis und der Zug gegen die Stadt Mühlhausen, die habsburgisch Eigentum, war ein arger Strich gegen Rudolfs Rechnung gewesen, so daß er schleunigst den Befehlshabern seiner Scharen Boten sandte mit anderen Weisungen als den zuerst erteilten. Er berief die Herren nach Säckingen zum Hauptlager und unternahm sofort einen Einfall ins Münstertal bei Basel, dem Bischof damit auf seine Belagerung Mühlhausens antwortend.
Sechs Tage hatte diese gedauert; nun kam die Kunde von Rudolfs plötzlichem Erscheinen zu Heinrich; rasch zog er mit den Seinen von Mühlhausen fort, seiner Stadt zu Hilfe, und kam an, als Rudolf einige Dörfer sowie das Kloster im Münstertal eingeäschert hatte und mit reicher Beute abgezogen war. Wütend ballte er die Faust hinter dem schlauen Grafen, als er sah, er kam zu spät; aber der Graf hatte seinen Zweck erreicht, ihn von Mühlhausen fortzulocken.
Nachdem er nun Herrn Heinrich von dort entfernt wußte, nahm er seinen ursprünglichen Plan wieder auf und zog mit den Rittern vom Stern vor die Burg Tüfenstein. Mit dieser Kunde zugleich erhielt Heinrich die Nachricht, daß der Graf von Wartenberg sich in seiner Burg verschanzt habe und nicht daran dächte, mit seinen Mannen zu Herrn Udo von der Homburg zu stoßen.
Einem Boten desselben hatte er finster geantwortet: »Was schert mich Bischof oder Graf! Ich will weder dem Hochmut des einen noch des anderen zu Diensten sein. Sagt das Eurem Herrn, dem Homburger. Sagt ihm auch, ich tät' ihm kund, ich säß' allhier sicher und gut, und so sich jemand, ob bischöflich oder habsburgisch, zum Besuch hier einstellen tät', dem würd' ich eine Suppe kochen, so ihm übel bekömmlich wäre. Meine Mannen zielten gut und hätten scharfe Augen.«
»Ich will dir's eintränken, du Geselle«, murmelte der geistliche Herr grimmig, und Walter, der just bei ihm war, drückte ihm verständnisinnig die Hand: »Ich auch, Herr Ohm, ich auch!«
Um die Burg Tüfenstein ging es indessen heiß her.
Nach tapferem Widerstand endlich gelang es dem Belagerer, einen Feuerbrand in eine Scheune zu werfen, die in wenigen Minuten in Flammen stand. Auch auf etliche Stallgebäude trug der Wind die Flammen, und die unter der Besatzung herrschende Eile, des Feuers Herr zu werden, die Verwirrung, die entstand, als sie es nicht bewältigen konnten, benutzten die Habsburgischen. Sie erstiegen die Mauern, neue Brände werfend, und waren bald Herren der Burg. Nur wenige der Besatzung entrannen durch schnelle Flucht. Als Rudolf mit den Seinen zwei Tage später abzog, ragten nur noch rauchgeschwärzte Mauern empor, wo das feste Schloß gestanden hatte.
Es war inzwischen Ende November geworden, und Rudolf zog nach Säckingen ins Winterquartier.
Der Bischof setzte sich in Basel fest, gebot doch die Jahreszeit von selbst Waffenstillstand.
Der Morgen des heiligen Weihnachtsabends brach an.
Odalsinde mit Ursula, Gundula, der Schaffnerin, und den beiden Gürtelmägden schafften eifrig in den Zimmern des Herrenhauses; galt es doch, alles doppelt schön bereiten, da Lutold für die Festtage nach der Heimat kam. Am Nachmittag wurde er erwartet; jetzt am Vormittag waren Otto und Walter in den Wald geritten, noch allerlei Gutes für die Küche zu schießen; dann nach der Mittagstafel wollten sie ihm entgegenreiten.
In dem großen Saal sah es einladend und gemütlich aus; schöne Tannenzweige schmückten die Wände und verbreiteten einen harzigen Duft in dem Raum; in großen Töpfen stand Buchsbaum in den Ecken; Tannenzweige und Efeuranken zierten auch die Tafel in der Mitte, die mit allerlei Überraschungen für die Hausbewohner bedeckt war, und in dem großen Kamin prasselte ein lustiges Feuer. Alles war wohlgeordnet; Odalsinde entließ die Mägde und schaute mit zufriedenem Blick über das Ganze hin.
Ihr dunkles Gewand, das in schweren Falten ausfiel, ließ ihre Gestalt königlich erscheinen; stolz trug sie den Kopf noch immer; aber eine zarte Röte färbte die früher so bleichen Wangen; ihre dunklen Augen strahlten, ein glücklicher Ausdruck lag auf dem schönen Gesicht.
Ursula saß in einer Fensternische, hatte die Hände über dem Knie verschlungen und sah bewundernd ihre Schwester an. Ein schelmisches Lächeln huschte über ihr Antlitz, als sie sah, wie Odalsinde überall noch ein wenig zu ändern fand.
Sie rief ihr endlich lachend zu: »Laß sein, Oda, 's ist wirklich alles gut und schön so und nicht vonnöten, daß du noch mehr Mühe verwendest; Otto ist gewißlich schon jetzt, so er alles sieht, entzückt, solches kann ich dir versichern; und das ist die Hauptsache, denn für ihn allein schmückst du ja alles!«
Sie schüttelte ihre langen, blonden Locken zurück, die ein blaues Band hielt, hob die weiße Burgkatze, die einst Elisabeths Liebling gewesen und dann von Ursula als Eigentum beansprucht worden war, auf den Schoß und spielte mit dem behaglich schnurrenden Tierchen.
»Gelt, du«, plauderte sie, »ich will dir ein rotes Band mit einem Glöckchen um den Hals schlingen und dich putzen, also, daß die übrigen Katzen unten im Zwinger, mit denen diese Burg so reich gesegnet ist, vor Neid bersten sollen, und sämtliche Katerjünglinge, so hier vorhanden sind, dir zur Nachtzeit ihre schönsten Lieder vorsingen.«
»Loser Vogel«, neckte Oda, die zu ihr getreten war, und zog sie an den Locken, »was ist's, das dich heute so heiter macht? Wohl gar die Heimkehr unseres Lutold, dem der Oheim einen so ehrenvollen Posten gegeben?«
Forschend ruhten ihre Augen dabei auf der Schwester.
»Sicherlich freuen wir uns auf ihn, Kätzchen«, erwiderte sie unbefangen, setzte das Tierchen wieder auf den Boden, zog Oda neben sich auf den Sitz und sprach: »Es ist mir nicht so zum Scherzen zumute, als es scheinen mag, Oda. Mich bewegt ein Gedanke schon lange Zeit, und heute will ich ihn dir sagen.«
»Nun?« fragte Oda.
»Ich glaube, ich muß heim gen Sausenhardt, solange schon bin ich fort«, sagte leise die junge Gräfin und senkte das Haupt.
»Warum solches«, rief Oda erstaunt, »woher kommt dir solcher Gedanke, Ursula! Sehnst du dich vielleicht heim?«
Heftig schüttelte Ursula den Kopf: »Was sollt' mich dort hinziehen«, fragte sie. »Vom Vater sehe ich fast nichts; seit der Mutter Tod sitzt er entweder allein in seinen Gemächern, oder er ist auf der Jagd, du weißt es ja; und die grämliche Muhme ist auch nimmer meine Liebe. Heinrich aber ist noch ein Kind von sieben Jahren, und so er nur noch um weniges älter wird, kommt er fort zu Pagendiensten. Doch solches weißt du ja alles, – wie sollt ich mich denn heimsehnen?«
»Nun denn, um der Heiligen willen, warum willst du fort?« rief Oda, die Hände zusammenschlagend, »gefällt es dir hier nimmer?«
»Ob es mir gefällt«, antwortete Ursula mit zuckenden Lippen, »ich glaub', ich werd' krank vor Sehnsucht, so ich gehe, – und doch, ich bin schon zu lange zu Gast hier.«
»Das ist's, sprach die Burgherrin, »über solches machst du dir Gedanken. Töricht Kind, du sollst hier nicht zu Gaste sein; du hast dein Heim hier bei mir. Ich sagte dir solches schon, da wir hier einzogen. Ob du aber dem Burgherrn selbst, unserm Walter, zuviel wirst, will ich gleich heute erkunden.«
Über Ursulas Antlitz rollten Tränen.
»Spare sie dir«, sagte Oda gutmütig und wischte sie ihr ab, »sie sind nicht vonnöten! Geh jetzt, wasche deine Augen und kleide dich um; ich höre Rossegewieher, Otto und Walter sind wohl heimgekommen. In einer halben Stunde ist die Mittagstafel.« Sie küßte Ursula herzlich und ging mit ihr zusammen hinaus, ihrem Gemahl entgegen.
Nach der Mahlzeit, bei der nur Otto von ihren Jagderlebnissen erzählt hatte, vertrat Walter Ursula rasch den Weg, als sie hinaus wollte. Er nahm ihre Hand und führte sie zum Fenster.
»Sonnenstrahlen sind zur Winterzeit etwas Rares«, sprach er. »So man sie haben will, soll man ihrer wahrnehmen und sie sich nicht entschlüpfen lassen. Rötteln aber braucht besonders viel Sonnenstrahlen, Ursula.«
Sie antwortete nicht; sie senkte das Köpfchen, flammendes Rot färbte ihr Gesicht bis unter die Haarwurzeln.
»Oda hat mir Eure Gedanken gesagt«, sprach Walter weiter, »ich lasse Euch aber nimmer fort, es sei denn, Ihr wolltet und es gefiele Euch hier nicht mehr.«
»Bin ich nicht zu lange schon ein Gast?« fragte sie zaghaft.
»Dummes Zeug«, entgegnete er kurz, »Ihr seid kein Gast, sondern Hausgenosse mit Odalsinde und uns. Solange Odalsinde hier weilet, ist auch Raum für Euch da. Und so einmal ein Feind kommt, ist für Mittel und Wege gesorgt, euch beide in Sicherheit zu bringen, – solches sollt Ihr wissen für den Fall, daß Euch bange ist.«
»An solches dachte ich nimmer«, sprach sie rasch, »ich fürchte mich nicht, solange Ihr hier seid.«
Stürmisch preßte er ihre Hände zusammen: »Ursula, die Worte will ich nimmer vergessen! Und nun, wollt Ihr noch fort?«
»Nein«, sagte sie bestimmt.
Da ließ er ihre Hände los und ging.
Bald nachher ritten die Brüder zum Tor hinaus, Lutold entgegen. Oda und Ursula saßen im Wohngemach am Fenster und hingen ihren Gedanken nach.
Draußen hatte es aufgehört zu schneien; Oda ließ die Blicke träumerisch über die Landschaft gleiten, die friedlich im Scheine der hereinbrechenden Dämmerung lag. Wie ein dichtes weißes Tuch deckte der Schnee die Felder und Fluren; schwer bogen sich die Äste der Bäume unter seiner Last, kein Zweiglein war, das nicht eine kleine weiße Hülle trug, und über die Wiese breitete sich eine starre Eisdecke, die die munteren Fluten gefangen hielt. Bleigrau hingen die Wolken am Himmel; totenstill war es überall; nur zuweilen tönte aus dem unteren Burghof Hundegebell.
»So still, ruhig und schön«, brach Ursula plötzlich das Schweigen, »aber wieviel schöner wär's, wenn Elisabeth und der Pater noch hier wären.«
»Auch ich dachte soeben an unsere Schwester«, sagte wehmütig Odalsinde, »wie sehne ich mich oft nach ihr!«
»Laß uns zu ihr gehen«, bat Ursula, »die Grafen sind erst in einer Stunde hier, bis dahin sind wir daheim.«
Bald waren sie auf dem Wege, gefolgt von Gieselbert, dem Knappen, der einen großen Korb voll Tannenzweige und Efeu trug; rasch säuberten sie Elisabeths und Edelgundis' Hügel mit Gieselberts Hilfe vom Schnee, und bald prangten sie in dem frischen, grünen Schmuck. Nach einem Ave Maria, das Ursula halblaut gesprochen, kehrten sie heim und kamen gerade zur rechten Zeit, die drei Brüder zu begrüßen.
»Wo warst du?« fragte Otto seine Gemahlin.
»Wir waren beide an den Gräbern und schmückten sie zum Christfest«, entgegnet sie. Er legte den Arm um sie und schritt mit ihr, den anderen voraus, der Oberburg zu.
Staunend sah ihnen Lutold nach, da nahm Walter, der belustigt seinen verblüfften Gesichtsausdruck gesehen hatte, ihn auf die Seite und erklärte ihm in seiner Weise: »Sie lieben sich! Solches ist zwar nun zwischen Eheleuten nicht so etwas Absonderliches, bei diesen beiden aber doch. Hab' früher gemeint, Odalsinde besäße kein Herz; hab' aber nunmehr hinreichend eingesehen, daß sie doch eins hat, und nun dazu ein weiches, warmes. An Elisabeths Grab fanden sie sich«, fügte er bewegt hinzu, »mögen die lieben Heiligen das Glück beschützen und erhalten, so nun wieder hier oben erblühet ist.«
»Habt ihr einen neuen Kaplan?« fragte Lutold.
»Vorläufig ja, aber ich behalt' ihn nicht«, antwortete Walter. »Bernhard heißt er; der Ohm hat ihn geschickt, er ist ein Barfüßler von Basel. Ich will aber später wieder einen von Einsiedeln haben.«
In der fünften Stunde versammelten sich alle Burgbewohner in der Kapelle, wo Pater Bernhard eine Christmesse hielt. Hierauf teilte Odalsinde als Burgfrau im Rittersaale alle Gaben aus. Ein festlich Mahl vereinte sämtliche Einwohner, die Knappen, Pagen, Knechte und Mägde mit ihren Herren zusammen in der Knappenhalle im Burgzwinger; so war es althergebrachte Sitte auf Rötteln.
Später trieben die Leute im Hofe unten allerlei Kurzweil und Scherz, während oben im großen Saale die Familie gemütlich beisammen war. Auch Pater Bernhard war unter ihnen; so sehr sich aber auch Lutold mühte, ein Gespräch mit ihm zu führen, er mußte es doch endlich aufgeben; es scheiterte an der Wortkargheit des Mönches, der nichts reden wollte, oder nichts zu reden wußte.
Während Lutold sich noch mit dem Pater beschäftigte, war Ursula still an ein Fenster getreten und schaute bewundernd hinaus. Der Mond hatte die dicken Wolken durchbrochen; hell ruhte sein Schein über der Winterlandschaft. Es funkelte und blitzte in seinem Lichte wie Tausende von Diamanten auf der weißen Schneedecke. Zauberhaft schön war die Natur; Ursula konnte sich nicht satt sehen. Leise war jemand neben sie getreten; sie glaubte, es sei Lutold, und sagte aufatmend: »Ist es nicht heute abend wunderschön?«
»Ja, hier liegt eine Welt voller Pracht«, antwortete Walter, bei dessen Stimme sie leicht zusammenschreckte; er merkte es diesmal nicht und sprach weiter: »Doch die Pracht ist kalt, eisig kalt, und ich – liebe Sonnenstrahlen, die alles belebenden, erwärmenden!«
Sie antwortete nicht; es trat eine kleine Pause ein.
Er beugte sich ein wenig vor und fragte leise: »Ursula, ich möchte auch gern eine Gabe zum heiligen Christfest haben. Darf ich Euch um etwas bitten?«
Sie nickte.
»Gebt mir das blaue Band, so Eure Locken umschlingt.«
»Nichts weiter?« lächelte sie, band es los und reichte es ihm.
»Habt Dank«, sagte er, die kleine Hand festhaltend, »für heut' nichts weiter. Ein andermal nehm' ich mehr.«
Er steckte das Band ein und ging zu Otto, mit dem er sich in ein langes Gespräch vertiefte.
Auch Ursula trat ins Zimmer zurück, nickte Lutold zu und fragte neckend: »Wie gefällt's Euch dort oben im Werratal, vieledler Herr Graf?«
»Zum Gefallenfinden hab' ich nicht lange Zeit«, lächelte er, »maßen es gar viel zu verbessern gibt an den Mauern und Gräben der Burg, und manches noch zweckmäßiger eingerichtet werden muß.«
»Ist die Burg in gutem Zustande, gut wiederhergestellt?« fragte Otto.
»Sehr gut«, entgegnete Lutold. »Ich vermeine, der Feind hat zu tun, ihr beizukommen, und dann ist er noch lange nicht drin, denn die Mauern sind hoch.«
»Der Tüfenstein fiel durch Feuer«, sagte Walter.
»Was in Werra nicht möglich ist«, entgegnete Lutold. »Ich habe mich vorgesehen.«
»Der Ohm kann beruhigt sein«, meinte Walter. »Ich wußte, daß er keinen schlechten Griff tat, da er dich dorthin schickte.«
»Wo habt Ihr das Band Eurer Locken, Ursula?« fragte Lutold leise, »ich wollt' Euch bitten, schenkt es mir.«
»Ich gab es Walter«, sprach sie erglühend.
Da stand er schweigend auf und ging hinaus.
Still verliefen die Festtage auf der Burg; die Familie war fast immer beisammen; ein herzlicher Ton herrschte zwischen allen, nur ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht bemerkt, daß Lutold weniger gesprächig denn sonst war, daß über seinem offenen, schönen Antlitz zuweilen ein Schatten lag.
Als das neue Jahr einen Tag ins Land gezogen, wurde im Morgendämmern Lutolds Pferd gesattelt, und nach einem kurzen, herzlichen Abschied zog er aufs neue davon. Tief senkte er den Blick beim Lebewohlsagen in Ursulas Augen, ... fand er darin, was er gesucht? – Als er auf der Landstraße dahinzog, gefolgt von seinen Knappen und Knechten, gedachte er wieder des Bischofs Worten über den Priesterstand, und heute – länger als damals.
Langsam verstrich der Januar. Viel Eis und Schnee brachte er und schneidende Kälte, und auch der Februar ließ sich nicht anders an. Trotzdem zog in den ersten Tagen dieses Monats auf dem Weg nach der Stadt Neuenburg ein ziemlich bedeutendes Heer dahin. Der festgefrorene Schnee knirschte unter den Hufen der Rosse; hell strahlten die Helme und Harnische in dem Schein der klaren Wintersonne. Rudolf war's, der Habsburger Graf, der mit einer starken Macht gegen Neuenburg vorging, weil die Stadt bischöfliche Söldner aufgenommen hatte und damit die Feindseligkeiten wieder eröffnete.
Die Einwohner der Stadt hatten Kunde davon erhalten, und als Rudolf vor ihren Toren erschien, fand er sie verschlossen und verwahrt und von wehrhaften Männern besetzt. Er belagerte sie ohne Erfolg etliche Wochen lang. Mehrmals versuchten die Einwohner Ausfälle, wurden aber in die Stadt zurückgeschlagen. Manche fielen dabei in Rudolfs Hände, der die Gefangenen ohne Gnade töten oder verstümmeln ließ.
Das reizte die Wut der Neuenburger aufs höchste; sie beschlossen, sich nimmer dem Habsburger zu ergeben und blutige Vergeltung an ihm zu üben, sobald er abgezogen wäre.
Als Rudolf sah, daß er fürs erste nichts hier ausrichten könne, gedachte er die Stadt auszuhungern, ließ einen Teil seiner Macht vor ihr lagern und wandte sich mit dem kleineren Teil nach Freiburg. Hier verbündete er sich mit dem Grafen Heinrich von Freiburg und seinem Bruder Egeno, um mit ihnen vereint wieder vor Neuenburg zu erscheinen.
Nach kurzer Zeit wurde ihm die Nachricht gebracht, daß er einen nicht zu verachtenden Bundesgenossen in Neuenburg selbst gewonnen hätte, der Adel der Stadt habe sich zusammengetan und sich für ihn erklärt. Nunmehr sei die Lage der Einwohner eine schier verzweifelte; sie könnten sich nicht mehr lange halten.
Frohlockend rieb der Graf die Hände – – aber zu früh. Tags darauf kam ein Eilbote, ihm zu melden, der Bischof von Basel zöge mit starkem Heer in großer Schnelligkeit herbei zum Entsatz von Neuenburg.
Jetzt hielt es Rudolf für geratener, sich zu entfernen. Der Bischof war ihm überlegen; sich mit seiner kleinen Macht in einen offenen Kampf mit ihm einzulassen, wagte er nicht recht. So zog er ab, doch nicht, ohne auf dem Rückzüge alle Felder, Weinberge und Äcker derart zu verwüsten, daß auf Jahre hinaus an kein Pflanzen und Bauen zu denken war.
Dies geschah Mitte März.
Nun wendete der Bischof sich einigen Dörfern zu, die habsburgisches Eigentum waren und jenseits des Rheines lagen. Er zahlte dem Grafen mit gleicher Münze heim, indem er sie ebenfalls total verwüstete.
Rudolf sah dazu nicht müßig; er zog ins Baselland, steckte Weil, das dem Bischof gehörte, in Brand und zog sich mit reicher Beute nach Säckingen zurück, wo er sein Hauptlager hatte.
Auf Rötteln hatte man inzwischen hinter fest- und wohlverwahrten Mauern die Entwicklung der Dinge mit angesehen. Noch hatte sich kein Feind vor seinen Toren blicken lasten, und wenn man ins Wiesetal hinabschaute, so mochte man wohl zuerst den Eindruck gewinnen, daß es Friede sei wie ehedem ... aber die Felder, wo keine junge Saat keimte wie früher, sprachen von anderem denn vom Frieden.
Walter grollte fast ein wenig mit dem Ohm. Mehrere Male hatte er anfragen lassen, ob er mit einem Teil seiner Mannen zu ihm stoßen solle, da zur Verteidigung seiner Burg immer noch Otto dabliebe, aber Heinrich ließ ihm sagen: »Bleib', wo du bist; Otto und du dürft nimmer von Rötteln herab, auch genügt mir nicht einer, euch beide will ich oben wissen. Säckingen ist mir zu nahe, und Rötteln ist mir zu wichtig. Hab' Geduld, Walter, auch an dich kommt die Reihe zum Dreinhauen, und solches wohl eher als du vermeinest.«
Daran mußten sich die Grafen genügen lassen und verwendeten nun alle Kraft und Zeit für die Befestigung der Burg, ... der Ohm hatte recht, Säckingen war sehr nahe. Alle ihre Dienstmannen zogen sie nach Rötteln zusammen; schier war die Burg nicht groß genug, sie zu beherbergen. Die Grafen ließen Vorräte über Vorräte für Menschen und Tiere aufspeichern, damit die Burg im gegebenen Fall eine lange Belagerung aushalten könne. Überall hatte Otto Wachen ausgestellt; die Zugbrücke war Tag und Nacht hochgezogen, und so war alles getan, was an Vorsicht geboten war.
Auch der unterirdische Gang war nach langer, mühevoller Arbeit fertiggestellt worden, und mehr denn einmal hatten Otto und Walter den Weg ins Wiesetal hinab durch die Erde gemacht. Der Gang mündete nahe bei Brombach, wo ein dichtes Gebüsch seinen Ausgang verdeckte. Er war niedrig und tief angelegt, da er unter dem Bett der Wiese dahinführte; aber er war fest und gut gestützt, alles Überflüssige an Erde und Gestein hatte die Arbeit der treuen Mannen hinausgeschafft und an die Seite gebracht.
Noch immer wußte niemand in der Burg von dem fertigen Werk außer Ursula, – und sie schwieg, auch zu Odalsinde. Oft hatte sie dem leisen Bohren und Scharren in der Erde gelauscht, ja, wenn sie das Ohr an den Boden legte, hatte sie sogar die Stimmen der Einzelnen unterscheiden können, wenn sie nicht zu weit vom Hause entfernt waren.
Mit Vergnügen dachte sie oft daran, was Walter für ein Gesicht machen würde, wenn er einmal erführe, daß sie von dem Gange wüßte! Sie ahnte nicht, wie bald und auf welche Weise dies der Fall sein sollte ... sie ahnte nicht, ebensowenig wie sonst einer der Mitwissenden in der Burg, daß man bereits im feindlichen Lager von dem unterirdischen Zugang Kunde hatte und eifrig die Möglichkeit erwog, Rötteln fast mühelos zu gewinnen und damit dem Bischof einen schweren Verlust beizufügen.