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Erstes Kapitel

Man schrieb Anno Domini 1271.

Obgleich der Himmel in lieblicher Bläue herniederlächelte, die ganze Natur Frieden zu atmen schien, so war doch im Bistum Basel und den angrenzenden Landschaften von nichts weniger denn vom Frieden die Rede! Es war dazumalen just so, wie es vordem und hernach zu allen Zeiten gewesen ist: von Kriegen und Kriegsgeschrei hörte man allerorten, und der Fehden war kein Ende. Zwar waren es nicht ganze Völker, die sich gegenüberstanden; aber mächtige Geschlechter hielten aufeinander, und schon seit fast drei Jahren hallten die Täler bei Säckingen und Basel wider von Kriegslärm und Waffengetöse.

Zwei der mächtigsten Herren, Rudolf, Graf von Habsburg, und Heinrich, Graf von Neuenburg, Bischof von Basel, lagen im Streit. Zu jedem von ihnen hatten sich viele mehr oder minder vornehme und große Ritter und Herren gestellt, und auf jeder Seite wurde mit ebensoviel Mut und Entschlossenheit wie Zähigkeit gekämpft.

Der Grund zu der Feindschaft war der Besitz der Stadt Breisach geworden. Seit fast einem Jahrhundert hatte sie zum Hochstift Basel gehört, als Rudolf Stadt und Burg überrumpelte und einnahm.

Das war schon unter Berthold, Herrn Heinrichs Vorgänger, geschehen.

Da nun Heinrich auf den Bischofssitz kam, verlangte er alsobald die Stadt wieder, wozu sich Rudolf nicht verstand. Als der Bischof Urkunde und Sigill herbeibrachte, von Kaiser Friedrich von Hohenstaufen 1218 bestätigt, ließ sich der Graf bewegen, die Stadt gegen tausend Mark Silber zu geben.

Heinrich verstand sich zu neunhundert Mark. Bald kam Rudolf wieder und verlangte die letzten hundert Mark. Der Bischof gab sie ihm mit den Worten: »Vetter, laß mich in Ruhe.« Als aber Rudolf auch ein zweites und drittes Mal kam, ließ ihm der Bischof sagen: »Ich befürchte, du möchtest mich am Ende für deinen Zinsmann halten.« Diese Antwort – ohne Geld – faßte Rudolf als persönliche Beleidigung auf. Dazu kam die feindliche Haltung, die die Bürger von Basel gegen des Grafen von Habsburg Freunde und Anhänger annahmen, auch bei Gelegenheiten tätlich bekundeten, und so sagte Rudolf dem Bischof offene Fehde an.

Manchen Mond hatten sie sich herumgestritten, bis endlich in den Herbsttagen des Jahres 1270 ein Waffenstillstand im Kloster zu Beuggen zustande gekommen war. Erleichtert atmeten die Landbewohner auf in der Hoffnung, dem Waffenstillstande werde der Friede folgen; sie begannen im Frühjahr die Felder zu bebauen, und hin und wieder hörte man ein fröhlich Lied bei der Arbeit.

Mit viel Regen war der April ins Land gekommen, hatte nach seiner Art im Sturm die Bäume gezaust oder die Sonne scheinen lassen – und auch heute seinen Launen keine Schranken auferlegt. Blendend hell war am Morgen die Sonne aufgegangen, dann fiel den ganzen Tag ein feiner, durchdringender Sprühregen, – jetzt, gegen Abend, zerrissen die Wolken; die Abendsonne leuchtete mild über das Wiesetal und färbte die dunklen Tannen des Schwarzwaldes rötlich.

Auf der Landstraße, die neben der munteren Wiese durch das Tal führte, ritten zwei Reiter dahin, der Burg zu, die auf felsiger Höhe ein Stück vor ihnen auftauchte. Sicher und fest saß auf dem einen Roß eine schlanke Frauengestalt in dunklem Reitgewand, und ebenso sicher hielt ein Mönch die Zügel des anderen Tieres.

»Ist's Euch leid, Pater Rubertus«, wandte sich soeben die Reiterin an ihren Begleiter, »daß Ihr mit mir zur stillen Waldkapelle kamet und Pater Antonius kennen lerntet?«

bild: Franz Stassen

»O nein, Herrin«, entgegnete der Mönch, »ich bin Euch Dank schuldig, daß Ihr mich dorthin führtet! Die Kapelle oben auf dem Berge ist fürwahr ein Plätzchen, da man sich Labe holen kann für seine Seele, und die Rede des frommen Paters ist erquickend und klar, gleich einem Bergquell. Es ist mir leid, daß ich nicht eher gewußt, welch ein friedsam Plätzlein dorten ist; gern hätte ich den würdigen Greis des öfteren schon aufgesucht.«

»Es wär' Euch wohl nimmer möglich gewesen«, antwortete das Fräulein; »der hohe Schnee im Winter und das Tauwetter danach machen die Wege schlecht und gefährlich. Mich hat es auch oft nach Pater Antonius Zuspruch verlangt, und habe mich doch gedulden müssen bis heute! 's ist mir aber eine Freude, daß Ihr mitkamet und in dem Pater einen Gleichgesinnten fandet, – – schwer genug war's, Euch zum Mitreiten zu bewegen«, fügte sie lächelnd hinzu.

Er errötete leicht. »Verzeihet, Gräfin Elisabeth, einem Mönch ist das Reiten ein ungewohnt Ding!«

Er wollte noch etwas sagen; aber von dem nahen Tüllingen und von Rötteln ertönten die Abendglocken, und von drüben, aus dem Walde her, schien ein ander Glöcklein Antwort zu geben. Der Mönch zügelte sein Roß und sprach ein innig Ave Maria; auch die Gräfin hatte ihr Pferd angehalten. Lose lagen in den verschlungenen Händen die Zügel; andächtig lauschte sie des Paters Worten.

»Das Glöcklein der heiligen Chrischona sendet uns einen Scheidegruß«, sprach sie im Weiterreiten.

Er nickte. »Wollet mir, Gräfin Elisabeth, des genaueren erzählen, wie dies Kirchlein entstanden und woher es seinen Namen hat. Hab' etliches darüber vernommen in Einsiedeln; war's nicht die heilige Chrischona, die es gründete?«

»Wohl, Herr Pater, Ihr seid recht berichtet. Pater Antonius erzählte mir's im Herbst, da ich das letztemal bei ihm war. Ich will's Euch wiederholen, so gut ich kann. Vernehmet denn!

Nahe bei Basel landeten einst drei von den elftausend Jungfrauen, welche mit ihrer Anführerin, der heiligen Ursula, auf der Rückkehr von Rom nach Köln begriffen waren. Sie hießen Chrischona, Ottilia und Margareta. Dort ruhten sie auf einem Acker, der den Namen ›Chrischona-Bettle‹ seitdem erhielt. Von dort aus gingen sie verschiedene Wege und versprachen sich gegenseitig, jede wolle ein Gotteshaus auf einer nahe belegenen Höhe bauen. Alsdann wollten sie sich jeden Morgen durch ein Glöcklein freundlich grüßen. Die fromme Chrischona wandte sich zur Höhe des Dinkelberges und baute dort die Kapelle, Ottilia pilgerte auf den Tüllinger Berg, Margareta nach Westen, wo sie hinter Basel ihr Gotteshaus erbaute, nach ihr genannt St. Margareten. Jeden Morgen und jeden Abend grüßten sich die heiligen Schwestern durch das Glöcklein, führten ein gar fromm Leben und taten Gutes, wo sie konnten, also daß die Kunde von ihnen weit in die Lande umher drang. Dann verstummte das erste Glöcklein, hierauf das zweite, endlich das dritte, – die Schwestern waren gestorben. Man begrub eine jede in der Kapelle, die sie gebaut hatte. Pater Antonius erzählte mir aber noch eine andere Kunde, wie er sie in Basel einstens vernommen hat. Danach wäre die heilige Chrischona in Basel gestorben – die Basler möchten nämlich gerne auch etwas mit ihr zu tun haben –, und da man sie begraben wollte, konnte man den Sarg nimmer von der Stelle bringen. Endlich kam jemand auf den Gedanken, zwei junge Kühe, so noch nie ein Joch getragen, vor den Wagen zu spannen, darauf der Sarg stand. Dann sollten sie gehen, wohin sie wollten, und wo die Tiere stehen bleiben würden, sollte die Heilige begraben werden. Man tat also, die Kühe setzten sich sofort in Bewegung, und alles wich vor ihnen aus dem Wege, Bäume, Steine, Felsen. So gingen sie geraden Wegs den Berg hinauf, und wurde die liebe Heilige dort begraben. Über ihrem Grabe errichtete man das Kirchlein. Die Gebeine der frommen Chrischona ruhen also dort oben auf jeden Fall.«

»Gar schön und innig ist die Historie von der heiligen Jungfrau«, entgegnete der Pater, »und leicht begreiflich, daß gar viele hinpilgern, um dort zu beten. So ich wieder hinkomme, werde ich das Kirchlein mit anderen Augen anschauen.«

»Wer weiß«, sagte traurig die Gräfin, »wann wir wieder dort oben der Andacht pflegen können, der unselige Streit, so in unseren Tälern herrscht, wird es uns wehren.«

»So glaubet Ihr auch nicht, daß dieser Waffenstillstand zum Frieden führt?« fragte der Pater.

Die Gräfin schüttelte den Kopf. »Der Neuenburger Sinn ist hart und gibt nimmer nach, – – und Bischof Heinrich von Basel ist ein Graf von Neuenburg!«

»Und des Habsburgers Kopf ist nicht weniger von Eisen«, murmelte der Mönch; dann fragte er weiter: »Eure Brüder stehen fest auf Seite des Bischofs, und wenn ich recht Graf Otto verstand, ist er Euch nahe versippt?«

»Wohl, und das ganz nahe! Meine Mutter ist seine Schwester, eine geborene Gräfin von Welsch-Neuenburg am See. Unerschütterlich halten meine Brüder mit ihren Mannen zu ihm. O Pater Rubertus, ich kann es nimmer verstehen, daß geistliche Herren um weltliche Dinge mit den Herren und Fürsten hadern; aber völlig unbegreiflich will es mir scheinen, daß geistliche Herren untereinander im blutigen Streit liegen wie mein Ohm Heinrich noch mit Berthold von Falkenstein, dem Abt von St. Gallen.«

»Ich kenne die Ursache dieses Streites nicht ganz genau«, entgegnete Pater Rubertus. »Wohl hörten wir bei uns in Einsiedeln einige Male davon, doch nichts Bestimmtes. Wollet Ihr mir Näheres mitteilen, Herrin? Ihr wißt, ich bin ziemlich fremd in allem, was weltlich Ding angeht, da ich erst seit zwei Monden aus unserem stillen Kloster fort und auf Euer Schloß als Priester gekommen bin.«

»Und doch habt Ihr verstanden, Euch in der kurzen Zeit die Herzen aller zu gewinnen«, sprach die Gräfin warm. »Doch höret, ich will Euch die Geschichte kurz vermelden.

Zu Pfingsten war's, ums Jahr 1268, da der Abt von St. Gallen sich etliche Weinfuhren zu einem Festmahl bestellt hatte. Nun hatte mein Oheim eine Forderung betreffs einiger Kirchenangelegenheiten an das Kloster zum heiligen Gall. Da der Abt trotz mehrfacher Mahnung nicht zahlte, ließ mein Oheim, der Kunde von jener Weinsendung erhalten, die Fuhren, die aus dem Elsaß kamen, wegnehmen. Als bald nachher der Streit zwischen diesem und dem Habsburger Grafen entbrannte, gab Abt Berthold dreihundert Ritter mit ihren Mannen unter Herrn von Lupfen ihm zur Hilfe. Bei Säckingen kam es im Herbst zum Waffenstillstand, der im Kloster zu Beuggen unterzeichnet wurde. Was noch werden wird, – Gott weiß es!«

»Und ihm vertraut, Herrin«, sagte der Pater, als sie mit einem Seufzer schloß. »Niemand trauet ihm vergeblich. Vielleicht leuchtet nach all dem Herzeleid, so der Krieg mit sich führet, doch bald der liebliche Friede. Aber sehet, ob dem Reden sind wir unvermerkt bis zum Schloß gelanget.«

Langsam ritten sie über die Zugbrücke durch das Tor, das sich vor ihnen öffnete. Drinnen im geräumigen Hofe stiegen sie ab, und indes etliche Knechte die Pferde zu den Ställen führten, schritten sie beide den Weg weiter hinauf zu den Wohnräumen in der Hochburg. Ein tiefer, breiter Graben trennte den Herrensitz von den nieder gelegenen Wohnungen der Mannschaften und Dienstleute.

Auf der schmalen Zugbrücke kam ihnen mit schnellem Schritt ein stattlicher Mann entgegen.

»Du bist's, Schwesterlein!« rief er, als er das Fräulein sah. »Wo kommst du so spät her?«

»Vom Chrischonaberg, Walter; es war ein köstlicher Ritt.«

»Machtest du ihn allein?«

»O nein, Pater Rubertus begleitete mich.«

»Und hat probiert, ob er das Reiten noch kann«, setzte dieser hinzu. »Es ging wohl noch leidlich, doch so wie der Graf Walter kann er's nimmer!«

Der lachte laut auf. »Glaub's wohl! Seid gewiß auch jetzt ein wenig ermüdet vom Ritt, so daß es Euch gelegen kommen wird, daß der Abendimbiß noch nicht bereitet ist. Könnet bis dahin der Ruhe pflegen, denn nachher wird wohl mein gelehrter Herr Bruder Otto Eurer Gesellschaft begehren, ich sah ihn vorhin mit einem Pergament in der Hand gedankenvoll im Wohngemach sitzen. Weiß nimmer, was er auf dem Papier so Wissenswertes findet! Einen feurigen Renner unter sich, dann in des Herrgottes Welt hinein, dahin über Berg und Tal, frisch und derb zugegriffen, wo's sein muß, und sich niemanden zu nahe kommen lassen, solches dünkt mich die beste Wissenschaft, die lob ich mir!«

Damit schritt er weiter und pfiff einem großen, schwarzen Hund, der vor dem Wohnhaus des Burgverwalters lag und ihm nun mit mächtigen Sprüngen nachsetzte.

Lächelnd hatte der Pater dem Grafen nachgesehen. »Wisset Ihr, Herrin, wie mir nicht nur Graf Walter, sondern auch Eure andern beiden Brüder oftmalen erscheinen? Wie starke Bäume voll ungebrochener Kraft, die, je mehr der Sturm brauset, nur um so kräftiger die Häupter erheben. Und im Schutz dieser starken Bäume seid Ihr erblühet, Herrin, ein hold Waldblümelein, wie Eure Brüder Euch benennen!«

»Gar poetisch redet Ihr, Herr Pater; man könnte vermeinen, einen Ritter zu hören! Doch wisset, der Waldblume ist's gar wohl im Schatten und Schutz dieser Bäume, und sie sehnet sich nimmer fort! – Gehabt Euch wohl, Ehrwürden.« Sie standen vor dem Herrenhause. Der Pater machte das Zeichen des Kreuzes über der Gräfin und stieg langsam eine schmale Treppe empor, die in sein Gemach führte, das gerade über der kleinen Burgkapelle lag.

Elisabeth war inzwischen mit fröhlichem Gruß in das Wohngemach ihrer Mutter getreten. Diese, eine stolze Frauengestalt, saß in einer der beiden tiefen Fensternischen, die das Zimmer hatte, in lebhaftem Gespräch mit Otto, ihrem zweiten Sohne. Bei Elisabeths Eintritt wandte sie ihr das Gesicht mit den klugen, dunklen Augen zu und sprach: »Warst lange draußen, Kind, hab' schon deiner gewartet. Wie gehet es Pater Antonio in seiner Klause?«

»Er entbietet Euch seinen Gruß, liebwerte Frau Mutter; es gehet ihm wohl.«

»Wie der scharfe Wind deine Wangen gerötet hat, Schwesterlein«, lächelte Otto; die Gräfin aber sprach schnell: »Keine gute Kunde ist's, so mir Otto gebracht hat, da er vorhin von einem Ritt gen Brombach heimkehrte. Dort ist ein tückisch Fieber ausgebrochen; mehrere Leute liegen darnieder, und drei sind allbereits heute gestorben. Auch hier in Rötteln sind etliche heut erkrankt. Da will ich nach dem Nachtmahl noch hinunter zum Dorf und schauen, wo zu helfen ist.«

»Und ich gehe mit Euch, nicht wahr, Frau Mutter?« bat Elisabeth.

Einen Augenblick zögerte die Gräfin. »Das Fieber soll ansteckend sein, – – doch so du willst, komm mit; mein und dein Leben stehet in des Höchsten Hand! Geh und sorge für Stärke- und Labemittel, die wir mit uns nehmen wollen.«

Elisabeth eilte hinaus, und die Gräfin wandte sich an ihren Sohn. »Und nun, Otto, gib mir Antwort auf die Frage, die ich an dich richtete, da Elisabeth vorhin kam, – wann wirst du mir deine Braut und Rötteln eine junge Herrin zuführen?«

Das edle Gesicht des Grafen, der ganz seiner Mutter glich, hatte sich verfinstert. »Frau Mutter, muß es denn sein? Lasset doch ein Jahr oder zwei noch dahin gehen, alsdann, meine ich, sei noch immer Zeit dazu.«

»Du zählest siebenundzwanzig Sommer, mein Sohn«, entgegnete die Gräfin ernst, »und Odalsinde einundzwanzig. Zudem – sie wartet deiner –, du kennst die alte Vereinbarung zwischen deinem und ihrem Vater!«

Eine tiefe Falte grub sich in Ottos Stirn, und er rief: »Warum, um der Heiligen willen, werden solche Vereinbarungen getroffen, da sie oft das ganze Leben verbittern können!«

»Zürne nicht deinem edlen Vater«, erwiderte die Gräfin, »er hatte mit jenem Abkommen nur unseres Hauses Bestes im Auge! Die Entstehung kennst du. Sollte nun unser Geschlecht aussterben, so fällt es nicht an Fernstehende, sondern an unsere nächsten Verwandten, die Sausenhardter.«

»Das Aussterben ist kaum zu befürchten«, antwortete Graf Otto finster. »Doch solches ist Nebensache; der Vertrag stehet eben da, und ich muß ihn erfüllen, will ich nicht meinen Vater im Grabe beschimpfen.«

Nach einigen Minuten Schweigens fuhr er hochaufatmend fort: »Ich werde zum Mai nach der Sausenburg reiten und Odalsinde heimholen.«

»Gott segne deinen Entschluß«, sagte die Gräfin leise und küßte seine Stirn. Dann ging sie hinaus, um noch verschiedenes für den Weg ins Dorf zu rüsten. Graf Otto aber wandte sich dem Fenster zu und blickte in den Abend hinein. Vor seinem Auge stand die Gestalt des Mädchens, die seit seiner und ihrer Kindheit seine verlobte Braut war. Vor zwei Jahren hatte er sie bei einem kaum zweistündigen Besuch auf der Sausenburg das letztemal gesehen, und so sah er sie jetzt vor sich.

Sie war eine schlanke, große Gestalt und trug den feinen Kopf mit den schönen Zügen stolz auf den Schultern. Aber die großen, braunen Augen blickten kühl und fremd an ihm vorüber; der Mund verzog sich zu keinem Lächeln. Trotzdem wußte er genau, daß die dunklen Augen strahlen konnten und der Mund süß zu lächeln verstand. Er selbst hatte es gesehen, da er im Sausenburger Schloß am Fenster gestanden und in den Burggarten hinabgeschaut hatte, wo Odalsinde sich gerade aufhielt. Da saß sie auf einem niederen Bänklein unter einem Apfelbaum; von den herabfallenden Blüten hatten sich einige in ihren braunen Locken verfangen. Auf dem Schoß hielt sie das zweijährige Töchterchen des Haushofmeisters und scherzte und lachte mit der Kleinen. Als sie aber einige Minuten später ins Zimmer getreten war und ihm gegenüberstand, lag tiefer Ernst, ja Kälte auf ihrem Gesicht. Vergebens hatte er auf ein Lächeln gehofft.

Da war er voller Unmut heimgeritten; aber das Bild Odalsindes unter dem Apfelbaum hatte ihn begleitet. Vielerlei war im Laufe dieser zwei Jahre geschehen; in den wachsenden Streitigkeiten und Unruhen hatte er selten ihrer gedacht; auch empfand er alsdann immer nur den einen Wunsch, die Hochzeit solange wie möglich hinauszuschieben. Jetzt aber sah er sie wieder vor sich wie damals unter dem Apfelbaum, und er ertappte sich bei der leisen Frage, ob sie wohl einmal für ihn solch ein Lächeln haben würde! Wie wird sie ihn wohl empfangen, wenn er jetzt kommt, die alte Vereinbarung zu erfüllen?

»Torheiten«, murmelte er halblaut vor sich hin und durchmaß mit schnellen Schritten das fast dunkle Gemach. Er fing an nachzudenken, wie sich eigentlich das Verhältnis zwischen ihnen später gestalten sollte. Aber der Ton der Glocke, die die Hausbewohner zum Abendimbiß rief, störte ihn; langsam ging er hinunter in die Halle.

Sie lag neben der Küche; als er eintrat, fand er die ganze Familie schon versammelt; nur Walter, der älteste, fehlte noch.

»Ein Bote kam von Ohm Heinrich aus Basel«, berichtete Lutold auf die Frage seiner Mutter nach ihrem Sohne. »Walter rief mir zu, da ich vorhin über den Hof kam, die Botschaft sei von Wichtigkeit, er könne nicht allsogleich kommen; wir sollen nicht warten.«

»Das können wir auch nicht«, entgegnete die Gräfin, »ich will mit Elisabeth noch ins Dorf zu etlichen Kranken, da müssen wir uns eilen.«

»Gestattet, edle Frau, daß ich Euch begleite«, sprach Pater Rubertus. »Ich vernahm auch allbereits, daß ein bös Fieber ausgebrochen sei; die Kranken möchten des Zuspruchs bedürftig sein.«

»Und wer verstünde den besser zu erteilen, denn Ihr«, antwortete herzlich die Gräfin; »es wird mir nur lieb sein, so Ihr uns geleitet.«

»Das Fieber soll ansteckend sein«, sagte der Pater leise, einen besorgten Blick auf Elisabeth richtend.

»Und da meinet Ihr, ich solle daheim bleiben«, lächelte diese, die den Blick bemerkt und verstanden hatte. »Sprecht nicht davon, Herr Pater, ich bitte Euch! Mich zieht's zu den Armen, vielleicht kann ich ihnen dienen.«

Sie werden vermeinen, eine Himmelsgestalt betrete die Hütte, dachte der Pater, und sein Auge glitt rasch über das holde Mädchen mit dem zarten Antlitz und dem schweren, blonden Haar, aber er sagte nichts.

Draußen klang ein schneller, harter Schritt; die Tür sprang auf, Walter trat ein und nahm an der Tafel Platz. Eine finstere Falte saß zwischen den Augen; schweigend aß er von den Speisen, die ihm Lutold zuschob.

»Nun?« fragte Otto und bot ihm einen gefüllten Pokal.

Walter tat einen tiefen Zug, dann sprach er, und seine blauen Augen blitzten: »Sie können in Basel drunten keinen Frieden halten! Die vom Stern und die vom Sittich sind widereinander jetzt mehr denn je. In der Trinkstube zum Seufzen am Brünn erhitzen sich die Sternen bis zum Übersprudeln, und auf der Mügge geht's bei den Sittichen auch begreiflicherweise nicht eben still zu! Der Bischof entbietet alle die vom Sittich auf übermorgen zu einer Beratung zu sich gen Basel. Bis dahin soll ein jeder überdenken, was das Beste zu tun sei, – – meine Meinung freilich ist allbereits fertig.«

»Und die wäre?« fragte Lutold.

Walters Augen sprühten. »Wenn die Sternen den Sittichen in allem immer wieder entgegen sind, auch nimmer wollen, wie der Bischof will, sondern allewege dawider aufzubegehren haben und das Maul groß aufreißen, soll er ihnen eins draufgeben, die Macht hat er ja dazu.«

Lutold lachte laut auf; auch Otto und der Pater konnten sich dessen nicht erwehren. Dann entgegnete Otto: »Deine Meinung ist so übel nicht; doch trage ich etliches Bedenken, sie so ohne weiteres zu äußern und sie als Rat zu geben. Laßt uns vorerst morgen noch überlegen.«

»Und vergesset nicht, daß der Habsburger zu denen vom Stern gehört«, warf die Gräfin dazwischen, indem sie sich erhob.

Auch die anderen standen auf; der Pater sprach ein Abendgebet und verließ mit den Frauen die Halle, um ins Dorf zu gehen. Die Brüder blieben zurück.

Lutold ergriff eine Laute, die an der Wand hing, und schlug einige Akkorde. Walter aber rückte ein wenig näher zu Otto und sprach: »Auf deinem Antlitz ruhet ein ander Nachdenken, denn ich sonsten gewöhnet bin, bei dir zu sehen, so du von einem Pergament kommst, – was ist's, Otto?«

Finsterer Ernst breitete sich über das Gesicht des Angeredeten; er fuhr sich durch den dunkelblonden Bart und antwortete: »Auf dringenden Wunsch unserer Frau Mutter habe ich heute meine Vermählung mit Odalsinde auf den Mai festgesetzt!«

Walter sprang überrascht auf. »Den Daus! Das nenne ich eine Neuigkeit! Doch will mich bedünken, die Zeit sei schlecht zu dergleichen Dingen gewählt! Der Habsburger und Ohm Heinrich in offener Fehde, wenngleich jetzt Waffenstillstand ist, in Basel Streitereien zwischen dem Adel, die auch nimmer gut enden, drunten im Dorf ein bösartig Fieber, und hier ist vom Freien die Rede! Ist solang mit der Heirat gewartet worden, hätt's auch noch währen können, bis Friede ist.«

Er setzte sich kopfschüttelnd, und als Otto schwieg, fuhr er fort: »Ich sollt' dir Glück wünschen, Bruder; aber wie kann ich's, da ich weiß, wie diese Sache auf dir lastet und dein Gesicht jetzo dazu sehe! Ich kann nur eines wünschen, daß die Heiligen ein Einsehen haben und was Gutes draus machen für dich und unser Geschlecht.« Er hatte Ottos Hand mit kräftigem Druck ergriffen; innige Teilnahme sprach aus seinem Antlitz.

»Hab' Dank, Walter«, erwiderte der Graf; »ja, wenn ich wüßte, es wäre gut für unser Geschlecht, ich wollte das Opfer gerne bringen. Schlecht gewählt ist die Zeit zum Freien, du hast recht; doch ich gab mein Wort heut auf die Bitten der Mutter, und ich will's halten. Sobald die Beratung in Basel vorüber, entsende ich einen Boten nach der Sausenburg, der meine Ankunft in drei Wochen meldet. Dann mag die Vermählung sein, und Rötteln erhält eine junge Herrin.«

Walter antwortete nichts, erhob sich nach einigen Minuten und sagte: »Ich will noch einen Ritt gen Tüllingen machen; kommst du mit?«

Otto schüttelte den Kopf. »Hab' heut keine Lust zum Reiten; ich möcht' allein sein.«

»Aber ich komme mit«, rief Lutold, der soeben sein Spiel geendet und nur die letzten Worte Ottos gehört hatte, hing die Laute an und schritt mit Walter hinaus zum Zwinger hinab, während Otto sein Gemach aufsuchte.


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