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Wonnig leuchtete die Sonne vom wolkenlosen Himmel hernieder; die Obstbäume waren wie mit einem weißen Tuch bedeckt von der Fülle der Blüten. Es war ein wundervolles Frühjahr nach dem harten, strengen Winter; aber die Felder wurden nur spärlich bebaut, wußte doch niemand, ob das gesäte Korn auch wachsen und reifen könnte, oder ob alles unter wilden Rossehufen zerstört sein würde, ehe denn es aufkam!
Die Fehde tobte in wilder Leidenschaft weiter. Rudolf von Habsburg richtete die Blicke zunächst auf einige Klöster, die sehr reich waren und den Bischof als Schirmherrn hatten. Er zerstörte Sizikilchen von Grund auf, und sein Freund, Graf Heinrich von Neuenburg, machte sich an das Frauenkloster Gutnowe. Daß gerade Graf Heinrich dies tat, hatte noch einen persönlichen Grund. Er hatte von dem Kloster in früherer Zeit eine ansehnliche Summe geliehen, die er alljährlich gut verzinsen mußte. Dies war ihm allgemach unangenehm geworden. Daher kam seine besondere Bereitwilligkeit, gegen dieses Kloster zu ziehen. Bald stand es in Flammen; nur wenige der Nonnen entkamen dem Tode, und Graf Heinrich lachte schadenfroh; seine Schuld war getilgt.
Solches geschah Mitte April.
In den ersten Tagen des Monats Mai durchlief das Habsburger Lager die Kunde von einem bevorstehenden Angriff auf Basel; aber statt des erwarteten Befehles hieß es eines Morgens: Auf und gen Rötteln!
»Wir dürfen nimmer gegen einen Adler ziehen, so der andere uns alsdann im Nacken ist«, sprach Rudolf zu seinen Getreuen. »Erst nehmen wir Rötteln, dann Basel.«
Als aber der Graf, wie er meinte unvermutet, im Wiesetal erschien und Kundschafter gegen die Burg sandte, fand er sie zu seinem Verdruß wohl verwahrt und bewacht; Walter aber stand lachend in einem Wachtturm, sah hinab und freute sich über des Grafen Enttäuschung. Er hatte es längst so kommen sehen.
»Wilder, lache nicht zu früh«, warnte Otto, der neben ihm stand, »du siehst, er hat dreimal mehr als wir, und heiß wird es wohl noch manchmal um unsere Burg hergehen – viel Blut wird fließen.«
»Gut, daß die Frauen nicht hier sind«, entgegnete Walter, »so können wir ungehindert der Blutarbeit obliegen, die wir vor uns sehen.« Otto schwieg; ihm erschien die Zukunft dunkel.
An einem der nächsten Tage versuchten die Habsburgischen den ersten Sturm gegen die Burg, wurden aber mit blutigen Köpfen heimgesandt. Sie zählten eine große Anzahl Toter und Verwundeter, – Rudolf nickte finster, als er hörte, wieviele, und sagte: »Ich weiß, daß es mit den Röttlern einen harten Strauß gibt; aber solches ist mir gleich, die Burg soll und muß mein werden.«
Woche auf Woche verstrich; zu wiederholten Malen hatte der Graf von Habsburg einen Sturm versucht, aber immer vergeblich. »So hungern wir das Nest aus«, sprach er mit einem zornigen Fluch, und bald schloß sich ein enger Kreis um die Burg.
Walter lachte laut auf, als er das an einem Morgen wahrnahm, und sagte zu Otto und Balthasar, die neben ihm standen: »Solches Vorhaben könnte uns schlimm bekommen, so wir nicht im Notfall durch den Gang uns Nahrung verschaffen könnten, wenn die unsere am Ende.«
»Und bis dahin ist auch noch lange hin«, sprach Balthasar.
So kam der Juni heran. Ein wolkenloser Himmel wölbte sich über der grünenden und blühenden Erde; rein und klar war die Luft; in leuchtender Schönheit schauten die Spitzen der Alpen aus der Ferne herüber.
Wieder einmal machte der Habsburger an diesem Tage einen Versuch, die Burg zu stürmen, und wieder wurde er abgewiesen, – aber es herrschte in der Burg diesmal keine Freude über den abgeschlagenen Angriff. Zwei nur waren von den Pfeilen der Gräflichen getroffen worden, der eine leicht am Arm, der andere aber in die Brust, und das war Graf Otto.
Mit sorgenvollem Gesicht beugte sich Walter über seinen Bruder, dem man einen notdürftigen Verband angelegt hatte und der nun schwer atmend dalag. »Otto, Otto«, murmelte er mit zusammengepreßten Lippen, »ruht denn kein Segen mehr auf Rötteln und seinem Geschlecht?«
Er stützte den Kopf und brütete vor sich hin. Wieder, wie zuweilen in letzter Zeit, stiegen dunkle Ahnungen in ihm auf, gleich einer schwarzen Wolke schien es ihm über Rötteln zu liegen, trotz des Sonnenscheins draußen. Ein Schauer ging durch seine Glieder, – plötzlich aber richtete er sich auf; unbeugsamer Trotz sprühte aus seinen Augen.
»Siegen oder untergehen, beides aber mit Ehren«, murmelte er und sprach entschlossen zu Otto: »Du mußt fort! Hier oben ist anjetzo keine Pflege für dich; noch diese Nacht lasse ich dich gen Brombach und von dort auf gelegene Weise nach Basel hinbringen. Hier oben gehst du zugrunde, und ich kann deiner nicht entraten.«
Er trat hinzu, ohne Ottos Antwort abzuwarten, und rief Gero, Wilbold, Friedung und Tillo, die stärksten seiner Getreuen, zu sich. Schweigend, mit sorgenvollem Blick, sahen sie in das bleiche, finstere Gesicht ihres Herrn.
»Ihr kennt den Weg gen Brombach«, redete Walter sie an, »ihr habt ihn gebaut. In dieser Nacht sollt ihr meinen Bruder gen Brombach führen und von dort, sobald es tunlich ist, gen Basel. Ihr wappnet euch gut und haftet mir für euren Herrn.«
»Mit unserem Leben, Herr«, entgegnete Tillo, »Ihr könnt uns vertrauen.«
Walter nickte und reichte ihm die Hand. Dann fuhr er fort: »In Basel laßt ihr euch von unserem hochwürdigsten Herrn Bischof eine Abteilung Söldner geben und kommt mir zu Hilfe. Ihr im Rücken, ich von vorn, da müßte es mit allen bösen Geistern zugehen, so wir des Habsburgers nicht mächtig würden.«
Als es Nacht war, hoben Wilbold und Tillo den Stein vom Gange ab; Balthasar schritt mit einer Fackel voran, und die anderen vier nahmen die schmale Tragbahre auf, auf der Otto lag. Den Schluß machten noch vier stark bewaffnete Knechte, die Wilbold aus Vorsicht mitgenommen hatte.
Walter preßte des Bruders Hand ... »auf Wiedersehen, die Heiligen mögen dich gnädig bewahren«, murmelte er heiser und sah dem kleinen Zug nach, der langsam in die Erde verschwand. Er machte die Runde bei den Wachen, stieg hinauf zum Söller, um in die Nacht hineinzuspähen, und als er alles in Ordnung fand, schritt er langsam hinab in das Wohngemach und setzte sich ans Fenster. Sein Blick schweifte nach Brombach hinüber; guter Gott, ob sie seinen Bruder wohl sicher dorthin und ums feindliche Lager herum nach Basel bringen würden? Trübe Gedanken kamen ihm; es litt ihn nicht auf seinem Platz, er sprang auf und ging erregt auf und ab.
Wie langsam die Zeit verstrich!
Ob Balthasar nicht wiederkam, ihm zu melden, daß sie glücklich und unbemerkt in Brombach angelangt und auf der anderen Seite des Dorfes wieder hinaus waren?
Stunde um Stunde verging; schon färbte sich im Osten der Himmel rot, da endlich trat der Ersehnte ein.
»Alles gut gegangen, Herr«, meldete er. »Wohlversteckt ist unser Herr mit den anderen in einer Waldhütte, um gegen Dunkelheit heute gen Basel gebracht zu werden.«
Walter drückte ihm kräftig die Hände: »Hätte dich auch gern bei dem gefahrvollen Wege mitgehen lassen«, sprach er, »aber ich brauch' dich zu nötig hier.« Dann stieg er nach der durchwachten Nacht auf den Söller und badete sein Antlitz in der frischen, kühlen Morgenluft.
Mit scharfem Auge musterte er dabei die Reihen der Belagerer und wurde gewahr, daß sich eine seltsame Tätigkeit bemerkbar machte. Trotz der sorgsamsten Beobachtung konnte er aber nicht bemerken, was das zu bedeuten hatte. So schritt er hinab, um Balthasar zu rufen, auch selbst wiederum nachzusehen, ob alles auf den Mauern bereit sei, einen erneuten Angriff abzuweisen.
Auf dem Wege von der Zugbrücke, die über den breiten Graben führte, der die Oberburg von der Unterburg trennte, kam ihm Balthasar aus dem unteren Burghofe besorgt entgegen. »Just dich suche ich«, rief Walter ihn an. »Sie haben etwas vor.«
»Sahet Ihr es auch schon, Herr«, fragte der treue Knecht erregt. »Aber noch ist mir nimmer klar, was sie wollen. Nur so viel vermeine ich, es gehet diesmal gegen den nordwestlichen Eingang, der in den Wald führet, und, Herr, dort sind wir schwach.«
»Sobald wir wissen, wo sie gegen an wollen, werfen wir dort unsere ganze Macht hin«, sprach Walter, »Balthasar, siegen oder sterben.«
Nun entwickelte sich auch in der Burg eine fieberhafte Tätigkeit. Die Wachen standen, scharf Auslug haltend, an den Mauern und Toren; die Männer im Hof schleppten Fässer mit Wasser herbei, wenn etwa Feuerbrände geworfen würden, und in den Küchen brodelten Kessel voll kochenden Wassers, es auf die Angreifer zu gießen.
Walter war überall selbst und wollte just noch einmal auf den Söller steigen, um Ausschau zu halten. Er ging die kleine, gewundene Treppe hinauf, die vom oberen Burghof, dicht am Herrenhause entlang, zu dem freien Platz führte, von wo der Eingang in den Bergfried mit dem Söller war. Wo die Treppe einen Bogen machte, lag zur rechten Seite ein kleines Zimmer, das Elisabeths Lieblingsgemach gewesen war, mit einem mittelgroßen Fenster, das auf einen Altan führte. Walter trat ein, ging auf den Altan und schaute hinab.
Vollkommen senkrecht ging es hier hundertfünfzig Meter in die gähnende Tiefe, da unten sah er keinen Feind, denn von hier aus war die Burg uneinnehmbar. Von dieser Seite aus war er sicher; wer hier herauf oder hinunter wollte, büßte das Wagestück jedesmal mit dem Tode.
Er ging langsam weiter zur Turmstube des Bergfrieds hinauf, um die feindlichen Bewegungen zu beobachten; doch schien es, als sei dort Ruhe eingetreten.
Aber Walter ließ sich nicht täuschen. Er wußte, der Habsburger war listig und schlau, und er rechnete, daß der Ansturm mit desto größerer Macht erfolgen würde.
Eine merkwürdige Unruhe erfaßte ihn; ihm war zumute, als sei die Luft durchtränkt mit Unheil. Er ging wieder hinab, trat aber noch einmal in das Zimmer neben der Treppe und maß die Tiefe mit den Augen. Nein, hier war kein Heraufkommen möglich, wohl aber ein Hinabkommen – und unten in die Arme des Todes ... »Narrheit«, murmelte er, »ich bin wahrlich gleich einem alten Weibe.«
Walter fand im Hof alles fertig; die Mannschaft stand bereit, sobald ein Angriff erfolgen würde, sich an die gefährdete Stelle zu werfen. Doch vorläufig blieb noch alles still.
Aber Walter sollte sich in dem Grafen von Habsburg nicht verrechnet haben! Bald nach Mittag stand er mit der gesamten Heeresmacht vor dem Haupttor Röttelns und ließ seine Sturmböcke gegen die Mauern und Tore führen. Im Nu waren Röttelns Mannen dort, hohnlachend die Habsburger zurückweisend.
Nur zwei lachten nicht; Walter hielt in der Mitte des Hofes auf seinem mächtigen, schwarzen Streithengst, und Balthasar, gleichfalls zu Pferde, neben ihm.
»Herr, der Teufel traue den Kerlen da draußen«, sprach Balthasar finster. »Mir ist, als wenn sie uns in eine Falle locken wollten.«
Walter nickte. »Mir auch! Balthasar, die Augen offen; es wird heut ernst.«
Er riß sein Pferd, daß es sich hoch bäumte; seine blauen Augen sprühten Blitze; er sprengte an der Mauer entlang, mit kräftigen Worten die Seinen anspornend. Wie aus Erz gegossen saß er auf dem Hengste, dessen kostbares Saumzeug in der Sonne um die Wette mit Walters Rüstung funkelte. Der Graf sah prächtig aus in seinem silberblinkenden Schuppenpanzer, den Arm- und Beinbergen und dem blitzenden, offenen Helm.
Lauter Jubelruf grüßte ihn, besonders als er jetzt die Zügel fallen ließ, nach der Armbrust griff, Pfeil auf Pfeil absendend, nie sein Ziel verfehlend und das mächtige Tier unter sich nur mit dem Druck der Schenkel regierend.
So war etwa eine Stunde verstrichen.
Plötzlich hörte er ein lautes Geschrei vom nordwestlichen Tore her; er riß sein Pferd herum und jagte dorthin. Auf halbem Wege kam ihm Balthasar entgegengesprengt und schrie: »Der Böse sitzt in der Bande! Sie haben mit großer Macht unversehens uns von dort überfallen, Feuerbrände gegen das Tor geschleudert und ringen nunmehr mit den Wenigen, so wir dort haben, – helfet, Herr!«
Walter schrie den Kämpfenden an der Mauer einige Worte zu, und etliche Fünfzig eilten ihm nach, die Gefahr abzuwenden. Das Tor hatte Feuer gefaßt, rasch wurde Wasser gegossen ... Walters Stimme klang scharf und kurz; die Leute flogen, seine Befehle zu tun, aber die Übermacht war zu groß.
Immer neue Feuerbrände flogen, hell loderten die Flammen auf – –
Balthasar jagte zurück, alle die Kämpfenden, die am Haupttor zu entbehren waren, zur Hilfe zu holen – – und fand dort heillose Verwirrung.
Die aufsteigenden Flammen hatten die Mannschaft stutzig gemacht; ihr Gebieter war nicht da ... besorgt schauten sie dorthin, wo das laute Geschrei der Angreifenden und Zurückgeschlagenen ertönte ... auf den Augenblick hatte Rudolf gerechnet. Im Nu waren die Seinen in Kähnen auf dem Wassergraben, hatten Sturmleitern angelegt und erkletterten die Mauern.
Gerade da kam Balthasar.
»Tod den Feinden«, schrie er, »rettet euer Leben und die Burg – Tod jedem, der sich auf der Mauer blicken läßt.«
Er kehrte zurück – ohne Hilfe –
Walter hatte nur noch zehn Männer um sich; alle anderen lagen teils tot, teils schwer verwundet am Boden.
»Keine Hilfe?« rief Walter.
»Keine; die Feinde ersteigen die Mauern!«
»Kämpft weiter; ich muß hin«, rief der Graf und flog hinab.
Unten im Hof fand er die Seinen im Handgemenge mit den Habsburgischen; immer mehr erschienen auf der Mauer. Ein Hagel von Pfeilen empfing ihn, er achtete nicht darauf.
Mit Donnerstimme rief er seiner Mannschaft zu: »Zurück zur Oberburg; noch ist nichts verloren!«
Er sprengte zurück, rief Balthasar das gleiche zu und jagte weiter zur oberen Burg, wo er das schmale, feste Eingangstor weit öffnen ließ.
Kämpfend zogen sich die Röttler Mannen zurück ... jeder Schritt wurde mit Blut erkauft ... endlich war der letzte über die kleine Zugbrücke; rasselnd flog sie in die Höhe vor den nachstürmenden Gräflichen. Walter selbst schloß das Tor. Er war bleich bis in die Lippen; finster war die Stirn zusammengezogen, nur in den blauen Augen sprühte und flammte es.
Er nahm sein Roß am Zügel und führte das sich zuerst sträubende Tier mit sicherer, fester Hand den gewohnten Gang die Treppen hinauf in den kleinen Burgzwinger.
Hier scharten sich die Seinen um ihn – – er überflog ihre Reihen – – es fehlten mehr als die Hälfte!
Schweigend sahen die Getreuen ihren Herrn an. Da reckte er die kraftvolle Gestalt, riß den Helm herab, daß der milde Wind ihm die Stirn kühlte, ballte die Faust und rief: »Ihr Mannen von Rötteln, siegen oder sterben – aber nimmermehr ergeben!«
»Siegen oder sterben, nimmermehr ergeben«, jubelten sie ihm zu – der Bann, der einen Augenblick auf ihnen gelegen zu haben schien, war fort. Sie schwuren ihm begeistert Treue bis in den Tod.
Es war inzwischen Spätnachmittag geworden.
Die Habsburgischen schienen den Kampf nicht weiter fortsetzen zu wollen. Man hörte ihren Siegesjubel im Zwinger, aber es erfolgte kein weiterer Angriff.
»Laß sie der Ruhe noch die Nacht pflegen«, lachte Rudolf Herrn von Schwanau zu. »Sicher sind sie uns doch, und die Unseren brauchen auch Kräfte, maßen der Kampf noch heiß genug morgen werden wird.«
Er gab Befehle aus, den Grafen Walter wenn möglich lebend zu fangen; niemand sollte auf ihn zielen.
So kam der Abend und die Nacht; in der oberen Burg lagen die Röttler teils auf dem Hofe am Boden, teils in der Halle; aber niemand schlief, sie wußten alle, daß den neuen Abend wohl nur wenige erleben würden. Walter saß auf der Platte, die den unterirdischen Gang deckte, der treue Balthasar neben ihm.
»Herr, ruhet«, bat er.
»Laß mich, nein«, wehrte Walter.
Lange war es still, nur der Nachtwind flüsterte im Geäst. Walter preßte die Lippen zusammen, um nicht aufzustöhnen vor innerer Qual. An sich dachte er nicht, nur an seine Burg, das Schloß seiner Väter, er dachte an seine Getreuen und ihr Schicksal, das sie ereilen würde; er dachte an die, die dort unten ihr Blut vergossen hatten für die Heimat, und sein Herz zog sich zusammen. Gab es keine Rettung, keine?
Er sah keinen Ausweg!
Er sprang auf und machte ein paar erregte Schritte.
»Herr«, sprach Balthasar, »so wir uns noch morgen halten könnten und sogleich, jetzt, einen Boten gen Basel sendeten, der hochwürdigste Bischof würde uns doch nimmer im Stich lassen!«
»Schwerlich«, entgegnete Walter, »mir kam just der gleiche Gedanke. Wen senden wir? Laß sehen.«
Er überflog seine Getreuen und rief einen Knappen herbei. Balthasar schob mit Walters Hilfe die Steinplatte zur Seite, öffnete die Tür zum Gang und sprach: »Du kennst den Weg nicht, sei also sorgsam und merke, Eile tut not.« In kurzen Worten gab ihm Walter Befehle, zum Bischof zu eilen und ihn um Hilfe zu bitten; der Knappe stieg hinab, und die Tür schloß sich.
Der Mann kam nie in Basel an; er war zu unvorsichtig und wurde, da er zu dicht am habsburgischen Lager vorüberkam, niedergemacht. Hätte auch seine Sendung wenig genützt, der Bischof hatte selbst nicht Überfluß an Mannen in Basel, das er auch schützen mußte. Er hatte sofort, nachdem Otto hingebracht worden war, noch in der Nacht zu dem Homburger gesandt, der im Sundgau mit einem starken Abteil stand, aber von dort konnte Hilfe erst in zwei Tagen kommen. Doch hoffte der hohe Herr auf Röttelns starke Mauern.
Der Morgen graute; der Tag brach an. Balthasar schaute in das zunehmende Licht; würde er den Abend noch sehen? Er schüttelte den Kopf. »Mich schreckt der Tod nicht«, murmelte er leise, »und solches verdanke ich dem guten Pater Rubertus! Mein Gott, vergilt ihm, was er an so manchem unter uns, was er an mir getan hat.«
In seine Gedanken hinein tönte Walters Stimme, der die Seinen zusammenrief. In kurzen, kräftigen Worten sprach er zu ihnen von der Hoffnung auf Hilfe, wenn sie die Oberburg halten könnten, und schloß: »Doch ist es nicht möglich, dann sterben wir! Es gibt nur zweierlei noch für und: Freiheit oder sterben, Ergebung keine!«
Diesmal antwortete ihm kein begeisterter Zuruf, aber statt dessen drängten sich die Mannen an ihn, einer nach dem anderen faßte ehrerbietig, aber mit festem Druck, seine Hand.
»Nun ans Werk«, rief der Graf, »die Habsburger sollen uns bereitfinden, wenn sie kommen!«
Und sie kamen ... kamen mit solcher Gewalt, daß auch dem Stärksten das Herz erzitterte. Es war ein furchtbares Ringen, und so gedeckt auch die Röttler standen, so traf doch bald hier, bald dort ein Pfeil eine Brust, – der Getroffene sank lautlos zusammen – über ihn ging der Kampf weiter, – – wer hätte heute noch Zeit gehabt, der Verwundeten zu denken?!
Von drüben her hatten sie über den Graben Sturmleitern an die Mauern gelegt; aber sobald sich einer der habsburgischen Mannen hinaufwagte, sank er getroffen in das Wasser.
So tobte der Kampf bis gegen Mittag, und noch war der Stand der Dinge der gleiche wie am Morgen, nur daß Tote und Verwundete bei den Habsburgischen in großer Zahl den Boden deckten.
Da riß dem Grafen Rudolf die Geduld. »Mehr Sturmleitern her«, schrie er, »Feuerbrände dazu und Pechkränze; Tod und Teufel, bis zum Nachmittag will ich Herr der Burg sein! Der erste, der mir von drinnen das Tor öffnet, wird heut noch zum Ritter geschlagen.«
Das zog! Wie die Ameisen kletterten sie auf den Sturmleitern empor, und wenn auch noch viele der Tapferen tot hinabsanken, es gab für die Nachdrängenden kein »Zurück« mehr ... und diesem heftigen Ansturm konnte das zusammengeschmolzene Häuflein der Röttler keinen genügenden Widerstand mehr bieten.
Und jetzt kam noch das Schlimmste dazu: im Kampfgewühl hatten sie nicht merken können, daß die Habsburger Pechkränze und kleine Strohbündel geschickt an das Tor zu bringen gewußt hatten, – – der starke Wind tat das seine dazu – – mit einem Wehschrei sahen sie urplötzlich die hellen Flammen emporlodern.
Diesen Moment der allgemeinen Verwirrung benutzend, sprangen etliche der Habsburgischen über die Mauer hinab, rissen die Kette los, daß die Zugbrücke dröhnend herabflog, und wenn sie auch ihr Wagestück mit dem Leben bezahlten, so war doch dem Grafen Rudolf der Weg frei!
Mit wenigen Sätzen hatten seine Mannen das brennende Stroh in den Graben befördert, andere schleppten Wasser herbei; im Nu war das Feuer am Tor gelöscht ... noch eine kurze Stunde ... krachend brach es auseinander unter der Wucht der Steinwerfer.
Nun entstand ein furchtbares Handgemenge!
Langsam wichen die Röttler zurück – Schritt für Schritt, aber wenn auch einer von ihnen es im Mute der Verzweiflung mit zehn Habsburgischen aufnahm – wenn auch die Leichen der Feinde sich häuften, so sank doch auch von ihnen einer nach dem anderen tödlich getroffen dahin. Walter kämpfte wie ein Wilder; hageldicht sausten seine Streiche hernieder, nie das Ziel fehlend ... aber was vermochte er auszurichten, er mit den fünfzehn, die vor ihm fochten, um ihn zu decken!
Neben ihm hielt sein treuer Balthasar.
»Herr«, rief er, »alles ist verloren; gibt's denn für Euch keine Rettung, keinen Weg, damit Ihr Euch Rötteln wiederholen könnt?«
Walter antwortete nicht sogleich – – er sah keinen Weg – nur einen – und der war fast sicherer Tod – – »Aus Elisabeths Altanzimmer, Balthasar«, sprach er fliegend.
»Allmächtiger, das ist sicherer Tod, Herr«, schrie der Getreue entsetzt.
»Tausendmal eher den, als von der Hand dieser Buben oder gar ihr Gefangener«, rief Walter hart, »es ist der einzige Weg!«
»Herr, gehet ihn mit Gott, vielleicht erhaltet Ihr Euch für Rötteln! Erobert es Euch zurück«, preßte Balthasar hervor, »und wenn Ihr –« ein Pfeil traf ihn; er glitt lautlos zu Boden.
Walters Hand sank herab; einen Blick warf er auf den treuen Knecht, einen zweiten auf die Wenigen, die noch vor ihm kämpften, – – wie aus weiter Ferne tönte der Siegesjubel der Gräflichen an sein Ohr, – – er riß seinen Hengst zurück, und während auch der letzte seiner Mannen zur Erde sank, hatte er mit seinem schnaubenden Tier die wenigen Stufen erstiegen und hielt an der Tür des Altanzimmers.
Jubelnd stürmten die Feinde heran; nun war er ihnen sicher ... nun konnten sie ihrem Herrn den tapferen Feind bringen ... auch Rudolf war inzwischen in den Burghof gekommen und blickte frohlockend zu Walter hinüber ... da plötzlich Totenstille ... der Graf hatte die Zügel fest gefaßt, dem Tier die Sporen gegeben, und mit einem gewaltigen Satz flog es vom Altan hinab mit seinem Reiter in die Tiefe!
Wie erstarrt standen die Sieger und schauten zuerst gebannt auf die leere Stelle; dann eilten einige an den Altan und blickten schaudernd in den Abgrund, wo zerbrochene Baumäste ihnen den Weg zeigten, den der Graf genommen hatte. Die anderen aber stürzten aus dem Burghof hinaus, um die Leiche des tapferen Feindes zu suchen.
»Alle Heiligen«, sprach Rudolf zu Herrn von Schwanau, der neben ihm stand, »in dem Röttler steckt mehr Mut, als ich bis anjetzo sonst irgendwo gefunden! So sie die Leiche finden, soll ihm ein ehrenvoll Ritterbegräbnis werden; er hat es redlich verdient.« Damit schritt auch er hinauf in das Zimmer und sah kopfschüttelnd und schaudernd in die gähnende Tiefe.
»Schade um ihn«, murmelte er.
Als er wieder in den Hof trat, kamen ihm atemlos einige seiner Leute entgegen. »Herr«, riefen sie, »solches kann nimmer mit rechten Dingen geschehen! Wir fanden dort unten verendend den schwarzen Hengst des Röttler Herrn, von ihm selber aber nichts weiter denn seinen Brustharnisch.«
Schier wollte dem Grafen die Sprache vergehen! Er fuhr auf: »Tod und Teufel, so kann er doch nimmer weit sein! Verfolgt ihn, sucht nach ihm; er hat sich sicher gen Basel gewandt; hoher Lohn dem, der ihn fängt.«
Die Mannen eilten auseinander, und bald sah man sie eifrig auf der Suche nach dem Grafen von Rötteln.
Dieser saß indessen verborgen in einem Hause des Dorfes, angetan mit den Kleidern des Bauern. Die guten Leute zitterten vor Angst um das Leben ihres Herrn und um ihr eigenes und bebten, als sie die Verfolger sahen; aber ihre Sorge war unbegründet. Die Söldner hatten es nicht so eilig wie ihr Herr und hätten lieber der Ruhe gepflegt, als nach einem einzelnen Mann zu suchen. So kehrten sie, da es dunkelte, unverrichteter Sache zur Burg zurück.
Walter aber entkam im Schutz der Nacht und langte nach zwei Stunden vor Basel an. Erschrocken erkannte ihn der Torwächter an der Rheinbrücke und ließ ihn ein – entsetzt schaute ihn der Bischof an, den er um weniges später aus dem Schlaf geweckt hatte.
»Walter, um der Heiligen willen, was ist geschehen?«
Da sank der todesblasse, unglückliche Mann auf einen Stuhl, bedeckte das Gesicht mit den Händen und stöhnte verzweifelt: »Alles verloren! Auf Rötteln sitzt der Habsburger!«