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Zwanzigstes Kapitel

Im habsburgischen Lager herrschte tiefe Stille. Die Mannen pflegten der Ruhe, sie schliefen, – und auch die Wachen standen oder lagen schläfrig auf ihren Posten.

Rudolf ruhte auf dem Lager in seinem Zelt und dachte nach. Schon am Vormittag sollten Lutold und Hugh nach der Habsburg gebracht werden; er lachte leise in sich hinein, der Fang war ein guter! Ob die Herren, die er im Zelte nebenan hatte unterbringen lassen, gut schliefen? Kaum, nun, er konnte es nicht ändern! Es war ja auch wohl nicht gerade ein angenehm Gefühl, sich von doppelten Wachen beobachtet zu wissen, und er hatte zuverlässige Leute um ihr Zelt gestellt.

Da – – was war das? Ein gurgelnder Schrei war durch die Morgendämmerung geklungen. Rudolf sprang auf – wilde Rufe gellten durch das Lager – er griff zum Schwert und war mit einem Satze hinaus.

Einen Augenblick freilich stand er wie erstarrt ... aber dann rief seine Donnerstimme die aufgerüttelten Schläfer zusammen, und wie ein Rasender stürzte er auf das Häuflein bis an die Zähne Bewaffneter, das über die Leichen der erstochenen Wachen hinweg mit Lutold und Hugh in der Mitte davoneilen wollte!

Die doppelten Wachen waren für Walter von Rötteln das Zeichen gewesen, wo er seinen Bruder zu suchen hatte.

Nun begann ein wildes Ringen!

Die tapferen Röttler Mannen hieben und stießen in blinder Wut um sich, dabei den Weg zum nahen Walde nehmend, durch den sie sich wie die Katzen herangeschlichen hatten und wo ihre Pferde unter Aufsicht einiger geblieben waren. Walter deckte als letzter den Rückzug, ... mit dem Mut der Verzweiflung wehrte er sich gegen den andringenden Feind, nicht achtend, daß sein Blut schon aus mehreren Wunden floß.

Da sah er Hugh von Marschalke tödlich getroffen zusammensinken – sie waren dicht am Walde. »Auf die Pferde«, schrie er, »Lutold, rette dich! Grüß meinen Sonnenstrahl, meine Braut!«

Den todesbleichen Jüngling in ihrer Mitte, stürmten die Mannen davon, vermeinend, ihr Herr sei bei ihnen ... der aber lag auf dem nassen Waldesboden still und bleich – die blitzenden Augen waren geschlossen – rings färbte sich das Moos rot.

Rudolf kniete neben ihm, löste den Harnisch und ließ vom Feldscher die Wunden untersuchen.

»Sehr schwer«, murmelte der kundige Mann, »glaub' nicht, daß wir das Leben halten, Herr.«

»Tut, was Ihr könnt«, sprach Rudolf, »er soll die beste Pflege haben. Alles soll geschehen, ihn zu erhalten.«

Tiefe Bewegung zuckte über sein Gesicht, aber nur einen Augenblick, dann gab er Befehl, sein Zelt für den Todwunden herzurichten, und wandte sich ab.

Eine Stunde später trat er leise an Walters Lager. Lange sah er auf den Mann, der ihm stets als der ebenbürtigste Gegner erschienen war und der nun gebrochen vor ihm lag. Nur ein leises Stöhnen hin und wieder gab Kunde, daß das Leben noch da war.

Rudolf sann einen Augenblick nach – – »er ist es wert, daß ich's tue«, murmelte er und schritt eilig hinaus.

»Reite nach Rötteln«, befahl er seinem Lieblingsknappen, »laß ein weiß Tuch flattern und begehre den Grafen Otto zu sprechen. Gib ihm Kunde, sein Bruder sei todwund und mein Gefangener. Es solle ihm aber an nichts fehlen; dieserhalb soll man sich dort keine Sorgen machen. Ich wüßt', wie man an edlen Feinden zu handeln hätt'. Sein Meisterstück, der Todessprung auf Rötteln, und daß er jetzt sein Leben für den Bruder eingesetzt, hätt' mein Herz gewonnen, ihn als meinen Bruder zu betrachten« – – –

In das Rüttler Wohngemach leuchtete die Wintersonne mit hellem Schein; die beiden darinnen achteten es nicht. Otto schaute hinaus in das Wiesetal; seine Finger wühlten in seinem langen, blonden Barte, und finster waren die Augen zusammengezogen. Lutold saß am Tisch, das Gesicht in den Händen verborgen. Er war wie im Fiebertraum. Schlag auf Schlag war seit gestern abend zu schwer auf ihn niedergefahren. Ihm war zu Sinne, als seien Jahre verstrichen seit dem letzten Abend auf Werra, – – und doch waren es nur Stunden, die dahingegangen waren.

Der Überfall der Burg, seine Gefangennahme, die Befreiung durch Walter, Hughs Tod – und jetzt, vor kaum zehn Minuten, die Kunde über Walter durch des Habsburgers Knappen! Es summte ihm im Kopf, ... er vermochte kaum noch zu denken. Rasch sprang er auf und machte einen kurzen Gang durchs Gemach. Da tönten ihm Walters letzte Worte im Ohr nach ... schier hatte er sie vergessen.

Seine Braut? Wen konnte er meinen? ... Wie mit Eiseskälte kroch langsam eine Ahnung durch sein Herz; er blieb vor Otto stehen – – »und Walters Braut?«

Der fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, – – »arme, kleine Ursula!«

»Ursula?« Lutold erschrak schier vor seiner eigenen Stimme, so fremd klang sie ihm. Otto nickte trübe: »Ach so, ja, ich vergaß; Walter wollte es dir selbst mitteilen, es ist noch geheim; nur der Ohm weiß bis jetzt davon.«

Da wandte sich Lutold um und verließ das Gemach.

Als Otto später nach ihm fragte, war er nirgends zu finden, man hatte ihn aber den Weg zum Friedhof einschlagen sehen.

Schwüle Stille lagerte über der Burg; man sah nur tiefernste Gesichter; groß war um Walter die Sorge und Trauer.

Als es fast Mittag war und Lutold noch immer nicht kam, fing Otto an, besorgt zu werden. Schon war er im Zwinger drunten, um selbst nach dem Friedhof zu gehen, da ließ der Wächter Lutold ein. Otto trat rasch auf ihn zu, ... das Wort stockte in seinem Munde ... auf Lutolds Antlitz lag der ganze schwere Ernst eines gereiften Mannes, und durch sein blondes Gelock zogen sich Silberfäden.

Sekundenlang schaute Otto ihn an – – er verstand plötzlich alles! Tief erschüttert zog er den Bruder an die Brust; verräterisch glänzte es in seinen Augen. »Alles scheint auf Rötteln zusammenzubrechen«, sprach er dumpf.

Lutold machte sich sanft los. »Sattle, ich will gen Basel«, rief er einem Knechte zu.

»Lutold?« fragte betroffen Otto.

Er nickte. »Fürchte nichts! Ich muß zum Bischof, ihm Kunde von Werra bringen.«

Bald trug ihn sein Roß den wohlbekannten Weg hinunter zur Stadt. Er ließ die Zügel hängen – er sann und sann. Wie hatte der Ohm einst zu ihm gesagt: »Bist du weltmüde, so komm, die Kirche kann solche Leute brauchen, wie du einer bist!« – Weltmüde! Er war mehr als das! Aber nein, noch brauchte Rötteln seinen Arm, noch galt es streiten und siegen! Es war wohl nicht das letztemal, daß er im Kampfgewühl gestanden, – und dort hatte schon mancher Weltmüde Ruhe gefunden – – –

Als er in Basel in Herrn Heinrichs Gemach trat, fuhr dieser auf, als sähe er einen Geist!

»Lutold!«

Schweigend sank der Jüngling auf ein Polster und barg das Gesicht in den Händen. Minutenlang herrschte tiefe Stille, dann fragte der Bischof, schwer atmend: »Und Walter?«

»Todwund, – des Habsburgers Gefangener«, und in kurzen, abgerissenen Sätzen berichtete Lutold, was geschehen war.

Der Bischof hatte das Kinn in die Hand gestützt und antwortete nichts. Er stand auf und schritt etliche Male durch das Gemach. Dann blieb er vor Lutold stehen und sagte: »Du tatest deine Pflicht; gegen Verrat kann niemand an! Und Walter tat seine Pflicht, – wann hätten die Röttler sie nicht getan! Was aber nun werden soll ... ich weiß es nicht, wenigstens jetzt noch nicht! Ich muß erst ruhig werden, muß nachdenken, geh zu den Frauen und laß dich pflegen – noch wissen sie nichts, sag's ihnen schonend.«

Ein leises Pochen unterbrach ihn; die Tür ging auf, und Ursula schaute herein. »Verzeihet, Herr Ohm, ich wollte Euch erinnern«, – das Wort erstarb ihr, sie sah, daß etwas Besonderes vorgefallen war; mit wenigen Schritten stand sie im Zimmer: »Herr Ohm, was ist geschehen? Ich hörte soeben, Kunde sei von Rötteln gekommen.«

Herr Heinrich strich ihr leicht über das blonde Gelock: »Wir kommen schon zu dir und Oda; geh jetzt nur, laß uns allein.«

»Wir?« Sie schaute sich um und gewahrte nun erst den Grafen. »Lutold, Ihr? Und wo ist Walter?« schrie sie auf.

Er vermochte nicht zu antworten, ihm war die Kehle wie zugeschnürt; mit sonderbarem Ausdruck lag sein Blick auf dem Mädchen, dessen Bild er so hoffnungsfroh bis zu diesem Morgen im Herzen getragen hatte.

»Was ist mit Walter?« rief Ursula leidenschaftlich und griff seine Hand, »– o, er ist tot, und Ihr wollt es nicht sagen –«

Auch jetzt brachte er keinen Ton hervor ... es schwamm ihm wie Nebel vor den Augen, wie aus weiter Ferne hörte er den Bischof in schonenden Worten Ursula etwas sagen ... er sah die zarte Gestalt ohnmächtig zu Boden gleiten – hörte Stimmen – Schritte – ohne imstande zu sein, sich zu bewegen, und nun war es, als wenn ein Meer mit schwarzen Wogen sich brausend über ihn wälzen wollte ...

Mit eisernem Griff faßte eine Hand seinen Arm, schüttelte ihn heftig, und klar und schneidend klang eine Stimme an sein Ohr: »Was stehst du hier wie ein Feigling und zitterst? Bist du ein Mann oder eine Memme?«

Wie ein Sturzbad wirkten diese Worte; der Anfall von Bewußtlosigkeit schwand; er sah den Bischof vor sich stehen.

»Geh schlafen und zieh die Decke über die Ohren, so du Waffengetöse nicht hören kannst«, fuhr dieser hart fort, »und so du nach einem Mißerfolg die Flucht ergreifen willst! Geh heimwärts, ich brauche Männer, – keine Träumer, Taten – nicht Klagen.«

Der letzte Rest von Schwäche war bei Lutold geschwunden; er richtete sich hoch auf. »Bischof Heinrich, ich bin ein Röttler!«

»So handle als solcher! Wetz' aus die Scharte, die ›Werra‹ heißt, und sei es mit deinem Blut.«

Lutold schwieg sekundenlang – »Ich will«, und er streckte dem Bischof die Hand hin.

»Vorwärts denn«, sprach dieser, »es ist nichts so schwer, es kann überwunden werden. Geh' jetzt zu den Frauen; sie werden dir einen Imbiß besorgen – –«

»Ich kann nicht«, preßte Lutold hervor, und wieder drohte ihn der Schwindel zu fassen.

Lutold zuckte wie von einem Schlage getroffen zusammen.

»Du mußt«, fuhr der Bischof ihn hart an. »Ein Feigling, wer um eines Weibes willen den Kopf verliert! Vorwärts, es gilt Röttelns Ehre, die durch dich erniedrigt ist!«

»Bischof von Basel, bedenkt Eure Worte!«

»Solches tue ich«, entgegnete dieser eisig wie zuvor. »Beweise, daß du ein Mann, ein Röttler bist.«

Da richtete der Graf sich hoch auf; sein Kopf war klar geworden. »Wo sind die Frauen? Ich will sie grüßen und will dann heimwärts reiten.«

Der Bischof wies hinaus: »Mein Diener geleitet dich; melde dich noch einmal bei mir, ehe du reitest.«

Stolz und sicher verließ Lutold das Gemach. Der Bischof sank mit einem tiefen, erleichterten Aufatmen in einen Sessel und flüsterte vor sich hin: »Den Heiligen sei Dank; jetzt scheint er gerettet! Hab's ja nimmer geahnet, daß er sein Herz an Ursula gehängt; erst sein Blick, da sie vor ihm stand, verkündete mir alles! 's ist schier zu viel für ihn! Erst die Burg, dann den Bruder, dann die Liebste – – mich nimmt's wunder, daß meine Härte ihn herausriß! Freilich, anderes hätte auch nimmer geholfen! Armer Mann!«

Dann aber kehrten seine Gedanken zu der verlorenen Burg wieder, und in ohnmächtiger Wut ballte er die Faust; rastlos begann er mit finstergerunzelter Stirn im Gemach auf und ab zu schreiten.

Inzwischen war Lutold in Odalsindes Wohngemach geführt worden. Wohl bebte er davor, Ursula wiederzusehen; aber des Bischofs harte Rede wirkte noch in ihm nach. Zu seiner Erleichterung betrat bald nach ihm Oda allein das Zimmer, von einer Magd gefolgt, die Erfrischungen trug. Ihr schönes Antlitz trug noch Tränenspuren, und Tränen schimmerten aufs neue in ihren Augen, als sie ihm wortlos beide Hände bot.

Da die Magd hinaus war, brach er das Schweigen. »Ich bin ein schlimmer Bote, holde Schwägerin!«

Sie nickte. »O Lutold, daß wir uns so wiedersehen müssen! Wüßte man nicht, Gottes Hand hält alle Fäden der Menschenschicksale, man könnte vermeinen, unter den schwarzen Wolken schier erliegen zu müssen.«

Er antwortete nicht; mechanisch goß er sich einen Becher Wein ein.

»Was wird geschehen, Lutold?« fragte Odalsinde beklommen.

»Ich weiß nicht«, entgegnete der Graf. »Ihr habt recht, man könnte schier erliegen! Doch nein, eher sterben!«

Er sprang auf und trat ans Fenster. Die Gräfin erwiderte nichts; Tränen rannen über ihr Gesicht.

»Entlaßt mich, Herrin«, sagte Lutold, vor sie tretend.

»Genießt erst etwas«, bat sie.

»Nein«, wehrte er ab, »ich kann nicht! Soll ich Otto von Euch grüßen?«

»O tausendmal«, sprach sie leise. »Sagt ihm, meine Gedanken und Gebete seien stündlich um ihn.«

Eine Magd unterbrach sie und rief sie zu Ursula.

»Wartet«, bat sie im Hinauseilen.

Es währte lange; ungeduldig schritt Lutold im Gemach auf und ab. Da kam Odalsinde mit verstörtem Gesicht herein.

»Lutold«, rief sie, »ratet Ihr ab, vielleicht hört sie auf Euch, – nimmer, nimmer darf sie das tun!«

»Wer? Was?« fragte er bestürzt.

»Ursula will ins habsburgische Lager und Walter pflegen – schon rüstet sie zum Aufbruch, und kein Gegenreden hilft.«

Ehe er antworten konnte, wurde rasch die Tür geöffnet, und Ursula stand vor ihm. Totenbleich war das liebliche Gesicht; aber auf ihren Zügen lag eine Entschlossenheit, Festigkeit, die er ehedem niemals bei seiner kindlichfrohen Base kennengelernt hatte. »Geleitet Ihr mich, Lutold? Sonst reite ich allein«, fragte sie.

Odalsinde wandte sich fort; heiß schoß es ihr in die Augen, in dem Blick, mit dem der Graf das Mädchen umfaßte, las sie alles! Da hörte sie seine Stimme; sie merkte, welche Anstrengung ihn das Reden kostete.

»Bleibt, wo Ihr seid, Base«, sprach er langsam und kühl, »was wollt Ihr im lärmenden Lagerleben? Solches ist kein Platz für Euch! Walter hat alles, ließ der Habsburger uns melden, und alles geschieht zu seiner Rettung.«

»Alles hat er, und doch fehlt ihm eins, die liebende Hand«, entgegnete sie mit fliegendem Atem. »Ihr kennt die Liebe nicht, nimmer hieltet Ihr mich sonsten zurück! Ich reite also ohne Euch.«

Ein schneidendes Auflachen antwortete ihr – erschreckt blickte Odalsinde ihn an ... aschfahl war sein Gesicht. Er preßte die Lippen zusammen und stützte sich so schwer auf ein kleines Tischchen, daß es zusammenbrach.

»Ich reite mit Euch, sogar bis zum Habsburger«, sagte er dann kurz, »seid bereit in einer halben Stunde; Ihr trefft mich beim Ohm.« Damit verließ er das Gemach.

»Nun?« fragte der Bischof, als er bei ihm eintrat.

Lutold erzählte ihm von Ursulas Vorhaben.

»Sie ist von Sinnen«, fuhr Heinrich auf, »ich laß sie nimmer fort!«

»Doch, Ohm, Ihr müßt«, entgegnete Lutold ruhig. »Laßt sie zu ihm! Rudolf von Habsburg ist ein Edelmann; dorten ist sie so sicher als hier.«

Der Bischof ging etliche Male auf und ab: »Und wer wird sie hingeleiten?«

»Ich«, erwiderte Lutold gelassen.

»Du?« fragte stehenbleibend der Bischof gedehnt unbetroffen.

Lutold richtete sich hoch auf. »Jawohl ich, Graf Heinrich! Zweifelt Ihr etwa an meinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, solches zu tun?«

»Vorhin zweifelte ich an beiden«, antwortete Heinrich mit feinem Lächeln, »jetzt nicht mehr!«

Wieder schritt er etliche Male auf und ab und blieb wieder vor Lutold stehen, ihn lange anschauend. Wie als den Schluß einer langen Gedankenreihe sagte er dann langsam: und

Wenn der Streit vorbei und Friede eingekehrt ist, wenn auf dem Röttler Horst zwei Adler nisten, was dann?«

Wie träumend schaute der junge Graf an ihm vorbei, hinaus nach dem Rhein; es zuckte um seinen Mund, aber er erwiderte stolz: »Dann hat der Dritte hoffentlich mit seinem Blut den Flecken weggewaschen, der ›Werra‹ heißt, und dabei die Ruhe gefunden, die er verloren hat.«

»Und wenn nicht – was dann?«

Voll wendete ihm Lutold den Blick zu. »Ohm Heinrich, als unsere Waldblume noch lebte, da sagtet Ihr mir einmal, die Kirche könne mich brauchen; ich solle kommen, so ich weltmüde sei, – wollt Ihr mich alsdann haben?«

»Komm, mein Sohn, die Kirche braucht deiner«, rief Heinrich warm.

»Aber Ohm, ich bin mehr als weltmüde – –« seine Stimme brach.

Der würdige Herr nahm sanft wie eine Mutter die jugendliche Gestalt in seine Arme. »Auch ich war einst, wie du, mehr denn weltmüde, da ich mich in die rettenden Arme der Kirche flüchtete, mein Sohn; aber ich fand bei ihr, was ich sonsten nimmer gefunden: Ruhe, Frieden, Befriedigung auch im Unglück. Meine zweite Liebe vergalt mir mit gleicher Liebe; auch du wirst finden, was ich fand! Nun sei ein ganzer Mann, sei ein Held – sei ein echter Rüttler, der du immer warst.«

»Habt Dank, Ohm, für Eure Worte; Ihr habt mich vor Verzweiflung gerettet! Erst half Eure Härte – mehr noch jetzt Eure Milde! Ihr sollt Euch nimmer in mir täuschen!«

»Ich weiß«, nickte Herr Heinrich, »und nun mögen dich die Heiligen geleiten. Für Otto habe ich keine Aufträge. Ursula müssen wir der heiligen Jungfrau befehlen. Wir sehen uns bald wieder. Jetzt bleibt mir nur die schwere Pflicht, Herrn Hugh von Marschalke die Kunde vom Tode seines einzigen Sohnes zu bringen.«

Nach einer Stunde verließ Lutold Basel; ihm zur Seite ritt Ursula; ein Diener und die Gürtelmagd folgten.

*

In seinem Zelt stand Rudolf von Habsburg und schaute abwechselnd von Lutold zu Ursula. Auf seinem stets tief ernsten Gesicht kämpfte ein seltsam Gemisch von Staunen und Bewunderung – schier war es ihm nicht möglich, zu fassen, was die beiden da wollten!

Er strich mit der Hand über die hohe, kalte Stirn und sagte alsdann: »Wollet mir, Graf von Rötteln, vergönnen, etliche Fragen an Euch zu richten, maßen ich nimmer recht zu hören vermeine. Ihr kommt zu mir mit dem weißen Tuch, und Ihr wißt, solch Zeichen ist heilig. So Ihr allein gekommen wäret, hätte ich eher begriffen; aber Ihr bringt mir da ein Edelfräulein mit – – –«

Rasch trat Ursula einen Schritt vor; ihr Antlitz glich dem Schnee, aber alle ihre sonst so kindliche Schüchternheit war fort, frei und kühn stand sie vor dem Habsburger und sprach: »Ihr wisset Eure Rede nicht zu vollenden, edler Graf, solches versteh ich! Es ist ein gar seltsam Ding, besten ich begehre. Also höret noch einmal: Graf Lutold begleitete mich hierher – maßen ich sonst den Weg allein gemacht hätte, da ich Euch bitten will, vergönnet mir, Graf Walter zu pflegen! Er ist todwund« – ihre Stimme wankte – »da bedarf er zarter Hand und Pflege.«

»Die hat er; ich sorge für ihn, als wär' er mein eigen Fleisch«, sagte der Habsburger langsam, »er hat mein Herz gewonnen mit seiner Tat für den Bruder, – – seid Ihr seine Schwester?«

»Ich bin seine Braut, Herr Graf! Schickt mich nicht fort«, bat Ursula mit bebender Stimme, »denkt, es ist vielleicht das letzte, so ich ihm tun kann, denkt, so es einer Eurer Töchter so ginge denn mir –« sie brach ab.

Der Graf wandte den Kopf zur Seite – er war besiegt.

»Bleibet, Mägdelein«, sagte er gütig, »und pfleget ihn! Sobald als möglich lasse ich ihn nach der Habsburg bringen, bis dahin bleibt er in Werra. Allerorts könnt Ihr für ihn verlangen, was Ihr wollt, und es soll Euch werden. Seid Ihr zufrieden?« Er bot Ursula die Hand.

»Ich dank' Euch, Graf Habsburg.«

Da fuhr Lutold auf. Finster hatte er die Stirn zusammengezogen, aber mit keinem Wort die beiden unterbrochen. Jetzt rief er: »Ein Edelfräulein in der Rauhheit des Lagerlebens! Ursula, Ihr wollt auf mich nicht hören – Graf von Habsburg, sagt Ihr es dem Kinde, was solches bedeutet!«

Der Graf blickte zu Ursula und begegnete ihrem flehenden Blick. Mit feinem Lächeln sagte er: »Ich vermeine, das Kind sei ein tapfer Weib! Kein Haar wird ihr gekrümmt werden, ich hafte mit meinem Blut für der Gräfin Sicherheit – genügt Euch solches, Graf von Rötteln?«

»Es genügt mir«, sagte Lutold tonlos. »Lebt wohl, Gräfin Ursula, grüßt Walter, so er Euch kennet.«

Als Ursula zu Walter gebracht wurde, trat Lutold auf den Grafen zu, schwer ging sein Atem. »Habsburger Graf, Ihr seid ein edler Mann! Nun erfüllt auch meine Bitte: laßt mich hier an Walters Statt, und laßt ihn gen Rötteln bringen.«

Der Habsburger fuhr auf und durchmaß den kleinen Raum etliche Male mit langen Schritten. Dann blieb er vor Lutold stehen, legte beide Hände auf dessen Schultern und schaute ihn mit seltsamem Blick an.

Seine Stimme klang heiser: »Beim heiligen Gott, Euer Vater ist noch im Grab zu beneiden, da ihm solche Söhne blühen! Röttler Graf, weiß nicht, was ich drum gäbe, hält' ich Brüder gleich Euch und Walter! Stahlhart soll Mannesherz sein, und wird es im Kampf und Streit, aber tief drinnen muß neben der Härte die Liebe wachen, so es ein echt deutsch Herz ist! Röttler Graf, Ihr habt solch Herz, – aber ich auch! Nein, ziehet hin in Frieden und Ehren, noch ist der Streit nimmer beendet, Rötteln kann Euer nicht entraten! Walter aber, ich gelobe es Euch mit meinem Rittereid, soll mir höher sein denn mein Bruder.«

Lutold hatte den Kopf tief gesenkt. »Ich danke Euch, Graf, entlaßt mich denn.«

Der Habsburger faßte mit kräftigem Griff seine Hand. »Eines nehmt mit, Graf von Rötteln! Sobald der Streit beendet und Graf Walter genesen, kehrt er heim zu Euch mit der jungen Gräfin; ich begehre kein Lösegeld, seid Ihr zufrieden?«

Lutolds ganze Gestalt bebte. »Das mögen die Heiligen Euch tausendfach lohnen«, stieß er hervor.

Der Habsburger befahl, die Pferde vorzuführen, und bald war Lutold mit seinem Knappen auf dem Heimweg.

Jetzt war er allein und konnte seinen Gedanken nachhängen. Nur einmal wandte er den Kopf zurück, er sah hinüber nach Werra – und blickte zum Lager, wo er Ursula mit der Magd zurücklassen mußte. Ein finster Gefühl wollte ihn gegen Walter beschleichen, der ihm sein Glück genommen – da sah er aber seinen Bruder vor sich – wie er gekommen war, ihn mit Darangabe seines eigenen Lebens zu retten ... große Scham überkam ihn!

»Mein Wilder, mein Bruder«, flüsterte er vor sich hin, »du verdienst das höchste Glück ... nimm's denn, ob ich's gleich hingeben muß.« Er faßte so fest die Zügel seines Rosses, daß es sich hoch bäumte, dann jagte er Rötteln zu.

Drei Tage später war Weihnachten, – – auf Rötteln achtete niemand des Tages.


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