Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Während die Herren zusammensaßen, hatte Elisabeth ihre Schwägerin in ihr neues Heim geleitet; nach einem herzlichen Gutenachtgruß war sie gegangen; sehnte sie sich doch auch nach einer stillen Stunde am Schluß dieses Tages.
Odalsinde war allein. Sie setzte sich auf eine niedrige, gepolsterte Fensterbank und überließ sich ganz ihren Gedanken.
Die sorglose Mädchenzeit war vorüber; ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen. Sie war in ihn eingetreten an der Seite eines Mannes, dessen Sinn ein hochherziger, edler war, dessen Name einen guten, hochgeachteten Klang allerorten hatte. Man war ihr hier mit Herzlichkeit und Freundlichkeit entgegengekommen, hatte sie gefeiert und gepriesen, – aber glücklich war sie nicht geworden! Nein, o nein, sie verlangte nach etwas anderem, Höherem! Reichtum, Schönheit, Glanz, Ehre, – alles hatte sie, – – aber ihr Herz war kalt und leer geblieben!
Ihre Gedanken schweiften rückwärts in die Vergangenheit. Sie gedachte eines Tages, da Vater und Mutter ihr, der damals Zehnjährigen, eine ernste Eröffnung machten. Die Mutter zog sie auf den Schoß, der Vater legte die Hand auf ihr Haupt, und so erzählten sie ihr von der Vereinbarung, die der Vater mit seinem Schwager, dem Grafen Kunrad von Rötteln, getroffen hatte.
»Es ist ein großes Glück für dich«, hatte ihre Mutter mit sanftem Lächeln gesagt, »du wirst es später gewißlich einsehen. Auch ist es wohl so der lieben Heiligen Wille, da alle Umstände sich so sonderlich vereinten. Zudem gereicht es mir zu besonderer Freude, daß meine Tochter einst den Namen tragen soll, den ich trug, und dort leben wird, wo ich geboren ward und lebte, bis dein Vater mich holen kam.«
Es war zu Frühlingsanfang, da sie dies erfuhr. Sie wußte noch genau, wie sie am Abend auf ihrem Lager gelegen und den Worten ihrer Mutter nachgedacht hatte. Dazwischen lauschte sie auf den Sturm, der das feste Schloß umbrauste und die Wetterfahne auf dem Turm kreischend drehte. »Großes Glück«, – hatte die Mutter gesagt, – das Kind sann über den Begriff »Glück« nach, konnte aber nicht zur Klarheit kommen und schlief darüber ein.
Am anderen Morgen lachte die Sonne in ihr Gemach; sie öffnete das Fenster und schaute erstaunt hinaus. Die gestern noch braun umhüllten Knospen am Baum und Strauch hatten ihre Hülle abgeworfen, die ersten jungen Blättchen streckten sich der Sonne entgegen.
Da zog es wie eine Ahnung durch ihr Kindergemüt, daß das Glück wohl dem Frühlingssturme zu vergleichen sei, der alle Knospen des Herzens und der Seele zur Entfaltung brächte.
Darüber waren Jahre vergangen; aus dem Kinde war eine Jungfrau geworden. Plötzlich hieß es: Graf Otto von Rötteln zöge zu dem Markgrafen von Hochberg im Auftrage seines Vaters, er wolle auf dem Heimwege seine Verwandten einen Tag besuchen. O wie gut entsann sie sich jenes Tages, da sie ihren Verlobten zum ersten Male gesehen hatte!
Sie stand am Fenster ihres Gemaches, schaute mit klopfendem Herzen hinab auf den Weg, der zur Sausenburg heraufführte, auf dem eine kleine Reiterschar daherkam. Jetzt konnte sie dieselbe deutlich erkennen, – sie beugte sich vor – – ja, das mußte er sein, der da an der Spitze ritt! So hatte sie ihn sich vorgestellt, groß, schlank, mit dem klugen, ernsten Gesicht. Sie hatte kein Auge von ihm gewandt, forschend und prüfend ihn beobachtet. Als die Schar ins Tor einritt und ihren Blicken entschwand, trat sie hoch aufatmend vom Fenster zurück, legte die Hände einen Augenblick vors Gesicht und sagte sich, daß das »große Glück«, von dem ihre Mutter einst gesprochen, für sie erblühen würde, sobald bei diesem Manne nicht nur die Pflicht, sondern das Herz die Werbung um sie verlangte.
Mit diesem Gefühl trat sie ihm entgegen, aber sie hoffte vergebens auf einige Wärme bei ihm; statt dessen ruhten seine Augen kühl und ernst auf ihr, und als er am anderen Tage davonritt, sah er nicht einmal zurück, – – sie aber wandte sich vom Fenster ihres Gemaches fort und wischte hastig eine Träne aus dem Auge. Nach zwei Jahren kam er wieder, – unerwartet. Sie hatte gerade im Garten gesessen unter einem Apfelbaum und mit dem Kinde des Burgverwalters gescherzt, als man ihr die Kunde brachte. Da hatte sie sich hoch aufgerichtet; kühl und fremd war ihr Wesen zu ihm, keine Miene verriet ihm, wie sie jetzt mit klopfendem Herzen ein warmes Wort erwartete.
Vergebens! Wieder vergebens!
Diesmal schaute sie ihm nicht nach; sie lag vor ihrer Schutzpatronin, der heiligen Katharina, auf den Knien und flehte mit Tränen um Kraft, das liebeleere Leben, das sie wohl an der Seite dieses Mannes zu erwarten hatte, ertragen zu können!
So war sie sein Weib geworden!
Das Kältegefühl, das am Hochzeitsmorgen sie durchschauert hatte, war bis heute geblieben und sollte auch fernerhin bleiben. Es sollte sie bewahren, ihrem Gemahl etwas zu geben, was er nicht verlangte und selbst gar nicht für sie hatte.
Sie richtete sich stolz empor; sie wollte mit starkem Geist das tragen, was über sie beschlossen war und nun nicht mehr zu ändern ging. Sie wollte stark sein, – und wußte nicht, daß auch das stärkste menschliche Herz einmal unterliegen muß, wenn es nicht beständigen Zufluß von Kraft und Stärke zum Kampf mit dem Leben und Leiden aus dem ewigen Quell der Kraft erhält.
Odalsinde legte den Kopf auf den Arm, ... eine Träne nach der anderen glitt über ihre Wangen; sie merkte es nicht. Sie hörte auch nicht, wie die Tür geöffnet wurde und Graf Otto eintrat. Er blieb einen Augenblick stehen, sein Blick ruhte warm und bewundernd auf ihr. Er wollte ihr gern ein herzliches Wort sagen und rief leise ihren Namen. Da sah er auf dem Antlitz, das sich ihm erschreckt zuwandte, Tränenspuren, – das erregte ihn.
»Tränen, Odalsinde?« fragte er etwas gereizt, »fehlt's Euch an etwas, so Ihr erwartet habt zu finden?«
»Ihr irret, wenn Ihr meinet, ich vergösse Tränen um kleinlicher Dinge willen«, entgegnete sie abweisend.
»Gebrach's Euch denn heute an irgend etwas, erwies man Euch nicht die Ehre und Achtung, so Euch zukam?« forschte er weiter.
»Sie wurde mir von allen Seilen zuteil«, sprach sie kühl, »mehr als notwendig war, und selbst so es daran gefehlt hätte ... Ihr kennt mich nicht, sonst wüßtet Ihr, daß mich solches keine Tränen kosten würde; es könnte mich nur lächeln machen.«
»Nun denn, warum Tränen?« brach er ungeduldig los, »ich vermeine, als Euer Gemahl hätte ich ein Recht, danach zu fragen, so ich sie bei meinem Weibe sehe.«
Odalsinde wandte sich ab und erwiderte gelassen: »Es ist mir leid, daß Ihr die Tränenspuren sahet, Graf Otto; sie waren nicht für Euch bestimmt.«
»Odalsinde«, fuhr er auf, »das antwortet Ihr, so ich Euch nach Eurem Kummer frage?«
Ihre Stimme klang eisig kalt. »Hättet Ihr aus Teilnahme gefragt, so wär' die Antwort vielleicht anders gewesen; so aber sprach der Ärger aus Euch! Jedoch will ich Euch den Grund meiner Wehmut angeben, auch daneben bemerken, daß Ihr solcher Gefühle bei mir nicht wieder ansichtig werden sollt«, – – sie stockte einen Augenblick, fuhr dann aber ebenso fort: »So man eine Blume aus dem Licht in den Schatten stellt, braucht sie Zeit, sich daran zu gewöhnen. Begreift Ihr solches? So laßt auch mir Zeit.«
Sie wandte sich dem Fenster zu. Da ging er ins Nebengemach, heftig die Tür zuschlagend.
Ihre letzten Worte tönten in ihm nach; hatten sie nicht wie der Aufschrei eines gepreßten Herzens geklungen? Er schritt erregt auf und nieder, – er begriff sich selbst nicht. Für einen jeden hatte er warme Worte, übte Nachsicht und Milde überall – – warum denn für Odalsinde nicht?
Er wußte ganz gut, warum nicht; eine leise Stimme flüsterte es ihm gar deutlich zu ... er hatte ein herzlicheres Entgegenkommen bei ihr erwartet, da er kam, sie heimzuholen. O, wie ihn diese Kälte reizte und empörte! Daß er das gleiche Wesen ihr gegenüber hervorkehrte und mithin genau so viel Schuld an dem unseligen Verhältnis zwischen ihnen trug wie sie, das hätte er nimmer verstanden! Alles hätte anders werden können, so sie einen warmen Blick für ihn am Hochzeitsmorgen gehabt hätte! Er sah sie plötzlich wieder vor sich, wie er sie unter dem Apfelbaum gesehen hatte, und ein ungestüm Verlangen ergriff ihn, nur einmal ihre Augen in solcher Weise auf sich gerichtet zu sehen, wie sie damals das Kind angeblickt hatte!
Lange noch hörte Odalsinde ihn auf und ab wandern, bis ein unruhiger Schlaf ihr die Augen schloß.
Der Frühnebel braute im Wiesetal. Einzelne abgerissene Nebelstreifen hingen wie duftige Schleier in den Tannen der Schwarzwaldberge; am Morgenhimmel zogen kleine, goldgeränderte Wölkchen dahin, und die Spitzen der Alpen, die aus der Ferne herüberschauten, leuchteten in zartem Rosa.
In der stattlichen Burg am Waldberge war es noch ziemlich still.
Der Turmwärter im hohen Gemach rieb sich gähnend die Augen, unten im Hof krähten ein paar Hähne um die Wette, der Burgvogt ging durch den Zwinger, um die Knappen und Knechte zu wecken. Es galt, beizeiten zuzurüsten, denn gleich nach dem Frühmahl wollten die Herren aufbrechen, um einige Stunden dem edlen Waidwerk obzuliegen.
Bald entwickelte sich ein reges Treiben auf dem eben noch so stillen Burghof; Knappen brachten die Jagdgerätschaften ihrer Herren, die Jagdspieße, die Armbrüste und mit Pfeilen gut gefüllte Köcher, putzten da und dort, wo es noch nicht blank genug erschien, schwatzten und lachten dazwischen und trieben allerlei Kurzweil. Die Knechte putzten die Rosse und zäumten sie auf, und die Meute stand, ungeduldig kläffend, daneben, – alles harrte der Herren, die oben in der Halle beim Frühtrunk beisammensaßen.
Jetzt war er beendet; sie traten in Gruppen hinaus auf den Hof. Als einer der letzten kam Otto; stolz schritt er über den Hof; prächtig kleidete ihn das braune, lederne Jagdwams, das die Schärpe umschloß. Er schaute nicht rechts noch links und sprach eifrig mit Herrn von Pfeffingen.
Als er aber zur Treppe kam, die hinabführte, wandte er rasch das Haupt und blickte nach dem Fenster seiner Gemahlin. Unmerklich zuckte er zusammen, – dort stand Odalsinde und schaute ihm nach. Halb hatte er es gehofft und doch wieder nach dem gestrigen Abend nicht erwartet, – aber es freute ihn! Er rief ihr einen fröhlichen Gruß zu, und sie dankte mit mattem Lächeln.
Sein Vorsatz in dieser Nacht war geworden, sich und ihr das Leben nicht unnütz schwer zu machen. Gute Kameradschaft hatten sie sich versprochen, – nun, er wenigstens wollte sie halten! Kam er mit ihr zusammen, so sollte es in freundschaftlicher Weise geschehen, viel Zeit blieb ihm ja nicht für ein stilles Hausleben. Es galt so viel zu bedenken, zu rüsten, zu befestigen in dieser Zeit des Waffenstillstandes, und was ihm dann noch übrigblieb an Zeit, das wollte er seinen Pergamentrollen, seinen Studien und der fröhlichen Jagd widmen. Gab's später einmal Frieden, dann hatten sie sich hoffentlich aneinander gewöhnt, und – – aber es war besser, der Zeit jetzt noch nicht zu gedenken.
Diese in schlafloser Nacht gefaßten Entschlüsse zogen blitzschnell noch einmal durch Ottos Stirn, während er mit den anderen Herren die bereitgehaltenen Pferde bestieg.
Unter fröhlichem Halali ging's durch das breite Tor im Nordwesten der Burg hinein in den duftigen Wald, die freigelassene Meute heulend voraus oder die Pferde umspringend.
Bald begann ein fröhlich Treiben über Berg und Tal, und das Echo gab die lauten Rufe der Jäger zehnfach wieder.
Vom Eifer der Jagd hingerissen, mit blitzenden Augen allen voran, setzte Walter über Stock und Stein einem stattlichen Zwölfender nach, bemerkte aber dabei, wie ein Reh, tödlich getroffen, vor einem Gebüsch zusammenbrach und noch im Tode eine kleine Öffnung in demselben zu verdecken suchte. Er sprengte näher, bog die Zweige auseinander und sah ein kleines Rehkälbchen. Behutsam hob er das Tierchen auf, übergab es der Fürsorge seines Knappen und sprengte weiter.
Es war hoch am Mittag, als die Herren wiederkehrten, mit reicher Beute beladen. Nach einem fröhlichen Mahle zogen sie sich zurück, um gerüstet zu sein, wenn das Festspiel am Spätnachmittag alle Gäste der Burg vereinen sollte.
Einen duftigen Rosenzweig in den Händen, betrat Otto das Gemach seiner Gemahlin. Es drängte ihn, ihr ein paar freundliche Worte zu sagen, – – das Beispiel von der Blume, die aus dem Sonnenschein in den Schatten versetzt war, hatte er nicht vergessen können!
»Grüß Gott, Odalsinde«, sprach er heiter, »das war ein fröhlich Jagen heut! Ich hoff', daß Ihr ein andermal dabei seid. Mein Anteil an der reichen Beute bratet lustig drunten in der Küche, um die Abendtafel zu zieren. Doch sehet diesen schönen Zweig; es ist der erste aus dem Burggarten; ich pflückte ihn für Euch.«
Ein flüchtiges Rot zog über Odalsindes Antlitz. »Ich danke Euch«, entgegnete sie und legte den Zweig behutsam in eine Schale.
Sekundenlang war es totenstill in dem Gemach, dann wandte sie ihm voll das Gesicht zu und sprach mit ruhiger Stimme, der man das Schlagen des Herzens nicht anhörte: »Wir gelobeten uns gestern gute Kameradschaft, Otto, Ihr und ich, und wir haben sie beide nicht gehalten. Solches war nicht richtig; wir wollen in der Zukunft mehr auf der Hut sein. Es dürften sonst die Fesseln leichtlich zu hart und drückend für uns beide werden.«
Bei ihren letzten Worten zog ein finsterer Schatten über sein Gesicht; verschwunden war alle Heiterkeit.
»Ihr habt recht, Odalsinde, auf gute Kameradschaft denn noch einmal! Doch stehet zu erwarten, daß wir solch Vornehmen in der nächsten Zeit wenig werden betätigen können, dieweil ich viel abwesend zu sein habe, auch, so ich daheim bin, eifrig für Rüstungen und Befestigungen sorgen muß. Also ist zu hoffen, daß Ihr nicht viel der Fesseln Euch erinnern müßt, die Euer und mein Pflichtgefühl geschmiedet hat.« Er lachte kurz auf und ging hinaus.
In Odalsindes blasses Gesicht trat der Ausdruck tiefen Schmerzes. Es schien, als wolle sie in bange Klagen ausbrechen, aber sie preßte die Lippen fest aufeinander, richtete trotzig den Kopf empor und rief Radegundis, ihrer Gürtelmagd, mit der sie sich in ein langes Gespräch über ihre Kleidung vertiefte.
Unten im Garten schritt Walter in einem Weingange in der gleichen Zeit auf und ab. Seine Augen funkelten, wie immer, wenn er erregt war. Just eben war er vom Bischof gekommen, wo er hatte erfahren müssen, daß es mit dem Werben der Söldner nicht so gut voranginge, wie der hohe Herr gehofft hatte.
Herr Heinrich teilte es Walter mit und fügte hinzu: »Umso notwendiger wird des Wartenbergers Hilfe, und ich bitte dich, Walter, zeig' ihm deine Abneigung nicht gar so deutlich, maßen er sonst nimmer einwilligen dürfte, der Unsere zu werden.«
»Ihr tut, Ohm, als hinge von dem Wolf der ganze Sieg ab«, hatte Walter grimmig ausgerufen. »Der Teufel hol' den Wartenberger mit samt seiner Hilfe, und das am liebsten gleich, dieweil ich ihn alsdann los wäre!« Damit war er in den Garten gegangen, um seinen Unmut zu besänftigen.
Nicht weit von dem Weingang, in dem er auf und ab schritt, war Elisabeth mit Blumenschneiden beschäftigt; da sah er, wie Ursula auf einem Seitenwege leichtfüßig daherkam, um ihrer Base zu helfen.
Als sie an dem Weingange vorüber wollte, stand er plötzlich vor ihr und hatte ihre beiden Hände gefaßt.
»So fängt man Sonnenstrahlen, Ursula«, lachte er heiter und zog sie in den Gang hinein; sein Zorn war verschwunden, als er sie gesehen, und jetzt ruhte sein Blick in unverhohlener Bewunderung auf der holden Gestalt.
Vergeblich suchte sie sich freizumachen. »Was der Walter hat, das hält er«, sagte er übermütig und nahm ihre kleinen Hände noch fester in die seinen.
»Gebt mich frei, Graf Walter«, sprach sie da und sah mit tränenden Augen zu ihm auf.
Betroffen ließ er sie los.
»Ich wollt' Euch nicht kränken, holde Base«, sagte er schnell, »vergebt mein Ungestüm, ich bin aber nicht anders! Und nun gestattet, daß ich Euch zu jener Bank geleite; ich möcht' Euch etwas sagen, darf ich?«
Sie nickte und ließ es geschehen, daß er sie zu der Bank führte.
Er blieb vor ihr stehen und begann: »Heute wurde beim Jagen einem Rehkälbchen die Mutter getötet. Ich entdeckte das Tierchen und dachte, es würde Euch vielleicht eine Freude sein, es aufzuziehen. Darum übergab ich es meinem Knappen, der es mit heim nahm. Unten in einem Stall ist's vorläufig untergebracht. So es Euch nun Freude bereitet, so bitt' ich Euch, nehmt's freundlich an als Euer Eigentum.«
Freudig überrascht blickte sie zu dem schlanken Mann vor ihr auf; lichtes Rot färbte ihr Antlitz. »Habt Dank, Graf Walter; wie freundlich von Euch, meiner zu gedenken! Sobald ich nachher kann, will ich hin und mir das Tierlein besehen, und gerne will ich es aufziehen.«
»Es freut mich, Ursula, daß Ihr mich nicht zurückgewiesen habt«, sprach Walter schnell. »Nun aber gebt mir freiwillig Eure Hand und sagt mir, daß Ihr mir nicht mehr ob meines Ungestümes zürnet, auch in Zukunft nimmer erschrecken wollt, so ich wieder einmal plötzlich Euren Weg kreuze.«
Er streckte ihr seine große, wohlgebildete Hand hin, und wenn Ursula auch verlegen das Köpfchen senkte, so legte sie doch ohne Zaudern ihre Hand in die seine, die sich mit festem Druck um sie schloß. Jetzt trat Walter mit ehrerbietiger Verneigung zur Seite, und sie eilte zu Elisabeth.
In der fünften Nachmittagstunde entwickelte sich auf der Wiese am Fuße des Waldberges ein farbenprächtig Bild. Unter den schützenden Zelten saßen zierlich gekleidete Frauengestalten; es rauschte von Seide und kostbaren Stoffen, und edle Steine blitzten und funkelten.
Einen nicht minder prächtigen Anblick gewährten die an dem Turnier teilnehmenden Ritter. Kostbar waren die Rüstungen, aus Platten oder Ringen gefügt; die Helmzier, meist aus Gold und Silber, oft auch aus Federn, war bei einem jeden weithin sichtbar; die Schilder und Lanzenspitzen leuchteten in der Sonne, und die großen Decken, die die Pferde trugen, waren aus Seide mit reicher Gold- und Silberstickerei.
Jetzt gab der Herold das Zeichen zum Beginn. Vor dem Buhurt, an dem alle Ritter in zwei großen Abteilungen teilnahmen, sollten eine Reihe von Einzelkämpfen stattfinden.
Als erstes Paar ritten Herr von Pfeffingen und der junge Ritter Karl von der Homburg in die Schranken. Es dauerte eine geraume Zeit; wohl fünfmal rannten sie gegeneinander, bis endlich doch der Pfeffinger Herr den Sieg errungen hatte und sich den Dank aus Odalsindes Händen holte.
Diesen beiden ersten folgte Walter, der sich den Grafen von Wartenberg als Gegner erkoren hatte. Beim ersten Gang saßen sie beide fest, aber schon beim zweiten flog der Wartenberger vom Pferde hinab in den Sand, und lauter Zuruf grüßte Walter als Sieger.
Auch er holte sich von seiner jungen Schwägerin den Lohn; aber sein Blick suchte dabei Ursula, und so merkte er nicht, daß Odalsindes Hände ein wenig bebten, da sie ihm den Kranz gab. Vor den Schranken machte sich Otto bereit, einzureiten, und lustig flatterte an der Lanze ein breites Band in der lichtroten Farbe ihres seidenen Gewandes.
»Schau, dein Gemahl trägt deine Farben«, flüsterte Ursula ihr zu, da er in die Schranken einritt. Odalsinde nickte nur und verfolgte gespannt jede Bewegung.
Ottos Gegner war Herr von Rhyn, ein kampfgeübter Mann; lange schwankte der Sieg, bis Otto schnell und gewandt sich einmal eine kleine Unvorsichtigkeit des Ritters zunutze machte und der Rhyner Herr besiegt war.
Zwar schritt auch er jetzt hinauf, um sich den Dank aus den Händen seiner Gemahlin zu holen; aber finsterer Ernst lag auf seinem edlen Gesicht, als er das Knie beugte, und ohne ein Wort des Dankes, ohne einen Blick wandte er sich kurz und schritt hinab, da er den Kranz empfangen hatte.
Noch manches Paar ritt in die Schranken, und den Schluß in der achten Stunde machte ein glänzender Buhurt zwischen allen Rittern. Dann aber ging es hinauf zur Burg, wo im großen Saal die Tafel bereitstand, und eine fröhliche Schmauserei beschloß den Festtag.
Ein Teil der Gäste nahm am Abend noch Abschied von den Schloßbewohnern, um heimwärts zu ziehen; die anderen brachen am Morgen des nächsten Tages auf, und am Nachmittag lag die stolze Burg in beschaulicher Ruhe nach dem Lärm der letzten Tage.