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Herr Heinrich, Bischof von Basel, »Kaplan Jesu Christi und der Maria«, wie er sich nannte, ritt am Nachmittag des bestimmten Tages, von mehreren Rittern begleitet, den Schloßberg hinauf. Walter und Rubertus empfingen ihn am unteren Tor und geleiteten ihn nach oben. In der Halle hatte Odalsinde für Erquickung gesorgt; dann zogen die edlen Herren, die mit dem Bischof gekommen waren, zurück gen Basel, und nun saßen im Herrenzimmer die vier Männer zu ernster Rede beisammen.
»Hab' einen Handel geschlossen«, begann der Bischof, »muß euch zu allererst davon berichten. Hätt' längst schon gern die große Grafschaft Pfirt zu eigen gehabt; nunmehr ist es mir gelungen, sie zu erhalten! Graf Ulrich hat sie mir um tausend Gulden gegeben und ich ihn wieder mit der Grafschaft belehnt. Also sind Ulrich von Pfirt und sein Sohn meine Vasallen und müssen mir wider den Habsburger helfen mit allen Mannen.«
»Gute und frohe Kunde, Herr Ohm«, rief Otto lebhaft, »da ist Euch ein groß Ding gelungen; die Sache lohnt!«
»Der Ohm hat noch mehr Gutes auf Lager«, lächelte Walter, und Herr Heinrich fuhr fort: »Du hast recht, Wilder. Ich habe mit Herrn von Tüfenstein einen Tauschhandel geschlossen. Er gab mir seine Burg gegen eine der meinen und vierzig Goldgulden. Das Schloß ist mir sehr wertvoll wegen seiner Lage; denn es ermöglicht, von dort bequem ins habsburgische Gebiet fallen zu können.«
»Glück zu, Herr Ohm«, rief Lutold, und Walter reichte ihm fest die Hand.
»Solche sind gute Nachrichten«, sagte der Bischof, »doch nun kommt das Unerfreuliche, um dessentwillen ich hier bin, mein Auftrag an eure Schwester. Lutold, willst du sie holen?«
Elisabeth erstaunte nicht wenig, als ihr Bruder sie aus dem Wohngemach rief, da der Herr Ohm ihre Gegenwart begehrte. Sie nickte Odalsinde und Ursula, mit denen sie spinnend gesessen hatte, zu und folgte ihm. Da sah sie Lutolds finsteres Gesicht; ein unbestimmtes Gefühl von etwas Unheilvollem bemächtigte sich ihrer, und bangenden Herzens trat sie ein.
Der Bischof kam ihr entgegen, grüßte sie milde, küßte sie auf die Stirn und führte sie auf den Platz neben sich. Mit vorsichtig gewählten Worten, väterlich liebevoll, setzte er ihr den Grund seines Kommens auseinander und übermittelte ihr den Antrag des Wartenberger Herrn, verschwieg aber wohlweislich, daß der Graf ihre Hand zuerst als Preis für seine Hilfe verlangt hatte. »Nun, liebes Kind«, so schloß Herr Heinrich, »teile uns deine Ansicht mit, welche Antwort ich dem Ritter geben soll. Bist du geneigt, ihm zu folgen, oder nicht?«
Ungläubig lächelnd hatte Elisabeth zuerst zugehört; nach und nach erstarb aber ihr Lächeln, und ängstlich schaute sie jetzt vom Bischof auf ihre Brüder. Sie sah, wie aller Augen erwartungsvoll auf sie gerichtet waren; abwehrend hob sie die Hände auf und rief schaudernd: »Nie, nie, hochwürdigster Ohm, nimmer kann ich sein Weib werden! Er soll sich eine Bessere, Würdigere aussuchen und meiner vergessen, sagt ihm das!«
»Brav, Schwesterlein«, rief Otto heiter, und Lutold frohlockte: »Wir haben's Euch gesagt, Herr Ohm!«
Walter aber sprach mit funkelnden Augen: »Und von mir nehmet noch eine Bestellung dazu, Herr Ohm, diese nämlich: Wölfen sei der Eingang zur Burg Rötteln verwehrt; sie sollen sich ihre Beute wo anders suchen! Eine Bessere fände er nirgends denn unsere Waldblume, aber sie wüchse für keinen Habicht!«
Herr Heinrich lächelte, obgleich ihm nimmer zum Lachen war. Einesteils war er froh über diese Entscheidung der jungen Gräfin, andernteils lag ihm doch viel am Beistand des Ritters, und der war jetzt ein recht ungewisser geworden.
Als Elisabeth sah, daß das, wozu man sie gerufen hatte, erledigt war, erhob sie sich, küßte dem Bischof die Hand und schritt hinaus. Aber wie angewurzelt blieb sie stehen, denn gerade, als sie die Tür zuziehen wollte, schlug des Bischofs Stimme an ihr Ohr: »So ist nunmehr auch für Rötteln große Gefahr.«
Rötteln, ihr Rötteln in Gefahr? und wodurch? warum? von welcher Seite? Sie mußte es wissen, – – um jeden Preis, – – sie blieb stehen und vernahm deutlich jedes Wort der drinnen geführten Unterhaltung.
»Meinet Ihr, Herr Ohm?« sprach Walter ironisch. »Seid versichert, wir werden uns gegen den Wartenberger zu wehren wissen, mit dem nehmen wir's schon noch auf!«
»Du vergissest, es gilt nicht mit ihm allein zu ringen«, entgegnete Herr Heinrich sehr ernst. »Er schlägt sich gewißlich nunmehr zum Habsburger, und so er dann gegen Rötteln anrennt, so ist's nicht allein mit seinen Mannen, dann hat er Hilfe.«
»Doch, Ohm Heinrich, Ihr vergesset, seine Drohung tat er zuerst auf Euren Bescheid, daß Ihr ihm nimmer Elisabeths Hand als Dank für seinen Beistand geben würdet«, sagte Otto eifrig. »Danach kam er als Bittender, und die Bitte nahmt Ihr an.«
»Wohl, wohl«, rief der geistliche Herr, »doch bin ich gewiß, und ihr gleich also, daß er sich jetzt nimmermehr gleichmütig zurückzieht oder uns noch gar hilft! Seine Worte klingen mir noch in den Ohren: ›Der Wartenberger weiß sich zu rächen; Rötteln wird fallen, muß fallen; alle meine Kraft soll diesem Ziele gelten. Dann trag' ich das Fräulein auf meinen Armen in meine Burg, sie muß mein werden, und sie wird es.‹«
Mehr hörte Elisabeth nicht, sie preßte die Hände an den Kopf und floh in ihr Zimmer. Fast bewußtlos sank sie dort nieder, unfähig, jetzt klar zu denken. Es rauschte und brauste um sie wie Meereswogen, – sie sah und fühlte nichts wie Nacht, schwarze Nacht! Das war das Furchtbare, dessen Kommen sie geahnt hatte, nun war es da und forderte sie als Opfer!
Lange dauerte es, ehe sie ihre Gedanken sammeln konnte; sie stützte den schmerzenden Kopf auf und fing an, mit möglichster Klarheit zu überlegen. Woher ihre Abneigung gegen Wolf von Wartenberg kam, wußte sie nicht; sie wußte nur, er war ihr unheimlich mit seinen dunklen Augen und dem unsteten Blick. Ein Zittern durchflog sie bei dem Gedanken, sein Gemahl werden zu müssen!
Langsam stand sie auf und ging zum Fenster. Die Nacht war gekommen; am tiefblauen Himmel leuchteten die Sterne in schimmernder Pracht, sie hörte, wie es leise in den Bäumen des Schloßgartens rauschte, – in Brombach drüben schimmerte da und dort ein erleuchtet Fenster durch die Dunkelheit, sie zählte diese hellen Punkte mit peinlicher Genauigkeit, sie sah alles und hörte alles, und doch drehten sich alle ihre Gedanken nur um das eine: Was tun? was tun? Nach den Worten des Bischofs, die nicht für sie bestimmt waren und die sie doch gehört hatte, lag ja plötzlich alles so ganz anders! Jetzt handelte es sich ja nicht um sie allein, nein, vielmehr um Rötteln, – – und sie, sie hatte vielleicht das Schicksal ihrer Heimat in Händen!
Der Wartenberger war wohl der Mann dazu, seine Drohung wahr zu machen; hatte sie aber Grund, sie zu fürchten? War nicht Rötteln eine feste Burg mit dicken Mauern, besetzt mit tüchtigen Männern? Wohl ja, aber ganz uneinnehmbar war sie nicht, – und was geschah, wenn er sie einnehmen würde? Sie wußte, daß der Weg hinein für den Grafen nur über Leichen führen würde, – – wer aber hatte die Schuld an all dem Blut, das notwendig auf jeder Seite fließen mußte, ehe es zu einer Entscheidung kam?
Sie sah die zerstörten Felder um die Burg her, sie hörte das Wehklagen derer, die um die Ihren weinten, sie sah im Geist all die Not, die eine Belagerung der Burg für diese selbst und die Umgegend bringen würde, und das alles – ihretwegen!
»Barmherziger Gott, nein, nein«, rief sie schaudernd.
Im anderen Fall aber als Herrin dort einziehen im Wartenberg, der finster und drohend auf dem Felsen am Rhein sich erhob? Dort an der Seite des gefürchteten Mannes, das ganze, vielleicht lange Leben zubringen müssen? »Ich kann es nicht, ich kann nicht«, murmelte sie tonlos.
Wenn aber auch das nicht, was dann? O, wer ihr hätte raten können in diesem schrecklichen Kampf! An ihre Brüder durfte sie nicht denken, sie wußte deren Meinung – und ihre Basen? Ursula war ja noch so jung, und Oda, – sie würde ihr sagen: Sieh mich an, gelüstet es dich, ein gleiches Leben zu führen? Und Otto ist doch anders als der Wolf! Pater Rubertus? Nein, o nein, nimmer mit ihm darüber reden!
Sie sah ihn plötzlich vor sich mit dem blassen, edlen Gesicht, den dunklen, ernsten Augen, die so herzgewinnend blickten und in der letzten Zeit oft so traurig auf ihr geruht hatten, – da sank sie auf die Fensterbank und barg das Antlitz in beiden Händen. Wie ein Schleier fiel es von ihren Augen, sie erkannte plötzlich, daß sie mit einem anderen Gefühl denn dem der Verehrung den Pater angeschaut hatte, sie sah plötzlich, daß er ihr etwas anderes denn der gottgeweihte Priester und Beichtvater war! O der Sünde, des bitteren Unrechtes gegen die heilige Mutter Kirche, daß sie ihr Herz nicht besser gehütet, sondern es solcher Liebe geöffnet hatte! Unbemerkt zwar war sie gekommen, aber solches entschuldigte sie nimmer! Daher, als Strafe dafür, brach nun solch Unheil über sie herein, – die Sünde forderte Sühne! Fast erschöpft sank sie vor dem Kruzifix in ihrem Gemach zusammen und brach in heftiges Weinen aus. Die Hände falteten sich wie von selbst, und ihre Seele erhob sich zu dem, der ihr schon manchmal Frieden und Ruhe gegeben hatte. Nach und nach wurde es stiller in ihr, aber in der Stille trat auch greifbar der Gedanke vor ihre Seele: kein Blutvergießen um meinetwillen! Zugleich rang sich der Entschluß in ihrer wunden Seele empor, zu sühnen, wo sie meinte, gesündigt zu haben. – Es war bereits in der fünften Morgenstunde, als sie sich erhob und geräuschlos hinausschritt.
In seinem Gemach saß Bischof Heinrich am Fenster und schaute in das Wiesetal hinab. Auch für ihn war diese Nacht, wie schon so manche, schlaflos gewesen; seine Pläne, seine Entwürfe und Gedanken hatten ihm keine Ruhe gelassen. Zwei strebten gleich ihm nach der Herrschaft im Schweizergebiet und dem angrenzenden Breisgau, zwei, gleich mächtig wie er, hochangesehen bei Adel und Volk, das waren Rudolf, der Graf von Habsburg, und Berthold von Falkenstein, der Abt von Sankt Gallen. Sie hatten sich wider ihn zusammengeschlossen, und eine große Menge der Ritter und Herren stand fest zu ihnen, weil sie sich auch nimmer beugen wollten unter sein bischöflich Regiment.
Wenn nun die beiden die Oberhand behielten, was dann? Heinrich mußte wider Willen lachen, o ihr Heiligen alle, dann ging der Krieg von neuem los! Nimmer beugte sich der heilige Gall gutwillig dem Grafen, und dieser sich nimmer dem Kloster, – was blieb da anderes übrig, als erneut mit Feuer und Schwert die Entscheidung darüber zu treffen?
»Es ist besser, so ihr euch alsdann alle beide vor mir beuget«, sprach Herr Heinrich, und war damit wieder auf dem Standpunkt angelangt, den er schon lange eingenommen hatte: Der erste bin ich als der Bischof; der zweite nach mir mag der heilige Gall sein, dieweil er kirchlich und ein Kloster von Wert ist. Mir und ihm aber muß sich der Habsburger beugen, sintemal die Kirche ohne den Ritter, der Ritter aber nimmer ohne die Kirche fertig werden kann! Von diesem Standpunkt aus hatte Heinrich gehandelt und handelte er noch immer. Er wollte der erste sein, und diesem Ziel hatte er schon manches geopfert. Deshalb scheute er keine Kosten, jetzt die vor dem Waffenstillstand zerstörten Burgen neu zu bauen, fester zu rüsten, Söldner zu werben, und streute das Geld mit vollen Händen aus. Er dachte nicht daran, dem Waffenstillstand den Frieden folgen zu lassen, er wollte unumschränkter Herr sein, – und da das nicht im Frieden zu erreichen war, nun gut, so mochte es durch Krieg geschehen!
Eher alles daran setzen, als sich diesem übermütigen Grafen beugen! Deshalb hatte er sich auch herabgelassen, zweimal zu dem Wartenberger zu senden, deshalb auch hatte er seine Werbung um Elisabeth selbst hergebracht.
Es pochte leise an seine Tür. Im höchsten Grade erstaunt, wer ihn zu so früher Morgenstunde stören kam, unwillig darüber und mit einer scharfen Frage auf den Lippen öffnete er, – aber das Wort erstarb ihm; staunend fragte er: »Elisabeth, du?« nahm ihre Hand und zog sie ins Gemach.
»Verzeihet, hochwürdigster Herr, daß ich Euch in der Frühandacht störe; aber ich mußte kommen, selbst so ich Euren Zorn damit errege.«
Sie sprach hastig und schnell, so daß der Bischof beruhigend über ihr blondes, weiches Haar strich und freundlich entgegnete: »Du störst mich nicht, mein Kind! Zwar war ich nicht in der Andacht, doch schlaflos war mir die Nacht. So du jetzt meiner bedarfst als Ohm oder Priester, ich bin für dich bereit.«
»Ich komme, Herr Ohm, um Euch zu sagen, daß ich meine Entscheidung in betreff des Grafen von Wartenberg geändert habe, – ich bin gewillt, sein Gemahl zu werden.« Ihre Stimme war schwankend geworden, ihr Antlitz weiß wie der Schnee.
In maßlosem Staunen schlug der Bischof die Hände zusammen – »Elisabeth, woher solche Wandlung?«
»Ich hörte, was Ihr sagtet, Ohm Heinrich, da ich zur Tür hinausgeschritten war. Ihr vermeintet, es könne mich nicht mehr erreichen, ich vernahm es doch! Um meinetwillen soll kein Blut fließen.«
»Aber auch nimmer verkaufen wir dich«, rief Heinrich erregt. »Dein Entschluß zeugt von deinem edlen Herzen, mein Kind, aber nimmer nehme ich an, und ob Ströme von Blut fließen sollten.«
»So wende ich mich an Euch als den Priester, nehmet Ihr meine Einwilligung auch dann nicht an, so ich Euch sage, ich will damit etwas sühnen, das ich Euch nicht näher erklären kann?«
»Du, Elisabeth?« fragte der Bischof ungläubig erstaunt, »du solltest etwas zu sühnen haben? Das glaub' ich nimmer! So es aber der Fall wäre, rate ich dir, nimm den Schleier und gehe ins Kloster; solches ist besser, denn den Wartenberger nehmen. Ich bring' ihm deine Einwilligung nicht.« Er durchmaß mit großen Schritten das Gemach.
»So zwingt Ihr mich, dem Grafen heute noch einen Boten zu senden, der ihm mein Wort bringt, Herr Ohm.«
Heinrich blieb vor ihr stehen. »So ist es dein unumstößlicher Entschluß, sein Gemahl zu werden?«
»Mein unumstößlicher«, entgegnete sie leise, aber fest.
»Nun wohl, so sei es denn«, sprach er hochaufatmend und schritt wieder durchs Zimmer. Nun war ihm der Beistand des Grafen sicher, wär's nur um einen anderen Preis gewesen! Er konnte sich nicht darüber freuen, zumal er sah, wie schwer ihr das Opfer wurde.
»Elisabeth, besinn' dich; noch ist es Zeit, noch reite ich nicht heimwärts«, sprach er noch einmal.
Aber sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts zu besinnen! O, Herr Ohm, macht es mir doch nicht so schwer! Mein Entschluß ist unabänderlich.«
»So sag' es deinen Brüdern«, entgegnete der Bischof, »wirst noch manches hören müssen, ehe Walter sich beruhigt.«
Elisabeth schaute in den wallenden Nebel hinein, der das Tal deckte. Schwer hingen vom Himmel graue Regenwolken herab; sie antwortete nicht, sie sah über ihrer Zukunft auch solche graue, schwere Wolken lagern, die kein Sonnenstrahl durchdringen würde. Sie stand auf und strich das Haar aus der Stirn. »Ich sag's den Brüdern nach dem Frühmahl, Herr Ohm«, klang es ruhig von ihren Lippen.
»Gott segne deinen Entschluß, mein Kind, und gebe, daß er uns allen zum Heile gereiche«, sprach der Bischof bewegt und schlug das Zeichen des Kreuzes über ihr.
Nach dem Frühmahl, zu dem der Pater nicht erschienen war, teilte die junge Gräfin in kurzen Worten ihren Brüdern mit, daß sie gesonnen sei, der Werbung des Grafen Wartenberg Gehör zu schenken.
Es war, wie der Bischof gesagt hatte, sie mußte einen Sturm von Fragen und Vorwürfen über sich ergehen lassen; aber sie blieb standhaft, bis endlich Walter ausrief: »So kann dich nur unser Ohm mit jener Drohung dazu beweget haben.«
Da trat sie auf ihn zu, legte die Hand auf seinen Arm und schaute in sein zorngerötetes Gesicht. »Ich wechselte mit dem hochwürdigsten Ohm kein Wort, seit ich gestern euch verließ, bis ich ihm heute meinen Entschluß mitteilte. Warum willst du mir das, was ich doch tun muß, gar so sehr erschweren, Walter?«
»Weil ich nicht will, daß du, unsere einzige Schwester, unglücklich wirst dein Leben lang! Laß den Wolf doch kommen; er wird finden, daß er sich an unseren Mauern seine Raubzähne ausbrechen kann«, rief Walter flammend.
»Und so Rötteln doch fällt?« beharrte Elisabeth.
»So fallen die Röttler Grafen zuvor, und mein letzter Dolchstoß wär' in dein Herz, Elisabeth! Ich wüßt' dich schon vor dem Wolf zu schützen.«
Innig schlang das Mädchen beide Arme um den Bruder und flüsterte: »Mein Wilder, hab' Dank für deine Liebe! Aber ich darf nicht nachgeben! Walter, ich hab' etwas zu sühnen, und nur solches Opfer kann es. Es ist meine Pflicht, also zu handeln, und ihre Pflicht taten die Röttler doch immer.«
Grenzenloses Staunen malte sich in seinem Antlitz; er wollte fragen; aber Elisabeth legte ihm bittend die Hand auf den Mund.
»Walter, bitte, nicht fragen«, murmelte sie mit schwankender Stimme, »laß mich, es ist meine Pflicht!«
Er preßte sie an sich. »So helfe dir Gott«, sprach er finster, »ich aber hoffe, die Heiligen haben ein Einsehen und legen etwas in den Weg, also, daß diese unheilvolle Verbindung nimmer zustande komme.«
Am Nachmittag zog der Bischof fort; aber nur finstere Gesichter schauten ihm nach.
*
Am 4. Junius.
Herr, allbarmherziger Gott, ist es denn möglich? Ich kann das, so heute hier geschehen ist, noch immer nicht fassen! Elisabeth, die holde, lichte Waldblume, sie will dem finsteren Grafen von dem Raubnest jenseits des Rheines folgen als Ehegemahl? Was ist's, das sie zu solchem Schritt zwingt? Liebe? – So mir nur nicht so entsetzlich weh wäre, könnte mich das Lachen anwandeln bei dem Gedanken! Alles andere als Liebe für den Grafen sprach aus ihrem Blick, da sie mir diese Kunde heute selbsten mitteilte. Es war, da der Bischof fortgeritten war und ich ihn mit den Grafen zum Tor hinausgeleitete. Daß etwas geschehen sein müsse, so tief in das Leben hier eingreife, hatte ich an den finsteren Gesichtern der Herren gesehen. Lutold gab dem Bischof das Geleit gen Basel, die Grafen Walter und Otto blieben noch im Hof mit Balthasar und Wilbold, und ich schritt nach oben. Am Brunnen im kleinen Zwinger blieb ich stehen und schaute über die niedere Mauer in den Wald. Da tönten leichte Schritte hinter mir, – Elisabeth stand neben mir. Fast trat ich erschrocken zurück, da ich in ihr Antlitz schaute; weiß war es, und in den Augen lag ein Ausdruck, der mich an ein zum Tode getroffenes Reh gemahnte.
»Um Gott, Herrin, was ist geschehen?« fragte ich, – sie aber hob die Hand und sagte mit fast klangloser Stimme: »Wünschet mir Glück, Pater Rubertus; ich habe mich heute dem Grafen von Wartenberg anverlobt.«
Wäre ein Blitz vor mir niedergefahren, ich hätte kaum betäubter dastehen können! Schier fassungslos starrte ich sie an, – bis ich ihre Hand ergriff und nur sagte: »Möcht' es Euch nie gereuen.« Mehr konnt' ich nicht reden; ich hab' mich gewandt und bin gegangen, maßen ich sonst nicht Herr meiner selbst geblieben wäre!
Glück wünschen konnt' ich ihr nicht!
Solches war heut nachmittag; jetzt ist es Mitternacht. Von den Stunden, so dazwischen liegen, will ich nicht viel schreiben, – – daß sie mir nimmer angehören konnte, wußte ich ja! Konnte auch gar wohl wissen, daß sie über kurz oder lang einem folgen würde als Gemahl; aber ich vermeine, solches zu tragen wäre mir nimmer so schwer geworden, so ich gesehen hätte, sie sei glücklich. Nun aber! – –
O Elisabeth, ich leide um dich noch schwerer denn durch mein eigen Weh! Ich kann nur eines wünschen, möcht' es dich nie gereuen, – – ich kann's nicht glauben, daß du diesem, gerade diesem, gern dein Wort gabst! Mir ist, als stünde eine treibende Macht hinter dir, die dich dazu zwingt.
Ich konnte in diesen bangen Stunden nur eines flehen: Barmherziger, gib ihr Kraft, dieses zu tragen, ihr und mir!
Den 10. Junius.
Es lieget schwül über Rötteln, gleich als wenn ein Unwetter im Nahen sei. Graf Walters Rede klingt befehlender denn sonst, und eiserner sind die Züge seines edlen Antlitzes. Graf Otto schauet finster drein, und auch auf Lutolds offenem, sonst so heiterem Gesicht siehet man nur noch ein Lächeln, so ihn Ursula anredet. Zu Elisabeth aber sind sie alle von liebevoller Güte.
Ich hörte gestern, wie Graf Walter zu ihr sagte: »So du denn vermeinest, es sei deine Pflicht, diesen Weg zu gehen, nun wohl, so hindern wir dich nimmer. Daß es uns aber sehr sauer ankommt, dich dorthin mit diesem Manne zu lassen, kannst du uns nimmer verargen. Und wenn du dann noch gerne gingest.«
Da lehnte sie das Haupt an seine Schulter, und er küßte ihr Haar, – ich aber wandte mich schnell ab – – –
Gestern kam, hoch zu Roß, ihr Verlobter. Wir waren alle im Saal, da er hineinkam, von Lutold geleitet. Elisabeth wollte ihm einen Schritt entgegengehen, konnte aber nicht, so sehr zitterte sie. Er kam näher, nahm ihre Hand und küßte sie mehrere Male. Sie ließ es geschehen; aber ich sah, wie blaß sie war, noch mehr denn sonst.
Die Verlobung wurde so kurz als möglich gemacht; es folgte ein Mahl, bei dem fast niemand etwas genoß, nur der Wartenberger fleißig dem Wein zusprach. Hierauf zog er von dannen, »dieweil er noch Geschäfte in Basel hätte beim Herrn Heinrich, dem hochwürdigsten Bischof«.
Ich atmete auf, da er fort war, und gleich mir ging's auch den anderen; ja, Graf Walter rief dem Davonziehenden etwas nach, das wahrlich nicht ein Segenswunsch war!
Was nützt aber solches alles? Was nützt es auch, so ich viel darüber schreibe? Es macht mir das Herz doch nicht leichter, ist mir's doch zumute, gleich als hingen schwere Stücke Blei an meiner Seele, also, daß sie sich nimmermehr aufraffen kann!
Am 15. Junius.
Gestern abend, es war wohl schon die zehnte Stunde, ging ich zur Kapelle hinab, um zu beten. Aber zum einsamen Beten ist es diesmal nicht gekommen; ich sollt' mir nicht Trost holen, sondern ihn geben, – und noch ist mein ganzes Herz in Aufruhr vor Zorn, Weh und Schmerz.
Da ich in die Kapelle trat, sah ich eine regungslose Gestalt auf den Stufen vor dem Altar liegen. Ich ging näher und erkannte Elisabeth. Da sie sich lange nicht regte, war ich besorgt, es könne ihr etwas geschehen sein, beugte mich über sie, legte leise die Hand auf ihren Arm und sagte: »Herrin, vergebet, so ich vielleicht Euer Gebet störe; mir ist aber, als ob Ihr nicht betet, sondern Euch vielmehr etwas geschehen sein möge.«
Sie hob das Gesicht empor und sagte: »Ich betete nicht; ich muß nur denken, immer denken, ob ich die Kraft haben werde, meine Pflicht zu tun, sie ist so schwer, so unsagbar schwer.«
Es war das erstemal, daß sie also zu mir sprach; ich hob sie auf und führte sie zu einem Stuhl. »Warum denn, Herrin, ist's Eure Pflicht?« fragte ich, »wer macht es Euch zur Pflicht, wer zwingt Euch zu diesem unseligen Verlöbnis?«
Da kam's über ihre Lippen, eine lange Geschichte über allerlei, so der Graf zum Bischof gesagt und dieser den Röttler Herren wiederholt hat, ich will's nicht näher schreiben; mein ganzes Inneres ist darob in Aufruhr geraten! Der Bischof ist mein geistlicher Herr und – – doch nein, ich will nicht weiterdenken; ist doch so schon Zorn genug in mir ob der ganzen Geschichte, und im Wort des Höchsten stehet geschrieben: Des Menschen Zorn tut nicht, das vor Gott gut ist! Der Höchste hat es zugelassen, daß Elisabeth des Bischofs Worte hören mußte, – – guter Gott, und nun meinet sie, sie müsse viel Blutvergießen verhüten durch ihr Wort, und gab es deshalb dem Wartenberger!
Aber nicht deshalb allein; sie fügte noch hinzu: »Zudem habe ich etwas zu sühnen, das geschehen ist und ich auch Euch, Herr Pater, nimmer sagen kann; da soll dies meine Sühne sein.«
Was hat sie damit gemeint, und was sollt' ich ihr darauf sagen? Ach, all mein eigen Weh trat zurück in diesen Augenblicken, da ich in ihr leidvoll Antlitz sah. Ich hatte nur den einen Wunsch, sie trösten, ihr helfen zu können; sie über die schweren Stunden hinwegzubringen, ihr Ruhe und Frieden verschaffen zu können!
»Herrin«, hob ich an, »nichts geschiehet ohne den Willen oder die Zulassung Gottes, des Höchsten. Von Eurer Pflicht, diesen Weg zu gehen, will ich nicht reden; es leuchtet mir dieses nicht ganz ein. So Ihr aber glaubt, damit etwas sühnen zu müssen, kann ich nichts dawider sagen, obgleich ich nicht wüßte, was Ihr, o Herrin, solltet begangen haben, das einer lebenslänglichen Sühne bedürfe! Ich bin nun der festen Zuversicht, so dies der Weg und Wille Gottes ist, wird die Sache ihren Lauf gehen. Alsdann aber werdet Ihr, Elisabeth, die Kraft Gottes dazu bekommen; das Opfer wird Euch leichter werden, und aus dem, das uns jetzt so unheilvoll dünkt, kann noch ein Segen blühen. So Gott aber nicht das Opfer von Euch verlangt, hat er Wege genug, es zu verhindern, ehe denn es zur Ausführung kommt, und er wird es alsdann hindern. Vertrauet ihm, o Herrin.«
»Ja, ich will's tun«, entgegnete sie leise. »An Eure Worte will ich gedenken, so ich wieder verzage, und Gott wird mir helfen.«
Ich drückte ihre Hand und wurde jetzt erst gewahr, daß ich sie die ganze Zeit in der meinen gehalten hatte, – – und sie hatte sie mir gelassen! Auch jetzt entzog sie sie mir nicht und sagte nach wenigen Minuten: »Herr Pater, Ihr begehrtet vor etlicher Zeit, heim gen Einsiedeln zu ziehen. Ich bat Euch damals, zu bleiben, und bitt' Euch heut' noch einmal darum: bleibt. Tut es wenigstens so lange, bis ich fortziehe, – ich – ich möchte von Euch allein den priesterlichen Segen zu meiner Vermählung mitnehmen, so sie geschieht.«
Zuerst wollt' ich heftig »nein, nein« rufen – ist's doch schier zu viel, was sie bat – und doch sagte ich ihr »ich bleibe!«
O Elisabeth, so der Tag einmal anbrechen sollte, müßte der Höchste doppelt Erbarmen mit mir haben, maßen ich sonst nimmer kann ruhig hören, wie du dein Wort einem anderen gibst, – und dich dann segnen soll zu einem Bunde, dagegen dein ganzes Herz sich sträubet!
Wir saßen noch lange still beieinander, bis ich mein Herz in lautem Gebet zu dem Herrn erhob und ihren Weg, auch Rötteln und den ganzen unseligen Krieg, vor seinen Thron legte und ihm alles befahl. Während ich also betete, neigte sie ihre Stirn auf meine Hand, und ich fühlte zwei heiße Tränen. Da wir die Kapelle verließen, lag jedoch ein friedevoller Zug auf ihrem Antlitz, und sie sagte: »Pater Rubertus, ich danke Euch! Seit ich mit Euch heute sprach, schaue ich mutiger vorwärts.«
Jetzt ist die Mitternacht längst dahin; der Schlaf flieht mich, wie schon so oft; aber mein Herz ist stiller geworden und mit Dank gegen meinen Herrn erfüllt, daß ich ihr Trost geben durfte.