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Mit dem Grafen Rudolf zusammen saßen die Herren von Vitztum und von Reichen. Sie gehörten mit zu den Rittern vom Stern und hatten als solche einen besonderen Haß nicht nur gegen den Bischof, sondern gegen alle, die der Partei zum Sittich angehörten. Im besonderen waren ihnen die Röttler Herren ein Dorn im Auge wegen ihres Ansehens und der Macht.
Das Gespräch der drei Ritter wurde leise, aber sehr eifrig geführt.
»Und wo endet der Weg?« fragte soeben Rudolf.
»Solches kann ich Euch nur ungewiß melden, Herr«, entgegnete der Ritter von Reichen. »Mein Knappe, der den Grafen Otto von Rötteln jüngst in Brombach sah und dann merkte, wie er in einem Gebüsch verschwand, als sei er in die Erde gesunken, hat sich später das Gebüsch etwas näher angesehen und gefunden, es decke den Eingang oder Ausgang eines Weges. Er stieg hinein und verfolgte ihn ein Stück weit. Sodann kam er zu mir; ich ritt heute früh hin und fand, wie er gesagt. Wo anders aber soll der Gang münden, denn im Schloß?«
»Kaum wo anders«, sprach sinnend Herr von Vitztum, »der Sache ist nachzudenken.«
»Für's erste nachzuspüren«, sagte Rudolf. »Hört! Ihr, Herr von Reichen, geht zu allererst mit etlichen Getreuen den Weg entlang und suchet auszufinden, allwo er endet. So er in der Burg mündet, haben wir ziemlich gewonnen Spiel.«
Im Flüstertöne setzte er ihnen alsdann einen Plan auseinander, und da er zu Ende, schlug sich der Ritter von Reichen aufs Knie, lachte dröhnend und rief: »Glück zu, ein feiner Plan! Der ›guten Morgen‹ wird ihnen kaum behagen.« Dann gingen sie auseinander.
»Heiliger Fridolin« (der Schutzpatron von Säckingen), murmelte Rudolf, »so es gelänge, wollte ich dir ein Dutzend Wachskerzen stiften!«
Zwei Tage waren vergangen. Es war Mai; der Hochzeitstag Ottos und Odalsindes hatte sich gejährt und war mit einem Festmahl gefeiert worden. Wieviel kleiner war der Kreis heute als damals. Mit tiefer Wehmut hatte man der Dahingeschiedenen und des Paters gedacht, auch nicht vergessen, die beiden Grabstätten auf dem kleinen Friedhof reich mit Blumen zu schmücken. Am Abend hatten die vier Familienglieder noch lange im Garten gesessen; nach dem Gutenachtgruß war Walter in den Zwinger hinabgegangen, um zu sehen, ob alles in Ordnung war, und nun lag tiefe Ruhe über der Burg.
Am geöffneten Fenster ihres Gemaches saß Ursula und schaute in die schweigende Nacht. Sie hatte sich in ein weißes, weiches Gewand gehüllt, das Licht gelöscht und atmete mit Behagen die milde, reine Nachtluft ein. Ein lichtes, strahlendes Zukunftsbild stieg vor ihr auf, träumerisch lächelnd blickte sie nach der Krone der Linde am Schloßbrunnen, die leise im Winde rauschte, – da – was war das? ...
Sie war emporgefahren in jähem Schreck; deutlich vernahm sie ein leises Klirren wie von Waffen. Es klang dumpf, als käme es unter ihr aus der Erde – sie blickte über den Hof – nein, von hier konnte es nicht kommen, – still war's ringsum, und auch die Steinstufe, die die Deckplatte des Ganges bildete, lag unberührt da. Niemand war von hier in den unterirdischen Gang hinabgestiegen ... sie mußte sich geirrt haben! Es wußte ja auch niemand davon!
Sie lauschte; da hörte sie das Geräusch wieder – deutlicher als zuvor ... »Um der Heiligen willen, sollten auch die Feinde etwas von dem Gang wissen, durch Zufall oder gar Verrat?« durchzuckte es sie.
Schnell entschlossen legte sie das Ohr an den Boden, und wie aus Grabestiefe hörte sie eine Stimme, die wohl dort unten laut gesprochen haben mußte zu jemand, der noch ferne war: »Wir kommen allsogleich zur Tür; diese geräuschlos zu öffnen, dauert wohl einige Zeit, und – –«
Mehr hörte sie nicht; sie war emporgefahren und lehnte einen Augenblick, zitternd vor Schreck, an einem Tisch. »Walter«, war dann ihr einziger Gedanke, ... sie unterdrückte mit Gewalt ihre Aufregung und flog mehr als sie ging hin in das Herrenhaus.
An Walters Tür pochte sie heftig. »Öffnet, öffnet schnell.«
Er riß die Tür auf. »Alle Heiligen! Ursula, Ihr? Was ist's?«
Wankend lehnte sie an der Tür. »Feinde im unterirdischen Gang«, sprach sie mit fliegendem Atem, »ich hörte sie, sie sind schon dicht an der Tür.«
»Eilt in das Wohngemach«, rief er und war mit ein paar Sätzen hinab.
Sie schritt hinauf und setzte sich an das Fenster, von dem man in den Hof sehen konnte. Sie bebte vor Erregung. Totenstill war's draußen; der Mond beleuchtete hell einen Teil des Hofes. Aus ihrem Gemach drüben drang ein schwacher Lichtschimmer; sie sah dort Walter und auch schon Otto lauschen. Dann verschwand das Licht; eine Gestalt glitt, geräuschlos wie eine Katze, aus dem Hause über den Hof zum Bergzwinger hinab. Nach einigen Minuten, die Ursula eine Ewigkeit dünkten, kam eine zweite, in der sie Otto erkannte.
Er war bereits in voller Rüstung, hatte ein blankes Schwert in der Hand und trat ebenso geräuschlos in den Schatten neben die Steinplatte hin. Gleichzeitig huschte Odalsinde über den Hof und kam hinauf zu ihrer bebenden Schwester.
»Otto hält Wache«, erzählte Oda, die in eben solcher Erregung war wie Ursula, »Walter ist hinab, die Mannen zu wecken und zu sehen, ob die Wachen auf den Mauern etwas Verdächtiges von draußen bemerkt haben. Da ist er schon.«
Im gleichen Augenblick kam er und verschwand im Hause. Nun wurde es auf dem Hof lebendig; Wilbold kam als erster mit Gero, Balthasar und Friedung, und bald hinter ihnen eine Schar von fünfzig bis an die Zähne bewaffneter Männer. Aber kein Laut wurde hörbar, ... keine Waffe klirrte ... kein Stein rollte ... gespensterhaft leise kamen sie daher; die einen stellten sich zu Otto, der ihnen gewinkt, in den Schatten, andere bargen sich hinter den Hausecken, ... wieder lag der Hof still da.
Walter trat ins Wohngemach.
»Es ist keine Gefahr mehr, die ist abgewendet dank den Heiligen und Euch, Ursula! Kann Euch vorläufig nicht anders danken, auch nicht fragen, woher Eure Kenntnis des Ganges kommt. Es wird Blut fließen in der nächsten Stunde hier oben; so ihr beide euch fürchtet oder es euch davor graut, so geht in Elisabeths Gemach, es hat keine Fenster zum Hof. Doch die Hand will ich Euch reichen, Ursula, eh ich hinab muß!« Er trat auf sie zu.
»Glück auf den Weg«, sprach sie und schaute ihm zum erstenmal unbefangen in die blitzenden Augen.
Er eilte hinab; Oda aber umschlang ihre Schwester und rief: »Dir hat der Allmächtige heute die Ohren selbsten aufgehalten, daß du solch Geräusch hören mußtest, sonst wären wir alle verloren gewesen! Doch sieh«, fügte sie, mit der Hand hinausdeutend, hinzu, »wollen wir hinauf, fort von hier?«
»Nein«, bat Ursula, »laß uns hierbleiben.«
Eng umschlungen blickten sie hinaus.
Die Steinplatte hob sich ein wenig, wurde leise und langsam zur Seite geschoben; der Kopf eines Mannes tauchte empor. Nach und nach zwängte er sich ganz heraus, schob jetzt die Platte zur Seite, und nun entstieg ein Gewappneter nach dem anderen dem Gang.
In fieberhafter Aufregung sahen die Frauen hinab, – – fünfundzwanzig stark bewaffnete Männer zählten sie; jetzt stieg als der letzte Ritter von Reichen heraus.
»So«, sprach er halblaut, »hierorts schläft alles gleich den Ratten. Haha, das wird ein Tanz! Zehn von euch schleichen jetzt leise hinab; den Torwächter überrumpelt ihr, öffnet geschwind und laßt den Ritter von Vitztum herein. Seit einer Stunde lagert er im Dickicht mit hundert Mann. Ihr anderen besetzt geräuschlos die Tür der Burg hier.«
Er wählte zehn Leute aus. »Vorwärts jetzt.«
»Doch nur, so wir gestatten«, schrie Walter, der auf diesen Augenblick gewartet hatte, und sprang in das helle Mondlicht, »drauf, ihr Leute.«
Aus ihren Verstecken brachen sie hervor, die Mannen von Rötteln, und stürzten sich auf die wie erstarrt dastehenden Feinde.
Nun kam Leben in diese ... die Schwerter blitzten ... wildes Geschrei durchhallte die Burg ... sie wehrten sich verzweifelt ... aber der Übermacht mußten sie doch erliegen. Nach einer kurzen halben Stunde waren alle gefangen. Nur ein Toter blieb auf dem Platz, der Ritter von Reichen.
Unter sicherer Aufsicht ließ Otto die fünfundzwanzig Männer in die Burgverliese bringen, die Tür zum Gang schließen, die Platte auflegen, stellte eine Wache dahin und eilte dann Walter nach, der mit dem größeren Teil der fünfzig schon in den Burgzwinger hinab war.
Dort waren alle übrigen Knechte und Mannschaften bereit; er befahl ihnen, sich zu verbergen und nur wieder auf seinen Ruf hervorzubrechen.
»Wir wollen's ihnen eintränken, daß sie dachten, Rötteln bei der Nacht ohne Mühe zu nehmen«, flüsterte er grimmig, »ein zweites Mal sollen sie das Wiederkommen vergessen.«
Nun ließ er die Tore öffnen. Mit verstellter Stimme schrie er in die Dunkelheit hinaus: »Kommt herein, Herr Vetter; schier mühelos ward der Sieg unser!«
Nach wenigen Augenblicken ritt der Herr von Vitztum ein, von lauten Zurufen gegrüßt. Ihm nach drängten seine Leute.
»Fackeln her«, schrie der Ritter, »man sieht ja nichts; wo steckt Ihr, bringt Licht – –«
»Soll Euch werden«, schrie Walter ihm jetzt entgegen und drang mit gezücktem Schwert auf ihn ein. »Will Euch ein Licht anzünden, so Euch Rötteln gut sehen läßt.« Zu gleicher Zeit rasselte das Fallgitter auf Ottos Befehl herunter.
Nun begann ein heißes Ringen. Jetzt war die Arbeit nicht sobald getan. Wohl über eine Stunde wogte der Kampf; tapfer und kühn wehrten sich die habsburgischen Söldner, dann aber ergaben sie sich in ihr Schicksal.
Hier blieben zehn Tote auf dem Platz und ein Schwerverwundeter, der Ritter von Vitztum, der wie ein Löwe gekämpft hatte. Otto befahl, ihn in das des Burgverwalters zu bringen und zu verbinden; aber als der Morgen zu grauen begann, erlag der mutige Mann seinen Verletzungen.
Die Toten alle ließ Walter nach dem Röttler Friedhof bringen, um sie dort zu begraben, die Gefangenen kamen zu den anderen; eine Anzahl Knechte machte sich daran, die Höfe zu säubern, und nun erst konnten die beiden Brüder daran denken, ihre Rüstungen abzulegen und zu Oda und Ursula zu eilen.
In Angst und Aufregung waren diesen die Stunden langsam und träge dahingeschlichen; zitternd hatten sie dem erneuten Waffengetöse im unteren Burghof gelauscht, dessen Ursache sie sich nicht erklären konnten; endlich war ein Knappe gekommen, von Otto gesandt mit der Meldung: »Die Feinde überwunden«; seither war wieder fast eine Stunde verstrichen.
»Die Angst tötet mich«, rief Odalsinde endlich aufspringend, »vielleicht ist Otto etwas begegnet und ich soll es nicht allsogleich erfahren! Ich muß hinab und sehen.«
Sie hörte nicht auf Ursulas Bitte, zu bleiben; sie eilte die Treppe hinunter und kam just auf den Hof, als Otto und Walter heraufkamen, ihre Rüstung abzulegen. Ursula sah, wie sie ihrem Gemahl entgegeneilte und mit ihm in dem Hause verschwand.
Sie saß einige Minuten allein und wartete; nun vernahm sie Walters schnellen, harten Schritt. Sie fuhr auf und wollte fort, aber schon sprang die Tür auf – er stand vor ihr.
Mit nur mühsam unterdrückter Erregung rief er: »Ursula, der Feind ist bezwungen, Rötteln ist gerettet ... wie soll ich Euch danken!«
»Nicht mir, den lieben Heiligen dankt, die schützend über unserer Burg wachten«, sagte sie leise.
»Solches soll morgen in der Frühe geschehen in einer heiligen Messe, die Pater Bernhard lesen soll«, entgegnete er; dann beugte er sich über ihre Hände, drückte sie an sein Gesicht und sprach: »Dank, Ursula, Dank! Und nun bitt' ich Euch, erzählt mir, woher Euch Kenntnis von dem vorhandenen Gang gekommen ist.«
Sie saß auf der Fensterbank; er hatte die Arme verschränkt und schaute sie unverwandt an, während sie in kurzen Worten erzählte.
Er lachte. »Hätt' mir nimmer solches träumen lasten, Ursula! So ich's früher gewußt hätt', wär's mir wohl sehr unlieb gewesen; heut' verdanken wir Euch unsere Freiheit, vielleicht unser Leben und unsere unversehrte Heimat.« Seine Stimme bebte; er schwieg einen Augenblick.
»Doch redet weiter«, bat er dann, »wie kam's, daß Ihr heute wachtet?«
Es war gut, daß es noch halbdunkel im Gemach war, so sah er nicht die dunkle Röte auf ihren Wangen bei seiner Frage. Wie konnte sie ihm auch sagen, welche Zukunftsbilder sie wachgehalten hatten!
»Ich dachte an allerlei«, sprach sie, »der Vergangenheit, der Zukunft, und schaute dabei über den Hof, der still und leer war. Plötzlich hörte ich Waffengeklirr, lauschte und vernahm die Worte: ›Bald kommt eine Tür, die müssen wir geräuschlos öffnen‹, nun wußte ich, das konnten nur Feinde sein. Da kam ich zu Euch.«
Er beugte sich über sie, rasch ging sein Atem – mit hartem Griff faßte er ihre beiden Hände und fragte: »Zu mir? – Warum nicht zu Otto, der Euch schneller zu erreichen gewesen wäre, – warum zu mir?«
Sie schrak bis ins Innerste zusammen ... ach, das wäre ja auch das Natürlichste gewesen; aber der Gedanke war ihr überhaupt nicht gekommen! Was mußte er von ihr jetzt denken!
»Ich dachte gar nicht an Otto, nur an Euch«, flüsterte sie verwirrt, tief erschreckt das Köpfchen senkend.
Da riß er sie stürmisch an sich und rief: »Ursula, Ursula, nun hast du dich verraten! Du dachtest nur meiner, sagst du, in dieser Gefahr? Dann tatest du es auch sonst, sag' nein, wenn du kannst!«
Aber sie sagte nicht nein; die Verwirrung benahm ihr fast den Atem ... sie hätte sich so gern versteckt, und da sie keinen anderen Platz fand, barg sie das Gesicht fest an seiner Schulter.
»Mein Sonnenstrahl!« jubelte er auf, »nun bist du mein, nun halt' ich dich fest und lasse dich nimmer! Hab' ja nie glauben wollen, daß solches Glück auch mir erblühen könne, hab' gefürchtet, deine Angst vor meinem Ungestüm sei zu groß, du könntest den Wilden nimmer lieben, und Lutold, der zartfühlende, sei dir lieber. Hab' deshalb bis anhero dir nichts von meiner unsinnigen Liebe geredet, so mein Herz zu dir erfüllt hat!«
Er hob ihren Kopf empor. »Willst du mein sein, mein bleiben bis in den Tod, Ursula?«
»Bis in den Tod«, entgegnete sie mit leuchtenden Blicken, – nicht ahnend, was diese Worte einst für sie bedeuten sollten.
Das war eine große Überraschung für Otto und Odalsinde, die soeben eintraten. Wie angewurzelt blieben sie zuerst stehen; Walter aber trat mit einem glücklichen Lächeln ihnen entgegen, Ursula mit sich ziehend, und rief: »Ich hab' mir einen Sonnenstrahl fangen wollen und bin selbst gefangen worden; ich wollt' der Retterin von Rötteln danken, da besiegte sie mich – was tu ich jetzt?«
»Werde glücklich wie ich«, rief froh bewegt Graf Otto und umschlang den Bruder herzlich. »Mein Wilder, wie freu' ich mich deines Glücks; die Heiligen mögen dich und deine Braut segnen.«
Oda aber flüsterte Ursula neckend ins Ohr: »Nun wirst du Burgfrau, und ich kann ganz für Otto leben.«
Glückliche Stunden verstreichen schnell, sie fliegen wie Minuten; mit Staunen nahm man plötzlich wahr, daß die Sonne ihre goldenen Strahlen schon lange über Berg und Tal sandte.
»Jetzt müssen wir aber einige Stunden ruhen«, sprach Oda, zärtlich ihre holde Schwester umschlingend, »der Aufregungen dieser Nacht waren zu viel; du siehest blaß aus.«
»Walter aber muß zum Ohm gen Basel, berichten über das, so vorgefallen ist, und ich sorge indes für würdige Bestattung der Toten«, fügte Otto hinzu.
Beim Abschiednehmen zog Walter seine junge Braut rasch in eine Fensternische und fragte: »Sprach Lutold dir je von Liebe?«
Lächelnd schaute sie zu ihm auf: »Ist mein Wilder von der Eifersucht geplaget? Lutold sagte mir nie andere denn freundschaftliche Worte; er ist mir ein gar lieber Freund und Genoß gewesen, nichts weiter.«
»Dank für diese Worte, mein Sonnenstrahl! Es wär' mir ein gar trüber Gedanke gewesen, so ich mir hätte sagen müssen, mein Glück wäre dem Bruder eitel Herzleid und Weh.«
Wenig später ritt Walter gen Basel; unter starker Bedeckung folgten ihm die Gefangenen. Im Hof des bischöflichen Palastes mußten sie warten; er trat mit einem fröhlichen »Grüß Gott, Herr Ohm«, bei dem Bischof ein.
»Was bringst du, Walter, dein Gesicht kündet Gutes?«
»Hab' Euch auch Gutes zu vermelden; hab' lieben Besuch gehabt bei der Nacht und Euch etlichen davon mitgebracht.« Er deutete zum Fenster.
Der Bischof warf einen raschen Blick hinaus und rief, die Hände zusammenschlagend: »Alle vierzehn Nothelfer, das sind ja habsburgische Söldner!«
»Sind sie auch«, nickte Walter vergnügt. »Sie wollten sich Rötteln anschauen und kamen statt, wie sonst ehrliche Leute, von vorn, durch den unterirdischen Gang, den ein Schuft entdeckt hatte.«
In launigen Worten erzählte er dem Bischof den Hergang der Sache und schloß endlich: »Alsdann gestattete ich den Herren Einblick und Aufenthalt in unseren unterirdischen Herbergen für diese eine Nacht; nun aber bring' ich sie Euch, Herr Ohm; ich kann ihrer dort oben entraten und brauche meine Verließe wohl für andere Leute. Zudem, die meisten von ihnen sind Söldner, denen es gleich ist, für wen sie sich schlagen. Ich rat' Euch, redet mit ihnen, dinget sie und führet sie dann gegen den Habsburger.«
»Nicht so übel wär's«, lächelte der Bischof, »ich werd's vielleicht tun. Doch ist's allein dieser Sieg, der dich so strahlen läßt?« fragte er dann.
»Heiliger Joseph, die Augen der Priester sind scharf; sie sehen mehr denn andere«, lachte Walter. »Ihr habt recht, Ohm Heinrich, 's ist noch etwas Übriges! Ich will dem Münster zu Basel ein schwer silbern Kruzifix stiften, auch zwei dicke Wachskerzen.«
»Wofür?« fragte der Bischof, »doch nimmer für den Sieg?«
»Für den die Kerzen, das Kruzifix aber für meinen Sonnenstrahl«, und froh erregt teilte er ihm seinen Verspruch mit seiner jungen Base mit.
»Glück zu«, rief Heinrich erfreut, »also ist für Röttelns Fortbestehen Sorge getragen! Doch, Walter, nach den zwiefachen Geschehnissen dieser Nacht muß ich dir etwas sagen.« Sein Antlitz war ernst geworden. »Der Kampf kann, ehe denn man es ahnt, sich hierherziehen, wie der Überfall Röttelns es zur Genüge bewiesen. Wie, wenn Ursula nicht gewacht und es ihnen gelungen wäre? Was wär' aus den Frauen geworden? Ich rat' euch allen Ernstes, führet sie gen Basel hierher in meinen Palast; Raum genug ist da, und ihr könntet euch alldann doch des öfteren sehen. So sind sie in Sicherheit, und ihr kämpft freier.«
»Worauf's Euch doch wohl am meisten ankommt, Herr Ohm«, sagte Walter fast ironisch. »Doch aber möget Ihr nach mancher Seite hin nicht so ganz unrecht haben; mehr Sicherheit beut Euer Palast denn Rötteln. Ich will's oben vermelden und Euch den Bescheid kundtun.«
»Und was geschieht mit dem Gang?«
»Der wird anders angelegt, vorsichtiger und besser«, antwortete Walter. »So ihn zu lassen, wär' eine Narrheit. Doch nun gehabt Euch wohl, ich will heim.«
Etliche Wochen später geleitete Otto seine Gemahlin und Schwägerin gen Basel. Sie waren nach langem Überlegen dahin gekommen, den Rat des Bischofs zu befolgen. Otto hatte zuerst vorgeschlagen, sie sollten nach Sausenhardt zurückkehren. Dem hatten sich aber Oda und Walter energisch widersetzt.
»So du dann einmal verletzt würdest, und ich könnte nicht zu dir!« rief Oda, und Walter sprach: »Auf Sausenhardt sind sie nicht mehr in Sicherheit denn hier, im Gegenteil, Rötteln ist sicherer. So aber einmal Basel in Gefahr käme, was wohl kaum zu befürchten ist, hätten wir alsdann der Mittel und Wege genug, ihnen zu helfen.« Dabei blieb's dann, und sie zogen gen Basel, mit ihnen etliche Mägde und zwei Diener.
Eifrig wurde in der ganzen Zeit auf Rötteln an der Veränderung des unterirdischen Ganges gearbeitet; wie damals, so waren es auch diesmal dieselben Männer, die das Werk betrieben; niemand von den übrigen Mannen erfuhr etwas darüber. Nach langer Überlegung war man dahin gekommen, den Gang bis zu seiner Mitte so zu belassen, wie er war, dann aber sollte der neue Weg, von dort aus links abzweigend, einige Meter von dem ursprünglichen entfernt, ebenfalls unter der Wiese hindurchgehend, nach dem Kirchhof in Brombach weitergeführt werden. Sein dortiger Ausgang war unter einer uralten Kastanie, seine Öffnung verschloß eine Grabplatte, die aus dem vergangenen Jahrhundert stammte und nur noch undeutliche Schriftzeichen trug.
Mit der ausgegrabenen Erde des neuen Ganges verschüttete man den alten; doch ließ Wilbold mit spöttischem Lachen ein kleines Stück des letzten Endes frei. »So nun die Feinde gedenken, uns wieder einen Besuch zu machen«, sagte er zu Balthasar, »stehen sie nach einigen Minuten vor der Erde, und die Herrlichkeit hat ein Ende.«