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Siebzehntes Kapitel

Es war im Anfang August. Heiß schien die Sonne herab; schlaff hingen die Blätter an den Bäumen hernieder. Untätig lagen die habsburgischen Söldner auf der Burg im Wiesetal und vertrieben sich die Zeit mit Würfelspiel und Trinken. Ihr Herr war abgezogen. Er hatte nur eine starke Bewachung zurückgelassen, denn er selbst hatte anderes zu tun als hier zu rasten.

»Der Röttler ist ein geschlagener Mann«, pflegte er zu sagen, »der tut uns nichts mehr! Bevor er ein Heer zusammen hat, um die Burg sich wiederzuholen, ist der Kampf zu Ende. Der Bischof aber kann ihm keine Mannschaften geben, maßen er selbst nicht über allzuviel verfügt.«

So war der Graf ganz sicher, hatte auch deshalb die Burg nicht zerstören lassen, sondern sogar befohlen, ihre Schäden, die sie bei der Belagerung erhalten hatte, auszubessern, denn er erwog in Gedanken, sie später einer seiner Töchter als Heiratsgut mitzugeben. Nach dem unterirdischen Gang ließ er vergebens forschen, er konnte den Eingang nicht entdecken. Das wollte ihm erst einige Sorgen machen, doch entschlug er sich bald der Gedanken im Blick auf Walters zerstörte Macht.

Aber er hatte nicht mit des Grafen ungebeugter Tatkraft gerechnet. Als Walter einige Stunden nach seinem Eintreffen in Basel an das Lager seines verwundeten Bruders trat, da war der wilde Schmerz der Verzweiflung, der ihn gepackt, mit eiserner Gewalt in das Herz hinabgedrängt; trotzige, starre Entschlossenheit stand auf seinem Antlitz geschrieben.

Otto stöhnte laut, als er den Bruder sah; der aber beugte sich über ihn und sprach: »Sei still, mein Bruder, noch steht die Burg; der Habsburger läßt sie kaum schleifen. Ich aber hole sie zurück, und sollt' es mein Herzblut kosten! Lieber unter ihren Trümmern begraben werden, denn das Erbe unserer Väter verlieren. So du gesund bist, ziehest du ein in unser Rötteln, – – oder dein Bruder lebt nicht mehr!«

Nun begann er in aller Stille zu rüsten, eifrig unterstützt von seinen wenigen Getreuen, die aber freilich die Besten waren.

Als der Torwächter vom Sankt Albantor am 2. August des Abends das Tor schloß, schaute er sinnend und kopfschüttelnd einem Bauern nach, der, so schien es, einfältig aus der Stadt gegangen war, und murmelte dann in seinen grauen Bart: »So viel Bauern als heut sind selten durch das Tor gezogen – – wo die hin wollen in dieser Nacht, da gibt's am Morgen blutige Köpfe, solches ist sicher.«

Der Abend schritt weiter vor, und je dunkler es wurde, desto schneller ging der Bauer. Er wählte den Weg über den Hornfelsen, und trotz der Dunkelheit, die ihn im Walde mehr und mehr umgab, schien er doch die Richtung genau zu kennen; er schritt unbeirrt zwischen den Bäumen und durchs Gestrüpp dahin und stand nur ab und zu still, um zu lauschen. Aber nur der eintönige Schrei eines Nachtvogels tönte in gleichmäßigen Zwischenräumen durch die Stille, rief jedoch jedesmal auf dem Antlitz des Bauern ein befriedigtes Lächeln hervor.

Jetzt schwieg die Vogelstimme. Geraume Zeit verstrich; der Mann stand häufiger still, lauschte anhaltend und nahm schließlich den Hut vom Kopf, um sich den Schweiß abzuwischen. Im gleichen Augenblick fiel ein Mondstrahl durchs Gezweig und beleuchtete hell Walters Gesicht.

»Da ist etwas Verdächtiges«, murmelte er, »heiliger Georg, sei barmherzig, laß es gelingen, das Wagestück, so ich mit nur dreißig Mann unternommen habe! Was mag nur Wilbold merken, daß er so beharrlich schweigt? – – Gottlob, da ist wieder seine Stimme!«

Aus weiter Ferne tönte der Vogelschrei zweimal hintereinander durch die Stille, und nun schritt Walter hastig, aber mit doppelter Vorsicht weiter. Der hellscheinende Mond verschwand unter aufsteigenden Wolken; ein Wetter zog am Himmel auf, und wieder leuchtete ein Blitz, in der Ferne grollte der Donner.

Bald nach Mitternacht sah Walter die ersten Häuser von Brombach vor sich liegen. Nun galt es, vom Waldessaum aus das Feld zu durchqueren und den Kirchhof zu gewinnen. Er spähte, noch von den Bäumen gedeckt, sorgsam umher – nichts regte sich. Langsam trat er hinaus auf die Wiese, und nun sah er drüben Rötteln liegen, die Burg seiner Väter.

Ein unterdrücktes Stöhnen entrang sich seiner Brust, er preßte die Hände zusammen und murmelte: »Mein Rötteln, in den nächsten Stunden bin ich wieder dein Herr, oder – dein Boden hat mein Blut getrunken!« Er ballte die Faust und schüttelte sie in wildem Grimm. »Wehe euch dort oben, so ich der Herr bleibe und ihr euch nicht ergeben wollt!«

Vorsichtig, gleich einer Katze, die auf Beute ausgeht, schlich er über die Wiese, noch wenige Schritte, er stand auf dem Kirchhof. Eine dunkle Gestalt löste sich von einem Baum los und glitt auf ihn zu.

»Herr, kommt Ihr endlich«, flüsterte Wilbold, »schon vermeinte ich, Ihr hättet ein Hindernis gehabt.«

»Wie du, Wilbold; was war's, das deinen Schrei verstummen ließ?«

»Ein Fuchs, Herr, dem ein echter Bauer folgte, um seiner habhaft zu werden«, lachte der Knecht leise, »ich sah ihn zur rechten Zeit und machte einen langen Umweg um den Mann.«

»Sind sie alle drin?«

»Alle, Herr, man harret nur auf Euch. Gero ist voran nach Eurem Befehl.«

»Nun dann vorwärts im Namen aller Heiligen«, rief Walter, warf das Bauerngewand ab und stand in voller Rüstung da.

Sie traten zu der Kastanie, an deren Fuß ein schwarzes Loch gähnte. Walter verschwand langsam darin, Wilbold folgte ihm, und an einem eisernen Griff zog er die Grabplatte über die Öffnung. Bald kamen die beiden Männer zu den anderen, die längst ihrer harrten.

»Herr«, empfing ihn Gero, »es war kein leicht Stück Arbeit, all diese Bauern hierher zu führen, doch Dank den Heiligen, es gelang.«

»Nun kommt das Schwerste«, sprach mit fliegendem Atem Walter im Vorwärtsschreiten, »versucht vorsichtig hier den Eingang zu öffnen, aber vorsichtig, daß man nicht hierorts unser Nahen merkt, gleich wie wir damals das ihre.«

Er nahm das Windlicht, das Gero trug, diesem ab, und jetzt gingen ihrer vier an die Öffnung des Einganges. Es war ein sauer Stück Arbeit; mehr denn einmal gab es ein Geräusch ab, doch der stärker werdende Donner übertönte es, und im Hof blieb alles still. Endlich wich die Steinplatte; Gero zwängte sich als erster durch die Öffnung hindurch, ihm folgte Walter, der das Licht gelöscht hatte. Sie schoben mit Riesenkraft die Platte etwas weiter fort, und mühelos entstiegen die Mannen dem Gange. Als der letzte heraus war, schlossen sie auf Walters Befehl den Eingang.

Alles geschah so leise wie möglich ...

»Herr«, rief der lange Friedung mit unterdrückter Stimme, »und nun über die Schufte her, sagt schnell, wo wir anfangen; sie schlafen ja hier gleich den Murmeltieren.«

Walter antwortete nicht gleich. Sein Gesicht schien im Schein der zuckenden Blitze weiß; er hatte den Helm abgenommen; der heftige Wind fuhr ihm über die heiße Stirn. Das Wetter war herangekommen; die ersten Regentropfen fielen.

Der Graf holte tief Atem, überschaute sein Erbe, in das er sich hatte hineinschleichen müssen wie ein Dieb, und sprach dann mit einer Stimme, aus der die innere Bewegung zitterte: »Erhebt ein laut Kampfgeschrei! Wir sind keine Meuchelmörder, sondern wollen im Kampf zurückholen, was man uns nahm. Derer, die hier als Besatzung liegen, ist doppelte Zahl, denn wir sind, zum mindesten. Sie im Schlaf zu töten, wäre das leichteste, aber unwürdig unser und auch ihrer. Doch eins sei euch gesagt: Wenden sich die Heiligen von uns, so bleiben wir alle auf dem Platze; lebend entkommt niemand von uns, und auch mein Blut färbt alsdann die Erde.«

bild: Franz Stassen

Da brachen die dreißig in ein wildes Kampfgeschrei aus ... es währte nur wenige Augenblicke, so stürmten die habsburgischen Söldner einher und meinten eine Spukgestalt zu erblicken, als sie des Grafen ansichtig wurden.

Sie standen wie erstarrt, Walter aber rief ihnen zu: »Bewaffnet euch, ich gebe euch fünf Minuten Frist. Nimmer wollten wir euch im Schlaf töten; wir kommen nicht als Mörder, anjetzo soll das Schwert noch einmal entscheiden und euch beweisen, daß Rötteln mein ist, ... mein!«

Wild aufjauchzend bei diesem Wort riß er sein Schwert aus der Scheide; da sprang von drüben der Anführer aus dem Haufen und rief: »Auf fünf Minuten Frist!« Der Mann wandte sich zu den Seinen und sprach hastige Worte, doch so leise, daß der Graf sie nicht verstehen konnte. Bald erhob sich ein zustimmend klingendes Gemurmel ... die Verhandlung wurde immer eifriger, ... schon klappte der Röttler Herr sein Visier herab und wollte den Befehl zum Angriff geben, da wandte sich jener ihm zu und hob an: »Vieledler Herr, verstattet, daß ich Euch, ehe wir den Kampf beginnen, etwas sage. Die Burg ist Euer, solches wissen wir; daß der Habsburger Graf, unser Herr, sie Euch nahm, ist Kriegsrecht, daß Ihr sie wiederhaben wollt, ist selbstverständlich. Zwar sind wir Euch um mehr denn das Doppelte überlegen, doch wissen wir, daß einer von den Euren es mit fünfen von den Unseren aufnimmt. Solches aber ist's nimmer, was wir soeben erwogen und was uns dazu treibet, Euch ein Anerbieten zu machen. Hättet Ihr uns angegriffen, ohne uns zu warnen, so hätte gar mancher von Euch da drüben ins Gras beißen müssen, ehe wir uns ergaben, und wer weiß, wer gesiegt hätte. Teuer wär' Euch gewißlich die Wiedereinnahme der Burg zu stehen gekommen! Aber Eure Großmut hat uns entwaffnet – Ihr seid ein edler Feind! Nehmet, was Euer ist, wir sind Eure Gefangenen, aber schont unser Leben.«

Mit wachsendem Staunen hatte Walter zugehört; schweigend sah er eine Weile den Mann an; zu unerwartet war ihm dies gekommen.

Er schlug sein Visier auf, trat einen Schritt vor, bot dem Mann die eisenbehandschuhte Rechte und sprach: »Ihr seid meine Gefangenen, wie ihr gesagt habt. Ihr sollt es nicht bereuen, daß Ihr mir mein Eigentum kampflos überlaßt und ich also die Kraft meiner besten Mannen spare. Friedung und Gero«, wandte er sich zu seinen Leuten, »nehmt ihnen die Waffen ab und führt sie in den Zwinger hinab, alsdann sorgt für einen guten Trunk.«

Er winkte Wilbold und ging mit ihm in die Halle des Herrenhauses. Dort sank er auf einen Stuhl und preßte die Hände an die Stirn.

»Rötteln, mein Rötteln«, stieß er hervor, »nun wieder mein ... mein ... mein!«

Die Erregung durchschüttelte ihn; schwer ging sein Atem. Der treue Knecht stand abseits und überließ den Burgherrn einige Minuten seinen Gefühlen, – hätte er doch selbst vor Freude laut aufjauchzen mögen!

Dann aber trat er ehrerbietig hinzu und sprach: »Herr, nun ist's genug; vergebt, daß ich also zu Euch rede, aber Ihr habt nimmer Zeit zum Hinsitzen. Mir scheinet doch Vorsicht noch geboten gegen die Söldner, und – Quartier müssen die Gefangenen auch haben.«

Walter sprang auf: »Du hast recht, Wilbold! Laß uns vorerst sehen, in welchem Zustand wir alles finden, und alsdann gehen wir zu den Mannen hinab.«

Er schritt voran, und Wilbold folgte ihm.

Walter sah bald, daß da und dort Schäden zu bessern waren, nicht aber so viel, wie er befürchtet hatte. Durch die Wohnräume zu gehen nahm er sich nicht die Zeit, wollte auch dabei allein sein, und so stiegen sie zum Zwinger hinab.

Von unten schallte ihnen froher Gesang entgegen; ein Lächeln flog über sein Gesicht, er öffnete die Tür zur Knappenhalle und trat ein.

Der Gesang verstummte, und er sprach: »Genug des Trinkens! In einer halben Stunde seid ihr auf dem Weg nach Basel. Der Bischof braucht Leute; er soll euch werben.«

Er winkte Gero, und als zu der bestimmten Zeit zwanzig der Röttler Mannen, an ihrer Spitze der lange Friedung, die Gefangenen nach Basel geleiteten, brachten sie dem edlen Grafen eine begeisterte Huldigung dar.

Das Tor schloß sich hinter ihnen, die Zugbrücke flog auf, – Röttler Mannen standen als Wachen auf den Mauern, – und Walter stand oben im Burghof still, um sich zu besinnen, daß nicht alles ein Traum sei. Er ging in den Pallas und schritt langsam von Zimmer zu Zimmer. Alles war unverändert, der Graf von Habsburg hatte schonend verfahren.

Nun kam Walter an das kleine Altanzimmer, von wo aus er den Todessprung gewagt hatte. Er trat auf den Altan und schaute lange, lange in die gähnende Tiefe.

Das war vor acht Wochen gewesen, und heute war Rötteln wieder sein!

Da geschah, was dem starken Mann noch nie passiert war, – – große Tränen stahlen sich über sein Gesicht, er sank auf die Knie und flüsterte: »Mein Gott, ich danke dir.«

Als er hinaus auf den Hof trat, leuchtete der erste Strahl der Morgensonne durch die Linde. Hell war sein Auge, der alte, freudige Mut lag auf seinem Antlitz.

Die Landleute im Dorf rieben sich die Augen, sie vermeinten, es äffe sie ein Spuk, als sie im Morgenwind von Röttelns Zinnen die alte wohlbekannte Fahne ihres Herrn flattern sahen. Im bischöflichen Palast aber herrschte lauter Jubel, und Otto beschloß trotz Odalsindes Bitten, am Nachmittag mit seinen Mannen und noch fünfzig von des Bischofs Knechten nach Rötteln zurückzukehren.

Es hielt ihn nicht länger in Basel. Seine Verwundung war fast ganz heil, ... »den Rest wird die Röttler Luft heilen und mir auch die fehlende Kraft wiedergeben ...« meinte er.

Rudolf von Habsburg geriet in seinem Hauptlager in Säckingen schier außer sich, als er hörte, der Röttler sei wieder auf seinem Schloß! Er ballte die Fäuste und teilte mit Donnerstimme seine Befehle aus – – da ereignete sich etwas, das seine Gedanken vollständig von Rötteln ablenkte.


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