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Im Berliner Jargon heißen jene Dirnen, die in seidenen Kostümen, in Ballroben oder doch zum mindesten in einer reich ausgeschmückten Bluse die feineren Balllokale, die Bars und die Kasinos besuchen, die Halbseidenen. Trotz der außerordentlichen Aufwendung, die sie für ihre Toiletten machen, haftet doch mancher von ihnen irgendeine Talmieleganz an. Trotzdem nun die Mehrzahl sich gut und viele sich geschmackvoll kleiden, nennt sie der Neid und der bittere Berliner Witz »Halbseidene«. Ihr Element ist die Eleganz um jeden Preis. In einigen Lokalen wo sie verkehren, bedienen die Kellner in Eskarpins und servieren eine Orange für drei Mark. Sekt unter 18 Mark gibt's für solche Damen nicht auf der Welt. Seit einiger Zeit kennen sie nur noch französische Marken.
Kannte zwar das friderizianische Berlin mit seinen hunderttausend bis hundertfünfzigtausend Einwohnern die große Koketterie noch nicht, so hatte es doch höhere Halbweltdamen.
Viele Zeitgenossen berichten von besseren Lokalen, in denen musiziert wurde und in denen neben Studenten, älteren und jüngeren Bürgern auch stets honette Mädchen verkehrten. Von dem einen wurde erzählt:
»Die Königin von den gewöhnlichen Grazien, die hier erscheinen, ist Madame Hering. Ein wunderliches Schicksal führte sie in das Labyrinth, in welchem sie itzt en Salope und mit goldener Uhr eine so merkwürdige Rolle spielt.
Ich will sie Ihnen erzählen.
Herr – – – verliebte sich in Breslau in sie, und war in seiner Liebe so ritterlich, daß sie zu Falle kam. – Da verließ sie der Bengel. Vorwürfe ihrer Eltern, die sich sehr gut stehn, nötigten sie, nach Berlin zu reisen, und ihn gerichtlich zu belangen. Der Schwengel kaufte sich aber von seinen Verbindlichkeiten mit 1200 Talern los.
Mit diesem Gelde reiste sie betrübt nach Hause, blieb aber nicht lange da, sondern machte ihre Reise retour nach Berlin.
Jugend, ein hitziges Temperament, Schönheit, viele Anbeter, und wenig Aussicht, – rissen sie zu Galanterien hin, die sie so behaglich fand, daß sie sich entschloß, sich – wie jene römische Dame – Pompejus Buhlerin – öffentlich dem Dienste der Cyrischen Göttin zu weihen.« –
»Alle diese Mädchen haben ihre eigene Haushaltung. Die Kupplerinnen begleiten ihre Herztöchterchen zu Posen, und freuen sich recht sehr, wenn sie ein glücklicher Stern anlächelt. Glückt es nun einer oder der andern dieser Göttinnen, daß sie sich einen Begleiter geliebäugelt hat, so fährt sie mit ihm in ihr Logis. Verstehen Sie mich. Bei Posens halten alle Abende einige Mietkutschen zum Dienste dieser zarten Geschöpfe. Man packt sich und die Dame in den Wagen und fährt zum Carussel.
Was, diese Mädchen fahren?
Nicht anders. Die Mamsell, die vielleicht, eh sie ein Galanteriefräulein ward, – mit dem Handkoffer auf den Markt ging, und für ihre Herrschaft Kartoffeln einkaufte – hat jetzt zu zarte Sehnchen, als daß sie einige hundert Schritte gehen könnte.«
In diesem Bericht ist die kulturelle Lage der besseren Dirnen vom Ausgang des 18. Jahrhunderts geschildert. Solche Figuren wie die Madame Hering bilden heute die Mehrzahl der höheren Halbwelt. Und auch sie setzen heute keinen Fuß aufs Pflaster, sondern fahren von ihrer Wohnung nach ihrem Standort – und von dort auch wieder nach Hause. Ja, bei den meisten von ihnen gilt es schon nicht mehr für standesgemäß, im Taxameter zu fahren. Sie benutzen nur das Auto. Und eine richtige Dame von Halbwelt gondelt wenigstens einmal am Tage den Kurfürstendamm herauf und herunter und läßt sich bewundern. Das ist schon eine alte Tradition und die Venuspriesterinnen aus den Liebestempeln des alten preußischen Berlin haben gewiß schon ähnliche Allüren und Repräsentationspflichten gehabt.
Bessere Dirnen scheinen aber in Alt-Berlin sehr selten gewesen zu sein. Selbst um 1870 herum wird noch berichtet, daß der Goldadel sich Dämchen aus Paris auf einige Wochen verschreibe. Von den feineren Dirnen des Zeitalters, das die großen Schlachten schlug, von Bismarck regiert wurde und sich bei Offenbachschen Klängen im Kankantaumel amüsierte, erzählte ein Schriftsteller von damals:
»Es gibt Männer, deren gesellschaftliche Stellung es ihnen nicht verstattet, Tanzlokale zu besuchen oder Dirnen von der Straße aufzugreifen, welche aber dennoch die Früchte der Prostitution sehr gern genießen. Dem Bedürfnis dieser Männer genügen die sogenannten feineren oder Absteigedirnen. Diese sind gewöhnlich auf den besseren Plätzen der Theater, der größeren Café chantants usw. anzutreffen, ihr Hauptversammlungsort ist jedoch das Kroll'sehe Etablissement vor dem Brandenburger Tor.
Man kann wohl behaupten, daß keine Stadt ein ähnliches öffentliches Lokal aufzuweisen hat, das an Pracht und glanzvoller, eleganter Ausstattung diesem Etablissement gliche. Einer Feste gleich ragt es mit seinen Türmen und Mauern über den Königsplatz empor und gewährt einen majestätischen, herrlichen Anblick, vorzüglich wenn abends die Säle brillant illuminiert sind und Tausende von Gasflammen durch die hohen Bogenfenster ihre feurigen Strahlen werfen oder der in ein Lichtmeer verwandelte feenartige Garten weithin mit seinem Schein den Himmel erleuchtet.
Die innere Einrichtung ist erhaben und prächtig, die großen hohen Säle mit ihren Bogenreihen, namentlich der prachtvolle sogenannte Königssaal, in dem sich allabendlich ein gewähltes Publikum zur Theateraufführung versammelt, die geschmackvolle Anordnung des Ganzen, die feenhafte Beleuchtung, die bunte, mannigfaltige, meist den besseren Ständen angehörige geputzte Menge und dieses alles durchrauscht von den starken fröhlichen Tonwellen eines großen und guten Orchesters, machen einen überraschenden, großartigen Eindruck, und man ist wohl leicht imstande, hier in diesem bunten Gewühl die Sorgen des Lebens zu vergessen, auf galante Abenteuer auszugehen und vielleicht schließlich, durch verführerische Blicke verlockt, in den der Enthaltsamkeit und Tugend gelegten Fallstricken hängen zu bleiben.
»Aber auch in den größeren Café chantants, sowie im Théâtre variété, dem einzigen Restaurationslokale, das bis vor kurzem kleine Theaterstücke aufführen durfte, ist diese Demimonde, namentlich auf den numerierten Plätzen und in den Logen sehr stark vertreten. Diese Etablissements, die aufs eleganteste und geschmackvollste eingerichtet sind, versammeln allabendlich ein allen Ständen, besonders dem Mittelstande angehöriges Publikum, um sich an den mehr oder minder frivolen und lasziven szenischen Vorführungen, an Athletenkünsten, zweideutigen Couplets usw. zu belustigen. Ganz vorzüglich, erregen hier die Tänze und obszönen Darstellungen einer Mlle. Alphonsine Antoinette usw. im Genre der Pariser Therese, welches Haus Wachenhusen in seinen Pariser Photographien das genre canaille nennt, stets den größten Beifallsturm. Das hier verkehrende Herrenpublikum, von den genossenen Getränken angeregt, von den szenischen Darstellungen und Tänzen animiert und von dem herrschenden fröhlichen Ton angesteckt, ist meistens in diesem Zustande nicht abgeneigt, den verführerischen Lockungen der Damen der Demimonde zu folgen. Diese macht daher hier oft, namentlich bei starkem Fremdenverkehr, sehr gute Geschäfte. Die bekanntesten dieser Café chantants waren früher hauptsächlich der Alcazar, die Walhalla, die Tonhalle, die Bundeshalle usw.«
Alle diese feineren Dirnen frequentierten meist sogenannte Absteigequartiere.
Das ist aber mit der Zeit zurückgegangen. Haben sie doch jetzt fast alle ihre eleganten Wohnungen. Nur wenige, wirklich zur ersten Klasse gehörende müssen in solchen Winkeln unterkriechen. Haben sie keine eigene sturmfreie Bude, dann sagen sie sich: »Wozu sind denn die Séparées da?« Allerlei noble Lokale haben wieder einige verschließbare Zimmer aufgemacht, in denen Speise und Getränke 50 bis 100 Prozent Aufschlag vertragen, und in die der Kellner erst eintritt, wenn die Gäste »Herein!« rufen. Auch die Winkel, die durch Vorhänge dicht abgeschlossen sind, haben sehr zugenommen. Trotzdem bleibt das bestehen, was ich schon früher ausführte. Jene herrschende Rolle, die die Separees einst spielten, haben sie längst eingebüßt. Die Verhältnisse sind andere geworden. Dennoch aber sind die Separees nicht eingegangen und werden auch nicht ganz eingehen. Nur treten zu den alten Einrichtungen stets neue hinzu. Und wer die Dame der halben Welt von heute kennen lernen will, wird sie auch wohl noch wie vor dreißig Jahren in den Varietes auf Logenplätzen und im Parkett finden. Ihr Hauptquartier war das Apollotheater, wo Paul Lincke seine halb internationalen, halb berlinisch flotten Tänze und sentimentalen Lieder spielen ließ. Doch die eigentlichen Grand-Damen der Halbwelt verbrachten ihre Abendstunden, – die ja eigentlich ihre Morgenstunden sind, im Metropol, wo sie in den Prachtrevuen von Julius Freund oft ironisiert, oft aber auch verherrlicht wurden. Manche von ihnen machten natürlich auch gelegentliche Abstecher in den Wintergarten, ins Thaliatheater, wo blödsinnige Possen gespielt und gesungen wurden, ins Trianon, und ins Residenz, wo französische Frauen die Ehe brachen, in die Zirkusse und zu Herrnfeld. Stammlokal blieb aber Metropol – und die großen Bars und Kasinos. Diese Lokale, die wirklich nur leben können, weil eine große Gruppe sie unterhält, sind der Beweis, daß die frühere Einzel-Erscheinung der feineren Halbwelt nun zu einem Typus geworden ist.
Gustav Hochstaetter hat einst in einigen kleinen Porträtskizzen diese Halbwelt gezeichnet.
Ballhaus-Anna.
Sie heißt natürlich nicht Anna. Ihre Wohnung ist elegant, aber noch nicht bezahlt. Ein Attaché zahlt an der Einrichtung des Eßzimmers ab und ein Leutnant hat eben die letzte Rate der Bettwäsche erledigt. Jeden Morgen wird die Masseuse wieder fortgeschickt, weil Anna noch zu müde ist. In den dämmrigen Abendstunden aber präsentiert die Masseuse die Rechnung und erzählt, wer die Sascha entreteniert, wer bei der Kommerzienrätin unangemeldet aus- und eingeht usw. usw. Ihr ganzer Ehrgeiz ist es, den großen Kokotten gleich zu sein, – was ihr bis zu einem gewissen Grade gelingt. Abends im Metropol wird das, was die Masseuse erzählte, breit den Kolleginnen im Wandelgang auseinandergetratscht. Sonst tanzt sie auch mal. Sie wohnt in der Großbeerenstraße, wie so viele ihrer Kolleginnen, hält sich keinen »Beschützer«, weil sie keine Brotstelle vergeben will – und hat das größte Pläsier im Nachtlokal. Da sie bei ihrer Hauskundschaft nicht auf Freier reist, sucht sie sich Amüsement nach Belieben. Mit den andern Mietern im Hause steht sie schlecht; weil sie von ihrem Amüsement oft erst um 8 Uhr morgens nach Hause kommt, reißen die Gesichter. Anna hat ein Sparkassenbuch, eigenes Telephon und ein kleines Mädchen in Pankow. Das soll mal nicht so »Eine« werden wie die Mutter.
Rubinen-Maruschka.
Auch diese heißt nicht so. Ihr Nom de guerre stammt aus großen Zeiten, da ihr Rubinenreichtum sprichwörtlich war. Sie teilt im allgemeinen die Auffassung ihrer Landsleute: nos poloni non curamus... Ihre Gesinnung ist über jeden Zweifel erhaben. Schenkt ihr ein Schloß und eine Krone und Polen wäre nicht verloren! Beängstigende Hysterie wechselt mit schalkhafter Anmut. Ihre Finanzlage ist das Aneroidbarometer ihrer Stimmung. Nie hat sie gelernt mit den Groschen zu knausern, darum drückt sie jede Not härter als die andern! Ganze Garderegimenter haben früher ihren Sekt getrunken, ihre Trüffeln gegessen. Wenn sie der Zeit gedenkt, quillt es heiß in ihr auf. Ihre noblen Passionen kann sie nicht lassen. Sie hat noch eine offene Hand, wenn ihr schon das Messer an der Kehle sitzt; sie schenkt das Hemd vom Leibe. Sie bekennt sich zu ihrem Berufe wie eine Fürstin etwa sagt: Seht her, ich bin eine Königin! Sie hat etwas von der antiken Hetäre an sich, in deren Tempel Unsterbliche ihre Opfer brachten. Mit einem Wort: sie ist eine Polin; ihr »Reiz bleibt unerreicht«.
Loulou.
Sprecht den Namen weich aus! Er birgt das Parfüm dieser Frau, die ihr früher alle kanntet und die euch heute nicht mehr kennt. Sie hat eine wundervolle weiße Hand und besitzt so viel Geschmack, sie ohne Ringe zu zeigen. Diese Hand könnte Häuser bauen, wenn Loulou wollte. Aber sie will nicht; sie hat einen Puschel. Sie liebt kluge Leute, die sinnenden Auges philosophische Träume spinnen. Kluge Leute aber können das Pferdchen nicht füttern, das Loulou ebenso zum Leben gebraucht, wie den großen Blüthner-Flügel, der Wagner zu atmen scheint.... Loulou war früher eine »gnädige Frau« vornehmsten Stils. Beruhigt euch, sie wird es wieder werden! Schon heute, so sagte ich, kennt sie euch nimmer! Sie liebt Männer mit dem hypokratischen Zug im Gesicht oder solche mit schwarzen Bärten und weißen, wolligen Haaren. Je tiefer sie fiel, umso höher zog sie hinauf: leider wohnte sie zuletzt in der vierten Etage, und das sonderbare Haus hatte noch nicht einmal einen Fahrstuhl. Loulou liebt das »Röckerauschen und ein Meer von Düften«; »Ideal« natürlich bevorzugt. Loulou ist wie ein schwermütiges Gedicht, das in duftigen Reimen schwül dahinklingt. Sie könnte die Heldin von Donays »les amants« sein und die sterbende Camelienrolle der Fehdmer spielen. Aber das versteht ihr ja nicht, ihr Philister!
Auch die Hochstaplerinnen und die eleganten Erpresserinnen gehören zu den feineren Dirnen, die in den Kapiteln von den verbrecherischen Dirnen näher dargestellt werden.
Vor zwanzig Jahren stand eine schlanke Hellblondine im Mittelpunkt der Halbweltbühne.
Alle Augen waren auf die ehemalige anmutige mondäne Choristin gerichtet, die alle Abende eine kostbare Robe über die Bretter des Thaliatheaters führte, zum Trianontheater überging und ihren Gentleman vom Klub 1900 schnöde im Stich ließ, als – –. Er hatte sie durch alle Ratten- und Mäuschenbälle geführt. Aber er konnte ihr keinen adligen Namen geben. Sie aber strebte hoch in die Aristokratie hinein. Sie war Monarchistin und hatte erkannt, daß ein Prinz neben der Musik lange Damenhandschuhe an zarten Frauen-Armen liebte. Sie wußte ihm ihre schlanken Hände und Gelenke zu zeigen – und irgendein abzuschiebender adeliger Ehemann gab ihr seinen Namen, damit sie doch, wenn sie schon mit Aristokraten umgehe, auch mit Frau Baronin angeredet werden könne.
Seitdem trägt sie enganliegende Kleider, einen Schleierhut, eine kostbare Pelzboa – und hat als Zeichen, daß sie zur allerobersten Halbwelt gehört, ein seidiges Affenhündchen unterm Arm.
Das ist so etwa der Typ der großen Halbwelt unserer Tage.
Von den Halbseidenen führen mehrere Stufen hinunter zu den vielen Zehnmarkmädchen. Jene Mädchen in den besseren Kaffeehäusern müssen zu den Zwanzigmarkmädchen gerechnet werden. Das ist jedenfalls abends und in den ersten Nachtstunden ihre Forderung: »Ein Pfund!« Gegen morgen zu fallen ihre Preise. Sie wohnen meist im Südwesten und auch im Norden. Ihr Äußeres ist dem Verkehr der Straße angepaßt. Und auch die Zehnmarkmädchen bedürfen wohl keiner weiteren Darstellung. Es sind die Mädchen, die meist nicht einmal ein richtiges Kleid haben und in Rock und Bluse herumlaufen. Sie gleichen oft den Dreimarkmädchen, ziehen sich nur im Durchschnitt ein wenig geschmackvoller an und gehören zu den vielen, die in der Friedrichstraße, ihrer Nachbarschaft und im inneren Westen herumschwärmen.
Zur Ergänzung schildere ich hier noch einige Typen.
Viktor Noack, der als Musiker in allen möglichen Nachtlokalen tätig war, traf in einem Kaffeehaus der Elsasser Straße seine ehemalige junge Wirtin wieder. Im sicheren Bewußtsein ihrer sieghaften Schönheit kam sie hereingetänzelt, hier und da mit der rauschenden Schleppe ihres Kleides einen der zierlichen goldbronzierten Stühle vor den runden weißen Marmortischen streifend, den blonden, von einem sehr großen, mit Federn reich garnierten Hut überschatteten Kopf nach hinten beugend, so daß das Licht der Menge bunter elektrischer Glühlämpchen, die hinter grellen Fächern, Palmen und roten Plüschdraperien hervorlugten, auf ihr hübsches übernächtigtes Gesicht fiel. Sie hob graziös mit der linken Hand das seidene Kleid, wodurch eine Welle von Spitzen, weiß und zart wie der Schaum des Meeres, sichtbar wurde. Mit den Fingern der Rechten schnackt sie, das Geräusch von Kastagnetten imitierend.
Aller Augen lächelten ihr verlangend zu, und aller Lächeln erwiderte sie süß, kokett, unwiderstehlich. Mit der Miene einer Fürstin reichte sie dem ihr auf dem Fuße folgenden Kellner ihren kostbaren Umhang, setzte sich auf eins der Plüschsofas, nahm eine Zigarette aus silbernem Etui und hüllte sich in eine Wolke duftenden Qualms.
»Kellner 'ne Melange!«
»Etwas Gebäck gefällig?«
»Natürlich! 's ist ja heute allens da!« näselte sie und schüttete den klingenden Inhalt ihres Portemonnaies an dem Ohr des Kellners.
»Nich wie bei arme Leute! Wat?« rief eine vis-á-vis sitzende Berufsgenossin.
»Aeh! – Bei uns kann's nie fehlen! – He, Kapelle! Luna-Walzer! – is jibt 'ne Lage! – Fritze, 'ne Lage für die Musikers!«
Ihr Befehl wurde erfüllt. Sie sang und tanzte bei den leichtsinnigen Klängen, lachte und scherzte, trank und rauchte und fühlte nicht meinen staunenden, forschenden Blick.
Die schauerlichen Bilder der Vergangenheit stiegen in mir auf. Ich wähnte das Weib wieder vor mir zu sehen, das mit vergiftetem Wasser gefüllte Glas an die Lippen führend. Ich hörte wieder ihr Ächzen und Stöhnen: »Laß mich! – Ich – will – sterben!« – Ich hörte auch wieder ihre selbstbewußten Worte bei unserer ersten Unterhaltung: »Ich bin nu' mal für was Besseres geboren.« – – – – –
Es ward längst Tag draußen. Helles Sonnenlicht überflutete die Straßen. Ein breiter Streifen des grellen Tageslichts folgte einem schnell eintretenden starken Manne, dessen schwarze, stechende Augen spähend die Anwesenden überflogen.
»Sitte kommt!« eilte es wie ein flüsternder Hauch durch die Reihen der Frauenzimmer, die still und einen Schein blasser geworden waren. Nur »Sie«, die nunmehr total betrunken war, lachte kreischend auf.
Der Kriminalbeamte trat an ihren Tisch.
»Du mußt mitkommen! Du hast heute nacht einem 'ne Brieftasche gestohlen! Mach' kein Aufsehen und komm' ruhig mit!«
Sie starrte ihn entsetzt an und griff nach dem vor ihr stehenden Glase, um es als Waffe zu gebrauchen. Im Nu hatte er ihre Handgelenke umklammert. Sie brüllte auf vor Schmerz.
»Lassen Sie mich los!« Sie warf sich nieder, schlug mit den Füßen und versuchte, ihn zu beißen.
Er schleifte sie nach der Tür, wo ihm sein Kollege, der eine Droschke herbeigerufen hatte, zu Hilfe kam.
Angstvolle Augen starrten hinter den Gardinen des Cafés dem fortrollenden Fuhrwerk nach. Ein Frösteln durchschüttelte die übernächtigten Gestalten. Gleich Schatten der Nacht eilten sie durch die sonnigen Straßen heim, um den Tag zu verschlafen.
Ein charakteristisches Geschöpf ist Wanda, über die ich in den Aufzeichnungen der Gesellschaft für ethische Kultur ermittelte, daß ihr Vater ein ehemaliger Töpfermeister, jetzt Musiker ist und die Mutter mit Blumen handelt. Wanda war als Kind schon sehr naschhaft, war unfähig, die Volksschule richtig zu erledigen und trieb sich schon mit ihrem vierzehnten Jahre in der Friedrichstraße herum. Aus einem Stift, in das sie zur Besserung kam, wurde sie hinausgeworfen, weil sie zu frech war.
Sie war ferner Geigenspielerin (kalter Schlag) in einem Tingeltangel für acht Mark wöchentlich und Essen, täglich 6–11 Uhr, und Tänzerin in einem Etablissement für sechzig Mark monatlich von 11–2 Uhr abends.
Als Kostümtänzerin tanzte sie Cancan, Serpentin. Es kam hauptsächlich auf das »Beinewerfen« an, wie sie angibt.
In einem andern Lokal trat sie als Chinesin auf und als Statistin. Dort erhielt sie 70 Mark monatlich. Sie hatte die Stelle sechs Wochen lang.
Mit 16 Jahren kam sie unter polizeiliche Kontrolle.
Da ließ sie der Vormund wegbringen. So lebte sie in verschiedenen Stiften bis zu ihrem zwanzigsten Jahre.
Die Erziehungshaft hat sie nicht wankend gemacht, das begonnene Leben fortzusetzen.
Im äußeren Westen, in der Bülowstraße, behauptet die Fünfmarkdirne den Platz. Sie ist das typische Berliner Kontrollmädchen, das nie, wie etwa das Zehn- und Zwanzigmarkmädchen, im Auto oder im Taxameter nach Hause fahren will, sondern immer »hier gleich zwei Häuser um die Ecke« wohnt. Sie ist in ganz Berlin außer in der Friedrichstadt und den östlich-nördlichen Außenwinkeln zu finden.
Einige kurze Umrisse mögen noch den Typus »Dreimarkmädchen« vervollständigen:
Marie I.
Ein früheres Dienstmädchen aus einer kleinen Stadt. Sie bekam ein Kind, das sie in Pflege gab, und ging als Kellnerin und zwar im Süden, in der Nähe von den Kavalleriekasernen. Dort verkehrte mit den reichen Bauernsöhnen auch ein armer aber hübscher Reiter, groß und stark, ein gelernter Metallarbeiter. Sie zog ihn allen andern vor, und nahm ihn, als er frei wurde, zu sich und ging auf den Strich – es nicht, duldend, daß er Arbeit suchte. Trotzdem er sie schließlich schlug, ließ sie ihn doch nicht zu seinen Eltern zurückkehren. Sie war gerade nicht hübsch. Ihr etwas knochiges Gesicht mit der stark hervorspringenden Nase und den grauen Augen sah bald verblüht und verwüstet aus. Auch die tief in die Stirn gekämmten Haarlocken machten das Mädchen nicht sympathischer. So konnte denn eine hübschere Marie ihr den Schatz abspenstig machen. Von da an lebte Marie I allein mit ihrem Jungen, der ein kurzes Bein hatte.
Frau S.
Wer sie in dem hellen Gaslicht der Kaschemme sah, hätte nicht geglaubt, daß sich ein Mann von ihr begeistern lassen würde. Bleich, mit abgemagertem Gesicht, in das schleichende Schmerzen graugelbe Runzeln gefressen hatten, saß sie mit eingesunkener Brust da, fortwährend sprechend. Mit kreischender, unangenehmer Stimme, aufdringlich und verbittert. Ihre dünnen Haare trug sie schlicht am Kopf und hatte auch in ihrer Kleidung nichts Auffallendes oder Reizendes. Und doch verdiente sie da oben im Talerviertel der Chaussee- und Elsasser Straße so viel, daß ihr Mann sich wie ein Stadtreisender kleiden konnte, und beide mehrere Sparkassenbücher besaßen. Manchmal kamen aus ihrem streitsüchtigen, dünnlippigen Mund aber auch leisegesprochene Erkenntnisse. Sie hatte einen kleinen Hund, den sie wie ein Kind hielt. Als eine Verwandte der Wirtin sie fragte, ob sie denn nicht lieber ein Kind haben wolle als einen Hund, sagte sie: »Ach – für uns ist es besser, wir haben keine Kinder ...« Sie ging übrigens seit fünfzehn Jahren regelmäßig zur Kontrolle – da hätte niemand erwartet, daß sie plötzlich an einem Leiden starb, das sie innerlich schon gänzlich zerfressen hatte und das sie schon seit vielen Jahren mit sich herumgetragen haben muß. –
Ein Dirnentypus, der ganz und gar sich dem andern anschmiegt, ist die Verbrecherin. Die Hochstaplerin tritt meist als elegante Kokotte auf. Die Erpresserin oft desgleichen, oft aber auch nur als gute Bürgersfrau. Und die Diebin, die ja eigentlich nur eine Hochstaplerin der unteren Klassen darstellt, kommt aus dem großen Haufen der Halbwelt heraus.
Die Hochstaplerin macht es ganz so wie ihre männlichen Kollegen, erschwindelt Ware, die sie nicht bezahlt, betrügt und stiehlt. Nur kann sie nicht falsch spielen. Dazu fehlt ihr vorläufig die Gelegenheit – die sicher bald kommen wird. Aber sie ist unter Umständen mindestens ebenso international wie der männliche Hochstapler – wie zum Beispiel Emma A., die vor Jahren von der Kriminalpolizei verhaftet wurde.
Emma A., eine Deutsche, die nach London gegangen war, weil sie diesseits des Kanals noch ein ziemlich hohes Schuldkonto zu begleichen hatte, war zumeist auf Reisen. Sie machte ihre Bekanntschaften in London in Sportkreisen unter reichen Engländern, Franzosen und Russen. Stets auf das feinste gekleidet – sie trug selten ein Kostüm unter tausend Mark –, konnte sie sich jeden Augenblick überall sehen lassen, und war stets bereit, unmittelbar, etwa vom Café aus, jede Reise mit einem neuen Freunde anzutreten. So kam sie nach Paris, Brüssel, Amsterdam, Köln, Berlin usw. Das Ende der Reise war für den männlichen Teil jedesmal unangenehm. Denn Emma A. stahl auf der Endstation ihrem Begleiter die Brieftasche. Hatte sie die Beute in Händen, so eilte sie in ein Modehaus, kleidete sich vom Fuß bis zum Scheitel neu ein, ließ das alte Kostüm einpacken und nach dem Bahnhof bringen und reiste mit dem nächsten Zuge nach London zurück, um ein neues Opfer zu suchen. Überall wurde die Polizei in Bewegung gesetzt, aber immer zu spät. Ein Russe endlich merkte hier rechtzeitig, daß ihn seine schöne Reisebegleiterin um etwa 10 000 Mark erleichtert hatte. Jetzt wurde Emma gefaßt, als sie eben in einem neuen Berliner Kostüm nach der Themsestadt abdampfen wollte.
Doch gibt es auch einheimische Hochstaplerinnen. Zu ihnen wäre jenes Röschen M. zu zählen, von dem berichtet wurde:
Die kleine Halbweltlerin Röschen M. kann ihrem Schöpfer danken. Sie dachte, wie so manch einer, daß die Gerichtsvollzieher nur für die Dummen wären, und saß nun dafür auf der Anklagebank: fesch, jung, mit strohblonden Haaren und lachenden Nixenaugen. Als sie seidenrauschend und eine Wolke Parfüms um sich verbreitend, hereintrat, reckte sich mancher Hals, um die elegante Weltdame näher bewundern zu können. Nur der Kenner sah sofort, daß es die Talmieleganz einer Halbweltdame war. Das wurde bestätigt, als der Vorsitzende des Schöffengerichts I die Verhandlungen gegen die Dame begann, die sich wegen strafbaren Eigennutzes verantworten mußte. Fräulein M. hatte es sehr gut verstanden, die Allüren der wirklichen Weltdame auch bis auf das Schuldigbleiben ihrer Schneiderrechnungen auszudehnen, nur mit dem Unterschiede, daß sie das Bezahlen überhaupt vergaß und eine andere Firma mit ihrer werten Kundschaft beehrte, als die erste nicht mehr pumpte. Bei einer bekannten Damenkonfektionsfirma in der Charlottenstraße schuldete Fräulein M. die Kleinigkeit von 650 Mark. Als die Firma auf gütlichem Wege zu ihrem Gelde kommen wollte, erfuhr sie erst, daß Fräulein M. sich des – liebenswürdigen Schutzes einer Spezialabteilung des Berliner Polizeipräsidiums erfreute, daß sie mit andern Worten unter sittenpolizeilicher Kontrolle stand. Nunmehr ließ sie alle Rücksicht beiseite und ging klagbar gegen die faule Kundin vor. Mit einem Arrestbefehl des Amtsgerichts I in der Hand, erschien am 21. Oktober vorigen Jahres in der Wohnung der Demimondäne der vielgehaßte Mann »mit den blauen Adlern«. Allzuviel Pfändbares war nicht vorhanden. Schließlich glückte es dem Gerichtsvollzieher, zwei große Brillanten aufzustöbern, die anscheinend aus einem Paar Ohrringen herausgebrochen waren. Kaum hatte Fräulein Rosa dies bemerkt, als sie auf den Exekutivbeamten zustürzte und ihm die wertvollen Steine aus der Hand riß. Ehe der Bestürzte etwas unternehmen konnte, hatte »Röschen« die Brillanten in den Mund gesteckt und zeigte ihm nun mit einer gewissen Schadenfreude ihre blitzenden Zähne als Ersatz. Trotzdem gelang es dem Beamten, einen der Steine wieder aus dem eigenartigen Versteck hervorzuholen, während der andere spurlos verschwunden war. Dieser war von Fräulein M. in höchster Not verschluckt worden. Erst nach Anwendung geeigneter Mittel erblickte der Stein am andern Tage wieder das Licht der Welt. –
Röschen M. gehört jedenfalls zu den Damen, die gern kaufen, aber nicht gern bezahlen. Doch betreibt sie diese Art von Hochstapelei nur nebenbei, schafft sich auf diese Art und Weise nur die Kluft. Emma A. jedoch gehörte zu jenen Hochstaplerinnen, die sich nur zum Zweck der Hochstapelei prostituierten. Sie gleicht also den Erpresserinnen, von denen es unter der höheren Halbwelt ziemlich viele gibt. Den andern fehlt die nötige Intelligenz dazu. Auch lernen sie ja meist ihre Klienten nicht näher kennen. Die besseren Halbweltdamen machen es aber häufig so wie die 35 Jahre alte Charlotte N., die früher Direktrice in einem Wäschegeschäft war. Seit drei Jahren lebte sie als »Privatiere« und bewohnte im Erdgeschoß des Hauses Gr ... straße 12 sechs Zimmer für 1500 Mark. Ab und zu vermietete sie ein oder zwei Zimmer; in der Regel aber hielt sie die ganze Wohnung für eine Freundin und junge Herren zur Verfügung. Jeden Abend pflegte sie spazieren zu fahren und die besten Restaurants zu besuchen. So machte sie Bekanntschaften in den feinsten Kreisen und erhielt viel Besuch. Trotz ihrer 35 Jahre übte sie gerade auf die jungen Herren einen starken Einfluß aus. Aber sie war auch anspruchsvoll und wollte standesgemäß leben, das heißt gemäß dem Stande ihrer Verehrer. Da das mehr kostete als selbst die bestgestellten jungen Herren freiwillig leisteten, so scheute die N ... vor kleinen Erpressungen nicht zurück. Sie drohte, wenn sie einmal mehr brauchte als man ihr geben wollte, daß sie »Krach« machen, zu den Angehörigen und auch an die Öffentlichkeit gehen werde. Da die Summen, die sie verlangte, immer größer wurden, so konnte die Geschichte nicht gut enden. Einem der geschröpften Herren, einem jungen Grafen, ging schließlich die Geduld aus, und so wurde Lotte N. nach erfolgter Anzeige aus ihrer schönen Wohnung fortgeholt und nach Moabit in das Untersuchungsgefängnis gebracht. Da sie selbst wohl nicht damit rechnete, bald wieder nach Hause zu kommen, so bevollmächtigte sie ihren Schneider, ihre Privatangelegenheiten zu regeln. Dieser ließ ihre kostbare Wohnungseinrichtung bis auf weiteres nach einem Möbelspeicher bringen.
In raffinierter Weise wollten mehrere andere junge Damen einen jungen Grafen aus der Provinz hineinlegen, der in einem der ersten Hotels Unter den Linden wohnte. Die Linden entlang schlendernd, traf er zwei Damen, die augenscheinlich gern seine Bekanntschaft machten und ihn in ihre Wohnung, eine kleine Villa im Westen, einluden. Dort wurden beim Sekt lebende Bilder gezeigt, an denen sich außer einer dritten »Dame« noch ein junges Mädchen beteiligte. Die beiden Darstellerinnen beteiligten sich dann auch an dem Sektgelage mit den beiden Herren, ohne ihre »Kostüme« zu wechseln. Nach wenigen Tagen erhielt der Graf, dem irgend jemand nachgeschlichen sein mußte, nach dem Hotel einen Brief, in dem die beiden Damen ihm ihre Not klagten. Sie hätten sich, schrieben sie, mit ihrer Freundin, der dritten »Dame«, entzweit, und diese drohe nun mit einer Anzeige bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft, weil das junge Mädchen, das bei den lebenden Bildern und beim Sekttrinken mitgewirkt habe, noch nicht 14 Jahre alt sei. Der Graf möge so freundlich sein, eine größere Summe zur Verfügung zu stellen, damit sie die Freundin einstweilen versöhnen und selbst ins Ausland entfliehen könnten. Der Lebemann war in Verzweiflung. Er beauftragte das älteste Detektivinstitut, binnen vierundzwanzig Stunden die Angelegenheit zu regeln, widrigenfalls er sich erschießen müsse. Dazu kam es nicht. Vor Ablauf der Frist hatte er die Feststellung in den Händen, daß das »Kind« längst sechzehn Jahre hinter sich hat und daß die Entzweiung mit der Freundin ein auf endloser Erpressung angelegter plumper Schwindel war. Jetzt waren die »Damen« froh, daß man sie nicht dem Staatsanwalt übergab.
Die Erpresserinnen haben zahlreiche Tricks, sich an Männer heranzumachen. Klausmann und Kriminalkommissar Weien teilten darüber mit:
»Hochstaplerinnen, verheiratete und unverheiratete, suchen sich Männern von Vermögen oder angesehener Stellung zu nähern, um mit ihnen in irgend welche näheren Beziehungen zu treten. Junge Damen suchen Opfer auf, um sich bei ihnen um Empfehlungen, um Anstellungen usw. zu bewerben, um sich von ihnen Rat zu holen, um sie um Unterstützung zu bitten usw. Diese Mädchen und Frauen wenden alle Künste der Verführung auf, um die betreffenden Personen zu einer Unvorsichtigkeit, wenn möglich zu einer unsittlichen Handlung zu veranlassen. Ist dieselbe vollendet oder versucht, dann beginnt das Erpressen systematisch, und mancher Selbstmord eines angesehenen Mannes, der scheinbar unerklärlich ist, ist auf die Künste solcher weiblicher Erpresser zurückzuführen.
Auch gibt es Ehepaare, die allerdings diesen Namen kaum mehr verdienen, die aber herrlich und in Freuden leben, ohne etwas zu tun, indem sie sich lediglich von Erpressungen nähren. Ist die Frau einigermaßen ansehnlich, so sucht sie Männer anzulocken und mit ihnen in intime Verhältnisse zu geraten. Sie sucht sich Ehemänner aus oder doch Leute in angesehener Stellung, die vor jedem Skandal sich sorgfältig hüten müssen. Die Frau gibt sich den Männern preis und sucht sie schließlich in ihre Wohnung zu locken, weil der Mann angeblich verreist ist. Wenn der in die Falle gegangene Galan bei seinem Schätzchen sich befindet, erscheint plötzlich der Ehemann, womöglich in Begleitung einiger Freunde, und dann spielt sich eine verabredete Szene ab, die einerseits außerordentlich lächerlich, auf der andern Seite aber für den »Hereingefallenen« sehr unangenehm ist. Der Ehemann tobt, bedroht die Frau und den Verführer mit dem Tode, droht mit Veröffentlichung, mit einem Ehebruchsprozeß usw. usw., und das Ende vom Liede ist, daß der Hereingefallene bares Geld gibt, oder wenn er nicht genügend davon bei sich führt, Wechsel ausstellt, die er einlösen muß, will er nicht einen kolossalen Skandal heraufbeschwören.
Die Erpresser bringen ihre Opfer gewöhnlich nicht zur Verzweiflung. Sind die ausgestellten Wechsel bezahlt, so lassen sie das Opfer laufen, weil dann eine Klage nicht viel Erfolg hätte; das würdige Ehepaar hat unterdessen schon wieder einen oder mehrere andere verliebte Herren in die Falle gelockt, und mit den dramatischen Szenen, die der Ehemann und die Ehefrau mit ihnen aufführen, verdienen sie ein Spielhonorar, das höher ist, als das der berühmtesten Bühnenkünstler.«
Zu dieser Art von Hochstaplerinnen gehörte auch Frau Professor M. mit ihrem Ehemann, dem ehemaligen Handelsredakteur einer großen Berliner Zeitung. Der Prozeß gegen das Ehepaar erregte vor zwanzig Jahren großes Aufsehen und zeigte die Vergnügungs- und Lebesucht der Berliner Gesellschaft, der dieser kleine alte Mann unterlegen war, als sein kärgliches Gehalt nicht ausreichte, die Anforderungen seiner Stellung zu decken. Seine junge Frau, eine Brettlkünstlerin vorletzten Ranges, ohne besondere körperliche Vorzüge, mit einem ziemlich vollen alltäglichen Gesicht und kleinen dunklen Augen, hatte überall herumgepumpt. Ihr Titel galt als genügende Sicherheit. Aber sie veranstaltete auch schlemmerische Abendessen daheim und suchte auf Befehl ihres Mannes größere Summen aus ihren zahlreichen Anbetern herauszupressen. – Gewöhnliche Frauen, die nicht gerade abschreckend häßlich sind und eine gewisse sinnliche Atmosphäre um sich herum verbreiten, haben ja immer die meisten Anhänger. –
Nicht alle Hochstaplerinnen haben einen solchen schönen Titel zur Verfügung. Dann erfinden sie sich einen und befördern sich selbst zu höheren Klassen. Adlige Namen und ähnliche Benennungen schwirren bei ihnen nur so in der Luft. Von einer solchen »Adligen« wurde berichtet:
Eine Abenteurerin, die erst 23 Lenze zählt, aber durch Sprachkenntnisse, angenehme Umgangsformen und eine vorteilhafte Erscheinung in ihren Hochstapeleien wirksam unterstützt wurde, ist jetzt in Berlin kurz vor ihrer Abreise nach London verhaftet worden. Die Dame, Olga M. mit Namen, fand Eingang in die Kreise der Sport- und Lebewelt. Man glaubte ihr gern, daß sie die Tochter eines in Rußland begüterten preußischen Offiziers sei, aber wegen eines Liebesverhältnisses von ihrer Familie verstoßen sei. Daß sie sich vor einigen Jahren aber von Z. genannt hatte, wußte niemand mehr. Damals umgarnte sie mit ihren Erzählungen einen jungen Architekten so sehr, daß er willens war, sie zu heiraten. Nicht die 225 000 Mark, die sie als väterliches Erbteil in Aussicht stellte, allein lockten ihn, mehr noch trieb ihn die Pflicht, der jungen Aristokratin die Ehre wiederzugeben. Daß Olga aus reicher Familie stamme, bezweifelte der Architekt nicht, zumal da. sie immer über Mittel verfügte. Daß das Geld von Liebhabern stammte, die sie hinter seinem Rücken hatte, und die sie gelegentlich auch bestahl, wenn sie freiwillig nichts hergaben, blieb ihm verborgen. Die Augen gingen ihm erst auf, als sie ihn selbst bei einem Stelldichein bedeutend erleichterte und sich dann nicht mehr sehen ließ. Nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe nannte sich die Hochstaplerin Olga von K. Im übrigen aber blieb alles beim alten. Zuletzt fing sie einen jungen Kaufmann aus einer angesehenen Berliner Familie ein. Sie schrieb ihm die glühendsten Liebesbriefe und stellte ihm auch die Vaterschaft in Aussicht. Der junge Kaufmann wollte Eltern und Stellung im Stich lassen und mit der Angebeteten nach London fahren, um sich dort mit ihr trauen zu lassen. Das Paar begab sich nach dem Bahnhof, um abzudampfen. Zum Unglück begegnete ihm auf dem Wittenbergplatz ein Kriminalbeamter, der die Photographie der längst gesuchten Hochstaplerin in der Tasche hatte. Er erkannte Olga und machte durch ihre Festnahme den Reise- und Hochzeitsplänen jäh ein Ende. Jedes Leugnen war angesichts des wohlgetroffenen Bildes unmöglich. Die Verhaftete wurde dem Untersuchungsgefängnis zugeführt.
Wir sehen, wie solche Hochstaplerinnen die Männer »für dumm verkaufen«, ihnen einreden, sie hätten ihnen die Ehre genommen oder sie gar geschwängert. Von den Behauptungen ist natürlich ebensowenig echt wie vom Titel. Aber mit ihrer Gewandtheit und ihren zahllosen Tricks – sie benutzen auch ohne Gewissensbisse Namen von lebenden Damen – finden sie immer wieder zahlreiche Opfer.
Auch die Diebinnen legen sich häufig klingende Namen bei. Sie haben alle einen Stich ins Hochstaplerische, sind gewitzter, klüger und raffinierter als die anderen Halbweltmädchen und suchen als Verbrecherin und Liebeshändlerin ihren Vorteil. Die Mehrzahl von ihnen gehört dem Mittelstande der Halbwelt an, wie die oben beschriebene Olga M., die neben der Hochstaplerei auch mit Erfolg stahl – wenn eben ihre Mittel knapp waren. Gleichfalls mit einem klingenden Namen ging eine Frau Z. auf den Fang.
Ein Geschäftsreisender traf in angeheiterter Stimmung in Grünau ein hübsches junges Mädchen, das sich Klara v. Rodenbach nannte und gegen seine Begleitung nichts einzuwenden hatte. Das Vergnügen endete für den Reisenden damit, daß er am andern Morgen mit einem schweren Katzenjammer erwachte, Klara v. Rodenbach aber war verschwunden und mit ihr seine Brieftasche, die achthundert Mark enthielt. Die Kriminalpolizei vermutete nach der Personalbeschreibung in dem hübschen Mädchen eine ihr bekannte Frau Z. aus der Oudenarderstraße und traf damit das Richtige. Es ergab sich, daß »Fräulein« Z. nach dem Abenteuer bei ihrer Wirtin ihre Schulden bezahlt und nach einigen Einkäufen ihren Koffer mit dem Zeichen »C. v. R.« nach dem Bahnhof gebracht hatte. Sie wollte nach Halle und von dort mit ihrem Geliebten nach der Riviera fahren. Unvorsichtigerweise aber kehrte sie vom Bahnhof noch einmal in die Stadt zurück, um in einem Café in der Friedrichstraße von einigen Bekannten Abschied zu nehmen. Kriminalbeamte, die sie suchten, trafen sie im Café, verhafteten sie und brachten sie nach Moabit. Die Geschäfte, in denen sie gekauft hatte, bekamen ihre Ware und der Reisende sein Geld zurück.
Eine andere Spitzbübin wandte einen viel knifflicheren Trick an: Margarete B. stammte aus guter Familie, kam nach Berlin, wurde erst Kellnerin und gehörte dann bald der Halbwelt an, in der sie eine besondere Rolle spielte. Auf eine eigene Art suchte sie nachts in der Friedrichstraße Bekanntschaften. Sie ging an eine Haustür mit einem »stillen Portier« und tat so, als ob sie die Hausklingel zöge. Natürlich hatte sie mit dem Klingeln keinen Erfolg, aber sie lenkte die Aufmerksamkeit der Herren auf sich, die ihr ihren Beistand anboten, aber ebenso vergeblich klingelten wie sie. Nach vielem Sträuben ließ sie sich endlich von ihnen verführen, sie in ihre Wohnung zu begleiten. Das Abenteuer endete stets damit, daß das schüchterne, anständige Mädchen, das angeblich als Verkäuferin erst spät aus dem Geschäft gekommen war und leider den Hausschlüssel vergessen hatte, den jungen Herren alles stahl, was sie nur bekommen konnte. Einem entwendete sie nicht nur Geld und Uhr, sondern auch alle Kleidungsstücke, so daß er sich am nächsten Morgen erst andere mußte holen lassen, um nur ausgehen zu können. Die Diebin war aber so freundlich, ihm bald wenigstens die Pfandscheine über seine versetzten Sachen zu senden. Die Polizei ermittelte, daß die B. in Charlottenburg unangemeldet bei einem Studenten wohnte. Diesen hatte sie ganz in der Hand. Sie nahm ihm alles ab, und wußte ihn durch Drohung, daß sie seinen Eltern über sein Verhältnis zu ihr schreiben werde, immer wieder gefügig zu machen. Als sie aber merkte, daß der junge Mann die öfter geäußerte Absicht, sie anzuzeigen, endlich wahrmachen wollte, nahm sie Lysol, um sich der Strafe zu entziehen. Als die Beamten kamen, um die Spitzbübin festzunehmen, war sie gerade der Wirkung des Giftes erlegen im Alter von 22 Jahren. Hier war zweifellos ein Geschöpf von nicht gewöhnlicher Intelligenz durch irgendwelche Umstände auf Irrwege geraten und zugrunde gegangen.
Es ist merkwürdig, daß gerade auswärtige Vergnügungsreisende den Spitzbübinnen in die Hände fallen. Sie wollen sich eben mit Gewalt in Berlin amüsieren. So ging es auch einem Finnländer. Der junge Mann aus dem Lande der tausend Seen war nach Berlin gekommen, um die Vergnügungen der Weltstadt kennenzulernen. Auf einer solchen Studienreise lernte er in einem Café der Friedrichstadt eine hübsche junge Dame kennen, die sich gern erbot, dem jungen Finnländer bei seinen weiteren Nachtstudien behilflich zu sein. Ihre Reise endete in einem Hotel, wo sie beide als Ehepaar unter falschem Namen abstiegen. Als der Finnländer am nächsten Morgen erwachte, war seine »Frau« verschwunden, mit ihr aber auch seine Brieftasche, die außer anderen Sachen 400 Mark Papiergeld enthielt. Die Beschreibung, die er von seiner Begleiterin gab, paßte auf eine »Künstlerin« Anna K., die unter dem falschen Namen Melitta bekannt ist. Als die Kriminalpolizei mit dem Bestohlenen deren Wohnung aufsuchte, fand sie dort zwar nicht Melitta selbst, wohl aber ihre Photographie, nach der sie der Finnländer sofort erkannte. Die Wirtin versicherte hoch und teuer, sie kenne die junge Dame gar nicht weiter, sie sei erst am Tage vorher hier zugezogen und gleich wieder verreist. Die Ausreden halfen aber nichts. Die Kriminalpolizei ermittelte, daß Melitta von ihrem Liebhaber »zur Erholung« nach einem nördlichen Vorort gebracht worden war. Dort wurde sie festgenommen. Das Geld aber war verschwunden.
Zu all diesen Verbrechen gehören so viel Intelligenz, Scharfsinn und Mut, daß man die Hypothese vom Schwachsinn der Halbweltmädchen doch wesentlich einschränken muß. Die Erfindungsgabe der Verbrecherinnen ist sehr reich. Auf die unglaublichsten Kniffe und Ränke verfallen sie und schaffen so immer neue Typen. Man kann nur bedauern, daß solche Persönlichkeiten in einem Dasein untergehen, in dem sie in so kurzer Zeit aufgebraucht sind. –
Der Trieb aller Menschen nach Geselligkeit und Unterhaltung ist auch den Liebeshändlerinnen und ihrem Anhang zu eigen. So haben sie denn ihre Lokale, in denen sie zu bestimmten Zeiten in größerer Zahl zusammenkommen, wo sie aber auch den ganzen Tag über in kleineren Gruppen zu finden sind. Die Eigenart ihres Daseins – das Verachtetsein und gewisse geschäftliche Gemeinsamkeiten veranlassen allerdings, daß diese Lokale nicht nur von den Liebeshändlerinnen und deren Anhang besucht werden. Neben den Zuhältern finden sich Buchmacher, Spieler und allerlei Verbrecher ein – die allerdings oft zugleich auch Zuhälter sind.
Meist sind diese Kaschemmen ganz gewöhnliche kleine Schanklokale. Das Räuberhöhlenmäßige, das ihnen so gern zugetraut wird, haben sie natürlich nicht. Sie gleichen fast alle den Arbeiterlokalen und entsprechen durchaus dem Typ der bekannten Destillen, von denen ja in jeder Berliner Straße eine oder auch mehrere zu finden sind.
Groteske Lokale mit heimlichen oder gar unterirdischen Hinterräumen bestehen seit Jahrzehnten nicht mehr in Berlin. Das letzte derartige Lokal dürfte am Mühlendamm bestanden haben, wo im Beginn der siebziger Jahre des 19. Jahrhundert ein Kellerlokal entdeckt wurde, das einen heimlichen Gang unter der Erde als Fortsetzung hatte, in dem allerlei Verbrecher auf Stroh, Lumpen und Decken lagerten.
Solche Lokale bestehen heute nicht mehr. Alle von der Polizei beobachteten und gesuchten Elemente haben das Bestreben, sich möglichst unauffällig ihrer Umgebung einzufügen. So gehen die Berliner Zuhälter auch nicht mehr mit Ballonmützen und roten Halstüchern. In den besseren Vierteln gleichen sie durchaus dem Typus des wohlhabenden Kleinbürgertums, den Agenten, kleinen Geschäftsleuten; ja, manche ähneln sogar den Kriminalbeamten. Man will sich so gut wie möglich anpassen. Das äußert sich auch in den Arbeiterquartieren, wo die Zuhälter durchaus den Arbeitern und Handwerkern gleichen.
Genau so wie die Menschen passen sich auch die Verkehrslokale ihrer Umgebung an. Der frühere Verbrecherkeller ist fast ganz aus dem Bilde Berlins verschwunden. Die Kaschemmen befinden sich jetzt fast alle in den richtigen Ladenlokalen, wie sie für Berlin typisch sind; ein vorderer Raum als Schankraum und ein Nebenzimmer für Gäste, die länger verweilen wollen. Natürlich bringt das Zuhältertum und die zu ihm gehörende Halbwelt eine gewisse Eigenart in die Lokale hinein. Doch spielt sich das Leben und Treiben in den Kaschemmen nicht etwa wild und widerwärtig ab, wie viele glauben, sondern eher oft ganz amüsant.
Das gilt auch von den Kaschemmen früherer Zeit. Sie glichen fast alle den sogenannten Tabagien, einer Art volkstümlicher Rauch- und Trinklokale. Manche boten ihren Besuchern sogar die damals so beliebten Puppenspiele, die gewiß unterhaltender und künstlerischer waren, als die heute üblichen Coupletsängereien. Aus der Mitte des 19. Jahrhunderts liegt eine Schilderung einer Kaschemme vor:
»Jene Diebeskneipen (namentlich die sogenannte Flinte und mehrere Lokalen in der Grenadier-, Linien-, Behrenstraße, vor dem Prenzlauer Tor usw.) sind am meisten besucht, worin Puppenspiel stattfindet, dessen betriebsame Unternehmer jede Novität des Königlichen oder Königstädtischen Theaters mit bewundernswerter Schnelligkeit auch für ihr Publikum in Szene setzen, so daß z. B. das beliebte Köck und Guste, der ewige Jude u. a. sofort nach ihren ersten Aufführungen schon auf den Puppentheatern abgespielt wurden. Betrachten wir einmal die Gesellschaft näher, die vor jenen schmutzigen Lampen sitzt.
Die alte, dicke Person mit dem aufgetriebenen Gesicht ist die Witwe des Zimmergesellen B., der im Arbeitshause starb, eine der bekanntesten Diebeshehlerinnen Berlins, die, wie alle jetzt zu beschreibenden Weibspersonen, auch ein Gewerbe vom Ladenstiebstahl macht. Unweit ihre Tochter Malwine, die öfter beschwängert war, aber immer glücklich davongekommen ist. Sie hat einen Taugenichts von Schornsteinfeger zum Geliebten gehabt, woher sie auch selbst der »Schornsteinfeger« genannt wird. Ihre Schwester Luise ist tot, ihr Geliebter F. war in die berühmte Untersuchung wegen eines hier erbrochenen und bestohlenen wertvollen Schaufensters verwickelt und wollte sich im Gefängnis ermorden. Sie wußte ihm dazu das Messer zu liefern, womit er sich schwer verletzt hat.
Eine Freundin und Kollegin der Witwe B. ist die Schlosserfrau H., geb. P. Ihr erster Mann war der Kattundrucker F., von welchem sie eine Tochter Pauline hat, die ebenso, wie die Töchter der bekannten Hökerin K., die Rotköpfige genannt, mit zu den ärgsten Gassendirnen gehört. Das ganze Personal besteht aus Hehlerinnen, Diebinnen und Huren.«
Eine stimmungsvolle Silhouette einer Kaschemme von vor vierzig bis fünfzig Jahren enthält das Buch »Berlin in der Lehnekluft«. Der »schwarze Kuckuck« wird dort abgemalt:
»Wie im Tanzsaal gehts auch vorn in der Tabagie zu. Den in die Duft-Spelunke Eintretenden empfängt ein durch Wolkensäulen der Ückermärker Havanna erzeugtes Halbduster. Die Stammgäste stehen, sitzen oder liegen im gemütlichen Hauskostüm, als in Hemdsärmeln, Jacken, mit oder ohne Pantinen, die Honoratioren in Schlafröcken, im Lokal umher und führen sehr bedenkliche Gespräche, wobei einer den anderen duzt. Das Getränk ist Kümmel und Weißhalbbier.
In einer Ecke handeln zwei mit Waschgegenständen, Hemden und dergleichen gestohlene Sachen. Zwei Diebe verabreden einen Einbruch. Einige Prostituierte, die sich mit einem Schnaps stärken, scheinen mit den Anwesenden auch gut bekannt.«
Neben solchen Bierlokalen spielten damals die Kaffeeklappen eine große Rolle als Kaschemme. Von ihnen schrieb man:
»In den Kaffeeklappen sind namentlich zur Abendzeit nur Leute anzutreffen, die das Sprichwort: »Ehrlich währt am längsten« nicht abnutzen. Ferner solche, die sich vor keiner Arbeit fürchten; sie legen sich dicht daneben hin und schlafen ganz ruhig. Auch einige Damen von etwas unanständigem Äußern haben hier ihre Ressource etabliert, oder treten ein, um gegen die kalte, feuchte Abendluft, der sie auf ihren späten Berufswegen ausgesetzt sind, und gegen die sie oft in ihrer leichten Kleidung mit diversen Blößen eben nicht sonderlich geschützt sind, in einer Tasse Kaffee, die sie womöglich nassauern, ein Präservativ zu suchen.«
Die Kaffeeklappen als solche sind auch heute noch vorhanden. Aber sie dienen weniger der Halbwelt, als allerlei Heruntergekommenen, Schäbigen und Verelendeten zum Unterschlupf. Nur in wenigen verkehren auch Zuhälter und ab und zu eine Dirne. An die Stelle der Kaffeeklappen sind die Bouillonkeller getreten – Lokale, die allerdings nur in der Nacht geöffnet sind.
Heute gibt es nur noch wenige Kellerkneipen. Das Gastwirtsgewerbe ist heute so lukrativ geworden, daß es auch eine hohe Ladenmiete abwirft. Und so befinden sich denn auch die Kaschemmen vielfach in ganz geräumigen Lokalitäten zu ebener Erde. So hatte es das einträgliche Viertel am Oranienburger Tor zu einer Kaschemme mit livriertem Türsteher gebracht. Es war die durch den Mordprozeß Lucie Berlin bekanntgewordene »Goldene Kugel«. Das Lokal bestand aus zwei großen Räumen, die recht freundlich, fast modern ausgestattet waren und deren hohe Schaufenster gelbe Vorhänge verdeckten.
Ein anderes Lokal in der Elsässerstraße glich einem besseren, bürgerlichen Bierhaus. Die Tische waren alle gedeckt, die Wände mit typischen Bierhausbildern bemalt, und Spaliere mit nachgemachtem Weinlaub sollten Lauben vertäuschen.
In der Gegend der Friedrichstraße befinden sich Kaschemmen, die sich ebenfalls von einer besseren Destille nicht unterscheiden. Nur ist der Ton hier vielleicht ein wenig gedämpfter, als in anderen Kaschemmen. Und die mehr oder weniger kostbar und geschmackvoll, oft wie junge Frauen der besseren Stände gekleideten Liebeshändlerinnen sehen in dieser Umgebung um so merkwürdiger aus. Ebenso auch die Zuhälter, von denen fast keiner im Winter einen Mantel trägt, der nicht mit Seide oder Pelz gefüttert ist.
Für Musik sind übrigens alle Kreise der Halbwelt begeistert. Überall steht ein Klavier, und für die Zeiten des stärkeren Verkehrs ist auch ein Klavierspieler, der Couplets singen kann, angestellt. Selbst in den Kaschemmen am Wedding, der Vorstädte und armen Arbeiterquartiere wird Musik gespendet. Einmal von dem schrecklichen Ochestrion, ein andermal auch nur von irgendeinem kleinen Musikautomaten. Und die Zuhälter, Müll- und Steinkutscher tanzen trunken und torkelnd dazu ihren Hopser. Sogar die zahlreichen Kaschemmen des Scheunenviertels, unter denen sich solche mit jüdischen Wirten befinden, haben fast alle ihre ständigen Klavierspieler – trotzdem im Scheunenviertel die Lebenshaltung der Gäste auf ziemlich tiefer Stufe steht.
Während die Kaschemmen der Friedrichstadt in den späten Nachmittagsstunden den stärksten Verkehr haben, die anderen Kaschemmen in den späteren Abendstunden, öffnen die Bouillonkeller ihre Türen erst um 9 oder 10 Uhr abends. Diese Art von Lokalen entstand vor 20 Jahren. Je nach der Gegend ändern sich natürlich die Nuancen. Im »Nuttenkeller« in der Linienstraße verkehrten mit Vorliebe recht Jugendliche oder wenigstens solche, die so aussahen, die hager und schlank sind und sich jugendlich, fast kindlich frisieren und kleiden. In dem Bouillonkeller, der unmittelbar neben einem Ballokal lag, fand man die Dirnen des Parketts und ihre ziemlich eleganten Zuhälter.
Den stärksten Besuch aber hat in den späten Nachtstunden ein Bouillonkeller nicht weit vom Zentrum. Sein erster Raum, dicht an der Treppe, fast leer. Tische und Stühle stehen unberührt in Reihen. Im zweiten Raum sitzen die luxuriös gekleideten, oft dekollettierten pompösen Damen aus den Kasinos und Bars – auf alten Sofas und Stühlen. Im dritten Raum, der kahl, niedrig und dumpf, stehen nur zwei bis drei Tische. Um sie herum drängen dreißig bis fünfzig der bestbesoldeten Zuhälter und setzen auf Karten, die der Bankhalter, auch ein Zuhälter, umwendet. Da fliegen die Geldscheine. Hundertmarkscheine rascheln, Silbergeld wird nicht allzu sehr geachtet.
In den meisten Bouillonkellern verkehren neben dem Zuhältertum und den Dirnen auch Arbeiter und Bürger. Ja, das ist geradezu charakteristisch für sie: diese Mischung von Halbwelt und anderem Publikum, das hier einen billigen und guten Imbiß nehmen will. Alle Bouillonkeller haben keine Konzession, schenken also nur Bouillon, Schokolade, Milch und Selters aus und geben Butterbrot mit Schinken oder Wurst. Alle, die nicht die hohen Preise der Kaffeehäuser zahlen oder die sich ungezwungener bewegen wollen, besuchen die Bouillonkeller.
Eine Kaschemme mit besonderem Antlitz oder von besonderer Bedeutung sei noch erwähnt. Nach dem Osten zu, aber noch in einer Straße von Alt-Berlin, liegt eine Bäckerherberge, die sich als Verkehrslokal einer großen Innung ausgibt. In Wirklichkeit ist es eine Kaschemme, in der allerdings viele ehemalige Bäckergesellen hausen, in der aber auch die Prostituierten jener Gegend, in bunter Bluse ohne Kopfbedeckung und mit einer Schürze, zu finden sind – genau so, wie in zahlreichen Lokalen des Scheunenviertels, wo übrigens die vielen jüdischen Zuhälter den Kaschemmen oft eine Eigenheit geben.
Wenn nun auch besonders viele Kaschemmen am Oranienburger Tor, in der Friedrichstadt und im Scheunenviertel zu finden sind, – diese Art von Lokalen ist über ganz Berlin verstreut und findet sich ebenso gut im tristen Südosten, an der Grenze der Arbeiterstadt Neukölln, wo auch »schwere Jungens« in ihnen zu verkehren pflegen, wie in den vornehmen Straßen des Westens. Das Leben in einer heutigen Kaschemme spielt sich etwa wie folgt ab:
Von außen sieht das Lokal nicht anders aus, wie eine bessere Destille. Nur, daß die Scheiben so dicht verhängt sind – und daß die Tür stets geschlossen ist – das gibt dem Lokal seinen Typ. Drinnen, im großen dunstigen Schankraum saßen zwanzig bis dreißig Frauen und Männer, paarweise oder in Gruppen. Hinten am Stammtisch stand ein strammer junger Kerl mit seiner »Braut«, einem dunkeläugigen, herausfordernd sich bewegenden Mädchen, das seine dichten schwarzen Haare kurz geschnitten trug. Da sich bald noch mehr Gäste einstellten, ging er zum Schanktisch, um seinen Posten als Ausschänker zu übernehmen. Seine Braut schlenderte langsam hinaus; andere kamen herein. Es ging wie in einem Taubenschlag ... Da kam eine Dame in elegantem Pelz – noch mit dem Duft des Kasinos, in dem sie verkehrt. Sie holte aus dem hinteren Raum ihren Freund und führte den Angetrunkenen aus der Tür hinaus: »Geh man nach Hause!« Andere kamen von der Straße herein um sich aufzuwärmen oder um das erste Geld zum Abendbrot zu bringen. Sie begrüßten die ihnen bekannten Autofahrer, Droschkenkutscher und Zeitungsfrauen und Geschäftsleute, die im Vorderraum saßen und standen.
In diesem Augenblick entstand ein wüstes Lachen. Ein schlanker, sehniger Mensch traktierte unter dem Gelächter der Anwesenden sein Mädchen mit Schlägen. Nur das energische Dazwischentreten des sonst wie blödsinnig fortwährend essenden Wirts verhinderte ein ernsthaftes Ende des Streits. In der Debatte, die hierdurch hervorgerufen wurde, plauderten einige resolute Dirnen ganz offen ihre Ansichten über ihre Burschen aus.
»Et is eben alles Geschäft«, sagte ein robustes Frauenzimmer. »Da quält man sich for die Kerls ab und dann wird man noch geschlagen. Na, mir darf meiner nich kommen; ick zerkratz ihm seine Larve, daß er wie'n Puter aussieht. Und wenn er't zu doll macht, bring ick ihn nach Plötzensee!«
Bei diesen Worten betrat der Beredete das Lokal, er ging auf sie zu und umarmte sie. Nun führten die beiden unter lauter Heiterkeit einige verliebte Szenen auf. Mein Nachbar flüsterte mir zu: »Der bezieht von seinem Mädchen die höchsten Spesen, die in diesem Viertel gang und gäbe sind. Sie müssen nämlich wissen, eine will die andere darin übertreffen.« Und er zählte mit dem Daumen in die offene Hand.
Dann machte er mich auf andere aufmerksam:
»Sehen sie den ausgemergelten, grauhäutigen Kerl? – Der hat seine vier Jahre Zuchthaus hinter sich. Der Vater eines Mädchens, daß er sich herangezogen hatte, ließ sie nicht so ohne weiteres laufen. Er wurde zwar von dem Verführer seiner Tochter mißhandelt, sorgte aber dafür, daß ihr Bräutigam auf vier Jahre in den Schokoladenkasten (Zuchthaus) auf Ferien ging. Jetzt will der mit dem geschminkten Mädchen, das bei ihm sitzt, ein Absteigequartier einrichten. Sie hat nämlich etwas gespart für ihre alten Tage.«
Er rief einem der hereinkommenden Mädchen zu:
»Na, du kannst wohl auch wieder keine Ruhe halten? Wat hast du denn wieder deinen Max verklatscht? – – Was? Na, nu sei man stille, sonst komm ich mal rüber!« Und zu mir: »Der Kleine mit der Schmalztolle, der auf der andern Seite sitzt, wird wohl nicht mehr lange machen. Er war schon ein paarmal in der Charité. Die meisten von meinen Bekannten kriegen ja bald einen kleinen Knax. Mit 'n Mal haben sie die Schwindsucht oder irgend so was. Verschiedene holen sich auch 'ne Krankheit. Oder se müssen nach Plötzensee. Mich haben sie, Gott sei gelobt und gepfiffen, noch nich 'rausbringen können. Wenn ich mal was zu befürchten habe, jeht's heidi, haste nich jesehn, nach Hamburg oder nach Stettin; und wenn das Donnerwetter wieder vorbei is, bin ich wieder da! ... Vorsehen muß man sich ja, am meisten vor seiner eigenen Ollen. Wenn die mal 'n Kribbel kriegt, läuft sie zur Polente, und man is geliefert. – – Na, dafor entschädigen wir uns schon vorher, und es gibt manchmal Stripse – und nicht bloß immer mit der flachen Hand ...
Wissen Sie, ich habe aber ooch bei uns manches Soziale eingeführt. Ich habe dafür gesorgt, daß in unserm Gesangverein, der übrigens fünfzig Mitglieder hat, eine Unterstützungskasse für die gegründet is, deren Bräute nach der Charité oder ins Kittchen verschickt sind. Wir halten da feste zusammen. Manchmal – na ja, ohne kleene Geschäftsintrigen geht es natürlich nicht immer ab ... Wir haben auch öfters Maskenbälle und Kränzchen. Es sollen zwar nur Eingeweihte zugelassen werden; aber Sie derfen ja mal zum Frühlingskränzchen mitkommen. So manche bringt ja auch irgendeinen dauerhaften Liebhaber mit. Immer die feinsten Leute, Beamte und Geschäftsbesitzer – und denn auch 'n schwerreicher Junge, der Sohn von 'n Grundstücksspekulanten – zwee Millionen hat er jehabt. Jetzt hat er man bloß noch eene. Kommen Sie man, es soll Ihnen nischt kosten. Da wird ordentlich was losgelassen!
Sie können janz ruhig kommen. Wir haben Stiftungsfest und da schicken die andern Vereine– »Hand in Hand« z. B. und »Deutsche Kraft« und »Gesangverein Norden« und wie se alle heeßen – da können se sehen, wie wir zusammenhalten. Alle für einen und einer für alle! Wir haben alle Krankenkassen, Sterbekassen und Unterstützungskassen. Bei uns wird reichlich gegeben, wir wissen, wat Opferwilligkeit is ... Wir lassen keenen umkommen, dessen Mieze verschütt gegangen is ... Sie sollen mal sehen, wie die Vereine zusammenhalten. Die Deputationen kommen alle in Frack und Lack und Zylinder. Und alle mit Vereinsbanner. Kommen Sie ruhig. Et jeht sehr anständig bei uns zu. Wir danzen nich mal alle die modernen Tänze – Sie wissen schon, wo man sich so hin und her wiegt ... Nee, is nich!«
Eim elegant gekleidetes, mit Brillanten behängtes und hochgewachsenes Mädchen tanzte mit ihrem Verlobten zu den Klängen eines Klaviers, das ein stellungsloser, jüdischer Handelsgehilfe spielte. Dieser Verlobte, mit dem sie in der nächsten Woche Hochzeit machen wollte, trug Ringe und Vorsteckknöpfe, die einen Wert von über Tausend Mark besaßen. Herren, die das Mädchen regelmäßig besuchten, hatten ihr den Schmuck geschenkt. Daß eine Dirne die andere im Putz übertreffen will ist ja nur selbstverständlich. Aber auch darin wollen sie einander übertreffen, daß sie ihren Zuhälter am meisten Geld zustecken und ihn am elegantesten kleiden. Wenn der eine einen Mantel hat, sorgt die Freundin des andern, daß er einen noch modischeren aus besserem Stoff bekommt. Sie haben eben ihren besonderen Ehrgeiz. Wenn sie auch nicht immer glauben, daß der Zuhälter nur aus Liebe zu ihnen hält, wenn sie ihn auch oft in einer gewissen Furcht vor dem Verrat an die Polizei erhalten – sie haben doch eine gewisse Anhänglichkeit zu ihm, sie finden einen gewissen fraulich-mütterlichen Genuß darin, für ihn zu sorgen.– –
Neben der eleganten Halbwelt, die in den vornehmen Straßen des Westens und in den teuren Vierteln der Friedrichstadt haust, hat Berlin auch die niedrigste, die sich in die erbärmlichsten Winkel verkriecht. Die Gelegenheitsprostitution, die meist Sonnabends von schlecht gestellten Heimarbeiterinnen ausgeübt wird, sucht in den äußeren Vierteln vielfach alte Häuser auf. Die Mädchen wohnen da in irgendeiner Schlafstelle eng zusammengedrängt. Sie verheimlichen ihr Treiben vor einander und gehen nur, wenn ihr Lohn nicht zur Miete reicht, spät auf die Straße. Einen Hausschlüssel haben sie. Vorsichtig schließen sie die alte Tür auf. Tappen mit ihrem »Freier« über den ausgetretenen Flur, über den schlecht gepflasterten Hof und schleichen sich in das hintere Treppenhaus ein. Das sind die Schüchternen und Dummen. Denn die gewitzteren Sonnabenddirnen gehen irgendwo tanzen und begleiten dann ihren Herrn oder gehen mit ihm in ein Hotel – und zwar gewöhnlich in eines der kleinen, die bei den nördlichen und östlichen Bahnhöfen liegen und die eigentlich nichts weiter als ein einfacher Gasthof sind.
Andere Dirnen, die etwa den Tippelschicksen gleichen, die nicht mehr arbeiten oder die nur gelegentlich auf Fuhr- und Ladeplätzen oder auf Müllablagerungsstätten beschäftigt werden, verkriechen sich auch dort. Aus alten Sackstücken, aus fauligem Stroh oder fortgeworfenen Strohsäcken machen sie sich in irgendeiner Ecke ein Lager, in der Nachbarschaft von Asche, faulenden Küchenabfällen, leeren Konservenbüchsen und anderem Unrat. Oder sie verkriechen sich mit dem Pennbruder, dem Landstreicher der Großstadt in der Nähe der Kähne und Häfen, auf denen die Pennbrüder als Gelegenheitsarbeiter sich ihr jämmerliches und unsicheres Brot verdienen. Einst fahndete die Polizei auf mehrere Männer, die eine alte Trödlerin in ihrem Keller am Zionskirchplatz überfallen hatten. Um 3 Uhr früh kam der Kommissar mit seinen Leuten nach dem Alexanderufer, wo die Hamburger Frachtkähne anlegen. Am Humboldthafen lagen an der Ausladestelle viele Kisten, Tonnen und Säcke aufgestapelt. Unter diesen begann ein großes Aufräumen. Beinahe in jeder schlummerte ein Pennbruder. Sicher sind auch einige Pennschwestern darunter gewesen. Mir sagte jedenfalls mal ein Stammgast jenes Nachtlagers am Spreeufer: »Weiber genug haben wir! Vor'n Schnaps is allens zu haben!«
Auch in die »Rummel«, die Belustigungsplätze der Arbeiterviertel, schleichen sich nächtlich die Tippelschicksen mit ihren Schätzen ein und suchen unter den Zelten der Karussels und Schieß- und Würfelbuden ein Nacht- und Liebeslager.
In den Laubenkolonien findet man sie seltener als man glaubt. Dort halten die Laubenagrarier strenge Polizei mit derben Fäusten. In die Laubenkolonien schleicht sich dafür manchmal eine fragwürdige Gesellschaft ein, die auch auf ihre Weise galant ist. Die Zeitungen berichteten:
»Vor einigen Tagen überraschte ein Schutzmann einige junge Diebe, die von einem Neubau Metall entwendeten. Die Langfinger entflohen, gaben auf den sie verfolgenden Beamten einige Schüsse ab, die zum Glück nicht trafen, und entkamen nach dem Laubengelände auf der Reinickendorfer Feldmark. Hier wurde nun später eine große Streife veranstaltet, die die genannten Burschen in die Hände der Kriminalpolizei lieferte. Die Bande hatte sich in mehreren Lauben häuslich eingerichtet, und die Beamten fanden bei den Durchsuchungen zahlreiche Sachen, die aus verschiedenen Diebstählen herrühren. Eine Laube war als Küche eingerichtet. Hier brieten und schmorten die Bräute der jungen Spitzbuben, was diese nur an Leckerbissen heranschleppten. Abends gingen die »Räuber« mit den Mädchen auf die Tanzböden und vergnügten sich nach Herzenslust. Jetzt hat das fidele Räuberleben ein Ende mit Schrecken genommen.«
Die Diebe hatten wahrscheinlich die Lauben gepachtet. Sonst wären andere Laubenbesitzer wohl auf das Treiben der Bande in den ihnen nicht gehörenden Lauben aufmerksam geworden.
Die niedrigsten Angehörigen der Prostitution, die oft »Kanalschneppen« genannt werden, weil sie Schifferknechten, Pennbrüdern, Steinkutschern und allem untersten Proletariat sich anbieten, benutzen als Schlupfwinkel wohl auch die Asyle. Dort finden sie in lichten Sälen ein sauberes Bett mit warmen Wolldecken, so daß ihr Elend in dieser fast anmutigen Umgebung verschwindet. Aber sie finden hier keine Ruhe und drängen meistens wieder hinaus in ihre Abenteuer.
Auch diese Schlupfwinkel mußten gezeigt werden, die mit der Müllablagerungsstätte beginnen und in bunter Reihe aufsteigen bis in die feinsten Absteigequartiere – so ein Spiegelbild aller sozialen Schichten gebend.