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Jede Zeit hat ihre eigentümliche Galanterie gehabt. Jede Zeit berichtet auch mit mehr oder weniger Gründlichkeit über diese Galanterien. So kommt es, daß wir aus mancher Zeit so gut wie keine solche Darstellung aus einzelnen Kreisen der Bevölkerung finden. Sie interessieren nicht, weder den Reisenden noch den Memoirenschreiber. Bis zur bürgerlich werdenden Wende des 18. Jahrhunderts haben wir denn auch nur wenig Zeugnisse von der Galanterie in Gesellschaft und Bürgertum. Die interessierten noch gar nicht. Wie man in jener Zeit über Galanterie dachte und wie man sie erlebte, das ist allein aus den Schilderungen über das Hofleben zu entnehmen. Über andere Kreise wurde eben nicht berichtet. Nur aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts liegt eine Anekdote vor, aus der hervorgeht, daß die Gesellschaft auch noch anderen Stoff zur pikanten Unterhaltung fand, als nur die Galanterien bei Hofe. –
Am Hofe des Kurfürsten Friedrich Wilhelm hatte ein Oberst Burgsdorf durch sein unmäßiges Leben Anstoß erregt. Doch scheint er nicht der einzige gewesen zu sein. Denn der kurmärkische Kanzler Georg von dem Borne sprach in einer Eingabe an den Kurfürsten von dem wüsten Haufen der Hofleute, »der fortfährt in einem wüsten, wilden und heidnischen Wohlleben, in Fressen, Saufen, Huren, Spielen und anderen weltlichen Wollüsten«.
Die Kurfürstin Luise Henriette, aus dem gestrengen Hause der Oranier, sorgte zwar für einen verfeinerten Ton am Hofe. Aber die Galanterien sind geblieben, wie wir das in den Kapiteln vom Hofe gesehen haben. Aus der Gesellschaft jener Zeit haben wir fast nur mittelbare Zeugnisse über Galanterien, und zwar in den sehr eindeutigen Liedern und Schwänken, die bei den Gesellschaften vorgetragen wurden und von denen manches in dem famosen Gedichtbuch des Fräuleins von Crailsheim festgehalten ist – einer jungen Dame von 17 Jahren, der ihr Vater dies Liederbüchlein zur Lektion in die Hand gegeben hat. – Dort fanden sich Verse wie:
Frage.
Du schläfst nun schon auf beiden Ohren,
ich armer Teufel wache noch,
ich sehne mich in deine Kammer
und finde doch zu meinem Jammer
auch nicht ein kleines Mauseloch.
Frage.
Die Liebe treibt mich in dem Dunkeln
gleich einem Nachtgeist hin und her.
ich geh die Gassen auf und nieder,
ich denk und sinne hin und wieder,
Doch gehet alles mir contrair.
Frage.
Der Wächter kommt, ich muß nun gehen,
du läßt mich doch bei dir nicht ein,
drum wünsch ich gute Nacht Lisettchen,
ach, könnt ich nur dein Oberbettchen
auf eine halbe Stunde sein.
Antwort.
Ich schlaf noch nicht auf beiden Ohren,
contrair, mein Kind, ich wache noch;
wenn du nur solltest sehn den Jammer,
den ich aussteh in meiner Kammer,
du sprängst mit mir ins tiefste Loch.
Antwort.
So ist's die Liebe, die dich treibet
bald hier, bald da, bald dorten hin;
ich weiß oft nicht, was mich so quälet,
ich lieg im Bette halb entseelet,
oft weiß ich gar nicht, was ich bin.
Antwort.
Vom Wächter laß dich nicht vertreiben,
komm nur fein bald herein zu mir,
Wir wollen miteinander scherzen
und thun als zwei verliebte Herzen,
biß es wird heller Morgen sein.
Dies ist noch eines der harmlosesten Lieder, die damals beliebt waren. Jedenfalls ließ die Gesellschaft auch bei feinerem Ton der Galanterie ihr volles Recht. Ein einziger Fall bestätigt das zur Genüge. Die Erbtochter jenes Obersten Burgsdorf schloß nach dem Tode ihres ersten Mannes noch zwei Heiraten, von denen die dritte so großes Aufsehen machte, daß sogar Friedrich der Große in einem in der Akademie der Wissenschaften vorgelesenen Memoire ihrer gedenkt. Man beschuldigte Frau von Canitz, nachdem sie sich von ihrem zweiten Manne, dem General Baron Joachim Rüdiger von der Goltz, hatte scheiden lassen, daß sie einem Kaufmann in Paris – weil sie einen wahren Enthusiasmus für alles Französische hatte – Auftrag erteilt habe, ihr einen jungen, schönen, kräftigen, artigen, geistreichen Mann von guter Familie zu schicken. Peter von Larray, Baron von Brunosse, sagt Friedrich, entbehrte, wie man behauptete, wenigstens eines Teiles dieser Eigenschaften. Die Ehe ward aber eingesegnet. Die Familie war im höchsten Grade über den französischen Ankömmling erbittert, den sie geradezu als einen Abenteurer ansah. Der Poet Canitz, bekannt wegen seiner höfischen Gedichte über den Großen Kurfürsten, war, während ihm die Mutter den zweiten Stiefvater gab, auf Reisen gewesen. Seine Großmutter, Frau von Burgsdorf, verbot ihm, als er von Paris zurückkam, seine Mutter zu sehen, und meinte, der neue Stiefvater sei der Mann dazu, ihn zu vergiften, um Herr seines Vermögens zu werden. Die kindliche Liebe übermochte den Poeten, seine Mutter aufzusuchen – sie und der Franzose nahmen ihn mit höchster Zärtlichkeit auf, er brachte den Abend sehr vergnügt hin. Zuletzt forderte der Stiefvater den Poeten auf, eine Pfeife mit ihm zu rauchen. Es geschah, und da der Poet bisher noch nicht geraucht hatte, wurde ihm so übel, daß er sich der Warnung der Großmutter nicht mehr erwehren konnte. Später hat er oft über den panischen Schrecken gelacht und sich stets gut mit dem Stiefvater vertragen.
Diese Geschichte mutet fast an wie eine Erzählung aus der heutigen Gesellschaft. Auch heute heiraten sehr oft ältere wohlhabende Frauen junge Männer, die nicht älter, ja, eher jünger sind als ihre Söhne. – Sie zeigt zugleich, wie schon im 17. Jahrhundert die internationalen Beziehungen auf die Berliner Gesellschaft einwirkten, wie Pariser Einflüsse sich bemerkbar machen.
Von irgendwelchen galanten Vorkommnissen in Gesellschaft und Bürgertum im 18. Jahrhundert hören wir wenig. Erst am Ende des galanten Jahrhunderts tauchen zahlreiche Berichte auf. Bis dahin beschäftigen fast nur die Galanterien des Hofes die Öffentlichkeit. Doch ist die allgemeine Galanterie nicht von heute auf morgen gekommen. Schon um 1700 befanden sich Ofenplatten und Pokale in Bürgerhäusern, deren bildlicher Schmuck unmöglich in streng pietistischen Kreisen geduldet worden wäre. Und um 1770 wurde auf dem Berliner Schützenplatz eine Scheibe aufgestellt, die das galanteste Ziel darbot, das sich überhaupt denken läßt. –
Das Ende des Jahrhunderts brachte dann jene galante Welle, die sich auf das gesamte Leben ausgoß. Selbst das Porzellan, das auch in allen besseren Bürgerhäusern zu finden war, führte in der Mehrzahl galante Darstellungen vor Augen. Nun mehren sich auch die literarischen Zeugen der berlinischen Galanterie und vom Ende des 18. Jahrhunderts haben wir schon galante Reiseberichte. Die Allgemeinheit fing an sich zu interessieren. Johann Kaspar Riesebeck lobte die Offenheit, mit der in Berlin die Fragen der Galanterie behandelt werden, fand auch die Ehescheidungen, die in anderen Großstädten damals noch verboten waren, nützlich, weil sie seiner Meinung nach das Volk sittlich und körperlich gesunder erhielten, was er aus der Zunahme der Bevölkerung entnahm. Im übrigen hielt er die Berliner Damen für sehr galant:
»Das eigentliche Cicisbeat ist hier nicht eingeführt und es ist auch gar nicht nach dem Geschmack der hiesigen Damen. Sie lieben die Abwechselung und den augenblicklichen Genuß zu sehr, als daß sie sich an einen einzigen Gegenstand und an eine gewisse Ordnung binden sollten. Hier ist es gar nichts Seltenes, daß sich Frauen von Ansehen fast ohne Zurückhaltung um junge Leute bewerben, sie mögen von einem Stand sein, von welchem sie wollen, wenn sie nur die Miene von wackeren Rittern haben. Bessere Ehemänner gibt es in der Welt nicht als unter einem gewissen Teil der hiesigen Einwohner. Die Leichtigkeit der Ehescheidungen trägt wohl das meiste dazu bei. Die Eheleute sind durch nichts zusammengebunden als durch ihr gegenseitiges augenblickliches Interesse. Sobald ein Teil dem andern zur Last wird oder einer die Aussicht hat, eine bessere Partie treffen zu können, so kostet es ihm nur eine Anzeige am gehörigen Ort, um seine beschwerliche Hälfte loszuwerden. Auch der förmliche Weibertausch ist hier gar nichts Seltenes. Zwei Ehemänner, deren jeder mit des anderen Weib bekannt geworden ist, tauschen ihre Gattinnen gegeneinander mit einer Kaltblütigkeit, die in unserem Weltteil kein Beispiel hat. Die Frau, die mit einem neuen Liebhaber eine Partie treffen will, bespricht sich ganz freundschaftlich und offenherzig darüber mit ihrem Mann und hat, wenn er in keinen guten Umständen ist, öfters noch Mitleid genug mit ihm, um ihm ihre Base oder sonst eine Person von ihrer Bekanntschaft zu verkuppeln, ehe sie sich von ihm scheidet. So rouliert eine Frau in wenig Jahren durch drei bis vier Familien und tut in Gesellschaften, wo sie einige ihrer ehemaligen Ehemänner trifft, als wenn sie sie nie gekannt hätte.«
Auch die sogenannten Parties fines, besonders mit Theaterdamen, in irgend ein weniger bekanntes Lokal der Umgegend waren zu jener Zeit sehr beliebt. Am lebendigsten auf dem Gebiet der Galanterie zeigten sich die Offiziere. Wir dürfen nicht vergessen, daß Friedrich II. es nicht gern sah, wenn seine Offiziere heirateten, und daß viele Offizierkorps fast nur aus Junggesellen bestanden. Damals wurde geschrieben:
»Ich komme nun wieder zu dem Einflusse zurück, den das Militär auf die Galanterien der hiesigen Damen hat.
Kein subalterner Offizier darf heiraten, es sei denn, seine Braut erweise, sie habe wenigstens 15 000 Taler Vermögen. Solcher reichen Vögelchen, Freund, finden sich aber unter den Schönen zu wenige, als daß man damit Friedrichs zahlreiches Heer versorgen könnte.
Es ist den Herren vom Militär daher gar nicht zu verdenken, wenn sie sich auf die Lauer stellen um das natürliche Bedürfnis, dem der Kapuziner Guardian so gut unterliegt als jeder Erdensohn, befriedigen zu können.
Bei der Leichtigkeit, mit der sie Eingang in jeder Familie finden, bei dem zuvoreilend gefälligen Wesen der Damen, bei der freien, ungezwungenen Lebensart der hiesigen Stadt, wie sollte da wohl der martialische Liebhaber lange unerhört zu seufzen brauchen?
Gewiß nicht länger als sich die erste und beste Gelegenheit darbietet. Man ist auch in diesem Punkte schon so frei und sorglos, daß man sehr wenig Zurückhaltung entdeckt. Die verliebte Dame überläßt sich ganz dem Gefühle gegen ihren Liebling, so wie dieser ohne allen Zwang bei jeder Gelegenheit seinen Zärtlichkeiten den Zügel schießen läßt.
Die Damen scheuen sich nicht im geringsten, es der Welt öffentlich zu zeigen, dieser oder jener sei ihr Nährsöhnchen, den sie zur Vergeltung seines schmachtenden Herzens nach allen ihren Kräften trotz dem Haushahne füttern.
Wie sie mit sanften, einladenden Händedrücken oder zauberischer Zähnensprache auf den armen Schwächling losstürmen, wobei sie bald durch Verrückung ihres Halstuches dem Feinde eine Blöße zeigen, wider die er sein Heldenschwert ziehen könnte, bald durch das erzwungene Schwellen ihres Busens ihm zur Kapitulation mit dem schon zu ermatten anfangenden Feinde das Zeichen zu geben wissen, auf dem weichen Sofa so nah an ihn rücken, als wollten sie ihn zum Zweikampf herausfordern, in aller Unachtsamkeit um seine Hosenschnallen mit ihren schönen, kleinen Alabasterfingerchen spielen, nun wohl gar in Ohnmacht fallen und bei ihrem Gegner Beistand suchen. Die Festung fällt, der Sieger liegt der Besiegten zu Füßen, das Duodram fängt an, und alle Amoretten schweben auf ihren Silberwolken und klatschen schalkhaft lächelnd in die Händchen ... «
Nach dem siebenjährigen Kriege soll jedenfalls die Denkungsart zuerst unter dem Adel und dann im Mittelstande zugunsten der Genußliebe sich stark gewandelt haben. Kriegsrat von Kölln schreibt:
»Nun kam die Regierung Friedrich Wilhelms dazu, der Hof ging in allem, was nur Luxus, Verschwendung, Üppigkeit, Liederlichkeit und Hintenansetzung aller Sittlichkeit genannt werden konnte, voran, die Hauptstadt stimmte mit ein, und die Provinzen folgten bald nach. Man konnte Berlin das große Bordell des preußischen Staats nennen, worin wenig Weiber ihren Männern, und umgekehrt, getreu waren, wenige Mädchen unschuldig ins Ehebett kamen, ja selbst das unnatürliche Laster der Sodomie täglich üblicher wurde.
Im Theater und bei den Thees bestellt man eine Zusammenkunft mit verliebten Weibern, oder spinnt neue Liebesintriguen an. Beim Spiel setzt man den höchsten Point aus, um entweder sein Vermögen zu verdoppeln oder zu verlieren. Gegen 10 oder 11 Uhr geht's in die Freudenhäuser oder zum Liebchen.
Die Weiber sind so verdorben, daß selbst vornehme adliche Damen, eine F. v. C., sich zu Kupplerinnen herabwürdigen, junge Weiber und Mädchen von Stande an sich ziehen, um sie zu verführen, wobey sie die Kunst verstehen, leichte Ansteckungen zu curieren, für Schwängerschaften aber künstliche Präservative zu verkaufen.
Manche Zirkel von ausschweifenden Weibern von Stande vereinigen sich auch wohl und miethen ein meublirtes Quartier in Compagnie, wohin sie ihre Liebhaber bestellen, und ohne Zwang Bacchanale und Orgien feyern, die selbst dem Regenten von Frankreich unbekannt und neu gewesen wären.
Du findest oft in den ersten H ... häusern noch wahre Vestalinnen gegen manche vornehme Berliner Dame, die im Publico als Tonangeberin fungiert.
Es gibt vornehme Weiber in Berlin (eine G. K ... ), die sich nicht schämen, im Schauspielhause auf der H ... bank zu sitzen, sich hier Galane zu verschaffen und mit ihnen zu Hause gehen.
Ich mag dir dies Bild nicht noch mehr ausmahlen, Du würdest nicht glauben, daß es wirklich so ist, und daß meine Phantasie mich täuschte.«
Ein anderer Reisender malte in seinem Gemälde von Berlin und Potsdam aber mehr Einzelheiten. Über die Redouten im Opernhaus schrieb er z. B.:
»Hier kommen die Berliner an bestimmten Tagen im Karneval zusammen, um feierliche Ausschweifungen zu begehen. Das sind die Tage der menschlichen Torheit. Das Rauschen der Dominos und venetianischen Mäntel gleicht dem Rauschen des Meeres, aus dem einst Venus entstiegen ist. In den Logen sitzen die Masken nicht mehr, sondern liegen gerade aufeinander, im Parterre drängen und drehen sie sich in einem beständigen Kreise umher, bis sie am Ende schwindlich werden, und oben im Paradiese wimmelt alles von männlichen Domestiken. Köchinnen, Dienst- und Bürgermädchen ohne Masken, die aber mit Masken hinaufsteigen, statten hier ihren Besuch ab und nehmen sich verschiedene Freiheiten heraus, wenn das Freiheit heißen kann, wo wenig oder gar kein Widerstand geleistet wird.«
Einen genaueren Einblick in die Lebensart der Zeit gibt uns auch die Lebensgeschichte eines bekannten Ministers vom Ende des 18. Jahrhunderts. Graf Heinrich Christian Kurt v. Haugwitz ward 1732 auf dem Gut Peuke bei Öls geboren. Er ward mit frommherrnhuterischer, sentimentaler Vornehmheit geschult und erzogen, trieb allerlei Studien auf den Universitäten, reiste viel und heiratete 1776 eine Tochter des Generals Tauentzien. Die ersten Ehejahre verlebte er auf phantastische Weise, suchte in Überspannung der Liebesgefühle ein Arkadien, das er nirgends fand. Nach einigen meist auf Italienreisen verbrachten Jahren erkalteten die Gefühle der beiden Ehegatten. An die Stelle der früheren Weichheit des zärtlichen Gemahls trat eine Härte. Die früher angebetete Gattin soll unter seinen Mißhandlungen gelitten haben. Während der Regierung Friedrich Wilhelms II. ging er alle Abende, sich inkognito an den Häusern hinschleichend, zu jenen kleinen Soupers Unter den Linden, die bis nachts zwei Uhr dauerten. Er schlug regelmäßig alle Einladungen zu größeren Abendgesellschaften aus, indem er sich mit den überhäuften Geschäften entschuldigte. Als der Regierungswechsel den hausväterlichen Friedrich Wilhelm III. auf den Thron brachte, machte Haugwitz wieder den guten Vater und liebevollen Gatten; er überhäufte seine Gattin mit Zärtlichkeiten, ging mit ihr aus und fuhr mit ihr im selben Wagen aus. Sie rächte sich übrigens und gehörte unter den »dames folles« Berlins zu den unternehmendsten. Sie war unter anderm in der verbotenen erotisch-galanten französischen Literatur mit und ohne Kupfer völlig bewandert und sprach davon ohne allen Rückhalt.
Auch allerlei Einzelerlebnisse wurden damals ungescheut von Reisenden berichtet, so in einem Buch, das Berlin und Wien miteinander verglich, das äußerst galante Abenteuer:
»Kaum waren sie zu Hause gekommen, als der Lohnbediente sich entfernte, nach einer Stunde wiederkam und mir sagte, um 11 Uhr würde ich erwartet. Es mochte dreiviertel auf 8 Uhr seyn, als er mich abholte. Ein Wagen nahm uns auf, fuhr bald rechts, bald links, und hielt nach einer Viertelstunde an einer Hinterthür eines großen Hauses in einer mir unbekannten Gegend der Stadt. Es wurde geklingelt, die Thür öffnete sich, es war finster, eine zarte weiche Hand faßte die meine, es ging durch einen Hof, dann eine enge Treppe hinauf, durch mehrere Zimmer, die mit Fußdecken belegt waren, und in denen frische Blumen mir lieblich entgegendufteten, endlich that sich ein Boudoir auf, welches eine Alabasterne Lampe matt erleuchtete, und wo ein weiches Sofa mich in seine Arme nahm. Die Zofe verließ mich, und bald erschien ein schlankes weibliches Wesen, das Gesicht verschleyert, und warf sich in meine Arme.
Ich war stark, gesund und blühend, 20 Jahre alt und hatte ein feuriges Temperament, ich bemühte mich also, auf eine kraftvolle Art das Zutrauen zu verdienen, welches meine schöne Unbekannte in mich gesetzt hatte. Ich fand einen reizenden Körper, da ich aber das Gesicht nicht sah, so war in meinen Liebkosungen immer noch eine gewisse Blödigkeit, die nicht unbemerkt blieb, ich gestand offenherzig die Veranlassung, und der Schleyer wurde zurückgeworfen. Meine Schöne mochte 26 Jahre alt seyn, und ihre Züge, besonders aber ihr funkelndes Auge, sprach das Feuer deutlich aus, was in ihrem Innern sprühte.
Der Tag graute, als ich ans Weggehen erinnert wurde. Die Unbekannte bat mich, wieder zu kommen, ich versprach es.
Ich wurde dann so zurückgebracht, wie ich gekommen war.
Ich blieb noch acht Tage in Berlin, und wurde in dieser Zeit noch viermal zu meiner Schönen abgeholt, alle meine Bitten, mir ihren Namen zu sagen, waren vergebens.
Beym Abschied, als ich schon zu Hause gekommen war, fühlte ich erst einen Ring an meinem Finger, in welchem die Worte standen:
›Zum Andenken‹.
Ich wollte nun meinen Lohnbedienten ausfragen, aber auch hier kam ich nicht zum Ziele.
Ich habe mich nachher, da ich öfter nach Berlin kam, und selbst jenen Lohnbedienten wiederfand, bemüht, meine schöne Unbekannte auszukundschaften, aber vergebens, und der Lohnbediente versicherte, sie sey nicht mehr in Berlin vorhanden.«
Auch die Zeit der französischen Revolution machte sich in Berlin bemerkbar. Der bekannte Illusionist Leuchsenring, geistvoll, kenntnisreich, in früherer Zeit vor Ausbruch der Revolution Freund aller wegen ihres Geistes bekannten Männer jener Tage, vom Sturm der Schreckenszeit nach Deutschland verschlagen, war nach Berlin gekommen, in die geistreichen Kreise eingeführt und mehr darauf bedacht, sich einen neuen Rock zu kaufen, als Preußen aufzuwiegeln; er suchte eine Hofmeisterstelle. Er wurde aus dem Königreich verwiesen. Er trug die glühendste Leidenschaft für Rahel, die wegen ihrer Kleinheit die kleine Levi hieß, im Herzen. Rahel erfuhr es nie. Eine andere Schöne lebte in den Kreisen, wo Leuchsenring aufgenommen war. Sechzehnjährig, engelschön, geistreich, von unbeflecktem Ruf, in einer hohen Stellung, geschätzt und geliebt von allen, die sie kannten, ihrer Gebieterin unaussprechlich treu. Diese schwärmte für Leuchsenring, indes dieser, dessen Haupt schon der Schnee des Alters bekränzte, sich in hoffnungsloser Leidenschaft für Rahel verzehrte.
Der zermalmende Beschluß der Verbannung war schon über Leuchsenring verhängt, ohne daß er es wußte. Elise von Bielefeld, die junge Schönheit, die wir eben erwähnten, erfuhr davon. Urplötzlich wähnte sie ihn zu lieben, glaubte sich ihm aufopfern zu müssen. Sie fuhr nach seiner Wohnung, trat in ein ärmliches Dachzimmer, und redete den Überraschten mit den nachfolgenden Worten an:
»Leuchsenring, Sie müssen sich auf der Stelle reisefertig machen. Der Grund: morgen werden Sie mit Gendarmenbegleitung weggeführt.« – »Warum?« – »Sie sind verbannt! Man hält Sie für ein Werkzeug der Jakobiner.« – »Ich bin unschuldig!« – »Leuchsenring, ich weiß es! Ein Geist wie Sie, ein so erhabenes Gemüt! Sie Ränke? Umtriebe? Sie den Frieden eines Landes stören, welches Sie gastlich aufgenommen? Nimmermehr!« Leuchsenring ergriff Elisens dargebotene Hand und küßte sie. »Ja, Liebenswürdige! Sie beurteilen mich richtig; ich danke Ihnen für meine Rettung, doch Ihr edler Versuch ist ein vergeblicher, ich kann nicht fort. Im Gefängnisse ist Brot! Ich habe keins. Überlassen Sie mich meinem Schicksal.«
»Ihr Schicksal ist das meinige, Leuchsenring! Welch eine Bestimmung, Ihre Sorge zu stillen, Ihren Weg zur Größe zu bahnen! Welch eine Bestimmung, die Erleuchtung, die Beglückung der Welt durch Ihre Weisheit, durch Ihr Herz, das für die Menschheit glüht, zu befördern, indem ich Sie aller irdischen Sorgen enthebe und in Stand setze, sich ganz Ihren großen Lebenszwecken zu widmen.«
Leuchsenring fing in diesem Augenblick Feuer. Rahels Glanz verblich vor dem Glanz Elisens. Mit bebender Stimme sprach er: »Elise, noch habe ich die Kraft, Ihnen zu sagen: Eilen Sie fort! In wenigen Augenblicken wird auch diese entschwinden. Vergessen Sie mich! Auch ohne Ihr Opfer werde ich den Zweck meines Lebens erreichen, mein großes Werk vollenden. Nie wurde ein ähnliches entworfen. Es wird die Zukunft der Menschheit gestalten, das Glück Europas feststellen.«
Elise rief aus:
»Wie, Sie verwerfen mein Opfer, mich selbst?« – »Meine Pflicht gebietet es. Vor allem bedarf ein Weltbesserer der Tugend!« – »Oh!« rief Elise, »Sie verstehen nicht mein Herz! Nicht Ihre Gattin, nicht Ihre Geliebte will ich sein: Ihre Schwester, Ihr guter Genius!« Ein flüchtiges Lächeln glitt über Leuchsenrings Lippen. »Vergessen Sie nicht,« sagte er mit bedeutungsvollem Ton, »daß Sie zu mir gekommen sind und mir einen Himmel erschlossen haben! Ich habe zu Ihnen hingeblickt wie zu einem schönen Stern. Jetzt blüht eine Rose vor mir; ich werde die verwegene Hand nicht nach ihr ausstrecken, aber der Taumel meiner Gefühle wird mich unwillkürlich hinreißen, sie zu pflücken!«
Das Fräulein von Bielefeld folgte ihm und fand nur Unglück in der Ehe mit dem religiös gerichteten Weltschwärmer.
Ihr Erlebnis ist schon der Übergang der Zeiten der Reifrockdame zu den Zeiten der romantischen Frauen, die von nun an das Interesse der Öffentlichkeit beanspruchten.