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Der gestrenge und nüchterne Soldatenkönig war gestorben. Der Druck der so lange auf dem geselligen Leben Berlins, besonders aber auf dem Leben am Hofe gelastet, wich einer sich ohne Bedenken äußernden Lebenslust. Und zwar war es die Witwe des Verstorbenen, die nun Königin-Mutter genannte Mutter des großen Friedrich, die solange jeden Luxus hatte entbehren müssen und die nun endlich ihrer Liebe zu ausgesuchten und kostbaren Toiletten nachgeben konnte.
Als Witwensitz war ihr Schloß Monbijou angewiesen worden, das Lustschloß das König Friedrich I. seiner Vertrauten, der später in Ungnade gefallenen Gräfin Wartenberg hatte erbauen lassen. Es war inzwischen wohnlicher und umfangreicher ausgebaut worden und gab mit seinen schönen Gärten in der Nähe des Schlosses und seinem aufflammenden bunten gesellschaftlichen Treiben so recht ein Heim ab für eine lebenslustige Frau.
Und lebenslustig war Sophie Dorothee. Sie umgab sich mit schönen jungen Hofdamen. Das trug nicht wenig dazu bei, daß ihre Söhne gern und häufig sie besuchten. Ein Berichterstatter schreibt darüber:
»Der Hof von Monbijou war durch die schönen Hofdamen, welche die Gesellschaft der Königin Mutter bildeten, berühmt, und da es nicht an zahlreichen Bewunderern fehlte, so wurde die Galanterie der herrschende Ton. Fräulein v. Schwerin, die sich an den Herrn v. Kleist und später an Herrn du Troussel verheiratete, Fräulein v. Pannwitz, Fräulein v. Bredow, waren allgemein bewunderte Schönheiten und unter ihren Anbetern standen die beiden Prinzen des königlichen Hauses August Wilhelm und Heinrich obenan.«
Den jungen und vorurteilslosen Männern war es nicht zu verargen, wenn sie die Gesellschafterinnen der Königin Mutter gern sahen. Die Hofdamen wurden nämlich von der Königin-Mutter angehalten, sich so schön und reizend wie möglich zu schmücken. Nachdem so lange die Freude am äußeren Schmuck des Leibes hatte Bescheidenheit üben müssen, konnte sie sich endlich so recht nach Herzenslust austoben. Was der junge König seinem Hof und der Gesellschaft vormachte: Die Einkleidung aller Hofbeamten und Domestiken in prächtige Gewänder französischer Art, ward für die Hofdamen geradezu zu einer Vorschrift. Das französische Modejournal ward mit gründlicher Gewissenhaftigkeit studiert und Schminke, Schönpflästerchen und Reifröcke, vor allem aber die theatralischen Haarbauten, die Fontanges mußten herhalten, dem weiblichen Körper neue bezwingende Linien zu geben.
Am genauesten wurde beim Hof von Monbijou auf diese kleinen und doch so wichtigen Äußerlichkeiten geachtet. Und zwar war es die Königin-Mutter. Während sie unter dem strengen Regiment ihres Gatten auch auf die Einfachheit der Hofdamen hatte achten müssen, regte sie nun die Damen ihrer Umgebung dazu an, sich so interessant und so verschwenderisch wie möglich zu kleiden. Was vorher streng verpönt war, das erschien nun wie selbstverständlich: Die Galanterie, wie man früher die gesellschaftlichen Beziehungen der Geschlechter zu nennen pflegte.
Selbstverständlich wurde auch die Sitte eingeführt, daß die Hofdamen Besuch empfingen, während sie noch im Bette lagen oder bei der Toilette waren. Sie schliefen ja in köstlichen Prunkbetten mit Samt und Seidenvorhängen, und Fauteuils und Lehnstühle standen am kostbaren Lager, zu einem Plauderstündchen einladend.
Da kamen nun Hofherren und Offiziere und die Prinzen. Ihnen allen voran der Thronfolger, der Prinz von Preußen, der Vater Friedrich Wilhelms II. Ihm gefiel es gar nicht, daß auch andere Herren von dem ihn begeisternden Vorrecht Gebrauch machten, die jungen Damen beim Frühstück zu besuchen und mit ihnen zu plaudern, wenn sie vor dem Toilettenspiegel saßen und frisiert wurden. Er ließ es deutlich merken. Er war durchaus nicht schüchtern mit seinen Huldigungen. Und die jungen Hofdamen nahmen nicht nur der Hofetikette wegen seine Huldigungen lieber an und zogen sie vor, sondern ließen ihn merken, daß sein Besuch ihnen immer willkommen war, und daß sie ihm gern noch mehr Vertrauen erlauben würden, als nur die zu einer gesellschaftlichen Form gewordenen Besuche beim Schokoladenfrühstück, während sie noch im Bett lagen.
Die Hofherren waren konsterniert und manche auch entrüstet. Sie kamen umso eifriger zu den anderen Tageszeiten, zu den Essen und Konzerten, zu den Abendgesellschaften, zu denen die Königin-Mutter einlud. Sie hatte nicht nur die Kleidung um sich herum verfeinert und luxuriöser gewünscht. Sie achtete auch darauf, daß ihre gesamte Umgebung den Glanz bekam, dem ihr Mann so abhold gewesen war. Das Lustschloß Monbijou ward berühmt wegen seiner kostbaren Einrichtung. Auch die für sie eingerichteten Zimmer im königlichen Schlosse waren vorzugsweise reich mit Gold geschmückt. Kron-, Arm- und Wandleuchter, Gueridons, Tafeln und Brandruten am Kamin aus diesem kostbaren Metall angefertigt, erregten die Bewunderung aller Gäste, die ihr Audienzzimmer betraten. Sophie Dorothee hatte inzwischen noch immer dies hohe majestätische Ansehen und den imposanten Blick, der sie in früheren Jahren auszeichnete. Ihre Gestalt veränderte sich freilich sehr auffallend, denn sie wurde als Witwe so stark, daß man für ihre umfangreiche Figur eine eigene Art von Stühlen bauen lassen mußte.
Bei diesen Gesellschaften kamen außer den Prinzen auch die anderen männlichen Besucher auf ihre Kosten. Die Hofdamen gaben sich die Ehre, die ausgelassenste Mode mitzumachen. Sie entblößten den Hals bei strengstem Winter und ließen von Nacken und Busen so viel sehen, wie nur irgend möglich war. Mit engen und festen Schnürleibern preßten die Fräuleins die »erhabenen und wohlproportionierten fleischichten, runden und mit denen Mammellons gezierten Vorder- und Oberteile des weiblichen Leibes«, ihr »Lustterrain «, ihre »Edens-Äpfel«, die vortreffliche Lockspeise der Verliebten, so in die Höhe, daß sie dem Mannsvolk in die Augen stechen mußten. Und damit der Leib dann nicht zu sehr hervortrat, wurde ein Blankscheit, ein Holzbrettchen untergeschoben, das den Bauch zurückhalten und wieder in »Gerade Front« bringen mußte. Wer solch Quälholz, das »von der Brust bis über den Nabel, auf den Unterleib gegen die Scham hinunterreichte«, nicht an seinem Körper dulden wollte, mochte er auch schwanger sein – der durfte sich nicht zu den liebenswürdigen Frauenzimmern zählen und mußte wohl verzichten, »den Kram am besten auszulegen« und »die allergrößte Gloire« zu erwerben.
Die Hofdamen gaben sich die größte Mühe, zu den liebenswürdigsten Frauenzimmern zu zählen. Wenn sie allerdings am Oberkleid mit dem Stoff sparten, so verschwendeten sie am Rock umsomehr Spitzen, Stickereien und Besätze. Aber sie wußten auch diese Überfülle zu einem Gegenstand der Koketterie zu machen: trugen doch nur wenige Damen Beinkleider und lange Kniestrümpfe. Viele banden ihre Strümpfe unterm Knie oder gar mitten auf der Wade. Die weiten Röcke waren meist fußfrei und ließen das kokette Spiel mit den zierlich beschuhten Füßen frei.
Dies Spiel galt nun den Herren, die zu den üppigen Abendgesellschaften der Königin kamen. Auch zu diesen Abenden waren die Prinzen die Begünstigten. Die Offiziere und die Hofherren wollten sich zwar nicht beiseite drücken lassen. Aber sie mußten die Etikette wahren.
Die Prinzen jedoch nahmen auf diese Etikette wenig Rücksicht. Der Thronfolger verehrte bald diese bald jene, ja, er verfolgte sie offensichtlich. Bald durfte die eine glauben, sie sei die Bevorzugte, bald die andere. Seine Huldigungen brachten schließlich so mysteriöse Verhältnisse hervor, daß mehr als genug Stoff zur chronique scandaleuse geboten wurde. Die Erfolge des in der Tat sehr liebenswürdigen Prinzen, sagt ein Berichterstatter von damals, machten auch einige Heiraten nötig, bei denen man nicht immer die Zeit oder die Möglichkeit hatte, das Beste zu wählen ...
Unter den Damen, die der Prinz der Reihe nach verehrte, stand Fräulein von Pannwitz obenan, die durch die Reize ihrer Person einen solchen Vorzug verdiente. Sie war eine große, schlanke Blondine, sanften Gemüts, ebenso natürlich und gefühlvoll als schön. Der Prinz wußte sich ihr nicht nur in der Gesellschaft zu nähern. Trotz der vielen Augen am Hofe fand er den Weg zu ihrer Einsamkeit. Sie glaubte gern seinem stürmischen Drängen und seinen alles versprechenden Schwüren, die er in heimlichen Schäferstunden gab ...
Der Prinz wollte sie durchaus heiraten. Die höchsten Autoritäten sahen sich genötigt, einzuschreiten und die mannigfachsten Künste, die zu diesem Zweck angewendet wurden, waren kaum imstande, sie ihm zu entreißen.
Fräulein v. Pannwitz wußte, daß sie den Prinzen für sich gewonnen hatte. Die schlanke Blondine war trotz ihres sanften Gemütes durchaus gesonnen, zu ihrem Liebsten zu stehen. Das arme Mädchen wurde nun von der Königin und anderen einflußreichen Persönlichkeiten bestürmt, ihren Prinzen aufzugeben. Einige versuchten es mit Bitten und Ermahnungen. Sie wäre doch nicht ebenbürtig und würde dem Prinzen die Möglichkeit nehmen, den Thron zu besteigen. Sie wollte ihren Prinzen nicht lassen. Andre drohten ihr: sie würde sich in eine gefährliche Situation bringen, wenn sie den Thronfolger an sich ziehe ...
Das Fräulein v. Pannwitz wollte auch jetzt noch nicht nachgeben. Sie glaubte noch, die Frau des Prinzen werden zu können. Und wenn sie auf den Thron verzichten mußten – nun, dann wollten sie ein idyllisches Schäferspiel in irgendeinem Schloß im Grünen verleben. Das köstliche Liebeserlebnis, dessen Heimlichkeiten sie voll Jugendfeuer genossen, sollte nicht zu Ende gehen.
Sie hätte wohl nie daran gedacht, dem Prinzen seine betörenden Versprechungen zu vergeben, hätte sie sich nicht in einer Lage gefühlt, die zu schneller Auskunft nötigte. Sie entschloß sich endlich, in ihrem Unglück zu resignieren und den Herrn von Voß zu heiraten, mit dem sie freilich nicht glücklich wurde.
Nach ihren eigenen Aufzeichnungen spielte sich diese Episode folgenderweise ab: Prinz August war der älteste Bruder von Friedrich II. und galt als Thronfolger. Als der König nach dem zweiten siegreichen Schlesischen Feldzuge eingezogen war, begann eine Zeit allgemeiner Freude und Feste. In dieser Zeit sah der Prinz in Monbijou bei seiner Mutter die Pannwitz und faßte sofort eine große Leidenschaft für die schöne Hofdame. Im Anfang suchte er seine Gefühle zu verbergen, aber nach einigen Monaten machte er ihr ein leidenschaftliches Geständnis seiner Liebe. Die Pannwitz schreibt von ihm: »Er war sehr liebenswürdig – von schöner Gestalt, auch sein Gesicht war schön, fein und geistvoll; dabei war er voller Sanftmut und voller Zuvorkommenheit für mich und besonders voll der rührendsten Aufmerksamkeiten. War es nicht natürlich bei meiner großen Unerfahrenheit und Jugend und der Neuheit eines Gefühls, das ich noch nie gekannt hatte, daß ich ihm wohl wollte, und nachdem ich lange widerstanden, endlich diese Empfindung mehr Macht über mich gewann und ich mich ihr hingab?«
Sie behauptet, daß sie vor ihm geflohen sei und ihn beschworen habe, sie aufzugeben – es war alles umsonst. Von Natur stürmisch und unvorsichtig, war er gar nicht imstande, seine Gefühle zu verbergen. Dies Benehmen war ganz dazu gemacht, um den Ruf eines jungen Mädchens in die größte Gefahr zu bringen. Der Prinz verlangte immer stürmischer von ihr das Versprechen, daß sie am Hofe bleiben wolle und wiederholte fort und fort seine Anträge. Er wollte es mit Gewalt durchsetzen, von seiner Gemahlin geschieden zu werden, um seine Geliebte heiraten zu können. Schließlich äußerte der König energisch den Wunsch, Fräulein von Pannwitz möge heiraten. So sagte sie denn ihrem Vetter, einem Herrn von Voß zu, der ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte.
Auch der Prinz Heinrich hatte unter den Hofdamen seiner Mutter eine Schönheit gefunden, die ihn besonders anzog. Das Fräulein von Knesebeck. Sie gehörte ebenfalls nicht gerade zu den Spröden, aber der Prinz scheint bei ihr nicht eine besondere Freundschaft gefunden zu haben. Denn als seine Mutter gestorben war, behauptete er scherzhaft, sie gehöre zur Hinterlassenschaft seiner Mutter und gehöre ihm also mindestens zum achten Teil an. –
Eine schöne Witwe aber, die am Hofe der Königin-Mutter in Monbijou lebte, eine Frau von Werels, die Frau des verstorbenen holländischen Gesandten, wußte den Prinzen Heinrich in feinster Form zu fesseln. Sie war nicht so töricht, sich in eine so prekäre Situation wie das Fräulein von Pannwitz bringen zu lassen. Sie war zwar eher koketter und anziehender als die sanfte Blondine. Aber sie war auch geistvoller und durch Erfahrung gewappneter als das junge Mädchen. Sie zwang dem Prinzen ihre Hochachtung ab – stieß ihn aber nicht etwa zurück, sondern wußte ihn immer wieder an sich zu fesseln. Er behandelte sie mit vieler Auszeichnung und lud sie nach dem Schlosse Rheinsberg ein, wo sie jeden Sommer verbringen mußte.
Auf Rheinsberg aber lebte der Prinz Heinrich in seinen jüngeren Jahren ebenso gesellig und übermütig, wie einst sein großer Bruder, der König. Romantische Wasserpartien wurden unternommen, nach Vorlesungen üppig Tafel gehalten, Maskenfeste veranstaltet und manche nächtliche Vergnügungen mit Laune durchgeführt. –
Hier wird Frau von Werels oft mit dem Prinzen über die holden Jugendtage am Hofe des Lustschlosses Monbijou geplaudert haben, an dem so viele schöne Fräuleins ihr Glück genossen – und Prinzen nicht minder.