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Die Etablierung des Liebesmarktes auf Straßen, Plätzen, in Kaffeehäusern, Tanzlokalen, Gärten und an anderen Orten bedingt eine besondere Art von Schlupfwinkeln, »die Absteigequartiere«. Über die Absteigequartiere, wie sie vor einigen Jahrzehnten bestanden, schrieb ein Schriftsteller 1870:
»Es gibt in Berlin eine Menge von Weibern, bei denen sich zu gewissen Stunden des Tages junge Frauenzimmer einfinden, um hier mit Männern, die ihnen zugeführt werden, heimliche Zusammenkünfte zu halten. Da diese Männer meist den höheren Ständen angehören und sie in der Wohnung der Kupplerin außer dem eigentlichen physischen Genuß der Liebe auch meistens eine freie und ungezwungene Unterhaltung und gesellschaftliche Vergnügungen suchen, so müssen die hier in Rede stehenden Weiber stets eine gewisse gesellschaftliche Turnüre und wenigstens einen äußeren Anstrich von Bildung besitzen. Sie laufen bei ihrem Geschäft zwar sehr große Gefahr, weil auf ihm eine hohe Zuchthausstrafe steht, und weil sie der Entdeckung leicht ausgesetzt sind, dennoch finden sich wegen seiner Einträglichkeit immer nur zu viele Personen, selbst Frauen von gutem Herkommen, zu ihm bereit. Namentlich die Zahl der kleinen Absteigequartiere ist in Berlin sehr bedeutend; von größeren und überhaupt solchen, die sich einen gewissen Ruhm erworben haben, gibt es aber gewöhnlich nur sechs bis sieben. Den Polizeibeamten sind diese feinen Absteigequartiere ebenso wie den Männern der besseren Stände hinreichend bekannt, aber einerseits fehlt es gewöhnlich an dem zu einem erfolgreichen Einschreiten erforderlichen juristischen Beweise gegen die Kupplerin, andererseits übt man zuweilen auch schonende Rücksichten aus.
Gewöhnlich suchen die Inhaberinnen dieser Absteigequartiere ihre Ansprüche an die bei ihnen verkehrenden Mädchen und Männer so hoch wie möglich zu schrauben. Nicht selten suchen sie sich auch zu Mitwisserinnen von Familiengeheimnissen zu machen und solcherweise Nutzen zu ziehen. Einige haben auch ein förmliches Geschäft daraus gemacht, verheiratete Männer höherer Stände an sich zu locken und ihnen dann durch die Drohung, sie würden den Ehefrauen alles entdecken, bedeutende Summen abzupressen. Anderen dieser Weiber kann man aber auch eine gewisse Diskretion und Zartheit nicht absprechen.
In den Mitteln, ihr Treiben zu verbergen, sind diese Weiber gewöhnlich sehr erfinderisch; bald nehmen sie den Schein von Putzmacherinnen und Blumenmacherinnen an, und die Mädchen verkehren dann bei ihnen als Gehilfinnen und Freundinnen; bald spielen sie die Rolle von Wäscherinnen, bei denen viele Leute behufs der Versorgung von Waschangelegenheiten verkehren, bald vermieten sie möblierte Stuben und dergleichen.
Die betreffenden Lokale sind gewöhnlich einmal sehr elegant, zum andern aber auch so eingerichtet, daß sich die Besucher derselben möglichst ungestört und sicher zurückzuziehen vermögen.«
Als feinere Absteigequartiere haben noch heute Logis in der Friedrichstadt, im äußeren Westen und Potsdamer Viertel zu gelten. Sie sind ein wenig nobler eingerichtet als kleinbürgerliche Wohnungen, haben anstatt der dort üblichen Sofas Chaiselongues, auch wohl elektrische Stehlampen und Messingbettstellen mit Steppdecken, ja, manche sind nicht ohne Luxus, mit zahlreichen Seidenkissen und Teppichen eingerichtet.
Häufig haben solche Quartiere das Äußere eines Pensionats. Unten am Haustor befindet sich ein Schild: »Zimmer auf Tage, Wochen und Monate.« Häufig machen auch Pensionsinhaber Nebengeschäfte, indem sie absteigen lassen. Das gleiche gilt von vielen kleineren Hotels. Vielmehr Hotels als man glaubt, nehmen Pärchen gastlich auf. Würden sie's nicht tun, so würden die Pärchen andere Orte zu finden wissen. Allerdings nehmen viele derartige Hotels dann auch erheblich gesteigerte Preise – erstreben also besonderen Gewinnst wegen der ihnen drohenden Gefahr.
Neuerdings ist sogar ein ganz vornehmes Hotel als Stundenhotel erklärt worden. Eines Abends trat eine Dame in Begleitung eines Herrn aus der Tür eines vornehmen Stadthotels auf die Straße – wie wahrscheinlich zwanzig andere Damen am gleichen Abend und ebenfalls mit Begleitern. Aber jenes bestimmte Paar wurde von einem vorübergehenden Herrn erkannt und gegrüßt. Dann lief der freundliche Passant schnurstracks zur Gattin des Gegrüßten. Teilte ihr mit, daß er soeben ihren Gemahl mit einer Dame aus dem Hotel habe kommen sehen. Die Dame kenne er aus einem Kaffeehause, in dem viele solcher alleinstehenden Damen verkehrten ... Der Moralwächter suchte auch noch das alleinstehende Fräulein auf und fragte, wie sie dazu komme, mit einem verheirateten Herren ins Hotel zu gehen. Worauf sie erwiderte: »Für mich bestand kein Hindernis, mit ihm ins Hotel zu gehen.«
In dem folgenden Ehescheidungsprozeß wurde zwar geltend gemacht, daß eine Dame und ein Herr noch lange keinen Ehebruch begangen haben müssen, wenn sie aus einem solchen Hotel träten.
Da rief der Anwalt der Frau: »Wäre der Hotelbesuch so harmlos gewesen, dann hätte das Fräulein doch nicht ausdrücklich vom »Ins Hotel-Gehen« gesprochen.«
Und der Richter erkannte, daß die Dame zugebe, sie sei mit dem Herrn im Hotel gewesen.
Das vornehme Hotel war damit eben doch ein Stundenhotel.
Die zweite Klasse von Absteigequartieren, die gleichfalls oft unter der Flagge von Pensionaten segelt, befindet sich ebenfalls in der Gegend der Friedrichstadt und des Potsdamer Viertels. Ihre Einrichtung ist eine ähnliche wie die der ersten, nur gelegentlich etwas billiger.
Vielfach befinden sie sich in alten Häusern, deren abgebrauchte, unkomfortable, unmoderne Wohnungen nicht von Herrschaften bezogen werden und die doch reichen Zins tragen sollen. Alle mittleren Nebenstraßen der Friedrichstraße, die Gegend am Potsdamer Tor, am Nollendorfplatz, am Zoo und manche andere Straße enthalten noch immer solche versteckten Quartiere.
Die dritte Klasse der Absteigequartiere sind mit billigen oder imitierten Nußbaum- Muschelmöbeln eingerichtet, die nach dem Abzahlungsgeschäft riechen und wie sie eben immer noch den Stolz des geringen Kleinbürgers und Arbeiters bedeuten. In den Zimmern befinden sich keine Chaiselongues, sondern nur Sofas. Oft ältester Konstruktion. Daneben ein Bett mit Federbettstücken. Eine Waschgelegenheit mit nicht immer ganz sauberen Tüchern. Und ein Schrank oder ein Vertiko fehlt fast nie.
Von der Straße sind solche Lokale nur daran kenntlich, daß durch die Vorhänge ein gedämpftes Licht auch in Stunden strahlt, wo sonst alles schläft. Sie sind über die ganze Stadt verbreitet, befinden sich aber in größerer Anzahl in der Gegend am Oranienburger Tor, in der Nähe des Belle-Allianceplatzes, zwischen Dönhoffplatz und Moritzplatz, Münzstraße und Umgegend und südliche Bülowstraße und deren Nachbarschaft. Viele von ihnen gleiten noch hinüber in eine bessere Klasse. Viele von ihnen dienen auch einzelnen Prostituierten gleich als Wohnung. So sind manche eine Art von Bordellen. Stammbesucher wissen, daß sie die Grete oder Else oder Trude immer da finden. Sie gehen hinauf, klopfen und fragen nach dem Mädchen. Ist sie da, so gehen sie zu ihr hinein. Ist sie nicht da, so ruft die Wirtin ein anderes Mädchen und sie muß dem Besucher ebenso zu Diensten sein, wie eben ein Bordellmädchen. Die Mädchen laufen dort oft sogar in den bekannten bordellmäßigen losen und bunten Kostümen herum und empfangen den Besucher auf dem Korridor, sich zur Auswahl präsentierend.
In diesen niedrigen Absteigequartieren drängt sich oft alles eng zusammen. Die Familie der Absteigemutter – die beiden Zimmer sind vermietet oder werden zu Absteigezwecken benutzt – haust in der Küche. Sie selbst huscht bei trübem Lampenschein im Flur umher oder hält, bekleidet mit Unterrock und Nachtjacke, die offene Hand durch die Küchentür, um ihre Prozente zu empfangen.
Eine noch niedere Sorte von Quartieren befindet sich im Scheunenviertel und in der Gegend der Koppenstraße. In den engen alten Wohnungen steht nur Gerümpel. In den Zimmern nur ein altes wackeliges Bett mit Strohsack und einem schlechten Bettstück. Ein Stuhl und ein Tisch. Manchmal auch eine Kommode oder ein
Schrank, draußen auf dem Flur, unmittelbar neben der schlecht schließenden Tür hocken auf Kisten oder an der Erde alte schwatzende oder keifende Weiber – Weiber, wie sie unglaublicher Weise in diesen Vierteln nicht verschmäht werden.