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Hofklatsch

Die Geschichte der Galanterie am Berliner Hofe schließt mit einer unerquicklichen Disharmonie: mit dem häßlichen Fall Kotze.

Im Anfang und in der Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sollten die Gräfin Fritz Hohenau und die Frau des Kammerherrn Leberecht von Kotze um die Gunst des Kaisers gerungen haben. Sie wurden zur Zielscheibe für die Schreiber von anonymen Briefen. Aber nicht nur sie empfingen solche Briefe, auch die Kaiserin und der Kaiser, ja alle möglichen Angehörigen des Hofes erhielten Zuschriften, in denen die unflätigsten Behauptungen und Verleumdungen ausgesprochen wurden. Die Korrespondenz betraf nicht immer den Empfänger selbst, sondern wies häufig auf das Unglück, die Leidenschaften und Entgleisungen von Freunden hin. Manche Briefe dieser Art wurden von besser gearteten Hofdamen und Hofherren kaum gelesen ins Feuer geworfen, um ihre Gemeinheit nicht weiter um sich greifen zu lassen. So machte es die Gräfin Bassewitz mit einem Brief, der die gemeinste Anklage gegen eine verheiratete Frau und den Gatten ihrer besten Freundin enthielt. Weder Männer noch Frauen wurden in den anonymen Briefen geschont. Mit grausamer Offenheit wurden Wahrheiten gesagt, aber auch rücksichtslos gelogen und selbst ganz reine Mädchen der Verleumdungssucht geopfert.

Schließlich wurden im Laufe eines Jahres etwa vierhundert anonyme Mitteilungen und Bilder gesammelt. Das war natürlich nur ein Bruchteil der niedrigen und gemeinen Beschimpfungen, die der Kaiser wie die Kaiserin und alle über sich ergehen lassen mußten, die in irgendeiner Beziehung zu ihnen standen.

Diese Unmasse von Schriftstücken rührte augenscheinlich nicht von einer Hand her. Zwar wurde der Anfang der Verleumdungsseuche einem Paar, einem Mann und einer Frau, zugeschrieben. Aber sie fanden zweifellos bald eine Schar von Nachahmern. Bei dem Neujahrsempfang 1894 soll die Kaiserin Friedrich geäußert haben, die eine Hälfte der Hofgesellschaft schreibe der andern Briefe, und die andere Hälfte mache es ebenso. Am meisten soll die Kaiserin ausgestanden haben, die zum Beispiel Anfang 1894, als anscheinend Hunderte von Federn tätig waren, mehrere Briefe erhielt, die sich zwar nicht auf Seitensprünge des Kaisers, wohl aber auf ihre Freundschaft mit Stöcker bezog.

Um diese Zeit tauchte das Gerücht auf, daß der Zeremonienmeister der Kaiserin, Leberecht von Kotze, der gar nicht so sehr gewandt mit der Feder war, der anonyme Schreiber sei. Der Kaiser schwieg und bezeigte dem Verfolgten große Liebenswürdigkeiten. Die Kaiserin wollte Kotze entlassen, aber der Kaiser trat für ihn ein. Sein Sturz würde einen furchtbaren Skandal verursachen. Kotze sei mit dem halben Adel verwandt und verschwägert, sei sein Kammerherr und Freund.

Kotze war nämlich ein Mann nach dem Herzen Wilhelms. Er diente dem Hofe umsonst und verwendete jährlich Hunderttausende, um dem Kaiser Unterhaltung und Ergötzlichkeiten zu bereiten. Er lebte mit seiner Beweglichkeit und Liebenswürdigkeit nur für seinen kaiserlichen Herrn.

Vier Wochen, nachdem der Kaiser die Entlassung Kotzes abgelehnt hatte, ließ er ihn verhaften. Der ganze Hof war in den Staatsgemächern des Schlosses für die Grundsteinlegung des neuen Domes versammelt. Da erschien unerwartet der Adjutant des Generals von Hahnke und forderte Kotze auf, ihn zu begleiten. Zehn Minuten später verbreitete sich das Gerücht, der Kaiser habe auf einer Rückkehr von einer Reise Beweise für Kotzes Falschheit erhalten und auf dem Potsdamer Bahnhof einen Haftbefehl unterzeichnet und den vorausgeschickt, um den Schuldigen nicht auf den Festlichkeiten anzutreffen.

Der Kaiser, der von seinem Zeremonienmeister von Schrader angeblich begründete Beschuldigungen gegen Kotze empfangen hatte, behauptete stolz, er hätte die Gesellschaft gerettet. Dank seiner Initiative wären die adligen Häuser wieder sicher. Und die Mitglieder der königlichen Familie und des Hofadels huldigten dem Herrn und Beschützer. –

Aber nach wenigen Tagen, kurz nachdem Frau von Kotze vergeblich vor dem Kaiser auf den Knien gelegen und er ihr kalt gesagt: »Es nützt Ihnen nichts, gnädige Frau – die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben!« – nach wenigen Tagen erhielten Kaiser und Kaiserin und viele Würdenträger wieder verleumderische Briefe.

Kotze wurde trotzdem verurteilt, und zwar auf eine geringfügige Aussage hin. Ein Löschblatt, das im adligen Kasino aufgefunden worden war und angeblich Schriftzüge Kotzes aufwies, stellte sich als gefälscht heraus. Sachverständige erklärten, die Schriftzüge seien nicht abgedruckt, sondern mit Feder und Tinte gemacht und die Buchstaben umgekehrt gesetzt, um irrezuführen. Diese Aufklärung genügte dem Kriegsgericht nicht. Der Kaiser jedoch beschloß, der preußische Adler möge sich über dies Urteil erheben und ließ Kotze durch den höchsten Zivilbeamten des Hofes, den Hausminister, aus dem Gefängnis holen. Er sprach plötzlich von dem heiligsten Vorrecht des Königs, Gerechtigkeit zu üben ohne Richter und gewerbsmäßige Ankläger.

Vielleicht hatte ihn auch ein wenig die Reue zu diesem Schritt veranlaßt. Ist es doch die Frage, wieweit er mitschuldig war. Selbstverständlich hatte er keine Briefe geschrieben. Aber er war, wie so viele Herrscher, leidenschaftlich im Anhören von Klatschereien. Ihm ging vergnügliche Unterhaltung über alles. Die allein hatte er ja auch im Hause Kotzes gesucht und gefunden. Allerdings wurde Herrn von Kotze, der übrigens mehrere seiner Verleumder in Duellen verwundete und Herrn von Schrader tötete, nachgesagt, daß er keinen verwegenen Geist und auch nicht die große Schlagfertigkeit für die lüsterne und hetzerische Phantasie der anonymen Briefe besessen habe. Aber er bot dem Kaiser so viel Vergnügen, daß er mit der kaiserlichen Freundschaft beehrt wurde – die allerdings die Probe nicht aushielt, vor die sie durch die massenhaften anonymen Briefe gestellt wurde. –


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