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Zu den Erscheinungen, die eine Übergangsstufe von der rohen Erotik zur Zeit der Bordelle bis zu unserm verfeinerten erotischen Wesen bildeten, gehörten die Kellnerinnenlokale. Wohl über keine Erscheinung der Vergnügungsindustrie ist so viel geredet und gezetert worden wie über die Kneipen, in denen zarte Hände bedienten. Die besondere Kenntlichmachung der Lokale mit weiblicher Bedienung durch farbige Laternen und verhüllte Fenster sollte polizeilich verboten werden. Manche sagten: Jetzt würde geradezu die Jugend angereizt, in solche Lokale zu gehen. Innen aber würden sie wider ihren Willen verführt und verdorben. In Wirklichkeit wußte ein jeder, was ihn in solchen Kneipen erwartete. Vielmehr – er ging hinein, weil er danach suchte, weil es seinen Wünschen entsprach.
In Berlin sollen 4000 bis 5000 Lokale mit weiblicher Bedienung vorhanden gewesen sein. Sie sind auch keineswegs ein Erzeugnis der letzten Jahrzehnte, wie Otto von Leixner in seinen sozialen Briefen schrieb. In Wahrheit stammen sie von den Bordellen ab und existierten schon in verschiedenen Formen im vormärzlichen Berlin. In den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts nannte man sie Polkakneipen, wohl weil die Kellnerinnen kurze polnische Röcke trugen. Leixner schilderte sie im Jahre 1891 noch folgendermaßen:
»Diese Schenken gehören den verschiedensten Abstufungen an. Einige sind mit einem gewissen Geschmack eingerichtet, Essen und Getränke sind ziemlich teuer; die Mädchen kleiden sich modisch, die Besucher gehören den höheren Ständen an. Von da geht es unmerklich hinunter bis zu schmutzigen Kneipen, in denen alle möglichen Arbeiter, Gesellen usw. verkehren.
Die Wirte sind meist gescheiterte Existenzen oft sehr zweideutiger Art, über die die anständigen Gastwirte und deren Fachpresse nur die Achseln zucken. Doch gibt es einzelne Ausnahmen.
Die Kellnerinnen erhalten nicht nur kein Gehalt, sondern müssen sogar jedes Glas Bier, jedes Stückchen Fleisch, das sie verzehren, bezahlen. Ihr Verdienst sind die Trinkgelder und Prozente für teuere Bier- und Weinsorten.
Sie sind weiße Sklavinnen, die vollkommen rechtlos dastehen. Der Vermieter und der Wirt saugen sie aus. Rein kann die Kellnerin nicht bleiben, sonst hat sie kaum soviel Einnahme, um sich sattzuessen. Sie muß lächelnd die Zoten der Männer anhören, sich Berührungen gefallen lassen. Auch schafft sie sich ein Verhältnis an.
In der Friedrichstraße stehen an allen Ecken der in sie einmündenden Straßen Männer, die farbige Zettel verteilen. Auf diesen empfehlen sich diese Kneipen. Oft sieht man auf den Ankündigungen Mädchen mit kurzen Röcken und tief ausgeschnittenem Mieder gezeichnet; zuweilen ist auf das Blättchen von feinem Glanzpapier das Lichtbild der Besitzerin geklebt, von deren Zügen man ihr eigentliches Gewerbe auf den ersten Blick ablesen kann. Gerade halbwüchsige junge Leute von 15–18 Jahren nehmen jeden dieser angebotenen Zettel an.
Wenn solche jungen Leute kein Geld für diese Kneipen haben, so wissen sie es sich zu verschaffen durch Diebstahl bei den Eltern oder Unterschlagung. Wie oft lautet der Schluß eines Polizeiberichts: »Den Erlös brachte er in einer Kneipe mit weiblicher Bedienung durch, wo er zu einer Kellnerin schon länger in näherer Beziehung stand.«
Zu diesen Kneipen konnten viele »Tingel-Tangel« gerechnet werden. Neben den »Künstlerinnen« spielten auch hier die Kellnerinnen die Hauptrolle. Es waren zuweilen Töchter von guten, aber verarmten Familien, meistens aber ehemalige Dienstmädchen und Näherinnen. Sogar Erzieherinnen haben den Beruf eingeschlagen.
Im wesentlichen handelte es sich in den Animierkneipen fast nur um einen mehr oder weniger handgreiflichen Flirt und auch um die Anknüpfung von Abenteuern. Viele Männer gingen auch in solche Lokale, weil sie wirklich das Bedürfnis nach weiblicher Bedienung hatten. Andern fehlte der Mut, sich irgendwelchen anständigen Mädchen zu nähern – es gab da zahlreiche Abstufungen der Gründe und Triebe.
In den neunziger Jahren schilderte I. Werner das typische Erlebnis in solchen Lokalen:
»Oben findet man meist wenig Gesellschaft. Aber wenn, dann immer feine. Man trinkt immer Wein, oder wenigstens Porter und Ale. Und wie liebenswürdig wird man aufgenommen! Drei bis vier junge Damen reißen sich um die Ehre, ein Glas Wein auf dein Wohl zu trinken.
Bald sitzt dir eine auf deinem Schoß und preßt mit sanftem Schenkeldruck deine Beine. Das wirkt angenehm aufregend. Die zweite kraut dich im Haar, die dritte küßt deine Lippen und die vierte tuschelt dir leise ins Ohr – herzige Worte: Noch eine Flasche Wein! Ach es sind gute Mädchen, keine ist auf die andere eifersüchtig, sie reden dir gut zu und stellen dir das höchste Glück für die nächsten Stunden in Aussicht, – und es sitzt sich so mollig auf dem roten Divan in dem matt erleuchteten Zimmer. Der Schenkeldruck wird immer zärtlicher, du kannst es ihnen nicht abschlagen, und richtig, da prangt die erste Flasche Sekt auf dem Tisch. Der Wirt, der hinter dem Buffett röchelte, setzt klirrend die Kelchgläser auf das Tablett und nun wird's lustig! »Nicht wahr Dickerchen, du bringst mich nachher nach Hause? – Ich wohne gar nicht weit. – Aber vorher trinken wir noch eine Flasche Sekt. – Und staunen wirst du, wie ich eingerichtet bin.«
Schließlich ist es aber drei Uhr geworden, du bist ungeduldig und begehrst zu zahlen. 75 Mark und 40 Pfennige schließt deine Favoritin die Rechnung. Du bist etwas verblüfft, aber die Addition stimmt. Dann bittet sie dich, unten auf der Straße auf sie zu warten, was du auch tust. – Es vergehen 7, 8, 10 Minuten, aber niemand läßt sich sehen.
Schon beginnt dich zu frösteln, da öffnet sich die Haustüre, die Mädchen kommen heraus, aber leider ohne deine Favoritin.
»Ach, die is schon vor fünf Minuten gegangen!« sagt die eine achselzuckend. Sie ist durchaus nicht mehr so liebenswürdig wie vorher, ohne Gruß eilt sie davon.
Du siehst dich nach einer Droschke um und fährst heim, während deine Favoritin oben auf dem Divan liegt und schläft.«
Lächerliche Einladungen wurden in der Gegend der Friedrichstraße jedem einigermaßen anständig gekleideten Mann von Zettelverteilern in die Hand gesteckt. Da wurde schicke Bedienung, lauschiger Palmenhain, wirkliche Schönheiten, schneidige Damen, Amüsement auf Pariser Art, Ausländerinnen im Nationalkostüm verheißen.
Alle diese Anzeigen bezogen sich auf die Animierkneipen ersten Ranges, die in der Friedrichstadt zwischen Bahnhof Friedrichstraße und der Leipziger Straße lagen. Alle versuchten einen recht noblen Ton anzuschlagen und zu prahlen. Schon die Namen waren lächerlich fremdartig gewählt. Sehr häufig stand auf den Karten: Neu eröffnet. Nun wechselten ja solche Lokale oft ihren Besitzer. Sie waren eben nicht rentabel, oder die Konzession wurde dem bisherigen Inhaber wegen irgendeiner Übertretung entzogen. In Wirklichkeit aber sollte dies ›Neu eröffnet‹ auf die ›Frische Ware‹, auf die neue Bedienung hinweisen.
Das war nämlich eine Vorbedingung zu gutem Geschäftsgang derartiger Kneipen: recht oft die Bedienung wechseln. Die Gäste wollten neue Gesichter sehen, von neuen Reizen angelockt werden.
Eine ganz andere Art von Kneipen mit Damenbedienung waren die großen Lokale, in denen viele Studenten verkehrten, wie die Hopfenblüte Unter den Linden und der frühere Krug zum grünen Kranz in der Friedrichstraße. In diesen Lokalen ähnelten die Bierpreise und die Ausstattung denen anderer Bierlokale. Von direktem Animieren konnte keine Rede sein. Dazu war die Zahl der Gäste, die ein Mädchen zu bedienen hatte, zu groß. Die Kellnerin hatte höchstens immer einen Anbeter, der ein Glas Bier oder Wein für sie zahlte und den sie durch besondere Freundlichkeit ein wenig auszeichnete, von dem sie sich auch einmal in den Arm kneifen ließ. –
Schlimmer war es sicher in den Kneipen, die Reklamekarten verteilten. In diesen fielen allerdings meist mehrere Kellnerinnen über den Gast her. Aber – das wollte er ja ...
Eine um eine Stufe niedrigere Sorte von Animierkneipen hatte sich in der südlicheren Friedrichstadt und in der Gegend nördlich der Spree angesiedelt. Die Lokale waren nicht ganz so nobel eingerichtet wie die anderen. Nicht überall standen Plüschsofas. Nicht auf allen Tischen lagen weiße Decken. Anstatt der lederbezogenen Stühle standen Wiener Stühle herum. Die Mädchen waren nicht so elegant in Seide gekleidet und prahlten nicht mit unechtem Schmuck wie manche in der mittleren Friedrichstadt. Gewiß, frisieren ließen sie sich auch noch. Ihre oft recht künstlich aufgetürmten, oft recht schönen Haare, waren meist ihr bester Schmuck.
Die Lokale, in denen sie bedienten, suchten einander in der Reklame zu überbieten. Lagen doch in der Zimmerstraße, in der Krausen- und Charlottenstraße viele unmittelbar nebeneinander.
Ein Lokal suchte das andere an Leistungen zu übertreffen. Eins versprach mehr als das andere. Verdi-Konzerte und Bauchtänze. Und sogar »solide« Damen. Das sollte heißen: Die Kellnerinnen neppen nicht. In der Zimmerstraße, wo fast in jedem Haus eine Animierkneipe ihr buntes Licht leuchten ließ, hatte sich sogar eine Wirtin zur Anreißerei mit einem Telegrammformular aufgeschwungen, in dem eine auserlesene Schar von jungen Damen (Orientalinnen!) frohe, amüsante Stunden versprach.
Der blöde Witz und die übertriebene Aufmachung der Reklame entsprach so ganz den Besuchern dieser Lokale – Angehörigen des besseren Kleinbürgertums und des Mittelstandes, kleinen Beamten und Geschäftsleuten. In einem Nebenzimmer stand ein Paneelsofa. Japanische Papierschirme und Fächer, buntbemalte Gipsfiguren, kleine Gitter mit künstlichem Laub machten die Räume »gemütlich«.
Dürftiger und einfacher waren die zahlreichen kleinen Animierkneipen der Auguststraße, am Hackeschen Markt, im Scheunenviertel, in der Tieckstraße und ihrer Nachbarschaft, zwischen Potsdamer Straße und Potsdamer Bahn, in der Gegend des Molkenmarkts – überhaupt in all den Straßen außerhalb des Fremdenviertels. Nur wenige Straßen hatten keine bunten Laternen.
Sie machten meist nur die übliche Reklame an den Häusern und Fenstern: Wein und echte Biere. Zweiter Eingang vom Flur. Oder riskierten höchstens eine Zettelverteilung.
Die ganze Art war bescheidener. Und so auch die Ausstattung, die mehr der Berliner Destille glich. Vorn ein Schankraum mit dem Schankapparat und dem Flaschenschrank. Einige bunt gedeckte Tische. Und irgendein kleines Nebenzimmer mit einem alten Sofa. Ein paar Öldruckbilder. Bunte Papierfächer. Die Mädchen, zwei bis vier in der Art von Dienstmädchen, im Sonntagsstaat. Viele von ihnen wurden nicht nur von Kleinbürgern, sondern auch von Arbeitern besucht. Und einige, in der Nähe des Mühlendammes und der Inselbrücke, rechneten auf die dort vorüberkommenden und anlegenden oder die Wasserpolizei besuchenden Schiffer.
Ebenso manche anderen Hafengegenden. Und mehrere ganz niederer Art, besonders in den alten engen Straßen am Spittelmarkt, wurden von ganz jungen Burschen, von Lehrlingen und Hausdienern besucht, die dort ihre erste Berührung mit dem andern Geschlecht erfuhren. Sie waren wohl noch zu jung und schüchtern, sich andern Mädchen zu nähern. In den »Klaulokalen« aber sahen und betasteten sie für einige in Groschen Trinkgeld die ihnen fremden Dinge. Szenen von großer und betrübender Schamlosigkeit spielten sich in diesen Hinterzimmern ab – weil eben unser ganzes Leben so verkehrt eingerichtet ist, weil aus natürlichen Dingen Geheimnisse gemacht worden sind. So erhält gar mancher Jüngling von schmutzigen, häßlichen und alten abgelebten Frauenzimmern die ersten Offenbarungen – anstatt von einem ihm an Frische und Reinheit gleichen Wesen. Solche Dinge aber wirken nach ...
Manche Männer verkehrten gewissermaßen als Stammgäste in den roten Laternen, wo die Wirtin immer frische Mädels für sie besorgte, wo sie wohl auch mal eine Unschuld fanden, die sie berauscht machten. Wenigstens berichtet Viktor Noack, der als Musiker in solchen Lokalen tätig war, einen derartigen Fall. Aber auch die Animierkneipen hatten, wie fast alles in Berlin, so unendlich viel Klassen und Sorten, daß man sie nicht nach einem Muster abtun kann.
In manchen wurden Jünglinge in wenigen Stunden die Portokasse ihres Chefs los. Allgemein waren auch die bedienenden Damen sehr durstig, und die Zeche wurde rasch unerwartet hoch.
In der einen Kneipe rechnete man auf einen Gast am Tage, der dann allerdings tüchtig bestellen und bezahlen mußte. In der zweiten war man mehr auf häufigen Verkehr eingerichtet. Man war freundlich zu den Gästen, ließ sie sich aber nicht zu nahe kommen und freute sich nur des reichen Trinkgeldes. In der dritten wieder war die Bedienung zudringlicher und erzielte dadurch große Einnahmen. In der vierten empfing man die Gäste gleich mit derben Eindeutigkeiten – ließ es aber nicht zum äußersten kommen. In der fünften ließ man durchblicken, daß im Hinterzimmer ein Sofa steht. In der sechsten zog man den Gast gleich aufs Sofa ... In der siebenten machte man ihm alle Hoffnungen, ließ den Gast aber vor der Tür des Lokals vergeblich warten.
Und nicht nur in Kleinbürgerkreisen gab es Männer, die ab und zu in solche Lokale einkehrten. Alle Kreise, alle Klassen, alle Berufe stellten ihr Teil der Besucher von Animierkneipen. Alkohol und Liebesleben vermischen sich nun einmal in den Ländern europäischer Kultur. Vielleicht kann die Mäßigkeitsbewegung dem letzten Rest und Unwesen der Animierkneipen Abbruch tun. Vielleicht! Gewiß ist das noch lange nicht.
Übrigens ist die rote Laterne schon fast ganz der Entwicklung gewichen. Im Zentrum und im Südwesten gibt es kaum noch derartige Lokale. Die wenigen, die im Osten und Norden ihr Dasein fristen, sind wahrscheinlich auch fast alle auf dem Aussterbeetat. Die Erotik, die Galanterie hat sich Wege gesucht, die nicht so eindeutig, die weltgewandter sind. Das sind außer den Tanzlokalen, Dielen und ähnlichen Institutionen die Kaffeehäuser, in denen sich, ebenso wie beim Tanz, der Ton ganz wesentlich geändert hat. Früher gab es einige bestimmte Halbweltcafés, wie ›National‹, heute verkehren die verschiedensten galanten Mädchen fast in allen Kaffeehäusern, ohne durch Gemeinheiten aufzufallen. Die Halbweltlerin benimmt sich ebenso still wie das am Nebentisch sitzende Geschäftsmädchen oder die Studentin.