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Soviel verschiedene Menschen zu verschiedenen Zeiten im höfischen Mätressentum wirkten – soviel verschiedene Gestalten nahm das Mätressentum an. Unter den Kurfürsten konnte es noch sich aufbauen auf eine Art Frauenraub. Die oberste Klasse im Staat, die Fürstenklasse, übte das noch aus, was die anderen Klassen schon seit Jahrtausenden überwunden hatten; Kurfürst Joachim nahm dem Hornung einfach die Frau, weil sie ihm gefiel.
Das Mätressentum unter Friedrich I. hatte ein ganz anderes Gesicht. Es war eine Art Dekorationsstück jener auf Repräsentation und Rangvorrechte und Privilegien gestellten Zeit. Nur, daß durch die Einrichtung einer allerhöchst anerkannten Mätresse doch auch schon deren Gefährlichkeit für die Politik des Staates – des absolutistischen Staates bereits sich anmeldete. Die Wartenberg wußte, trotzdem sie nur eine Scheinmätresse hieß, doch Einfluß auf den absoluten Herrscher und auf dessen Politik auszuüben.
Unter einem der absolutesten Herrscher, der gerade kein Abolitionist war, konnte aber das Mätressentum keinen Einfluß gewinnen. Das lag aber nur an der besonderen Persönlichkeit des Fürsten, an der Veranlagung Friedrich II. Er selbst sagt von sich in einem Briefe: »Man hat gesagt, daß ich über alles Maß ausschweifend sei. – Ich weiß nicht, woher es kommt, daß alle Welt über mich in diesem Punkt redet; denn, um die Wahrheit zu sagen, man hat Fleisch, und ich leugne nicht, daß es bisweilen schwach ist. Aber wegen irgend eines kleinen Vergehens kommt man gleich in den Ruf des größten Wüstlings der Welt. Ich kenne niemand, der es nicht ebenso schlimm macht, und es gibt viele, die es schlimmer machen; ich weiß nicht, woher es kommt, daß von diesen niemand redet.«
Er leugnete also gar nicht seine Abenteuer. Aber an einer anderen Stelle sagte er auch:
»Ich liebe das weibliche Geschlecht, aber meine Liebe zu ihm ist eine flüchtige; ich suche nur den Genuß, und nachher verachte ich es ... «
Durch dieses Zusammentreffen von entgegengesetzten Empfindungen, das doch so echt männlich ist, wurde er – und mit ihm der Staat – vor der drohenden Mätressenwirtschaft bewahrt – eine Gefahr, die allen absolutistisch regierten Staaten drohte.
Aber in der Persönlichkeit Friedrichs des Großen, in seiner kalten, verstandesmäßigen, geistvollen Art lag eine andere Gefahr. Verstand und Geist überhoben sich über das einfache Gefühl. Warmes Empfinden galt nichts. Gemütswerte wurden belächelt und ausgeschaltet. So kam es, daß in der preußischen Hauptstadt Frivolität und Liederlichkeit den fett gedüngten Boden für die folgende Zeit erzeugten. Da wucherte nun eine Mätressenwirtschaft empor, die ihresgleichen nirgends hatte und der eine sittliche Zerrüttung des Volkes vorangegangen war, wie sie sie auch begleitete und steigerte. In einem nicht absolutistisch regierten Staat hätte es wohl nicht so weit kommen können, wie unter der Gräfin Lichtenau und ihrem Verehrer. Und wäre auf Friedrich II. ein Mann anderer Art als Friedrich Wilhelm II. gefolgt, wäre es wohl auch nicht so schlimm gekommen. Aber so konnte aus der frivolen Zeit wohl kein anderer Nachfolger dem großen König erstehen. Zum mindesten mußte ein Mann, der nicht ganz hart war, den losen Sitten erliegen.
Friedrich II. hatte die übergroße Strenge seines Vaters mit angesehen, der mit den Liebeshändlerinnen kurzen Prozeß gemacht – und so gewisse Dinge in die geheimen Winkel getrieben hatte. Der alte Fritz fiel in das andere Extrem; er schrieb darüber:
»Die ledigen Frauenzimmer haben sich des Privilegiums der heutigen Mächte ungestört zu erfreuen; ich bin so weit entfernt, hierüber ungehalten zu sein, daß ich vielmehr ihre Schwachheiten in meinen Denkwürdigkeiten selbst entschuldigt habe. Man muß diesen armen Kreaturen einige Gemächlichkeiten verschaffen, damit sie zuletzt nicht gar auf Abwege geraten, die für den Staat gefährlich werden könnten. Ja, um ihnen mehr Mut zu machen, leiste ich den Früchten ihrer Liebe bei meinen Regimentern ganz besonderen Vorschub. Hat ein solches Liebespfand sein Dasein etwa einem Offizier zu danken, so mache ich es zu einem Fahnenjunker, und öfters noch, ehe ihn noch die Reihe trifft, zum Offizier.«
Er bevorzugte aber nicht nur die Kinder, sondern auch die Väter. Jeder unverheiratete Offizier war ihm lieber als ein anderer. So wurde natürlich eine über das übliche Maß hinausgehende Leichtfertigkeit gezüchtet. Eine Leichtfertigkeit, der auch der Nachfolger des großen Königs keinen Abbruch tun konnte.
Die zur Thronnähe aufgestiegenen Töchter des Volkes haben dann dazu beigetragen, einem Staatssystem ein Ende zu machen, in dem einzelne von ihnen so viel bedeuten konnten – so taten sie das ihre, daß eine andere Staatsform zur Geltung kam, in dem die Mätressen nicht mehr so überragende Bedeutung erringen können wie einst die Gräfin Lichtenau.