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Die größte, einflußreichste, begabteste und gefährlichste Mätresse, die je in Berlin gelebt hat, war die Gräfin Lichtenau. Wie die Gräfin Wartenberg stammte auch sie aus Kleinbürgerkreisen: sie war die Tochter eines Musikers. Daß sie eine so überragende Stellung gewinnen konnte, war zweifellos ein Verdienst ihrer Fähigkeiten – wie auch der Unfähigkeiten ihres Verehrers, des Königs Friedrich Wilhelm II. Er hatte schon als Prinz untergeordneten männlichen und weiblichen Umgang, konnte sich nie zusammenhängend ausdrücken und fiel so in die Hände derer, die am leichtesten den Sinn seiner Worte verstanden. Vom Gepränge des Hofes mochte er nichts wissen und ging am liebsten in einem blauen Frack. Schon als Kronprinz, zwei Jahre nach dem Hubertusburger Frieden, 1765, hatte sich Friedrich Wilhelm II, damals noch nicht 21 Jahre alt, vermählt mit einer Nichte Friedrichs des Großen, Elisabeth, der neunzehnjährigen liebenswürdigen Schwester Carl Wilhelm Ferdinands von Braunschweig, des berühmten Generalissimus des preußischen Heeres, der bei Auerstädt fiel. Diese Ehe aber dauerte nur vier Jahre, sie ward bereits 1769 getrennt.
»Die Prinzessin,« sagt Thiébault in seinen »Souvenirs de vingt ans de séjour à Berlin«, »glaubte Ursache zu haben, sich über ihren Gemahl beklagen zu dürfen. Er bevorzugte die Gräfin Holstein und suchte gemeinsam mit Soltikow und Sapieha allerlei andere Freuden. Zum Unglück war die Prinzessin zu stolz, um sich nicht gekränkt zu fühlen, zu offen, um nicht ihre Empfindlichkeit zu zeigen, zu exaltiert, um sich nicht zu rächen, und sie trieb die Sache bald so weit, unverhohlen die Zeichen der Nichtachtung ihrem Hasse hinzuzufügen. Ihr Bruder gab sich alle Mühe, sie zu ruhigeren und gemäßigteren Gesinnungen zurückzuführen und zugleich ihren Fehltritt zu verbergen. Der Gemahl wußte noch nichts, als er auf einem glänzenden Ball, den Prinz Heinrich alle Jahre am 24. Januar zur Feier des Geburtstages des Königs zu geben pflegte, unter die Versammlung trat, wo ihn eine der anwesenden Masken zur Seite zog und, mit hinlänglichen Beweisen versehen, den Schleier vor seinen Augen lüftete. Der erzürnte Prinz trug auf Scheidung an. Friedrich der Große liebte seine Nichte sehr, ihr Geist, ihre Lebhaftigkeit, ihre Offenheit gefielen ihm nicht minder als ihre Schönheit und Anmut. Friedrich II. wollte sogar die Angelegenheit durch andere Mittel heilen. Siehe den Bericht des Oberst Dampmartin, laut dem die Prinzessin mit Hilfe eines Offiziers wenigstens für einen Thronerben sorgen sollte. Aber der Prinz hatte den Schritt einmal getan und wollte ihn nicht zurücknehmen. Man mußte nachgeben und ein Verfahren einleiten, dessen Schluß die Ehescheidung war. Die Prinzessin legte den Titel »Königliche Hoheit« wieder ab, nahm den »Durchlaucht« von neuem an und erhielt die Weisung, den Rest ihres Lebens in Küstrin zu verbringen. Sie betrat (obgleich sie ihre Tochter nicht mitnehmen dürfte und ihr nur eine geringe Pension angewiesen war) diesen Kerker ganz fröhlich und brachte selbst die Heiterkeit dahin, die ihr so natürlich war.
Unmittelbar nach der Scheidung heiratete Friedrich Wilhelm noch in demselben Jahre, 1769, Luise von Darmstadt, die Tochter der berühmten Landgräfin Karoline, der Freundin Friedrichs des Großen.«
Der englische Staatsmann James Harris, der nach dem Hubertusburger Frieden bis 1767 und in den Jahren 1771–76 bei Friedrich dem Großen als englischer Gesandter akkreditiert war, spricht in seinen Tagebüchern und Briefwechseln wiederholt vom preußischen Thronfolger, von seinen vielen Schulden, seinen unköniglichen Umgebungen und Vergnügungen mit Mätressen und einer Rotte lustiger Offiziere, von seiner gedrückten Stellung gegenüber seinem Oheim. Man erfährt, daß der Prinz gern ein Anlehen bei der englischen Regierung gemacht hätte, worauf diese aber nicht einging. Ein Vertrauter des Prinzen entdeckte dem Gesandten schon Ende des Jahres 1774, daß er 300 000 Taler in Berlin und ebensoviel im Auslande schuldig sei, daß er nicht einmal seine Wäscherin bezahlen könne, daß er alles mit den Mädchen durchgebracht habe; er habe unter anderen eine, die ihm jährlich 30 000 Taler koste, und auf ebensoviel belaufe sich das Geld, das er brauche, um die Spione seines Onkels zu gewinnen. 1775 schreibt Harris:
»Da er von seinem Oheim auf das äußerste überwacht und eingeengt ist, so ist es schwer zu sagen, ob seine Zurückhaltung und Schweigsamkeit natürlich oder angenommen ist. Gewiß ist freilich, daß er sich so verhält nicht nur vor dem Hofe und in Gegenwart von Vornehmen, sondern auch dann, wenn er den Prinzen vergißt und in der schlechten Gesellschaft lebt, welche ihn zu unterhalten scheint, indem er sie beständig um sich zu haben sucht. Auch hier drückt er aber seine Zufriedenheit nie anders aus, als daß er seine Genossen aufmuntert, möglichst laut und lärmend zu sein und alle Achtung beiseite zu setzen, welche sie ihrem künftigen Könige schuldig sind. Seine erste Mätresse (die spätere Gräfin Lichtenau) führt bei diesen Gelagen den Vorsitz und geht bei allen Unanständigkeiten, die dabei vorfallen, mit dem besten Beispiele voraus.«
1776 schreibt Harris: »Der Prinz von Preußen bringt in jeder Woche vier bis fünf Nächte in Berlin zu, und seine französischen und deutschen Mätressen beschäftigen ihn so sehr, daß er an nichts weiter denkt. Die niedrigsten Auftritte fallen zwischen diesen Heldinnen vor. Die Französin zeichnet sich durch List und Koketterie aus, während die andere auf ununterbrochene Herrschaft pocht, die sie durch Drohungen und offene Gewalttätigkeit zu behaupten sucht.«
Mirabeau schreibt unterm 1. Januar 1787: »Von Tag zu Tag steigt die Verachtung gegen den neuen König. Man ist schon über die Bestürzung hinweg, die der Verachtung vorhergeht. Im Anfang staunte man, als man sah, daß der König seiner Vorliebe treu blieb fürs Theater, fürs Konzert, für die alte und für die neue Mätresse. Man staunte, als er Stunden fand, um Bilder, Meubles, Kaufmannsläden zu besehen, um auf dem Violincello zu spielen, um über die Händel der Hofdamen sich zu unterrichten – und Minuten, um seine Minister zu hören, die unter seinen Augen die Interessen des Staates lenken. Gegenwärtig staunt man, wenn irgendeine Torheit einer neuen Art oder irgendeine Gewohnheitssünde nicht einen seiner Tage in Anspruch genommen hat. – Und dennoch konnte die Wut, selbst zu regieren, ohne selbst etwas zu tun, nicht höher steigen. Seit zwei Monaten schon hat der König mit keinem Minister gearbeitet.«
Gegen das Ende seiner Regierung mußte selbst ein Preuße dieses Urteil bestätigen. Oberst von Massenbach schrieb im Jahre 1795 in einem Fragment aus seinem Tagebuche, das er in seinen Memoiren zur Geschichte des preußischen Staates mitteilt: »Der König hat die größte Ähnlichkeit mit einem asiatischen Fürsten, der sich in das Innere seines Serails zurückgezogen hat und mit seinen Sklaven und Sklavinnen lebt, die Regierungsgeschäfte aber seinen Vezieren überläßt. Die Ringmauer, welche jetzt zwölf Fuß hoch um den Neuen Garten in Potsdam gezogen wird, erinnert an die Mauern des Serails; kein fremdes Auge soll sehen, was in dem Bezirke vorgeht.«
Schon während seiner ersten Ehe war Friedrich Wilhelm mit der Gräfin Lichtenau bekannt geworden. Die Gräfin Lichtenau hieß früher Wilhelmine Enke. Sie war eine volle, herrlich gebaute Brünette und die Tochter eines Trompeters bei einem in Berlin garnisonierenden Regiment, Elias Enke, der aus Hildburghausen stammte. Er hatte nach erhaltenem Abschiede eine kleine Wirtschaft eingerichtet und war nachher als Waldhornist unter den Kammermusikern der Kapelle Friedrichs II. angestellt worden. Sie war noch nicht vierzehn Jahre alt, als der zweiundzwanzigjährige Prinz sie ungefähr 1766 kennen lernte. Sie war damals im Hause ihrer älteren Schwester, welche die Eltern als Figurantin bei der großen italienischen Oper aufs Berliner Theater gebracht hatten, und die durch die Gunst mancher Herren aus den ersten Ständen in die Lage gebracht worden war, ein eigenes Hauswesen zu haben. Der Prinz fand an dieser älteren Schwester viel Geschmack und besuchte sie öfters. Bei einer dieser Gelegenheiten bemerkte er einst, daß die jüngere Schwester von der älteren eine wahrhaft grausame Behandlung erfahren mußte. Der gutmütige Prinz ward darüber aufs höchste entrüstet und beschloß, die Gemißhandelte unter seinen unmittelbaren Schutz zu nehmen. Er führte die Kleine noch in derselben Nacht ihren Eltern wieder zu und befahl ihnen, für ihre sorgfältige Erziehung auf seine Kosten bedacht zu sein. Ungefähr nach einem Jahre, als die ältere Schwester mit einem reichen russischen Grafen Matuschka aus Berlin nach Venedig entflohen war, verlangte der Prinz, seinen Schützling wiederzusehen. Wilhelmine war unterdessen zu einer blühenden Schönheit herangewachsen. Der Prinz war von ihrer Grazie, Naivität und kunstlosen Dankbarkeit bezaubert. Er übernahm nun selbst ihre weitere Ausbildung, entfernte sie aus dem elterlichen Hause und brachte sie ganz im geheimen nach Potsdam in das Haus eines seiner Getreuen. Hier wurde sie einer besonderen Aufseherin, einer Madame Girard von der französischen Kolonie, und geschickten Lehrern übergeben, und der Prinz besuchte sie fast täglich. Er trieb selbst mit ihr Geschichte und Geographie und las mit ihr die alten und neuen Dichter, namentlich Rousseaus Nouvelle Héloise und Shakespeare in Eschenburgs Übersetzung. Das alles war für jene Zeiten keine schlechte Grundlage für eine Allgemeinbildung. Bei ihrer großen Begabung hat Wilhelmine Enke noch mancherlei hinzugelernt. Sie sagt selbst, daß sie durch ihre vielen Bekanntschaften mit den vorzüglichsten Männern Deutschlands in vielen Fächern sich Kenntnisse angeeignet habe. Doch wäre das nur Routine gewesen. Stolz war sie nur darauf, daß der Prinz persönlich ihr die Grundlagen zu ihren Kenntnissen verschafft hatte. Sie erzählt in ihrer im Jahre 1808 herausgegebenen Apologie darüber folgendes:
»Gleich im ersten Jahre unserer Bekanntschaft bei Gelegenheit unseres Unterrichts geschah es, daß sich einst das Herz des Kronprinzen auf eine äußerst liebevolle Weise gegen mich ergoß. Indem er mir gestand, daß er viel Fehler und mitunter Laster gegen mein Geschlecht begangen, gab er mir die heiligste Versicherung, daß er mich nie verlassen werde. Bei seinem fürstlichen Ehrenworte beteuerte er mir, wenn ich früher als er sterben sollte, als derselbe zärtliche Freund wie bisher mir die Augen zuzudrücken. Mit einem Federmesser, das er eben um meine Feder zu korrigieren in der Hand hielt, machte er sich einen Ritz in den Ballen der linken Hand, drückte das Blut aus und schrieb mir diese Versicherung auf einen kleinen Zettel von ungefähr drei Zeilen nieder. Diese Handlung erschütterte mich so sehr, daß ich mich hierüber nicht zu fassen wußte. Er verlangte von mir ein gleiches. Die Worte, die ich mit meinem Blute niederschrieb, waren die Erwiderung seiner eigenen, nämlich, daß ich ebenfalls bis zu seinem Tode seine unveränderliche Freundin bleiben und ihn nie verlassen wolle. Nach seinem Tode wird man zuverlässig unter seinen Papieren meinen Zettel gefunden haben.«
Der Prinz wurde mindestens ebensosehr durch eine geistige Gemeinschaft an die Lichtenau gefesselt wie durch die körperliche. Diese Gemeinschaft dauerte weit länger als die physische, ja, sie entwickelte sich schließlich zu einer tiefen Freundschaft, die sich besonders in den Bedrängnissen, die der König in seinen letzten Monaten zu leiden hatte, bewährte.
In der Jugend allerdings belebte den Prinzen und seine Geliebte eine vollblütige Leidenschaft. Schon im Jahre 1769 wird das »Amüsement auf physische Art«, wie sie ihrem Feinde v. Cölln gegenüber gesteht, begonnen haben. Aber sie legte Wert darauf, festzustellen, daß ein ungleich stärkeres Band zwischen ihr und dem Prinzen durch das ständige Mitteilen von Empfindungen und Gedanken, durch »Die Stimmung der Seelen auf einen Ton« geknüpft wurde. Als sie sich zum ersten Male Mutter fühlte, tauschten die Liebenden Ringe.
Friedrich II. soll über die enge Verbundenheit seines Neffen mit der Enke nicht entzückt gewesen sein und verlangt haben, daß sie einen andern Mann heirate. Die Wahl fiel nach langen Debatten auf den Sohn des königlichen Gärtners in Potsdam, den Kammerdiener Rietz, eine rechte Bedientenseele.
Die Heirat Rietzens mit Wilhelmine Enke erfolgte nur dem Namen nach; Rietz übernahm die Verbindlichkeit, nie mit ihr unter einem Dache zu wohnen.
Von anderen Seiten wieder wird behauptet, daß Friedrich II. es gern gesehen habe, wie sein Nachfolger sich mit der Enke verband. Er soll froh darüber gewesen sein, daß die Beziehungen zu französischen Schauspielerinnen, denen er mit Recht politische Spionage zutraute, in den Hintergrund traten. Friedrich schenkte 20 000 Taler zum Ankaufen und zur Einrichtung eines Landhauses in Charlottenburg. In diesem Häuschen fand der Neffe des Königs das, was ihm in der Ehe fehlte: trauliche Häuslichkeit und innige Liebe.
Friedrich der Große stellte nur die Bedingung, daß sein Neffe fortfahren solle, mit seiner Gemahlin zu leben, um einen Thronerben zu erhalten, denn er hatte bisher nur eine 1767 geborene Tochter, die nachherige Herzogin von York, mit ihr erzeugt. Aber die Prinzessin (die erste braunschweigische Gemahlin) wies höchst entschieden allen Umgang mit ihrem Gemahl ab. Nun griff Friedrich der Große angeblich zu einem Mittel, das nach dem notorischen Beispiel des französischen Hofes auch an den deutschen Höfen nicht ungewöhnlich war. Über dieses Mittel berichtet ein französischer Emigrant Oberst Dampmartin, der der Hofmeister des Sohnes der Gräfin Lichtenau war, in der 1811 von ihm veröffentlichten Schrift »Züge aus dem Leben Friedrich Wilhelms II.«:
»Friedrich der Große, treu seiner tiefen Menschenverachtung; überredete sich leicht, daß eine leichtfertige Frau ohne alles Ehrgefühl sei Die hübsche Prinzessin hatte sich für die Ehebrüche ihres Gatten gerächt und wurde nach vierjähriger Ehe nach Küstrin verbannt.. Ein alter Kammerherr eröffnete der Prinzessin, daß er im Auftrage des Königs sie ersuche, den Leutnant der Leibgarde N. N. (wahrscheinlich Graf Friedrich Schmettau), der durch die Schönheit seiner Formen, sein Betragen und seinen ausgezeichneten Mut die Aufmerksamkeit Sr. Maj. auf sich gezogen habe, zu vertraulichem Umgange bei sich aufzunehmen. Der Kammerherr wendete seine Beredsamkeit auf, aber weder guter Rat noch Bitten noch die angedrohten Folgen einer Weigerung machten den geringsten Eindruck. Als er sein Drängen verdoppelte, unterbrach ihn die Prinzessin mit den Worten: ›Mein Herr, wenn Sie es wagen, eine Unterhaltung fortzusetzen, die mich so sehr verletzt, so werde ich Ihnen selbst auf der Stelle befehlen, für den Thronfolger zu sorgen, den der König begehrt. Harte Strafen würden folgen, wenn Sie sich ungehorsam bezeigten!‹ Der Kammerherr, hoch in die sechzig, entfloh vor Schrecken und kam bleich zum Könige. Dieser beschloß nun die Scheidung.«
Diese skandalöse Geschichte ist natürlich geleugnet worden. Das Zeugnis Dampmartins ist jedoch nicht zu verwerfen, denn aus den Briefen, die die Gräfin Lichtenau in ihrer Apologie von ihm hat drucken lassen, geht deutlich hervor, daß er ein ernster und besonnener Mann war. Allerdings sind solche und ähnliche Dinge im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert an Höfen vorgekommen. Man setzte sich sehr leicht über sie hinweg.
Madame Rietz blieb Favoritin, auch als der Prinz 1769 sich zum zweitenmal vermählte. Lord Malmesbury schreibt 1776:
»Sie ist groß von Person, munter von Aussehen, nachlässig in ihrer Kleidung und gewährt eine wahrhaftige Vorstellung von einer vollkommenen Bacchantin. Der Prinz ist gegen sie äußerst freigiebig, und sie allein vertut das ganze Einkommen, das er von dem Könige erhält. Sie erwidert allerdings diese Großmut auf die beste Weise, die in ihren Kräften steht, denn, indem sie ihm versichert, daß er im alleinigen Besitz ihrer Zärtlichkeit stehe, verlangt sie keineswegs dieselbe Treue von ihm, sondern bemüht sich im Gegenteil soviel sie kann, seine Wünsche zu befriedigen, so oft dieselben aus Unbeständigkeit oder Übersättigung an einem neuen Gegenstande haften. Dabei ist sie so gewandt, daß sie ihn niemals mit einem Frauenzimmer bekannt werden läßt, von der zu erwarten stände, sie werde ihr den Rang streitig machen in der Herrschaft über den Prinzen. Ihre Wahl und glücklicherweise für sie auch die seinige fällt gewöhnlich auf Frauenzimmer von der niedrigsten Gattung. Diese Vergnügen, die einzigen, an denen er Geschmack findet, nehmen den größten Teil seiner Musse in Anspruch.«
Als Friedrich Wilhelm den Thron bestiegen hatte, wurde der Einfluß der Madame Rietz sehr bald fast allmächtig. Ihr nomineller Gemahl ward sofort von dem neuen König, der seinen lieben Rietz noch an der Leiche des großen Friedrichs umarmte, mit einer ansehnlichen Hofstelle bedacht – als Geheimer Kämmerer und Tresorier des Hauses und der Schatulle des Königs. Alle Verwandten der Rietz wurden reich mit Stellen und prächtigen Häusern ausgestattet.
Madame Rietz stand jetzt im vierunddreißigsten Jahre. Sie versichert in ihrer Apologie, daß bereits vor dem Regierungsantritte des Königs dessen Liebe sich in bloße Freundschaft verwandelt habe, daß die vertrauten Verhältnisse seitdem nie wieder eingetreten seien. Aber selbst eine halbjährige Trennung, von ihren Feinden veranlaßt, hätte diese Freundschaft nicht trennen können. Das stärkste Band bildeten die Kinder; diese beiden Kinder hätten sie nach wie vor in der Gunst des Königs befestigt. Sie waren geboren in den Jahren 1770 und 1778 – der Graf Alexander von der Mark gleichzeitig mit Friedrich Wilhelm III. und die Gräfin Marianne von der Mark 1778. Einen zweiten Sohn Wilhelm wollte Friedrich Wilhelm II. aber nicht anerkennen; er ward deshalb auf den Namen des Scheingemahls, des Kämmerers Rietz, getauft.
Der von dem König anerkannte Sohn war, wie Mirabeau schreibt, der einzige Mensch, der den König aus seiner habituellen Lethargie ziehen konnte: er liebte ihn bis zur Anbetung.
Madame Rietz war klug genug, den König nicht in seinen neueren und jüngeren Liebschaften zu stören, sie trat ganz in die Stellung einer Madame Pompadour ein, und suchte nur zu verhindern, daß ihr eigener Einfluß beeinträchtigt werde. Daher traf sie selbst die Auswahl; erst erhielt eine Mlle. Minette (Horst), früher Waschmädchen, die Gunst des Königs, die später (1796) mit 10 000 Taler Aussteuer einen Mann fand; dann Madame Baranius, vom Theater, die nachher Herrn Rietz heiratete; endlich vom Corps de ballet eine schöne, frische Brünette ohne viel Geist, die Tänzerin Schulsky. Diese wohnte sogar mit Madame Rietz in Potsdam im Neuen Garten zusammen und erhielt sich bis zum Tode des Königs als erklärte Favoritin unter der Hauptfavoritin. Die Schulsky ward, wie Dampmartin berichtet, dem König in der Eigenschaft zugegeben, wie Abisag von Sunem dem König David, um seine alten, erstarrten Glieder zu wärmen. Nach des Königs Tode heiratete sie einen Gardeleutnant, sie war eine reiche Partie geworden. Neben ihr wurden genannt: Silberminchen, die an einen Doktor verheiratet wurde, die » kleine« Französin und eine Bethmann.
Der König begnügte sich jedoch nicht mit diesen Vergnügungen, sondern ließ sich auch schließlich zwei Damen aus der Hofgesellschaft zur linken Hand antrauen. Die Geschichte dieser morganatischen Ehen findet sich in einem der folgenden Abschnitte.
Die Rietz wurde vor allem die künstlerische Beraterin des Königs. Sie ließ allerlei Neuerungen in den Potsdamer Gärten anbringen und leitete die auf Wunsch des Königs vorgenommenen Parkanlagen auf der Pfaueninsel. Dort sollte auch ein gotisches Bauwerk in Form einer verfallenen Ritterburg entstehen. Sie bildete diese Absicht nach einem französischen Werk um, entnahm ihm das Motiv für die Verbindung zweier Türme eines altrömischen Kastells durch eine Brücke und übertrug die gotischen Bauformen in die römische Bogenarchitektur. So bekamen wir das sonderbare Landhaus in unsere norddeutsche Tiefebene. Innen wurde es allerdings mit prachtvollen klassischen Säulen und Zimmern ausgestattet, in denen sie sehr geschmackvoll die besten Architekten mit bestem Material, besonders mit schönen Hölzern, arbeiten ließ. Die Pfaueninsel ist also ihr Werk.
Sie war übrigens nicht nur des Königs Beraterin in künstlerischen Fragen, sondern sie war ihm in jeder Beziehung unentbehrlich. Er befragte sie in allem, selbst in politischen Dingen. In den Akten der Gräfin fanden sich Briefe des Königs an sie, aus denen hervorgeht, daß er nichts ohne ihr Urteil unternahm. Er schickte ihr den Entwurf zum Religions-Edikt zu und fragte sie auch in außenpolitischen Absichten um ihre Meinung. Ob sie ihn hier stets richtig beraten hat, ist allerdings strittig. Sie hatte wohl schließlich mit den bigotten Ministern ihren Frieden geschlossen, um selbst Ruhe zu haben und versäumte auch vor dem unmöglichen Feldzug ins revolutionär erstarkte Frankreich zu warnen.
Wie groß die Freundschaft war, wie fest sie ihn gebunden, ist aus der Tatsache zu erkennen, daß im Schlafzimmer des Königs auf einem mit theologischen und rosenkreuzerischen Werken angefüllten Bücherschrank ihre kleine Büste aus Marmor stand.
Der geliebte natürliche Sohn der Madame Rietz, der Graf Alexander von der Mark, war zu des Königs herbstem Schmerz bereits in seinem neunten Lebensjahre gestorben, und zwar unter Umständen, von denen die Gräfin in ihrer Apologie so rätselhaft spricht, daß man an einen unnatürlichen Tod denken möchte. »Äußerst betrübt war der König. Doch die Umstände dieses nur allzuschnellen Todes trugen dazu noch mehr bei als der Tod selbst. Ich weiß diese Umstände – und schweige.« Die Mutter hatte auch diesen Trauerfall benutzt, um sich in der Gunst des Königs immer fester zu setzen. Bischofswerder und Wöllner und die Brüder Rosenkreuzer, die sie sonst in Gegenwart des Königs persiflierte, um ihn dadurch oft wütend zu machen, boten ihr die Hand. Der König, der noch als Thronfolger lebte, hatte verlangt, den Schatten seines Lieblings noch einmal zu sehen. In dem Palais Unter den Linden zu Berlin, das der König seinem Liebling geschenkt hatte, ward in dem Trauerzimmer, worin der kleine Graf gestorben war, die Zitierung vorgenommen. Es wurde mit besonderer Pracht ausgestattet, und mit Hilfe theurgischer Gaukelkünste mußte der Geist des früh Verstorbenen aus dem Lande der Seligen dem königlichen Vater erscheinen. Er erschien, um ihn an das der Mutter geleistete Versprechen zu erinnern, sie unter keinen Umständen von sich zu entfernen. Der König ließ dem geliebten Entschlafenen 1791 ein Denkmal von Marmor durch Schadow in der Dorotheenkirche errichten und erkannte ihn damit feierlich als seinen Sohn an.
Die neuesten Studien und Untersuchungen ergeben jedoch ein ganz anderes Bild von diesen Vorkommnissen. Die Minister Wöllner und Bischofswerder hatten vielmehr die mystische und unkritische Anlage des Königs benutzt, um ihn mit Hilfe der Rosenkreuzerei und mit den üblichen vorgespielten Geistererscheinungen dem Einfluß der Rietz zu entziehen. Die angeblich heraufbeschworenen Geister mußten dem Prinzen Strafpredigten und Tugendermahnungen halten. Der zum Tode erschöpfte und erschreckte Prinz verlangte nach seiner Geliebten, um in ihren Armen sich zu erholen. Jedoch bestürmte man ihn so lange, bis er versprach, den ehebrecherischen Umgang mit der Rietz abzubrechen mit dem Vorbehalt, daß sie weiter seine Freundin bleibe, bei der er Trost und Erheiterung suchen dürfe.
Sie arbeitete denn auch fernerhin dem verderblichen Einfluß der Ministergruppe entgegen. Wie die noch vorhandenen Prozeßakten ergeben, half ihr ein Zufall dabei. Einst spazierte sie mit dem König und ihrer kleinen Tochter im Park von Charlottenburg. Da sagte der König, sein verstorbener Sohn, der Graf von der Mark, habe ihn eben gerufen. Die Rietz wollte ihm diese Sinnestäuschung ausreden. Da kam ihre Tochter angesprungen und behauptete ebenfalls, ihr Bruder habe eben gerufen. Dies betrachtete die Rietz als einen Wink des Schicksals. Sie zitierte nun den Geist des Grafen von der Mark, wenn sie dem Einfluß der Wöllnergruppe entgegenarbeiten wollte. Daß sie dies nicht zu ihrem übermäßigen Vorteile ausnutzte, ergeben die Akten ihres Prozesses. Der gut eingeweihte Kriegsrat von Kölln mußte in seinen »Vertrauten Briefen« zugeben, daß sie nicht bösartig war.
Nach dem Bruche mit der Gräfin Dönhoff blieb Madame Rietz – Roxolane, wie sie bei Hofe hieß – unumschränkte Beherrscherin des Königs. Ihr Einfluß erstreckte sich auf alles. Wen sie begünstigte, der ward begünstigt. »Kein Kammerpräsident« – sagen die ›Vertrauten Briefe‹ – »hätte gewagt, einen seiner Kanzlisten hart anzufahren, wenn er gehört hätte, daß er die Waschzettel der Gräfin Lichtenau schrieb.« Die entschiedene Teilnahme am französischen Revolutionskriege und besonders an dem unglücklichen Zuge in die Champagne schiebt man hauptsächlich auf ihren Einfluß. Sie begleitete den König auf diesem Champagne-Feldzug und hielt einen förmlichen Hof zu Aachen und Spaa mit allem Glanze einer Königin. Täglich wurden Stafetten abgesandt und empfangen, um sie über den Gang der Ereignisse im laufenden zu unterhalten und ihren Beirat einzuholen. Die französischen Emigranten machten ihr, als ihrer besten Freundin, den eifrigsten Hof. Sie selbst gesteht in ihrer Apologie, daß man den Basler Frieden durch sie habe hintertreiben wollen. Die zum Teil aus dem Portefeuille des Fürsten Hardenberg entflossenen Memoires d'un homme d'etat berichten, und sie selbst hat es durch ihre Erzählung bestätigt, daß Lord Henry Spencer, der englische Gesandte in Berlin, ihr 100 000 Guineen angeboten, um Preußen damals im Jahre 1795 bei der Koalition zu erhalten. Sie schlug sie aus.
Schon im Jahre 1789 hatte einer der beiden jungen Gualtieri sich um die Hand der Madame Rietz beworben. Nach Berlin 1793 zurückgekehrt, bot ihr ein erst zwanzigjähriger Lord Templetown seine Hand an. Bei der in Berlin und Wien damals herrschenden Anglomanie spielten die Engländer eine große Rolle und zeichneten sich durch Extravaganzen schon damals aus. Sie machten in Berlin gewaltigen Spektakel. Sie betranken sich fast alle Tage in der Stadt Paris, wo sie speisten; eines Tages warfen sie ein ganzes Bett auf die Straße. Templetown war ein feuriger Engländer, er begehrte mit Leidenschaft die Hand der preußischen Sirene. Der König schlug aber die Genehmigung zu der schon deklarierten Heirat ab, weil er besorgte, Madame Rietz werde mit dem Lord übersiedeln und die freundschaftliche Verbindung, die ihm Bedürfnis geworden war, allmählich absterben. Im Jahre 1795 trat ein drastischer Bruch dieser Liaison ein; der feurige Liebhaber soll die auf einer Galanterie mit einem untergeordneten Galan betroffene Geliebte mit Ohrfeigen gestraft haben; sie erwirkte seine Ausweisung aus Berlin vom König und beschloß nun, zu ihrer Zerstreuung selbst auf Reisen zu gehen.
Der Umgang mit Künstlern hatte bei Madame Rietz den lebhaften Wunsch erweckt, Italien zu sehen. Die Ärzte wurden veranlaßt, ihr die Bäder von Pisa, und als Nachkur die Seebäder von Neapel zu verordnen. Der König genehmigte die Reise aus Rücksicht für ihre Gesundheit; sie hatte auch, wie sie später selbst erzählt hat, ihm davon gesprochen, den Stein der Weisen zu suchen. Am 13. März 1795 reiste sie von Berlin ab und blieb über ein Jahr aus. Der König setzte ihr Reisegelder aus und gab ihr offenen Kredit bei den vornehmsten Bankiers in Mailand, Florenz, Livorno, Rom und Neapel mit. Obwohl bereits 44 Jahre alt, hatte sie doch noch eine Reihe von Liebesaventüren auf dieser Reise, und die Tatsache ist unwiderleglich, daß sie jungen und alten Männern den Kopf verdreht hat. Ein ganzer Schwarm von Liebhabern und Abenteurern aus der vornehmen Welt zog ihr nach. Einer ihrer wildesten Anbeter war der Chevalier de Saxe, ein Sohn des sächsischen Prinzen Xaver, ein junger Mann, der damals in Italien lebte, später Gouverneur in Neapel ward und 1802 im Duell fiel. Mehrere flammende Briefe von ihm ließ sie selbst im zweiten Teil ihrer Apologie abdrucken, die hinreichend beweisen, welche Anziehungskraft sie besaß. Ähnliche, wenn auch nicht so flammende Briefe finden sich von dem berühmten Archäologen Hirt, den ihre Kunstliebe in Rom ihr auf Empfehlung des Herzogs von Sussex zugeführt hatte und der bald einer ihrer begünstigsten Verehrer wurde. Aloys Hirt, ein entsprungener Klosterbruder aus Schwaben, machte damals den Fremdenführer in Rom. Er war dreißig Jahre alt, von kräftiger Gestalt und wohlgebildetem Äußern.
Hirt folgte ihr später nach Potsdam, wohnte bei ihr im Neuen Garten in einem der für den Fremdenbesuch leerstehenden Häuser und speiste bei ihr, ward durch sie dem König vorgestellt und erhielt als Akademiker, Hofrat und Instruktor des vierten Prinzen des Königs, der Neigung zu Altertümern zeigte, eine Pension von 1800 Talern.
Alle größeren und kleineren Höfe Italiens bewarben sich um die Ehre, die allvermögende Favoritin des Königs von Preußen bei sich zu empfangen. Nur der Hof von Neapel machte Schwierigkeiten. Die Königin Karoline, eine geborene österreichische Erzherzogin, wollte zwar einer königlichen Mätresse, aber nicht einer bürgerlichen Madame Rietz die Hofehren bewilligen. Madame Rietz wandte sich deshalb an den König und machte ihm in einem Schreiben klar, »daß wiewohl Se. Maj. wohl wüßten, daß sie für ihre Person keinen Wert auf die törichten Eitelkeiten der Hof-Etikette lege, es sie doch in eine schiefe Stellung bringe, daß ihre Tochter in den Grafenstand erhoben sei, während sie noch selbst dem niederen Bürgersstand angehöre.« Darauf ward Madame Rietz gerichtlich von Herrn Rietz, mit dem sie nie getraut worden war, geschieden und zur Gräfin von Lichtenau erhoben. Das Grafendiplom erteilte ihr vier Ahnen von väterlicher und mütterlicher Seite, Ebenbürtigkeit und Stiftsfähigkeit. In das ihr gestiftete Wappen kam der preußische Adler und die königliche Krone. Der Lord Bristol, späterer Erzbischof von London, soll ihre Erhebung zur Gräfin befördert haben. Auch er wollte sie heiraten und bot ihr seine Schlösser und seine Börse an. Der König schenkte ihr nun, um sich nicht übertreffen zu lassen, die Güter, deren Nutznießung sie gehabt und dazu 500 000 Taler.
Im Jahre 1796 verschlimmerte sich der Gesundheitszustand des Königs bedeutend; die Vorboten der Wassersucht stellten sich ein. Auf die Nachricht davon eilte die Gräfin mit Kurierpferden im Juni 1796 in Begleitung des Oberhofmeisters der Königin, Grafen Wittgenstein, aus Italien nach Potsdam zurück. Ihr Herz war bei dem Anblick der Leiden des Freundes, Beklemmung und Schlaflosigkeit, zerrissen. Sie widmete sich nun mit der treuesten Anhänglichkeit seiner Pflege, sie ging zweimal mit ihm, 1796 und 1797, in das ihm verordnete Bad Pyrmont.
Die sorgfältige Krankenpflege hinderte aber nicht, jetzt auch alle Vorteile und Annehmlichkeiten zu genießen, welche durch die Erhebung zur Gräfin von Lichtenau gekommen waren. Sie ward bei Hofe vorgestellt, die Königin hatte ihr nach Pyrmont ihr mit Brillanten besetztes Bildnis geschickt. Schließlich lud die Gräfin im März 1797 die ganze königliche Familie zu einer Opernaufführung in ihrem von ihrem Sohn ererbten Palais Unter den Linden ein.
»Die Königin, der Kronprinz und seine Gemahlin sowie die anderen königlichen Prinzen und Prinzessinnen bebten vor Ingrimm über den sie erniedrigenden Zwang, sich bei einer Frau als Gäste zu sehen, deren bloße Nähe sie schon aufs tiefste verletzte. Der König trug auf seinem bleichen Gesicht die Zeichen einer tödlichen Krankheit; die gutmütige Königin verzog ihre Lippen zu einem erzwungenen Lächeln; der Kronprinz konnte seine heftige Gemütsbewegung nicht verbergen, er warf verstohlene Blicke bald der zärtlich geliebten Mutter, bald seiner angebeteten Gemahlin (Luise) zu, als könne er nicht begreifen, wie es möglich sei, sich mit ihnen in den prachtvollen Zimmern der Mätresse seines Vaters zu befinden. Nichts hätte mehr seine beiden vorherrschenden Tugenden in Harnisch bringen können: Sparsamkeit und Anständigkeit. Jung, freimütig, dabei ein wenig menschenscheu, vermochte er es nicht über sich zu gewinnen, seinen Ärger zu verbergen. Die Gräfin Lichtenau, die in bei weitem reicheren Schmucke wie die Königin glänzte, empfing des Königs zärtlichste Huldigungen. Den Kindern seiner drei Mätressen, die in einer der ersten Ranglogen saßen, warf er Näschereien zu.«
Mit den höchsten Ehrenbezeugungen wurde die Eitelkeit der Gräfin Lichtenau bei ihrer zweiten Brunnenreise nach Pyrmont im Juni 1797 genährt. Sie stand hier einem glänzenden Hoflager vor, während die Königin in dem bescheidenen Badeort Freienwalde ihre Zeit zubrachte.
Der König fühlte sich nach seiner Rückkehr aus dem Bade so sehr erleichtert, daß ihm seine Ärzte den Gefallen taten, ihn für gänzlich wiederhergestellt zu erklären, obschon die Wassersucht bald wiederkehren mußte. Die Nachricht von der Wiederherstellung des Königs, »des Vielgeliebten«, wie ihn die Berliner nannten, verbreitete so allgemeine Freude, daß die Hauptstadt eine glänzende Feier zur Wiedergenesung veranstaltete.
Das Fest begann am frühen Morgen mit Glockengeläut und Posaunenblasen von den Türmen der Stadt. Auf den Plätzen war Tanzvergnügen, Mastbaumklettern, Puppentheater, Speisung der Armen auf öffentliche Kosten, in dem Börsensaal großes Zweckessen zu 500 Kuverts, am Abend: Oper, Feuerwerk, Illumination, Ball. Der König, so leidend er war, hielt sich den ganzen Tag auf den Füßen, besuchte die öffentlichen Tanzplätze, fuhr durch die Straßen während der Illumination und nahm an dem von den Bürgern ihm zu Ehren gegebenen Mittag- und Abendessen teil. Die Königin hatte sich mit Unwohlsein entschuldigt, die Gräfin Lichtenau nahm ihre Stelle ein, der Kronprinz hatte sich auf den ausdrücklichen Befehl des Königs ebenfalls eingefunden. Die Gräfin erschien bei der Abendtafel im griechischen Gewand als Polyhymnia mit goldenem Diadem, und ihre sämtlichen Anbeter, deren Zahl Legion war, hatten sich zu diesem ungezwungenen Bürgerfeste eingefunden.
Mit diesen Ehrenbezeugungen begnügte sich aber die Gräfin Lichtenau nicht. Sie, die sich, wie Förster sagte, immer gern an das Reelle hielt, erhielt weit reellere Gunstbezeugungen von ihrem königlichen Freunde. Der König machte ihr die sogenannten Lichtenau'schen, ehemals Brenkenhoff'schen Güter in der Neumark zum Geschenk, die drei Domänen: Lichtenau, Breitenwerder und Roßwiese, mit einer Jahresrente von 4800 Talern. Dazu genoß sie schon seit der Thronbesteigung des Königs noch monatlich 300 Louisdor für ihre Haushaltung in dem ebenfalls nach dem Tode ihres Sohnes 1787 auf sie übergegangenen Palais Unter den Linden.
Es war sogar beabsichtigt, als der König über die erneuerten Beweise der Hingebung der Gräfin für ihn in Pyrmont gerührt war, ihr die Grafschaft Pyrmont von dem Fürsten von Waldeck zu kaufen. Sie schlug es aus, obgleich sie später schrieb: »Ich hätte die Höhe nur keck besteigen sollen, der Schwindel würde schon vergangen sein und ich stände jetzt wenigstens so fest, wie irgend etwas im deutschen Reiche steht.«
»Man glaubte mich im Besitz von Millionen, und seitdem ich – erzählte sie – Gräfin geworden war, wußte ich mich gar nicht vor Heiratsanträgen vornehmer Herren zu retten.«
In ihrem Palais Unter den Linden machte sie eines der angenehmsten Häuser von Berlin; sie vereinigte in ihm die geistvollsten Zirkel, bestehend aus Staatsmännern, Diplomaten, Offizieren, Gelehrten, Künstlern und selbst Geistlichen. Für die Entwicklung der feineren und freieren Geselligkeit in Berlin war das Haus der Gräfin Lichtenau von unberechenbarem Einfluß, es kam durch dieses Haus, wie gleichzeitig durch die reichen jüdischen Häuser, die damals Gesellschaft bei sich sahen, ein ganz anderer Ton in die höhere Gesellschaft und eine Annäherung der geistreichen Leute aus den verschiedenen Ständen. Die Gräfin besaß die Gabe, den Personen, die sie bei sich sah, eine freudenvolle und zwanglose Unterhaltung zu verschaffen, im hohen Grade. Überhaupt war feiner Geschmack ihr nicht abzustreiten.
Ihr Haus muß raffiniert und kostbar eingerichtet gewesen sein. Alle Zeitgenossen stimmen ein in dies Entzücken. Besonders wußte sie den König durch ihre Gemäldegalerie zu reizen, die Halb- oder Ganzentblößte zeigte und deren Stoffe meist den Zärtlichkeiten der Geschlechtszuneigung entnommen waren. Ja, es ist sogar die Rede von einem schwarzen Kabinett, in dem schwarze Kanapees standen. Die Lichtenau soll in diesem Raum sich und andere im Evaskostüm dem König dargeboten haben – und zwar meist, wenn er nach irgendwelchen theatralischen Aufführungen besonders erregt war. Ja, in einem Buch aus ihrer Zeit, in »Infernale, Eine Geschichte aus Neu Sodom«, wird Friedrich Wilhelm II. vorgeworfen, er habe sich von der Gräfin Lichtenau seine eigene Tochter zuführen lassen. Sie bestreitet alle diese üblen Behauptungen in ihrer Apologie aufs energischste, und mit guten Gründen. Ungeschminkt aber gibt sie sich als vorurteilsfreie Amoureuse. Auf die Angriffe des Kriegsrats von Kölln schreibt sie u.a.:
»Der Tadel der Eitelkeit erschien mir daher nur als Bagatelle, und ich rechnete ihn mehr für Lob als Tadel. Wohl nie hat noch ein von der Natur nicht verkrüppeltes Weib existiert, die davon nicht ihre größere oder kleinere Dosis gehabt hätte: wie sollte es mir einfallen, mich davon freizusprechen? Hätte mir Herr v. K. Galanterie (in gutem französischen Sinne) beigelegt; hätte er gesagt, daß ich zur Zeit meines Lenzes die adorateurs zu Hunderten gezählt und wohl nicht gegen alle die Grausame gemacht haben möge: keine Sylbe dagegen!«
Die Gräfin Lichtenau spielte mit Aufbietung aller Kräfte und aller Mittel ihre glänzende Rolle bis zum Tode des Königs. Einmal, in des Königs letzter Krankheit, war davon die Rede, daß er für ihre Häuser und Güter zwei Millionen Taler in englischen Banknoten geben wollte, mit denen sie nach England übersiedeln solle. Sie blieb aber standhaft dabei, daß sie sich nie von ihrem Freunde und Wohltäter trennen werde, zumal jetzt, da er leide. So nahm sie der König als Krankenpflegerin mit sich ins Marmorpalais nach Potsdam, wo sie schwere Tage mit dem Sterbenden durchmachte.
Kaum hatte Friedrich Wilhelm III. die Regierung angetreten, so rückte eine Abteilung des Garderegiments vor ihre Wohnung im Kavalierhause des neuen Gartens zu Potsdam und sie ward von dem Oberst von Zastrow und dem Major von Kleist im Namen des neuen Königs abgeführt, was in gewisser Beziehung eine Wohltat für sie war, denn die Bevölkerung Berlins war im höchsten Grade gegen sie erbittert; die Gräfin würde der Gefahr gröbster Mißhandlung nicht entgangen sein.
Hatte sie doch jeden, der mit der Günstlings- und Mätressenwirtschaft, die sie getrieben, nicht zufrieden gewesen war und der nicht schweigen konnte, verfolgt. Nun endlich konnten alle reden. Und was vorher in zahllosen Schmähschriften heimlich von Hand zu Hand gegangen, ward nun von Mund zu Mund gerufen und verurteilt. In einer »Biographischen Skizze« erschien der folgende Vers:
Auf Phöbus strahlenreichem Wagen
Glänzt einer Lais Namenzug;
Wie? Muß der Sonnengott des Pöbels Unrat tragen?
Besudelt nicht dies Weib ein Königsbett genug?
Und in einem apokryphen »Bekenntnis« wurde behauptet, sie habe selbst über ihr Theaterchen niedergeschrieben: »Meine Schauspielerinnen waren die schönsten Mädchen Berlins, und ich ließ sie größtenteils in puris naturalibus mit leichtem Schleier und dünnem seidenem Flor gekleidet erscheinen, um dann ** immer mehr zu reizen. Ebenso wählte ich meine Vorstellungen größtenteils aus der Mythologie: Jupiter und Leda, Venus und Amor, Hymens Nachtwache, die Auflösung des jungfräulichen Gürtels, die Priapischen Opfer und dergleichen waren die Gegenstände, die ich dem wollüstigen Auge des ** vorsetzte.«
Ihre Häuser wurden versiegelt und auch ihre Mutter und ihr Sohn verhaftet. Sie bewohnte mit ihnen drei Zimmer in Potsdam, bis sie März 1798 des Prozesses wegen nach Berlin kommen mußte.
Sie wurde beschuldigt, den Krondiamanten Solitair, den Siegelring und noch einen Ring des Königs an sich genommen zu haben, wies aber vor Gericht nach, wo sie diese Gegenstände in den Zimmern des Königs aufbewahrt habe. Auch eine Mappe mit wichtigen Staats- und Gelddokumenten sollte sie sich angeeignet haben. Sie enthielt aber nach der gerichtlichen Aussage der Gräfin nichts, als ihre seit 28 Jahren an den König geschriebenen Briefe. Eine gegen sie förmlich eingeleitete Untersuchung wegen der Bezahlung der in Italien gemachten Schulden und ihrer vermeintlichen politischen Verbindungen im Auslande ergab auch nichts Kriminelles. Was man gewiß fand, waren 500 000 Taler Banknoten – in fünf Paketen, unentsiegelt – und Juwelen, im gerichtlichen Taxwerte von noch nicht 16 000 Talern. In diesen Dingen war sie also verhältnismäßig bescheiden gewesen, zumal unter diesen Juwelen auch alle Geschenke von dritter Hand sich befanden. Man konfiszierte alles, auch ihre Häuser und Güter. Alle verließen sie, und Leute kehrten ihr den Rücken und machten gegen sie die Ankläger, die sie emporgehoben und großgemacht hatte, wie z. B. der Minister des Auswärtigen, Graf Haugwitz. Leute nahmen gegen sie den Ton vornehmer Beamten an, die sich zur Zeit des Glücks vor lauter kriechenden Schmeicheleien gegen die einflußreiche und liebenswürdige Freundin nicht zu lassen gewußt hatten, wie der Graf Schulenburg-Kehnert.
Noch im März 1798 ward sie von Berlin auf die Festung Glogau verwiesen, jedoch ohne sie auf Zimmer und Haus zu beschränken. Sie erhielt ein Jahrgehalt von 4000 Taler. »Sie kaufte sich in Glogau,« sagen die »vertrauten Briefe«, »das schönste Haus, richtete dieses auf das Geschmackvollste ein, gab hier Tees und Gesellschaften. Wer in Glogau irgend auf Wissenschaft und Kunst Anspruch machte oder für einen genialen Kopf galt, den zog sie in ihre Zirkel. Ein junger, schöner, feuriger Italiener Fontano, der in Posen Theaterlichtputzer gewesen war, ward ihr als Lautenschläger vorgestellt. Er entzückte. Die Gräfin ließ ihn täglich zu sich kommen, um sein reizendes Spiel und seine volle Stimme zu hören. Nach einigen Wochen nahm sie ihn ins Haus. Am 3. Mai 1802, fünfzigjährig, heiratete sie nach eingeholter königlicher Einwilligung Fontano, der kein anderer als der bekannte Theaterdichter Franz von Holbein war und den früheren Namen, den er als Schauspieler abgelegt hatte, wieder annahm.
»Sobald diese Heirat erfolgt war,« sagen die »vertrauten Briefe«, »suchte der junge (28 jährige) Gemahl bei jüngeren Frauen Befriedigung und er war es, der einen Herrn Trojer gegen seine Frau eifersüchtig machte. Trojer erstach sie und wurde dann enthauptet.«
Holbein machte erst Reisen nach Paris, Posen und Wien, wo er endlich blieb und sich aufs Theaterfach warf. Die Gräfin ward schon nach kurzer Zeit wieder von Holbein verlassen, sie lebte darauf im Ausland und ging von Breslau zuerst des Krieges wegen ebenfalls nach Wien.
Hier ward sie von einem Ausländer, der durch die gegen sie erschienenen Pamphlete erregt war, auf die unanständigste Art auf öffentlicher Straße angefallen, so daß ihr die Wiener Polizei Hilfe schaffen mußte. Nach dem Tilsiter Frieden kehrte sie nach Breslau zurück, und 1809 erhielt sie durch Napoleon, an den sie sich gewandt hatte, von der Krone Preußens eine Entschädigung für die ihr entzogenen Häuser, Güter und Gelder. 1811 ging sie nach Paris, wo sie dem Kaiser, um ihm zu danken, in St. Cloud vorgestellt wurde. Sie lebte noch eine Zeit lang in Paris und dann in Berlin, wo sie in den Befreiungstagen ihren Patriotismus betätigte, und 1820 starb, achtundsechzig Jahre alt.
Der Niedergang Preußens, die Kultur der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, in dessen Überfeinerung das Wetterleuchten der französischen Revolution hineinblitzte, wird in dieser Gestalt der Gräfin Lichtenau und ihrer Mit- und Gegenspieler lebendig. Sie verkörpert ein Stück Sittengeschichte. Ihr Aufstieg von der Tochter eines einfachen Musikers in den regierenden Kreis hinein war mehr als charakteristisch; er war symbolisch. Denn es kann kein Zweifel sein: sie verdankte ihren Aufstieg und ihre dauernde Stellung nicht nur weiblichen Vorzügen, sondern wirklichen Fähigkeiten.