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Die Liebe um den Marmortisch

Keine andere Einrichtung hat auf das Wesen des Berliner Liebesmarktes so stark eingewirkt wie die Kaffeehäuser. Mit ihnen wurde eine ganz neue Art geschaffen. Eine neue Art, die auch ihren Einfluß auf die Besucher ausübte, und die erst möglich war, als die Anschauungen großstädtischer und moderner wurden, als die verschiedenen Teile des Publikums sich leichter miteinander vermischten – und als man nicht mehr einen halben Tag lang bei einem Stück Kuchen in den alten Konditoreien sitzen durfte, sondern für eine Tasse Kaffee nur eine halbe Stunde, aber 30 Pfennig übrig hatte.

Von den alten Konditoreien wurde zwar erzählt, daß es auffiel, wenn Damen hineinkamen. Aber eine rücksichtslose Feder berichtete im Jahre 1827:

»Die Kirchenparade ist vorüber. Die Soldaten kommen einzeln oder in größeren und kleineren Haufen zurück; die Offiziere bleiben aber noch im Lustgarten, Bekannte der verschiedenen Regimenter zu sprechen und dann die Parole anzuhören.

Jetzt kommen die schönen Spaziergängerinnen wieder, und noch viele andere Schönheiten haben sich zu ihnen gesellt, denen es diesen Morgen unmöglich war, das Bett schon so früh zu verlassen.

Sie wandern die Linden zwei-, dreimal auf und ab; doch man kann nicht immer gehen. Der ebenso prächtig wie geschmackvoll eingerichtete Laden des Konditors Fuchs winkt freundlich herüber, und die reizenden Damen zögern nicht, dem Winke zu folgen. An der Tür wird noch ein Blick zurückgeworfen. – Die Offiziere verstanden ihn. – Jetzt gehen sie auch hinein, und bald wird aus der künstlichen Weinlaube, so ganz geeignet zu traulichem Kosen, zärtliches Liebesgeflüster erschallen.«

Das deutet doch darauf hin, daß schon vor hundert Jahren die Konditoreien als galante Märkte benutzt wurden. In den meisten mag es ja recht harmlos zugegangen sein. Wenigstens schrieb 1822 Heinrich Heine, der doch sonst kein Blatt vor den Mund nahm:

»Hier an der Stechbahn wohnt Josty! Ihr Götter Olymps, wie würde ich euch euer Ambrosia verleiden, wenn ich die Süßigkeiten beschreibe, die dort aufgeschichtet stehen. – Das Lokal ist zwar eng und dumpfig und wie eine Bierstube dekoriert; doch das Gute wird immer den Sieg über das Schöne behaupten; zusammengedrängt wie die Bücklinge sitzen hier die Enkel der Brennen und schlürfen Creme und schnalzen vor Wonne und lecken die Finger.

Fort, fort von hier!
Das Auge sieht die Türe offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.« –

Die Entwicklung zum Großen hat auch die alten Konditoreien erfaßt. Die meisten haben sich zu Kaffeehäusern entwickelt, die nur noch durch den Kuchentisch eine Berliner Note haben und an ihre Vergangenheit erinnern. Wie Josty am Potsdamer Platz und Kranzler Unter den Linden, der es nicht hindern kann, daß galante Frauen und Mädchen verschiedener Grade sich auch bei ihm an Tisch und Fenster oft unmittelbar neben Damen aus der besten Gesellschaft niederlassen. Oft sitzt selbst am Vormittag schon diese und jene elegante internationale, auffällig nach neuster Mode gekleidete, blaß geschminkte Kokotte dort, schiebt den Silberlöffel mit Eis zwischen die blutrot geschminkten Lippen und lächelt mit den schwarz bewimperten Augen den eleganten Fremden zu, die in den benachbarten Hotels wohnen und hier vorüber müssen. Sie ruft sie wohl auch englisch an. – Bei Kranzler hatte sich schon vor fünfzig, sechzig Jahren ein Liebesmarkt eingerichtet. Springer meldet von ihm:

siehe Bildunterschrift

H. Zille: Frühling in der Konditorei.
»Stille Zeit.«

»Hier sieht man die feine Welt, die sich von der Abgeschiedenheit der Rittergüter erholt. Die Bonvivants, die ihre Zeit bis zum Diner bei Mäder ausfüllen wollen; die Galans, die ihre Schönen regalieren. Auch an zärtlichen Intriguen, an romantischen Abenteuern fehlt es nicht. Jener dunkeläugigen Juno ist es gelungen, den milchbärtigen Majoratsherrn neben sich zu fesseln; bald ist ein Rendezvous für den Abend an der Bildsäule des großen Kurfürsten verabredet.«

* * *

Der große wirtschaftliche Aufschwung, die jähe Bevölkerungszunahme nach den Kriegen machte eine neue Art von Lokalen möglich, die denn auch schnell aufblühten. Vor 1866 gab es kein eigentliches Kaffeehaus in Berlin. Die ersten wurden in den siebziger Jahren eröffnet. Und zwar nicht ein einzelnes, sondern gleich mehrere.

siehe Bildunterschrift

H. Baluschek: Nachtschatten
(»Im Kaffeehaus« vor 1900)

Wie Bauer, National, Kaiserhof. So konnte denn ein Franzose seinen Landsleuten die folgende boshafte Schilderung senden:

»Das Wiener Café ist meist ziemlich luxuriös eingerichtet. Die Getränke sind teurer und schlechter als überall anderswo. Doch gehen besonders die Fremden dorthin, weil ihnen die großen Bierpaläste zu deutsch, zu massiv sind. Die Bedienung ist in den Cafés aufmerksamer, gewandter, schneller, die ganze Ausstattung reicher, künstlerischer. Alles ist reich vergoldet.

Dazu kommt eine große Anzahl von Zeitungen und Revuen aller Sprachen, oft bis zu mehreren hundert Exemplaren. Ferner sind vorzüglich ausgestattete Billard- und Spielsäle vorhanden. Infolgedessen findet sich die ganze Menge der Nichtstuer, Vergnügungsreisende, Leute, die wenig zu tun haben und schließlich alle Bummler regelmäßig in diesen Lokalen zusammen.

Das Café Bauer z. B. hat eine kosmopolitische Kundschaft. Das Passage-Café mit seinem blendenden unechten Luxus zieht durch seine hohen Preise namentlich die Geldaristokratie an. Ein Vorzug dieser Cafés besonders für die Flaneurs ist auch, daß sie die ganze Nacht geöffnet sind. Der Berliner ist es gewohnt, eine nächtliche Kneiperei mit einer Tasse Melange zu schließen.

Daher das rege, nächtliche Leben, bei dem sich aber auch die Halbwelt stark versammelt. Manche Cafés haben vor neun Uhr kaum zwanzig Gäste. Aber dann kommen die Priesterinnen der Venus. Sie sind selten hübsch, dafür aber geschmacklos gekleidet und meistens korpulent. Alle, ohne Figur und schamlos geschminkt, setzen sie sich hinter ihren Kaffee und warten fächerspielend auf Annäherung. Und die Armen müssen oft sehr lange warten.

Wer zum ersten Male ein solches Café betritt, findet den Anblick direkt abstoßend. Die Toiletten, in denen das Weiß überwiegt, die übermüdeter Gesichter, das Warten und die überall herrschende Langeweile, die Augen, welche herausfordernd zu blicken suchen – nichts verschleiert die Wahrheit und nichts mildert sie. Nach und nach wird es leerer, und gegen drei Uhr sieht man nur noch Sitzengebliebene mit langem Gesicht und ängstlichen schmerzlichen Blicken dort, die ihre Ansprüche mit jeder Stunde des Zeigers tiefer herabstellen. Es läßt sich schwer entscheiden, ob die Prostitution in Berlin schlimmer ist als in anderen Großstädten; aber sie ist plump und roh; sie erinnert an einen Sklavenmarkt.«

Der Franzose konnte nur das Café National gemeint haben. In den anderen Kaffeehäusern bot sich die Prostitution nur heimlich und gelegentlich an. Im Nazi aber war offizieller Liebeshandel. Es hatte zwei Eingänge: einen hellerleuchteten an der Friedrichstraße für alle, die nichts verheimlichen wollten und einen anderen in der Nebenstraße, der, still und dunkel, Schleichende einladete, hier hineinzuschlüpfen.

Kam eine Familie herein, so konnte sie am großen runden Familientisch Platz nehmen – dicht vor dem riesigen Büffet, mit der Aussicht über all die üppigen Schönheiten, die fast alle kostümiert waren, als wären sie von einem Ball hier eingekehrt. Bloße, gepuderte Schultern. Helle und bunte seidene Kleider. Und einen Fächer in den Händen.

Der Fächer war hier ein wichtiges Instrument. Er diente als Luftverbesserer, Narrenpritsche, Unterhaltungsgegenstand – und war so eine Art von Aushängeschild ...

Wer an der schönen Alma vorüberging, ohne ihr zuzulächeln, bekam sicher einen Klaps mit dem geschlossenen Fächer. Sie saß vor einem Pfeiler, dicht vor einem mit Stores verhängten Fenster. Da stand zwischen zwei roten Plüschpolstern ein Marmortisch.

Der junge Mann, der da hineinkletterte, bekam den Fächer der Alma auf den Rücken. Er war beglückt und wendete sich ihr zu. Aber sie schnitt ihm ein schiefes Gesicht – mit solch jungen Koofmichs war kein Geschäft zu machen. Und aus Ärger, daß er einem älteren Herrn den Platz fortnahm, steckte ihm Alma ihre rote Zunge aus. Da sank der junge Mann verdutzt in die Polster ...

Drüben der Mann mit der kahlen Platte hatte mehr Glück. Da erhob sich hinten eine, die ihren dicken Körper in dem glitzernden Kostüm zwischen die Tische und Stühle hindurchschleifte, vorbei an dem plätschernden Springbrunnen. Sie steuerte auf einen Glatzkopf los.

siehe Bildunterschrift

W. Meyer-Lüben: Im Café National.
(Um 1900)

Der Alte war ganz beseligt, daß sie ihn erwählt – und nach einer Weile saßen um seinen Tisch drei, vier Mädchen.

Und die erste beschwerte sich, daß sie seit vorgestern keinen Sekt gehabt und heute noch keinen warmen Löffelstiel geschmeckt habe. Der Alte bedauerte sie; bald waren ihre Wünsche erfüllt.

Bei den andern aber gerieten die Fächer in nervöse Bewegung – dies Glück, das die dicke Helene immer hatte!

Wie die aber auch ihre beiden fast ganz nackten Brüste den Männern unter die Nase schob! – – –

* * *

 

Im östlichen Berlin um 1900

Mehrere Stufen hinauf. Eine altmodische Einrichtung. Ältere Mädchen mit verfallenen Gesichtern. Aufgedonnert. Grelle Blusen, Hüte mit giftigen, riesigen Blumen. Kleine Geschäftsleute, die ihren Skatabend hier beenden. Und um den einen Tisch eine angeheiterte Gesellschaft junger Männer: Kunstgewerbler, die den Einstand eines frischen Gesellen gefeiert haben, der gestern noch als Lehrling von ihnen gestoßen und geschlagen wurde, heute aber als Zahlender geehrt wird. Er darf neben dem Mädchen mit der rosa Bluse und dem roten Hut sitzen.

Er weiß nicht, wie er sich mit ihr unterhalten soll. Der Kaffeedunst und sein Getränk, das ihm das Mädchen eintrichtert, bringt ihn ein wenig zu sich.

Seine Kollegen lachen:

»Na, die wird ihm die Sache schon beibringen!«

Und sie ermahnen sie mit eindeutigen Witzen, den »Jungferich« auch ja recht liebevoll zu einem richtigen Mann zu machen.

»Der Kerl hat heute seinen Jesellen jemacht – und war noch bei keen Mächen!«

Sie lachen spöttisch und entrüstet.

Sie waren andere Kerls!

* * *

Saßen im Café Nazi mehr die älteren, gewichtigeren Jahrgänge zur Auswahl, so bewegen sich in den neueren Kaffeehäusern die jüngeren, schlankeren Nachtabenteuerinnen. Sie stellen den Geschmack der jüngeren Generation dar. Auch hier prägt sich die Moderne aus. Waren frühere Jahrzehnte üppigeren Gestalten hold – jetzt gilt die mädchenhafte Zartheit als Ziel der Sehnsucht.

Selten ist ein Kaffeehaus so gefüllt gewesen wie dies. Hier ist fast kein Tisch leer. Hier sitzen die jungen Dinger, die bis vor kurzer Zeit in Geschäften bedienten und nur ab und zu abends nach Halensee oder Südende fuhren.

Hier kommt auch der junge Mann mit dem dünnen Portemonnaie zur Geltung.

Allerdings – ältere Herren werden auch hier geschätzt.

So von der Kleinen, die ihr Haar blond gebeizt hat und eine mit schwarzem Flitter besetzte, eng anliegende Taille trägt. Ihr kleines Mäuschengesicht bekommt durch das spitze Kinn etwas widerlich Raffiniertes. Und es sieht sonderbar aus, wie sie unverdrossen ihre Freundin immer wieder an den Tisch heranholt.

Das ist ein stattliches, ebenmäßig gewachsenes Geschöpf mit einem feinen Gesicht. Bleich, mit großen schwarzen Augenringen. Sie steckt ganz in einem schillernden Kleid; ihr Leib biegt sich drin wie ein Schlangenkörper. Von dem hohen Hut fällt ein dicker, roter Schleier – über die Schultern bis zu den Hüften.

Sie sitzt stumm und wie fremd an dem Tisch mit den alten Herren. Ihre Freundin spricht um so lebhafter.

Plötzlich steht die Bleiche auf und geht wie eine Nachtwandlerin zu einem Tisch mit jungen Männern.

Ihre Freundin bemerkt das nicht gleich. Dann zerrt sie das Mädchen zurück an den Tisch mit den Alten.

Willenlos folgt sie.

Um bald nachher wieder wie eine Nachtwandlerin zu den jungen Männern hinzugehen – und sich wieder zurückzerren zu lassen zu den Alten. – – –

Zu einen einfach gekleideten Mann setzt sich ein Mädchen. Sie spricht vertraulich, kameradschaftlich mit ihm und kokettiert um so lebhafter und heftiger mit den vorbeigehenden Herren.

Und das scheint zu wirken.

Sie hat bald einen, mit dem sie hinausgeht ...

Am Ecktisch sitzt eine ganze Schar, schmausend, zufrieden. Sie sehen auf die andern, Einsamen herab. Vor sich oder neben sich haben sie ihre vollen Portemonnaies – sie haben ihr Geschäft schon gemacht ...

Im Polster dehnt sich ein hageres Mädchen – und erzählt, daß sie nie vor hellem Tage nach Hause gehe. Sie habe Angst vor dem Vater.

siehe Bildunterschrift

Max Beckmann: Im Kaffeehaus. (1916)

In allen Nacht-Kaffeehäusern wird jetzt musiziert. Dort kehrt in den Nachtstunden das aus den Kinos, Possentheatern und Lokalen der mittleren Stadt heimkehrende Kleinbürgertum ein, nicht immer ganz nüchtern.

Die Mädchen, die jetzt hier neben ihren Freunden sitzen, haben meist nicht mehr das Geschäftliche, sondern etwas Zwitterhaftes – halb Kleinbürgertum, halb Quartier latin. Einfache Kleider, höchstens mal einen auffallenden Hut – oder eine grelle Schleife – oder einen bunten Apachenschal. Sie sind viel heiterer, gewandter und gehören zu denen, die noch mehr der Illusion der Liebe als der Liebe fürs Geld huldigen.

* * *

Eins der elegantesten Kaffeehäuser. An einer Prachtstraße. Große glänzende Spiegel an den Wänden. Vergoldete Stucksäulen. Alles blendend – unecht – überschleiert. Wie die Menschen hier.

Sportsleute, Operettensänger, »Geldgeber«, Spieler.

Und an einem Marmortisch eine große blonde Dame. Ihre üppigen Reize sind schon ein wenig verblüht, fallen aber noch gewichtig genug auf. Am meisten durch ein raffiniert einfach gemachtes Kleid aus grellbunt geblümter Seide.

Und dann fällt ein sonderbar jugendlicher Schimmer auf sie durch das junge, zierliche Mädchen an ihrer Seite, das sie stets »mein Töchterchen« anredet.

Aber diese Tochter besitzt sie erst seit drei Tagen; da hat sie die stellenlose Erzieherin in der Kunstausstellung kennengelernt, sie mit in ein Weinlokal genommen – und ihr dann, als die Herren hinter ihr her waren, klargemacht was für ein Leben sie führen könnte – wenn sie wollte!

Und ob die wollte ... Sie gab ihre Jugend, ihre Zartheit ins Geschäft. Die Blonde ihre Geschäftskenntnis ...

Sie ließ sich einkleiden – und sitzt nun da wie ein braves Kindlein – gehorsam der Mutter ...

* * *

Ähnliche Szenen bietet fast jedes Berliner Kaffeehaus. Nur das eben einige besonders als Halbweltcafés bekannt sind. Wie das vor kurzem in ein Bierlokal verwandelte Café National, das wohl das erste seiner Art war. Ihm folgte das inzwischen eingegangene Café Keck, Ecke Charlotten- und Leipziger Straße, das durch seine üppigen Bilder und das viele nackte gemalte Fleisch bekannt war. In den letzten vierzig Jahren aber kamen zahlreiche neue Halbweltcafés hinzu. Das eben war das Entscheidende für die Existenz dieser Kaffeehäuser – mag man sich noch so sehr über sie erbosen: sie hoben den Ton, der sonst auf der Straße üblich war, um einiges. Die Mädchen mußten unterhalten. Und so hat sich in den letzten zwanzig Jahren in den Kaffeehäusern auch eine andere Mädchenart eingefunden. Nicht das ehemalige Dienstmädchen bildet die Mehrheit der Besucherinnen. Das junge, flotte Geschäftsmädchen, das unter den berlinischen Proletarierinnen so stark zugenommen hat, bevölkert jetzt auch die Nachtcafés. Und neben ihnen zahllose Kunstgewerblerinnen, Mannequins, Sekretärinnen und allerlei andere weibliche Personen, die sich meist selbständig ernähren, und die das Recht beanspruchen, auch selbständig über ihre Liebeserlebnisse zu entscheiden. Manche denken nur an reine Liebe – manche verbinden mit der Illusion der Liebe auch kleine Vorteile – und dann sitzt auch manchmal das Mädchen da, daß nur Vorteile erwartet. Es weiß sich auch in den nicht als Halbweltlokalen bekannten Cafés zu bewegen, sitzt z. B. im Josty zwischen Familien und wirbt nicht aufdringlich Kunden. Auch hat sich die junge Halbwelt einige Lokale geschaffen, in denen sie wie im Café Lang in der Friedrichstraße nicht direkt einkehrt, um sich feilzubieten, wohl Gelegenheiten mitnimmt, im übrigen aber kameradschaftlich verkehrt.

Daß die Gespräche in solchen Lokalen nicht auf den Ton einer Sonntagsnachmittagspredigt gestimmt sind, ist selbstverständlich. Wer das erwartet, der erwartet schließlich vom Wein auch keinen Rausch. –

Eine neue Art von Konditoreien und Kaffeehäusern hat sich vor allem im Westen gebildet, insbesondere in der Nähe vom Kurfürstendamm und am Kurfürstendamm. Sie sind halb künstlerisch-aufreizend, halb elegant-behaglich eingerichtet. Manchmal durch Säulen aufgeteilt. Indirekte Deckenbeleuchtung hebt die groteske farbige Dekoration und das mondäne Treiben. An kleinen gedeckten Tischen sitzen die Damen – mit Bubiköpfen oder unnatürlich blaßgoldenem Haar, das ein kalkfarbenes Gesicht umrahmt. Tief umränderte Augen – ein wie von genossenem Blut befleckter Mund stehen starr in der Maske. Aus hohen Silberkelchen wird Fruchteis gelöffelt – und durch die Musik, die aus irgendeiner Ecke kommt, hört man abgebrochene Worte:

»In Partenkirchen sahen Sie glänzend aus, Gnädigste!«

»Ach ja – Partenkirchen! Die herrliche Partnachklamm!«

»Und unsere schöne Hörnerschlittenfahrt! Sie hatten mir doch so viel versprochen.« –

»Wenn Sie morgen nachmittag kommen können – bin ich allein!«

Er möchte ihre Hand ergreifen – und tut es dann auch heimlich und drückt einen langen Kuß auf das Handgelenk, von dem der Handschuh zurückgeschlagen ist ...

Plötzlich sehen alle Mädchen und Frauen unwillkürlich nach der Treppe, die von dem unteren saalartigen Raum zur Galerie heraufführt. Sie wittern eine Gefahr. Irgendwas Drohendes kommt herauf. Ein großer Mann mit zwei einfach gekleideten Männern. Der Geschäftsführer kommt auf ihn zu – freundlich – lächelnd:

»Suchen Sie was?«

Der Mann bleibt stehen und blickt mit seinen scharfen Augen über die Tische: »Ach – blonder Bubikopf – ganz hell – Nacht Herrn bestohlen – fünfzehnhundert Mark – Brieftasche – hatte auf Kurfürstendamm Bekanntschaft der Dame gemacht – im Auto zu Weinlokal – sie plötzlich unwohl – er sie bis zur angeblichen Wohnung – nächsten Tag Wiedersehen – als er Auto zahlen will – Brieftasche futsch – ja, Dame vom Kurfürstendamm! – Mindestens die Hälfte, die hier sitzen, sind doch solche – – Na, da sind ja auch welche, die bei uns eingeschrieben sind.« –

Er geht durch die Tischreihen durch. Und sonderbar: Unzählige grüßen ihn vertraulich-lächelnd – auch viele, die er nicht kennt.

Er brummt vor sich hin: »Na – ihr wittert schon wieder! – tut, wie wenn ihr nichts verbrochen habt oder wie wenn ihr mich nicht fürchtet. Wenn ihr was anstellt, fasse ich euch doch.«

Sie aber lächeln ihm zu, und einzelne sprechen ihn auch an wie einen guten alten Freund. Ja, sie fragen, ob sie ihm nicht helfen können.

Als er die Treppe hinuntergeht, grüßen sie ihn mit liebevollen Blicken ...

Draußen im Vorgarten mischt sich der Duft der Damen, allerlei Riechwasser, mit dem Zigarettendampf der Herren und dem Auspuff der vielen Autos, die unablässig hier vorüberflitzen und ihren grellen Schein gegen das Grün der Straßenbäume und über die in den Korbmöbeln lässig Ruhenden gleiten lassen. Die Frauen und Mädchen sehen lächelnd oder gelangweilt auf die Spaziergänger, die auf dem Bürgersteig sich entlang schieben. Und sie hören sehr oft gern zu, wenn ein Herr vom Nebentisch ein Gespräch anfängt. Manchmal wird aus solchem Gespräch eine Verlobung und eine regelrechte Hochzeit. Wenn's doch ein netter Mensch ist? – Aber oft begnügt man sich auch mit kurzer Bekanntschaft ...

Hier kommt es auch vor, daß Mutter oder Schwestern ihren Sohn und Bruder treffen – in weiblicher Gesellschaft, die er ihnen nicht vorstellt und weswegen er seine Mutter oft nicht kennt und nicht grüßt. Seine Begleiterin ist meist eleganter und modischer gekleidet als seine Verwandten. Und es sieht aus, als sei er in jeder Beziehung bei ihr in der Schule, um den richtigen weltmännischen Schliff zu bekommen – sei es in der Kleidung, so daß er aussieht wie frisch aus dem Modeblatt – mit dem einknöpfigen Straßenanzug, den fest angekämmten Haaren und den zweifarbigen Schuhen – sei es im Betragen und in manchem andern, von dem man meist nur zu zweit spricht.

Jedenfalls ist er von ihr überzeugt. Und seine Blicke haften oft an den mit zartem Leder überspannten Füßen seiner Freundin, deren hoher Absatz einen geschwungenen Spann herausdrückt. Ihre übereinander geschlagenen Beine wippen übermütig und selbstbewußt. Sie hat die neuste Sensation auf den Füßen: Schlangenhaut mit Goldleder. Und all die vielen Füße in Rot, Weiß, Schwarz, Goldbrokat, einfarbig und gemischt – scheinen zu verblassen gegen diesen Triumph. Aber sie alle wippen und scharren und locken und ziehen die Blicke der Männer auf sich – und auf die schlanken und rundlichen Gestalten, die in Autodunst, Zigaretten- und Parfümhauch auf Wunder warten, die ihnen nicht unbekannt sind ...

Autos gleiten den glänzenden Asphalt entlang, in dem sich die Lichtreklame von Kinos und Kabaretts, Schlemmerstätten und Kaffeehäusern und das Scheinwerferlicht der Automobile, Straßenbahnen und Omnibusse spiegelt. Die Baumreihen an der Straße sind hell durchleuchtet. Das Blättergrün hat einen durchsichtigen, unnatürlichen Schimmer. Der Vollmond kommt nicht an gegen das viele durcheinanderhuschende grelle Licht. –

Auf dem Bürgersteig schieben sich die Menschen aneinander vorüber – blasse, wache Gesichter – überhaucht von all dem vielen Licht – mit großen Augen das Licht, die Trupps und Gruppen einsaugend – die Frauen die Männer und die Männer die Frauen.

Sie starren in die Vorgärten des Kaffeehauses hinein. Dort sitzen sie dichtgedrängt um orangefarben behängte Tische – alle jene, die keine natürliche Müdigkeit finden können. Ein bleicher Widerschein fällt von den grünen Ästen der Straßenbäume in ihre überwachen Augen und auf die Tische, auf denen Mokka, Eis, bunte Liköre, gemischte giftige Drinks stehen.

Am meisten wird jene Blasse mit der scharfen Nase und dem spitzen Kinn angestarrt. Sie sitzt in ihrem weißen, buntgemalten Wollkostüm mit zusammengezogenem Mund zwischen den beiden Ausländern. Die Schwarzhaarigen und Schwarzäugigen sprechen in ihrer exotischen Sprache zueinander:

»Die Mutter wohnte in dem großen Hause. Reinigte die Treppen. Addi ging nur spazieren. Hatte Seidenstrümpfe, Lackschuhe, Pelz. War noch klein. Mutter verkaufte sie an Herren. Nahm ich sie, kaufte Wohnung, Klavier, Betten, Kleidung, Schmuck – oh! – « Er lacht in sich hinein.

»Darum bleibst du so viele Jahre hier?« fragt der andere.

Er grinst nur.

»Sie ist so kalt«, sagt der andere.

Er grinst noch mehr: »Sie ist heißer als unsere Frauen. Ich habe sie erzogen – «

Die Blasse hält ihre feine schlanke Hand mit den polierten Nägeln hin und sagt heißhungrig und gebieterisch:

»Ko ...«

siehe Bildunterschrift

W. Trier: Im Konzertkaffee.

Der Ausländer sucht rasch und ergeben in seinen Taschen, schüttet ihr aus einem goldenen Döschen weißes Pulver auf den roten Fingernagel, das sie hastig in die Nase zieht – und grinst dann wieder. –

Am Nebentisch sitzt ein Pärchen, frisch verheiratet. Sie in blondem Bubikopf sagt zu ihm: »Heute ist's gerade ein Jahr, daß wir uns hier kennenlernten. Dir war's wirklich nicht anzusehen, daß du nur ein Bankangestellter warst. In deinem eleganten Anzug hielt ich dich mindestens für einen Gesandtschaftsattaché. – «

»Nun – ist mein Kuckuck unzufrieden mit mir?« fragt der Gatte und sieht ihr vieldeutig in die Augen.

Sie erwidert seinen Blick und fährt lüstern mit ihrer spitzen Zunge über ihre heißen Lippen. – »Komm, wir wollen nach Hause fahren. In unserm Häuschen ist's doch am schönsten.«

Vom Nebentisch sehen ihnen vier Augenpaare nach. Sie brennen in bleichen Gesichtern, die unter tief in die Stirn gezogenen Hüten hervorlugen. Die tief geschlitzten Augen und die breitgeschwungenen Backen deuten auf slawische Herkunft. Sie sprechen lebhaft in ihrer östlichen Heimatsprache. Ihre Blicke folgen dem Pärchen sehnsüchtig bis zu dem kleinen Auto, in das die beiden hineinsteigen und zurückfahren in das Heim, das ihr Vater einrichtete, weil sie von dem Bankangestellten nicht lassen konnte. –

Bald stehen auch sie auf und gehen unter dem grünlich widerscheinenden Blätterschirm der Straßenbäume zwischen den Gruppen entlang – mit großen Augen das Licht und die Menschen einsaugend. Eine von ihnen weiß, daß ihr ein Herr aus dem Kaffeehaus folgt. Sie bleibt zurück und antwortet ihm lächelnd. Sie fühlt – er saugt sie ein mit seinen Blicken.

* * *

In den zahlreichen großen Konzertcafés, die überall in der Stadt an den großen Verkehrsecken liegen, treffen sich Familien und Gruppen von Bekannten – und in einigen Winkeln oder auch nur an den Wänden sitzt sie wohl, die junge Angestellte und wartet auf ihn! Oft ist es wohl nur ein älterer oder jüngerer Kollege. Wenn er aber nicht kommt, wird's auch manchmal einem andern Herrn gestattet, Platz zu nehmen, um das Fräulein nächstens wieder zu seh'n. –

Nicht immer sitzt sie allein. In einem großen Kaffeehaus am Potsdamer Platz, das wegen seiner großen vollbesetzten Kapelle, seinem üppigen Licht und der reichen Ausstattung mit Marmor, Bronze und Glas bekannt ist, sitzen oft ganze Trupps sonntäglich gekleideter Mädchen fröhlich beisammen. Sie gehen nicht mehr, wie vor dreißig Jahren, unter Aufsicht der Mutter ins Konzertlokal. Sie sticken und häkeln auch nicht. Sie sind nur fröhlich und blicken nicht böse, wenn Herren dreist und vielsagend herübersehen – und vielleicht auch schließlich nach kleinem Wortgeplänkel herüberkommen. –

Vor diesem Kaffeehaus hat sich auch ein sonderbares Treiben entwickelt. Vom frühen Nachmittag an bis in die späte Nacht hinein ist vor den hell erleuchteten großen Glasfenstern und um den dort ständig Fahrgäste einziehenden und ausspeienden Untergrundbahnhof eine ständig in Bewegung befindliche Masse von jüngeren Menschen zu finden. Mädchen, die einzeln oder paarweise warten – und die sich von keinem Fremden ansprechen lassen, die aber ungeniert jeden prüfenden Blick erwidern. Mädchen, die nur hin- und herschlendern, als suchten sie jemand, der sie einlade zu einer Tasse Kaffee in das glänzende Lokal, aus dem die lärmende Musik lebensfroh lockt. Mädchen, die vielleicht gar nicht erst eingeladen werden wollen, sondern die unter den vielen hier wartenden und Unterhaltung suchenden Männern nur einen Begleiter in irgendein verschwiegenes Liebesnest suchen. Das sind jedoch nur wenige, die mit anbietenden Blicken herumlaufen; die meisten Mädchen warten hier auf einen, den sie schon kennen – oder doch auf einen, mit dem sie eine regelrechte, gediegene Bekanntschaft schließen können. Es ist das Spiel der Dorfschönen am Brunnen, das sich hier auf großstädtische Manier entwickelt. Die Sehnsucht nach Liebe kann auch unter elektrischen Monden, zwischen dem Hasten und Jagen zu den Bahnen, Elektrischen, Autobussen und Autodroschken einen Ruhepunkt finden, an dem sie sucht und findet. –

Es ist ein Massen-Stelldichein von verwirrendem Durcheinander. Früher war die Normaluhr – am Spittelmarkt, Potsdamer Platz, Alexanderplatz – der beliebteste Ort der Stelldicheins. Aber meist trafen sich dort nur einzelne Paare. Jetzt hat sich das Stelldichein vervielfacht. Und keine braucht mehr zu seufzen: »Bestellt und nicht abgeholt.« Wenn sie will, findet sie hier sofort Ersatz. –

* * *

Die Entwicklung, die von den stillen Berliner Konditoreien zu den lauten Kaffeehäusern Wiener Ursprungs und zu den neuen eleganten und komfortablen Berliner Konditoreien gegangen ist, geht unaufhaltsam weiter. Das Kaffeehausleben war raschlebiger und teurer als das der alten Konditoreien. Es ist aber demokratisiert worden. Und so war die Möglichkeit gegeben, für die Wohlbegüterten neue Lokale zu schaffen, in denen sie nicht mit den unteren Klassen zusammenkamen, wie in den Kaffeehäusern. Doch ist die Verbreitung der Kaffeehäuser mit der Entstehung der Bars und Kasinos nicht abgeschnitten. Sie werden sich vielleicht nicht entwickeln, aber vermehren.


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