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Dies Kapitel wird mitillustriert durch die Abbildungen von Seite 299 bis 320.
Am frühen Nachmittag in einer westlichen Diele. Süßlicher Zigarettenduft – Mokka – Likör. Zwischen den wenig besetzten Tischen eine dichtgedrängte Runde von Liebeshändlerinnen. Sie treffen sich hier täglich, ehe sie ihre Berufswege beginnen. Allerlei Erfahrungen tauschen sie aus:
»Wenn ein Mann so was von mir verlangt – dann verzichte ich auf ihn.«
»Wieso? Viele Männer kommen doch bloß zu uns, weil sie das zu Hause nicht haben – dafür zahlen sie ja auch mehr!«
»Wir werden uns doch die besten Einnahmen nicht entgehen lassen!«
Sie flüstern mit zusammengeneigten Köpfen. Die eine holt aus ihrer Tasche Bilder hervor und zeigt sie herum. Manche lachen – andere aber sehen sie voll Gier an. Worte wie ›sadistisch‹, ›masochistisch‹ fallen. »Käfig – Stiefelfreier – Zaum – Kette – Rute – Kreuz – schlagen – hochziehen – Stiefel küssen – auf dem Pferd reiten – mit Absätzen treten – Stachelkissen ... Gräfin Strachwitz – Ach, neulich erst, am Enkeplatz einen ganzen Waagen voll. Wer? Die Kriminalpolizei! Alle Jahr und noch öfter finden sie solche Einrichtung« ...
»Wenn du solche Photographieen zeigen kannst – kannste fast alle Herren herumkriegen und machst die besten Geschäfte.«
»Infam!« sagt eine kleine Blonde, »ihr gewöhnt doch den Männern allerlei an! Ihr verderbt sie doch erst!«
»Was – du willst hier den Moralischen spielen? Wir müssen doch sehen, wie wir zu Geld kommen! Bei dir fallen die Männer schon auf dein Haar!«
Die Blonde lehnte sich zufrieden lachend zurück und faßte unwillkürlich mit der Rechten nach ihren hellen Locken, als wolle sie sie schützen.
Dann reichten die Mädchen Zeitungen herum und lasen sich Inserate vor, in denen Herren Bekanntschaft mit Damen suchen, die sich für die Werke Sacher-Masochs interessieren oder die, von strengem, herrischem Wesen, Männer mit schwachem Charakter heiraten würden. Zahlreiche ähnlich lautende Inserate wurden vorgelesen und schließlich auch ein Brief, den eine der Liebeshändlerinnen von einem Herrn erhalten hatte, in dem er sich als ein 34 Jahre alter ungezogener Junge bekannte, der eine strenge Erzieherin brauche. In einem zweiten Brief deutete er an, daß er mit Schlägen empfangen werden möchte und auch sonst allerlei Peinigungen erwarte.
Die Erzählerin erklärte, wie sie ihn in ein Institut bestellt habe, das eine Dame unterhalte, die mehrere Jahre im Auslande gelebt habe, jahrelang Vorsteherin wissenschaftlicher Bibliotheken und bei berühmten Ärzten tätig gewesen sei. Auf der Straße sähe sie aus wie eine vornehme Dame. Aber daheim hätte sie in ihrer herrschaftlichen Wohnung eine ganze Sammlung von interessanten Werkzeugen – und auch immer viel Besuch.
Die Liebeshändlerinnen flüsterten wieder miteinander. Eine Dame in einem schlichten aber sehr eleganten Schneiderkleid war hereingekommen. Sie setzte sich in die Nähe der Liebeshändlerinnen, bestellte einen Likör und Zigaretten – und erhob sich dann plötzlich und ging an die Runde heran:
»Tag, Kinder! Ist euch doch recht, wenn ich mich zu euch setze?«
Die andern lächelten. Sie kannten die Dame schon. Sie bot Zigaretten an aus ihrem goldenen Etui. Bald würde sie eine Lage für alle bestellen – und irgend eine von ihnen anhimmeln mit Liebesgedichten von Chamisso, Uhland oder Dehmel.
* * *
In der kleinen Diele waren fast alle Tische besetzt. Meist mit übernächtigten, erregten Mädchen. Nur wenige Männer saßen dazwischen und sahen erstaunt um sich. In einer Ecke waren auf einem weinroten Plüschsofa zwei der Mädchen zusammengerückt. Die eine rundlich, mit hellgefärbtem Haar in seidener, spitzenbesetzter Bluse. Die andere mager wie ein Junge, mit einem Tituskopf, schlecht, fast schäbig gekleidet. Die Helle war wie aufgelöst und streichelte ihre Nachbarin, als sei es ihr Liebster.
Da kam eine Dritte herein. In einen kostbaren Pelz gehüllt, Pelzschuhe an den in seidenen Strümpfen steckenden Füßen und einen mit Reihern bekränzten kleinen Hut auf dem Kopf. Den Pelzmantel warf sie auf einen Stuhl und stand in goldig glänzendem Ballkleid da, durch dessen aus durchsichtigen Spitzen bestehendem Oberteil ihre weißen Schultern und ihr Nacken hindurchleuchteten. Als sie den Tituskopf sah, erstarb ihr Lächeln, mit dem sie einen der Männer gelockt hatte.
In ihre Augen kam ein sonderbares Flackern.
Sie trat auf den Tituskopf zu und bat: »Komm, setz dich zu mir!« Die Helle aber hielt das hagere Mädchen fest – mit beiden Händen: »Nein – nein. Mein Junge bleibt bei mir!«
Die Beiden zankten sich um den Tituskopf, einigten sich aber schließlich, zu Dritt zusammenzubleiben. Die in Gold gekleidete erzählte, daß sie in einem Kasino getanzt hätte. Unterdessen goß sie der Hellen Kognak in ihren Punsch. Da wurde die schläfrig, legte die Arme auf den weißgedeckten Tisch – den zerzausten Kopf auf die Arme – und schlief ein.
Sie merkte es nicht, wie die andern beiden zusammen fortgingen und draußen, im bläulichen Zwielicht der Dämmerung, in ein Auto stiegen ...
Zwischen den Tischen der von großen gelben und roten, grünen und blauen japanischen Lampen erleuchteten und mit japanischen Holzschnitzereien geschmückten Diele sprang und sang ein Mädchen, deren Augen von Alkohol und anderen Narkotiken glühten. Sie griff nach einem zierlichen Mann, mit dem sie kameradschaftlich scherzte.
Frauen mit männlich tiefer Stimme und harten Zügen riefen ihr aufmunternd zu. Eine Dame, die mit brauner Aktenmappe herein kam, sah ihr verliebt nach – tanzte dann auch hinschmelzend mit ihr, während der junge Mann sich zu einer Männergruppe setzte. Aber plötzlich ließ das Mädchen die Dame stehen, zog sich ihre Pelzjacke an, ging zum Schanktisch und flüsterte dort mit einem Herrn. Er stand schon seit Stunden im Sportpelz dort, hatte ab und zu mit andern Männern gewürfelt, aber meist mit Mädchen geflüstert. Jetzt öffnete er seinen Pelz und hielt ihn vor, so daß niemand sehen konnte, was er dem Mädchen, das auch ihre geöffnete Pelzjacke vorgehalten, in die Hand drückte. Sie kam froh nach vorn gesprungen, zeigte eine kleine braune Schachtel, öffnete sie und nahm weißes Pulver, das sie wollüstig in die Nase saugte:
»Ach – es geht nichts über Schnupfen!«
»Gib mir auch Koks!« flehte eine, die vorn am Fenster saß.
Die Kleine reichte ihr die Schachtel – dann tanzte sie wieder und lief von einem Tisch zum andern, mit ihren großen, glasigen Augen in das bunte Licht starrend, bald einem Mann in die Arme sinkend und mit ihm tanzend, bald mit einem der Mädchen eng umschlungen zum Takt der Musik zwischen den Tischen dahinschreitend – lachend, schwätzend, singend, trällernd – und immer wieder aus dem
Schächtelchen weißes Pulver schnupfend – und immer wilder und verlangender diesen oder jenen Tänzer herausfordernd und ihren hageren Körper an ihn drückend. – –
In kostbarem grauen Pelz, einen schwarzen Brokathut auf blondem Bubihaar, einen leuchtenden Rosenstrauß im Arm, war sie in diese Diele – in einer dunklen Nebenstraße im Westen – hereingekommen – eingeladen von der Motte H.; Motte H. saß schon an einem Tisch, auf dem ein Sektkühler stand. Motte hatte schon fast eine Flasche ausgetrunken. Sie saß da in ihrem pelzgefütterten Mantel, das kleine, gedunsene aber intelligente Gesicht von dem dunkelgrauen Pelzhut umrandet. Ihre traurigen Augen leuchteten auf, als sie Bini erblickten.
»Endlich!« sagte sie und zog Bini auf den Stuhl neben sich. Sie, die vorher mit all den an den Wandtischchen sitzenden jungen Leuten geplaudert hatte, sah nun nur noch ihre Freundin: »Ach, ich warte schon so lange auf dich!«
»Ich denke, du hattest heute nachmittag so viel Betrieb?« fragte Bini und legte die Rosen auf den Tisch.
»Schrecklich! Soviel Herren klingelten an! Ich hatte nicht genug Mädchen da. Schließlich mußte ich überall herum klingeln und mir die Gewünschten ausborgen. Der eine wollte eine zierliche Schwarze – und der andere eine Russin – der dritte eine recht fesche Wienerin – es war heute zum Verrücktwerden!«
»Wenn's nur was eingebracht hat!« sagte Bini und lächelte ihre Motte an. Ihr Mund, der sonst so zierlich in dem schmalen Gesichtchen stand, verzog sich und ließ ein breites scharfes Gebiß sehen. Sie trank hastig den ihr eingeschenkten Sekt – und suchte dann die Umgebung ab. Nur Männer. Ältere mit jüngeren. Drüben einer mit schwarzer Hornbrille, eleganter Gelehrter? Nein, ein Ausländer mit einem jünglinghaften Begleiter. Als Frauen verkleidete Jünglinge – ältere bärtige Männer neben glattrasierten. Das ganze Lokal so zierlich, ein wenig mädchenhaft eingerichtet. Aber jetzt kamen mehrere Männer herein, die gar nichts Weibisches an sich hatten. Der Geschäftsführer ging rasch zu ihnen und begrüßte sie höflich: Kriminalbeamte!
»Suchen Sie wen?«
»Ach – nur einen blonden Bubikopf. Ein Mädchen: Nennt sich Ingeborg von Harden. Ist auch so eingetragen auf dem Alexanderplatz. Ist aber eine geborene Mierisch, die auch schon unter Mierisch eingetragen war. Hat wieder mal einen Herrn mit Kokainschnupfen eingeschläfert und ihn in einem Auto ausgeplündert. Ihre Spezialität. Ist sie das da nicht?« fragte er, auf Bini zeigend.
Bini stand auf und reichte ihm die Hand: »Nein ich bin Bini! Und Sie sind doch ein guter Mann! – Was wollen Sie eigentlich von mir« sagte sie und sah ihm schmeichlerisch in die Augen. »Was soll ich auf dem Alexanderplatz?«
»Werden Sie schon wissen. Seien Sie vernünftig und kommen Sie. Sonst müssen wir Sie holen!«
»Sie sind doch falsch!« sagte sie und stieß seine so lange zärtlich fest umschlossene Hand zurück.
Er neckte sie und fragte, wo sie den Hund habe, mit dem sie nach Partenkirchen gefahren?
»Verkauft! Die Hotels waren so teuer. Jeschke und der Alpenhof – aber herrlich – Nur die Kavaliere so knausrig!«
»Und Gembasad? Der kleine Armenier? Vielleicht waren darum die Kavaliere knausrig, weil Sie den Studenten bei sich hatten?«
»Ach, den hatte ich doch in einem andern Hotel einquartiert!«
»Was macht er jetzt?«
»Weiß nicht – Motte H. interessiert sich jetzt für mich.«
»Ach – die alte Spielerin! – Da ist sie ja! Was hat die schon verspielt!«
»Sie hat aber jetzt ein schönes Geschäft. Nachmittagsbetrieb.«
Sie lachte und setzte sich zu ihrer Freundin, die seelig und trunken mit verschwommenen Äuglein ihre Gestalt umfaßte. Der Beamte beugte sich zu Bini hinab und fragte:
»Was macht Rader?«
»Ich bekomme von ihm einen schönen Zobelpelz!«
»Ist der denn schon bezahlt?« Er zupfte an ihrem Mantel.
»Wozu ist denn solch Mann da?«
Der Beamte schüttelte den Kopf. Sie lachte nur.
An einem andern Tisch eine rotblonde, schlanke Siebzehnjährige mit scharfem Knabengesicht, aus dem ein herzförmig geschminkter Mund grellrot flammt. Sie lacht einen jungen Mann – irgend einen Maler, Dichter oder Techniker ins Gesicht;
»Liebe, gibts so etwas?«
Sie bläst den Zigarettenrauch durch die Nase und erzählt, daß sie mit dem Generaldirektor in Ostende war. »Aber die andern waren viel aufmerksamer. Er wollte nur immer baden. Die Amerikaner aber sind mit mir nach Brüssel gefahren und haben mir die Perlenkette geschenkt – und den Pelz hier. – Du, ich weiß garnicht, wie er heißt. Aber es ist die neueste Mode. Und als ich zurückkam nach Ostende, war mein Direktor fort. Na, da hat mich dann ein reizender reicher Spanier mitgenommen nach Berlin. Der hat mich behütet wie sein Kind. Aber er hatte nur 2 Tage Zeit für Berlin. Und was soll ich in Granada? ... Schließlich hat der Generaldirektor bei meiner Wirtin angefragt – und hat mir auch solchen Pelz geschickt. Der dumme Kerl! Er brauchte doch nicht so-o-o eifersüchtig sein! Wir hätten doch noch in Ostende schöne Tage verleben können. Na du – was machst du denn für ein Gesicht? Bist du auch eifersüchtig?«
Sie streichelte ihm freundschaftlich die Hand.
* * *
Nur Frauen und Mädchen saßen in der Diele und Konditorei. Sie waren alle sehr liebenswürdig miteinander. Jene, die in Jackenkostümen ihre andere Art betonten, bedienten die hereinkommenden Mädchen wie Kavaliere, nahmen ihnen den Mantel ab und bestellten Getränke. An einem Tisch erzählte eine von ihnen schwärmerisch:
»Ach – ein wunderbares Lokal! Zwar ganz einfach – auf dem Hof – ein paar Stufen hinunter. Draußen hört man schon Musik und das Juchzen von Fröhlichen. Dann ein Vorraum mit Garderobe und Ausschank und Tischen. Herren zahlen drei Mark. Die könnens – für die Neugierde. Wir brauchen bloß fünfzig Pfennig zahlen. Dann ein paar Stufen. Und im hellen Saal tanzen sie alle die vielen Freundinnen. Es ist wie ein Traum – wie ein Blocksbergtanz im Großstadtwinkel. »Vater und Sie.« Die Vaters alle im Bubikopf. Ach, wie zärtlich haben sie ihre Freundin umfangen! Viele haben ja Jackenkleider auf Herrenart. Aber alle tragen hübsche Tanzschuh – und Seidenstrümpfe – und Ringe und Schleifen. Sind doch alles Weibchen mit Eitelkeiten. Und die andern haben sich manchmal angezogen wie zum Ball. Süß war eine in buntgestreiftem Wickelkleid. Schlank und doch weich. Einen prachtvollen Dutt hinten am glattfrisierten Kopf. Und so schlanke, volle Arme! An den Wänden saßen auch Zuschauer. Herren und Damen. Die störten uns nicht. Wir tanzten unsere Gesellschaftstirolienne, wo jede den ganzen Kreis durchtanzen muß. Es ist ja sehr schön, mal mit der ganzen Gesellschaft bekannt zu werden. Aber ich war doch froh, als ich wieder bei meiner Mia angelangt war. Und dann die Kognakpolonaise und der Wäschewalzer! – sie flüsterte leise allerlei Andeutungen – »Hinlegen – Glas austrinken –« dann sprach sie von den Besucherinnen. Die eine wäre die Schwester von dem berühmten Einbrecher K,. die andere die Frau eines bekannten Gastwirts, der sie immer zum Schluß abhole. Dann die elegante, prachtvoll leuchtend geschminkte geschiedene Frau eines höheren Beamten, die erst nach dem ersten Besuch des Tanzklubs von ihrem Mann fortgelaufen sei. Dann kämen auch allerlei aus der Friedrichstraße. Alles Mitglieder vom Klub, der zweimal in der Woche in diesem bunt mit Papiergewinde geschmückten Saal seinen Tanz veranstalte – unter dem Vorsitz einer würdevollen Dame, die oft durch die Reihen der Tanzenden hindurchgeht – beglückt über all die viele Freundschaft und Zärtlichkeit – über das Glück, das die vielen tanzenden Paare bei der aufreizenden Musik genießen. –»Wenn's auch nur eine Scheune ist, deren Balken mit buntem Papier verhüllt sind – wir sind da seliger als andere im Marmorsaal ...« Und sie schwelgte mit geschlossenen Augen in der Erinnerung an die sinnverwirrenden, berauschenden Tanzabende in der dunklen Straße. Aber während sie noch vor sich hinträumte, wachte ihre bis dahin im Kokainnachrausch schlafende Nachbarin auf und stöhnte: »Mein Mann, meine Kinder ...«