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Freibäder und Meetings

siehe Bildunterschrift

Max Beckmann: Freibad. (1920)

Gewimmel nackter Gestalten, flimmernder Sand, Sonnenbrand, Lärm, aufspritzendes Wasser – so stellt sich heute das Freibad dar. Wie kam es zu dieser verallgemeinerten Nacktkultur, an der sich heute fast alle Bevölkerungsschichten beteiligen? Berlin hatte seit hundert Jahren Flußbadeanstalten, in denen sich im Sommer schwimmlustige Jugend tummelte. In den ersten Jahrzehnten wurden die Badeanstalten nur vom männlichen Geschlecht besucht. Aber bald wollten die Frauen ihnen nicht nachstehen. So wurden denn getrennte Badeanstalten für männliche und weibliche Besucher eingeführt. Jedes Geschlecht bekam seine bestimmten Stunden zum Baden. Manche Anstalten bauten auch für die weibliche Jugend eine besondere Abteilung an. Nun konnten beide Geschlechter zu gleicher Zeit baden und sich draußen im Wasser begrüßen, sich bespritzen, einander untertauchen und auch unterm Wasser überraschen. –

Diese Spiele wurden aber nur von den Wenigen gespielt, die damals die offenen Badeanstalten besuchten. An den andern Stellen war ja das Baden verboten.

Aber plötzlich, etwa um 1907, wurden die Badespiele hinausgetragen an fast alle Ufer der Havel und der Spree und der vielen umgrünten Seen in der Umgebung von Berlin. Die Sommerausflügler, die sich ja immer in Scharen in den Uferschatten gelagert hatten, empfanden das unüberwindliche Bedürfnis, sich zu entkleiden und in einem kühlen Bad sich zu erfrischen. Man hatte es satt, immer nur in fester Kleidung im Freien herumzulaufen. Auch hatten die zahlreichen Naturheilvereine mit ihren Sonnenbädern einer freieren Anschauung über den unbekleideten Körper vorgearbeitet. Nicht nur Männer und Knaben sprangen, meist nur mit einem kleinen Schurz bedeckt, in der Sonne und im Wasser herum. Ihre weiblichen Angehörigen – und auch nicht ganz Angehörige – nestelten sich unbedenklich in der nächsten Nachbarschaft der Männer Blusen von Schulter und Busen und ihre Röcke und alles sonstige vom Leibe und zogen geschickt ein Badetrikot über, ehe die letzte Hülle fiel. »Nicht hersehen!« riefen sie dabei – und wußten wohl, daß oft heimliche Blicke ihre kleinen Geheimnisse streiften. –

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H. Zille: Sonntagnachmittag im Sonnenbad.

Erst wurde nur an einigen bestimmten Uferstellen dies Spiel getrieben. Am Wannsee bei Beelitzhof, am Müggelsee und an der Dahme. Was erst einige Hunderte oder Tausende erfreute, sprach sich schnell herum. Bald kamen Zehntausende. Große Zelte wurden gebaut. Frauen und Männer konnten getrennt baden und sich auf den abgesteckten Ufern sonnen. Aber nur wenige zogen sich zurück. »Das Familienbad« nahm sie alle auf, die gern Licht, Luft und Wasserfläche genießen wollten – und auch alle, die dabei gern sich mit recht vielen ihres und des andern Geschlechts herumtummeln.

Bald genügten die offiziellen Freibäder nicht mehr. Fast alle Ufer um Berlin herum sind an schönen Sommernachmittagen, besonders aber Sonntags, mit unzähligen Badeidyllen geschmückt. Familien und solche, die es werden wollen, hausen zwischen Busch und Kieferstämmen, hinter Schilf und Röhricht – oft in seltsamen Bekleidungen und Entkleidungen. Und viele Gruppen von jungen Männern erfreuen die ihnen bekannten und unbekannten jungen Mädchen und Frauen mit den üblichen Wasserspielen: dem Bespritzen, dem gemeinsamen Ringelreihen, dem mit freudigem Gekreisch aufgenommenen Unterwasser-Angriff – und dem beliebtesten »Schwimmenlernen«. Das ist natürlich eine ganz ernstgemeinte Angelegenheit. Aber die kleine holde Nixe im dünnen Badeanzug muß dabei fest um den weichen Leib gefaßt werden. Und mit welcher Leidenschaft sie fast alle »Schwimmenlernen« und sich mit Brust und Leib auf die Arme ihres standhaften Lehrers legen. – Andere wieder klettern ihrem Freund auf die Schultern – einem Freund, den sie eben im Wasser gewonnen.

Am Ufer wird das Spiel fortgesetzt. Gruppen und Trupps bilden sich, die viele Stunden lang miteinander singen und spielen – die auch manchmal Scherze machen, die nicht für verfeinerte Ohren bestimmt sind ...

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H. Zille: Im Familienbad.
»Is det deine Kleene, Otti?«
»Nee, Erna, jepumpt is mein Joldkind – ins Bad bin ick jerne Witwe!«

Sonnenbrand – Sandflimmern – Gelächter – Jauchzen – Kichern – Locken – dichtes Wimmeln geröteter Gestalten – Zehntausende jeden Geschlechts, jeden Alters – das sind die großen Freibäder. Eine oft bewußte, oft nicht bewußte Atmosphäre offener Erotik flimmert über sie dahin. Und wenn sich nicht manche Mädchen schon vorher mit einem Freund verabredet haben – dann tun sie es im Wasser oder am Ufer – oder spätestens am Ausgang. – Einzelne Mädchentrupps aber ziehen auch singend davon, ohne nach männlicher Begleitung Ausschau zu halten. Und oben im Walde sitzt ein Pärchen auf einem gefällten Baumstamm zärtlich Schulter an Schulter – und sieht stumm zu, wie die Sonne in einem glühenden Farbenrausch jenseits des Wassers hinterm Walde versinkt. –

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Ihr Punchingball.

Neben diesen Freibädern gibt es auch zahlreiche andere Badeanstalten, in denen neben lustigen wagemutigen und spiellustigen Mädchen die jungen Frauen und Töchter aus den Villenorten der Nachbarschaft sich tummeln –

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(Lustige Blätter) K. O.
»Dir wer' ick helfen mein' Oskar an'n Bart kitzeln!«

oft nicht weniger zu Spielen und Scherzen und Überraschungen aufgelegt. Nur lassen sie sich nicht so offensichtlich nachher am Ausgang ansprechen wie die andern Mädchen, – die nur zu oft ihn erwarten, ihn, den sie eben erst beim Spiel im Wasser kennen gelernt haben – und den sie liebevoll und hingebend anlächeln, wenn er aus der Badeanstalt kommt.

Dies Freibadwesen ist ein Teil der immer mehr das Leben Berlins durchsetzenden Nacktkultur – der Nacktkultur, die sich auch in den Nackttänzen, in den Theatervorstellungen – und auch in der Mode ausprägt. Einigen Gruppen ist es noch nicht konsequent genug. Sie haben Nacktkulturvereine gegründet, haben Wald und Wasser gepachtet und bewegen sich in freier Natur in ihrer ganzen Natürlichkeit. –

Gerade diese Freibadbewegung, die in ihrer Unwiderstehlichkeit fast die ganze Bevölkerung erfaßt hat, ist ein Beweis, wie stark die Einwohnerschaft Berlins erotisiert worden ist.

Die mächtige Sportbewegung, die seit mehreren Jahrzehnten Berlin mitreißt, ist selbstverständlich auch nicht ohne Zusammenhang mit dem galanten Leben geblieben.

Der grüne Rasen schon war der Ort, an dem viele Turfromane begannen. Die Helden des Zements, die in Fliegerrennen siegten oder hinter knatternden Motoren ihre Knochen daransetzten, wurden nicht selten auch die Abgötter der Berlinerinnen und Matadore in Liebesschlachten, und sie halfen der Poesie des Radfahrens mit ihren Reisen in die grüne Waldeinsamkeit bestimmt gehörig nach.

Die Ruderei, welche den jungen Bürger und bald auch die Mädchen aus den dumpfen Kontoren und Fabriken auf die großen Berliner Gewässer führte, waren es vor allem, die sportlich das junge Berlin beiderlei Geschlechts in einer frischen und frohen Weise sonntäglich zusammenbrachte und mit einem ungebundenen Biwakleben in einer Weise von den bis dahin gestatteten Beziehungsformen emanzipierte, wie sie wohl nur im freien Amerika bisher üblich gewesen war.

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(Lustige Blätter 1922)
Lutz Ehrenberger: Im Sportpalast.
»Sieh da, gnädige Frau, auch hier? Ich wußte ja gar nicht, daß Sie für den Boxsport schwärmen.«
»Ach Gott, wissen Sie, man sieht doch mal gerne alle unsere Schauspielerinnen in der Nähe!«

Auch der Sport hat durch diese freie und unbefangene Annäherung junger Menschen das Niveau der Galanterie bestimmt gehoben, wenn auch in den Niederungen immer wieder Ausschreitungen vorkommen werden.

Die stärkste Erhitzung aber hat dem galanten Berlin wohl die aufpeitschende Atmosphäre der Sechstagerennen und der Boxkämpfe gegeben, bei denen sich Tausende in fiebernder Erregung zusammenfinden – eine sehr gemischte Menge von Sportsmenschen, Gesellschaft, Halbwelt und erotisch-hysterischen Typen, die durch den Rekordkampf männlicher Autoritäten sich in einen Siedezustand bringen lassen, in dem die galanten Instinkte, die grade bei solchen Gelegenheiten nicht zu Hause gelassen werden, in die Gefahr der Verrohung und Perversion zu geraten drohen.

Das ist die Kehrseite dieser Meetings, die aber auch so lange in den Weltstadtsiedlungen sich zeigen wird, bis die sportliche Erziehung und physiologische Gesundung tatsächlich alle Schichten so durchdrungen haben wird, daß auch in der Äußerung der natürlichen erotischen Instinkte eine völlige Erneuerung sich durchgesetzt hat.

siehe Bildunterschrift

(Lustige Blätter)
Tausend Meter.
Drei Meisterinnen im Laufen, sehr hübsch und stramm,
Trainierten im Stadion für den Kurfürstendamm.


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