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Das Verhältnis

siehe Bildunterschrift

Rolf Niczki: Full dress.
»Ach lassen Sie den Baron nur eintreten. Ich habe ja die Maske schon an!« (1911)

Es war in den achtziger Jahren, da man davon zu sprechen anhob, daß »sie« »sein Verhältnis« sei oder daß »die ein Verhältnis miteinander haben«. Es hatte schon früher »Verhältnisse« gegeben. Jetzt wurde das Wort ein technischer Ausdruck.

Die jungen Männer, ganz gleich, ob Studenten, Kaufleute, Leutnants oder junge Angestellte, hatten meist eine Freundin, mit der sie Ausflüge in die ländliche Umgegend, auf dem Fahrrad oder zu Fuß, Sportpartien oder Theaterbesuche unternahmen und gemeinsam Kaffeehäuser und Bierlokale besuchten. Diese Verhältnisse waren durchaus nicht die üblichen Liebschaften, die mit Verlobung und Ehe enden. Die weibliche Seite war sich genau so darüber klar, wie die männliche dies bei der weiblichen voraussetzte. Und doch herrschte in solchem Verhältnis eine gewisse Kameradschaftlichkeit. Es war bedingt durch eine Anhänglichkeit und ein gewisses Verständnis füreinander. Ja, oft fehlte es nicht an Aufmerksamkeit und Gefühl für einander, an Zärtlichkeit und ein wenig Liebe fehlte es wohl nie. –

In den neunziger Jahren und um 1900 herum wurde viel vom »Verhältnis« gesprochen. Durch das Anwachsen der großen Stadt und durch den Brauch, daß Beamte und Akademiker und vielfach auch Kaufleute und Techniker erst spät heirateten, hatte sich die Zahl der alleinstehenden jungen Männer sehr vermehrt. Sie kamen meist von außerhalb, saßen fremd und einsam auf ihren möblierten Buden. Einsame Abende in kalten, nüchternen Räumen, in Theatern, im Tingeltangel oder allein verbrachte Sonntagnachmittage lassen die Sehnsucht nach dem Weibe, die sowieso schon lebendig genug geworden ist, fast unwiderstehlich werden.

Und zu gleicher Zeit schwoll die Zahl der sich selbständig ernährenden Mädchen, die nicht nur als Fabrikarbeiterin oder dürftige Heimarbeiterin sich ernährten, in die Zehntausende an. Verkäuferinnen, Kontoristinnen, Konfektioneusen und Modistinnen – sie alle meist auch da ohne Aussicht auf baldige Heirat. Sie standen fast alle neben dem Leben, das in den Großstadtstraßen lockte und gleißte. Lebensgenuß – wenn er auch nur oft glitzernde Oberfläche ist – den ganzen Tag denkt sie daran und freut sich darauf, daß sie abends abgeholt und ausgeführt wird, daß sie ein Stück Leben genießen darf, dessen Glut und Reize sie nur aus quälender Ferne ahnte, und die sie mit sehnsuchtsheißem Herzen erhoffte. Glücklich und selig über all das Neue und Schöne fühlt sie ihre Sinne berauscht. Was ihr bei kühler Überlegung lächerlich erschien, wird nun schließlich doch zur Wahrheit: Ihr Herz schlägt für ihn, der ihr das geboten und vermittelt. Aus der Dankbarkeit quillt manchmal heiße Liebe. Und sie gibt ihm alles, was sie geben kann – und nimmt auch alles, was sie nehmen kann.

Nur selten gab es und gibt es Verhältnisse, in denen der Mann dafür sorgt, daß die Frau keinem Beruf nachgehen braucht. Das sind dann die bekannten älteren Herren, der »Onkel«. Solche Verhältnisse leben als »Ausgehaltene« häufig im Westen in luxuriösen, üppig ausgestatteten Wohnungen. Meist bleibt das »Verhältnis« in seinem Beruf, ernährt und kleidet sich aus eigener Kraft. Der junge Mann trägt nur die Kosten der gemeinsamen Ausgänge und des gemeinsamen Vergnügens, schenkt vielleicht auch einmal ein kostbareres Kleidungsstück als sie erschwingen konnte. Denn die jungen Leute haben ja nur selten schon die großen Gehälter. –

Häufig waren die jungen Männer aus kleinen Universitätsstädten und aus Süddeutschland gekommen, mit dem Vorbild des Schatzes oder G'schpusis. Aber in Berlin handelte es sich meist nicht um die von den Eltern abhängige höhere Tochter oder um Bürgermädchen. Hier trat dem jungen Mann die auf eigenen Füßen stehende Angestellte gegenüber. Das schaltete viele kleine romantische Heimlichkeiten aus – aber brachte eine neue freiere Romantik hinein, die in der Selbständigkeit des weiblichen Verhältnisses beruhte. Wenn nun auch die Unterordnung geringer war – Hingabe und Sinnenglut waren nicht minder stark. Und aus den gelegentlichen Liebesspielen und Heimlichkeiten, wie sie bis dahin üblich gewesen, erwuchs Dauernderes und Festeres: eben das Verhältnis, das schließlich fast immer nach Jahren sein natürliche Ende nahm – durch die Ehe – des anderen. »Das Verhältnis« hatte ja von vornherein nicht damit gerechnet, daß es von »ihm« geheiratet werde.


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