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XXIII

Einer trage des Andern Last, so werdet
ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Galater 6, 2.

Wir haben im vorigen Kapitel erzählt, wie Louis sich mit Casson zum Schulzimmer hinausmachte, um ihm draußen seinen Kummer und seine Besorgniß mitzutheilen. Im ersten Augenblicke war Hamilton halb und halb entschlossen, ihm zu folgen und mit ihm zu reden; aber sein Gefühl sagte ihm, daß das jetzt fruchtlos sein würde. Er rief daher seinen kleinern Bruder zu sich, um ihm etwas in der lateinischen Grammatik zu erklären. Reginald, sowie noch einige andere, denen es im großen Zimmer zu kalt war, begaben sich in das kleinere. Sie dachten dort den Doktor anzutreffen, und waren deßhalb beinahe erstaunt, niemanden zu finden als Frank Digby, der, mit dem Kopfe an das Kamin gelehnt, traurig und nachdenkend dastand und weder ein Wort sprach, noch seine Stellung verließ, als jene hereintraten.

– He, was für eine Stellung! rief Reginald. Was ist denn? haben dir die Hühner das Brod gestohlen? wie Salisbury sagen würde, oder, um etwas gebildeter zu sprechen, was stehst du da wie eine Bildsäule am Wege?

– Wir werden wohl einen Wetterwechsel bekommen, sagte Jones.

– Aber was hast du denn, Frank? fragte Hamilton.

– Nichts, erwiederte Frank, indem er seinen Kopf schnell aufhob und sich zwang, eine freundliche Miene anzunehmen, obgleich man seinen Augen ansah, daß er sich der Thränen kaum erwehren konnte. Es war so etwas Ungewöhnliches und Neues, den sonst immer so munter und aufgelegten Frank traurig, ja sogar weinen zu sehen, daß ein allgemeines Erstaunen und eine tiefe Stille im Zimmer eintrat.

– Nichts? sagte Hamilton freundlich; doch, Frank, du hast etwas.

– Nichts Besonderes, sagte Frank, indem er einen Pfennig zwischen seinen Fingern herumdrehte; der Doktor hat mir eine kleine Sittenpredigt gehalten, das ist alles.

– Eine Sittenpredigt! ei, warum denn?

– Ja, eine kleine Anrede, nebst Zergliederung der Gefahren, die aus boshaften Späßen entstehen könnten, versetzte Frank; aber seine zitternde Stimme ließ vermuthen, daß die Predigt ziemlich ernsthaft gewesen sein müsse. Der gute Magister hat heute auf etwas Besonderes angespielt, Hamilton. Indessen verwundere ich mich nicht über den Abscheu des guten Mannes vor solchen Späßen; denn so einen hat er gewiß in seinem Leben nie gemacht. – Aber ich glaube, dießmal ist seine Phantasie etwas zu weit gegangen, oder vielleicht hat er eine zu schlechte Meinung von Ihrer Majestät ergebenstem Diener. Sei dem nun, wie ihm wolle, der Spaß ist dießmal kein Spaß.

– Etwas sehr Mysteriöses! sagte Reginald.

Hamilton schwieg. Er betrachtete die ängstlichen Züge und Mienen Frank's und glaubte die Ursache zu errathen.

– Zu alledem scheint der Doktor seiner Sache ganz gewiß zu sein, fuhr Frank lebhafter fort. Ich weiß wohl, daß ich mich nicht immer untadelhaft aufgeführt und vielleicht manchen unwürdigen Spaß gemacht habe, – aber – aber, Hamilton, – er glaubt – er glaubt – und hat mir's beinah gesagt – daß ich dein Gedicht weggenommen habe.

– Welche Täuschung! schrien alle zusammen.

Frank bückte sich, um seinen Pfennig, den er hatte fallen lassen, aufzuheben; dann fuhr er fort:

– Mein jugendlicher Leichtsinn wird schon vergehen; aber man läßt mich ihn doch etwas zu theuer bezahlen.

– Du hast vielleicht den Doktor mißverstanden, sagte Trevannion. Er hat dir das gewiß nicht sagen wollen.

– Ich bin kein solcher, den man durch Kleinigkeiten beleidigen kann, erwiederte Frank; ich müßte blind gewesen sein, um nicht zu sehen, wo er hinaus wollte.

– Was hat er denn gesagt? fragte Reginald.

– Ich kann's jetzt nicht mehr Wort für Wort sagen; er hat mir aber eine entsetzlich lange Predigt gehalten über das Unrecht, welches man andern zufüge, über Mangel an Achtung gegen andere – er könne nicht begreifen, wie man daran Vergnügen haben könne, einen Kameraden auf diese Weise in Verlegenheit zu bringen, indem man ihm sein Gedicht wegnehme und ein leeres Blatt an die Stelle desselben lege. Ich fragte ihn dann, ob er wirklich glaube, daß ich diesen Streich verübt habe, worauf er mir erwiederte, er kenne sonst niemanden, der einer solchen That fähig wäre, ich möchte mich in Acht nehmen und zusehen, wie ich selber das Gefühl für Recht und Ehre in mir tödte; ich solle es ihm übrigens nicht übel nehmen. Dann kam er noch auf eine uralte Geschichte zurück. Du erinnerst dich doch, Salisbury, du warst das Opfer jenes Spaßes. Ich glaube, es gibt im ganzen Reiche niemanden, der ein solches Gedächtniß hat wie der Magister. Ich hatte jene Geschichte schon längst vergessen und hätte auch gedacht, man würde sie jetzt ruhen lassen. Aber nicht wahr, Hamilton, du glaubst doch nicht, daß ich dir das gethan habe?

– O nein, mein lieber Frank, sagte Hamilton, indem er ihm die Hand reichte; ich kenne dich ja, ich weiß, daß du so etwas nicht zu thun im Stande bist. Sei du nur ruhig! Ich bin überzeugt, der Doktor glaubt es auch nicht; er hat dir nur zeigen wollen, wie weit es kommen kann, wenn man sich solche Streiche erlaubt. Es thut mir wirklich sehr leid für dich, sei versichert.

– Nein, der Doktor hält mich nicht für unschuldig, erwiederte Frank; aber ich erkläre, daß ich keinen Preis annehmen werde, so lange dein Gedicht nicht gefunden ist.

– Frank, sei vernünftig, sagte Hamilton; ich mache ja ein anderes, mit dem ich in die Schranken treten kann.

– Wenn du mit demselben den Gewinn davon trägst, um so besser, sagte Frank; aber ich erkläre noch einmal, daß ich keinen Preis annehmen werde, so lange dein erstes Gedicht nicht mit den übrigen Preisarbeiten auf die Wage gelegt wird.

– Aber wie kam denn der Doktor auf einen solchen Einfall? fragte Salisbury.

Frank wurde roth und erwiederte mit einem erzwungenen Lächeln:

– Ich habe gestern Abend wieder einmal einen unverschämten Spaß gemacht. – Ich tauchte alle Lichter in ein Wasserbecken, und die alte Hexe wurde roth und blau vor Aerger, als sie dieselben anzünden wollte und nicht konnte. Es war eine herrliche Musik, wie die Lichter knitterten. Ihr könnt euch wohl denken, auf wen sie Verdacht hatte. Sie ist auch gleich zum Magister gegangen, um mich zu verklagen, und heute Morgen hat er mich nun in die Kur genommen.

– Wenn ich nur den Urheber der schändlichen That entdecken könnte, sagte Hamilton. Es war mir im ersten Augenblicke äußerst ärgerlich, und ist es eigentlich für uns alle. Ich muß diesen Burschen entdecken. Frank, du bist's nicht gewesen, man kennt dich ja.

– O ja, und der Doktor besser, als irgend jemand, versetzte Frank.

– Hamilton, sagte Reginald, es kommt mir vor, du thätest am besten, wenn du jetzt dein Gedicht wieder machtest; du hast es ja überall gesucht, und wenn du es nicht finden kannst, so würde selbst Argus dasselbe umsonst suchen.

Die jungen Leute fingen an, ziemlich laut und aufgebracht über diese Geschichte zu sprechen, und der Doktor kam dabei nicht zu kurz. In diesem Augenblick erschien der kleine Alfred, um seinen Bruder zu bitten, daß er ihm etwas erklären möchte. Gegen seine Gewohnheit fuhr ihn Hamilton etwas unwillig an:

– Du bist ein fauler Junge; nimm doch ein Wörterbuch und sieh selber nach! – Was, du hast noch nicht angefangen?

– Ich habe es versucht, Eduard, aber es ist mir zu schwer. Ich weiß nicht mehr, wo Cekropia ist. Was für ein Land ist das? sagte der Kleine schüchtern, als er die Stirne seines Bruders sich runzeln sah.

– Es nützt sehr viel, dir die Sachen zu sagen! Ich hätte große Lust, dir jedes Wort aufzuschreiben das ich spreche. Und was hast du noch vergessen?

– Sonst nichts mehr, sagte Alfred demüthig; aber ich möchte dich noch fragen, Eduard, wie Hannibal's Vater geheißen hat, und ob es wahr ist, daß Hannibal die Felsen glühendroth gemacht und dann Essig darauf geschüttet hat; aber sieh, das ist ja unmöglich, wo wollte er so viel Essig hergenommen haben?

– O, er hatte eine große Quantität in seiner Physiognomie, und den Rest machte er aus dem Wein, den er seinen Offizieren gab. Weißt du nicht, Alfred, daß der Essig aus weißem Wein der stärkste ist, und daß die Karthager den Luxus wohl entbehren konnten, wenn es sein mußte?

– Ach, du machst nur Spaß, sagte Alfred, der nicht recht wußte, ob er's glauben sollte oder nicht. Ich bitte dich, Eduard, sag' mir, wer war denn Philomele? und …

– Es ist jetzt genug, mein kleiner Herr, sagte sein Bruder; nimm das Wörterbuch und meine römische Geschichte, und wir wollen's zusammen durchgehen. Du wirst doch hoffentlich keinen Preis erwarten?

– Armer Junge! sagte Salisbury, es ist gewiß nicht leicht, sich alle diese obskuren Namen des Alterthums zu merken.

Alfred hatte sich mit seinen Büchern zu seinem Bruder gesetzt und wollte die Arbeit beginnen, als plötzlich ein Paket zu seinen Füßen niederfiel. Hamilton raffte es mit Blitzesschnelligkeit auf, that einen Freudenruf und stürzte zur Thüre hinaus, ohne daß jemand die Ursache dieser schnellen Bewegung wußte. Unser Louis hatte sich nämlich, wie wir oben bereits erzählt haben, mit der Schnelligkeit des Windes aus dem Staube gemacht, als er Hamilton's Gedicht in's Schulzimmer geworfen hatte, und war in den Garten gesprungen; aber Hamilton hatte ihn noch gesehen. Er holte ihn schnell ein, packte den Flüchtigen mit beiden Armen und transportirte ihn in das Schulzimmer. Zwei oder drei Knaben, welche diese Jagd gesehen hatten, wollten ihnen nacheilen; allein Hamilton winkte ihnen, zurückzubleiben. Louis wandte keinen Widerstand an, und nachdem Hamilton ihn in's Zimmer gebracht hatte, schloß er die Thüre zu und nahm den Schlüssel zu sich. Nun stellte er Louis vor das Kaminfeuer, mit seinem Rücken gegen den Tisch gekehrt, und zwang ihn so, unter Androhung augenblicklicher Bestrafung, ruhig stehen zu bleiben.

– Was gibt's, Hamilton? was hat er gemacht? fragte Reginald.

– Du wirst es gleich vernehmen, sagte Hamilton. Ich habe einige Fragen an ihn zu richten und bitte dich, Mortimer, so unangenehm es dir auch sein mag, mich machen zu lassen.

– Aber eines bitte ich dich, gegen Louis nicht ungerecht zu sein, versetzte Reginald.

– Sei nur ruhig, sagte Hamilton; aber wenn er Miene macht, seinen Platz zu verlassen, ehe ich fertig bin, so werde ich mit ihm zum Doktor gehen.

Hamilton warf einen Blick auf das Fenster, durch welches von außen fünf oder sechs Köpfe neugierig in's Inquisitionszimmer gafften. Er ging hin und schloß die Fensterladen halb zu, so daß jenen der Anblick des Tribunals entzogen wurde. Dann stellte er sich wieder vor Louis hin, mit den beiden Rockschößen über den Armen. Louis blieb unbeweglich und scheinbar unempfindlich stehen; aber er war blaß.

– Jetzt, Herr Louis Mortimer, begann der Verhörrichter, dürfte ich dich wohl bitten, mir zu sagen, auf welchem Wege du in den Besitz dieses Pakets gekommen bist?

Während er sprach, zeigte er seinen erstaunten Kameraden den Umschlag, in welchem sich sein Gedicht befand. Er brach das Siegel und hob das Manuscript in die Höh'.

– Was? Louis Mortimer! rief Jones aus.

– »Auch du, Brutus?« sagte Frank.

– Louis, o Louis! sagte Reginald, vor Scham erröthend. Louis, ist's möglich! Wie hast du das entdeckt, Hamilton?

– Hast du nicht gesehen, wie er vor einigen Minuten das Paket durch die halboffene Thüre ins Zimmer warf?

– Ich habe allerdings etwas daher fliegen sehen, sagte Meredith.

– Und ich habe etwas fallen hören, sagte ein Anderer.

– Und der Feigling hat es dir so vor die Füße geworfen, sagte Trevannion.

Louis stand wie auf glühenden Kohlen, und das ganze Zimmer erschien ihm in kreisender Bewegung.

– Wie bist du zu diesem Paket gekommen? frag' ich dich noch einmal, sagte Hamilton.

Keine Antwort.

– Ich will eine Antwort haben, Louis; wenn du mir nicht antwortest, so führe ich dich augenblicklich zum Doktor.

Louis murmelte einige unverständliche Worte.

– Was hast du gesagt? fragte Hamilton mit Ungeduld; sprich laut, damit man dich versteht. Wenn du es für jemand anders gebracht hast, setzte er in sanfterem Tone hinzu, so sag' es; ich will wissen, wer es genommen hat.

– Ich hab' es genommen, sagte Louis verwirrt.

– Du kleine Schlange! schrie Jones.

Hamilton war sehr aufgeregt; aber er hielt sich und fuhr fort:

Du! zu deinem eigenen Vergnügen! Ich bitte, sag' mir, wann hast du denn diese löbliche That vollbracht?

– Letzten Freitag, sagte Louis so leise, daß es unvernehmlich gewesen wäre, wenn nicht Todtenstille im Zimmer geherrscht hätte.

– Und zu welchem Zwecke? fragte Hamilton, der sich an das Gesimse des Kamins lehnte und den einen Fuß auf das Gitter setzte.

– Bloß zum Spaß.

– Ein schöner Spaß! sagte Hamilton aufgebracht.

– Man sollte denken, daß dich die Dankbarkeit gegen deinen Freund Hamilton hätte zurückhalten müssen, sagte Jones. Das ist eine neue Art, jemandes Güte zu vergelten, ihn zu verhindern, den Preis davonzutragen.

– Nein, Jones, sagte Louis, das war nicht meine Absicht; ich wollte Hamilton keinen Streich spielen. Ich wußte nicht, daß es sein Gedicht war; ich dachte, es sei ein Brief. Und was die Dankbarkeit betrifft, so kann Hamilton mir nichts vorwerfen; so lange er sich freundlich gegen mich benahm, war ich dankbar gegen ihn, und bin es auch jetzt noch für seine mir bewiesene Güte. Aber es ist schon so lange, seit er freundlich mit mir war, daß ich es unterdessen fast vergessen habe.

– O, er hatte dazu Ursache genug, sagte Meredith; er hat dich nur zu lange getragen, du Waschweib. Als wir bereits alle überzeugt waren, welch ein erbärmlicher Klatscher du bist, und dir niemand mehr traute, war Hamilton immer noch dein Freund und nahm überall deine Parthei.

– Davon wußt' ich nichts, sagte Louis, indem er eine unabhängige Haltung annahm, die ihm in diesem Augenblicke nicht sehr gut anstand. Erst letzten Freitag hat er mich absichtlich in dem Irrthume gelassen, Trevannion habe des Doktors Geschichte von Rollin. Er bot mir sein eigenes Exemplar an, obgleich er doch wohl hätte denken können, daß ich dasselbe nicht annehmen werde und – … Louis zögerte. Hamilton, sah ihn ruhig, aber prüfend an, so daß sich Louis in seinem Gewissen geschlagen fühlte.

– Nun, was denn? fahr nur fort, sagte Hamilton ruhig.

– O, nichts, antwortete Louis, ich dachte nicht, daß du es wissest; aber es war sehr merkwürdig, Hamilton.

– Was war merkwürdig?

– Als ich wieder in das Zimmer zurückkam, lag das Buch bei deinen Sachen, und ich dachte, du habest es gehabt, sagte Louis zögernd und den Kopf senkend. Sonst hätte ich nie den Einfall gehabt, dir einen Streich zu spielen.

– Wie kleinlich! – rief Trevannion aus, der keinen Ausdruck finden konnte, um seine Entrüstung auszusprechen. Hamilton hatte sich so eben die Mühe genommen, sein eigenes Exemplar mir in den Hof zu bringen, damit er dir ja das ersehnte Buch zustellen könne. Ach, ich verstehe jetzt die ganze Geschichte, Hamilton! – Der undankbare Mensch!

– Wie konnte ich das wissen? er hat es mir nicht gesagt, entgegnete Louis, der durch diesen neuen Beweis von der Güte seines Freundes gerührt wurde und es nun bitterlich bereute, daß er Böses von ihm gedacht hatte. – Wie kann ich wissen, was die Leute denken, wenn sie nicht reden?

– Und du hast also das Papier genommen, um dich zu rächen? fragte ihn Hamilton.

Louis war zu bewegt, er konnte nicht antworten. Endlich sagte er mit zitternder Stimme:

– Nein, ich habe dir ja gesagt, daß es nur ein Spaß war; ich glaubte, es sei ein Brief, und es that mir sehr leid, diese Dummheit begangen zu haben. Ich wollte es dir bringen; aber ich konnte mich durchaus nicht mehr besinnen, wo ich es hingethan hatte.

– Aber warum sagtest du mir nicht, daß du es genommen habest, versetzte Hamilton, als ich mich darnach erkundigte? Das wäre viel schöner und aufrichtiger gewesen.

– Ich hätte es gewiß gethan, wenn ich überzeugt gewesen wäre, daß du mich anhören würdest; aber es wird nicht leicht, zu jemanden zu reden, wenn man nicht weiß, ob man eine Antwort erhält, und zudem habe ich es dir gebracht, sobald ich es gefunden hatte.

– Wer hat dir denn solche Sachen in den Kopf gesetzt, Louis? fragte ihn sein Bruder Reginald.

Louis öffnete den Mund zum Antworten; aber es kam nichts heraus.

– Warst du allein? fragte Hamilton ferner, oder hast du einen würdigen Gehülfen gehabt?

– Ich war nicht allein, sagte Louis ziemlich trocken; allein ich will nicht sagen, wer bei mir war. Er verdient keinen Tadel für das, was ich gethan habe.

– Wie so? hat er dir denn nicht diese schöne Idee eingegeben, und dir bei der Ausführung treulich beigestanden?

– Du hast nicht das Recht, mir solche Fragen vorzulegen, sagte Louis etwas bestürzt. Er wollte mir das Buch suchen helfen; mehr sag' ich nicht.

– Was, Casson half dir Rollin's Geschichte suchen? sagte Hamilton hastig. Er kann das Buch nicht von einem Lexikon unterscheiden.

– O, er kennt das Buch recht gut, erwiederte Louis; aber augenblicklich merkte er, daß er sich arg versprochen habe, und rief aus: das ist nicht schön von euch!

– Ich weiß wohl, wer dein Gehülfe war, sagte Hamilton mit Unwillen. Du bist zu enge mit deinen schlechten Kameraden verbunden; du siehst nun, wohin die Gesellschaft der Bösen führt.

– Aber Hamilton, sagte Louis, der seine Bewegung kaum unterdrücken konnte, du hättest mich davon zurückhalten können, wenn du gewollt hättest. Du hast mir nicht vergeben, nicht freundlich mit mir sein, überhaupt nichts von mir wissen wollen. Alle meine Freunde hatten sich von mir abgewandt. Er war der einzige, der mit mir sprach. Hättest du nur ein Wort gesagt, so wäre ich nie in diese schlechte Gesellschaft gerathen; aber ich dachte, du habest mich nicht mehr lieb, und darum wurde ich gleichgültig.

Eine düstere Wolke überzog Hamilton's Gesicht bei den letzten Worten Louis', und ohne Absicht stieß, er mit seinem Fuße die sämmtlichen Feuerzangen und Feuerschaufeln von dem Gitter des Kamins herunter, so daß Louis in seiner Rede durch ein starkes Geräusch unterbrochen wurde.

– Das muß man gestehen, bemerkte Jones, du hast einen merkwürdigen Weg eingeschlagen, die vorige Freundschaft wieder zu erwerben. Du darfst dich wahrlich nicht wundern, wenn man einem solchen Schwätzer und Verräther, wie du einer bist, nicht mehr traut.

– Wenn nicht irgendwo ein noch größerer Schwätzer und Verräther wäre, entgegnete Louis, so würdet ihr nie Gelegenheit bekommen haben, mir solche Titel, beizulegen; aber weil ihr es nicht wagt, etwas gegen ihn zu sagen, so ich ich der Sündenbock sein.

– Wen meinst du da? rief Normann, dürfte man es vielleicht vernehmen?

Louis bereute fast, so viel gesagt zu haben; dennoch sah er dem Frager frei in's Gesicht und sagte mit fester Stimme:

– Von dir rede ich, Normann; wenn du nicht ein Schwätzer gewesen wärest, so würde mir das nie begegnet sein.

Was zwischen diesen beiden vorgefallen wäre, wenn sich Hamilton nicht zwischen sie gestellt hätte, kann man sich ungefähr denken. – Sachte, Normann, sagte er; hier darfst du ihn nicht berühren. Louis, du kannst jetzt gehen.

Als Louis das Zimmer verlassen hatte, blieb Hamilton beim Kamin stehen und war in Gedanken versunken, während die andern sich über Louis' Betragen ausließen. Einige meinten, er habe es aus Bosheit gethan, andere hingegen, es sei bloß ein unbesonnener Spaß, dessen Folgen er nicht berechnet habe, und wieder andere schrieben die ganze That auf Rechnung des boshaften Casson.

– So erzürnt ich auch bin über meinen Bruder, sprach Reginald, so bin ich doch unendlich froh, daß du nun gerechtfertigt bist, Frank. Ich hoffe, Hamilton, du wirst diesem Streich des Louis' keine boshafte Absicht unterschieben, sondern ihn bloß als einen unüberlegten Spaß ansehen.

Hamilton nickte bejahend.

– Ich denke, Hamilton, du wirst nun augenblicklich Schritte thun, um diese Geschichte aufzuklären, sagte Jones.

– Was aufklären? ich denke, es ist jetzt klar genug, sagte Hamilton sehr unwillig.

– Ja, für uns ist sie klar, aber nicht für den Doktor, sagte Meredith.

– Ueberlaßt ihr mir nur die Sache, erwiederte Hamilton; ich werde mein Gedicht am Abend vor dem letzten Tag der Prüfungen abgeben und weiter kein Wort sagen.

– Eine angenehme Geschichte! rief Jones.

– So werde ich dann reden, Hamilton, schrie Salisbury.

– Dem ersten, der sich untersteht, nur eine Silbe darüber zu reden, erklär' ich hiermit feierlich, daß ich ihn aus der Gesellschaft meiner Freunde ausschließe, sprach Hamilton im entschiedensten Tone. Ich möchte nur wissen, wen die Sache etwas angeht. Wenn ich mein Gedicht in's Feuer werfen will, für wen ist es dann verloren, für mich oder für euch? Zudem weiß ich gar wohl, was für ein Wunsch euch beseelt. Es ist sehr unedel von euch, ein armes Kind mit aller Gewalt unglücklich zu machen.

Mit diesen Worten warf Hamilton sein Gedicht zornig auf den Tisch und stand hastig auf.

– Die Sache muß aber doch vor den Doktor, bemerkte Reginald; denn Frank muß gerechtfertigt werden. Es thut mir sehr leid, daß sich mein Bruder die Ungnade des Doktors wieder zuzieht; aber Recht muß Recht bleiben.

Hamilton warf einen Blick auf Frank.

– Ja, du hast recht, ich habe nicht an Frank gedacht. Man wird es also dem Doktor sagen müssen.

– Nein, nein! Hamilton, fiel ihm Frank in's Wort; ich will nicht, daß du den armen Kerl wieder in Verlegenheit bringst. Was macht mir das? Was der Magister von mir denkt, das ist mir vollkommen einerlei. Es genügt mir, daß ihr von meiner Unschuld überzeugt seid, und damit Punktum.

– Frank, du bist ein köstlicher Kamerad, rief Hamilton aus, indem er ihm die Hand drückte; aber ich glaube doch, es wäre nicht ganz recht.

– Unsinn! sagte Frank mit lachender Miene; lassen wir das gut sein! Zudem kommt es mir vor, fügte er ernst hinzu, daß wir für den armen Louis schon etwas thun können. Er hat sich in diesem halben Jahre so betragen, wie es keiner von uns gethan hätte.

– Du hast recht, Frank, erwiederte Hamilton, dem diese Worte sehr einleuchteten. Wir haben ihn doch etwas unwürdig behandelt und vergessen, daß sein Geschwätz mehr unklug als boshaft war. Selbst Ferrer, für den er doch so viel hatte ausstehen müssen und der ihm vielen Dank schuldig wäre, hat ihm den Rücken gekehrt. Das ist sehr unrecht von Ferrer.

– O, Ferrer war nicht so ganz im Unrecht, wenn er böse auf Louis war, sagte Trevannion.

– Sei doch etwas barmherziger, Trevannion, erwiederte Hamilton; das ist noch lange kein Verbrechen, wenn so ein Knabe in seiner Unklugheit irgendwo Ferrer's Namen genannt hat, so wie er jetzt den Casson's nannte.

– Nein, gewiß nicht, bemerkte Frank. Ueberdieß will ich euch sagen, daß Frau Paget (ich bitte um Verzeihung, Herr Neffe!) so furchtbar erpicht ist auf Neuigkeiten, daß sie selbst einer versteinerten Kröte ein Geheimniß zu entlocken im Stande wäre, und Louis ist viel zu gutmüthig, um dieser alten Weiberlist zu widerstehen.

– Ach, Louis weiß nicht, wo er seinen Kopf hat, sagte Hamilton.

– Ja, und er ist so stolz wie ein Pfauenschwanz, bemerkte Normann. Er hat gar keine moralische Kraft. Er ist ein feiger Kerl.

– Aber bitte, Normann, sagte Hamilton, willst du mir sagen, wo du deinen moralischen Muth hernimmst? Uebrigens müssen wir nicht vergessen, daß wir alle stolz sind, und ich möchte wissen, wer besser ist, derjenige, welcher von sich selbst eine gute Meinung hat, oder derjenige, welcher darnach trachtet, daß andere eine gute Meinung von ihm bekommen. Und das können wir einmal nicht leugnen, wir haben den armen Louis durchaus nicht recht behandelt. Zuerst haben wir ihn mit unsern Schmeicheleien verderbt und ihn dadurch zu Fall gebracht; und als dieser Fall einmal geschehen war, so haben wir uns grausam an ihm bewiesen und uns durchaus nicht so benommen, wie es solchen geziemt, die ebenfalls nur auf Gottes Barmherzigkeit zu hoffen haben. Es ist gewiß, wir sind zum großen Theil daran Schuld, daß Louis vom guten Wege abgekommen ist.

– Nur kommt mir vor, sagte Meredith, man dürfe von einem Frommen und Heiligen etwas mehr fordern.

– Es ist möglich, sagte Hamilton; aber ich bin überzeugt, daß Louis aufrichtig ist. Er hat seine Fehler wie wir alle, und es wird ihm schwer, sie zu bekämpfen. – Vielleicht kämpfen wir gar nicht gegen die unsrigen. Greifen wir doch auch in unsern eigenen Busen, und die Lust wird uns dann vergehen, einen Stein auf ihn zu werfen. Louis hat sich von dem rechten Wege entfernt; aber er kennt die Kraft, die ihn wieder darauf zurückführen kann. Wir aber vergessen schmählich, daß wir als Christen die Pflicht haben, einander zu dulden und zu tragen, wie der Apostel sagt. Laßt uns ihm vergeben! fuhr er mit Thränen in den Augen fort. Denken wir daran, was unser Heiland sagt: »Vergebet, so wird euch vergeben.« Und an einem andern Ort heißt es: »Ein unbarmherziges Gericht wird über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit geübt hat.«

Eine tiefe, feierliche Stille folgte diesen Worten; dann fuhr Hamilton fort:

– Wir ältern Zöglinge haben eine große Verantwortlichkeit. Unser Beispiel wirkt auf die jüngern. Wir können ihnen zum Segen, aber auch zum Fluche werden; und was mich betrifft, so muß ich mich anklagen, daß mein Beispiel nicht immer gut war; daß ich zu oft geschwiegen habe, wo ich hätte reden sollen. Trevannion, willst du mir vergeben, daß ich dich einmal mit einem unbedachtsamen, bittern Worte betrübt habe? Ich versichere dich, daß ich es nur in Folge einer Zornesaufwallung aussprach.

– Von Herzen gerne, sagte Trevannion, seinem Freunde zärtlich die Hand drückend; es thut mir ebenfalls sehr leid, daß ich so gegen dich war.

In diesem Augenblick erschien ein Bote, um Hamilton zu einem Spaziergang mit dem Doktor zu rufen. Hamilton gehorchte, und während er hinausging, bat er Reginald, dem kleinen Alfred Einiges zu erklären. Sein Gedicht steckte er in die Tasche und verfügte sich zum Doktor.


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