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XXII

Es war Samstag Abend, als die versiegelten Arbeiten der Zöglinge dem Doktor übergeben wurden, und erst am Montag darauf bemerkte Doktor Wilkinson, daß Hamilton's Heft nicht dabei war. Louis brachte den Sonntag mit seinem edlen Freunde Casson zu, war jedoch den ganzen Tag damit beschäftigt, das vermißte Paket aufzufinden. Er konnte sich durchaus nicht besinnen, wo er es möchte hingelegt haben. Casson machte sich bald über ihn lustig, bald schalt er ihn einen Feigling, so daß Louis, um seiner loszuwerden, eine gleichgültige Miene annahm und sich scheinbar um den Ausgang der Sache nicht bekümmerte. Welch ein Sonntag war dies für ihn im Vergleich mit den frühern, die wahre Fest- und Segenstage für sein Herz gewesen waren!

Am Montag nach dem Mittagessen, als die Zöglinge so eben in das große Schulzimmer getreten waren, wurde Hamilton zum Doktor gerufen. Da dies nicht sehr selten geschah, so sah man nichts Besonderes darin, und Hamilton begab sich, nachdem er seinem kleinern Bruder noch einige Aufträge gegeben hatte, ganz gemächlich zum Doktor. Er fand bei demselben auch seinen Sohn, Mister James, nebst einem Professor aus der Stadt, der den Prüfungen gewöhnlich beiwohnte. Aus ihren Mienen konnte er augenblicklich schließen, daß er wegen nichts Gutem gerufen worden sei. Der Tisch war mit einer Menge zusammengefalteter Papiere belegt, die Hamilton sogleich erkannte. Der Doktor hielt ein leeres Papier in der Hand, dessen Umschlag auf dem Boden lag.

– Ich habe dich rufen lassen, Hamilton, daß du uns diese merkwürdige Erscheinung erklären sollst. Könntest du mir vielleicht sagen, was in diesem Umschlag war? – Damit bückte er sich, hob den Umschlag auf und überreichte ihn Hamilton.

– Mein lateinisches Gedicht war darin, Herr Doktor, antwortete Hamilton ruhig.

– Bist du gewiß, daß du diese Adresse geschrieben hast?

– Ja, Herr Doktor.

– Sieh, was ich darin gefunden habe, sagte der Doktor, indem er ihm das leere Papier vorhielt. Du hast dein Gedicht wohl mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Es muß da ein Irrthum vorgefallen sein. Wo mag dein Gedicht sein?

– Sie haben das in meinem Umschlag gefunden, Herr Doktor? rief Hamilton erstaunt und über und über erröthend aus; in meinem Umschlag? wiederholte er, indem er denselben aus der Hand des Doktors nahm und ihn von allen Seiten betrachtete. – Das kann nicht sein, Herr Doktor; ich habe keinen solchen Irrthum begangen, es ist unmöglich!

– Das sagte ich ja – es ist unmöglich! es wäre entsetzlich gewissenlos, uns so zum Besten zu halten, sagte Herr Berry, der alte Professor.

– Und noch unmöglicher, daß ich es absichtlich gethan hätte, sagte Hamilton.

– Aber wo ist denn das Gedicht geblieben? fragte der Doktor.

– Ich dachte, es sei hier, und wenn es nicht hier ist, so weiß ich nicht, wo es ist. Hamilton betrachtete den Umschlag aufs Neue; aber sein Gedicht wollte nicht hervor kommen.

– Ist das dasselbe Papier, welches du gewöhnlich brauchst? fragte Herr James.

– Ganz dasselbe; das ist mein Siegel, und dies ist meine Schrift.

– Was steht auf dem Siegel? sagte der alte Professor.

– Die Anfangsbuchstaben meines Namens, E. H. Da können Sie sehen; und er wies ihm seinen silbernen Bleistifthalter vor.

– Das ist höchst merkwürdig! sagte Herr Berry, indem er Mister James ansah.

– Hast du deinen Bleistift nie liegen lassen, oder hast du ihn vielleicht jemanden geliehen? fragte Doktor Wilkinson.

Hamilton besann sich. – Doch, letzten Freitag habe ich ihn auf dem Tische liegen lassen, als ich mit Ihnen spazieren ging, Herr Doktor.

– Und was hast du sonst noch liegen lassen? fragte Doktor Berry.

– Einige Blätter Papier, Federn, Bücher und mein lateinisches Gedicht, das ich so eben fertig hatte.

– Aber welche Unvorsichtigkeit, sagte Doktor Wilkinson.

– Es war in demselben Augenblicke, da Sie ausgingen, Herr Doktor. Ich hatte nicht mehr Zeit, meine Sachen einzupacken; ich siegelte daher mein Paket schnell zu, ließ dasselbe bei den andern Sachen liegen und eilte hinaus, damit Sie nicht auf mich warten müßten, Herr Doktor.

– Wie viele Blätter Papier hast du auf dem Tische liegen lassen? fragte Herr James.

– Es waren nur einzelne Blätter, etwa ein halbes Heft.

Einzelne Blätter! ah! da kannst du nicht wissen, ob dir nicht unterdessen eines abhanden gekommen ist.

– Nein, Mister James, das weiß ich wirklich nicht. Aber wenn Jemand eine Verwechslung gemacht hat, so muß es in der Zeit geschehen sein, da ich mit dem Herrn Doktor spazieren ging; denn sobald ich zurückkam, schloß ich alle meine Sachen ein und rührte sie bis am Samstag Abend nicht mehr an.

– Könnte die Verwechslung nicht unterwegs stattgefunden haben, als man die Papiere hieher brachte? bemerkte Herr James.

Hamilton antwortete nicht sogleich; endlich sagte er: – Das ist sehr unwahrscheinlich, denn diese Adresse ist meine Handschrift; ich müßte denn in der Eile einen andern Umschlag genommen haben.

In der Eile! sagte Doktor Wilkinson, nein, Hamilton, da ist etwas Anderes geschehen; es hat jemand deine Handschrift nachgeahmt.

– Ich weiß nur einen, der im Stande wäre, meine Handschrift nachzumachen, sagte Hamilton erröthend, und ich weiß, daß derselbe nicht spazieren ging.

– Ich dachte, es seien am Freitag alle spazieren gewesen, sagte der Doktor. Nein! halt! es fällt mir ein, am Freitag war Digby zu Hause. Ich besinne mich, er hat über Schnupfen geklagt.

Doktor Wilkinson betrachtete das Papier, das er in der Hand hielt, noch einmal und runzelte die Stirn. Die zwei andern Herren wechselten Blicke mit einander. – Sollte Frank Digby der Schuldige sein?

– O, Herr Doktor, erwiederte Hamilton, Digby würde eher sein eigenes Gedicht in's Feuer werfen, als einen solchen Streich machen; in dieser Beziehung können Sie sich auf seine Ehrlichkeit verlassen, und ich bin überzeugt, daß Sie Frank nicht für schuldig halten.

Zum größten Mißvergnügen Hamilton's beeilte sich der Doktor nicht mit seiner Antwort.

– Das sieht Frank Digby zu ähnlich; er wird mit solchen Späßen nicht aufhören, bis er einmal eine Lehre bekommt, die er sein Lebenlang nicht vergessen wird.

– Aber Frank würde sich wohl gehütet haben, gerade diesen Streich zu spielen; ich wäre noch eher geneigt es zu glauben, wenn er nicht ein Mitbewerber wäre; so aber bin ich von seiner Unschuld vollkommen überzeugt.

– Wir haben jetzt nicht Zeit, die Sache zu untersuchen, sagte der Doktor, indem er von seinem Stuhl aufstand. Ich könnte unglücklicherweise eine Menge von Beweisen vorbringen, wie wenig Frank sich darum kümmert, ob er andern schadet oder nicht, sobald er ihnen einen Streich spielen kann. Dann wandte er sich an Hamilton und empfahl ihm, der Sache gründlich nachzuspüren; zugleich gab er ihm den Auftrag, alle Schreibtische der Zöglinge zu durchsuchen. Mister James, fügte er hinzu, wird dir dabei behülflich sein, und sollte sich das Gedicht nicht finden, so ist das Beste, daß du es noch einmal schreibst, so gut es dir möglich ist; ich will dir dazu bis zum letzten Morgen der Prüfungen Zeit lassen.

Hamilton verbeugte sich und verließ das Zimmer. Der Verlust seines Gedichts war ihm nicht halb so empfindlich als der Argwohn des Doktors auf Frank Digby. Er selbst war zwar auch nicht ganz frei von einigem Argwohn; allein er verbannte diesen Gedanken; derselbe erschien ihm unwürdig und nicht sehr großmüthig. An den wirklich Schuldigen dachte er eben so wenig als alle andern. Nach dem Rathe des Doktors setzte sich Hamilton an seine Arbeit, und obgleich es ihm ziemlich sauer würde, brachte er doch mit Hülfe seines guten Gedächtnisses das Gedicht wieder zu Stande.

Als die Stunden beendigt waren, befahl der Doktor, die Zöglinge sollen an ihren Plätzen bleiben, und forderte Hamilton auf, seine Untersuchung zu beginnen ohne den Grund dieses Inquisitionsverfahrens anzugeben. Eine ängstliche Spannung herrschte unter den Zöglingen, besonders als der Doktor ausdrücklich hinzufügte, daß keiner sein Schreibpult betasten dürfe, ehe dasselbe von Hamilton untersucht sei.

– Frank Digby, komm hieher! rief der Doktor mit einer Donnerstimme; hab' ich euch nicht verboten, über eure Schreibtische zu gehen?

– Ich habe nur meine Tafel hinein gethan, Herr Doktor, sagte Frank erschrocken.

– Du darfst deinen Schreibtisch nicht anrühren, sag' ich dir, bleib dort stehen!

– Was gibt's denn? murmelte Jones; der Magister ist heute bei schlechter Laune. Was willst du in meinem Pult, Hamilton?

– Man hat mir einen Streich gespielt, sagte dieser im Vorbeigehen mit leiser Stimme; man hat mir mein Gedicht genommen – aber, setzte er zögernd hinzu, ich kann diese Untersuchung nicht fortsetzen.

– Mach' nicht Unsinn, Hamilton! sagte Mister James, der das Schreibpult des Jones untersuchte. Hier ist nichts.

– Lassen Sie Hamilton selber mein Schreibpult untersuchen; es ist eine Schande, daß man uns so wenig zutraut, sagte Reginald Mortimer.

– O, ich habe keinen Verdacht auf dich, sagte Hamilton mit freundlicher Stimme; aber man hat mir befohlen, die Tische zu untersuchen.

– Mein Pult ist geschlossen, sagte Salisbury; hier hast du den Schlüssel. Wir wollen uns zum Doktor begeben, während du untersuchst; aber gib Achtung, daß du mir die blaue Tinte nicht ausschüttest.

Hamilton nahm den Schlüssel mit verlegener Miene, und während die erste Klasse sich zum Doktor an das andere Ende des Zimmers begab, setzte er die Untersuchung fort.

Was Louis in diesen Augenblicken empfand, kann man sich denken. Er hatte den Grund dieser Untersuchung augenblicklich errathen und auch einige Worte gehört, die Hamilton mit seinen Freunden gewechselt hatte. Ach, was hätte er nicht dafür gegeben, wenn er diesen unbedachten Fehler nicht begangen hätte! Er warf scheue Blicke um sich, und seine Angst stieg immer höher. Bald war er auf dem Punkt, seinen Fehler zu bekennen, bald kam er wieder zu dem Entschlusse, das Ergebniß der Untersuchung abzuwarten. Ein heftiger Kampf entstand in seinem Innern. Wäre er mit Hamilton allein gewesen, er hätte ihm die Sache gestanden. Seine Angst stieg auf den höchsten Grad, als Mister Jones und Hamilton zu seinem Schreibpulte kamen und dasselbe verschlossen fanden.

– Ich denke, wir müssen dieses Pult nur zur Form untersuchen; denn der arme Junge weiß gewiß nichts von der Geschichte.

Louis reichte den Schlüssel mit zitternder Hand, was Hamilton sehr auffiel; er sah ihm in's Gesicht und bemerkte seine Verlegenheit, und wie seine Augen mit Thränen gefüllt waren. Er schrieb dies aber seiner natürlichen Schüchternheit und Weichheit zu, und sein Herz wurde gerührt; denn er liebte den armen Louis immer noch und machte sich geheime Vorwürfe, seine Pflicht gegen ihn nicht erfüllt zu haben. Das Gedicht fand sich nirgends. Louis begab sich in den Garten, obgleich es kalt und finster war, und machte dort seiner Bekümmerniß in einem Strom von Thränen Luft. Unterdessen hatten sich die Zöglinge der ersten Klasse um Hamilton versammelt, um ihn über die sonderbare Begebenheit um Aufklärung zu bitten und ihm ihre aufrichtige Theilnahme zu bezeugen. Selbst Trevannion machte die Bemerkung, daß dies eine teuflische Bosheit sei.

– Derjenige, der den Preis bekommen wird, wird sich gewiß nicht zufrieden geben, so lange man dein Gedicht nicht gefunden hat, sagte Frank. Schreibe es noch einmal, Hamilton; wir wollen dich nicht stören. Jetzt wundere ich mich nicht mehr, daß der Magister so in Wuth war.

Louis war herzlich froh, als die Zeit zum Schlafengehen da war und er seine Thränen und seinen Kummer unter der Decke verbergen konnte. Reginald war zu sehr beschäftigt gewesen, um auf seinen Bruder zu achten; nur dem Hamilton war Louis' Betragen aufgefallen, ohne daß er jedoch im mindesten vermuthet hätte, dasselbe sei mit dieser Geschichte im Zusammenhange. Louis vertraute seine Sache nicht blos keinem Menschen, sondern auch nicht einmal Gott an, das heißt, er vergaß, daß ihm alles bekannt ist, und daß man nichts vor ihm verbergen kann. Louis erhob sein Herz nicht zu ihm, um Trost zu suchen, bekannte nicht seine Sünde, um Vergebung zu erlangen, legte seine Last nicht nieder am Throne der Gnade, um Frieden und Ruhe für sein Gewissen zu bekommen. Louis war ein böses Kind geworden, das den Herrn nicht mehr liebte, das ihn verlassen hatte und mit ihm alle Kraft zum Guten.

Dieselbe Last lag noch auf seinem Gewissen, als er am andern Morgen aufstand. Sein Bruder Reginald war böse auf ihn und sprach sehr unfreundlich mit ihm. Louis antwortete eben so unfreundlich, kehrte ihm stolz den Rücken und begab sich auf die andere Seite des Schulzimmers, wo er sich zu der saubern Gesellschaft der schlechten Subjekte gesellte. Hamilton war Zeuge gewesen von der unfreundlichen Begegnung der beiden Brüder und hatte Louis mit den Augen verfolgt, als derselbe sich von seinem Bruder weg zu seinen Kameraden begab.

– Louis ist krank, Reginald, sagte Hamilton. Er sieht sehr abgemattet aus.

– Es fehlt ihm nichts, erwiederte Reginald barsch; aber ich weiß nicht, was er hat; er ist ganz anders geworden; er ist immer so schlecht aufgelegt und so unerträglich stolz, und dazu noch so faul. Du wirst es kaum glauben, Hamilton, er ist im lateinischen Examen unter Harris hinuntergekommen. – Er wird jetzt bald der Letzte in der Klasse sein. Er hat kaum eine Frage beantworten können; es ist, als ob er den Kopf verloren hatte.

– Also ein neuer Beweis, daß er unwohl ist, sagte Hamilton. Ich weiß ganz gewiß, daß er früher im Lateinischen stärker war als Harris.

– Ich weiß es wohl, sagte Reginald; gerade das macht mich um so unwilliger über ihn. Es ist schlimm genug, daß ihn schon Clifton überflügelt hat; indessen will ich das nicht einmal in Anschlag bringen, denn Clifton ist ein Genie; aber das ist etwas stark, wenn sogar solche Schwachköpfe ihm voraus sind, – das geht über meinen Verstand. Er gibt sich nicht die geringste Mühe mehr. Ich habe ihn letzthin gesehen, wie er ein Buch in der Hand hielt – wahrscheinlich ist es irgend eine wunderbare Historie von einem entzückten Esel oder von einem Riesen oder von einem verzauberten Burgfräulein gewesen. Er träumt beständig und baut sich Luftschlösser, so daß ich mich nicht verwundern könnte, wenn er zuletzt ein Narr würde.

– Nur nicht so böse, sagte Hamilton. Es fehlt ihm eben etwas. Auf jeden Fall ist er nicht auf gutem Wege. Sieh', Reginald, dort steht er jetzt wieder bei jener fatalen Gesellschaft. Ich dächte, man sollte ihm das doch nicht erlauben.

– Sprich du mit ihm, Hamilton, sagte Reginald in einem etwas sanftern Tone; dich hört er schon an.

Hamilton erwiederte nichts; allein er war fest entschlossen, seinen ehemaligen Freund dieser schlechten Gesellschaft zu entreißen. In demselben Augenblicke, als er in seinem Innern diesen edlen Entschluß faßte, sah er ihn mit Casson zur Thüre hinauseilen.

Casson war der einzige, dem Louis seine Angst und seine Furcht mittheilen konnte. Er hoffte immer noch, das Gedicht werde sich irgendwo finden. Plötzlich fiel ihm etwas ein – Casson, komm mit mir, ich erinnere mich – ja, ja, ich bin gewiß!

Er vollendete seinen Satz nicht, sondern rannte durch den Gang bis zur Thüre des Speisezimmers, in deren Nähe sein Ueberrock an einem Nagel hing, griff mit der Hand in die Tasche und zog Hamilton's Gedicht heraus. Hier ist's! hier ist's! Hier ist's! schrie er. Wie dumm bin ich doch! wie konnte ich vergessen, daß ich es in meine Rocktasche versteckt hatte! O, mein lieber Casson, wie froh bin ich!

– Was ist's denn nun? sagte dieser kurz; was willst du jetzt damit machen?

– Es zurückgeben, was denn sonst? Ich hoffe, daß Hamilton mir vergeben wird, und wenn er es auch nicht thut, so muß ich es ihm dennoch zurückstellen, sonst würde ich nie mehr ruhig sein. Ach, ich bin in der letzten Zeit unglücklich genug gewesen! Ich habe so viel Böses gethan, setzte er mit einem tiefen Seufzer hinzu.

– Einen so elenden Burschen, wie du bist, hab' ich noch nie gesehen, sagte Casson. Du bist ein tapferer Held! Nicht wahr, du fürchtetest dich vor deinem eigenen Schatten? Weißt du, was du dir zuziehst, wenn du es zurückgibst?

– Mag kommen, was da will, sagte Louis, ich habe unrecht gethan, ja, ich habe unrecht gethan, daß ich auf dich gehört habe, Casson. Ach, wenn Gott mich nur noch einmal in meinem Leben glücklich machen wollte! Ich würde mein Glück alsdann nicht wieder so leichtfertig verscherzen; ich zittere, wenn ich an alles das denke, was ich in der letzten Zeit durchgemacht habe.

– Ich habe immer gedacht, du seiest ein Heuchler, sagte Casson spöttelnd; ich habe nie gesehen, daß ihr frommen Heuchler es besser macht, als andere Leute. Geh' nun, du feiger Kerl, und nimm deine Tracht Prügel in Empfang! du hast's nicht besser verdient. Nur laß mich aus dem Spiel; denn du bist allein der Schuldige.

Casson öffnete die Thüre und sprang in den Hof hinaus, wo er sich zu seinen würdigen Genossen begab.

Louis setzte sich auf eine Bank und überlegte, was er machen sollte. Die Thränen rollten ihm über die Wangen herunter. Sein erster Entschluß war (hätte er ihn nur ausgeführt), zu Hamilton zu gehen, ihm sein Gedicht zurückzubringen und die ganze Sache zu bekennen. Dann fiel ihm wieder ein, wie ihn derselbe in der letzten Zeit so kalt, so stolz und so verächtlich behandelt, ja, ihn förmlich von sich gestoßen, verworfen und aufgegeben hatte, und in seinem Geiste sah er die erneuerte Verachtung, die ihm immer unerträglicher vorkam. Das Paket entfiel seinen Händen. Endlich erhob er sich, nahm das Papier und eilte damit zur Thüre des Schulzimmers. Da er aber daselbst einen Diener des Hauses fand, so flog er zur andern Thüre; er wagte indessen auch hier nicht, hineinzutreten, sondern eilte nach der Thüre des Schlafzimmers. Doch auch da schreckte er zurück. Zuletzt kam er wieder vor die Thüre des großen Schulzimmers, machte dieselbe sachte auf, warf das Papier hinein und machte sich dann eiligst davon.


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