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Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Ich breche als Gesandter nach meiner Stadt auf, verzichte für immer auf meinen Thron und räume meine Besitzungen. – Ein angenehmer Zug und ein triumphirender Empfang.

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Meine Erzählung floß mir so rund von den Lippen, daß ich mir nicht wenig auf meine Beredsamkeitsgabe einbildete. Mein langbärtiger Zuhörer unterbrach mich nie, zeigte aber fast von Anfang an Merkmale der größten Aufregung und ließ rückhaltslos seine Thränen entströmen. Ich war hocherfreut über diese unzweideutigen Kennzeichen meiner oratorischen Kraft. Thränen aus den Augen eines Mannes, der ohne Zweifel sehr viel gelitten hatte, waren ein eben so unerwarteter, als willkommener Tribut.

Nachdem ich zum Schlusse gekommen war und sehr selbstgefällig innehielt (denn es ist so gar angenehm, einen derartigen Zuhörer zu finden), stund es eine geraume Weile an, ehe er Fassung genug gewinnen konnte, um mir zu antworten. Endlich aber sprach er in einem so wohlwollenden und väterlichen Tone, als mein Herz es nur wünschen konnte. Er versprach mir für den nächsten Tag ein Geleite kräftiger Männer, die ich selbst auslesen und sammt einer Tragbahre mit mir nehmen sollte, damit sich meine Schwester darauf setzen könne, wenn die Reise sie ermüde. Auch traf er alle Einleitungen, die ich andeutete oder die überhaupt in seiner Kraft standen.

Zur Erwiederung erzählte er mir nun unaufgefordert seine eigene Geschichte. Ich hatte damals noch keine Ahnung über die Person meines Wirthes, obwohl der Leser wahrscheinlich schon seine Vermuthungen gefaßt hat. Er war als krank hinterlistigerweise an's Land gesetzt und in der Nähe des Ortes verlassen worden. Ein Wunder hatte ihn vor Meuchelmord geschützt. Er fand die Mittel, sich zu bergen und zu ernähren; auch gelangte er wieder zu einer festen Gesundheit, was gewiß auffallend genug erscheinen wird, wenn man bedenkt, daß er so weit entfernt war von aller menschlichen Hülfe und jeder ärztlichen Berathung.

Nachdem er fast ein Jahr auf der Insel geweilt hatte, landete eine große Abtheilung von Indianern mit mehreren ihrer Weiber und Kinder. Sie wurden durch einen Zufall aufgehalten und trafen bei dieser Gelegenheit mit dem Spanier zusammen, dessen Aeußeres einen solchen Eindruck auf sie machte, daß sie ihn zu ihrem Häuptling erwählten, da der frühere in irgend einem thörichten Scharmützel gefallen war.

Es gehört nicht zu meinem Zwecke, zu berichten, durch welche milde und nachdrückliche Mittel er ihr Glück erhöhete, und wie er sie durch die veredelnden Einflüsse der Civilisation gesitteter machte. Er war allgemein beliebt, und fand um dieser Liebe willen den gewissenhaftesten Gehorsam. Die Indianer besaßen vielen wirklichen Reichthum; aber es gab keinen Streit, keine Prozesse unter ihnen, denn ihr Oberhaupt hatte den Gebrauch des Geldes noch nicht eingeführt. Da ich hieraus entnahm, daß die kleine Kolonie keine Advokaten hatte, so wunderte ich mich nicht länger darüber, daß ich keinen Galgen finden konnte.

Ich brauche nicht zu sagen, daß dieser allgemein geehrte Mann Niemand anders war, als Diego Mantez, der ältere Bruder des Kapitän Rodrigo Mantez. Die Art, wie letzterer seinen Bruder an's Ufer lockte, ist bereits durch den Silberlöffel geschildert worden. Diego vereinigte in seiner Person die oberste Würde des Staates und der Kirche – er war zugleich der Priester und der König seiner Gemeinde. Er hatte seine Leute zum Christenthum bekehrt und nannte sie Katholiken, obschon er in seiner Kirche nur wenig von dem Gepränge dieser Religion eingeführt hatte. Er trauete, taufte und beerdigte – ob er wohl den Kirchenbann dafür verdiente, daß er alle diese Dinge übte, ohne die Weihe eines katholischen Priesters empfangen zu haben?

Fahren wir fort in meiner Geschichte. Im Gefolge von acht stämmigen und fröhlich aussehenden jungen Männern, welchen als eine Art Ehrengeleit auch Diego's ältester Sohn beigegeben war, begannen wir, gut mit Mundvorrath versehen, am anderen Morgen um zehn Uhr unsere Wanderung nach dem Osten. Wir reisten sehr schnell, und meine einfachen Begleiter machten mir viel Vergnügen. Da ich mir die Landkennzeichen sorgfältig gemerkt hatte, so zogen wir ohne andere Unterbrechung, als für die Ruhe und Erfrischung nöthig war, unseres Weges. Es begegnete uns kein der Rede werthes Abenteuer. Wir erreichten den Fluß, setzten über denselben, und abermals hatte ich Honoria in meinen Armen. Jetzt quälten mich hierüber keine Gewissensbisse mehr. Sie war mir wieder die theure, meinem Schutze befohlene Schwester. Ich betrachtete sie nicht länger als ein Wesen, das durch das Geschick und den bösen Geist in mir bestimmt war, die künftige Herrin eines Königreichs und die Mutter eines Geschlechtes von Halbgöttern zu werden.

Meine ehrenwerthen Mantezumianer waren nicht wenig erstaunt über die Schönheit meiner Schwester, die ihnen übermenschlich vorkam, und würden sogar in Anbetung vor ihr niedergesunken sein, wenn Honoria sie nicht daran gehindert hätte. Allgemeine Freude herrschte in unserer Gesellschaft. Jugurtha machte Sprünge, grinste und stieß seine mißtönigen Laute der Wonne aus – sehr zur Verwunderung meiner Begleiter, welche sich höchlich über ihn beklagten, daß er ein so schlechtes Spanisch spreche! Auch seine Häßlichkeit setzte sie sehr in Erstaunen, denn er war in diesem einen Extreme eben so ausgezeichnet, als meine Schwester in dem anderen.

Da wir gut mit Mundvorrath versehen waren, so hielten wir einen Schmaus, und zum erstenmale erfreuten meine Begleiter ihre Herzen mit einigen mäßigen Bechern Palmweins. Sie hatten sich in unserer Wohnung und in deren Nähe Ruheplätzchen ausgesucht, während der muthmaßliche Erbe von Mantezuma seinen Fellmantel über unseren Tisch breitete und sich's hier bequem machte. Ich zog mich nun mit meiner Schwester nach unserem inneren Gemache zurück und berichtete ihr Alles, was ich gesehen und gehört hatte.

Mit überströmender Zärtlichkeit, die mein Herz in Wonne schmelzen ließ, dankte sie mir für alle die Mühe und Anstrengung, die ich um ihretwillen auf mich genommen hatte. Oh, wie liebte ich das Kind! Aber dennoch bereitete ihr der Gedanke des augenblicklichen Aufbruchs nicht ganz die Wonne, die ich erwartet hatte. Sie hatte sich bereits darauf gefaßt gemacht, mit mir in dieser glücklichen Einöde zu leben und zu sterben, und obwohl sie wußte, daß in Anbetracht der Umstände ein alsbaldiger Umzug ganz passend war, so kam ihr doch die Aufforderung zu plötzlich. Sie hatte bereits ihre Lieblinge – zwei Zwergaffen und ein weißes Eichhörnchen, welche ihr Glück von ihrer Hand zu suchen schienen. Auch ihr Blumenbeet war ihr sehr theuer geworden, und außerdem hatte sie noch Vögel von herrlichem Gefieder zu einer schüchternen Vertraulichkeit gegen sie verlockt. Eben so hegte sie manchen ungebornen Plan, den sie gerne hätte reifen sehen, um in meiner Verwunderung und Billigung ihren Lohn entgegenzunehmen.

Doch dieses Bedauern entschwand bald, als ich von unseren Eltern mit ihr redete. Ich wurde auch ein wenig bedenklich in Religionssachen, und theilte ihr mit, daß in dem Orte, wohin ich sie bringen wolle, eine Kapelle sei, wo sie wieder das Evangelium hören könne. Da sie hieraus entnahm, wie sehr ich wünschte, daß sie schon am andern Morgen abreisen sollte, so barg sie nicht länger den Wunsch, zu bleiben.

Am andern Morgen war Alles rührig mit Vorbereitungen zum Aufbruch beschäftigt. Diego's junger Sohn, ein anmuthiger Jüngling von ungefähr sechszehn Jahren, erwies sich besonders eifrig in Honoria's Dienste, und schien sogar betrübt zu sein, wenn sie ihm nicht stets etwas zu thun gab. Jugurtha war jetzt die einzige Person, welche die allgemeine Freude und Behendigkeit nicht theilte. Als er hörte, daß wir entschlossen seien, ohne Verzug abzureisen, so wünschte er anfangs, Alles mitzunehmen. Aber dennoch sah er sich genöthigt, Eines nach dem Anderen zurückzulassen, und trotz aller seiner Liebe und Achtung für uns konnte er doch nicht umhin, uns durch seine vorwurfsvollen Blicke zu verstehen zu geben: »warum wollt ihr euch auf Fremde verlassen, während Jugurtha noch lebt? Warum gebt ihr diesen ruhigen Erdwinkel auf, um euer Glück Anderen anheimzustellen?« Dreimal fürchtete ich eine Fehde zwischen ihm und dem jungen Diego, denn die pagenartigen Aufmerksamkeiten des Letzteren waren meinem schwarzen Freunde durchaus nicht angenehm.

Ohne etwas weiter mit uns zu nehmen, als unsere Kleider – die fürstlichen Schultern des jungen Mantez beugten sich unter der Last von Honoria's Putz – und einen gehörigen Vorrath von Lebensmitteln, traten wir wohlgemuth unsere Reise an. Um Jugurtha desto vollständiger alle Achtung zu bezeugen, unterhielt ich mich unaufhörlich mit ihm und fragte ihn oft um Rath, während er seinen Theil am Dialog durch Zeichen mit der Hand führte. Auch Honoria erwies ihm große Aufmerksamkeit; aber alle diese Beschwichtigungsmittel reichten kaum zu, um den Gleichmuth und die gewohnte Freundlichkeit des guten Negers wiederherzustellen.

Der muthmaßliche Erbe war unter uns Allen bei Weitem am schwersten beladen. In der That war die Last zu groß für den Jüngling – zu groß sogar für einen Mann; aber dennoch gestattete er nur ungern, daß ihm ein Anderer Honoria's Schätze weiter schleppen half. Seine Kräfte waren der Aufopferung nicht gewachsen, und das Uebermaß seiner Bürde durfte sowohl die Last, als das Glück seiner Gefährten erhöhen.

Als wir für die Nacht Halt machten, wurde für Honoria eine Laube errichtet und, trotz aller meiner Abmahnungen, ein Wächter vor dieselbe gestellt. Der thörichte Mantez bestach sogar seine Gefährten, damit sie ihm das lästige Privilegium abtraten, die Augen offen zu behalten, während doch die Natur und ein schwerer Tagmarsch ihn gebieterisch mahnten, sie zu schließen.

Wir gingen ohne wesentliche Unterbrechung weiter, bis wir der Niederlassung auf einige Meilen nahe gekommen waren. Honoria wollte sich nie der Tragbahre bedienen, weshalb dieses Möbel auf ihre angelegentliche Bitte schon beim Beginne der Reise beseitigt worden war. Ueberhaupt zeigte sie, daß sie so gut zu Fuß war, wie die Besten von uns. Unsere Wanderung war fast ein unaufhörliches Fest. Man lachte, scherzte, sang, und selbst wenn wir Halt machten, um Erfrischungen einzunehmen, ließ sich's einer oder der andere ehrgeizige Jüngling, als sei er aller Ermüdung unzugänglich, nicht nehmen, uns Auszeichnungshalber mit einem Tanze zu beehren.

Als wir noch etwa fünf Meilen von unserem Bestimmungsorte entfernt waren, kam uns ein großer Haufen von Männern und Frauen entgegen, welche frische Früchte und neugekochten Mundvorrath mit sich brachten. Der Rest unserer Reise war ein eigentlicher Triumphzug. Je näher wir kamen, desto mehr Leute schlossen sich uns an, und ehe wir die Häuser erreichten, hatte sich die ganze Bevölkerung, mit Ausnahme dessen, was ich den Hof nennen möchte, unserer Procession einverleibt. Aber jetzt half kein Widerstreben mehr. Honoria mußte sich auf eine Art Karren setzen, den vier stattliche Jünglinge auf ihre Schultern nahmen, und so ging es weiter, bis uns Don Diego, seine Gattin, seine Familie und die Wenigen, welche als die Aeltesten dieser kleinen Nation galten, entgegen kamen.

Brauche ich bei dem Jubel zu verweilen, der nun folgte? Tagelang gab es nichts als Glückwünsche, Gesang und Tanz. Das beste Haus, dessen sich die Niederlassung rühmen konnte, sammt seinen Höfen und Gärten, wurde uns zugewiesen. Das Gebäude übertraf sogar den königlichen Palast an Eleganz und Festigkeit, obschon nicht an Ausdehnung. Spreche man mir nicht mehr von öffentlichem Aufsehen, denn Honoria's Erscheinen konnte gewiß so genannt werden. Ja, es stand sogar eine lange Zeit an, ehe die unschuldigen Leute glaubten, daß sie wirklich einem sterblichen Geschlechte angehöre, denn sie hatten sich bisher nichts Aehnliches denken können. Das gute Völkchen behandelte uns, als ob es zu unserer Familie gehöre, und Honoria wurde fast angebetet. Letztere gab in dem Königreiche Mantezuma unstreitig die Mode an. Die Hälfte der weiblichen Bevölkerung lauerte am Morgen auf ihr erstes Erscheinen und eilte dann hin, um der anderen Hälfte zu sagen, wie die schöne Weiße gekleidet sei. Dann traten beide Hälften zusammen, um sich in ein einziges nachahmendes Ganze zu kleiden. Diese Nachahmungen fielen allerdings grotesk genug aus, waren aber selten ganz unelegant. So groß war die Macht Honoria's, um die Gemüther dieser kindlichen Bevölkerung zu verwirren. Zwischen Diego, seiner Familie und uns herrschte die innigste Vertraulichkeit. Der muthmaßliche Erbe würde sich nur zu glücklich geschätzt haben, für einen Blick aus ihren blauen Augen, der ihn mit einemmale stolz und elend machte, unser Sklave zu sein. Es stund in Honoria's Wahl, in eine königliche Verwandtschaft zu treten.

Wir hatten erwartet, Jugurtha werde sich ein Weib nehmen; er zeigte jedoch keine Neigung. Ich kann mir keinen anderen Grund dafür denken, als daß er zu klug war und, nach sehr mäßiger Schätzung, seine paar Monate über das fünfundvierzigste zurückgelegt hatte. Bounder hatte ein gutes Quartier gefunden und wußte sich herrlich in seine Lage zu schicken; Schade, daß er dabei nicht nur ganz unordentlich fett, sondern auch asthmatisch wurde. Mit Ausnahme dieser kleinen Störungen befand er sich übrigens auf dem Gipfel des Hundeglücks. Seine gute Stimmung war unverwüstlich und die kleinen halbnackten Mantezumianer fanden in ihm den nachsichtigsten Spielgefährten, den sie sich wählen konnten. In der That, sie waren gegen einander selbst nicht so duldsam, wenn es galt, sich um seine Liebkosungen zu balgen.

Was mich selbst betrifft, so kannte ich kaum die eigentliche Natur meiner Gefühle, obschon ich viel glücklicher war, als zu der Zeit, in welcher ich mit meiner vermeintlichen Bestimmung rang. Ich hatte nun den Rubikon überschritten und Honoria als meine Schwester vorgestellt. Wie sehr sind wir zur Tugend geneigt, wenn hundert Augen auf uns blicken. Der Unmuth legte zwar bisweilen seinen fressenden Zahn an mein Herz – aber dieser Angriffe waren nur wenige, und sie milderten sich im Verlaufe mehr und mehr.

Ich verwandte alle meine Zeit darauf, mir das Vertrauen der Männer und die Neigung der Damen zu gewinnen, was mir auch beiderseitig zum Verwundern gut gelang – ein seltener Fall, denn wenn man zu viel Gunst von dem einen Geschlecht genießt, sinkt man gewöhnlich ungemein in der des andern. In dieser beneidenswerthen Beschäftigung verbrachte ich alle meine Zeit, die ich nicht der Gesellschaft Don Diego's oder meiner eigenen Familie weihte.

Wir besuchten die Kirche, waren bei einer Hochzeit anwesend und ich stand mit Honoria bei zwei Kindtaufen zu Gevatter. Unsere Naturalisation ging bald vor sich, und Don Diego wünschte nichts sehnlicher, als uns für immer bei sich und den Seinigen zurückzubehalten.

Ueber die Galanterieen und Liebesscenen, zu denen Honoria Anlaß gab, ließe sich eine recht artige episodische Geschichte schreiben. Inmitten dieser rührigen Auftritte, welche für die handelnden Personen eine so hohe Bedeutung hatten, war ich oft geistesabwesend, während Honoria den Possierlichkeiten des Augenblicks die größte Belustigung abzugewinnen schien.

Wir hatten an diesem wirthlichen Orte fast einen Monat verbracht, als der erste Sturm, welchen man seit langer Zeit hier verspürt hatte, uns den Wink gab, ein Bischen fester zu bauen. Viele Häuser verloren ihre Dächer, und mehrere Gebäude, welche mehr hochstrebend, als dauerhaft waren, wurden gleich einem ungeordneten Ehrgeiz, der auf zu seichten Grund gebaut hat, über den Haufen geworfen. Indeß fanden weder Verluste an Menschenleben noch Beinbrüche statt.

Ich war neugierig, die Verheerungen anzusehen, welche der Sturm bei nächtlicher Weile in diesem herrlichen Garten der Natur angerichtet hatte, und erhob mich mit dem dämmernden Lichte, um unsere Niederlassung zu betrachten, worauf ich langsam nach der Küste hinunterging.

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