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Meine Familienverhältnisse. – In Folge tiefen Brütens handle ich auf's Gedankenloseste, und aus Mangel an gehörigen religiösen Grundsätzen nehme ich mir vor, mich ganz der Religion zu weihen – als Mönch.
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Wir müssen übrigens für eine Weile von diesem Schaffen schlimmer Leidenschaften absehen, um uns trockenen Geschäftssachen zuzuwenden. Mein Vater nahm mich förmlich zu seinem Associé an. Wir unterzeichneten mit einander lange, geschraubte Urkunden und siegelten sie sammt ihren Duplikaten und Triplikaten, als wären wir nicht Vater und Sohn, sondern Jude und Christ, die sich gegenseitig zu übervorteilen bemühten. Ich fand seine Habe weit größer, als ich erwartet hatte, obschon sie sich in einer bedenklichen Lage befand. Schonungslos war er von beiden Parteien, welche in Spanien um den Vorrang kämpften, geplündert worden. Allerdings gaben sie ihm, wenn sie ihm sein Geld abnahmen, Verschreibungen und die Versicherung einer Rückerstattung in friedlicheren, glücklicheren Zeiten; aber wenn auch diese endlich eintraten und die siegende Partei sich ehrlich erwies, so verlor er doch immerhin die Hälfte, da dann natürlich der unterliegenden das Brandmal der Rebellion aufgedrückt und sie selbst bis auf's Aeußerste geplündert wurde, so daß sie nicht an ein Abtragen ihrer Schulden denken konnte.
Diesen Zustand der Dinge in Erwägung ziehend, beabsichtigte mein Vater weislich, seine Geschäfte abschließend, so viel wie möglich von seinen Geldern einzuziehen und in Amerika größere Sicherheit zu suchen, da er vorläufig bereits eine sehr große Besitzung in Louisiana angekauft hatte.
Vor einigen Jahren war er zum Katholicismus übergetreten und hatte seinen ehrlichen englischen Namen Troughton in Trottoni umgewandelt. Ueberhaupt gab er sich alle Mühe, überall für einen eingebornen Spanier zu gelten, für den er auch von Jedem, der ihn nicht näher kannte, gehalten wurde. Er war ein schlauer, behutsamer Mann, besaß aber ein warmes Herz und eine hohe Meinung von der Würde eines Kaufmanns. Allerdings liebte er den Reichthum und gab sich deshalb alle Mühe, sein Vermögen zu erweitern; dabei war er so unermüdlich in seiner Beharrlichkeit, daß man ihn wohl mit der Spinne vergleichen konnte, welche ihre Linien, wie oft man sie auch zerstören mag, stets wieder neu construirt. Dieses Bild paßte ganz besonders gut auf ihn, denn oft war ihm von den Früchten seiner Mühe die Hälfte und sogar noch mehr entrissen worden; aber er zagte nie, sondern nahm stets seine Arbeit mit vergrößertem Eifer wieder auf.
Nichts lag seinen Plänen ferner, als der Gedanke, sich vom Geschäfte zurückzuziehen. Er sehnte sich nach einem sichern Ort, wo er Schutz gegen Unterdrückung und eine kräftige Regierung fand, welche es ihm möglich machte, seinen Handel über den ganzen Erdball auszudehnen; auch glaubte er einen sichern Ort in dem gefunden zu haben, nach welchem er zu ziehen gedachte.
Meine Mutter war ein schönes Musterbild einer edlen spanischen Dame und von vornehmer Abstammung, obschon sie nur einem armen Zweige ihres edlen Hauses angehörte. Sie besaß einen hohen Sinn und war von ganzer Seele eine Spanierin – eifrig ihrer Religion zugethan, eine leidenschaftliche Freundin von Prozessionen und, obschon sie es nicht wußte, vollkommen unter der Leitung eines kleinen, sehr alten Mönches, ihres Beichtvaters, der sich seinerseits durch eine ungeheure Gefräßigkeit beherrschen ließ. Da Mr. Troughton gewissermaßen noch immer die englische Gewohnheit täglicher vier substanzieller Mahlzeiten aufrecht erhielt und stets eine wohlgefüllte Speisekammer hatte, so war der gute Padre unserem Hause und seinem ganzen Inhalte sehr andächtig zugethan. Unter keinem andern Dache in Barcelona wurde ein solcher Tisch geführt.
Meine Schwester erhielt ihre Erziehung in Klöstern, ohne jedoch darin eingeschlossen zu sein; denn die Lehranstalt mußte sich stets an dem Orte, wo sich die übrige Familie aufhielt, befinden, und der Vater hatte sie stets wenigstens einmal in der Woche – in der Regel am Sonntage – zu Hause. Um diese Periode hatte sie eben ihr vierzehntes Jahr erreicht, und nach spanischem Landesbrauch war, mochte sie nun einwilligen oder nicht, das Abfinden getroffen worden, daß sie in ihrem sechszehnten mit Don Mantez vermählt werden sollte. Bis dahin aber wollte man sie ihre Erziehung in jenen religiösen Häusern, welche durch die Nähe ihrer Lage am bequemsten waren, vollenden lassen.
Mein Vater, der nur meine Ankunft erwartet hatte, um nach Amerika abzureisen, war durch mein Nichterscheinen in seinen Anordnungen sehr gestört worden. Jetzt wurde Alles wieder neu aufgenommen, und die Santa Anna, dasselbe Schiff, welches mich nach Barcelona gebracht hatte, sollte uns und unsere Kaufmannsgüter transportiren. Natürlich hatte der verhaßte Mantez für die Ausfahrt sowohl als für die Heimkehr abermals das Kommando zu führen. Don Julian und seine liebenswürdige Muhme kamen nun sehr häufig zu uns. Sie hatten das, was sie von ihrer zerstreuten Habe sammeln konnten, zusammengerafft und den Entschluß gefaßt, gleichfalls mit uns zu gehen, ihren heimischen Herd in unserer Nähe aufzuschlagen und in Amerika ihr künftiges Vaterland zu suchen. Wir erwarteten, sie würden sich vor der Einschiffung vermählen; aber aus Gründen, die wir nicht begreifen konnten, und in Folge von Ereignissen, die wir nicht kannten, hatten sie's nicht sehr eilig, das unlösliche Band zu knüpfen, obschon sich ihre Liebe durchaus nicht gemindert zu haben schien.
Auch Mantez war unser beharrlicher Gast und behelligte Honoria mit seinen kleinen Leiden, während sie seine Huldigungen als eine Sache, die sich von selbst verstund, entgegennahm und ihm sogar befahl, ihre verschiedenen Aufträge zu besorgen, als ob er ihr gemietheter Diener wäre. Ich sah deutlich, daß sich die Quellen ihrer Innigkeit noch nicht aufgeschlossen hatten, und daß sie das Wesen einer andern Liebe, als diejenige war, welche sie gegen ihre Familie empfand, nicht kannte.
Nachdem ich nun meine Stellung und die äußeren Umstände, welche mich in jener Periode umgaben, entwickelt habe, muß ich in der Geschichte meiner Gefühle fortfahren. Der Kampf war schwer gewesen, und ich hatte mich überredet, daß ich siegreich daraus hervorgegangen sei. Und ich hatte wirklich gesiegt. Ich blickte zurück auf mein früheres Benehmen, und entdeckte, wie viel ich geirrt und gesündigt hatte. Ich begann jetzt erstmals die Schönheit und die felsenfeste Sicherheit zu bemerken, die in einem strengsittlichen Benehmen liegt, indem ich es zugleich als Pflicht erkannte, gegen die mindeste Abweichung wachsam zu sein, mochte sie nun durch die Gluth der Leidenschaftlichkeit oder durch die Einflüsterungen des Stolzes von der geraden Linie der Rechtlichkeit abbringen. Ich fand, daß mich der Stolz zuerst in Versuchung geführt hatte. Ich wollte nicht in der Bescheidenheit meiner Armuth und in der Ungewißheit meiner Identität vor meinem Vater erscheinen; aber wie viele Leiden würde ich mir erspart haben, wenn ich unverweilt seinen Herd aufgesucht hätte, selbst auf die Gefahr hin, argwöhnisch aufgenommen zu werden.
Ich wählte jedoch einen falschen Stolz zum Führer, der mich schnurgerade in die Arme der Leidenschaft lockte und so meinen Frieden fast für immer zerstörte. »Aber,« rief ich, als ich schwermüthig und einsam durch mein Gemach schritt, »es war doch nur ein kleines Vergehen. Muß ich denn vielleicht ein ganzes, langes Leben mich mit stätiger Wachsamkeit abquälen, damit ich ja keinen falschen Schritt einschlage? Soll ich mit diesem wilden Herzen, das in wonniger Sehnsucht erglüht, inne halten, erwägen und die eisige Kälte des Alters in mein Inneres einführen, ehe ich es wage, mich dem Genusse einer einzigen Freude hinzugeben? Muß ich jede Lust, die sich mir darbietet, prüfend mustern, bis sie mir durch die Untersuchung zum Ekel geworden ist? Ist es meine Bestimmung, durch die Welt zu gehen, als ob mein Pfad mit Fallgruben und Dorngesträuch besäet sei? Muß ich den freien Athem der Jugend mit dem erdrückenden Panzer der Vorsicht einengen? Soll ich stets nach der Leitschnur der Vernunft, und nie nach den Eingebungen meiner Triebe handeln? Ist es meine Aufgabe, das Leben zu einer fortgesetzten peinlichen Prüfungsschule zu machen, welcher gegenüber der Tod seinen Schrecken verliert? Ach, und wenn ich dann Alles dies gethan habe, was wird mein Lohn sein? – Das größte Glück, das den Menschen hienieden möglich ist. Doch dieser fortgesetzte Zustand des Kampfes ist kein Glück; – wohl wahr – aber es gibt ein Jenseits: dieses wenigstens verlohnt sich des Kampfes – und für das Jenseits will ich leben.«
Und so kam ich zu einem Entschlusse. Ich bewachte meine Gedanken, selbst ehe sie noch geboren waren, kasteiete meinen Geist zur Demuth, war gehorsam – vorsichtig – kurz, ich bot Allem auf, um meinen starren Sinn zu mildern, betete viel, erdrückte jede rebellische Neigung und war sehr eifrig in meinen Obliegenheiten. Der Mann mit den Pistolen, der wilde Hund und der bewaffnete Neger waren vergessen – ich hieß wieder der ruhige Troughton, den Alles lobte. Jedermann sagte, ich gereiche meinem Vater zur Ehre und sei ein Segen für meine Familie. Die Eltern wünschten sich einen solchen Sohn und die Mütter einen solchen Gatten für ihre Töchter.
Aber während dieser ganzen Zeit kam kein Frieden in meine Brust – ich fühlte mich unglücklich. Ein beharrliches Düster breitete seinen Schrecken über meine Seele, und in meinen Aengsten brach ich oft in den frevelhaften Ruf aus: »Welches Glück kann mir diese Rechtschaffenheit bieten?« So war ich denn schon von der geraden Linie abgewichen.
»Wo ist der Sitz, und worin besteht meine Krankheit?« rief ich eines Abends ungestüm. »Ich habe mich selbst gebändigt, und doch ist mein Herz in Rebellion gegen mich.«
Ich will nicht weiter verfolgen, wie sich das Düster allmählig in meinem Innern anhäufte – wie mein Vater trauerte – wie meiner Mutter und meiner Schwester – ach, dieser Schwester – meine immer hinfälliger werdende Gesundheit zu Herzen ging.
Endlich bemächtigte sich meiner die Ueberzeugung, mein Wesen sei so durchaus sündhaft, daß es eine Pflicht sei, welche ich der Gesellschaft schulde, mich in ewige Abgeschiedenheit einzuschließen. Unter diesem Eindruck sagte ich eines Morgens, nur wenige Tage vor der zu unserer Abfahrt anberaumten Zeit, zu meinem Vater, ich fühle, daß ich durchaus nicht für die Welt passe; ich wolle daher meine Religion ändern und unverweilt als Novize in ein Kloster gehen.
Wir saßen eben beim Frühstück, als ich diesen unvernünftigen Entschluß veröffentlichte. Natürlich war Jedermann überrascht, aber die Ankündigung wurde von den Versammelten mit ganz verschiedenen Gefühlen aufgenommen. In Spanien herrschte eine solche Bigotterie, daß die Eingebornen, obgleich sie um politische Freiheit den Krieg bis zum Messer führten, ihre Priesterketten inniger umfaßten und sie noch obendrein mit mehr Stolz trugen, als ihren schönsten Schmuck.
Mein Vater war sehr ärgerlich, wagte es aber dennoch nicht, dem vollen Strome der Entrüstung, welchen ich in seiner Brust aufsteigen sah, Luft zu machen. Meine Mutter nahm daher den Faden des Gesprächs auf und rieth mir mit Milde, mich recht wohl zu besinnen, ehe ich einen so gar übereilten Entschluß fasse, obschon sie nur sich freuen könne, daß ich die Irrthümer meines ketzerischen Glaubens einsehe. Der kleine Mönch fand zwischen den ungeheuren Mundladungen, mit welchen er sich tröstete, hin und wieder einen Augenblick Zeit, mein Vorhaben zu billigen, und meine Schwester weinte.
Der Leser begreift wohl, daß meine Motive, von dem protestantischen Glauben abzugehen, dessen dogmatische Verschiedenheit von dem Katholicismus ich obendrein nicht einmal verstand, nicht auf religiösen, sondern menschenfeindlichen Grundlagen beruhten. Freilich konnte mir auch eine Glaubensform nicht sehr zuwieder sein, die, wie ich sah, so innig von allen Denen umfaßt wurde, welche meinem Herzen am theuersten waren; aber ich wünschte blos, vor mir selber zu fliehen, und machte mir wenig daraus, in welcher Weise ich diesen Zweck erreichte. Außerdem begann die düstere Vermuthung mich zu verwirren, daß ich wegen Entweihung des Göttlichen, die ich mir erlaubte, indem ich durch meine wilden Leidenschaften die katholische Prozession und die himmlische Darstellung ihrer Hauptzierde, der Jungfrau, verunglimpfte – zu all' den sühnenden Bußen derselben Kirche verurtheilt sei, welche ich stets gemieden oder verachtet hatte. Auf die warnenden Vorstellungen meines Vaters antwortete ich folgendermaßen:
»Ich maße mir nicht an, zu entscheiden, welcher Charakter der edlere ist – derjenige, welcher in seinem Mißtrauen auf die eigene geistige Kraft dadurch, daß er vor der Versuchung flieht, auch dem künftigen Zorne des Ewigen auszuweichen bemüht ist, oder derjenige, welcher ihr kühn entgegentritt, mit ihr kämpft und vielleicht siegt, aber im Unterliegen den schrecklichen und ewigen Fluch der Vermessenheit auf sein Haupt herabzieht. Aber wie warm und ergreifend ist nicht der Ausruf, den uns der Vermittler in den Mund legt: ›führe uns nicht in Versuchung!‹ Gott allein, der die Schwäche der Menschen kennt, kann hier entscheiden. Ich habe in der letzten Zeit mannhaft gegen den Zauber der Sünde angekämpft und furchtbar – ja, höchst furchtbar in dem Streite gelitten, Vater. Ich bin nicht so anmaßend, länger den Helden spielen zu wollen. Ich bekenne meine Schwäche, will mich aber nicht gefangen geben, sondern fliehen.«
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