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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Unsere Partie vergießt das erste Blut. – Der innere Krieg beginnt. – Sir David erhält seine Beförderung und tritt augenblicklich in thätigen Dienst.

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Um gegen jede Störung gesichert zu sein, zogen wir uns Alle nach der Hinterkajüte zurück. Ich brauche mich nicht umständlich über die Dankesseufzer, die glühenden Versprechungen und die warmen Händedrücke zu verbreiten, welche dem neuen Ritter im Uebermaße zu Theil wurden. Nachdem er uns Alle um sich versammelt, und der Reihe nach drei Gläser Portwein ausgetrunken hatte, sprach er in tiefem, gedämpftem Tone:

»David Drinkwater ist ein Mann von wenig Worten, und Eure Sicherheit liegt nur in einem einzigen Schritt. Der achtbare alte Gentleman möge als Eigenthümer dieses Schiffes thun, wozu er ein Recht hat, er muß den Kapitän absetzen und durch ein regelmäßiges Dokument das Kommando auf mich übertragen. Ich weiß, daß der Tyrann Widerstand leisten wird; aber gebt mir nur Jugurtha mit und laßt den schwarzen Jungen sein langes Messer führen, so wird Alles ruhig genug ablaufen. Die Beschwichtigung der übrigen Mannschaft könnt Ihr mir und den Meinigen anheimgeben. Nun, was sagt Ihr dazu?«

»Wir können Euch nicht zum Mord beauftragen. Nein, Drinkwater, unsere Feinde müssen den ersten Schritt zur offenen Gewalt thun. Reizt sie dazu, wenn Ihr wollt; aber weiter können wir nicht gehen,« lautete meine entschiedene Erwiederung.

»Aber wie greifen wir's an – wie greifen wir's an, Master Troughton? Durch die Schritte, die ich unternommen habe, um Euch zu dienen, bin ich jetzt an Händen und Füßen gefesselt und stehe auf einem Pulvermagazine, während rings um mich die Geschützpforten Feuer geben. Es sind zu viele in das Geheimniß eingeweiht, und mein Leben muß zum Opfer fallen. Daran läge nun freilich nicht viel, aber dennoch wünschte ich, daß dadurch jener theuren jungen Dame ein Dienst geschähe. Gütiger Himmel! Jetzt nur einen Sturm, und das Schiff ist in fünf Minuten unser. Jugg, mein Junge – er wandte sich dabei an den Schwarzen – du würdest wohl im Nu die Kajüte des Schiffes erreicht haben?«

Jugurtha fuhr unter einem diabolischen Grinsen mit dem Ballen seines Daumens über das wohlgeschärfte Messer.

Ich blickte ängstlich meinen Vater an, der jedoch nur den Kopf schüttelte; aber Don Julian sagte hastig:

»In der That, Ardent, es scheint mir ungerecht, das Leben dieses würdigen Mannes und so vieler seiner Genossen, welche furchtlos Alles für unsere Rettung in die Schanze schlagen wollen, preiszugeben. Gebt Drinkwater die schriftliche Bestallung, welche er verlangt, und Mantez mag sich dann auf eigene Gefahr ungehorsam zeigen.«

»Nicht doch,« versetzte der Vater. »Zwar sind fünf Achttheile des Schiffes sammt seiner ganzen Ladung mein Eigenthum, und da ich es gemiethet habe, stehen die übrigen drei Achtel für die Reise ausschließlich zu meiner Verfügung; aber dennoch fürchte ich, daß auf der See die Auktorität des Kapitäns nicht zu erschüttern ist. Nur um der Selbstvertheidigung willen dürfen wir zur Gewaltthat unsere Zuflucht nehmen.«

»Dann bin ich verkauft,« versetzte der Mate bekümmert, indem er seine beiden Hände über die Brust kreuzte.

Ich fühlte, daß wir nicht ehrlich an ihm handelten, und glaubte, daß in einem solchen Augenblick die Gelegenheit ihre eigenen Gesetze schaffen müsse. Deßhalb erwiederte ich mit Entschiedenheit:

»So wollen wir morgen zur Gewalt greifen. Haltet Euch bereit, Drinkwater, uns beizustehen.«

»Gesprochen wie ein Mann und wie ein ächter Britte; aber dennoch wird diese Ueberzartheit und dieses Rechtlichkeitsgefühl, zu dem ich keinen Grund absehen kann, mehr Blutvergießen herbeiführen, als mein ruhiger Plan. Die Sache muß also offen ausgefochten werden; zeigt uns nur, Sir, wann wir anfangen sollen.«

»Morgen, genau um Mittag, will ich mir gewaltsam durch die Schildwache Bahn brechen. Leistet sie Widerstand, so muß sie die Folgen auf sich nehmen. Eure Partie hält sich in Waffen bereit, und zehn von den Zuverlässigsten bewachen die Damen sammt dem Geistlichen in der Kajüte. Wir ziehen dann nach dem Halbdeck und bieten, wenn uns kein Widerstand entgegentritt, die Matrosen auf, denen wir, natürlich von Euch und Euern Freunden unterstützt, die Natur des Falles auseinander setzen. Der Kapitän und die übrigen Verschwörer werden mit Arrest belegt, und wir ändern den Kurs des Schiffes nach New-Orleans, wo unter Gottes Beistand noch Alles recht werden wird.«

»Zugestanden. Ihr werdet Euern Mann in mir finden. In der Zwischenzeit verbarrikadirt Ihr die Hinterkajüte so gut wie möglich und zieht die großen Kanonen nach vorn; das letztere hat übrigens bis morgen früh Zeit. Wißt Ihr, daß ein Kaufmannsschiff nicht weit von uns steht? Der Takelung nach halte ich es für einen amerikanischen Südsee-Wallfischfänger. Er weiß nicht, was er aus uns machen soll, namentlich, da wir in dieser Breite, oder vielmehr Länge stehen. Befänden wir uns mehr östlich, so könnten wir für einen großen alten Indienfahrer gelten. Der Amerikaner wird hinreichend Zeit zum »Schätzen« und »Calculiren« haben, wenn er morgen unsere großen Kanonen auf uns selbst krachen, unsere Pistolen knallen und unsere Stutzsäbel klirren hört. Gebt Acht, er macht sich aus dem Weg. Wie dem übrigens sein mag, jetzt nach Eurer Hängematte – sucht so viel Ruhe, als Ihr könnt – ich will's in keinem Punkte fehlen lassen, und möge das Recht den Sieg davon tragen.«

Er entfernte sich bald nachher, von unsern guten Wünschen und unserem Segen begleitet. Dann begaben wir uns sammt und sonders mit Gefühlen zu Bett, wie sie wohl alle diejenigen zu befahren haben, die an dem Vorabende eines Kampfes auf Tod und Leben stehen. Diese Entscheidung schien jedoch eine sehr günstige Wirkung auf Don Julian zu üben, denn er konnte furchtlos der Katastrophe entgegengehen, obschon ihm die Spannung unerträglich war. Jugurtha allein schien, wenn man aus dem Glanze seines Gesichts einen Schluß ziehen durfte, all das Glück gefunden zu haben, das für die Uebrigen verloren war. Der nächste Tag brach so schön an, wie ein Dichter es nur je wünschen konnte. Wir liefen noch immer voll nach Süden, und als ich um acht Uhr durch eine der Steuerbordpforten hinausblickte, sah ich in der Entfernung von ungefähr drei Meilen ein Schiff laufen, das mit uns genau denselben Kurs einhielt. Ich konnte mir wohl denken, daß dieß Don Mantez einigermaßen ärgerlich sein mußte, da es später gegen ihn Zeugniß ablegen konnte. Vielleicht bewog gerade dieser Umstand den verrätherischen Kapitän, jeden tragbaren Stich Segel auszusetzen. Der Amerikaner nahm dies augenscheinlich für eine Herausforderung zu einem Geschwindigkeitsversuche und setzte gleichfalls sein Tuch aus; aber seine überlegene Geschwindigkeit stellte sich bald heraus, und nachdem er uns vorangekommen war, holte er höhnend ein Leesegel nach dem andern ein.

Wir verbrachten den ganzen Morgen mit Untersuchung und Vorbereitung unserer Waffen, was natürlich in einer Weise geschah, daß die Schildwachen nichts davon zu Gesichte bekamen.

Bald nach unserer Einschiffung hatte ich unter der Mannschaft einen schönen, etwas zart gebauten, englischen Jüngling entdeckt, welchen ich in meine persönlichen Dienste genommen, indem ich Jugurtha der Familie im Allgemeinen überließ. Er war genau so groß, wie Honoria, und ihr in einiger Entfernung nicht unähnlich. Es hatte bereits acht Uhr geschlagen, und unsere Herzen pochten ängstlich. Plötzlich wandelte mich wie in Folge einer höhern Eingebung der Gedanke an, daß Honoria die erste Prise sein würde, wenn unsere Gegner den Sieg behaupteten. Wir hatten unter uns ausgemacht, sobald es zum Kampf käme, die Frauenzimmer unter dem Geleite eines Mannes von unserer Partie nach einem sichern Platze in Raum zu bringen. Sie wollten jedoch nicht darauf eingehen, und diese Hartnäckigkeit, welche mich anfangs sehr ärgerte, leistete später meiner Schwester wesentliche Dienste. Ich bewog Honoria, daß sie ihre schwellenden Locken opferte, und ihren Anzug mit dem jungen Menschen tauschte, denn in einer so gefährlichen Lage, wie die unserige war, durften wir es mit den Begriffen des Anstands nicht all zu genau nehmen. Ich bedeutete Honoria blos, daß es nöthig sei, und sie gehorchte mir augenblicklich.

Meine Hand zittert bei dem Dienste, den ich ihr auferlegt habe, und das Herz möchte mir vergehen bei dem furchtbaren Rückblick! aber es war Bestimmung, ich hoffe, es war Bestimmung. Ich, der zärtlich erzogene Mann, zu einem Berufe gebildet, dessen größter Feind die Gewaltthätigkeit ist – ich, der ein natürliches, ja sogar abergläubisches Entsetzen vor dem Blutvergießen barg, weil ich auf einen Mord fast handgreiflich die Vergeltung folgen sah – war zu einem Handeln bestimmt, welches auf's Neue Anlaß zum Vernichten menschlicher Leben geben sollte. O, groß, sehr groß ist die Verantwortlichkeit auf meinem Haupte. Wenn meine Thaten die der Blutschuld waren, Spender der Gnaden, so trage Nachsicht mit menschlichem Irren, und laß die schwerere Sühne, die ich erduldet habe, nicht ganz werthlos in deinen Augen sein.

Es fehlten nur noch einige Minuten bis zum Mittag. Ich lächelte bitter, als ich meinen guten alten Vater in einen Gürtel, den er umgelegt hatte, zwei ungeheure Pistole stecken und einen schweren Säbel an seine Seite schnallen sah. Jugurtha hatte sich bis an die Zähne bewaffnet, und auch Don Julian trug Sorge, daß von unserer Seite der Sieg nicht durch Mangel an Wehr gefährdet wurde. Wir machten dann die Kajütenkanonen los und zogen ihre Mündungen vorn, um im Nothfalle durch die Scheidewände feuern zu können. Die Damen mit ihrer weiblichen Dienerschaft drängten sich in eine einzige Gruppe zusammen, und warfen sich in die Hinterkajüte auf das Deck nieder, die Gesichter in den Teppich verbergend. Meine würdige Mutter verstopfte sogar ihre Ohren mit Baumwolle. Honoria, welche als Kajütenknabe verkleidet war, schien in dieser Eigenschaft gleichfalls nicht am unrechten Platze zu sein, als sie unter den Weibern ausgestreckt lag. Sogar Bounder, mein schöner, treuer Neufoundländer, gab sich den Anschein, als wisse er, was vorgehe, und halte sich deshalb zum Kampfe bereit.

Ich betrachtete die Gesichter meiner Genossen, welche, das unseres Jugurtha ausgenommen, todtenbleich waren. Ohne Zweifel war es bei mir der gleiche Fall.

»Jugurtha,« sagte ich feierlich, »mein Freund, so werth dir meine Liebe und unser beiderseitiges Leben ist, denke an die Leiden, die wir mit einander durchgemacht haben, und brauche nicht mehr Gewalt, als nöthig sein wird, um an der Schildwache vorbeizukommen. Erst wenn unsere Feinde anfangen, Tod und Wunden zu verbreiten, kannst du aller deiner Kraft und Wildheit die Zügel lassen.«

Dann wandte ich mich an meinen Vater, an Don Julian und an unsere Bedienten, indem ich fortfuhr:

»Meine Freunde, folgt mir auf dem Fuße – wir müssen das Halbdeck stürmen, wo wir Drinkwater und unsere Partei finden werden. Aber das erste Blutvergießen darf nicht von uns ausgehen.«

Die Glocke tönt achtmal zum Zeichen des hohen Mittags – es war das Todtengeläut für manchen Tapfern, aber auch für manchen Elenden – für Viele, die völlig unvorbereitet vor den göttlichen Richterstuhl traten. Honoria's gewöhnlichen Anzug, die dichte, schwarze, anmuthige Mantilla über das Gesicht gezogen, nahm ich den Kajütenjungen zwischen mich und Jugurtha – letzterer zur Linken und ich zur Rechten. Wir rissen die Kajütenthüre gewaltsam auf; aber die Schildwache trat vor und hielt mir im Nu den Säbel vor die Kehle. Der Wächter war ein wilder, guerillartig aussehender Mann, Entschlossenheit in seinen Mienen und Grausamkeit in seinen Augen. Ich glaube wahrhaftig, Drinkwater hatte es einzuleiten gewußt, daß dieser an die Thüre gestellt wurde, damit sein Blut vergossen werden möchte.

»Zurück, Sennor, – zurück, wenn Euch Euer Leben lieb ist!« rief die Schildwache, mir drohend, als wolle sie mir mit ihrer Waffe den Hals durchrennen. Bounder begann zu knurren, und ich machte Vorstellungen. Aber wir hatten einen Mann bei uns, dessen Muth rascher aufflammte, als der aller Uebrigen, nämlich Jugurtha. Im Nu hatte er der Schildwache seinen Stutzsäbel durch den Bauch in die Brusthöhle gerannt, und der Unglückliche sank, eine Masse von Blut und Eingeweiden, zusammen. Er hatte kaum Zeit gehabt, Lärm zu machen, als er schon das Blut seines Lebens unter schrecklichem Fluchen von sich spie, und seine Erdenbahn hatte ein Ende.

Die Leiche bei Seite werfend, hatten wir augenblicklich die Halbdeckleiter erreicht und stiegen soweit unangefochten hinauf. Ich stürzte nach vorn und brüllte dem Hochbootsmannsmaten zu, die Matrosen aufzubieten; aber wie ich mich auf die eine Seite wandte, sah ich den als Honoria verkleideten Jungen an meiner Seite stehen. Dies hatte ich eigentlich nicht gewollt.

Wir hatten uns nun völlig bloßgestellt, aber Drinkwater war so treu wie Stahl von Damaskus. »Wacker-Drescher, zu Euren Waffen!« brüllte es durch das Deck. Ich war bald von einer tüchtigen Garde umringt. Sie und die schnell sich schaarende Schiffsmannschaft stürzte durch die Luken herauf. Von Furcht gelähmt und am ganzen Leibe vor Bestürzung zitternd, hätte der verkleidete Knabe ein erschrecktes Frauenzimmer nicht besser darstellen können. Die ersten Worte, welche ich ausrief, als ich mich von meinen Freunden unterstützt sah, lauteten:

»Drinkwater, gebt meiner Schwester eine verläßliche Person mit, um sie nach einem sichern Platze zu geleiten.«

Die angebliche Dame war augenblicklich von einer eifrigen Schaar umringt, welche zum Theil auch aus Matrosen bestand, die nicht zu unserer Partei gehörten, denn es gab nur Wenige im Schiff, die nicht eine Art romantischer Verehrung für meine Schwester unterhielten.

Die Verwirrung wurde nun schrecklich. Wie die Mantilla unter der Halbdeckleiter verschwand, stürzte Don Mantez, völlig bewaffnet und von sieben oder acht Personen begleitet, aus seiner Kajüte. Er versuchte augenblicklich den verkleideten Knaben anzuhalten; aber Jugurtha stürzte, wie ein Tiger durch das Gebüsch, über das Verdeck und führte mit einem Tomahawk, den er von dem Capstan losgemacht hatte, einen tödtlichen Hieb nach seinem Erzfeind. Einer seiner Anhänger warf sich dazwischen – eine Treue, für die ihm der Kopf bis an's Kinn gespalten wurde. Der Ruf Meuterei erscholl nun allenthalben; Waffen klirrten und der Knall der Musketen und Pistolen ertönte auf den Decken. Anfangs gewannen wir einen beträchtlichen Vortheil, denn wir trieben den bereits verwundeten Kapitän und seine Hauptofficiere zuerst unter den Hüttenrand und zuletzt in die Kajüte zurück, deren Steuerbord- und Backbordthüren sie augenblicklich verbarrikadirten. Die Männer am Steuer wichen von ihrem Posten und überließen nun uns die Lenkung des Schiffes. Auch das Halbdeck war unser und wir begannen schon, uns zu dem leicht gewonnenen Siege Glück zu wünschen.

Ich blickte umher und sah mich von fast fünfzig Parteigängern umringt, die Alle mit den blauen Bandstreifen geziert waren, während Sir David Drinkwater die Insignie seines Ordens mit den vielen Schleifen trug. Der Ruf: »Mord, Meuterei! Tod den Engländern!« begann schrecklich von der Hauptdecke und von der Back zu erschallen. Die Männer schwärmten in unterschiedlicher Bewaffnung wie zornige Wespen herauf. Die Leiche der spanischen Schildwache wurde durch das Gedränge getragen und erhöhte den Groll, welcher sich bald bis zum Wahnsinn steigerte. Ich trat nach vorn, um das Schiffsvolk anzureden, aber meine Worte wurden durch das Fluchen und Brüllen erstickt. Mehrere Musketen und Pistolen wurden nach mir abgeschnappt, aber alle versagten. Ich sah mit einemmale, daß wir wenigstens mit einer doppelten Anzahl zu streiten hatten.

Bereits hatten unsere Feinde angefangen, die Back zu befestigen. Sie begannen mit Losmachen der beiden langen Zwölfpfünder, welche das Buggeschütz bildeten, und richteten sie nach hinten. Mit Musketen bewaffnete Matrosen stiegen das Focktakelwerk hinan, um sich in den Marsen festzusetzen. Ueber diese Vorbereitungen, welche mir so grausenhaft vorkamen, schien Drinkwater ungemein und sehr unzeitig vergnügt zu sein, weil weder ich noch mein Vater etwas Lächerliches in allen diesen tödtlichen Bewegungen sehen konnten. Während wir uns in diesem Zustand der Spannung befanden und uns gegenseitig bewachten, um den zweiten Angriff vorteilhaft beginnen zu können, weil ich fand, daß keiner meiner Parteigänger auf mich hören wollte, so proklamirte ich in meinem und meines Vaters Namen als Eigenthümer des Schiffes und der Ladung David Drinkwater zum Kommandanten des Schiffes, indem ich feierlich den Mann, der sich Don Mantez nenne, für einen »Räuber, Piraten und Mörder« erklärte.

Diese Proklamation wurde mit drei lauten Hurrahs entgegen genommen, und Sir David bedankte sich durch Abnehmen seines Hutes, wie auch durch eine sehr herablassende Verbeugung gegen uns Alle. Aber, obgleich die Einmüthigkeit, mit welcher diese Neuigkeit auf dem Halbdeck vernommen wurde, erfreulich genug war, so zeigten sich doch in der Back und auf dem Hauptdeck, wo sie ebenfalls kund geworden, weil ich sie aus Leibeskräften in spanischer, englischer und französischer Zunge durch das Sprachrohr schrie, die besorglichsten Bewegungen. Unser Hurrah wurde mit dem Rufe empfangen: ›Nieder mit den Engländern! Tod den Meuterern. Möge das Blut der Mörder fließen!‹ Thörichterweise glaubten sie, es handle sich um einen Nationalstreit.

»Kapitän Drinkwater,« sagte mein Vater mit so viel Ruhe, als ob er einen Eintrag in seinem Hauptbuche prüfe, »wir stellen uns ganz unter Eure Leitung. Befehlt, und wir gehorchen.«

»So nehmt Don Julian, Jugurtha und ein Dutzend Mann mit Euch, um die Kajüte zu vertheidigen. Wir haben dort die Damen und die Munition; pflanzt Euch dem Halbdeckbollwerk entlang in einer Linie auf. Wenn ihr zu hart bedrängt werdet, so wollen wir euch von dem Halbdeck aus Verstärkung zugehen lassen. Vergeßt nicht, Sir, daß die Kajüte unsere Citadelle ist; wenn diese ausländischen Bettler nicht Vernunft annehmen wollen, so denke ich, daß wir den Spaß auf dem Hauptdecke auskämpfen müssen. Mein blanker Silberlöffel,« fuhr er gegen den Londoner fort, »Ihr seid ganz und gar ein Trumpf. Nehmt das Steuer, es läßt sich leicht genug handhaben – und stellt den Schnabel genau Süd Viertelost. Könnt Ihr mit einer Eurer Knallbüchsen dem Whiskerando eins versetzen, so macht's nichts aus, wenn das Schiff auch in den Wind fliegt; aber laßt Euch nichts Anderes hindern, auf dem Kurse festzuhalten. Nun, Master Troughton, es thut mir leid, aber wir müssen jetzt das Geschäft allen Ernstes beginnen.«

»Laßt mich die bethörten Menschen noch einmal anreden.«

»So versucht's meinetwegen; aber sagt denen davorne, wenn sie nicht in fünf Minuten weich geben, werden wir auf sie feuern.«

»Dafür lachen sie uns aus, denn es ist weit wahrscheinlicher, Kapitän Drinkwater, daß sie auf uns feuern werden. Sie scheinen gerade weit genug entfernt zu sein, um ihr Kleingewehr gut zu gebrauchen, und ihre zwei langen Kanonen müssen ihnen einen entschiedenen Vortheil geben. Laßt uns in dichtem Haufen nach vorn stürzen und die Back nehmen; das ganze obere Deck ist dann unser.«

»Ihr habt eine gute Ansicht von dergleichen Dingen, Sir, aber wir besitzen keine übrigen Hände, und es würde uns einige Leben kosten. Außerdem ist's stets besser, seinem Kapitän zu gehorchen, als mit ihm raisonniren. Macht Eure Proklamation, und dann wollen wir eben bleiben, wo wir sind, um ihnen von hier aus eine volle Salve zu geben.«

Während ich den in der Back Versammelten durch das Sprachrohr zuschrie, wurde meine Aufmerksamkeit plötzlich durch ein großes Gewühl hinter mir auf sich gezogen. Ich wandte mich plötzlich um und sah die Hütte, welche zwei Minuten zuvor ganz verlassen gewesen, mit Menschen gefüllt. Mantez, seine Offiziere und mehrere von seiner Partei waren über die Schanzgallerie hinaufgestiegen. Ich hatte mir nicht vorgestellt, daß so viele Leute hinten sein könnten. Die Meisten davon waren gut mit Musketen bewaffnet, und als ich sie bemerkte, hatten sie die Kanonen so gestellt, daß sie unsere Stellung völlig beherrschten. Wir standen nun zwischen zwei Feuern, und unser Untergang schien unvermeidlich. Ein entsetzlicher Gedanke bemächtigte sich meiner. Ich wandte mich gegen Drinkwater, packte ihn am Kragen und rief:

»Ha, seid Ihr ein Verräther?«

»Sucht nach der Wahrheit in meinem Herzen; Ihr habt ein Schwert in Eurer Hand.«

Diese Antwort wurde in ruhigem, fast wehmütigem Tone gegeben; er war augenscheinlich tief verletzt. Er wandte sich von mir ab und ordnete unsern kleinen Haufen in zwei Linien, von denen die eine sich der Hütte, die andere der Back gegenüber aufpflanzte. Die Leute erhielten Befehl, ihre Musketen abzusetzen und die Hahnen zu spannen. Der Geschützmeister, ein Spanier, der zu unseren Parteigängern gehörte, und in der That der einzige Offizier war, der für uns gewonnen werden konnte – ich und Drinkwater traten in die Nähe des Capsten zwischen die beiden Reihen. Da verbreitete sich wie durch ein Wunder ein seltsames Schweigen über das ganze Schiff. Die einander gegenüberstehenden Parteien stierten sich wechselseitig mit großen Augen an. Der Streit schien mit einem unnatürlichen Handgemenge zu drohen – wenigstens würde in größerer Entfernung von einander jede Partei eifriger auf den Beginn erpicht gewesen sein. Wir wußten, daß vielleicht, während die Kugeln unsere Körper durchdrangen, der Blitz, welcher ihnen ihr tödtliches Ziel anwies, unsere Augen blenden würde. Dennoch fuhr das Schiff mit seinen schwellenden Segeln in ruhiger und gefälliger Würde weiter. Ich blickte nach seiner stolzen, majestätischen Haltung auf: die Santa Anna erinnerte mich an eine edle Schönheit, die durch die Hallen ihres Vaters wandelt, den Krebs der Schwindsucht in ihrer Brust.

*


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