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Zwölftes Kapitel.

Meine Frömmigkeit erwacht, aber ich gerathe in die unrechte Kirche. Meine Andacht befriedigt mich weniger, als ich erwartet hatte. – Dome sind mehr für Sünder, als für Heilige gebaut.

—————

Die Stimme des Mannes, der mich in dem letzten Kapitel anredete, ließ mich in dem Sprecher augenblicklich meinen jungen, wohlwollenden Freund Julian erkennen. Es folgten nun gegenseitige Erklärungen und Glückwünsche. Er hatte mir nur eine sehr traurige Geschichte zu erzählen, denn seine Angelegenheiten befanden sich in einem weit verzweifelteren Zustand, als er erwartet, und er hatte den einsamen Ort, an welchem ich ihn gefunden, auserlesen, um über dieselben ungestört nachzudenken. Unsere Unterhaltung wurde sehr ernst, und als wir in die Stadt eintraten, hatten wir die zeitlichen Dinge verlassen, um uns über die ewigen zu besprechen.

Statt unsere Quartiere aufzusuchen, gingen wir unter dem Schatten der alten Kathedrale bis fast Mitternacht hin und her. In unserem Gespräche hatten wir unsere Herzen enthüllt, und da der Eindruck desselben eine große Wirkung auf mein späteres Geschick übte, so will ich einen kurzen Abriß davon geben. Nachdem wir gegenseitig die unerschöpfliche Liebe und das gränzenlose Wohlwollen des Schöpfers anerkannt, zugleich auch über das Dasein des Bösen einige sehr schöne Hypothesen, welche nur dazu dienten, unsere Sinne wie in einem Netze zu verstricken, vorgebracht hatten sagte Julian, der sich jetzt ein Bischen schwer auf meinen Arm stützte, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben:

»Ardent, der Zustand eines vollkommen ungetrübten und ewigen Glückes kann von einem menschlichen Geiste nicht erfaßt werden. Sogar die Seligkeit der reinsten Verzückung kann nur dann gewürdigt werden, wenn sie einen Gegensatz hat. Nichts trägt seinen Maßstab in sich selber, und was auch die Geistlichen dagegen predigen mögen, so bin ich doch zu glauben geneigt, daß in dem seligen Zustand des jenseitigen Lebens uns die Erinnerung an die Mühen und Leiden dieser elenden Welt bewahrt bleiben. Wenn daher der rechtschaffene Mann hienieden recht viel gelitten hat, so muß er jenseits nothwendig ein größeres Glück empfinden, obschon ich dies nicht als Glaubensdogma aussprechen will, Troughton; denn ich beabsichtigte damit bloß ein Einlenken auf einen Gegenstand, der mir viel Schmerz bereitet hat – einen Schmerz, mein theurer Freund, dessen unbewußter Veranlasser Ihr seid.«

»Ich? Sprecht Euch unverholen aus, was Ihr damit meint?«

»Durch die Schrecken jenes entsetzlichen Schiffbruchs, den Ihr mir so lebhaft geschildert habt, müßt Ihr sowohl geistig als körperlich die größten Leiden erduldet haben, deren der Mensch fähig ist, was schon durch den Zustand der Erschöpfung, in welchem wir Euch fanden, zur Genüge bewiesen wird. Als Ihr an Bord unseres Schiffs genommen wurdet, Eure Knochen wieder ihr Fleisch gewannen, Eure Wangen auf's Neue in dem Roth der Gesundheit erglüheten, und Euer Geist sich erheiterte, hoffte ich, daß Ihr größere Dankbarkeit an den Tag legen würdet.«

»Ich undankbar? O Julian, Ihr drückt mich in die Erde und vernichtet mich! Eh' Ihr dies von mir glaubt, will ich lieber zu Euern Füßen niederknieen und Euch bitten, mich zu erschlagen.«

»Nicht gegen mich – nicht gegen mich, mein Ardent! Mir schuldet Ihr nichts. Blickt zu Eurem himmlischen Erhalter auf! Kann irgend Etwas dem menschlichen Sinne Faßliches einen größeren Gegensatz zwischen unsterblichem Glücke und sterblichem Elend bieten, als die Darstellung dessen, was Ihr auf der See und in dem Schiffe unten gelitten, und was Euch ebendaselbst verzücket hat? Und doch habt Ihr noch nie diese große Gnade im Gespräch, im öffentlichen Gebet – ja vielleicht nicht einmal in Eurer stillen Andacht anerkannt.«

»Mit Scham muß ich bekennen, daß Ihr Recht habt – Ihr schneidet grausam in mein Herz ein.«

»Nicht grausam, sondern wohlwollend, liebevoll und brüderlich. Isidora und ich, wir beide hätten Euch diese Herzenshärtigkeit nicht zugetraut.«

»Julian, ich fühle mich erniedrigt vor Euch – heute Nacht noch in der Einsamkeit meiner Kammer –«

»Das wird nicht genügen – thut es – aber es wird nicht genügen. Seht Ihr diesen edlen Tempel? Bemerkt Ihr, wie seine altergrauen Thürme himmelwärts ragen? Der glorreiche Mond steht darüber in überschwenglicher Reinheit wie eine geläuterte Seele, welche eben erst die Netze des Grabes abgeworfen hat. Ist nicht rings um diese Stille eine Atmosphäre von Heiligkeit ergossen, die in Euer Herz eindringt?«

»Wohl – aber der Unterschied unserer Glaubensbekenntnisse – –«

»Was wollt Ihr damit? Gibt es im Danke zwei Glaubensbekenntnisse? Vielleicht sind die Unterschiede des Glaubens nur Unterschiede des menschlichen Irrens; aber wenn Gott aufrichtig gesucht wird, so wird er die Irrthümer vergeben um der Liebe willen, die er zu unserem Geschlechte trägt und die ihn seinen eigenen Sohn für unsere Erlösung opfern ließ. Kommt zu ihm mit einem ehrlichen Durste nach Wahrheit und mit reinem Herzen; mögen dann auch Eure Gebete an den Füßen eines katholischen Altares ausströmen – verlaßt Euch darauf, sie werden gnädiges Gehör finden.«

»O Julian, Ihr wollt doch keinen Konvertiten aus mir machen?«

»Gott behüte! Nur als Sünder bitte ich Euch, morgen zu kommen und unter uns zu knieen. Ihr glaubt, daß uns die Dünste des Aberglaubens umziehen, und ich gebe zu, daß vielleicht auch in der zeitlichen Verkörperung der Heiligen bei dem irrenden Menschen zeitliches Irren sich mit einschleichen mag; aber seid versichert, wenn die Gebete aus einem zerknirschten Herzen kommen, so sind sie in den Augen des Allbarmherzigen gereinigt, ehe sie das Dach dieses Domes erreichen. Diese edle Kirche ist zunächst dem Allmächtigen, dann aber namentlich Nostra Sennora de la Mar geweiht, und morgen wird ihr zu Ehren eine große Procession gehalten. Alle Seefahrer, welche in der Stunde der Gefahr ihre Gelübde abgelegt haben, kommen und bringen der Jungfrau ihr Opfer. Ardent Troughton, um Eures Freundes und um Eurer unsterblichen Seele willen – schließt Euch der Andacht dieser Leute an; denn wer ist wunderbarer erhalten worden, als Ihr?«

»Ich will es thun.«

»Aber lächelt nicht über das, Ardent, was Euch als eine Ungereimtheit erscheint. Die Ceremonieen sind nicht der Geist, obschon sie die träge Seele zu dem Gefühl der Andacht wecken. Die Fahnen, den Weihrauch und die Reliquien mögt Ihr meinetwegen als Sinnbilder oder als Eitelkeiten betrachten – nur findet Euch ein.«

»Ihr habt mein Wort.«

»Und blickt nicht mit Verachtung auf die demüthige Opfergabe des in Sturm und Wetter abgehärteten Matrosen.«

»Ich werde dort sein, Julian, und gleichfalls meine Opfergabe mitbringen – ein reuiges und gedemüthigtes Herz.«

Wir Beide waren tief ergriffen, flehten zu Gott um seinen Segen und kehrten dann nach unsern Wohnungen zurück.

Unseliges Versprechen! Wäre ich doch lieber mit James Gavel in dem Meere zu Grunde gegangen, als daß ich es ablegte – wäre ich lieber in jener Nacht gestorben, in welcher ich mich dem Himmel empfahl, als daß ich es hielt. Thor, der ich war, auf die wohlgemeinte Sophistik meines Freundes zu horchen! Was hatte ich mit jener päpstlichen Maskerade zu schaffen? Mit freiwilliger Blindheit stürzte ich in mein Schicksal.

Am andern Morgen hatte sich die Gluth der Begeisterung gelegt, und ich bereute bitter meine Zusage, in eine römische Kirche zu gehen und daselbst anzubeten. Ich erinnerte mich der Worte, welche der gute alte Kaufmann Falk bei meinem Abschiede gesprochen hatte. Aber dennoch hielt ich mein Versprechen heilig und beschloß, mich so sehr in Gebet und fromme Betrachtungen zu vertiefen, daß der Prunk der Procession an mir verloren ginge.

Ich schrieb an meinen früheren Principal einen ausführlichen Bericht über meine Abenteuer, theilte ihm meine gegenwärtige Lage mit und bat ihn, entweder einen seiner Söhne zu schicken, um die Sache zu bereinigen, oder mich mit anderweitigen Beglaubigungen zu versehen, die meinem Vater allen Zweifel an meiner Identität benähmen. Nachdem ich noch das Ansuchen beigefügt hatte, er möchte seinen Geschäftsfreund in den Stand setzen, die Versicherungssumme für die verlorene Brigg und ihre Ladung zu erheben, begab ich mich gegen Mittag nach der Kirche der Nostra Sennora de la Mar.

Auf meinem Wege dahin kam ich an der Prozession vorbei, vermied aber angelegentlich, danach hinzusehen, und als ich in die Kirche trat, war ich fast allein. Ich knieete vor dem prachtvollen Altarbilde und hoffe, meine protestantischen Freunde werden mich deshalb nicht verdammen. Nachdem ich in dieser Weise meinem Freunde Wort gehalten hatte – der Bigotte wird freilich denken, daß ich dadurch meinen eigenen Glauben gefährdet habe – wollte ich wieder aufbrechen, als mit einemmale das laute Geschmetter der Trompeten und der Klang sonstiger musikalischen Instrumente meine Schritte fesselte.

Das weite Portal der Kirche füllte sich augenblicklich mit den Theilnehmern der prunkvollen Prozession, deren Einzelnheiten zu schildern eine eitle Mühe wäre; es genüge, zu sagen, daß sie aus einem Gemische von Größe und Ungereimtheit bestand. Unterschiedliche männliche und weibliche Heilige, in rohem Schnitzwerk und in die neueste Mode gekleidet, wurden aus hohen Gestellen von Menschen einhergetragen; auch fehlte es nicht an Reliquien und Fahnen. Ueber alles Uebrige ragte eine vierzehn Fuß hohe kolossale Figur, welche – der Himmel weiß, durch welche Ideenassociation – den heiligen Joseph vorstellen sollte, denn sie war in einem hellgrünen Mantel, in scharlachrothe Hosen, die fast dem Auge wehe thaten, und in gelbe Hussenstiefel gekleidet, während sie auf dem Kopf einen ächtspanischen Hut mit einer schönen weißen Feder trug. Die Geschicklichkeit des Holzschneiders stand nicht auf gleicher Höhe mit dessen Frömmigkeit, denn die ganze Figur war ungestalt und das Gesicht lächerlich häßlich. Da indeß dieser würdige Heilige sein Antlitz so hoch über den Köpfen aller Andern trug, so beugten die andächtigen Zuschauer die ihrigen nur um so tiefer vor ihm. Unter anderen Eitelkeiten bemerkte ich auch in der Mitte des Prunkzugs einen schön verzierten, hohen, aber leeren Wagen. Ein Theil dieser Prozession bot jedoch ein rührendes Interesse – nämlich ungefähr dreißig ehrlich aussehende Matrosen, welche in der Mitte des Zugs sich näherten, um ihre Opfergaben zu den Füßen unserer lieben Frau vom Meere niederzulegen. Trotz des rauhen Ernstes ihrer Züge, war auch nicht ein trockenes Auge unter ihnen zu bemerken. Sie waren dankbar – und der Dank ist ein Gebet, ein Weihrauch, den der Allmächtige stets wohlgefällig annimmt. Allerdings dachten sie, dieses hehre Wesen sich dadurch um so günstiger zu stimmen, daß sie an dem Altare der jungfräulichen Mutter Wachskerzen von verschiedenem Umfang, wächserne mit Flitter ausgeputzte kleine Heiligenbilder und – was die frommen Patres wohl am meisten werthschätzten – unterschiedliche kleine Leinwandbeutel mit Silbermünzen opferten. Dennoch übte dieser Theil der Ceremonie und die Haltung der Matrosen einen ergreifenden Eindruck. Es war keiner darunter, den nicht die Hand der Vorsehung vor dem Tod in der klaffenden Tiefe, oder vor dem noch schrecklicheren Ende auf einem von Wellen umspülten Riffe bewahrt hatte.

Obgleich zu den Seiten dieses ehrlichen Haufens verwitterte Knochen, die mit wunderthätigen Kräften begabt waren, getragen wurden, und rechts und links eine Schaar kräftiger Bursche mit zehn Fuß langen und verhältnißmäßig dicken Wachskerzen ging, welche zur größeren Sicherheit in Gestellen stacken, die an Leibgürteln bis auf das Knie herunterhingen – ich sage trotz dieser und tausend anderer gleich grotesker Ungereimtheiten fühlte ich mich doch nicht geneigt, über den ganzen Aufzug zu spotten.

Die Opfergaben der Matrosen fielen in ein ungeheures, achteckiges silbernes Becken, das von acht schneeweiß gekleideten Priestern getragen wurde. Nachdem Jeder seinen Zoll abgegeben hatte, glaubte ich, daß die Schaustellung vorüber sei, und ich erhob mich abermals von den Knieen, um mich zu entfernen. Wollte Gott, daß ich jetzt gegangen wäre! Hätte ich doch gewußt, daß ich damals auf der Scheidelinie meines Schicksals stand!

Ein plötzliches triumphirendes Erdröhnen der Orgel fesselte mich an die Stelle. Das hohe gothische Gewölbe erbebte unter dem harmonischen Wiederhall, und der Boden zitterte unter meinen Füßen, als nehme er Theil an der erhabenen Melodie. Dann tönte der Choralhymnus an die heilige Mutter – die jugendliche, die schöne, die gebenedeite! Der Gesang begrüßte sie wie der Geist der geläuterten Liebe mit zärtlichen, heimischen Ausdrücken und flehte sie um ihre Fürsprache an. Die Bitte klang in mein Ohr, daß ihr Wohlwollen athmen möge über dem Meere, und daß sie, die selbst auch sterblich gewesen, sich in ihrer seligen Unsterblichkeit erinnern möge der Armen, die noch hienieden wallen. Allerdings war der Hymnus in gereimten Mönchslatein abgefaßt, drückte aber dennoch die Gefühle mit Klarheit, Kraft und Innigkeit aus; die Musik war erhaben und der Chor vortrefflich.

Nach jedem Verse stiegen die acht Priester eine der Altartreppen hinan und trugen das Opferbecken mit sich. Auf jeder Stufe beugten sie ein Knie, und erhoben die Augen mit Blicken andächtigen Flehens zu dem Altarblatte, welches die Jungfrau, mit dem Heiligenscheine der Schönheit und Unschuld umgeben, darstellte.

Meine Augen waren auf ihr wunderherrliches Antlitz geheftet, und es dünkte mich fast, als ob ein so unaussprechlicher Ausdruck von Huld die Anbetung verdiene, die ihm gezollt wurde. Inzwischen umringten die Acolyten den Altar, und die Ministranten schwenkten die Rauchfässer, aus denen wohlriechende Düfte in zierlichen Rauchsäulen nach der reichverzierten Decke in die Höhe stiegen, sich allmählig durch das ganze Gebäude verbreitend, und zuletzt um die ganze Prozession einen geheimnisvollen Nebel werfend, der sie mit einemmale aller ihrer Zusammenhanglosigkeit beraubte. Die Scene fing an, einen peinlichen Eindruck auf mich zu machen – ich zitterte, mein Herz klopfte – die Thränen standen in meinen Augen – und ich fühlte mich lebhaft versucht, dem bedrückenden Entzücken, das sich meiner bemächtigte, durch einen wilden Ausruf Luft zu machen. Da hatten die Priester die höchste Stufe erreicht, und wie sie mit dem Gemälde fast ganz in eine glorreiche Weihrauchwolke verhüllt waren, erklang die Orgel und der Chor in schallenden Donnertönen – Ave Maria, Hallelujah!

Ein lebhaftes Licht brach hinter dem Altarblatte hervor, und eine lebende athmende Gottheit schien niederzusteigen und die Opfergaben zu segnen.

Das war Gaukelspiel – Zauberei.

Die ganze Versammlung lag im Nu auf dem Boden; ich selbst auch sank auf meine Knie nieder, ohne jedoch mein Haupt zu beugen. Ich war bezaubert. Jedes Vermögen meines Seins hatte sich in meinen Augen gesammelt. Dort lächelte vor mir die Verkörperung einer makellosen Schönheit; aber es war eine Schönheit, die mit meiner Seele im Beginne der Zeiten geschaffen zu sein schien und jetzt erst in das sterbliche Leben eingeführt wurde, die lang zurückgehaltene Theilnahme, Verehrung und Liebe fordernd, zu deren Dienste ich sklavisch in's Leben gerufen zu sein glaubte.

Wie dieses Wunder von Alles überstrahlender Lieblichkeit gekleidet war, weiß ich nicht; auch suchte ich, so nahe ich stand, nicht zu entdecken, durch welchen Kunstgriff es gelang, sie durch die sich öffnende Leinwand des Altarblattes zu bringen, oder in welcher Weise sie nach Empfangnahme und Segnung der Opfergaben zu dem Triumphwagen in der Mitte der Prozession getragen wurde. Ich weiß nur soviel, daß ich mich, als sie durch die Kirche zog, möglichst in ihre Nähe hielt, die Augen auf ihr strahlendes Antlitz geheftet und Jeden, der mir in den Weg kam, über den Haufen rennend, da ich für keinen Menschen mehr ein Auge hatte und ebenso wenig auf die zu Boden Gestreckten achtete, über welche ich wegschritt.

Der Zug ging dreimal durch die Seitengänge der Kirche, und die Gestalt theilte ihren Segen über die versammelte Menge aus. Ohne Rücksicht auf die Stöße und Schläge, die ich einnehmen mußte, behauptete ich stets meine Stellung in ihrer Nähe. Einmal als sie ihr Haupt sanft umwandte, trafen meine Augen die ihrigen. Ich mag nicht von Basilisken sprechen – aber die Zunge hat keine Worte, die Poesie kein Bild, um die allgewaltige Anziehungskraft dieses Blickes auszudrücken. Obgleich ihre blauen Augen sanfter waren, als der Flaum von einem Flügel des jüngsten Seraphs, so zog sie doch meine Seele mit einer Macht an sich, die stärker war, als die des Todes. Ich konnte meine Blicke nicht von ihnen abwenden, und ebenso hafteten die des jungen, schönen Opfers auf mir. Auch weiß ich nicht, wie lange ich sie noch angestaunt haben würde, wenn nicht mein ungeberdiges Niedertreten der Leute so großes Aufsehen erregt hätte, daß ich von ein paar stämmigen Kirchendienern augenblicklich aus der Reihe der Prozession herausgeworfen wurde. Aber es lag nichts Zartes, nichts Tröstliches in dem Blicke dieser Nachahmung eines himmlischen Wesens. Ich konnte in ihren Augen nichts lesen, als eine grauenvolle, tiefe Spekulation – ein Gefühl des Staunens und erschrockener Neugierde. Ehe ich wieder meine Stellung in ihrer Nähe gewonnen hatte, erscholl der Jubelhymnus noch einmal; die Weihrauchwolken erhoben sich auf's Neue, das Altarblatt wurde in Dunst verhüllt, und durch den sich häufenden Nebel getragen, verschwand das Abbild der jungfräulichen Mutter.

Meine Augen starrten ihr bis aus den letzten Moment nach, und als sich die faltige Leinwand, die ich durch den Rauch bemerken konnte, über ihr schloß, kniete ich in der Nähe des Altargeländers nieder. Ich verbarg mein Gesicht in den Händen, schloß meine Augen und ermuthigte meinen Geist, bei jedem Zug zu verweilen, den kürzlich noch meine entzückten Sinne geschaut hatten.

Die Orgel verstummte allmählig unter melodisch hinsterbenden Tönen; die Prozession und das Gedränge zerstreute sich, und endlich zog auch die Schaar der Priester einer nach dem andern ab. Ich achtete nicht darauf, und ebensowenig kam ich zu dem Bewußtsein, daß ich allein war.

Also vertieft und noch immer in derselben Stellung begann ich Fragen an meine Seele zu stellen – aber sie war verwirrt. »Kann dies Liebe sein? So plötzlich? War sie wirklich eine Sterbliche? Ich kenne sie genau – habe mit ihr schon gesprochen – sie bewacht – mit ihr gebetet, – mich mit ihr gefreut – aber wo? Entweder –« sagte ich mit Bitterkeit zu mir – »habe ich zwei Existenzen, oder bin ich wahnsinnig. Quiet Troughton! Oh, daß ich nie meinen hohen Schreibebock in dem dunkeln Comptoir der City verlassen hätte! Dieses unersättliche Herz kann jetzt nie mit Zufriedenheit erfüllt werden – kann nie wieder den Frieden kennen lernen. Liebe ich sie? Nein – es ist nicht dieses Gefühl. Ich weiß nur, daß ich elend bin!«

Und abermals versank ich in eine schmerzliche Träumerei.

*


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