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Vierzigstes Kapitel.

Meine Schwester überbietet mich im Scharfsinn. Sie fährt fort, allerlei Dinge zu verfertigen. – Ich versuche mich im Bauen, bin aber nur im Stande, jenes letzte Haus hervorzubringen, daß bis zum Tage des Gerichts dauert. – Hellere Aussichten dämmern in demselben Moment für uns auf, in welchem wir trostlos unsere Augen geschlossen haben.

—————

Unsere Arbeit ging zwei Tage lang nur langsam vor sich. Zuverlässig verbesserte sich unsere Gesundheit mehr und mehr, und wir begannen die verschiedenen Früchte, die wir nun nicht mehr so sehr fürchteten, mit einem Hochgenüsse zu verzehren, den wir bisher nicht gekannt hatten. Auch schliefen wir gut, und am dritten Tage begann ich, mich meiner Beschäftigung herzlich zu schämen.

»Honoria,« sagte ich, als wir beide uns mit der Sonne erhoben, »heute will ich nichts mit dem Grabmachen zu thun haben; es ist ein abscheuliches Geschäft und ich habe es herzlich satt.«

»Gut, Ardent; dir zu Gefallen wollen wir heute nur ein Stündchen am Morgen, ehe die Sonne zu heiß wird, und ein Stündchen in der Abendkühle daran arbeiten. Das wird entzückend sein.«

»Nein, ich danke dir, Schwester. Entzückend? – Hum. Ich denke, es wäre weit entzückender, wenn jedes von uns einen Trunk süßer Cocosmilch thun könnte. Da hängen die Nüsse so verlockend, während wir wie Würmer in dem Kothe wühlen. Wir kriegen höchstens nichts herunter, und wenn dir's recht ist, wollen wir die kühlen Abendstunden darauf verwenden, daß wir den Felsen zur Rechten erklettern und so zu entdecken suchen, an was für einem Platze wir sind. Wir wollen uns aufraffen und werden dann wohl der Gräber entbehren können.«

»Wie du willst, Ardent. Ich hoffe, dieser Anschein von Kraft und Muth wird Bestand haben. Auch ich fühle mich ein wenig besser, aber verlasse dich darauf, unser Zustand ist hoffnungslos. Könntest du dich nur selbst sehen – dein Aeußeres ist so verändert, daß du vor dir erschrecken würdest.«

»Ei, Schwesterlein, wir wollen uns nicht mit Komplimenten plagen. Jetzt an unser Gebet – dann nach unseren Badplätzen – und sobald dies abgethan ist, nach dem Cocosbaume. Da noch ein Stückchen Fleisch an meinen Händen oder Füßen übrig ist, so will ich versuchen, den niedrigsten zu erklettern.«

Nach einer halben Stunde standen wir wieder unter dem Baume, der uns früher schon so viel geneckt hatte. Wir blickten hinan. Der niedrigste Fruchtzweig hing wenigstens fünfunddreißig Fuß über meinem Kopfe. Wir konnten nicht den großmüthigen Fuchs nachahmen und mit der Erklärung, daß die unerreichbare Frucht sauer sei, weggehen; aber dennoch fiel mir, als wir so sehnsüchtig hinaufschauten, die Fabel ein, und ich konnte mir's nicht versagen, ihrer gegen Honoria Erwähnung zu thun. Sie lächelte – zum erstenmal wieder seit vielen Tagen.

»Bei diesem süßen Lächeln, Honoria, ich will den Baum ersteigen oder hinliegen und an seinem Fuße sterben.«

»Keine übereilten Gelübde, Ardent, oder ich werde nie wieder lächeln. Soll ich dir wieder helfen?«

»Ja, meine Liebe – frisch daran.«

»Nein, nein, du böser Junge; du sollst nicht mehr auf meiner armen Schulter stehen. Ich will dir übrigens einen besseren Weg zeigen. Schürze Knoten in dieses Geflecht, das ich für dich gemacht habe, befestige ein Stück von dem Felsen daran und wirf es hinaus, bis er sich dicht an dem Stamme des Baumes zwischen den Zweigen verfängt.«

»Vortrefflich; du bist mein Schutzengel!«

Und ich küßte sie entzückt.

Einige Versuche, und der obere Theil der Leine war glücklich eingeklemmt. Ich wickelte sie dann dicht um den unteren Theil des Stammes und gelangte endlich ohne Hinderniß, aber doch mit großer Mühe auf den Baum hinauf, den ich nun völlig ableerte. Ich benützte jetzt den Vortheil meiner hohen Lage, um Beobachtungen über die Beschaffenheit des Platzes, auf welchen wir beschränkt waren, anzustellen, machte aber keine weitere Entdeckung, als daß der Forst hinter uns sehr dicht wurde. Dann stieg ich herunter. Meine Füße waren mit Blut bedeckt, denn da zuvor schon die Hitze des Sandes Blasen gezogen, so hatte ich mich an jedem Knoten, auf den ich trat, oder den ich vielmehr mit den Sohlen umfaßte, die Haut weggeschürft und mir eine Wunde beigebracht. So geschickt auch Honoria die Fasern der Cocosnußhülsen zusammengeflochten, hatte sie doch nur eine rauhe und sehr stacheligte Leine zu Stande gebracht.

Meine Schwester war weit bekümmerter über den Zustand meiner Füße, als erfreut über die reichliche Anzahl erfrischender Mahlzeiten, die ich uns verschafft hatte. Ich nahm jedoch die Sache leicht, umwickelte meine Füße mit einem Theil meines Hemdes, den ich mit jenem unschätzbaren Flechtwerk festmachte, und ging dann mit Honoria nach der Grotte, wo wir in Anbetracht der Dinge ein schwelgerisches Mahl hielten. Da ich verwundet war, so geberdete ich mich auch als ein Leidender und rebellirte entschieden gegen die Grabarbeit. Den Rest des Tages verbrachten wir mit Flechten und leidlich heiterer Unterhaltung. Tags darauf schien ein genialer Geist auf uns hernieder gestiegen zu sein. Wir begaben uns wie gewöhnlich nach unserer Grotte, und dort erging sich mein Scharfsinn in einem so raschen Flug, daß ich wirklich an Honoria's nackten Füßen das Maß zu ein Paar Sandalen nahm. Gelang es uns auch nur, ein einziges Paar zu verfertigen, so hatten wir doch etwas gewonnen. An den Mitteln, sie an unsern Füßen zu befestigen, fehlte es nicht, und die ganze Schwierigkeit bestand nur noch in der Beischaffung der Sohlen. Ohne Zweifel von St. Crispinus begeistert, beschwor ich die noch immer schwächliche Honoria, die kühle Grotte nicht zu verlassen, bis ich wieder zurückkehre, und brach dann mit meinen verbundenen Füßen auf, um diesmal weit tiefer, als je zuvor in das Innere des Waldes einzudringen.

Anfangs beabsichtigte ich, mit meinem Federmesser einen großen Baumzweig abzuschneiden, der breit genug wäre, um eine Sohle aus sich formen zu lassen; aber mein einziges Werkzeug gab die entschiedensten Merkmale des Brechens von sich, und die Arbeit schien sich dermaßen in die Länge zu ziehen, daß ich mich genöthigt sah, von diesem denkwürdigen Projekte abzustehen. Ich schnitt mir jedoch einen langen, etwa daumendicken Stab mit mehreren Dornen daran, und dann begann ich, mit meinem Federmesser von einigen der größten Bäume die Rinde abzuschälen, indem ich hoffte, sie dürfte theilweise dick und stark genug für meine Schuhmacherarbeit sein. Ich glaubte, meinen Zweck erreicht zu haben. Dann belud ich mich mit so vielen Früchten, als ich füglicherweise tragen konnte, und kehrte nach einer Abwesenheit von fünf Stunden zwar müde, aber frohen Herzens nach unserem Seesalon zurück.

Wie soll ich aber mein Erstaunen und meine Verwunderung über den Anblick, den ich jetzt traf, schildern! Meine Schwester hatte ihre Füße in die schönsten Perlmuttersandalen, die man sich nur denken kann, gehüllt. Anfangs glaubte ich wirklich, sie sei von irgend einer Meerfei heimgesucht worden. Mit welchem Abscheu blickte ich nun auf meine verschiedenen Rindenarten, deren Beischaffung mir so viel mühsame Stunden gekostet hatte.

»Welche Nymphe der See ist bei dir gewesen, um die Füße meiner theuren Schwester so schön und anmuthig zu bedecken?« rief ich, während ich mich auf die natürliche Bank niedersetzte.

Sie streckte kokettirend den zierlichsten kleinen Sandalenfuß aus – daß er furchtbar sommersprossig und sehr, sehr roth war, änderte nichts an der Sache.

»Wer hat dieses liebe Füßchen so anmuthig gemacht?« fragte ich, indem ich es aufnahm und seinen hohen, klassisch geformten Rüst küßte. Welche Fee aus den dunkeln, grünen Höhlen des Oceans hat meiner unschuldigen Schwester diesen Zoll der Huldigung gebracht?«

»Ardent, dasselbe Wesen wird dir auch ein Paar machen. Ich versichere dich, daß sie sehr kühlend auf die Fußsohlen wirken.«

Um diese sehr malerischen Sandalen zu verfertigen, hatte sie nur zwei große flache Perlenmuscheln, die sich am Gestade in Menge fanden, aufgelesen, sie am Rande ausgebrochen und dann am Felsen durch Reiben in die Form ihrer Fußsohle gebracht. Um sie zu befestigen, hatte sie den Rand rechts und links an vier oder fünf Stellen durchbohrt und dann kleine Cocosfasernschnüre durchgezogen, welche sie über den Füßen in der Weise der Schlittschuhe befestigte. Diese Vorkehrung entsprach dem felsigen Pflaster unserer Grotte und dem harten Sand am Gestade ganz vortrefflich, obschon sie auf dem losen Sande fast nutzlos und in dem Gebüsche nicht sehr anwendbar war. Wir fühlten uns jedoch über den Erfolg unseres ersten Versuches hoch entzückt und hofften, uns bald elegant und zweckmäßig beschuht zu sehen.

Den Rest des Nachmittags verbrachten wir in besonders heiterer Laune, obgleich wir ihn größtenteils zu vergeblichen Feueranzündungs-Experimenten verwandten. Von Grabauswühlen war nicht mehr die Rede.

Am andern Morgen brachte ich an der Cocosleine, an welcher ich die Bäume bestieg, eine große Verbesserung an, indem ich die Knoten mit durchgezogenen Holzstücken, nach der Weise der Papierfächer in einem Drachenschwanze, ersetzte. Aber dies war noch nicht Alles. An jenem denkwürdigen Tage versah ich uns mit der ersten animalischen Nahrung, die wir seit fast einem Monat gekostet. Von den Stufen unserer Grotte aus hatte uns längst der Mund nach den Muscheln, Austern und anderen Schaalthieren gewässert, die in dem klaren Wasser unter uns an den Kanten und Seiten der Felsen hingen. Meine Schwester fertigte nun nach meiner Anweisung einen netzartigen Sack, der allerdings plump genug anzusehen, aber dennoch jedenfalls sehr zweckmäßig war. Diesen befestigte ich an dem Ende meines langen Hakenstockes und hatte sehr bald die zähen anhaftenden Gentlemen abgekratzt, welche in der Regel mit ihren Behausungen in den Beutel fielen, den ich so gastfreundlich für sie bereitet hatte.

Welch eine köstliche Zugabe zu unseren gewöhnlichen Mahlzeiten. Dieses glückliche Ereigniß hatte aber beinahe recht unselige Folgen. In meiner Hast, die ersten Früchte meines Scharfsinnes Honoria anzubieten, machte ich unklugerweise von meinem Federmesser Gebrauch, um die Austern zu öffnen. Um ein Haar hätte ich dieses für uns so unschätzbare Werkzeug zerbrochen, welches nur durch die Geistesgegenwart meiner Schwester gerettet wurde. Wie wichtig waren die unbedeutendsten Kleinigkeiten uns geworden. Wir brachen nun die Schalenränder aus, bis wir, sie weit genug offen fanden, um eine andere Schaale einbringen zu können, mit welcher die Sache trefflich von Statten ging. Ich begann nun zu glauben, daß wir eine Nachahmung des Robinson Crusoe in bewundernswürdiger Weise durchführten. Nur das Feuer, das Feuer – wenn wir nur hätten Feuer machen können! Mit Freuden würde ich ein Donnerwetter um der Aussicht willen begrüßt haben, daß vielleicht der Blitz in einen alten Baum schlage, und dessen Stamm in Brand setze.

Bisher war das Wetter köstlich gewesen – allerdings maßlos heiß gegen die Mitte des Tages, aber dies machte uns den Seesalon nur um so lieblicher. Bis jetzt hatten wir kaum ein Wölkchen an dem tiefblauen Himmel über uns hinziehen sehen. In der Nacht fiel reichlich Thau, gegen den wir übrigens gut geschützt waren. Im Ganzen muß ich sagen, daß die Gewohnheit unsere Lage sehr gebessert hatte, und ich begann großartige Entwürfe zu fassen. Ich hatte sogar den Entschluß gefaßt, wenn die Wunden meiner Füße geheilt wären und ich mich an's Barfußgehen gewöhnt hätte, einen gespitzten Pfahl als Waffe zu schultern und in den Wäldern einen zweiten Nimrod zu spielen.

Zwei weitere Tage entschwanden glücklich genug in Erkletterung der Cocosnußbäume, im Einsacken von Austern, im Flechten von Schnüren und im Entwerfen neuer Pläne. Am Abende des zweiten Tages aber wurde zum erstenmal seit unserem Stranden an dieser Küste das Wetter frostig; der große brandende Gürtel an dem Riffe hob sich berghoch, und der Regen schoß weniger in Tropfen als in langen dünnen Wasserstrahlen nieder. Die Wellen umhüpften lustig das Riff und kamen tanzend bis an unser abgeschiedenes Ufer heran. Bald zischten und heulten sie durch die Spalten unserer Grotte, so daß ich kaum Zeit hatte, viele Ellen vortrefflichen Flechtwerks, das auf dem Boden liegen geblieben war, zu retten. Die schöne Grotte gewährte uns keinen weiteren Schutz. Das Wasser brach herein und vertrieb uns förmlich aus derselben. Wir sahen uns genöthigt, durch die niederstürzenden Regenströme nach den weiter innen liegenden Felsen und Höhlen zu wandern, wo wir bisher unsere Lagerstätten aufgeschlagen hatten. Naß und entmuthigt, wie wir waren, wußte ich nichts Besseres zu thun, als Honoria in ihre Nische zu legen und möglichst viel mit Blättern versehene Zweige abzureißen, um vermittelst derselben den kalten, schneidenden Wind abzuhalten.

Aber Alles war von Feuchtigkeit getränkt, und obschon die Zweige das freie Eindringen der frostigen Windstöße hemmten, so waren doch auch sie mit Wasser beladen. Ich schlief die ganze Nacht nicht, sondern ging im fallenden Regen vor dem Ruheplatze meiner Schwester hin und her, oder machte, wenn ich ihre Stimme hörte, Halt, um mit ihr zu reden. Sie ließ keine Klage verlauten; aber erst mit Tagesanbruch sagte sie mir, obschon sie sich sehr steif fühle, habe sie jetzt große Lust zu schlafen.

Mit der aufgehenden Sonne legte sich Wind und Regen, und die Luft wurde wieder warm und balsamisch. Die Brandung ächzte noch immer in ihren Donnerlauten, aber dies war das einzige Zeichen, welches der Sturm von gestern zurückgelassen hatte. In der That steigerte sich auch mit der zunehmenden Wärme der Wohlgeruch der Blüthen und Gesträuche bis zum höchsten Grade. Während Honoria noch schlief, lüpfte ich sie aus der feuchten Höhle, welche ihr Ruheplatz war, und legte sie auf die trockenste Stelle, die ich auffinden konnte. Ihr Schlaf war lang und betäubt. Es begann nun sehr heiß zu werden, und ich wollte sie wecken; aber es war unmöglich. Mit dem weiter vorgerückten Tage sah ich mich genöthigt, sie von einem Orte zum andern zu bewegen, um ihr den nöthigen Schatten zu verschaffen. Ich selbst fühlte mich unwohl, steif und sehr ermattet, da ich die ganze Nacht durch gewacht hatte. Dennoch kämpfte ich nach Kräften gegen meine stets zunehmende Schläfrigkeit an, bis ich endlich nicht länger konnte und an ihrer Seite einschlummerte.

Das Blut kroch mir schaudernd durch die Adern, wie wenn mich jeder Tropfen durch sein Entsetzen in Stein verwandeln wollte, als Honoria mich weckte. Sie kniete über mir und schüttelte mich heftig bei den Schultern. Der wilde hastige Blick war nicht zu verkennen; ihre schmalen durchsichtigen Wangen flammten von Fieber, und in der Umkrallung ihrer mageren Finger lag eine Kraft, die auf Wahnsinn hindeutete. Der Zahn der Krankheit zehrte an ihrem jungen Herzen.

»Auf, Schläfer,« rief sie, und die Worte tönten unheimlich durch ihre dünnen, schwarzkrustigen Lippen. »Auf, unsere Stunde ist endlich gekommen und das Bett noch nicht bereitet. Wir werden Entschuldigung finden, daß wir an diesem verlassenen Orte das Hochzeitkleid nicht tragen. Nach dem Grabe, Zauderer – und vielleicht sendet das große Wesen selbst, welches die Vögel der Luft kleidet, ein Leichentuch für uns. Auf, Mensch – an's Werk – zu arbeiten und zu graben!«

Ich habe schwer gesündigt. In jenem Augenblicke wünschte ich uns beiden einen plötzlichen Tod. Darf ich mich erdreisten, es niederzuschreiben? Doch ich muß – ich dachte daran, ihn wirklich herbeizuführen. Während ich aufstand und sie in meinen Armen erhob, begannen meine fluchwürdigen Finger, während ich den einen Arm zärtlich um ihren Nacken schlang, sich an ihrem weißen, abgezehrten Halse zu versuchen. Und doch hatte ich sie nie enthusiastischer geliebt!

Wie glühend betete ich, während ich sie nach der kühlen Quelle trug, zu Gott, er möchte uns mit einemmale durch einen plötzlichen Blitzstrahl vernichten, oder mich in den Stand setzen, der Versuchung zu widerstehen. Während sie gierig von dem erfrischenden Wasser trank und ich ihre heiße Hand, ihre glühende Stirn damit befeuchtete, blickte sie in mildem Danke zu mir auf. Aber dennoch dachte sie immer und unablässig nur an das Grab, denn sie konnte nichts sagen als –

»Nach dem Grabe – nach dem Grabe!«

Ich mußte ihr willfahren, da sie sich durch nichts Anderes beschwichtigen lassen wollte. Fast so wahnsinnig, als sie selbst, ging ich an das unheimliche Werk, in welchem sie mich immer wilder und wilder zur Eile drängte. Sie kannte mich augenscheinlich nicht mehr. Sie sprach von großen Geldsummen, die sich noch immer an Bord der Santa Anna befänden, und die sie mir geben wolle, ich brauche nur ihren Namen zu nennen, um für meine ganze Lebenszeit reich zu werden – aber ich müsse schneller, schneller graben. Dann lachte sie auch über den Gedanken, daß sie bei dem Ausschaufeln ihres Grabes zusehe, und ließ stets neue Ermunterungen zum Eifer an mich ergehen.

»Ihr seid nur ein verwahrloster, schwarzgesichtiger Mann, und ich kann solche buschige Bärte nicht leiden. Ihr seid im höchsten Grade häßlich – so ganz und gar nicht wie mein schöner Ardent, mein theurer Bruder. Macht die Grube groß genug, daß auch mein Vater, meine Mutter und mein Ardent darin Platz haben – sie werden Alle in gehöriger Zeit hier sein – obgleich ich, wie ich zu Gottes Erbarmen hoffe, nicht weiß, wo irgend Eines davon ist, mein armes unglückliches Ich ausgenommen. Ihr werdet mich neben Ardent legen; aber beeilt Euch, beeilt Euch. Der wilde Hund soll nicht meine Glieder zerreißen – ja, ja, wir wollen den Wolf täuschen – die Hyäne darf nicht meine Leiche verzehren. Aber beeilt Euch – sie kommen, sie kommen – horcht! ich höre sie! Böser Mann, sie kommen, und mein Grab ist noch nicht bereit – aber ich will Eurer nicht fluchen!«

Sie sank regungslos zu Boden.

War ich gleichfalls wahnsinnig? Ich sprang auf meine Beine, warf die Muschel weg, mit welcher ich mich aufs Aeußerste angestrengt hatte, und schlug die geballten Hände an meine Schläfe. Stürzten der wilde Hund, der Wolf und die Hyäne wahrhaftig auf uns herunter? Wahnsinnig oder nicht – ich hörte wirklich das scharfe, schrille Geheul eines Raubthiers, tiefes, lautes Bellen und andere nicht irdisch klingende Töne.

Und dann vernahm ich ein Rasseln im Gebüsch; ein kleines Thier von der Pantherart setzte über das Bächlein und verschwand mit der Schnelligkeit des Windes. Aber im nächsten Augenblicke lag Jugurtha in dem niedrigen Grase zu meinen Füßen, und Bounder kreiste in tollen Sprüngen um mich her.

Im ersten Augenblick hätte ich meinem schwarzen Bruder um den Hals fallen und weinen mögen. Dieß verging jedoch schnell, denn ich rief jetzt:

»Hier, mein Jugurtha – sie ist noch nicht todt – rette sie!«

Er ergriff meine Hände, küßte sie und stieß ein kurzes, klägliches Geheul aus; dann sprang er auf, umfaßte Honoria's Leib mit den Armen und trug sie wie ein kleines Kind mit einer Geschwindigkeit, so daß er schon nach einigen Minuten meinen Blicken entschwand, durch das Dickicht.

Der kluge Hund blieb jedoch bei mir und führte mich unter lauten Liebkosungen immer weiter. Wenigstens zwei Meilen weit gingen wir durch eine waldigte Gegend und kamen dann auf eine Savanne, welche durch einen Strom von beträchtlicher Breite begrenzt wurde. An einer Krümmung desselben stand, in einen natürlichen Hain von Bananen und Paradiesfeigen eingebettet, ein Wigwam, neben dem sich zwei kleinere Hütten befanden. Mein Inneres war zu aufgeregt, als daß ich hätte viel Erstaunen fühlen können. Ich folgerte blos, als ich aus der mittleren Hütte eine dünne Rauchwolke aufsteigen sah, daß das Land bewohnt sei und wir uns einem Indianerdorfe näherten. Die hastige Wanderung erschöpfte mich sehr, und als ich die Schwelle dieser gemächlichen Wohnung erreichte, war ich einer Ohnmacht nahe. Ich hatte kaum noch Kraft genug, nach einer Art Sitz, der mit weichen Thierhäuten bedeckt war, zu wanken und aus einer mit vortrefflicher Milch gefüllten Calabasche einen reichlichen Zug zu thun. Ich bemerkte eben noch, daß Honoria, welche noch athmete, auf einem Ruhebette ausgestreckt lag; dann aber verfiel ich aus körperlicher und geistiger Erschöpfung in einen tiefen Schlaf.

Von vielen nun folgenden Tagen weiß ich nur wenig zu berichten. Dasselbe Fieber, welches meine Schwester befallen, hatte auch mich erfaßt, und das erste zusammenhängende Gesicht, dessen ich mir wieder bewußt wurde, war die hohe Wonne, sie mit sehr verbessertem Aeußerem als zärtliche Wärterin in meiner Nähe zu sehen. Damals war ich überglücklich, und in der angenehmen Schlaffheit, welche meinem Fieber folgte, kümmerte ich mich um nichts mehr. War es nicht Segen genug für mich, Honoria bei der Hand zu halten, Bounder auf den Kopf zu pätscheln, und einen Blick nach Jugurtha's von Vergnügen grinsendem Gesicht zu werfen?

Während meiner Wiedergenesung, und ehe ich noch Kraft genug hatte, von meinem Bette (denn so kann man es wohl nennen) aufzustehen, folgerte ich aus den Bequemlichkeiten, die mich umgaben, daß Honoria und ich an der unbesuchtesten Stelle einer der theilweise civilisirten Gesellschafts- oder Freundschaftsinseln auf den Strand geworfen worden waren. Man nährte mich mit Milch, guter Suppe, allerlei Arten gekochten Fleisches und einer Art von Brod. Als mir Honoria eines Tags eine Calabasche leichten angenehm schmeckenden Weines brachte, fühlte ich mich völlig überzeugt, daß ich mich unter oder in der Nähe einer Bevölkerung befinde, welche in der Kunst der Civilisation einige Fortschritte gemacht hatte – allerdings ein großer Irrthum von meiner Seite.

Unsere ganze Umgebung war die Schöpfung Jugurtha's. Als ich zum erstenmal, auf Honoria's Arm gestützt, mich im Freien ergehen konnte, erkannte ich in unserem Aufenthaltsorte ein ländliches Paradies. Durch Wegräumung einigen Gesträuchs war ein schöner Spaziergang bis an den Rand des Flusses, hergestellt worden, und dort saß – ein Bild des Glückes in schwarzer Manier – Jugurtha in Anfertigung von Weidenreußen beschäftigt – eine Arbeit, zu welcher er sich einer geschärften Muschelschaale bediente, die ganz so gut wie ein gewöhnliches Messer zu schneiden schien. Sobald er uns sah, warf er sein Geschäft bei Seite, und eilte auf uns zu, um vor uns niederzuknieen und unsere Hände zu küssen. Ich fing ihn jedoch in meinen Armen auf und drückte ihn mit Innigkeit an meine Brust, worüber Honoria recht herzlich lachte. Wie angenehm jenes Lachen durch die innersten Winkel meines Herzens tönte – es war der erfreuliche Bote eines wiederkehrenden Glückes.

»Nein, Jugurtha,« sagte ich, »du bist hier mein Souverän, mein Herr und König. Ich muß dir den Vorzug einräumen, mein theurer Jugg; aber sieh, wie Honoria über uns lacht. Doch wer hat dir diesen schönen Ort bauen helfen, Jugurtha? Vermuthlich sind unsere Nachbarn sehr freundlich?«

Ueber diese Frage grinste Jugurtha weit lebhafter, als ich es je zuvor gesehen hatte, und zeigte seine weißen Zähne in der weitesten Ausdehnung; er mußte derselben wahrhaftig mehr besessen haben, als gewöhnlich den Sterblichen zu Theil wird, obschon ich sie nie gezählt habe. Wenn der Neger recht vergnügt war, schienen seine schwarzen Lippen gar kein Ende mehr zu finden, obschon sie stets, trotz ihrer gewaltigen Weite, von dem reinsten Elfenbein gesäumt waren. Jugurtha grinste nicht nur, sondern machte auch unterschiedliche Bockssprünge, warf sein Kinn auf und beschloß seine Pantomime damit, daß er auf Honoria beutete.

Aber auch sie konnte nichts thun, als lachen, und so dachte ich natürlich, daß ich der Anlaß ihrer Heiterkeit sei.

»Nun, Schwester, ich habe nichts gegen eine frohe Laune einzuwenden, und liebe sie sogar – namentlich, wenn es mir gestattet ist, sie zu theilen. Aber wie, meine Liebe, gedenkst du diese schönen, weiten türkischen Hosen zu bezahlen? Vermuthlich hast du dafür im nächsten Dorfe eine promissorische Note auf deine europäischen Schätze abgegeben?«

Da tiefe ernsten Betrachtungen nur die Heiterkeit meiner Umgebung zu erhöhen schienen, so ließ ich sie eben fortlachen, bis sich ihr Gelächter von selbst legen würde. Da meine Honoria viel von ihrer Zeit in sehr löblicher Weise darauf verwendet hatte, Jugurtha die Fingersprache zu lehren und ihn im Schreiben vorwärts zu bringen, so war er jetzt im Stande, sich mit ihr besser, als mit irgend einer andern Person zu unterhalten. Sie selbst hatte sich rasch wieder erholt, und meine lange Krankheit bot daher reichlich« Gelegenheit zu Gesprächen, in welchen nur eine einzige Person sich der Zunge bedienen konnte.

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