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Ein rasches Begräbniß. – Das Ungemach häuft sich und es folgt eine traurige Verminderung der Personen unseres Drama's. – Im Sturme ist jeder Hafen gut, und ich finde, daß ein Ertrinkender viel besser daran thut, nach einem Boote, als nach einem Strohhalme zu greifen.
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Es war nahezu dunkel, als wir fanden, daß sich der Wind so sehr gesteigert habe, um uns zu nöthigen, die Segel einzuziehen. Dies wurde rasch und wohlgemuth abgethan.
»Jetzt kommt es,« sagte Gavel zu mir. »Wir nähern uns dem Ende dieses schrecklichen Kapitels. Vor Mitternacht werden wir das große Geheimniß gelernt haben, dem ich mit Ehrfurcht und ruhigen Gefühlen entgegensehe.«
»Unsinn!«
»Aber ich habe noch viel zu thun. Ich will so Viele von Euch retten, als ich kann. Es ist ein bitterer Kelch, der mir geboten wird, aber ich will und darf ihn nicht zurückweisen.«
Er bot dann abermals die Matrosen auf und ließ die Segel noch weiter kürzen. Nachdem dies geschehen war und wir wieder unter dem Focksegel – jenem unglücklichen Focksegel – liefen, beschied er die Matrosen nach dem Hinterschiff und redete sie folgendermaßen an:
»Meine Leute, macht euch für diese Nacht auf eine schwere Arbeit gefaßt. Ich weiß aus Zeichen, die ihr nicht begreifen könnt, daß wir vor Mitternacht ein tobendes Meer und einen brüllenden Himmel haben werden. Wir wollen uns vorbereitet finden lassen. Der drunten hat Jedem von euch eine Flasche Rum versprochen, aber ich weiß, daß ihr sie jetzt nicht annehmen würdet, selbst wenn man sie euch böte. Wir wollen nicht wie Thiere an dem Rande unserer Gräber stehen; aber da zwischen mir und euch viel Groll geherrscht hat, so will ich jedem Mann an Bord als Friedensgabe eine halbe Pinte Branntwein reichen.«
»Das ist zuviel – zuviel!« rief ich; aber Gavel achtete nicht im Mindesten auf diese Unterbrechung.
»Wenn irgend Einer unter euch ist, dem ich Unrecht gethan oder den ich gekränkt habe, so möge er vortreten, damit ich ihm wo möglich gerecht werden kann. Ist Keiner da? Wohlan, es freut mich von ganzem Herzen, zu sehen, daß kein Groll unter uns herrscht. Wir wollen einander die Hände reichen. Glock vier (zehn Uhr Nachmittags) in der ersten Woche wollen wir die Todten bestatten. Wenn Jemand glaubt, daß eine halbe Pinte zu viel für ihn sei, so soll er sich mit weniger begnügen; wir dürfen der Bestattungsceremonie des armen alten Wilsons keine Unehre machen, denn ihr Alle wißt, daß er euer und eines jeden Matrosen Freund war. Wir wollen ihn wie Männer und Christen zur Ruhe bringen. Meine theuren Freunde, schließt euch so glühend, als ihr nur könnt, bei dem Begräbnißgottesdienste meinem Gebete an – wir sind von viel Unheil bedroht, denn es befindet sich ein Mörder an Bord.«
Die Matrosen wurden dann, mit Ausnahme des Mannes am Steuer und einem Ausluger im Vorderschiff, nach unten geschickt. Gavel ging unter großer Geistesbedrücktheit auf dem Decke hin und her. Endlich beschied er Jugurtha, den Neger, vor sich, und damals entdeckte ich zum erstenmale, daß der arme Mensch stumm war. Der Mate konnte sich ihm übrigens gut verständlich machen, denn das dunkle Gesicht des Negers grinste mit einer Freude, die mir fast teuflisch vorkam.
Es war jetzt nahezu acht Uhr oder, wie die Matrosen sagen, um den Anfang der ersten Wache. Ich war inzwischen ein recht leidlicher Seemann geworden, und obschon meine Schule streng gewesen, so war sie nicht nur sehr zuträglich für meine gegenwärtige Stellung, sondern auch von größter Wichtigkeit für mein ganzes späteres Leben.
Gavel näherte sich mir mit sehr achtungsvollem Wesen und sagte:
»Mr. Trougthon, wollt Ihr mir den Gefallen erweisen, die erste Hälfte der ersten Wache zu halten? Ihr bemerkt, daß der Wind sich zu einer Kühle ansteift. Wir haben einen tüchtigen Mann am Steuer und einen guten Ausluger im Vorderschiff. Habt daher die Güte, die Matrosen im Genusse des Branntweins, den ich ihnen ausgetheilt habe, nicht anders zu stören, als wenn es die dringendste Noth erfordert.«
»In Anbetracht ihrer langen Enthaltsamkeit werden sie trunken werden.«
»Ich weiß es; aber es wird nur theilweise geschehen. Ich spreche unter einer unsichtbaren und übernatürlichen Leitung; sie werden fortan vier Stunden nüchtern genug sein. Stört mich ja unter keinen Umständen. Jugurtha und ich, wir beide müssen gehen und den Todten in sein Leintuch einnähen. Ihr wißt, daß wir ihn heute Nacht begraben. In diesen warmen Breiten muß man einen Gestorbenen nicht allzulang an Bord behalten, um so weniger da es kein Glück bringt und man sich in der Gesellschaft einer Leiche nie sehr gemächlich finden kann. Auch wünsche ich dem betrunkenen Elenden unten den Trost der Religion zu spenden.«
»James Gavel!«
»Ardent Trougthon, ich kann Euch mit ruhiger Stirne und reinem Gewissen in's Gesicht sehen. Wir sind verurtheilt. Trotz aller menschlichen Geschicklichkeit werden die meisten von uns, wo nicht Alle, in ihre wässerigen Gräber steigen. Es ist nicht geheuer, den betrunkenen Tollhäusler loszulassen, der unten ist. Wenn die Krisis eintritt, das Gebälke auseinanderweicht und der kalte schwarze Wellentod unter uns haust – kann oder darf er gerettet werden? und sollte man sich nicht bemühen, seine in Sünden verhärtete Seele zu einigen religiösen Gedanken zu wecken? Das Gleichniß von der eilften Stunde ist Honig und Balsam für den Sünder.«
»Gut – so geht – bedürfen wir nicht Alle derartiger Tröstungen?«
»Keiner so sehr, wie er.«
Er ging dann mit Jugurtha hinunter; und so oft ich mich auf der einsamen Wache nach hinten drehte, hörte ich jedesmal aus der Hinterkajüte ein dumpfes Stöhnen aufsteigen und sich kläglich mit dem Pfeifen des Windes mischen, der schnell über uns hinsauste, während wir eiligst unsern Kurs fortsetzten.
Die Nacht war ungemein finster, denn mit dem Sturm hatten sich auch Flugwolken eingestellt, welche das matte Sternenlicht vollends verdunkelten. Der Mond machte seine Wanderung um die Erde und war in demselben Augenblicke weit unter dem Horizont verborgen. Man kann sich vorstellen, daß auch meine Gedanken eine düstere Färbung annahmen. Unmittelbar unter mir wurde der erschlagene Steward in seine Hängematte, welche zumal sein Sarg und sein Leichenhemd war, eingenäht, und außerdem lagen die schrecklichen Voraussagungen des Maten, welche ich, gegen meinen Willen, nicht verachten konnte, schwer auf meiner Seele.
Ich würde mich gerne mit dem Steuermann unterhalten haben, hätte dieser nicht alle seine Aufmerksamkeit aufbieten müssen, um die Brigg vom Beidrehen abzuhalten. Dem Manne im Vorderschiffe rief ich alle Augenblicke zu, guten Lugaus zu halten; aber sein eintöniges, unheimliches »ja, ja, Sir,« trug nicht im mindesten dazu bei, meine Melancholie zu zerstreuen oder meine Gedanken aufzuheitern.
Wie gewöhnlich in derartigen Fällen kehrte mein Geist zu den Scenen zurück, die ich verlassen hatte, und die Erinnerung früherer Tage überwältigte mich mit ihrer Bitterkeit und mit ihren Freuden. Zum erstenmal fühlte ich, daß mich eine seltsame Zärtlichkeit zu der kleinen Mira anwandelte. Ich weilte bei ihrem reinen, schönen Teint – bei der ehrlichen, verständigen Offenheit ihres Gesichtes. Ich rief mir das gesellige Hauswesen des guten alten Kaufmanns, seinen üppigen Tisch und die darum lächelnden, herzlichen Gesichter in die Erinnerung. Welch' ein Gegensatz zu dem taumelnden und gebrechlichen Schiffe, das jetzt vorwärts holperte wie ein Mensch, der sich eben von einem Ohnmachtsanfall erholt hat – zu den Seevagabunden, welche jetzt meine Begleiter waren – und vor Allem zu dem mürrischen, abergläubischen, aber doch männlichen Maten, welcher die schreckliche Idee des Mordes so innig mit seinem Geiste verwebt hatte, daß er in Folge einer seltsam verkehrten Schlußbildung denselben sogar durch die Religion gerechtfertigt glaubte.
Was ich jetzt zu erzählen im Begriffe bin, mag als ungeheuerliche Dichtung erscheinen – aber sei's drum; ich wollte, es wäre so. Mir war es eine schreckenvolle Wahrheit; denn ich entnahm daraus die furchtbare Lehre, wie wenig wir unsern schwachen Naturen trauen dürfen, und wie nothwendig es ist, gegen den Eigendünkel, diesen eifrigen Pfleger des Aberglaubens, auf der Hut zu sein. Ich will jedoch über diesen Theil meiner Biographie so rasch hinwegeilen, als es mir möglich ist.
Es waren gerade acht Glockenzüge oder zehn Uhr, als James Gavel wieder auf das Deck kam. Seine Züge waren starr und finster, aber in seinem Auge lag eine wilde Aufregung, deren Anblick mir schmerzlich wurde und die in dem concentrirten Licht der Laterne, das er in der Hand hielt, noch befremdlicher erschien. Zuvörderst dankte er mir in einigen studirten Phrasen für die treue Wache, die ich gehalten hatte, wie ich denn überhaupt in letzter Zeit in seiner Sprache einen edleren Anstrich bemerkte, der mit seiner früheren nautischen Phraseologie nicht im Einklang stand. Er bat mich sodann, die Matrosen für die Bestattung des Todten zusammenzurufen. Der Wind ächzte kläglich unter dem Takelwerk und fegte über die Decken weg, während der Ruf des Hochbootsmanns: »Alle Hände zur Bestattung!« seltsam wehmüthig erklang. Die Matrosen eilten nicht so geschwind hinauf, wie gewöhnlich, sondern näherten sich in dem Halbdunkel wie Schatten, indem sie sich ruhig und ehrerbietig nach dem Hinterschiffe stahlen.
Den Weisungen Gavels zufolge, der die Vorbereitungen überwachte, wurde das Gitter nicht wie gewöhnlich auf die Laufplanke, sondern auf den Hackebord gesetzt, weil wir eben vor dem Winde liefen und auf diese Weise die Leiche, wenn sie über Bord geworfen wurde, schneller von dem Schiffe abkam. Die Leine wurde bereit gehalten, eine andere Laterne angezündet, und Jugurtha, der stumme Schwarze, begab sich mit dem Bootsmann und Gavel nach der Hinterkajüte hinunter, von wo aus sie die Leiche, welche statt des Bahrtuchs mit einer Schiffsflagge umwickelt war, heraufboten.
Sie wurde dann auf das Gitter gelegt, damit man sie über Bord gleiten lassen konnte.
Die Bestattungen zur See finden in folgender Weise Statt. Der Todte wird in seine Hängmatte eingenäht, und ist er an einer Krankheit, die für epidemisch gilt, gestorben, so wird das Bettzeug des Verstorbenen auch mit in den Pack eingeschlossen. Dem Todten werden dann zwei oder drei schwere Kugeln an die Füße gebunden, damit er rasch untersinke. Das Gitter gilt als eine Art Bahre, auf welchem dieses mumienartige Receptakel der Sterblichkeit ausgesetzt wird; man wirft in der Regel Gitter sammt Leiche über die Seite hinab und ersteres wird, sobald der Leichengottesdienst beendigt ist, vermittelst des daran angebrachten Taus wieder an Bord geholt.
Die Leiche lag von der Flagge umhüllt auf dem Gitter und wurde, der Anweisung des Maten gemäß, bereitgehalten, über Bord gelassen zu werden. Die ganze Schiffsmannschaft schaarte sich im Kreise, und einer der Matrosen hielt die Laterne, während Gavel sich anschickte, den Leichengottesdienst zu verlesen. Alle Hüte waren abgenommen.
»Bitt' um Verzeihung, Mr. Gavel,« begann einer von den Matrosen, »aber es däucht mich, als hättet Ihr sämmtliche Betten des armen Wilson miteingenäht – wenigstens sieht der Pack danach aus. Da er nun nicht an einem Fieber gestorben ist und mein ganzes Gezeug bei der letzten Bö über Bord gewaschen wurde, so wäre ich nicht abgeneigt, einen schönen Preis für das seinige zu bezahlen. Ihr könnt's mir dann an meinem Lohne abziehen lassen.«
Jugurtha grinste und der Mate sagte bloß:
»Stille! stört den Gottesdienst nicht.«
»Wär's nicht besser, Mr. Gavel,« bemerkte der Hochbootsmann, »Ihr schicktet nach dem Kapitän? Ich meine, es geschähe ihm Recht, wenn man ihn zwänge, neben dem Manne, den er ermordet hat, zu stehen.«
»Er ist nahe genug,« sagte Gavel hastig und mit einem Schauder. »Doch jetzt keine Unterbrechung mehr. Ihr Mann an dem Steuer da, John Cousins, habt auf den Schiffsschnabel Acht und haltet Eure Ohren offen.«
Dreimal begann Gavel, aber bei jedem Versuche wurden ihm die Worte so zu sagen in die Kehle zurückgeblasen, so daß er endlich sein Gesicht von der Leiche abwenden mußte, um fortfahren zu können. Dieses Omen, augenscheinlich von Ihm gegeben, dem der Orkan dienstbar ist, schüchterte Gavel nicht ein. Er war entweder ein Mann von sehr kräftigem Nervensystem, oder etwas mehr als ein Schwärmer.
In lauter, klarer, volltöniger Stimme, welche der Wind nicht zu überwältigen vermochte, begann er: »›Ich bin die Auferstehung und das Leben, sagt der Herr‹« und so weiter, während er mit der linken Hand fest das Gitter anfaßte und seine Rechte das Gebetbuch hielt. Es lag etwas Wildfeierliches in der Scene, welche das Herz nicht erhob, sondern im Gegentheil zittern machte. Der funktionirende Priester, denn so müssen wir für den Augenblick den rauhen Seemann nennen, schien ebenso sehr von einem Geiste des Trotzes als von dem Gefühle der Frömmigkeit beseelt zu sein; auch lag in seinem Gesichte der Zug befriedigter Rache oder einer ebenso schlimmen Leidenschaft. Daß es sogar hin und wieder gefährlich wurde, ihm in den Weg zu treten, erhellte aus einer Unterbrechung, die bei jeder andern Gelegenheit possierlich erschienen wäre.
Der in seinen Erwartungen getäuschte Matrose, welcher das Bettzeug zu erben wünschte und es mit der Leiche des Stewards eingenäht wähnte, rief, als Gavel die Worte las: »wir haben nichts in die Welt gebracht, und es ist gewiß, daß wir nichts mit uns vornehmen können« – im Tone des Vorwurfs:
»Ei, warum muß dann Wilson mit Bett und Decken abmarschiren?«
Die Hand, welche bisher den Gitterschragen gehalten hatte, flog nun im Nu dem Störer in's Gesicht, während Gavel in ungestümer Leidenschaft ausrief:
»Stille, gottloser Spötter!«
Unter dem Streiche prallte der Matrose zurück und murmelte einige schreckliche Verwünschungen; zu gleicher Zeit ließ sich ein seltsames, ersticktes Geächze vernehmen, ohne daß Jemand wußte, woher es kam.
Gavel nahm sodann das Buch wieder auf und las fort. Die Kühlte steigerte sich, obschon dies keinen Eindruck auf den finsteren Ceremonienvollstrecker zu üben schien. Er las lauter und ernster. Ein Entsetzen begann uns Alle zu überschleichen, und es däuchte mich hin und wieder, als besäße die Leiche unter der Flagge eine Bewegung, die nicht durch das Rollen und Fallen des Schiffs hervorgebracht wurde. Ich bemühte mich, den schrecklichen Gedanken zu verscheuchen, der mich erfaßte, war's aber nicht im Stande, denn mein Argwohn steigerte sich in jedem Augenblick, und ich wußte nicht, wie ich handeln sollte.
Gavel las fort.
Es war jetzt ein vollkommener Sturm, aber dennoch schien der Mate seine Kraft mit der Gewalt der Winde messen zu wollen. Seine Stimme wurde schrill und übertönte das Sausen des Orkans.
Zweimal hatte ich meine Hand auf seinen Arm gelegt und ihn gebeten, aufzuhören; aber ich hätte ebensogut den Sturm anreden können, der uns in's Verderben hetzte. Er litt jetzt – ist dieser Ausdruck wohl passend? – nein, er schwelgte unter dem Einflusse seiner abergläubischen Aufregung; nichts als plötzlicher Tod hätte ihm Halt gebieten können.
Er las fort.
Ein anderer Matrose war ruhig an das Rad getreten, um dem Manne am Steuer Beistand zu leisten – denn die Brigg hüpfte und taumelte – aber all' dies schien für den unverwüstlichen Gavel nicht vorhanden zu sein. Der Gottesdienst näherte sich dem Schlusse – ich befand mich in einer wahren Todesangst. Der kalte Schweiß stand auf meiner Stirne, und es war mir, ohne daß ich mir einen Grund dafür anzugeben wußte, als helfe ich bei irgend einem schrecklichen unnatürlichen Opfer mit. Mehreremale war ich im Begriffe, meine Hände an die eingewickelte Leiche zu legen und so die erdrückende Last des Argwohns von mir abzustreifen. Als jedoch der grausame Mate zu der Stelle kam, welche die Ceremonie schließt, und dabei las: »wir übergeben somit ihre Körper der Tiefe« – da zuckte die Wahrheit mit all' ihrem Entsetzen in meinem Geiste auf, und ich packte Gavel mit dem Rufe an der Kehle:
»Vermessener Mord! Ihr Leute, holt die Körper wieder an Bord.«
Aber Gavel war mir zu geschwind; er stieß das Gitter über den Stern und das Plätschern der in ihr tiefes, kaltes Grab fallenden Körper wurde kaum unter dem Peitschen des Wassers gehört, das unter dem Heck des Schiffes kochte.
»Mann des gräßlichen Aberglaubens, was hast du gethan?«
Er versetzte gefaßt und fast ruhig: »Es ist nur ein weiterer Jonas für den Wallfisch – ich habe das lebende Fleisch mit dem Todten begraben. Er hat die Tröstungen der Religion und ein christliches Begräbniß genossen; jetzt sind wir Alle sicher – der Wind wird in Bälde nachlassen. Hände, das Focksegel hinauf!«
»Verblendeter Mörder!« rief ich von Entsetzen ganz erstarrt.
Aber er hörte nicht auf mich, sondern ging nach vorne, um bei der Kürzung der einzelnen Segel, die wir auf dem Schiffe hatten, mitzuhelfen. Bei dem Versuche schlitzte es in Fetzen. Im nächsten Augenblicke rauschten die Wogen über uns herein und fegten das Rad sammt den beiden Steuerleuten und dem Kompaßhäuschen weg, worauf die Brigg beidrehte. Ehe man sich diese Beschädigung zu erklären vermochte, gingen auch unsere Nothmasten über die Seiten. Wir waren abermals ein Wrack. Alles dies kam in so ehrfurchtgebietender Größe wie ein Sturm der Rache auf uns nieder. Der Hagel rasselte, die schnellen Blitze leckten, die Stimme des himmlischen Zornes tönte in den betäubenden Donnerschlägen – und der Wind – o jener Wind! – es hatte fast den Anschein, als sei er im Stande, uns aus dem Wasser zu heben, wenn unsere Sündenlast – das Gewicht eines Doppelmordes – das Fahrzeug nicht zu schwer gedrückt hätte.
Der gedemüthigte Mate schlich zu mir nach dem Hinterschiffe. Er sah kläglich, hager und entsetzt aus. Nicht länger lag der stolze Ausdruck des Rächers auf seiner Stirne, denn er zitterte im Gegentheile wie ein überwiesener Verbrecher.
»Gott, vergib mir!« rief er in seinem Seelenkampfe. »Wie hat doch Satan mich irre geführt!«
Ich konnte in jenem Augenblicke mit der Bitterkeit meiner Vorwürfe nicht zurückhalten, sondern brachte meinen Mund an sein Ohr und schrie:
»Ist dies die Ruhe, die Ihr für uns erkauft habt, Ihr Mann der Ungerechtigkeit? Wo sollen wir jetzt Sicherheit suchen, wenn uns die schwarze Welle umgibt, die mit der Leiche Eures ermordeten Kapitäns spielt? Und wie gräßlich ermordet! Möge diese That Euch nicht entgegentreten am Tag des Gerichts! Warum kauert Ihr Euch hier zusammen? – Für Euch ist Reue zu spät und Beten fruchtlos. Seht Ihr jene hüpfende dunkle Woge, die eben über unsere Back gegangen ist und so rücksichtslos die Hälfte Eurer Mannschaft in die erzürnte Tiefe fegt, als sei sie weiter nichts, als unnützes Seegras? Ist dies die Rettung, die Ihr um den Preis des Blutes erkauftet? Haltet ihr, Matrosen, nicht die dritte Woge – die dritte Woge, James Gavel, für verderblich? Wohl, da ist die zweite, und seht, wie glatt Eure Decken sind! Zittert Ihr nicht vor der dritten? Mörder, sprecht!«
»Schont mich!«
»Auf, Mensch, und zeigt Einiges von Eurer gepriesenen Seemannskunst! Wie steht's jetzt mit derselben? Hat Euer Gehirn keine Hülfsmittel, Euer Herz keine Fiber für die Thätigkeit? Hat Eure Rechte ihre Gewandtheit vergessen? Oh ja! so sinkt denn auf Eure Kniee und geht Eurem Tode wie ein Schelm entgegen; wir werden Alle zu Grunde gehen – Alle – Alle – Alle – denn der Mörder ist noch am Bord!«
Auf diese fast wahnsinnigen Schmähungen antwortete der schaudernde Elende nicht, sondern zog sich zitternd in einen möglichst kleinen Raum zusammen. Ich befand mich in einer seltsamen Lage, indem ich unter einem kleinen Reste des Halbdeckbollwerks Bergung suchte. Bounder, der Neufoundländerhund, stand auf der einen, der grinsende Neger Jugurtha auf der andern Seite neben mir, während der ausgestreckt daliegende Mate bis zu unsern Füßen heraufrollte. Der Hund blickte je zuweilen kläglich zu mir auf und leckte mir Hände und Füße, während der Schwarze die Ruhe eines Stoikers behauptete.
Die dritte Welle kam. Für einen Augenblick bemerkte ich ein kräuselndes, weißes Gewölbe hoch über unseren Köpfen, und im nächsten befanden wir uns weit, weit leewärts in der offenen, traurigen See. Ich konnte damals noch nicht schwimmen. Wir waren ein wenig getrennt worden, aber Jugurtha und der treue Bounder fanden sich bald an meine Seite. Die Wellen waren ungeheuer groß, brachen sich aber nur, wenn sie auf Widerstand trafen, denn sie hoben sich genau in der Richtung des Windes. Keinen Augenblick verlor ich mein Wahrnehmungsvermögen, denn die Sinne dienten mir, statt durch die mich umringenden Gefahren und Schrecken verwirrt zu werden, nur um so deutlicher. Bounder war ein wackerer Schwimmer. Ich durfte blos meine Linke auf seinen Rücken legen, um hinreichende Unterstützung zu finden. Jugurtha schwamm rechts neben mir. Wir versuchten, uns umzuwenden und die Brigg in's Gesicht zu bekommen, von der wir weggewaschen worden waren. Dies gelang uns endlich, ungeachtet der ungestümen Sprüh; aber sie war nicht mehr – oder wenn sie noch existirte, so reichten die paar Ellen Entfernung, die wir von ihr weggefegt worden, zu, sie in der Dunkelheit vor unseren Blicken zu verbergen.
Jetzt verzweifelte ich zum erstenmale. Ich sandte meinen unbekannten Eltern und meiner Schwester einen Gedanken zu, worauf ich zu beten anhub. Dann fühlte ich mich so beruhigt, daß ich mich fast in das Schlimmste zu fügen bereit war; denn ich wagte sogar, die Qualen eines verlängerten Todes in's Auge zu fassen, obschon ich nicht geneigt war, ihn dadurch früher herbeizuführen, daß ich mich mit einemmale unter die Oberfläche des Wassers senkte. Es war jedoch gelegene Hülfe zur Hand. In der Dunkelheit war mit uns das Langboot von den Spieren weggewaschen worden, und triftete nun auf uns zu. Jugurtha griff mannhaft mit Schwimmen aus, der vortreffliche Hund eiferte ihm nach, und bald nachher fand zuerst der Schwarze, dann ich mit Bounder einen geborgenen Sitz in dem Innern des Nachens.
Nach einer Weile hörten wir eine menschliche Stimme, und als ich über den Stern blickte, entdeckte ich James Gavel, der an dem Ruderbolzen hing.
»Ardent Troughton,« sagte er, »reicht mir die Hand; Ihr habt Euch als einen besseren Mann bewiesen, denn ich war. Gott behüte Euch! betet für mich – und denkt bisweilen an den armen verblendeten Sünder, der mehr aus Unwissenheit, als aus Herzenshärte auf Irrwege gerieth. Ihr habt die Adresse meiner Mutter.«
»Kommt an Bord,« sagte ich, indem ich versuchte, ihn an der Hand, welche die meine fest gefaßt hatte, hereinzuziehen.
»Nimmermehr! Ein Mörder soll nicht wieder zwei kostbare Leben in Gefahr bringen.«
»Wenn Ihr auf Erlösung hofft, so hütet Euch vor Selbstmord.«
»Ich will das thun – Gott behüte Euch! – Ich will hoffen und schwimmen bis auf den letzten Augenblick. Vergeßt Jem Gavel nicht und denkt daran, was Ihr ihm für seine Mutter versprochen habt.«
Dann entriß er seine Finger meiner sie umfassenden Hand, wandte sein Gesicht kühn vom Boote ab und schwamm in die Richtung, wo die Brigg oder ihre Ueberreste sich muthmaßlicherweise befinden mochten.
Nach ganz kurzer Frist war er meinen Blicken entschwunden. Ich schluchzte unwillkürlich über diese edle Selbstaufopferung und konnte nicht umhin, mir zu gestehen, daß dieser Träumer alle Eigenschaften besaß, die ihn hätten zu einem Helden machen können, obschon sie durch einen sinnlosen Aberglauben und eine herabwürdigende Vorstellung von dem Wesen der Gottheit zu Grunde gerichtet worden waren.
Ich habe nachher nie wieder von ihm gehört.
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