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Wir finden uns nicht in einem Lande, wo Milch und Erz fließt, sondern an einem Platze, der von Fett und Thran wimmelt. – Viel kurzweiliger Zeitvertreib und mehrere sehr gute Nachahmungen der modernen Höllen, in welchen die Mehrzahl der Matrosen von der »munteren Sally« thätig bemüht ist, die Rolle der Teufel zu spielen.
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Wir befanden uns jetzt alle auf dem schmierigen Decke der munteren Sally. Der Anblick war entmuthigend, aber ehe wir Zeit hatten, alle Unannehmlichkeiten kennen zu lernen, zogen wir uns nach der Kajüte zurück, wo Kapitän Darkins ausführlich unsere Geschichte erzählte. Sie erfüllte den Kapitän der »munteren Sally«, Nathaniel Sillis, mit Entsetzen und Erstaunen, schien aber doch nicht jenen Grad des Mitleids für uns zu wecken, den wir erwartet hatten. Er war augenscheinlich ein sogenannter zäher Mann, der zwar einen sehr gebührenden Abscheu vor Schurkerei hatte, aber sich's nicht entfernt einfallen ließ, sich durch denselben in Unkosten versetzen zu lassen. Tugenden aller Art bewunderte er stets, obschon er sich nur diejenigen zueignete, welche nicht kostspielig waren. Er fluchte aus Lebenskräften über Don Mantez und das spanische Schiff, hatte schreckliche Bedenken über das Schicksal derjenigen, welche an Bord zurückgeblieben waren, und drückte sein großes Mitleid mit uns in vielen Worten aus. Aber wer wollte Bürgschaft für unser Fährgeld leisten? Er war überzeugt, daß ich nicht gewiß wissen konnte, ob für den Fall, daß alle Schätze meines Vaters in dem spanischen Schiffe zu Grunde gingen, noch Ausstände genug in den Händen unserer verschiedenen Korrespondenten waren, um die noch etwa vorhandenen Schulden zu bezahlen; noch weit mehr mußte er aber einen Ueberschuß beanstanden, vermittelst dessen allenfallsige Wechsel, die auf eine der europäischen Hauptstädte gezogen wurden, gedeckt werden konnten.
Diese Bemerkungen klangen mir um so unangenehmer, da sie nicht ganz grundlos waren, und ich fühlte mich zu stolz, um eine vergebliche Berufung an seine Großmuth ergehen zu lassen. Kapitän Darkins bot Allem auf, um ihn zu beruhigen; aber es war augenscheinlich, daß er eine greifbarere Sicherheit verlangte, als Zeugnisse über unsere Achtbarkeit und pathetische Berichte über unsere Unglücksfälle. Während er uns also mit Aeußerungen seiner Theilnahme überschüttete und in seinem Eifer für die Sache der Unglücklichen mit Worten gewaltig groß that, schien er entschlossen zu sein, uns wieder aus seinem Schiffe zu schieben und der Aussicht anheim zu geben, zwei oder drei Jahre an Bord der »Mary Ann« eingesperrt zu sein.
In Mitte dieser Verlegenheit, und nachdem er uns sogar angedeutet hatte, daß er mit tiefstem Bedauern bereit sei, uns nach unserem Boot zu begleiten, überflog ein Licht – nicht der Menschlichkeit, sondern der Verschmitztheit – seine harten Züge; er zog mich nach einem Winkel der Kajüte bei Seite und redete mich also an:
»Was das Passagiergeld betrifft, Mister Englischer, so rechne ich, daß ich hinsichtlich dieses Punktes nicht des Herzensgenusses beraubt werde, eine gute Handlung zu thun. Es ist die Wesenheit der Moral, Gutes zu wirken. Euer Nigger da sieht gar nicht übel aus, ist gut genug geformt – jedenfalls siebenhundert Dollars gute Münze werth. Ich spreche zu Rio an – haben ihn mit den Blinzeln eines Alligatorauges auf dem Markte. Gebt uns nur ein Stückchen Sicherheit auf dem Papiere für den Burschen, und dann können wir ein Abfinden treffen. So bleibt es mir doch unbenommen, in der Hand der göttlichen Vorsehung das demüthige Werkzeug zu werden, welches Euch in den Stand setzt, die Schuldigen zu strafen, während ich einen Lohn für mein eigenes Herz darin finde, meinen Mitmenschen Gutes zu thun.«
Dieser Bekenner edler Gesinnungen hatte zwei Stimmen, beide gleich abscheulich – die ethische und die natürliche. Die Worte, welche er mit der ethischen Stimme sprach, habe ich mit gesperrter Schrift ausdrucken lassen – sie klangen schnüffelnd durch die Nase; die anderen raspelten ihm durch die Zähne und erregten in uns, bis wir daran gewöhnt waren, jene schaudernde Empfindung, die wir fühlen, wenn wir unerwartet eine Säge mit der Feile schärfen hören. Ich hatte wohl früher schon fluchen und Gotteslästerungen ausstoßen hören, aber die Sprache von Nathaniel Sillis, Kommandeur und theilweisem Eigner der »munteren Sally«, war mir doch sowohl ihrem Ton, als ihrem Wesen nach die schrecklichste, die je mein Ohr verletzte. Wäre ich nicht so über die Maßen erstaunt gewesen, so würde ich ihn auf der Stelle zu Boden geschlagen haben. Ich wandte ihm voll Abscheu den Rücken zu und näherte mich Kapitän Darkins, gegen den ich gelassen bemerkte:
»Ich sehe, daß ich mit Eurem Freunde nie in ein Einvernehmen kommen kann, und fürchte daher, daß ich mit den Meinigen noch länger Eurer Menschenfreundlichkeit lästig werden muß.«
Da wir uns jetzt ernstlich zum Aufbruche vorbereiteten, schien es dem Schiffer der »munteren Tally« doch leid zu thun, daß wir gehen wollten, obschon er durchaus nicht geneigt war, uns zu behalten, ohne für die Bezahlung eine Sicherheit zu haben. Er bat uns daher, uns in unserem Entschlusse nicht zu übereilen, und fügte bei, daß vielleicht ich oder mein Bruder doch einige Münze in unsern Kleidern verborgen hätten; er beschloß dann in seiner ethischen Stimme, daß »sein Herz sich sehne, dem Unglücklichen beizustehen.«
Wir begannen hierauf den unwürdigen Prozeß, uns zu durchsuchen, wobei sich natürlich nichts herausstellte, denn in der schrecklichen Scene, in welcher wir mit thätig gewesen, war uns Geld zuletzt in den Sinn gekommen. Freilich war dies ein thörichtes Uebersehen, denn wir hatten in der Nacht vor dem Kampfe eine Kiste mit Dublonen aus dem Branntweinraume geschafft, um damit unsere Anhänger zu belohnen und die übrige Mannschaft zu bestechen. Sobald sich zeigte, daß wir kein Geld hatten, schien auch der uneigennützige Wunsch Nathaniels, den Unglücklichen beizuspringen, vereitelt zu sein.
Inmitten dieser unpoetischen Operation sprach Kapitän Darkins plötzlich:
»Ich bin ein Einfaltspinsel – ein Esel, daß ich nicht früher daran gedacht habe. Ihr wißt, Kapitän, daß ich in dem gegenwärtigen Falle keine harten Thaler übrig habe, da das Bischen baar Geld, welches ich mit mir gebracht, eben für das Schiff zureichen wird, wenn wir ein Winterquartier beziehen. Aber zuverlässig achtet Ihr meine Bürgschaft für gut, und mit dieser will ich Euch von Herzen gerne zu Diensten sein.«
Ich konnte meinen Dank nur dadurch ausdrücken, daß ich mit Innigkeit seine harte Hand drückte. Honoria that mehr, denn sie verrieth beinahe ihr Geschlecht, indem sie den ehrlichen Theer mit Wärme küßte. In der That setzte unsere Aufregung den edelgesinnten Amerikaner eigentlich in Verlegenheit.
Diese kleine Scene veranlaßte Nathaniel, auf's Neue sein Schnüffeln vernehmen zu lassen.
»Ich schwöre und betheure, daß Handlungen, wie die Eurige, Kapitän Darkins, dem Herzen allmächtig Wohlthun – sie sind ein wahres Bankett. Ich theile Eure tugendhaften Gefühle, und will von Herzen gerne meine Hand leihen, indem ich mich der guten That, den Unglücklichen beizustehen, anschließe. Ja, ich will Eure Bürgschaft für die Kosten, welche die muntere Sally in Aufnahme dieser armen Leute hat, annehmen, und mein Schifflein kann sich mächtig viel darauf zu gut thun, daß es in dieser Weise zu einem Tempel des Wohlwollens wird.«
Hierauf begannen der Bekenner des Edelmuths und der wirklich Edelmüthige, der sich nichts darauf zu gut that, miteinander zu dingen. Nathaniel wünschte, wir sollten für unsere ganze Fahrt nach Neu-York bezahlen, wo immer wir auch an's Land gehen möchten, obschon er wußte, daß ich an dem nächsten, leiblich civilisirten Orte, den wir berührten, zu bleiben wünschte. Unsere Sache war jedoch in guten Händen. Das Resultat der Besprechung war, daß wir so und so viel monatlich bezahlen sollten; auch müsse mich der Schiffer, wenn ich es verlange, auf jedes beliebige andere Schiff oder auf jedes gelegene Land setzen. Dagegen übernahm Kapitän Darkins die Bürgschaft: das heißt, er wollte die Wechsel, welche ich ausstellte, sammt den Interessen bezahlen, im Falle sie nicht honorirt würden. Während dieses uneigennützigen Aktes von Wohlwollen war Nathaniel sorgfältig für sein eigenes Interesse bedacht.
Sobald alles dies bereinigt, aufgeschrieben und unterzeichnet war, zugleich auch das Kichern des erfolgreichen Geizes sich in den Zügen unseres neuen Kapitäns gelegt hatte, war es mit einemmale Mister Nathaniel Sillis außerordentlich darum zu thun, daß Darkins wieder an Bord seines Schiffes zurückkomme. Es mußte jedoch noch ein anderer Streit zwischen ihnen ausgefochten werden, einen Punkt betreffend, den ich jedenfalls übersehen haben würde, obgleich er namentlich für meine Schwester von höchster Wichtigkeit war – nämlich die Natur und Ausdehnung unserer Bequemlichkeiten. In Betreff dieser Frage besorgte unser Freund Alles in einer Weise, daß später nicht daran gemäckelt werden konnte. Er bestand darauf, daß wir unverweilt von unseren Schlafstellen Einsicht und Besitz nehmen sollten – ein Ansinnen, das unserem uneigennützigen Freund ungemein widerlich war.
»Jetzt, Sir,« sagte der gute Darkins nachdrücklich zu mir, »kennt Ihr genau Eure Rechte, und demzufolge, was ich von Eurem Charakter gesehen habe, glaube ich, daß Ihr Manns genug seid, um sie festzuhalten. Ich weiß nicht, wie es kömmt, denn ich bin doch sonst nicht so gar weichherzig, aber es thut mir ungemein leid, mich von Euch und von diesem Engel, Eurem schönen jungen Bruder, zu trennen. Ich mache mir selbst Vorwürfe, und dazu recht bittere Vorwürfe, Gentleman, daß ich mir nicht mehr Mühe gegeben habe, über das Geschick Eurer Familie und Freunde auf jenem Mordschiff, dem spanischen Vierundsechsziger, Erkundigungen einzuziehen. Es wird mir bis zu meiner letzten Stunde schmerzlich nachgehen, wenn ich daran denke, daß ich Eure arme Schwester, jenes Opfer der teuflischsten Grausamkeit, an der Nocke hängen sah. Der Anblick wird sogar meine Träume durchzucken. Wenn schon Euer Bruder, der Euch hier zur Seite steht, so ungemein schön ist, wie himmlisch muß erst Eure Schwester gewesen sein! Aber Gott sei Dank, daß ich ihre Züge nicht sah. Wahrhaftig, ich habe mich nicht wie ein Mann benommen, und werde mir selbst nie vergeben.«
Der brave Mann schien dies so bitter zu empfinden, daß ich fast daran war, ihm sein Herz durch Einweihung in das Geheimniß von dem Geschlechte meiner Schwester zu erleichtern. Ich that es jedoch nicht, sondern beschränkte mich blos aus die Erklärung, daß man nach Maßgabe der Umstände unmöglich mehr, als er gethan hatte, erwarten konnte.
»Ich danke Euch« – fuhr er fort – »ich danke Euch von Herzen für diese Versicherung, die mir zum Troste gereicht. Ich verlasse Euch jetzt mit meinen besten Wünschen, und glaubt mir, daß ich nach Kräften bemüht sein werde, jenen Seeräubern den strafenden Arm der Gerechtigkeit nachzusenden. Es schwebt mir lebhaft vor, daß das Opfer Eurer Schwester sogar ihren Blutdurst gesättigt haben muß, vorausgesetzt, daß sie nickt wirkliche Teufel waren. Schimpf und Leiden wird Eure würdige Familie natürlich in Fülle zu erdulden haben, aber ich denke doch, daß Alles noch gut gehen wird. Ja, ich hoffe es zuversichtlich und will zum Himmel beten, daß meine Hoffnung in Erfüllung gehe. Lebt wohl – mein Segen und der Segen Gottes geleite Euch! Mögen wir uns unter glücklicheren Verhältnissen wieder treffen! Ob übrigens dies geschehen mag oder nicht, ich bin überzeugt« – dabei überflog ein mattes Lächeln sein Gesicht, und er war bemüht, die Erregung seines Innern unter einer erzwungenen Scherzhastigkeit zu verbergen – »ihr beide, Ihr und Euer theurer Bruder, werdet den Yankeeschiffer des Südseewallfischfängers nicht vergessen.«
Ich brauche meine Antwort nicht weiter auszuführen. Wir drückten uns gegenseitig die Hände und schieden.
Mein amerikanischer Freund war mit seinem Boote kaum von dem Schiffe abgekommen, als alle Segel zu einer Nordwestfahrt ausgebreitet wurden. Ich begab mich dann mit Honoria und Jugurtha auf das Halbdeck, um den schwimmenden »Tempel des Wohlwollens«, die »muntere Sally«, welchen betreten zu dürfen man uns eine so ungeheure Rechnung auferlegt hatte, besser zu mustern. Ein schmierigeres, schlüpfrigeres Heiligthum hatte sich nie auf dem Busen des alten Oceans gewiegt. Die Dünste waren uns anfangs fast unerträglich; das Fahrzeug schoß jedoch mit großer Geschwindigkeit durch das Wasser. Da wir den Wind stark auf unserer Steuerbordwindvierung hatten, so gruppirten wir uns so weit wie möglich hinten, um so allmählig unsere Geruchsnerven an die gemischten Effluvien von Pech, Thran und sich zersetzenden thierischen Materien zu gewöhnen, unter denen übrigens der Schiffer und seine derbe Mannschaft recht behaglich zu gedeihen schienen. Eine gesundere Bande theerbeschmierter, wilder Strolche hätte sich nicht leicht in einem ölichteren und passenderen Receptakel zusammenfinden können.
Nach so schweren erstandenen Leiden wäre es erbärmlich gewesen, sich über geringere Widerwärtigkeiten zu beklagen. Im Gegentheil fühlten wir uns an diesem schmutzigen Aufenthaltsorte nicht nur nicht unglücklich, sondern eine ungewöhnte Heiterkeit stahl sich über unsere kleine Gesellschaft, die sich bei meinem hündischen Freunde schnell zu einem eigentlichen Entzücken steigerte. Er freute sich an den gemischten Düften, die mir und meiner Schwester so anstößig waren, wühlte auf den Decken umher und schnüffelte über den Schmelztöpfen wie ein feuchtnasiger Jagdhund über einer starken Witterung im Thau. Er pflegte dann den Kopf in die Höhe zu werfen und mit großem Wohlbehagen die großen Spalten zu erweitern, die ihm als Nüstern dienten. Im Grunde ist jede Liebhaberei für Wohlgeruch sehr willkührlich. So gibt es meinem Gefühle nach in den Parfümerieläden von Bond-Street Düfte, welche weit schlimmer sind, als die des frischen Thrans.
Obgleich die physische Beschaffenheit der muntern Sally so schleimig und schmutzig war, so hätte dies noch immerhin ertragen werden können, wenn ihre moralische überhaupt achtbar gewesen wäre; aber die Mannschaft, welche meiner Ansicht nach in einem Schiffe dasselbe ist, was die Seele in dem menschlichen Körper, befand sich, sowohl körperlich als geistig betrachtet, in einem kläglichen Zustande. Sie war ganz verschieden von den Matrosen auf Kapitän Darkins Fahrzeug. Letztere waren religiös, ordnungsliebend und auf ihren Dienst aufmerksam, tranken nie im Uebermaß und ließen sich durch keine Aufwallung verleiten, den Namen des Herrn eitel zu nennen. Für Matrosen waren sie, wie wohl manche Leute meinen dürften, zu ernst, und der Kapitän selbst hatte eine entschieden religiöse Richtung; aber wie ganz anders war die Bande, mit der wir's jetzt zu thun hatten. Ein lärmendes, eisenfresserisches, Gott und Menschen verachtendes Gesindel, dessen gewöhnliche Redeweise ein Fluch, und die beliebteste rhetorische Figur eine Gotteslästerung war!
Der feinste Mann darunter war Kapitän Nathaniel Sillis, der Bekenner moralischer Gesinnungen und der Mann mit zwei Stimmen; aber der kleine Anstrich, den ihm seine Erziehung gegeben hatte, diente nur dazu, ihn noch gehässiger zu machen. Trotz der Dualität seiner Stimmen hatte er nur ein einziges Herz, welches sogar bis zum Bersten von Geiz überladen war. Er stand in einem Alter von wenigstens fünfzig Jahren und war ausnehmend häßlich. Sein gegenwärtiger Kreuzzug war sehr glücklich gewesen, was jedoch nur die Wirkung übte, sein Leid zu vergrößern, denn da die ganze Mannschaft daran Theil hatte, so gestattete ihm der Neid über ihren kleinen Gewinn nicht, sich glücklich zu fühlen. Um dies verständlicher zu machen, brauchen wir blos anzugeben, daß der Wallfischfang ein Wagniß ist, in welchem die dabei Betheiligten weder von den Eigenthümern noch von den Kapitänen der Schiffe einen Lohn beziehen, sondern als Entschädigung für ihre Dienstleistungen einen gewissen Antheil an dem Ertrag erhalten.
In diese bescheidenen Gewinntheilchen war nun Kapitän Nathaniel Sillis eigentlich verliebt, und man wird bald sehen, wie es ihm, ungeachtet des Wortreichthums seiner moralischen Gesinnungen, gelang, um diese Bräutlein zu freien und sie heimzuführen.
Ich war gespannt, zu sehen, in welcher Weise das erste Mahl abgehen werde, und als ich meine Neugierde befriedigt hatte, war auch mein Abscheu vollkommen. Ich weiß nicht, ob ich es vor meinen Lesern verantworten kann, wenn ich ihn mit der Schilderung eines Diners und einer Dinerpartie an Bord eines amerikanischen Südseewallfischfängers behellige. Freilich würden sich die meisten Personen mit Hochgenuß an dem Berichte über das schmutzige Mahl eines barbarischen Griechen oder Römers laben, wenn etwa in diesem oder in dem nächsten Jahr eine derartige Schilderung zufälligerweise aus den Ruinen von Pompeji oder Herkulanum ausgegraben werden sollte; ja, man würde die Beschreibung klassisch, interessant und empfehlenswert finden, obschon eine Ausführung der Gelage, welche von den Helden jener Tiefen gehalten wurden, unserem Geschmacke empörend erscheinen dürfte. Könnten außerdem die Thatsachen genau gesammelt werden, so zweifle ich nicht, daß eine Schilderung der Mahlzeit auf den Argonautenschiffen das Glück eines modernen Buchhändlers und den Ruf eines modernen Schriftstellers begründen würden, gleichviel, ob auch die Kost Jasons und seiner Offiziere um kein Haar reinlicher war, als die Schaustellung, welche gewöhnlich um zwei Uhr Nachmittags an Bord der »muntern Sally« Statt hatte.
Indeß ist es immerhin eine schwierige Sache, widerliche Dinge zu beschreiben, ohne Ekel zu erregen, und da ich nicht im Stande bin, über die Symposia unserer thrangetränkten Gäste den edlen Rost des Alterthums zu breiten, so will ich blos sagen, daß weder ich noch Honoria im Stande war, von den ranzigen, unflätigen Speckschwarten oder von dem dampfenden Hundefleisch, das uns vorgesetzt wurde, etwas zu genießen, bis uns der äußerste Hunger dazu trieb. Sogar das Brod theilte den ekelhaften Charakter der allgemeinen Kost, die sammt und sonders die Natur des Fetts angenommen hatte. Ein Russe würde sich bei unseren Mahlzeiten im Himmel gefühlt haben.
Der Kapitän, der Wundarzt, der Supercargo (ein Individuum, das die Funktionen eines solchen Offiziers und die eines Zahlmeisters in sich zu vereinigen schien) und der erste Mate bildeten die gewöhnliche Gesellschaft des Kajütentisches. Diese vier Hohepriester in dem »Tempel des Wohlwollens« waren arge Schreier, ungeheure Esser, furchtbare Flucher und unerschütterliche Lügner. Ich konnte dem Kapitän Darkins um der Reinlichkeit und des Anstandes willen, der an seiner Tafel herrschte, das lange Tischgebet, über dem die Erbsensuppe oder die Klöse kalt wurden, vergeben, aber hier wurde weder vor noch nach Tisch gebetet. Freilich konnte man auch nicht für viel dankbar sein, wenn man nicht im Stande war, sich des Thrans als einer gesunden Kost, und des Rums, der wie flüssiges Feuer brannte, als eines lieblichen Getränkes zu erfreuen.
Da die Charaktere dieses Schiffes nicht anders mit meinem Schicksale in Berührung stehen, als daß sie mich der großen, endlichen Bestimmung entgegenführen halfen, in welcher ich eine so bedeutende Rolle spielte und die meiner Seele so unzerstörliche Eindrucke aufstempelte, so will ich mich begnügen, nur eine leichte und rasche Skizze von ihren Eigentümlichkeiten sowohl, als von ihren Beschäftigungen zu geben. Der Dämon der Habsucht in ihrer schlimmsten Form hatte von der ganzen Partie Besitz genommen, und sobald die Uebermacht unseres schmierigen Mahles durch einen gleich schmierigen Diener abgeräumt war, erscholl der Ruf nach einer weiteren Flasche Rum, nach Karten und nach dem Cribbagebrette.
Ich bemerkte, daß Nathaniel Sillis seine Operationen mit dem Ergusse einer langen moralischen Sentenz und mit Verbergen der Herz- und Karofünfer begann. Sein Gegenmann, der Wundarzt, hatte nicht die gewandte Zunge des Schiffers, aber unendlich hurtigere Finger, und wußte, wenn er sein Spiel markirte, so geschickt mit den Kerbstiften umzuspringen, daß nur das Auge eines stätigen, unbeteiligten Zuschauers dahinter kommen konnte. Die Karten waren im höchsten Grade schmutzig und der Anblick überhaupt ungemein widerlich. Der erste Mate und der Supercargo begnügten sich anfangs mit dem Zuschauen und Wetten, aber dies hörte bald auf, ihnen zureichende Aufregung zu bieten. Es wurde nun Kreide und ein noch schmutzigeres Kartenpacket herbeigebracht, und sie waren bald tief darin beschäftigt, unter Fluchen die Geheimnisse des Putspieles zu studiren. Während dieser Unterhaltungen zeigten sie kein Geld, sondern führten Buch über ihre Verluste und Gewinne, um beides von dem muthmaßlichen Gewinne ihrer Reise auszugleichen.
Diese Scene war zu empörend und roh, als daß sie meine Schwester nicht im höchsten Grade hätten anwidern sollen, und ich bemerkte bald, daß keine Gewohnheit im Stande war, sie damit zu versöhnen oder Ihren Sinn für Zärtlichkeit und Anstand abzustumpfen. Mit stummem Erstaunen blickte sie darauf hin, und ehe die Orgien begannen, bat sie mich in spanischer Sprache, sie auf das Deck zu nehmen. Ich zögerte, dies zu thun, da ich nicht wünschte, schon so früh meine neuen Begleiter durch die Schaustellung unseres Widerwillens aufzubringen, und erwiederte ihr daher ganz ruhig, da sie anfange, ein kräftiger, verderbter Knabe zu werden, so müsse sie sich auch in die Weise eines solchen fügen und wenigstens dergleichen thun, als finde sie an dem Grog Wohlbehagen. Auch warnte ich sie, sich, mit Ausnahme der Schlafenszeit, ja nicht von meiner Seite zu entfernen, damit sie bei einem etwaigen Unfall meines Schutzes sicher sein könne. Ich gab ihr noch außerdem zu verstehen, obgleich ihr die große Jugend einen Vorwand an die Hand gebe, den Tisch zu verlassen, so gehe dies doch bei mir nicht an, und da sei denn doch jede Widerwärtigkeit weit besser als eine Trennung.
Der Kapitän wußte, daß ich nichts zu verlieren hatte, weshalb er nicht in mich drang, mit ihm zu spielen; man ließ mich daher einen ruhigen Zuschauer bleiben. Ich verweilte so lang unten, als es mir die gewöhnliche Höflichkeit zu erfordern schien, konnte aber während dieser Zeit doch bemerken, daß der Schiffer eine wunderbare Ruhe behauptete, während das Ungestüm und das Eigenthum seines Gegners einen verzweifelten Wettlauf begannen, als wollten sie versuchen, welches von beiden sich zuerst erschöpfe.
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