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Neuntes Kapitel.

Ich erleide viele seltsame Umwandlungen und werde aus dem Skelette eines ausgetrockneten Kaufmanns das Skelett eines Regiments (Obrist). – Jugurtha theilt die Ehren und Bounder die Fülle meines gegenwärtigen Zustandes.

—————

Wir müssen übrigens wieder zu den ernsten und bitteren Wirklichkeiten des Lebens zurückkehren.

Als ich zum erstenmale wieder der Außendinge bewußt wurde, schaute ich kindisch, wirr und blödsinnig umher, und die Eindrücke wirkten nichts weniger als tröstlich auf mich. Unbestimmte Vorstellungen von Schiffsgebälk, Theerdünsten und fremden, unfreundlichen Gesichtern, die sich in einer Art erstickenden Zwielichts nebelhaft ausnahmen, waren die ersten Dinge, welche meine Gedanken beschäftigten, und die Erinnerung begann langsam den schwarzen Schleier zwischen mir und der Vergangenheit zu lüften. Dann vergegenwärtigte sich die Scene meines vermeintlichen triumphirenden Sterbens lebhaft meinem Innern, und nachher zogen alle die traurigen Vorfallenheiten, das Zugrundegehen des Schiffes und das Ertrinken meiner Reisegefährten in trauriger Parade vor meinem geistigen Auge vorbei. Ich begann nun zu unterscheiden, daß ich mich in dem Raum eines großen Schiffes befand und daß ich auf einer schwarzen zerrissenen Decke lag, welche über die Kabelringe gebreitet war. Ich blickte auf mich selbst, fühlte mit Abscheu die schmutzigen Lumpen, welche mich bedeckten, und schauderte, als ich die häutigen Hände und die welke Muskulatur meiner Arme betrachtete. Ich erkannte mich und fühlte mich elend. Die Empfindung des Hungers machte sich wieder geltend; aber in derselben Zeit wandelte sich meiner eine unwiderstehliche Schlafsucht an, welcher ich mich hingab, so daß ich auf's Neue in den Schooß des Vergessens begraben lag. Als ich wieder erwachte, fand ich mich einigermaßen gekräftigt, und ich fühlte mich um so glücklicher, weil ich auf meiner einen Seite den wachsamen Jugurtha, auf der anderen den treuen Bounder stehen sah, die ich beide umarmte.

Nach einer kurzen Frist kamen mehrere Männer mit Laternen in unsern Kerker, und eine Anzahl Herren, welche von Damen begleitet waren, folgten ihnen. Sie schaarten sich um uns mit Blicken des Mitleids und der Neugierde. Der Arzt – welcher Kranke erkennt ihn nicht augenblicklich vermöge seines Instinktes? – näherte sich mir und befühlte meinen Puls; dann untersuchte er die Schläge meines Herzens, wandte sich zu der Gesellschaft und sagte in vortrefflichem Castilianisch:

»Am Ende bleibt dieses garstige ekelhafte Skelett doch am Leben.«

Welch' eine Lehre für die Eitelkeit Ardent Troughtons, der sich vor einigen Wochen noch für schön hielt.

»Ich will ihn ansehen – nein, nein – Ihr müßt mich nicht zurückhalten, denn ich bin gegen Häßlichkeit waffenfest. Haltet die Laterne gegen sein Gesicht, mein Freund – ich nehme Interesse an ihm. Ihr grausamen Männer wißt wohl, daß ihr sie als todt aufgegeben haben würdet, hättet Ihr Euch nicht durch meine Grille zu einem Versuche bestimmen lassen. Das Licht höher – Jesus! welch' ein crasses Gesicht – und doch, so wahr ich eine gute Christin bin, sind seine Augen groß und schön! Kann er sprechen, oder ist er stumm wie die beiden Andern?«

Diese Worte wurden von einer wunderschönen spanischen Dame gesprochen, und als ich zu der süßen Harmonie ihres Antlitzes aufblickte, trank ich Gesundheit und Kraft wie aus einer Lebensquelle. Dann versetzte ich in spanischer Sprache:

»Der unglückliche Kaufmann dankt Euch. O gebt mir nur Luft und das Licht des Himmels – das Leben, das Ihr gerettet habt, soll Euch geweiht sein.«

»Da,« rief sie mit einem triumphirenden Lachen; »da habt ihr's. Indem ich einen abgerissenen saftlosen Zweig aus dem Meere auflas, gewann ich einen mir Geweihten – welcher von Euch, meine Herren, obschon Ihr Euch Spanier zu sein rühmt, hat je eine solche galante Anrede an mich gehalten? Jedenfalls müßt Ihr besser für seine Bequemlichkeit Sorge tragen, Kapitän Mantez.«

»Hat er einen bürgerlichen oder militärischen Rang?« fragte der Kommandeur, seinen Kopf aufwerfend, so daß sein Scheitel gegen das niedrige Gebälk anprallte und in dieser Weise einen derben, ermahnenden Klaps erhielt.

Ich antwortete mit einem kurzen Nein, worauf der stolze Spanier sich plötzlich umwandte und verschwand.

Meine schöne Fürsprecherin wandte sich nun an einen rauh aussehenden Mann.

»Zuverlässig habt Ihr als der Zweite im Kommando eine Kajüte, welche groß genug ist, um diesem armen Mann hinreichend Raum zu bieten; auch könnt Ihr ihm vielleicht einen ordentlichen Anzug abtreten.«

Der erste Mate schien keine sonderliche Freude an dieser Anmuthung zu haben; er brummte jedoch so gnädig, als es ihm möglich war:

»Seid Ihr ein Seemann, Senor?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ihr seht, Donna Isidora, daß ihm meine Kleider nicht wohl anstehen würden, und meine Kajüte ist eben erst gemalt morden. Er wird's hier wohl aushalten, bis wir den Anker fallen lassen.«

Er entfernte sich, um seinen Dienst zu erfüllen, und ließ, wie der Levite, der des Weges kam, die wichtigste Pflicht unerfüllt.

Donna Isidora lächelte etwas bitter und schien nun entschlossen zu sein, den boshaften Versuch zu machen, wie weit dieser ungastfreundliche Geist gehe. Sie wandte sich deshalb an einen sehr weibisch und affektirt geputzten Mann mit zwei Uhren oder vielmehr einer Uhrenkette und Pettschaften, die zu jeder Uhrtasche heraushingen und sagte zu ihm:

»Graf, um der Ehre der alten iberischen Gastfreundschaft willen solltet Ihr ihn nach Eurer Hinterkajüte nehmen, auf die Ihr so stolz seid, und die Ihr so prachtvoll ausgestattet habt.«

»Ist er von Adel? – Ist er ein Hidalgo? – Hat er nie auf einem Esel geritten?«

»Ich glaubte ihn sagen zu hören, daß er ein Kaufmann sei.«

Aber ehe die Dame ihre mitleidige Anrede zu Ende bringen konnte, war der Mann mit dem alten Wappenschilde bereits die Hinterlucke hinaufgehumpelt.

Die drei Damen, welche Donna Isidora begleitet hatten, begannen nun zu kichern und zeigten viel Heiterkeit. Meine Fürsprecherin blickte voll liebenswürdiger Verlegenheit, in welche sich auch, wie ich meinte, viel Bosheit mischte, umher und rief plötzlich: »Die Jungfrau sei gebenedeit! Da kommt der Padre. Nehmt Euch in Acht, ehrwürdiger Vater, denn dieser Platz gehört zu den dunkelsten. Seht Euch vor, wie Ihr auftretet – benedicite! – So, jetzt seid Ihr sicher; Ihr braucht daher meine Hand nicht länger zu halten und zu drücken. Ihr seid in guter Zeit gekommen, hochwürdiger Vater. Mein trifftiger Zweig aus dem Ocean hat sich als einen Spanier herausgestellt – nicht wahr, Ihr seid ein Spanier, Sennor? Ihr seht, er nickt bejahend – ein spanischer Kaufmann, der bereits sein Leben mir geweiht hat.«

Der Clericus schnüffelte einen Seufzer heraus, der von den Umstehenden entweder als platonisch, oder als verliebt gedeutet werden konnte – denn der Mann war sehr fett und für einen Cölibateur sehr entzündlich.

»Damit nun die Gabe einigen Werth für mich habe,« fuhr sie fort, »müßt Ihr zur Erhaltung derselben beitragen, indem Ihr ihm einen Theil Eurer vortrefflichen Kajüte abtretet und eine anständige Kleidung für ihn beischafft.«

»Ei, schöne Tochter, wenn Ihr nur bisweilen in meine demüthige Zelle treten und die Fortschritte, die Euer Schützling macht, beaugenscheinigen wolltet – denn Ihr wißt, daß ich gelobt habe, die Werke brüderlicher Liebe und Barmherzigkeit zu erfüllen – wenn Ihr nur hin und wieder eintreten wolltet« –

»Natürlich – natürlich.«

»Ich habe vortreffliche eingemachte Sachen – die Nonnen von Santa Margarita verstehen sich ausgezeichnet auf Konditorei – möge sie dafür nur kurzes Fegfeuer treffen! Dann habe ich auch einigen Noyeau von Martinique – ein Hochgenuß für die Lippen, den nur etwas Einziges übertreffen kann.« Und er netzte dabei bedeutungsvoll seine Lippen an. »Ja, schöne Tochter – Barmherzigkeit – doch ich habe heute nach der Messe über die Barmherzigkeit viel Schönes gesprochen – wir wollen den armen Zöllner in meine Zelle schaffen. Sohn,« sagte er in näselndem Tone, sich an mich wendend, »ohne Zweifel bist du ein Kind der heiligen Mutterkirche und ein aufrichtiger Katholik?«

»Nein, hochwürdiger Vater,« entgegnete ich mit achtungsvoller Festigkeit. »Ich bin in dem protestantischen Glaubenskenntnisse erzogen worden.«

Dieses unbesonnene Zugeständnis übte allenthalben eine merkliche Wirkung, denn selbst die zartherzigen Damen sammt der edelmüthigen Isidora wichen einen Schritt von meinem ärmlichen Lager zurück. Der Priester erhob entsetzt die Hände und begann etwas Lateinisches zu murmeln, worunter sich die Worte: de haereticos – damnati sunt – in saeculis saeculorum,« deutlich vernehmen ließen.

Der treue Nachahmer des guten Samariters wandte sich dann an die Dame und fuhr folgendermaßen fort:

»Ihr seht, meine Tochter, wie unmöglich es ist. Der Elende – das Scheusal ist an den Satan gefesselt für alle Ewigkeit. Es wäre ein Frevel, ihn nur anzurühren – eine Gottlosigkeit – eine Sünde gegen den Himmel, ihm Beistand zu leisten.«

»Ihr meint, wenn er nicht bereut,« sagte meine wohlwollende Beschützerin.

»Ja, wenn er nicht bereut und sich bekehrt – aber bis dahin –«

»Bis dahin muß er Nahrung, Kleidung und freundliche Pflege erhalten, damit er am Leben bleibe, um das gute Werk der Reue und Bekehrung zu begehen.«

»Dagegen will ich keine Einsprache thun, meine Tochter, aber es würde mir übel ziemen, so zu sagen einen Ketzer und Verächter der Wahrheit an meinen Busen zu nehmen. Seht, Sennora, dieser arme stumme Neger da, der wahrscheinlich nie den Namen des Erlösers gehört hat, ist zehnmillionenmal mehr werth, als dieses lutherische Ungeheuer – er ist kein Protestant, und ich will ihm daher Beistand leisten.«

»Ich bitte um Verzeihung, hochwürdiger Herr, er ist gleichfalls Protestant, denn ich selbst taufte ihn nach dem Ritus der reformirten Kirche, so gut ich mich dessen erinnern konnte, als ich in jenem Boote, in welchem Ihr uns fandet, mit ihm zu sterben glaubte.«

Ueber dieses kecke Zugeständniß flüchtete sich der Priester so schnell, als sein Gewicht es nur gestatten mochte, und rief mit einem Entsetzen, in welchem wohl keine Heuchelei lag:

»Gotteslästerung! Gotteslästerung! Eine Sünde gegen den heiligen Geist!«

Während dieser wunderlichen Scene hatten wir einen eifrigen Zuschauer – nämlich den Arzt, einen blassen, dunkelgesichtigen Mann, der seine Gedanken in Fesseln zu halten schien und abwechselnd bald auf mich, bald auf den Priester mit Verachtung zu blicken schien. Während übrigens der geistliche Herr von Erbarmen predigte, nährte mich der schweigsame Arzt mit Sago.

Nach Beendigung dieser erfrischenden Vorbereitung dankte ich ihm mit Wärme und fügte dann bei:

»Theilnehmender Sennor, obgleich Ihr bis jetzt noch nicht mit mir gesprochen habt und Eure Blicke nicht geeignet sind, mich zu ermuthigen, so habe ich doch von Euch allein wesentlichen Beistand empfangen. Ich erbitte mir von der Gastfreundlichkeit dieses Schiffes weiter nichts, als die einfachste Kost, frische Luft und ein Segel auf dem Decke. Wenn ich dann zu Barcelona in meiner Heimath anlange, soll für diesen kleinen Beistand jede Person, die sich meiner annahm, reichlich belohnt werden.«

»Gott verhüte,« sagte Donna Isidora, »daß Ihr so gemein von uns denkt! Sprecht, Julian,« fuhr sie fort, indem sie sich an einen sehr jungen und schönen Mann wandte, auf dessen Arme sie sich stützte, »sprecht mit Eurem unglücklichen christlichen Landsmann und laßt Euren Adel, Eure castilische Ehre Euch mit Worten versehen.«

Der Jüngling erwiederte ihre vertrauliche Rede mit einem Blicke sprechender Innigkeit; dann wandte er sich an mich und sagte mit einem leichten Beben in seinem Tone, welches bewies, daß sein Herz gerührt war.

»Fremder und Freund – ich heiße Euch an meinem Tische willkommen und bin bereit, mit meiner Garderobe und mit meinem ganzen Besitze Euch dienstlich zu werden. Sagt mir nicht, wer Ihr seid, bis Ihr in Gesundheit und Frieden von mir scheidet – bis dahin will ich in Euch nur die Würde des Unglücks anerkennen.«

»Und Eure eigene,« sagte ich, seine dargebotene Hand ergreifend. »Aber, edler Spanier, der Elende, der hier vor Euch liegt, erlaubt sich, Euch Bedingungen zu stellen, ohne deren Genehmigung er Eure Großmuth nicht benützen kann. Ich habe gelobt, von diesen Genossen« – ich deutete dabei auf den Neger und den Hund, »mich nie zu trennen – denn wißt, erlauchter Sennor, wir hungerten drei Tage miteinander in der Mitte des Oceans und haben einander nicht aufgezehrt.«

»Hört, Ihr, Isidora?« sagte Julian; »sie haben sich nicht aufgezehrt. Der Grund ist gut.«

»Dagegen läßt sich freilich nichts einwenden,« sagte sie lächelnd.

»Es wird allerdings etwas eng hergehen, Sennor; aber da ihr einander nicht aufzehrtet – je nun, so müssen wir schon Platz schaffen. O, Isidora!« sagte er, als er sich mit der Dame entfernte, »lächelt nicht über das Motiv des armen Kaufmanns. Es ist – ja, es ist sehr hoch anzuschlagen, daß in einer so schrecklichen Lage der Weiße den Schwarzen schonte; aber beim Himmel, daß sie nicht einmal den Hund verzehrten – dies verräth Seelengröße! Der Kaufmann soll mein Freund sein.«

Die Worte fielen süß auf meinen niedergedrückten Geist. Ich fühlte mich belohnt, ja mehr als schadlos gehalten, für alle meine vergangene Leiden.

Nach kurzer Frist waren wir drei in Julians große luftige Kajüte gebracht. Man sorgte für unsere Bedürfnisse, und nichts wurde unterlassen, was den Umständen nach unsere behagliche Lage erhöhen konnte. In Wahrheit blieb die ganze Kajüte uns überlassen, da der Eigenthümer anderswo schlief. Er besuchte mich häufig, und auch Isidora ließ sich bisweilen herab, nach uns zu sehen. Nur ein Umstand verblüffte mich ein wenig; bei jedem Besuche nämlich, den sie mit machte, betrachtete sie mich mit größerem Erstaunen, obschon sich augenscheinlich die Merkmale ungeheuchelter Freude darein mischten.

Nachdem ich die Kajüte ungefähr vierzehn Tage bewohnt hatte, während welcher Zeit ich und mein Gefolge einen ungeheuren Appetit entwickelten, ertheilte mir Julian und Isidora die schmeichelhafte Kunde, daß ich und meine Genossen von der übrigen Schiffsgesellschaft fast ganz vergessen worden seien; sie baten mich übrigens, vorderhand wenigstens nicht bei Tage auf den Decken zu erscheinen, indem sie als einen Hauptgrund die Vermeidung von Feindseligkeiten mit dem Priester angaben.

Natürlich konnte ich solchen Wohlthätern nichts abschlagen, weshalb ich gewissermaßen ein freiwilliger Gefangener in meiner Kajüte wurde. Bei derselben Gelegenheit erfuhr ich auch, daß das Schiff, in welchem ich mich befand, früher ein spanischer Vierundsechsziger gewesen, nun aber flütenartig bewaffnet war und, obgleich nicht regelmäßig konzessionirt, durch einen Kapitän von der königlich spanischen Flotte befehligt wurde; die übrigen Offiziere und die Matrosen waren so, wie in dem gewöhnlichen Kaufmannsdienste. Das Schiff kam von Lima und hatte viele Passagiere, desgleichen eine beträchtliche Anzahl von Linientruppen an Bord. Es führte eine reiche Ladung, und ich konnte wohl bemerken, daß man sich an Bord vor dem Zusammentreffen mit französischen oder englischen Kreuzern scheute. In der That mußte sich jeder Spanier darauf gefaßt halten, in dem Bombast des alten Pistol angeredet zu werden: »Unter welchem König, Benzonian – sprich oder stirb?« denn in jener kritischen Periode regierte Joseph zu Madrid, Ferdinand aber, obgleich er in Frankreich war, in Gemeinschaft mit den Engländern über die meisten Provinzen. Don Mantez, der Befehlshaber, hatte daher, bis er Cadix erreicht hätte, beschlossen, sich in alle Farben zu kleiden, obschon er nicht viel Gelegenheit fand, von seiner Diplomatik Gebrauch zu machen, da damals nur englische Kreuzer die Meere durchstreiften, folglich er nur diesen Auskunft zu geben nöthig hatte.

Aus meinen Mittheilungen hatte Don Julian erfahren, daß ich von England kam, und als uns das erste englische Kriegsschiff begegnete, war er rücksichtsvoll genug, mich zu fragen, ob ich mich mit demselben zu benehmen wünsche. Ich lehnte dieses Anerbieten ab, da ich mit aller Eile nach Spanien und Barcelona zu kommen wünschte. Ob dieses Benehmen von meiner Seite einen günstigen Eindruck auf ihn machte, oder nicht, konnte ich damals nicht sagen.

Wir langten endlich auf der Höhe von Cadix an und legten bei. Mehrere Boote führten nun unterschiedliche Linien- und Flottenoffiziere an Bord, so daß mehrere Stunden lang die oberen und unteren Decken von Personen in prachtvollen Uniformen wimmelten; denn die Ankunft eines Schiffes, wie das unsrige, war für die Spanier ein Ereigniß. Um diese Zeit geruhte denn auch der Kapitän Don Mantez sich zu erinnern, daß er mein erbärmliches Ich und mein nicht minder armseliges Gefolge an Bord genommen hatte. Er schickte demgemäß, wie ich später erfuhr, nach Don Julian und redete ihn folgendermaßen an:

»Don Julian de Aranjuez, dem Vernehmen nach gebt Ihr in Eurer Kajüte jenem elenden, bettelhaften, ketzerischen Spanier Herberge, welchen wir mit dem Schwarzen und dem Hund in der See aufgelesen haben. Ich habe nichts darüber zu sagen, denn Eure Kajüte ist für die Dauer der Reise Euer Privateigenthum, da Ihr gut dafür bezahltet; aber es ist meine Pflicht, diese erbärmlichen Ungläubigen an's Land zu setzen. Ihrem Aussehen nach müssen sie der gemeinsten Klasse angehören – laßt daher die Galgenstricke ziehen.«

»Don Mantez, etwas der Art gibt es jetzt nicht an Bord. Ich habe allerdings zwei Freunde in meiner Kajüte, und diesen werde ich mit Eurer Erlaubniß eine Ueberfahrt bis nach Barcelona geben.«

»Don Julian, Ihr seid mit ihnen herzlich willkommen. Wollt Ihr und Eure Freunde heute mit uns speisen? Da wir vor sieben Uhr Abends nicht weiter ostwärts aufbrechen, so wird heute Se. Excellenz, der Gouverneur, mit seinem Gefolge, meinen armen Tisch mit seiner Gegenwart beehren. Ihr habt Euch also in möglichster Bälde Eure bettelhaften Kostgänger vom Halse geschafft? Das ist in der That sehr klug. Wir werden Euch um drei Uhr sehen.«

Julian trat nun mit seiner blühenden Muhme Isidora in die Kajüte und ihre Gesichter leuchteten von Zufriedenheit und Freude. Nach einigen Komplimenten zwischen mir und meiner Erhalterin schob Don Julian letztere etwas roh aus der Kajüte und öffnete mir dann seine große, mit Eisen beschlagene Truhe, aus welcher er die prachtvolle Uniform eines Husarenobristen hervorzog.

»Hier, mein Freund – kleidet Euch hurtig in diese meine Siebensachen; laßt nichts zurück – ich befehle es. Und du mein lustiges Schwarzgesicht, krieche in diese verbrämte Jacke – ziehe die türkischen Hosen und rothen Stiefel an – und nun drücke dir diesen Mousselinturban ein wenig auf die Seite. Ja, so ist's recht – so ist's recht. Betrachte deine mannigfaltigen Schönheiten in diesem Spiegel, Sambo. Heilige Mutter, er scheint dafür geboren zu sein!«

Sobald sich Jugurtha im Spiegel betrachtet hatte, stolzirte er entzückt und sehr zu unserer Verwirrung in dem beschränkten Raume der Kajüte umher, während seine verstümmelten Zungenüberreste einen schrillen, fibrirenden Ton hervorbrachten, nicht unähnlich dem Geklirre der Cymbeln. Sobald ich meine Toilette beendigt hatte, betrachtete mich Julian mit stolzer Selbstzufriedenheit von allen Seiten.

»Heiliger Ignatius, Ihr macht Euch prächtig! Drei Wochen haben die Wunder von Jahren an Euch geübt. Ich wage es kaum, Euch vor Isidoras Gesicht kommen zu lassen. Ich setze mein Leben zum Pfand, Ihr seid ein Mann vom Stande und werdet in Bälde ein vortrefflicher Katholik sein, denn es wäre Schade, wenn ein Mann mit einer so edlen, vornehmen Haltung ein Ketzer bliebe. Nun, mein theurer Sennor, erbitte ich mir noch ein einziges Vertrauen, bis wir uns trennen. Wie ist Euer Gnaden Name?«

»Von Gnaden ist keine Rede, mein wackerer Don Julian, denn ich bin nur ein einfacher Gentleman und heiße Ardent Troughton.«

»Ardent Droug – Troot – Trotuhu – das ist gefährlich für die Zähne, und es wird nicht gehen. Der Name ist absolut unmöglich – wenigstens für jeden andern Mund, als für den eines Sachsen. Erweist mir die große Gunst, ihn zu wiederholen.«

»Ardent Troughton.«

»Ah! das ist die helle Barbarei und soll wohl Englisch sein; aber dem Schnitte Eures Gesichts – Eurem Teint und Eurer Sprache nach ist's doch nicht möglich, daß Ihr ein Engländer seid.«

»Ich bin in Spanien geboren,« entgegnete ich.

»Ich freue mich, dies zu hören; aber wir müssen Euren Namen in's Spanische umwandeln. Was haltet Ihr von Don Ardentizabello de Trompe Hilla? Wollt Ihr Euch dies merken – Don Ardentizabello de Trompe Hilla.«

»Ich will's versuchen.«

»Und Ihr seid kürzlich von einer geheimen Sendung am persischen Hof mit Eurem Stummen in Cadix angelangt. Ihr wünscht, ehe Ihr zum Abschluß Eurer Geschäfte zurückkehrt, Euer Schloß in der Nähe von Barcelona zu besuchen.«

»Und das Gepäck von Sr. Excellenz, dem Gesandten?«

»Ich habe dafür in dieser meiner Kajüte Sorge getragen. Jetzt stehlt Euch hinaus und mischt Euch unter das Gedränge der Thoren in Uniform und Priestertracht, welche alle Decken überfüllen, und tragt Sorge, daß Ihr mit dem größten Haufen nach dem Halbdeck hinaufkommt. Ich will voraus gehen, um Euch zu empfangen.«

»Jugurtha,« sagte ich, als ich die Kajüte verließ, »halte dich dicht an mich, und wenn ich dich anrede, so begrüße wich, wie es in deinem Lande üblich ist.«

Der Neger verzog den Mund von einem Ohr zum andern, in seinem Grinsen eine bereitwillige Zustimmung an den Tag legend.

Ich hatte mich mit Jugurtha in dem unvollkommenen Lichte der Zwischendecken, ohne beachtet zu werden, bald unter ein Häuflein neugieriger Gäste gemischt und stieg mit harmonischem Waffengeklirre nach dem Halbdeck hinan. Kaum war ich daselbst angelangt, als Don Julian vortrat, mich sehr achtungsvoll bei der Hand ergriff und mich zuerst dem Gouverneur, dann aber dem Kapitän als Se. Excellenz, den Don Ardentizabello de Trompe Hilla, Gesandten am persischen Hofe, vorstellte.

Wir verbeugten uns sehr diplomatisch gegen einander, die Wache präsentirte das Gewehr, und das Musikkorps stimmte die Nationalhymne an.

Ich wurde dann den Damen vorgestellt und von allen Seiten mit Lächeln oder honigsüßen Worten begrüßt. Donna Isidora bemerkte, als sie mich zu Gesichte bekam, trocken, »sie habe schon früher Jemand gesehen, der mir sehr ähnlich sei; auch meine sie, daß mein Teint durch die Sonne ein wenig verderbt worden sei.«

Niemand erkannte uns, und sowohl Jugurtha, als ich wurde von männiglich bewundert. Nur der Kapitän war ein wenig ärgerlich darüber, daß ich, ohne bemerkt zu werden, an Bord gekommen war. Der Tag verging in heiterer Lust, Höflichkeit und Galanterie. Wir speisten unter einem Flaggenzelte auf dem Halbdecke, und Jugurtha übernahm mit leidlicher Gewandtheit die Rolle eines hinter meinem Stuhle aufwartenden Dieners. Um sechs Uhr brach die Gesellschaft auf; die Gäste gingen wieder an's Land, und das Schiff hielt seine Segel bereit.

Sobald Alles zurecht gemacht und die Segel für die Nacht gekürzt und gesetzt waren, zogen sich die Passagiere, die Militäroffiziere und ich mit dem Kapitän in die Staatskajüte zurück. Pater Xaver, der Priester, erwies sich sehr aufmerksam gegen mich, indem er sein Gespräch nur zwischen mir und Donna Isidoria theilte.

Wir hatten dann sehr gute Musik und einen Gesang, der jeder Dilletantengesellschaft Ehre gemacht haben würde. Eine Pause in unseren Belustigungen benützend, näherte sich der Kapitän der Stelle, wo Isidora, der Padre und ich selbst saßen. Nach unterschiedlichen Komplimenten und Entschuldigungen bat er mich um Auskunft, wie es zugegangen, daß er mich nicht bemerkt habe, als ich an Bord kam. –

»In der That, Don, ich erinnere mich nicht mehr genau, denn es ist auch meiner Aufmerksamkeit entgangen; aber ich vermuthe,« fügte ich mit der ganzen Nonchalance des höhern Ranges bei, »daß einige von Euren Leuten mir an der Seite herauf halfen.«

»Ja, dies war zuverlässig der Fall,« sagte die Dame schalkhaft.

»Es thut mir in der That sehr leid, daß ich nicht an der Laufplanke war, um Euch zu empfangen.«

»Ich glaube nicht, daß Ihr so säumig wart. Indeß achtete ich nicht sehr auf die Art meines Empfangs. War der wackere Kapitän anwesend, als ich zuerst an Bord erschien, Sennora?«

»Gewiß, und er befand sich in einer ganz abscheulichen Stimmung, denn er fluchte ganz entsetzlich. Es war ein Glück, daß Ihr ihn nicht hörtet, – ich hätte nicht für die Folgen stehen mögen.«

Don Mantez begann seinen Schnauzbart zu drehen und über die Mystifikation eine kriegerische Miene anzunehmen. Seine Quälerin bemerkte jedoch, daß sie den Scherz zu weit führen könnte und sagte:

»Doch glaubt ja nicht, Kapitän, daß Ihr, als der Don an Bord kam, nur für einen Augenblick Euern natürlichen Charakter aus dem Gesichte verlort; Ihr handeltet danach. Der Gentleman ist aus Gründen, die er vermuthlich am besten zu erklären wissen wird, in einer undurchdringlichen Verkleidung und in einem sehr beschiedenen Fahrzeuge an Bord gekommen.«

»Da hoffe ich auf Verzeihung für eine etwaige unabsichtliche Vernachlässigung,« entgegnete der Kapitän mit einer tiefen Verbeugung.

»Die habt Ihr vollkommen,« sagte ich mit einer Gönnermiene, und das Gespräch wurde abgebrochen.

Man kann sich denken, daß ich mir die Freiheit und die frische Luft, die mir jetzt zu Gebote stand, gehörig zu Nutze machte, denn statt nach der Kajüte zurückzugehen, schloß ich mich Julian und Isidora an, mit welchen ich mich seitwärts von der Hütte bis lange nach Mitternacht unterhielt. Ich gewann es dann über meinen freundlichen Wirth, die Bedenken, welche sich auf seine ritterlichen Vorstellungen von Gastfreundschaft gründeten, aufzugeben und die Geschichte meines Lebens anzuhören. Er horchte mit der angelegentlichsten Aufmerksamkeit auf meine Erzählung, die zum Theil seiner schönen Verlobten viele Thränen entlockte. Sobald ich zu Ende gekommen war, boten mir Beide die Hand der Freundschaft und waren sehr freigebig in ihren Beistandserbietungen. Ach! sie wußten wenig, wie sehr sie selbst der Hülfe bedürfen würden.

Sie waren Beide Abkömmlinge derselben edlen catalonischen Familie, welche in Südamerika reiche Besitzungen hatte. Das Geschrei nach Unabhängigkeit, begleitet von der ganzen Wildheit eines vertilgenden Bürgerkrieges, war längst gegen die amerikanischen Besitzungen Spaniens erhoben worden. Don Julian hatte ein Kavallerie-Regiment befehligt – hatte gekämpft – und brachte jetzt, da der Kampf hoffnungslos zu sein schien, seine schöne Muhme mit einem großen Theile ihres gemeinsamen Reichthums in baarem Gelde nach dem Heimathland. Nach der Vermählung gedachte er seine Gattin an einem sicheren Orte unterzubringen, und dann entweder in der Heimath für Spaniens Unabhängigkeit mitzustreiten oder wieder nach Amerika zu gehen und zu sehen, was sich von seiner väterlichen Habe noch retten lasse. Als Kinder hatten sie in der Nähe von Barcelona gewohnt; aber obgleich sie sich der Namen mehrerer Familien in der Stadt erinnerten, konnten sie sich doch nicht entsinnen, den meines Vaters je gehört zu haben. Ich behielt die Verkleidung bei, welche mich Julian anzunehmen bewogen hatte, und da außer uns selbst Niemand in das Geheimniß eingeweiht war, als der treue Dienstbote der beiden Verwandten, welcher während unserer Haft in der Kajüte für alle unsere Bedürfnisse gesorgt hatte, so glaubte man allgemein durch das ganze Schiff, daß die beiden Elenden, welche aus der See aufgelesen worden waren, sich aus Gründen, die ihnen selbst wohl am besten bekannt sein, aber nicht viele Ehre bringen mochten, in einem Uferboote nach Kadix gestohlen hätten. Unser Bounder, der frei auf dem Schiffe herumgehen konnte, wurde gut genährt und gedieh, wie seine Leidensgefährten; auch war er auf dem Schiffe in einem so hohen Grade der allgemeine Liebling geworden, daß Kapitän Mantez seine Absicht ausdrückte, das schöne Thier für sich zu behalten, obschon ich dagegen in meinem Innern heftigen Widerspruch einlegte.

Nach einer kurzen und glücklichen Reise warfen wir außerhalb des Hafens von Barcelona Anker.

*


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