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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Ist reich an Ereignissen und berichtet das klägliche Geschick der »munteren Sally.« – Das Ende des Spiels und der Spieler. – Eröffnung neuer Scenen.

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Honoria war jetzt zum erstenmal Zeuge eines beginnenden Sturmes, und ihre Seele schien sich mit ihm zu heben. Der zunehmende Wind stand noch immer nahe zu im Sterne, und das Schiff schien mit ihm einen Wettlauf zu beginnen, während die zornigen Wellen vergeblich darnach schäumten und bellten; denn sie blieben abwechselnd zurück, wie müde Jagdhunde, denen die Kraft versagt, den edlen Hirsch weiter zu hetzen. Bis jetzt war noch keine wirkliche Gefahr vorhanden, obschon sie sehr zu befürchten stand. Der Sturm steigerte sich mehr und mehr, aber nicht in plötzlichen Stößen, sondern gleichförmig, wie irgend ein vom Himmel begabter Redner, der allmählig in Pathos geräth, bis er die Gemüther von Tausenden bewegt, ihre Richtung nach einem einzigen Punkte hinzieht und den Strom mit gewaltigem Stoße gegen den Altar oder den Thron hinführt. Die Marssegel wurden zuerst doppelt und dann dicht gerefft. Der kommende Sturm schien es zu verschmähen, seine schwachen Gegner, die Menschen, durch Ueberraschung zu nehmen. Der Geist, der ihn leitete, schien uns zu sagen: »Kommt, wir wollen mit einander auf der See ringen. Gürtet eure Lenden zum Kampfe; – seid fest und wankt nicht, sondern laßt uns miteinander streiten wie würdige Feinde. Weg mit gemeiner Ueberraschung, List oder Hinterhalt. Hört auf die Stöße meiner unirdischen Trompete. Gebt Acht, wie die Wellen zu dem Echo tanzen. Ich bin der starke Südost. Bereitet euch vor – ich komme!«

»Ich höre den Gott des Sturmes zu mir sprechen,« sagte Honoria. »Wie hehr – wie großartig – wie schrecklich ist seine Stimme – und doch wie schön! Halte Dich an mich – stütze mich, Ardent – ich kann seinem Wehen nicht länger Stand halten! Wie das Schiff taumelt! Wie groß es auch ist, scheint es mir doch nur ein Staubkorn zu sein, das vor dem Athem des gewaltigen Unsichtbaren einhertanzt. Ardent, mein Bruder, ist Gefahr vorhanden?«

»Noch nicht, meine Schwester.«

»Wozu aber das Gewühl und Klopfen, das ich in der Hinterkajüte höre?«

»Sie setzen nur die sogenannten Todlichter ein, meine Liebe; das heißt, sie verbarrikadiren die Kajütenfenster gegen den Angriff der Wellen.«

»Welch' ein unheimlicher Ausdruck dies ist – Todlichter!«

»Es gäbe Anlaß zu einer nicht uninteressanten Untersuchung, meine Honoria, wenn man dem Ursprung vieler dieser Seemannsausdrücke nachspüren wollte, obschon es fast so seltsam wäre, als daß wir eben jetzt über den Gegenstand sprechen. Wär's nicht besser, wenn du hinuntergingest?«

»Wenn Gefahr da ist, nein – und andernfalls ist die Kajüte der letzte Platz, in welchem ich mich einsperren möchte. Mit welchem abgemessenen und doch gewaltigen Ungestüm der Orkan sich steigert!«

»Ja wohl.«

»Wäre es nicht edel, wenn wir mit Schwingen begabt wären und über diese kochenden Wellen dem Sturme voraneilen könnten? Gewiß, Ardent, es wäre ein herrliches, großartiges Rennen.«

»Das kannst du auch jetzt thun, Honoria, denn keine Schwingen vermögen den Flug des Geistes zu ersetzen. Du sprichst da einen seltsamen kühnen Wunsch aus, meine Schwester.«

»Ja, und es ist besser, daß ich es thue. Was die Umstände noch aus mir machen mögen, weiß ich nicht; aber Scenen wie diese, Ardent, und jene Auftritte, die unvergeßlich in unserer Erinnerung leben werden, müssen mich entweder zu einer Amazone umwandeln, oder mich vernichten. Und doch fühle ich trotz aller meiner Ruhmredigkeit, daß es mir sehr an einem Gefühle fehlt, um mich aufrecht zu erhalten – an einem großartigen Prinzip, für das ich um's Leben kämpfen, oder in dem ich freudig sterben könnte. Du hörst mich, Ardent? Das Brausen des Wassers ist fürchterlich geworden.«

»Ich höre dich vollkommen, Honoria. Deine silbernen Glockentöne nehmen sich in schöner Bestimmtheit aus, ungeachtet dieses heiseren Rauschens der tobenden Wellen.«

»Und doch höre ich mich selbst kaum!«

»Tritt weiter unter das Bollwerk und sprich fort; es liegt ein Trost in deiner Stimme. Ich bedarf keines mich aufrecht erhaltenden Prinzips, wenn Honoria in meiner Nähe ist.«

»Ich danke dir, Ardent – ich danke dir, mein Bruder. Wie einsam und verlassen scheinen wir zu sein – Niemand kommt uns nahe; und mich dünkt, daß sich ein langes Entsetzen auf den Gesichtern derjenigen ausspricht, die ich bei dem Steuerrade sehe. Wie sie sich abzumühen scheinen – und es sind ihrer vier. Müssen denn jetzt vier das thun, was ich sonst eine einzige Hand ohne Anstrengung vollführen sah?«

»Ja, diese Männer müssen jetzt aller ihrer Kraft und Wachsamkeit aufbieten, damit das Fahrzeug gerade, wie ein Pfeil vor seinem Bogen, vor dem Winde fliege. Das mindeste Versehen von ihrer Seite würde das Schiff in den Wind jagen, so daß es augenblicklich auf seinen Balkenenden läge.«

»Was ist dies, Bruder?«

»Das Schiff würde die Seite gegen den Wind kehren und überschlagen.«

»Schrecklich! Und kann dies vielleicht doch kommen?«

»Wir sind in der Hand Gottes. Bücke dich mehr; es kommt mir vor, als ob Niemand, dem sein Leben lieb ist, diesem Sturm das Gesicht bieten könne.«

Dicht unter dem Lee des Bollwerks auf dem Decke sitzend und unsere Arme umschlungen, sahen wir geduldig und mit schaudernder Ehrfurcht dem Ausgange entgegen. Seit sich Jugurtha an Bord dieses Schiffes befand, hatte er mit vielen possierlich pomphaften Geberden stets den Gentleman gespielt, denn er wußte wohl, daß seine Fahrt bezahlt war, weshalb er die Herabwürdigung von sich fern hielt, seine schwarze Hand durch Berührung eines Taues zu beflecken. Aber jetzt sahen wir ihn, wie er über das Deck tanzte und nicht nur aus Leibeskräften selbst arbeitete, sondern auch durch seine Gestikulationen Andere zur Thätigkeit anwies und ermuthigte. Er stand übrigens nicht in unserer Nähe. Das Schiff flog noch immer vor dem Winde.

»Sprich mit mir, Ardent. Laß mich den Ton deiner Stimme hören, denn es ist vielleicht unsere letzte Unterhaltung. Heiter kann sie freilich nicht sein, wohl aber ruhig und zärtlich. Erzähle mir von den grünen Gefilden, der Heimath meines Vaters – von dem England deiner Kindheit – von dem Lande, das du so sehr liebst.«

»Von Herzen gerne, Honoria; – mit Ausnahme von drei oder vier Monaten im Jahre ist die lächelnde Ueppigkeit jenes Landes wunderbar. Im Innern befinden sich Thäler, die den Schooß der Erde mit überschwenglicher Fruchtbarkeit zu sprengen scheinen. Die ruhigen und bescheidenen Hütten – –«

Aber dieser klägliche Versuch, die entsetzliche Scene um ihre Schrecken zu betrügen, wurde durch einen durchbohrenden Schrei meiner Schwester unterbrochen.

»Was ist Alles dies, mein Bruder? Sieh, das Verderben hängt über uns.«

»Haben wir uns nicht auf das Schlimmste gefaßt gemacht? Ich will dich nicht bitten, nicht zu zittern, aber es ist nichts weiter, als daß die drei Stengen an den Eselshäuptern abgebrochen sind. Du stehst, wir haben jetzt nichts mehr, als das gesetzte Focksegel, welches man in der furchtbaren Gewalt des Windes nicht beschlagen kann. Das Schiff wird nur um so besser steuern. Sieh nicht so auf die Trümmer hin, Honoria – es wäre besser, du unterließest es.«

Einige zerstümmelte Körper lagen, durch den Fall des Windfanges zerquetscht, auf dem Deck, und unser Hund Bounder hatte sich kaum noch durch das verstrickte Takelwerk retten können.

Ich kann mich jenes unseligen Tages nur noch wenig erinnern. Die Wellen wurden von dem Winde niedergeschlagen, und die ganze Oberfläche des Meeres war von einem weißen Nebel bedeckt, der halb wie Dunst, halb wie Schnee aussah. Die Atmosphäre hatte sich verdüstert, und oben war nichts, als ein greller Dunst zu bemerken. Etwa zwei Minuten lang schienen vorne, unmittelbar in der Richtung des Schiffskurses, schwere Massen schwarzblauer Berge sich so hoch wie das große Mars aufzutürmen; und vor uns lag eine Schichte blendend weißen Schaums. Aber die Töne, die für ein paar Momente unsere Ohren betäubten, waren so überwältigend, daß ich nur eine matte Vorstellung davon zu geben vermag, wenn ich sie mit dem Zischen einer Legion von Dämonen vergleiche, welche die Donner des Allmächtigen zu übertönen bemüht sind.

Von Allem, was unmittelbar darauf erfolgte, weiß ich nur noch, daß ich fühlte, wie sich meine Schwester dichter an meinen Busen anklammerte, und daß ein gewaltiger Stoß Alles umherschleuderte; das Geheul wirbelnden Wassers drang in meine Ohren, und für eine Weile wurde Alles still. Dann däuchte mich's, ich liege auf einem dünnen, weichen Sandbette, dessen ich recht gut bedurfte, denn mein ganzer Körper schien eine einzige Beule und jeder Knochen meiner Glieder zerbrochen zu sein. Der laute Kampf des Wassers mit den Winden und Felsen heulte noch in meinen Ohren; aber damals erschien mir dieses Geräusch nicht wie die Stimme der Wellen, sondern wie das Gesumm einer ungeheuern Menschenmenge, unter dem sich das zornige Schmähen von Stimmen erhob, welche deutlich den Namen Ardent Troughton verwünschten. So gewaltig ist die Allmacht des Geistes in seiner Gesundheit sowohl, als in seinen Hallucinationen, daß ich meine ganze Lage mit einemmale zu erfassen meinte. Es war mir, als hätte ich mich nie auf dem Meere eingeschifft; ich hatte nie meinen Vater, meine Mutter oder meine Familie gesehen, war nie bei einem Kaufmann von Lothbury in der Lehre gewesen, und hatte nur von einer solchen Person unbestimmt sprechen hören; aber in wenigen Augenblicken durchlebte ich ein ganzes vergangenes Dasein – ich war ein Ritter, hatte es über mich genommen, die Unschuld einer mit Unrecht verklagten schönen Dame zu beweisen und war in den Schranken vom Rosse geworfen worden. Es war weder Kraft noch Tapferkeit oder Tugend in mir – ich lag da zum Gespötte einer höhnenden Menge, weshalb ich beschloß, die Augen nicht wieder zu öffnen und durch eine gewaltige Anstrengung meines Willens zu sterben, was mir auch, wie ich wähnte, gelungen war.

Aber der grimmige Jäger Tod, der uns Alle so unermüdlich verfolgt und so sicher einholt, ist bisweilen launenhaft und läßt sich nachhetzen, ohne daß man ihn zu erreichen vermöchte. Ich verfolgte ihn nach dem kalten Vorhofe der Vergessenheit, aber der Spötter entwischte mir ohne Unterlaß, indem er mich manchen ermattenden Schritt durch romantische Schauplätze, prachtvolle Tempel und wunderschöne Städte thun ließ. Aus diesen träumerischen Gebieten, welche die sterbliche Welt von der ewigen trennen, auftauchend, fand ich mich endlich wieder athmend auf dem grünen Rasen, und ein sanfter Wind fächelte mein Gesicht, tausend aromatische Düfte mit sich bringend. Die Sonne stand herrlich über mir, so daß sie meine Augen blendete, wenn ich es versuchte, sie wieder zu öffnen. Ich war wieder Ardent Troughton, der schiffbrüchige Kaufmann.

*


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