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Die Erzählung des Londoners.
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»Nun, Gentlemen,« begann William, »es interessirt keinen von Euch, wer mein Vater und meine Mutter war, denn es ist keiner unter euch, dem ich mich zuschwören möchte, und so werdet ihr mich auch nicht zu unterstützen haben, wenn ich dem Kirchspiel anheim falle. Ich erhielt meine Erziehung mit andern Jungen an einer öffentlichen Anstalt, und meine Fortschritte im Lernen setzten die Lehrer dermaßen in Erstaunen, daß alle sagten, es würde eine Todsünde sein, solche Talente nicht der Welt zu weihen. Sie thaten mich daher zu einem Hosenmacher in die Lehre, der aber zugleich das Schneidergewerbe im Allgemeinen trieb. Das gefiel mir freilich nicht recht, und ich will auch sagen, warum – ich konnte nicht mit untergeschlagenen Beinen dasitzen, und der Geruch von neuem Hirschleder war mir durchaus nicht angenehm. Außerdem war es gar unangenehm, sehen zu müssen, wie Einem die Leute Hörner drehten, und ihr wißt, man kann nicht den ganzen Tag lang Kopfnüsse austheilen, weil man's am Ende doch müde wird und außerdem in den Ruf der Streitsucht kommt. Ich setzte mich daher eines Tags auf meine Stelzen und gab ihnen eine bessere Beschäftigung, indem ich davon lief.«
Ich übergehe rasch diesen Theil seines Lebens, da er von Abenteuern wimmelt, wie sie bei einem gewandten, müßigen Londoner Taugenichts gewöhnlich sind. Er fand bald seinen Weg nach der Tretmühle, welche, wie er bemerkte, ausdrücklich für ihn erfunden zu sein schien, da er einer der Ersten gewesen, welche ihre Füße auf diese nachgiebige Beförderungsleiter setzten, auf der man eine Ewigkeit fortgehen könne, ohne höher zu kommen. Natürlich gerieth er in sehr schlechte Gesellschaft, welche ganz irrige Begriffe von Eigenthumsrechten besaßen, und machte unter den Londonern Spitzbuben zahlreiche Bekanntschaften, ohne sich übrigens zur Zeit weiter an ihren Verbrechen zu betheiligen, als daß er hin und wieder, wie der ehrliche Jack Fallstaff, für die Honnetität seiner Kameraden vor den Gerichtsschranken zu Old Bailey Zeugniß ablegte und wie der Ritter seine achtzehn Pence einzog. In Folge dieser Genossenschaft nahm er die Manieren und Grundsätze der windigen Tagediebe an, obschon er noch immer sorgfältig Acht hatte, sich nicht in ihre unaufhörlichen Gefahren zu verstricken.
Seiner Gewandtheit und Behendigkeit hatte er es endlich zu verdanken, daß ihm die Stelle eines Oberkellners in einer berufenen und wohlbesuchten Kneipe, welche in dem Banne des Fleet-Gefängnisses lag, übertragen wurde. Er benahm sich dabei ganz ehrlich, wie er sagte; aber auf eine oder die andere Weise kam es stets, daß er seine Taschen voll schlechter Münze fand. Er hatte sie einmal und mußte sie deshalb eingenommen haben; auch wäre es hart gewesen, wenn so ein armer Teufel den Verlust hätte auf sich sitzen lassen müssen. Mr. William Watkins vertheilte daher das falsche Geld sehr unparteiisch und ziemlich reichlich unter die Gentlemen, welchen er herausgeben mußte, wodurch er sich ein hübsches Sümmchen machte und nur wenig, sehr wenig Verdacht auf sich zog; er wußte übrigens gut, mit beidem fertig zu werden. In diesem blühenden Zustande seiner Angelegenheiten traf er zuerst mit Mary East zusammen. Lassen wir ihn wieder selbst sprechen.
»Ach du meine Güte! welch' ein Engel sie war! Durch ihre Schönheit erinnerte sie mich an Madame Abington, die Schauspielerin, und wenn sie so zierlich und einfach durch die Straßen trippelte, sahen ihr alle Männer nach, von dem vornehmen Perückenkopf an bis zu dem lumpigsten Studentlein herunter. Kurz und gut, es schien, als breite sie auf allen ihren Schritten und Tritten einen wahren Lichtglanz um sich. Ich will nicht gerade sagen, daß sie wie eine Sonne leuchtete, aber hole mich Dieser und Jener für alle Ewigkeit, wenn nicht, so oft sie ihren Kopf zu ihrer Thüre in Simion's Court hineinsteckte, Alles gleich um vier oder fünf Schatten dunkler erschien. Ich habe dies selbst oft und oft bemerkt.«
»Dies kann ich nun ganz und gar nicht verstehen,« sagte einer von den Zuhörern. »'s ist ein Segeln innerhalb dreier Striche vor dem Windsauge.«
»Oh, ich finde es natürlich genug, meine Jungen,« sagte Bill Bobstay, den ich nun an seiner eigenthümlich rauhen Stimme erkannte. »Sie muß etwas von der Haut des Hayfisches gehabt haben – phosphoreszirend, wie die großen Perücken sagen. Ein stinkender Fisch gibt gleichfalls in der Nacht einen Schein von sich.«
»Stinkender Fisch? du Lügenhund!« rief der Silberlöffel wuthentbrannt. »Da hast du etwas dafür.«
Und er versetzte in der Dunkelheit dem unrechten Mann einen furchtbaren Schlag in's Genick. Dieser ließ ihn weiter gehen, und so kam es zu einem recht hübschen Kampfe auf Gerathewohl, in dessen Verlauf ich mich flach auf das Deck niederkauerte. Aber Bounder stand fest wie ein junger kräftiger Löwe und schlug, ohne zu beißen, mit seinen Tatzen einen der wüthenden Kämpfer nach dem andern zu Boden, während er die Uebrigen mit seinem Schwanze peitschte. Das treue Thier that dies bloß, um mich vor Beschädigung zu bewahren, denn ich hielt mich, vor Lachen fast erstickt, in der Mitte niedergeduckt, während er über mir stand und diejenigen, welche ihm am nächsten waren, zu sich niederriß.
»Halt da! einen Stopper über Alles,« brüllte Bobstay. »Der Teufel ist im Spiel, und da gibt's heißes Pech. Ich habe drei Lecke in meinem Figurenkopf und ein paar Nägel zwischen Wind und Wasser; auch hat mir der Hund des jungen Meisters fast den Scalp abgestreift, und wir stauchen einander im Dunkeln herum, wie eben so viele dumme Teufel, die in eine Pfefferbüchse eingesperrt sind. Wenn der Löffel Händel mit mir anfangen will, so soll er sie morgen bei hellem Tageslicht Nocke an Nocke auf einer Seekiste mit mir ausfechten; nur muß ich zum Voraus sagen, daß ich seinen Schatz keinen stinkenden Fisch nennen wollte – nein, da bin ich zu sehr Mann, um ein Weibsbild zu verunglimpfen. Ich bin nicht nahezu zwanzig Jahre auf der See gewesen, ohne ein Bischen gute Manier zu lernen. Dem Mädchen wollte ich nichts anhaben, Bill; aber wenn's Euch drum zu thun ist, so können wir uns um's Kaisers Bart herumboxen.«
Diese Aufklärung beschwichtigte den gereizten Städter. Alle rieben sich die getroffenen Stellen, reichten sich im Dunkeln bunt durcheinander die Hände, schüttelten sie auf Gerathewohl, und die Harmonie war wieder hergestellt. Der Löffel nahm nun auf's Neue seine Erzählung wieder auf.
»Gut, Mary East, und wir machen mit einander Bekanntschaft, und ich nehme sie mit nach der Oper, nach dem weißen Hause und nach anderen fashionabeln Vergnügungsorten. Schätz wohl, daß keiner von euch je im weißen Haus gewesen ist; man muß sich da in Acht nehmen, und auch weiß in seinem Benehmen sein, meine guten Bursche; keine Blaustrümpfe werden dort zugelassen. Aber nicht nur das Benehmen, sondern auch die Halsbinde muß bei den Abendbällen eine weiße Farbe tragen. Ob ich mich dort nicht wie ein Gänseblümchen ausnahm! Ich wollte einmal Mary nach All-max bei Willis Rooms führen, aber ich gab's wieder auf, weil's so gar schrecklich gemein war. Nein, Mary wollte dort nicht brilliren, obschon Portweinnegus mit Mußkatnuß da war, vielleicht bei kaltem Wetter auch ein Bischen Rum und Senf. Ja, ich wußte damals was fashionables Leben war.
»Nun, es soll kein Wort von dem, was ich Euch sage, unwahr sein. Wenn wir ausgingen, so geschah es stets ganz besonders gentil; aber in der Regel blieb Mary zu Hause und arbeitete fleißig an ihrem Geschäft. Sie hielt sich wie eine vornehme Dame und ihre Mutter auch. Sie war ein gutes Mädchen – ja ein sehr gutes Mädchen, diese Mary East – und machte einen gewixten Burschen aus mir. Ich hätte eben so gut daran gedacht, in der Kirche als vor ihr zu fluchen, und was das Slang Die kauderwelsche Redeweise des gemeinen Volks, der Matrosen, der Diebe, der Boxer und dergleichen. betraf – nein, das ging bei Mary ganz und gar nicht an.
»Gut, um die lange Geschichte kurz zu machen, sie wollte nicht einwilligen, mich zu heirathen, bis wir achthundert Pfund zusammengebracht hätten, und ich muß ihr zur Ehre und zur Gerechtigkeit nachrühmen, daß sie bereits mehr als die Hälfte davon erspart hatte. Meine Stelle war so einträglich, daß ich bald die andere hätte voll machen gönnen; aber ich war ungestüm, und außerdem fürchtete ich, daß sie irgend ein vornehmer Herr mir wegschnappen könnte. Mancher Gewerbsmann mit einem großen Hause über seinem Kopfe und einem guten Geschäfte hat um sie geworben – aber nein; sie und ich wollten als Damenschuhmacher ein Geschäft für uns anfangen. Wir würden uns in die Eigenschaft getheilt haben, und die Schuhe, die Mary fertig machte, brachten stets doppelten Preis ein; aber ich war ungestüm, und so drängte und trieb ich an dem armen Mädchen, mich zu einem glücklichen Mann zu machen – sie blieb jedoch so fest wie der köstliche Brunnen zu Alt-Gate. Da wurde ich denn melancholisch und theilte meine traurige Lage einigen von meinen alten Kameraden mit. Gut; da war ein gewisser Jim Sneezer – Niemand kannte ihn unter einem andern Namen – ein geistvoller junger Bursche, muß ich sagen, obgleich er seitdem, was dem besten von uns passiren kann, einen Strick zur Kravatte und Baumwolle in die Ohren kriegte. Jim nannte mich einen Allerweltsesel; aber er war selbst verliebt und ein wahrer Teufel von einem Kerl. Er bemitleidete mich deshalb und schlug mir ein Kapitalgeschäft vor, wobei er mir über seinem besten Hut einen feierlichen Eid ablegte, daß ich für jenen Gang den ganzen Ertrag haben sollte. So willigte ich dann ein.
»Nun, Mr. Bobstay, will ich Euch beweisen, daß ich ein ganz ehrlicher Mann bin – denn was thue ich? Ich gehe zu Mary East und frage sie, ob sie mich heirathen wolle wie ich sei, worauf sie aber wie gewöhnlich sagt: ›warte, William, bis wir die achthundert haben, um den Laden und die Einrichtung zu kaufen.‹ ›Du meine Güte!‹ sage ich, und so sage ich, ›wenn das Geld das einzige Hinderniß ist – heute ist's Donnerstag, und wenn ich's am Montag herbringe, willst Du schnurstracks mit wir zur Kirche gehen?‹ ›Ja,‹ sagte sie; ›aber woher soll es kommen?‹ Nun, ich war ein alberner Narr und sagt ihr Alles, was ich mit Jim verabredet hatte. Aber wahrhaftig, ich hätt's nicht geglaubt, wenn ichs nicht selbst gesehen hätte – dieses Mädel, ihr Herrn – dieses nämliche Mädel sage ich, das sonst so sanft und mild war, stand auf und predigte mir wie ein Pfarrer; und sie sagte mir derb heraus, wenn ich den Plan nicht aufgebe, so werde sie's selbst der Obrigkeit stecken. Aber ich hab's ebenso wenig geglaubt, daß ihr's Ernst ist, als ich je auf den Gedanken gekommen wäre, daß ich, ein geborener Gennelman, noch nöthig haben würde, mich so köstlichen Halunken, wie diese spitzbübischen Spanier find, anzuschließen – natürlich die gegenwärtige Gesellschaft stets ausgenommen.
»Gut, ich weiß nicht genau, wie wir schieden, denn ich war in aufbrausender Leidenschaft, weil ich aus Liebe für sie meinen kostbaren Hals wagen und sie hingehen wollte, um den Strick darum zu schlingen. Indeß glaubte ich nie, daß sie es thun würde, und am folgenden Freitag verrichteten wir das Geschäft. Nachdem wir die Beute in Sicherheit gebracht hatten, händigte mir Jim – einen ehrlicheren Mann hat's im Leben nie gegeben – reine dreihundert Pfund und zwanzig weitere zum Schmuck für meine Zukünftige ein. Ich glaube nicht, daß er mehr als dreißig für sich behalten hat. Sage mir da Einer, ob dies nicht Ehrlichkeit ist?
»Nun, das Beste vom Spasse soll erst noch kommen. Nicht denkend, daß sie einen solchen Teufel in sich habe, schrieb ich ihr einen zärtlichen Brief, und sage ihr, was ich Alles aus Liebe zu ihr gethan habe, wobei ich mir noch ein gewaltiges Verdienst daraus mache. Und ich sagt' ihr auch, daß ich auf die Bibel geschworen habe, nie wieder etwas dergleichen zu thun – hab's auch, so wahr mir Gott helfe, gehalten, Gennelmen! und sage ihr, am nächsten Montag wolle ich und mein Freund in einer Kutsche an ihrer Thüre anfahren, denn ich habe bereits die Licenz gekauft, und sie solle keine Zeit verlieren, sich eine Brautjungfer zu kriegen. Und was glaubt ihr, daß sie zur Antwort auf meine Epistel schreibt? ›Unglücklicher Wilhelm – fliehe, wenn dir dein Leben lieb ist. Deine noch unglücklichere Mary.‹
»Ich zeige Jim das Papier und er sagt: ›das sind lauter Flausen, so wahr, als es Spatzen in St. James' Square gibt. Wenn die Kutsche am Montag anfährt, wird sie so lustig hineinspringen, wie ein frisch geschundener Aal.‹
»Dies beruhigt mich, aber doch nicht ganz, und ich wollte deshalb am Samstag Mary dreimal besuchen, ohne daß ich sie zu Gesicht kriegen konnte. Aber ich sah meine Gelegenheit ab, und als ein Miethsmann um zehn Uhr ausging, um sich, schätz wohl, für den Sonntag ein Bischen Essen einzukaufen, schlüpft ich hinein und gehe geradewegs in den zweiten Stock hinauf, wo Mary wohnte. Ich klopfte, aber die Thüre war verschlossen, obschon ich Mary deutlich schluchzen hörte, als ob ihr das liebe kleine Herz brechen wollte. Da sage ich denn: ›laß mich nur für einen Augenblick hinein,‹ worauf ein weibliche Stimme erwiedert: ›Will, geht jetzt.‹ Ich sage dann: ›ich will nur wissen, ob Alles recht ist.‹ ›'s ist Alles recht,‹ sagt sie. ›Wohlan denn,‹ sage ich, ›die Kutsche wird am Montag um eilf Uhr hier sein.‹ ›Schon gut,‹ sagt die weibliche Stimme wieder – aber ein Bischen rauh oder so – und dann höre ich Mary schrecklich hinausschreien und etwas hinunterstürzen, worauf Alles so still wird, wie Diebe in einem Juweliersladen. Ich horche und horche eine lange Weile, ohne daß sich etwas rührt. So sage ich denn: ›ist Mary krank? Um Gottes willen, so sagt es mir.‹ ›Fort mit Euch,‹ sagt die Weiberstimme wieder. ›Geht und vergeßt nicht, was Ihr am Montag zu thun habt.‹ Ich gehe nun zu Jim Sneezer, und das Herz sitzt mir so schwer im Munde, wie ein Norfolkerkloos. ›Erwischt, Jim,‹ sage ich. ›Possen!‹ sagt er. ›Ich nehme Reißaus,‹ sage ich. ›Thu's,‹ sagt er. ›Ich bin selbst auch kein übler junger Bursch, und wenn sich's das junge Frauenzimmer in den Kopf gesetzt hat, in die Kirche zu gehen und einen Mann zu nehmen, so soll sie nicht getäuscht werden.‹
»Diese Ansicht von dem Falle war nun freilich nicht passend, wie ein Freund von mir sagte, als die Sache endlich heraus war. Jim theilte mir mit, es sei kein Aufhebens über den Raub gemacht worden, und man höre nichts von ausgeschickten Häschern. Wir meinten daher, es sei Alles recht, wie das Weib gesagt hatte, und so machten wir uns eine lustige Nacht.«
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