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Die richtige Leßart eines alten Sprüchworts: »Jeder für sich selbst, und der Teufel hat sie Alle.« – Das Organ der Desorganisation stark entwickelt. – Einige Familienmaßregeln. – Ein neuer beau thut sich auf, der sehr schwer niederzuhalten ist. – Der Silberlöffel kommt sehr in Nachfrage. – Eine Abendpromenade zur See.
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An Bord der Santa Anna galt jetzt Freiheit und Gleichheit, denn Jeder that, was er wollte, und fand daher an nichts, was er that, Gefallen. Die wenigen Unbeschädigten an Bord wußten, daß sie nicht Alles auszurichten vermochten, weshalb sie es vorzogen, gar nichts zu thun. Freilich stund ihnen der Untergang unvermeidlich bevor, schien aber doch noch im weiten Felde zu liegen. Die Sonne strahlte so klar und die wechselnden Lüfte waren mild und angenehm. Der liebe, lange Tag war eine Siesta und die Nacht eine ununterbrochene Schlemmerei – schöne Zeiten für die Herren Spanier. Sie hatten ihre Heimath auf der Tiefe gefunden und sagten, sie wollten sich derselben erfreuen bis auf's Letzte. Daß sie, mit Ausnahme des wässerigen Grabes auch ihre letzte war, hatte alle Wahrscheinlichkeit für sich, obschon es kaum möglich erschien, daß sie sich derselben lange erfreuen sollten. Wie dem übrigens sein mochte, Jeder folgte den Gelüsten seines Herzens, und vorderhand war Alles ruhig.
Das Schiff lag ganz aus der Fahrstraße der übrigen Schiffe und zwar in den Breiten der Windstillen und wechselnden Winde. Eine Gissung wurde nicht geführt, und Niemand kümmerte sich um das Steuer, wenn es nicht etwa Einer oder der Andere zu seiner Unterhaltung aufnahm. Mit unendlicher Mühe hatte Watkins das Halbdeck geräumt und gesäubert, während die weibliche Dienerschaft die Staatskajüte in anständiger Ordnung hielt; aber, einen einzigen andern Ort noch ausgenommen, blieb das ganze Schiff in einem Zustande des abscheulichsten Schmutzes und Unflaths.
Das war nun ohne Zweifel ein recht angenehmes Leben – so lange es dauerte, denn die Mannschaft hatte nichts zu thun oder that vielmehr den lieben langen Tag nichts, als essen, trinken, schlafen, rauchen und spielen.
Tage und Wochen vergingen in dieser Weise. Mein Vater und Don Julian waren von ihren Wunden wieder genesen und die beiden Damen hatten nun mit keiner andern Krankheit mehr zu kämpfen, als mit der des Geistes. Die Leute an Bord theilten sich in kleine Gemeinden, die unabhängig von einander waren und sich oft feindlich entgegenstanden. Jeder ging nach dem Branntwein- und Brodraum, so oft ihm beliebte, oder holte sich sonstigen Mundvorrath in beliebiger Menge. Die Vorsichtigeren begannen, sich geheime Magazine anzulegen, und was das baare Geld an Bord betraf, so war dies nicht in Besitz des Don Mantez und der verschworenen Offiziere gekommen, da sich die Matrosen desselben bemächtigt und soviel für sich eingethan hatten, als ihnen zugänglich war. Von Allen, welche sich wirklich bei dem Complotte betheiligt hatten, waren nur der Kapitän und der zweite Mate am Leben geblieben.
Um ihr übriges Elend zu erhöhen, wurde es bald augenfällig, daß mit dem Lichte vor dem Altare des kleinen Wachsbildes auch das geistige Licht des Padre ausgegangen war. Von unzusammenhängenden Verkündigungen der Rache ging er zu der schrecklichsten Selbstpeinigung und zu einem aufreibenden Fasten über; dies wirkte in Vereinigung mit der beharrlichen religiösen Aufregung tödtlich auf sein Gehirn. Er hörte auf zu fasten und sich zu geißeln, raste aber fast ohne Unterlaß von Deck zu Deck. Sein selten eintretender Schlaf überraschte ihn gewöhnlich an der Stelle, wo er stand, und er bot einen kläglichen, höchst betrübenden Anblick. Es schien, als sei er für den Verlust seiner Vernunft mit der Gabe einer übermenschlicher Beredsamkeit schadlos gehalten worden – und wie furchtbar er dieselbe in Anwendung brachte! Seine schrillen Töne, welche stets die schrecklichsten Flüche hervorzitterten, weckten die Schläfer in der todtenstillen Nacht: sie entnahmen daraus die Verkündigung, daß weder in dieser, noch in der nächsten Welt für sie eine Hoffnung sei.
Als William Watkins bemerkte, wie gänzlich unschädlich der Kapitän durch die Umstände geworden war, so hörte er allmählig auf, ihn zu bedienen, und überließ es zuletzt seinem kastilianischen Stolze, das Bett selbst zu machen und die Küche zu besorgen, indem er seine Aufmerksamkeit nur meinem Vater und seinen Unglücksgefährten weihte. Sennor Zurbano und der Barbier kamen gleichfalls oft, um ihnen Gesellschaft zu leisten, und da der letztere, obgleich ein Mann von Fach, sich gerne nützlich machte, so waren die Einwohner der Kajüte ziemlich gut versorgt und bedient. Sie schloßen sich fast ganz von der übrigen Schiffsmannschaft ab, und kamen nur hin und wieder Abends spät auf das fast verlassene Halbdeck.
War es in Folge der unteren Strömungen oder der vorherrschenden Nordwinde, die jedoch immer mäßig blieben – kurz, das Schiff machte immer weitere Fortschritte in den südlichen Breiten und kam geraden Weges so schnell, als es nur möglich war, von Neuorleans ab. Denken wir uns, es seien jetzt fünf Wochen unter obigen Umständen entschwunden, und thun wir einen Blick in die Vorderkajüte.
Aber ehe ich beginne, muß ich erwähnen, wie vollständig unter der Befreiung von aller Herrschaft und allem Zwange die Idiosynkrasien und geheimen Geisteskrankheiten, welche nach der Ansicht sehr gelehrter Leute wir Alle besitzen, zur Entwickelung gekommen waren. Der Charakter jedes einzelnen Individuums trat jetzt scharf hervor. Mein Vater, der sich vielleicht des geordnetsten Geistes rühmen konnte, war so ziemlich wie sonst, vielleicht etwas umständlicher und pünktlicher, als früher, mit einem Anstrich von Laune und Dreistigkeit, die ihm sonst fremd war. Wir müssen dies vorausschicken, um Manches zu erklären, was man sonst für unnatürlich halten würde.
Die Stunde des Sonnenuntergangs ist in der Regel die schönste des Tages. Es herrschte eine fast vollkommene Windstille, und das glatte, glänzende Wasser glich einem polirten Spiegel, wenn nicht etwa in Zwischenräumen ein leichter Luftzug, welchen verliebte süße Herrchen einen sanften Zephyr, die Matrosen aber Katzenpfoten nennen, einige Ellen weit über der Meeresfläche hinspielte und dann erstarb. Die Luft war frisch und belebend, die Stückpforten standen offen, und die reine Atmosphäre drang ohne Unterlaß in die Kajüte. Vielleicht wehte eine frischere Brise über Mr. Troughtons Tische, als in dem Umfange von hundert Meilen gefunden werden konnte.
Mein Vater saß oben an dem Tische und Sennor Zurbano unten, Letzterer aber augenscheinlich völlig in den Hochgenuß vertieft, einem sehr umfangreichen Manuscripte lange Noten beizufügen. In seiner Nähe, aber den Stuhl etwas nach hinten gerückt, so daß man nicht sagen konnte, er habe seinen Platz an demselben Tische, obschon sein Kopf auf demselben ruhete, saß der Barbier, bald mit den kleinen grauen Augen nach seinem ungeheuren Grogglase hinblinzelnd, bald die Blicke erhebend, um mit stummer Bewunderung den fertigen Fingern und der Feder seines Prinzipals zu folgen. Dieser Mann war der Glücklichste in der Gesellschaft, denn er war sich mit Entzücken der Weisheit des Wundarztes bewußt und glaubte gegen jede Gefahr sicher zu sein, so lange er sich in dessen Nähe befand.
Meine Mutter war, wo jede gute Gattin stets sein sollte – an der Rechten ihres Gemahls. Sie behauptete eine würdevolle Haltung, in der jedoch die Spuren des Kummers nicht zu verkennen waren, und ließ hin und wieder eine Paternosterperle durch die Finger gleiten, während sie ihr Gebet mit einer Angelegentlichkeit vor sich hinflüsterte, daß man es deutlich hören konnte. Hinter der linken Schulter meines Vaters lehnte unser Londoner Freund, der Silberlöffel, in achtungsvoller Vertraulichkeit und unverschämter Demuth, für alle Anwesenden den Ton angebend. Er hielt sich nicht für berechtigt, an der Seite meines Vaters Platz zu nehmen, schien aber doch mit ihm und mit sich selbst auf so gutem Fuße zu stehen, daß er in liebenswürdiger Geistesabwesenheit aus dem Glase des alten Herrn trank und es wieder auffüllte, so oft es ihm gutdünkte, was denn oft genug der Fall war, da der Claret alles Lob verdiente. Er hatte, wie er so hinter meinem Vater stand, ganz die sorglose Haltung eines verderbten Pagen und war außerdem das Orakel der ganzen Gesellschaft.
Don Julian und Isidora saßen mit dem Ausdrucke tiefer Schwermuth neben einander. Das Glas Wein stand unberührt vor dem Kavalier, dessen Antlitz blaß und hager war, wie das eines Mannes, der alle seine Hoffnungen aufgegeben hat. Die Dame war noch immer schön, aber ihre Gedanken weilten nicht bei ihrem Verlobten. Religiöse Bedenklichkeiten waren einer unerwiederten Leidenschaft zu Hülfe gekommen und hatten dazu beigetragen, die schwache Flamme ihrer ersten Liebe zu ersticken. Mit edler Offenherzigkeit hatten sie sich bald gegenseitig erklärt und sich zugestanden, daß ihre Liebe aufgehört habe, während sie zugleich betheuerten, daß ihre verwandtschaftliche Zuneigung und Freundschaft gewachsen sei. Sie sehnten sich nach einer Veränderung, nach einem Ende ihrer Zweifel und ihres Elends, selbst wenn dasselbe das große Ende aller Dinge – der Tod sein sollte.
Aber gegen diese mehr oder weniger wehwüthige Gruppe bildete eine einzige Person, deren Grinsen unerschöpflich war, einen schlagenden Gegensatz. Diese sprach sogar in ihrem Schlafe stets von den flüchtigen Visionen, welche im Traume ihr bedeutungsloses Gehirn durchzuckten, und wollte, ihrer eigenen Versicherung gemäß, nur für zwei Dinge leben – pour l'amour et la bagatelle. Sie war in das ganze outré eines vollkommenen petit maitre gekleidet – die wahre Karrikatur einer Karrikatur, die, weil sie nach dem Beispiele der Uebrigen nichts thun mochte, ihr Steckenpferd bestiegen hatte und darauf dem Teufel zuritt.
Die gedachte Person war der zweite Mate, unter dem Namen Auguste Epaminondas Montmorency bekannt – ein hochtönender Name und ohne Zweifel von ihm selbst erfunden – mais c'est tout egal. Der Mann gefiel sich einmal darin und würde sich ebendeshalb, weil er nicht sein eigener war, auf Tod und Leben dafür gewehrt haben. Er mochte ungefähr dreißig zählen, war groß und nicht von übler Statur, hatte aber ein höchst affenhaftes und fürchterlich häßliches Gesicht – am häßlichsten, wenn er fix recht nach Herzenslust grinste, was er dann einen Ausdruck nannte. Doch er besaß ein Auge! – Welcher Angehörige der französischen Nation hätte dies nicht, natürlich die Blinden ausgenommen – und mit diesem Auge, in Vereinigung mit seinem Grinsen, hielt er sich für unwiderstehlich. Wie er in diese Gesellschaft kam, mußte wohl jedem Andern, ihn selbst ausgenommen, als ein Wunder erscheinen; er hatte jedoch ein sehr bequemes Wörterbuch für alle seine Laster. Er war zu sehr Mann von Ehre, um durch Ausflüchte seine Theilnahme an der raubgierigen Verschwörung zu bemänteln, nannte sie aber blos eine kleine Indiskretion; dabei bat er meinen Vater, seine Jugend zu bedenken und ihm um der Damen willen zu vergeben, deren Dienst er sich ohne Vorbehalt weihen wolle. Er hatte auf die Gesellschaft des Don Mantez verzichtet – sie war zu gemein – und bat deshalb, sich als einen privilegirten Gast betrachten zu dürfen, da er versuchen wolle, sich angenehm zu machen. Er bemerkte freilich nicht, wie sehr ihm seine Absicht fehl schlug – aber wie dem sein mochte, seine Gesellschaft wurde geduldet, weil die armen Passagiere sie nicht zurückweisen konnten.
Als Zugabe zu alledem muß ich bemerken, daß die Kajütenthüre stark verbarrikadirt und alle Männer bewaffnet waren. Auf dem Tische konnte man stets Wein und Liqueur finden; doch auch an Eingemachtem, an Oliven und getrockneten Früchten fehlte es nicht, um den Appetit zu den gedachten Flüssigkeiten zu spornen. Die Gruppe wurde durch die beiden, etwas schlumpig aussehenden spanischen Dienstmädchen vervollständigt, welche auf dem Boden saßen und abwechselnd sich die Köpfe in den Schooß legten, so sich beharrlich mit der wohlbekannten iberischen Beschäftigung untere haltend.
»Die Wechsel stehen furchtbar schlimm gegen uns, Mr. Watkins,« sagte mein Vater, über die Achseln nach dem Gesichte des Londoners zurückblickend.
»Bitt' um Verzeihung, Don – ich bin kein Mister, bis ich mir die langen Frackzipfel wieder angeschiftet habe – einfach Watkins, wenn ich bitten darf – oder der Kürze wegen Will.«
»Aber wie soll alles dies werden, Watkins?«
Man sieht, mein Vater und ich stellten zu gleicher Zeit genau dieselbe Frage, obschon wir uns in so ganz verschiedenen Verhältnissen befanden.
»Je nun, Sir, ich mache es mir und meinen Gefährten gerne komfortabel, weshalb ich's Euch sagen will, Herr, es wird gewiß darauf hinauslaufen, daß wir demnächst Alle ertrinken, oder daß Einer aus dem betrunkenen Gezücht das Schiff in Flammen setzt und uns verbrennt. Ist für uns aber weder Feuer noch Wasser bestimmt, so wird's auch kalter Stahl thun, indem dieses ausländische Gesindel an einem lustigen Abend toll wird und jeden Muttersohn von uns niedersticht – natürlich die Damen mit eingeschlossen. Sollte sich's aber zutreffen, daß wir weder verbrennen, noch ertrinken oder erdolcht werden – ei, so verhungern wir, ehe noch fünf Monate um find, so gewißlich, als Kalbfleisch für den Menschen gemacht wurde.«
Aus zarter Rücksicht für die Gefühle der Damen war diese Unterhaltung absichtlich in englischer Sprache geführt worden.
»Und dies nennt Ihr komfortabel, Freund Watkins? Wahrhaftig, Ihr könnt selbst nicht an einen so unglücklichen Ausgang glauben.«
»Soll mich Gott holen, wenn ich's nicht thue,« lautete die kurze, aber nachdrückliche Antwort.
»Wäre es aber nicht möglich, diese Bursche zum Arbeiten anzuhalten? Glaubt Ihr nicht, daß wir, trotz der Schwerfälligkeit dieses Schiffs, irgend einen civilisirten Hafen erreichen könnten?«
»Das freilich.«
»So beschwöre ich Euch bei der Sicherheit von uns Allen, sprecht, wie läßt sich dies einleiten?«
»Nein, 's geht nicht. Keine Seele an Bord, dem sie gehorchen wollen. Freilich, wenn Master Ardent hier wäre, so könnte er einige Fische zu braten haben – und doch – ich weiß kaum, was er zu thun vermöchte. Bei Leuten ohne guten Willen, die man nicht durch Furcht zur Arbeit zwingen kann, gibt es nur einen einzigen Hebel, der sie zu treiben im Stande ist – nämlich den Teufel.«
»Aber kümmern sie sich denn gar nicht um ihre eigene Sicherheit?«
»Kein Einziger. Jeder hat sein Ränzlein mit Euren schönen Dublonen gefüllt, und so lange Wasser und Mundvorrath reichen, verlassen sie sich eben aus das Kapitel der Zufälle.«
»Aber auf welche günstige Zufälle können sie überhaupt zählen?«
»Erstlich glauben sie nicht anders, als daß sie irgend ein Schiff anthun würden; sie gedenken dann, an Bord desselben zu gehen und dieses Fahrzeug da zu einem – hum – wie heißt doch das schwere Wort der Advokaten? – zu machen. Das einzige Vernünftige, was sie bis jetzt gethan haben, besteht darin, daß sie auf dem Stengenkopfe einen Ausluger halten. Ferner meinen sie, sie seien nicht weit von einer der westindischen Inseln. Sobald sie etwas der Art zu Gesicht bekommen – flugs greifen sie zu den Booten, und jeder von den Spitzbuben denkt dann nur daran, wie er sich sein Vermögen sichern will, indem er sich von diesem Hooker losmacht. Am allerwenigsten aber beabsichtigen sie, in einen Hafen einzulaufen, wo sie Gesetze, große Perücken und einen Galgen finden könnten.«
»Nun, Watkins, Ihr seid ein schlauer Bursche und würdet Euch, wenn Ihr an der Stockbörse erzogen worden wäret, ein Vermögen gemacht haben. Es können Euch noch viele Jahre des Glückes vorbehalten sein. Wir wollen uns nicht selbst aufgeben, und Gott wird uns nicht verlassen. Seht Ihr jenen eingebildeten Esel in dem grünen Schwalbenschwanzfrack? Von Mantez kann natürlich nicht die Rede sein – aber könntet Ihr's nicht einleiten, daß die Leute ihm gehorchten?«
»Hilft nichts – hilft nichts, Sennor. Der Kerl hat drei Kisten von Euren Dublonen recht ordentlich bei Seite gestaut. Er würde ebenso wenig geneigt sein, als die Uebrigen, es auf einem guten Hafen abzuheben – und außerdem lachen sie ihn nur aus.«
»So übernehmt Ihr selbst das Kommando.«
»Schlimmer und schlimmer in Anbetracht dessen, daß ich nichts von der Seefahrerkunst verstehe – und obendrein ein Ketzer bin. Freilich, wenn man den Sennor Zurbano dafür gewinnen könnte, denn der versteht's auf ein Mückenauge. Wenn man mir sagt, wo wir sind, so denke ich, ich könnte wohl den Schiffsschnabel in der gehörigen Richtung halten. Aber mag kommen, was will, John Espagnol soll nicht immer faullenzen dürfen, und zwar zuletzt scharfe Arbeit kriegen.«
Zurbano, welcher einen großen Widerwillen gegen Monsieur Montmorency gefaßt hatte, wurde jetzt aus seinen ungewöhnlich tiefen Betrachtungen geweckt, zu ihrer Berathung beigezogen und von Watkins Ideen unterrichtet. Zum Glücke fand er aus seinem astronomischen Journale, daß der nächste Tag für eine Mondsbeobachtung ungewöhnlich günstig war, und der Londoner fühlte sich, trotz seiner geringen Geschicklichkeit, doch vollkommen im Stande, die Sonnenhöhe auszunehmen und von dem Quadranten die Grade und Minuten abzulesen, sobald Zurbano Halt rief.
Mein Vater hatte sich oft Mühe gegeben, sich die auffallende Apathie dieses Mannes bei den obwaltenden großen Gefahren seiner Lage zu erklären, und fand jetzt einen Schlüssel dazu, der freilich seltsam genug war. Er bestand in zwei Punkten – einmal nämlich kümmerte er sich wenig darum, was aus ihm wurde, da er unter seinen übrigen Abneigungen in der letzten Zeit auch einen Widerwillen gegen sich selbst gefaßt hatte, und dann, daß er – Gott weiß, durch welchen geheimnißvollen Prozeß – aus einer Vergleichung seiner Nativität mit der des Don Mantez zu der Ueberzeugung gekommen war, er sei bestimmt, den gedachten edlen Spanier, nachdem er gehangen worden, zum Besten der Wissenschaft zu zergliedern.
Mittlerweile hatte Auguste Epaminondas tausend Thorheiten, die er für Galanterie hielt, an die Damen hingeredet; da sie jedoch bloße Thorheiten ohne ein Fünkchen versöhnenden Witzes waren, so wollen wir uns nicht bemühen, die Floskeln dieses großartigen See-Adonis aufzuzeichnen.
Und Mantez, der erbärmliche Mantez – verlassen und von Jedermann gemieden, schlich er auf dem Schiffe umher, auf welchem er Befehlshaber gewesen, gleich einem Aussätzigen aus der Gesellschaft gebannt. Er wurde allmälig in demselben Grade nachlässig gegen sein Aeußeres, als der zweite Mate das seinige mehr und mehr herauszuputzen bemüht war. Letzterer spazierte, so oft er dem Kapitän begegnete, in dünkelvoller Würde vorbei, hielt sich ein Riechfläschchen an die Nase, oder klemmte sich voll Ekel das gedachte Organ zusammen.
Er war in der That »gefallen, gefallen, gefallen von seiner Höhe« und es wäre weit besser für ihn gewesen, er hätte in dem Gemetzel den Tod gefunden, da ihm dadurch wenigstens einige Monate unerträglichen Elendes erspart geblieben wären.
Nachdem die Besprechung in der Kajüte abgebrochen worden und die Sonne untergegangen war, begaben sich die Damen, von den Herrn begleitet, zu einer kurzen Lüftung auf das Hauptdeck. Dies war die Stunde des Triumphes für Auguste; er plapperte wie ein erzürnter Affe, sandte die Augen nach allen Richtungen und ließ unaufhörlich sein Grinsen mit Verbeugungen abwechseln. Bisweilen geberdete er sich sogar possierlich genug, um der tiefbekümmerten Donna Isidora ein Lächeln abzupressen. Während dieser wenigen denkwürdigen Gelegenheiten pflegte er auf den Zehen zu stehen, seinen Hals wie ein siegreicher Hahn auszustrecken, auf die Schwänze seines Frackes zu klappen und sich für mehr als übermenschlich glücklich zu erklären. Der Mann war für den Strick noch nicht reif.
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