Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich lerne mit jedem Tage mehr mich selbst verachten. – Traurige Vorahnungen. – In Ermanglung eines Bessern werde ich ein Faseler und lerne zuletzt, daß ich nichts Anderes bin, als ein Thor.
—————
Nach allen meinen vergeblichen Bemühungen, welche ich damals einigermaßen der Steifheit meines rechten Armes zur Last legte, wurde ich stumm und schwermüthig. Ich hätte wohl gerne gesprochen, wagte es aber nicht, denn meine Gedanken beschäftigten sich mit der Zukunft – mit der kläglichen Zukunft, die unserer harrte. Ich vermochte nicht, mich zu ermuntern. Vergeblich sagte mir Honoria, sie kümmere sich nichts um das Feuer, da wir's ja ohnehin nicht brauchten und der nächste Tag ohne Zweifel von einem besseren Erfolge begleitet sein werde. Gegen Abend fühlte ich mich vollkommen elend, und die Sonne, welche den zweiten Tag unseres Aufenthalts auf der Insel erhellt hatte, ging über einem trostlosen Unzufriedenen unter. Wir hatten nichts zu Nacht gegessen – ich, weil mich in meiner bitteren Stimmung alle Nahrung anwiderte, Honoria, weil sie mich unglücklich sah.
Aber trotz der Bedrücktheit meines Geistes und der Ermüdung meines Körpers versäumten wir doch nicht, ehe wir uns zur Ruhe begaben, glühende Gebete gen Himmel zu schicken. Nachdem dies geschehen war, half ich meiner Schwester wieder nach ihrer Schlafstätte hinauf, wo sie, wie sie sagte, ein eigentliches Daunenbette traf. Ich küßte sie, empfahl sie Gottes Segen und wünschte ihr gute Nacht. Ich warf mich unten auf mein Laubbette und deckte mich mit Baumwolle zu; aber obgleich ich ein unendlich besseres Lager hatte, als in der vorigen Nacht, stand es doch lange an, bis ich einschlafen konnte. Diesmal beklagte sich Honoria nicht mehr über das Stöhnen der Brandung, sondern schlief ein, sobald sie sich niedergelegt hatte. Ich verbrachte meine ruhelosen Stunden im Nachdenken über alle Arten von Hülfsmitteln, um Feuer zu gewinnen. Vermittelst einer Glaslinse konnte ich die Sonnenstrahlen nicht concentriren, und ich dacht nun an alle Arten von Feuer mit ihren verschiedenen Farben. Schwärmer, Frösche, römische Lichter und Raketen tanzten vor den Augen meines Geistes, aber sie gaben mir keine Schlüssel an die Hand; dann vergegenwärtigte ich mir alle Arten von Verbrennungen, die auffallende, welche man Selbstverbrennung nennt, nicht ausgenommen. Selbst dies gab mir keine Anzeigen über die Art, ein Licht zu schlagen, denn, wenn ich auch geneigt gewesen wäre, zum Besten meiner Schwester mich selbst in ein Freudenfeuer umzuwandeln, so hatte ich doch keinen Brantwein, um meinen Körper damit zu sättigen. Endlich fiel ich unter den höhnenden Bildern griechischer Feuer, brennender Schiffe, zündender Blitze und flammenspeiender Vulkane in Schlaf. Aehnliche feurige Scenen mußten auch die ganze Nacht über meinen Geist beschäftigt haben, denn der Morgen war schon weit vorgerückt, als diese Träume einen friedlichern und ländlichern Charakter annahmen. Ihre wilde Erhabenheit war zusammengeschrumpft, und es war mir, als stehe ich auf einem Felde in der Nähe von Islington und betrachte eben sorgfältig meine feuchten, in Brand gerathenen Heuschober.
»Ich habe es gefunden!« jubelte ich, indem ich aus meinem Schlafe aufsprang.
»Was gefunden, mein Ardent?« rief meine Schwester, ihr hübsches Gesichtchen aus ihrer steinernen Schlafstätte im Felsen heraussteckend.
»Ich habe ausfindig gemacht, wie wir zu einem guten Feuer kommen können. Im Wachen bin ich nur ein einfältiger Mensch, aber im Traume außerordentlich weise. Sieh, die Sonne steht bereits hoch, jetzt zu unserem Bade, und zu unserm Frühstück – dieser dritte Tag beginnt herrlich. Meine Honoria, wir werden ein gutes Feuer haben und zu unserem Mittagessen Muscheln rösten. Wir können noch glücklich seyn, denn mit Feuer sind wir im Stande, Alles anzufangen.«
»Wird es uns auch zu einigen Kokosnüssen verhelfen?«
»Natürlich. Ich zünde um den Baum Feuer an und lasse es fortbrennen, bis er fällt.«
»So hilf mir herunter, Ardent.«
Am andern Tage fühlten wir uns sehr erschlafft und durchaus nicht wohl. Die Frucht der alten Kokosnüsse wurde uns zum Ekel, und das reine, gesegnete Wasser, die beste Gabe, die den Menschen nach dem Lichte der Sonne bescheert ist, gereicht uns zu einem wahren Hochgenusse. Gerade dieser Tag schien, als wollte er uns verhöhnen, weit herrlicher zu seyn, als jeder frühere, den wir in diesem einsamen Paradiese verbracht hatten.
Fast den ganzen nächsten Tag verwandten wir auf vergebliche Versuche Feuer hervorzubringen, obschon ich gestehen muß, daß unsere Anstrengungen gleichfalls den Charakter der Flauheit trugen. Unser Mißgeschick wurde durch einen weiteren peinlichen Umstand erhöht; unsere Schuhe nämlich waren in der Salzwasserbaize so zu Schanden gegangen, daß sie uns den Dienst gänzlich versagten; sie drückten unsere Füße so jämmerlich, daß wir es vorzogen, ohne Fußbekleidung zu gehen. Dies beschränkte uns fast ausschließlich auf die engen Grenzen des glatten, harten, kühlen Sandes, der durch die Wellen des Meeres bespült wurde, denn der übrige Theil war während der größeren Zeit des Tages so heiß, wie ein Ofen, und ein Eindringen in das Gebüsch war noch viel schlimmer. Jeder Tritt war uns durch Myriaden vegetabilischer Speere verrammelt, die zwar nicht so groß waren, wie derjenige, mit dem Goliath gegen den Schleuderknaben auszog, auf unsere zarten Füße aber einen weit peinlicheren Eindruck machten. Das Elend umzog uns daher immer enger. Wir waren auf einer Insel, oder vielleicht auf einem ungeheuern Continent gefangen, an einen kleinen Erdfleck gebannt, und wie die Seehunde auf die Behausung einer Höhle angewiesen; aber leider konnten wir uns weder das Land, noch das Wasser wie nach der Weise jener amphybischen Ungeheuer dienstbar machen.
Ich beurtheilte mein eigenes verändertes Aussehen nach dem meiner Schwester. Blaß, erschlafft, aber doch ergeben saß sie an meiner Seite und lehnte ihr Haupt auf meine Schulter, wenn ich nicht eben beschäftigt war, von der Quelle neuen Vorrath eiskalten Wassers zu holen, oder meine kindischen Versuche, Feuer anzumachen, erneuerte.
Meine Betrachtungen waren in höchstem Grade bitter – bitter bis in den Tod. Meine Hülflosigkeit und die gänzliche Unfähigkeit, mir selbst zu helfen, waren die schwersten Stacheln, die meine Seele quälten. Vor uns lag nichts als ein langsames Hinsterben und wilder Wahnsinn für denjenigen Theil, der den andern um ein Kurzes überlebte.
O, wie kam ich mir selbst so verächtlich vor! Ich, ein Mann in der Blüthe meiner Jugend, der ich einst so stolz war auf die Behendigkeit, die Kraft und die Anmuth meiner Person, sollte in einem Elisium langsam verhungern – und mit wem? – mit meiner Schwester, deren Daseyn der einzige große Puls meines Herzens war! Verächtlicher Ardent! Der Indianer, dessen ganzer Wortvorrath aus einigen Worten bestand, wäre zweimal ein König, ein Held und ein Engel gewesen gegen mich. Sogar die kleinen, grünen Affen, welche sich in ihrer Wildheit von Baum zu Baum schwangen, waren mir überlegen.
Den einen Augenblick glaubte ich gar nicht mehr an das, was ich gelesen oder gehört, wenn es Personen betraf, welche, wie wir selbst, an verödeten Plätzen Schiffbruch gelitten hatten, und im andern schenkte ich diesen Angaben wieder das vollste Vertrauen, mir selbst den bittern Vorwurf machen, daß ich um so viel schwächer und weniger erfinderisch sey, als meine Mitmenschen. Meine Gefühle kämpften grausam in mir, und mein Daseyn widerte mich an, obschon ich es nicht wagte, freiwillig daraus zu scheiden, wenn ich auf das gebrechliche und doch so unendlich liebenswürdige Wesen an meiner Seite blickte.
Ich muß hier bemerken, daß der Ort, so weit sich meine Beobachtungen erstreckten, völlig frei von Musquitoes und Sandflöhen war – Plagen, welche sogar die egyptischen überbieten. Hätten wir diese noch zu erstehen gehabt, so wären wir ohne Zweifel unserem Elende erlegen.
Gegen Abend schlief meine Schwester ein. Ich glühte von Unwillen über meine Nutzlosigkeit, peinigte mich mit Selbstvorwürfen und beschloß, ohne Rücksicht auf den glühenden Sand unter meinen Füßen oder auf etwaige giftige Reptilien, die in dem Gebüsche verborgen wären, irgend eine andere vegetabilische Nahrung aufzusuchen, die durch ihre Aehnlichkeit mit verwandten Geschlechtern auf ein gesundes Mark schließen ließen und ihren Appetit reizen konnte. Die Paradiesfeigen und Bananas hatte ich schon abgebildet gesehen, weshalb ich glaubt, sie zu erkennen, wenn sie mir zu Gesichte kämen. Ich hatte bereits eine edel aussehende Pflanze mit großen Blättern bemerkt, die ich für eine Abart des Pisang hielt, und in gleicher Weise glaubte ich, mich auch in der Gujave nicht zu täuschen.
Als ich in das Dickicht drang, welches den Sand begrenzte, litten meine Füße außerordentlich. Ich achtete es jedoch nicht, sondern ging weiter in's Innere, wo die Bäume und das Gesträuch einen höhern Wuchs hatten und sich meinem Fortschreiten weit weniger Beschwerden in den Weg setzten. Ich kam an vielen Früchten vorbei, die höchst verführerisch aussahen, und kostete auch manche, ohne sie jedoch zu schlucken. Sie schmeckten meist sehr kühlend und etwas säuerlich. Durch das schöne Grün des Laubes zu meiner Rechten verlockt, zog ich mich in diese Richtung und fand zu meiner außerordentlichen Freude nicht nur eine Fülle von Bananas, sondern auch viele Wassermelonen. Ich versah mich reichlich mit diesen köstlichen Früchten und hatte den Hochgenuß, sie neben Honoria ausbreiten zu können, ehe sie erwachte.
Einige Minuten vor Sonnenuntergang raffte sich Honoria in einem wahren Fieber von Durst auf. O, wie entzückend dankbar war der Ausdruck ihrer blauen Augen, als sie zuerst auf die Früchte fielen und dann auf den meinigen weilten. Unsere Seelen trugen ein Glück in sich, da nicht von unsern Körpern abhängig war. Dieses heilige Gefühl schien uns eine Versicherung zu geben, daß unserer der unaussprechlichste Segen harrte, wenn unsere unsterbliche Wesenheit sich der körperlichen Hülle entlastet hätte. So bestätigte in uns die Natur jene glücklichen Lehren, welche uns zuvor der Glaube gegeben hatte.
Denselben Abend aßen wir reichlich von unserer neuen Kost, und der Hauch des Dankes wehte in unsern Gebeten, ehe wir uns nach unseren beziehungsweisen Schlafstellen begaben.
Am andern Tage fühlten wir beide uns krank – leider elend und kläglich krank. Wir vermochten es kaum, unter gegenseitiger Unterstützung nach unserer kühlen Grotte zu kriechen. Von den Früchten des gestrigen Abends war viel übrig geblieben, aber keines von uns schien Lust zum Essen zu haben. Wasser war unser Hauptbedürfniß.
Alle Qualen eines Volkes, das an der Pest zu Grunde geht, konnten mit einander genommen nicht größer seyn, als die Pein, die mein Herz in dem Augenblicke zerriß, als ich in meinem vergeblichen Versuche, die Quelle zu erreichen, ohnmächtig zusammenbrach. Ich meinte, von den Armen des Todes umschlungen zu werden; aber der schreckliche Gedanke, meine hülflose Gefährtin einem langsamen Hungertode preisgeben zu müsse, weckte alle meine Thatkraft zum Kampe mit dem gewaltigen Eroberer. Ich fand übrigens, daß bei jeder Anstrengung, meine Pulse und meinen Athem auf's Neue zu dem gewohnten Dienste zu ermuthigen, meine Kräfte mehr und mehr abnahmen, und in der Ueberzeugung meines unvermeidlichen Erliegens erfaßte mich das Gefühl des maßlosesten, unaussprechlichsten Elends.
Ich kam jedoch wieder zur Besinnung, und mit ihr kehrte auch ein Theil meiner Kräfte zurück. Es gelang mir endlich, das Wasser zu erreichen, und der schnell dahinsinkenden Dulderin in der Grotte einen reichlichen Vorrath zurückzubringen.
»Du bist lange ausgeblieben, mein Ardent.«
»Wirklich? Aber freilich, wir können unsere Zeit blos in der Abwesenheit von einander messen. Ist's nicht so, meine Schwester?«
»Allerdings, mein theurer Bruder; es war nicht recht von mir, diese Bemerkung zu machen. O, mein Gott! Ist es wohl Dein göttlicher Wille, daß dies enden soll.«
»Laß uns auf die Vorsehung bauen. Sieh, Honoria, Alles um uns her athmet Schönheit. Die leichten Winde fächeln uns und tragen durch diese edeln, ewigen Bogen tausend würzige Düfte, welche durch die kräuselnden Wellen abgekühlt werden. Siehst Du, wie übermüthig glücklich die Fische – wie maaßlos selig jene schön gefiederten Vögel zu seyn scheinen?«
»Du bist sehr freundlich, Ardent, und Alles, was Du sagst, ist vollkommen wahr; aber ich fühle mich so unwohl – –«
»Das ist nur für den Augenblick – es muß bald vorübergehen. In diesem lieblichen Lande kann keine Krankheit, kein Leiden aufkommen, denn es scheint eine Abgeschmacktheit zu seyn, ihrer in Mitte so herrlicher Scenen zu erwähnen. Aber ach, wie schmerzlich ist es für mich, daß ich Dicht nicht trösten kann, meine Honoria.«
»Du thust es in der That, Ardent. Seltsam; mein Leiden, mein Elend scheint nur die Oberfläche meines Wesens zu betreffen, während unter demselben ein starker, erfrischender und üppiger Strom des Lebens rinnt. Und dieser Segen, o mein Ardent, scheint sich mir in Deinem Wesen zu verkörpern. Sprich fort; Deine Worte sind mir so gar süß.«
»Wenn wir hier acclamatisirt und an eine bloße Pflanzenkost gewöhnt sind, Honoria, so werden unsere Kräfte, unsere Gesundheit und unser froher Muth wiederkehren. Dann – dann – –«
»Und was ist dann, Ardent?«
»Dann werden wir natürlich glücklich – sehr glücklich seyn. Wir wollen übrigens nicht von der Zukunft sprechen, sondern ohne Unterlaß zu einander sagen: Sind wir nicht jetzt glücklich? Jede Stunde mag sich selbst genügen. Können wir dann unglücklich seyn?«
»Aber wie – wie soll alles dies werden?«
»Das ist eben die Frage, die wir nie stellen sollten – verstehst Du mich, meine ewig theure Honoria?«
»Ja, ich glaube so – ich hatte Unrecht – ich thue oder sage immer etwas Unrechtes – aber glaube mir, es geschieht nicht mit Absicht. Vergib mir, aber ich fürchte, daß es schlimmer mit mir wird. Wir werden sterben – wir beide.«
»Hättest du gesagt: ›ich werde sterben‹, so würdest Du mich sehr betrübt haben, meine Theure; aber daß Du mich im Tod, wie im Leben mit Dir in Verbindung bringst, ist sehr freundlich von Dir. Weißt du auch, daß ich mich, wären wir nur im Besitze der Gesundheit und der Mittel, in diesem abgeschiedenen Elysium zu leben,
die Welt vergessend, von der Welt vergessen,
fast fürchten würde, wieder nach den ekeln Aufenthaltsorten der Menschen zurückzukehren?«
»Sollte uns dieß etwa trennen? Aber 's ist eitel, so zu reden – wir werden hier sterben. Ich muß schlafen.«
Aber warum sollte ich die vielen Tage der Krankheit schildern, durch welche wir dahinschmachteten? Das einemal war's besser, das anderemal schlimmer. Selbst Honoria's blendende Schönheit entschwand schnell, und das Knochengerüste trat mit furchtbarer Bestimmtheit hervor. Ihr Haar wurde filzig, ihre Stimme hohl und die Reinheit ihrer Haut durch eine Menge von Sommersprossen befleckt, die sich darüber hinbreiteten. In der That erinnerte nichts mehr an den früheren Zauber, als ihre großen blauen Augen, die immer leuchtender und dunkler wurden. Es däuchte mich sogar, als nähmen sie an Größe zu, je mehr das Mädchen dahin welkte. So oft ich sie ansah, hätte mein Herz Blut weinen mögen.
Auch ich bot einen häßlichen Anblick. Mein von Natur aus dunkler Teint war an allen der Sonne ausgesetzten Stellen fast schwarz oder tief braun geworden. Der untere Theil meines Gesichts bedeckte sich mit buschigem Haar, und während Honoria's Außenseite nur zu menschlich war, da sie an Tod und Grab erinnerte, so war in der meinigen, um ihre Abgezehrtheit und Hagerkeit willen, das Ebenbild Gottes kaum mehr zu erkennen. Wir konnten in Wahrheit sagen, daß wir für einander lebten, denn wäre das Eine aus dem Dasein geschieden, so würde das Andere sich niedergelegt haben, um gleichfalls ruhig zu sterben.
Und doch – alle die Berichte schiffbrüchiger Personen an unbewohnten Orten konnten nicht falsch sein; – aber warum war dann unsere Lage um so viel elender, als die ihrige? Ich kann hierauf nur antworten, daß ich entweder in Betreff der Erfindungsgabe ganz kläglich verwahrlost war, oder daß ich so durchaus ein Aristokrat sein mußte, um von der Wiege an bestimmt zu sein, von den Arbeiten anderer Hände zu leben; denn es war augenscheinlich, daß ich mich selbst unter den günstigsten Auspizien nicht durch meine eigenen fortzubringen vermochte.
Da keines von uns wieder zu Kräften kommen wollte, so begannen wir ernstlich daran zu denken, daß unsere letzte Stunde rasch herannahe. Nun erhoben sich jene geheimnißvollen Gefühle eingeborner Züchtigkeit, welche das Weib nie verlassen, bis jede andere Tugend gewichen ist. Obschon wir beide mit ziemlich gleich knapper Bekleidung an die Küste geworfen worden waren, so ging ich doch in kurzer Zeit fast ganz in Fetzen einher, während sie noch immer ihre Matrosenjacke, ihre Beinkleider und ihre Weste in einer Weise zu tragen wußte, daß der Anstand durchaus nicht beeinträchtigt wurde. Wie sie dieß einleitete, da ihr doch alle Werkzeuge des weiblichen Haushaltes fehlten – darüber vermöchte wohl nur ein Frauenzimmer Auskunft zu ertheilen. In der letzten Zeit hatte sie sich, während ich müssig und trostlos an ihrer Seite zu sitzen pflegte, trotz ihres Unwohlseins damit beschäftigt, aus dem faserigen Gewebe der Kokosnuß viele Ellen starker Bänder zu flechten.
Ich achtete nicht auf die Zeit, und es mußten wenigstens vierzehn Tage in dieser Weise verflossen sein. Endlich schien der Tod unvermeidlich, und wir wünschten unsere letzte Stunde mit heißer Sehnsucht herbei. Honoria sagte, sie wisse, daß sie zuerst sterben werde, und erklärte, wenn durch irgend ein Wunder ihre Kräfte die meinigen an Ausdauer überträfen, so könne sie mich nicht um eine Stunde überleben. Was sie aber am meisten fürchtete und sie am unglücklichsten machte, war der Gedanke, nach dem Tode unbegraben liegen bleiben zu müssen.
Auf alle meine Vorstellungen, um ihr während unseres scheinbar nur noch kurzen Erdenwallens diese Quelle der Unruhe zu benehmen, hörte sie nicht nur unüberzeugt, sondern sogar ungeduldig. Gröblich verbarg sie ihr Gesicht an meinem Busen, brach in Thränen aus und bat mich, ein Grab für sie zu graben.
Nachdem diese Bitte einmal in Anregung gebracht war, kam sie unablässig wieder darauf zurück. Sie wollte mich mit dem letzten Reste ihrer Kraft bei dem Geschäfte unterstützen, da sie, wie sie sagte, jeden andern Schmerz über sich ergehen lassen könne, wenn sie nur nicht schutzlos auf dem bloßen Sande liegen bleiben müsse. Vergeblich wies ich sie auf die Grotte oder auf die Höhle in dem Felsen, die nur ein größeres Grab wären. Sie wollte vor den Augen verborgen sein und noch obendrein an einem Platze, wohin sich aller Wahrscheinlichkeit nach nie ein menschlicher Blick verirrte. Der Gedanke, unsere eigenen Gräber zu graben! Es mußte jedoch geschehen.
Viele haben aus Ziererei, Manche aus tief religiösem Gefühl schon während der Stunden eines kraftvollen und gesunden Lebens die Ruhestätte ihres sterblichen Leibes bereiten lassen; aber beide diese Gefühle waren meiner Natur fremd, und ich glaube, daß ich damals zwar den Tod nicht fürchtete, aber doch keinen Gefallen daran trug, ihn in's Auge zu fassen. Oh, wie bitter verwünschte ich in jener Zeit meine Hülflosigkeit!
Mit schwachen, schwankenden Schritten begaben wir uns von dem Sande nach der Stelle, wo sich der grüne Rasen anschloß. Wenn uns die ländliche Schönheit auch nicht mit den Gräbern versöhnen konnte, so fanden wir doch bald einen Ort, der uns im Leben nichts zu wünschen übrig gelassen hätte. Er lag an der Stelle, wo das Bächlein nach dem dunkeln klaren Teich, der alles Wasser in seinem Sande aufsaugte, hinrieselte und von dem Saume eines kleinem, etwa zwei Fuß hohen Felsblockes in ein Becken stürzte, welches durch winzig kleine Kiesel gebildet wurde. Ein höherer Baumwuchs war hier nicht zu finden, dagegen der ganze Platz von stolz blühendem Gebüsch umgeben, der Rasen mit dem reichsten Grün bedeckt und der sammtartige Teppich mit vielen prachtvollen Blumen bestreut. Es war da so recht abgeschieden – abgeschieden sogar in der allgemeinen Einsamkeit – ein Ruheplätzchen, welches trotz des sprudelnden Wassergetöses Frieden verkündigte. Hier also sollten unsere Ueberreste sich mit dem üppig fruchtbaren Boden vermischen und in Myriaden von Blüthen verduften.
Sobald wir hierüber einig geworden waren, hob sich Honoria's Heiterkeit wieder in seltsamer Weise. Sie sagte mir, es sei ihr, als ob die Thüre eines freundlichen Hauses für sie geöffnet worden – und mit ihrem Muthe kehrte auch einiges von ihrem verlorenen Appetit wieder zurück. Nach einigen Stunden fühlte sie sich augenscheinlich viel wohler; aber dennoch zürnte sie, wenn ich andeutete, das Auffinden und Auswählen ihres Grabes werde das Mittel sein, es unnöthig zu machen. Sie behauptete steif und fest, daß wir bald sterben müßten, und bat mich, gemeinschaftlich mit ihr doch ja keine Zeit zu verlieren, um unser Hinscheiden anständig zu machen.
Ich glaubte einmal, eine gewisse Energie des Charakters zu besitzen, war aber damals in großem Irrthume befangen, denn meine Natur muß von jeher schwach und kleinmüthig gewesen sein. Ja, um thätig oder überhaupt nur verständlich zu sein, war es durchaus nothwendig, daß ich von außen in eine starke Aufregung versetzt wurde. Ich besaß keine geistigen Fundgruben, keine edlen Hülfsquellen in mir, aus denen ich hätte schöpfen können. Warum duldete ich es, warum schloß ich mich diesem jämmerlichen Hohne, diesem kindischen Spiele des Grabmachens an? Jeder Nerv, jeder Pulsschlag hätte mich drängen sollen, mich aufs Aeußerste anzustrengen, um meine sterbende Schwester aufrecht zu erhalten und zu beleben. Thor, feiger Thor, der ich war!«
Wir verschafften uns ein paar große, flache Muscheln, die es am Gestade im Ueberfluß gab, bezeichneten dann die Grenzen und begannen die Erde auszuschaufeln. Die Erde war anfangs dunkel gefärbt und sehr leicht – augenscheinlich nicht weiter, als eine zwei Fuß hohe Schichte zersetzten Laubes und anderer vegetabilischer Materien, die aus dem Felsen lag.
*