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§ 1. Wahrheitsliebe ist notwendig. – Wer der Forschung nach Wahrheit ernstlich obliegen will, sollte zunächst seinen Geist durch Liebe zu ihr dafür vorbereiten. Denn, wer sie nicht liebt, der wird sich nicht viel Mühe geben, sie zu erlangen, und nicht sehr bekümmert sein, wenn sie ihm entgeht. In der Gelehrten-Republik ist niemand zu finden, der sich nicht für einen Liebhaber der Wahrheit erklärte, und es giebt kein vernünftiges Geschöpf, das es nicht übelnehmen würde, wenn man anders von ihm dächte. Trotz alledem kann man gleichwohl mit Recht behaupten, daß es sehr wenige Liebhaber der Wahrheit um ihrer selbst willen giebt sogar unter denen, die sich schmeicheln, daß sie solche seien. Woran jemand erkennen könne, daß er im Ernst ein solcher sei, ist der Untersuchung wert, und ich denke, es giebt ein untrügliches Merkmal davon, nämlich, daß er keinen Satz mit größerer Sicherheit behauptet, als die Beweise, worauf er gebaut ist, rechtfertigen. Es ist klar, daß jeder, der dieses Maß des Beifalls überschreitet, die Wahrheit nicht aus Liebe zu ihr annimmt, sie nicht um ihrer selbst willen liebt, sondern um eines andern Nebenzweckes willen. Denn, da die Wahrheit eines Satzes (mit Ausnahme der von selbst einleuchtenden) nur durch die Beweise ersichtlich wird, die jemand für ihn hat, so ist klar, daß, wenn er ihm über das Maß dieser Ersichtlichkeit hinaus in irgend welchem Grade Beifall schenkt, der ganze Mehrbetrag von Überzeugung irgend einer anderen Zuneigung und nicht der Wahrheitsliebe zu verdanken ist, indem es ebenso unmöglich ist, daß die Wahrheitsliebe meinen Beifall über die für mich vorhandene Sichtbarkeit seiner Wahrheit steigern sollte, als daß die Wahrheitsliebe mich bestimmen sollte, irgend einem Satze wegen der Evidenz beizustimmen, die seine Wahrheit nicht hat, was effektiv dasselbe wäre wie ihn als eine Wahrheit zu lieben, weil er möglicher- oder wahrscheinlicherweise unwahr sein kann. Bei jeder Wahrheit, die unsern Geist nicht durch das unwiderstehliche Licht der Selbstverständlichkeit oder durch die Kraft einer Demonstration in Besitz nimmt, sind die Gründe, die ihr Beifall verschaffen, die Bürgen und Unterpfänder ihrer Wahrscheinlichkeit für uns, und wir können sie nicht anders als so annehmen, wie sie dadurch unserm Verstande überliefert wird. Jedes Maß von Glaubwürdigkeit oder Ansehen, was wir einem Satze mehr beilegen, als er aus den Prinzipien und Beweisen, worauf er sich stützt, empfängt, ist unsern dahin gerichteten Neigungen zu verdanken und thut insofern der Liebe zur Wahrheit als solcher Abbruch, die, da unsere Leidenschaften oder Interessen kein Zeugnis für sie ablegen können, auch keine Färbung von ihnen annehmen sollte.
§ 2. Woher der Übereifer rührt, Vorschriften zu geben. – Die Anmaßung einer Autorität, anderen Vorschriften zu geben, und ein Übereifer, ihre Meinungen zu regeln, ist ein beständiger Begleiter dieser schiefen Richtung und Verderbnis unserer Urteile. Denn wie könnte es wohl anders sein, als daß nicht der, welcher schon sich selbst zu einem falschen Glauben überredet hat, bereit sein sollte, andere ebenso zu betrügen? Wer kann vernünftigerweise erwarten, daß jemand im Verkehr mit anderen Überzeugung durch Gründe erstreben werde, dessen Verstand daran nicht bei seinem Verkehr mit sich selber gewöhnt ist? jemand, der seinen eigenen Fähigkeiten Gewalt anthut, seinen eigenen Geist tyrannisiert und sich das Vorrecht anmaßt, was allein der Wahrheit zukommt, nämlich nur durch ihre eigene Autorität, d. h. durch die Evidenz, die sie mit sich führt, und nach Verhältnis derselben den Beifall zu bestimmen.
§ 3. Die Macht der Schwärmerei. – Bei dieser Gelegenheit nehme ich mir die Freiheit, einen dritten Grund des Beifalls in Betracht zu ziehen, der bei einigen Menschen dasselbe Ansehn genießt und ebensoviel Zutrauen findet, wie der Glaube oder die Vernunft; ich meine die Schwärmerei, die mit Beiseitesetzung der Vernunft ohne diese die Offenbarung auf den Thron setzen will. Dadurch beseitigt sie im Erfolg sowohl die Vernunft wie die Offenbarung, und setzt an deren Stelle die unbegründeten Einbildungen des eigenen Gehirns jedes Menschen, die sie als Grundlage sowohl für das Denken wie für das Handeln annimmt.
§ 4. Vernunft und Offenbarung. – Die Vernunft ist natürliche Offenbarung, wodurch der ewige Vater des Lichts und der Quell alles Wissens den Menschen den Teil der Wahrheit mitteilt, den er in den Bereich ihrer natürlichen Fähigkeiten gelegt hat; die Offenbarung ist eine Erweiterung der natürlichen Vernunft durch eine neue Reihe von Gott unmittelbar mitgeteilter Entdeckungen, deren Wahrheit die Vernunft durch das Zeugnis und die Beweise verbürgt, die sie über ihren göttlichen Ursprung liefert. Wer also die Vernunft beseitigt, um für die Offenbarung freie Bahn zu schaffen, der löscht das Licht beider aus, und handelt fast ebenso, wie wenn er jemanden überreden wollte, sich die Augen auszustechen, damit er um so besser durch ein Teleskop das entfernte Licht eines unsichtbaren Sternes wahrnehmen könne.
§ 5. Die Entstehung der Schwärmerei. – Da unmittelbare Offenbarung für die Menschen ein viel leichterer Weg zur Feststellung ihrer Meinungen und zur Regelung ihres Verhaltens ist als die langwierige und nicht immer erfolgreiche Arbeit strenger Schlußfolgerungen, so ist es kein Wunder, daß manche sehr geneigt gewesen sind, den Empfang von Offenbarungen zu behaupten und sich zu überreden, daß sie bei ihren Handlungen und Meinungen unter einer besonderen himmlischen Leitung ständen, namentlich bei solchen, worüber sie nicht nach den gewöhnlichen Methoden der Erkenntnis und den Prinzipien der Vernunft Rechenschaft geben können. Daher sehen wir, daß in allen Zeitaltern Menschen, bei denen sich Melancholie mit Frömmigkeit mischte, oder deren Selbstgefälligkeit sie zu der Meinung einer größeren Vertraulichkeit mit Gott und einer näheren Zulassung zu seiner Gunst erhob als die, welche anderen gewährt sei, sich oft mit dem Glauben an einen unmittelbaren Verkehr mit der Gottheit und häufige Mitteilungen seitens des göttlichen Geistes (spirit) geschmeichelt haben. Es läßt sich, wie ich zugebe, nicht leugnen, daß Gott durch einen unmittelbar aus der Quelle des Lichtes in den Geist (mind) entsandten Strahl den Verstand erleuchten kann; das hat er, wie sie hören, zu thun versprochen, und wer hat denn so viel Recht es zu erwarten als die, welche sein eigentümliches Volk sind von ihm auserwählt und auf ihn vertrauend?
§ 6. Schwärmerei. – Wenn ihr Geist (mind) so vorbereitet ist, dann ist jede grundlose Meinung, die sich in ihrer Phantasie stark festsetzt, eine Erleuchtung durch den Geist (spirit) Gottes und hat unmittelbar göttliche Autorität; und falls sie zu irgend einer seltsamen Handlung in sich eine starke Neigung verspüren, so wird der Antrieb dazu für einen Ruf oder einen Befehl vom Himmel gehalten, dem gehorcht werden müsse; es ist ein Auftrag von oben, bei dessen Vollziehung sie nicht irre gehen können.
§ 7. Dies ist meiner Ansicht nach Schwärmerei im eigentlichen Sinne, die, obwohl sie sich weder auf die Vernunft noch auf göttliche Offenbarung gründet, sondern aus den Einbildungen eines erhitzten oder übermütigen Gehirns entspringt, doch, wo sie einmal festen Fuß faßt, auf die Überzeugungen und Handlungen der Menschen mächtiger einwirkt als irgend eine von jenen beiden oder beide zusammen genommen, weil die Menschen den Antrieben, die aus ihrem eigenen Innern kommen, am bereitwilligsten gehorchen, und der ganze Mensch gewiß um so kräftiger handeln wird, je mehr sein ganzes Wesen von einer natürlichen Bewegung ergriffen ist. Denn starke Einbildung reißt wie eine neue Urkraft alles leicht mit sich fort, wenn sie, mit Überschreitung des gesunden Verstandes gewonnen und frei von jedem Zügel der Vernunft und jedem Anhalt der Überlegung, unterstützt von unserer eigenen Gemütsstimmung und Neigung, zu einer göttlichen Autorität hinaufgeschraubt wird.
§ 8. Die Schwärmerei wird fälschlich für ein Sehen und Fühlen gehalten. – Obgleich die seltsamen Meinungen und die überspannten Handlungen, wozu die Schwärmerei die Menschen getrieben hat, genügen sollten, um dieselben vor diesem falschen Prinzip zu warnen, was sie so leicht sowohl in ihrem Glauben wie in ihren Handlungen mißleiten kann, so schmeicheln doch die Liebe zu etwas Außerordentlichem, das Behagen und der Ruhm, den es gewährt, inspiriert und über die gewöhnlichen und natürlichen Wege der Erkenntnis erhaben zu sein, der Trägheit, Unwissenheit und Eitelkeit vieler Menschen so sehr, daß, wenn sie einmal auf diesen Weg der unmittelbaren Offenbarung, der Erleuchtung ohne zu forschen und der Gewißheit ohne Beweis und ohne Prüfung geraten sind, es eine schwierige Aufgabe ist, sie wieder davon abzubringen. Vernunftgründe sind an ihnen verloren, sie sind darüber hinaus; sie sehen das in ihren Verstand ergossene Licht und können sich nicht im Irrtum befinden; es ist klar und sichtbar dort wie das Licht des hellen Sonnenscheins, es zeigt sich selbst und bedarf keines anderen Beweises als seiner eigenen Augenscheinlichkeit; sie fühlen die Hand Gottes, die sie innerlich bewegt, und den Antrieb des Geistes (spirit) und können sich in dem, was sie fühlen, nicht irren. So verteidigen sie ihre Meinung und sind dessen sicher, daß die Vernunft nichts mit dem zu thun hat, was sie in ihrem Innern sehen und fühlen; eine Erfahrung, die sie mit sinnlicher Gewißheit gemacht haben, gestattet keinen Zweifel und bedarf keines Beweises. Würde sich der nicht lächerlich machen, der einen Beweis dafür verlangen wollte, daß das Licht leuchte, und daß er es sehe? Es ist sein eigener Beweis und kann keinen anderen finden. Wenn der Geist (spirit) in unser Gemüt (mind) Licht bringt, so vertreibt er die Finsternis. Wir sehen es wie das Licht der Sonne zur Mittagszeit und bedürfen nicht des Zwielichts der Vernunft, um es für uns sichtbar zu machen. Dieses himmlische Licht ist stark, klar und rein, es bringt seinen eigenen Beweis mit sich, und wir könnten ebensogut einen Glühwurm nehmen, damit er uns helfe, die Sonne zu entdecken, wie den himmlischen Strahl durch unser trübes Licht, die Vernunft, zu prüfen versuchen.
§ 9. Wie sich die Schwärmerei entdecken läßt. – So reden diese Leute, sie sind ihrer Sache gewiß, weil sie ihrer gewiß sind, und ihre Glaubensartikel sind wahr, weil der Glaube in ihnen stark ist. Denn, wenn von ihren Worten die bildlichen Ausdrücke des Sehens und Fühlens abgezogen werden, so ist dies alles, woraus sie hinauslaufen; und doch täuschen diese Bilder sie so stark, daß sie ihnen zur eigenen Gewißheit und als Beweis andern gegenüber dienen.
§ 10. Laßt uns aber dieses innere Licht und dieses Gefühl, worauf sie so fest bauen, einmal nüchtern prüfen. Diese Leute haben, wie sie sagen, helles Licht und sie sehen – sie haben lebhafte Empfindung und sie fühlen – das kann ihnen, dessen sind sie gewiß, nicht abgestritten werden. Denn, wenn jemand behauptet, daß er sehe oder fühle, so kann ihm niemand das Gegenteil beweisen. Aber man erlaube mir hier die Frage: ist dieses Sehen eine Wahrnehmung von der Wahrheit des Satzes oder davon, daß letzterer eine göttliche Offenbarung sei? – Ist dieses Gefühl die Wahrnehmung einer Neigung oder Lust etwas zu thun, oder davon, daß der Geist (spirit) Gottes diese Neigung erregt? Das sind zwei sehr verschiedene Wahrnehmungen, die sorgfältig auseinander gehalten werden müssen, wenn wir uns nicht selbst betrügen wollen. Ich kann die Wahrheit eines Satzes erkennen, und doch nicht wahrnehmen, daß er eine unmittelbare Offenbarung Gottes sei. Ich kann die Wahrheit eines Satzes im Euklid erkennen, ohne daß er eine Offenbarung ist oder ich dies wahrnehme; ja ich könnte wahrnehmen, daß ich zu einer Erkenntnis nicht auf natürlichem Wege gekommen sei, und deshalb auf eine stattgehabte Offenbarung schließen, ohne wahrzunehmen, daß sie von Gott herrühre, weil es Geister (spirits) geben mag, die ohne göttlichen Auftrag gewisse Ideen in mir erwecken und meinem Geiste (mind) in solcher Ordnung vorlegen könnten, daß ich ihren Zusammenhang wahrzunehmen vermöchte. Daß die Kenntnis irgend eines Satzes in meinen Geist ich weiß nicht wie Eingang findet, ist also nicht eine Wahrnehmung, daß sie von Gott komme. Viel weniger ist ein fester Glaube daran, daß er wahr sei, eine Wahrnehmung seines göttlichen Ursprungs oder auch nur seiner Wahrheit. Vielmehr meine ich trotz der Benennung als Licht und Sehen, daß höchstens ein Glaube und eine Überzeugung vorliegen, und der als Offenbarung angesehene Satz nicht einer ist, der als wahr erkannt, sondern der für wahr gehalten wird. Denn, wo ein Satz als wahr erkannt ist, da ist keine Offenbarung nötig, und es ist schwer zu begreifen, wie jemandem etwas geoffenbart werden kann, was er schon weiß. Wenn es sich deshalb um einen Satz handelt, von dem man nicht weiß, aber doch überzeugt ist, daß er wahr sei, so ist das – man mag es nennen, wie man will – nicht Sehen, sondern Glauben. Denn das sind zwei völlig verschiedene Wege, auf denen die Wahrheit in den Geist gelangt, so daß der eine nicht der andere ist. Was ich sehe, von dem weiß ich durch den Augenschein der Sache selbst, daß es sich so verhält; was ich glaube, von dem nehme ich das auf Grund eines fremden Zeugnisses an, aber ich muß wissen, daß dieses Zeugnis abgelegt ist, oder welchen Grund hätte ich sonst für meinen Glauben? Ich muß sehen, daß es Gott ist, der mir etwas offenbart, oder aber ich sehe nichts. Die Frage ist hier also: woher weiß ich, daß es Gott ist, der mir dies enthüllt, daß dieser Eindruck auf meinen Geist ( mind) durch seinen heiligen Geist ( spirit) hervorgebracht ist und ich deshalb ihm gehorchen muß? Wenn ich das nicht weiß, so ist meine Überzeugung, wie stark sie auch sein möge, grundlos; und welche Erleuchtung ich auch für mich in Anspruch nehmen mag, sie ist nur Schwärmerei. Denn mag nun der für eine Offenbarung gehaltene Satz an sich augenscheinlich wahr, oder sichtbar wahrscheinlich, oder nach den natürlichen Erkenntnismitteln ungewiß sein, so ist es ein (zweiter) Satz, dessen Wahrheit wohlbegründet und dargethan sein muß, daß Gott jenen geoffenbart habe, und daß, was ich für eine Offenbarung halte, sicher von ihm meinem Geiste ( mind) eingegeben worden ist, und nicht eine von einem anderen Geiste ( spirit) eingeflößte oder durch meine eigene Phantasie erweckte Illusion. Denn, wenn ich nicht irre, so halten jene Leute etwas für wahr, weil sie annehmen, daß es von Gott geoffenbart sei. Liegt es ihnen dann aber nicht ob, zu prüfen, aus welchen Gründen sie das annehmen? Sonst ist all ihre Zuversicht bloße Vermutung und das Licht, von dem sie so geblendet sind, ist nur ein Irrlicht, was sie beständig in diesem Kreise herumführt: es ist eine Offenbarung, weil sie fest daran glauben, und sie glauben daran, weil es eine Offenbarung ist.
§ 11. Die Schwärmerei bleibt den Beweis dafür schuldig, daß der Satz von Gott herrühre. – Bei allem, was zur göttlichen Offenbarung gehört, bedarf es keines anderen Beweises, als daß es eine von Gott empfangene Eingebung sei, denn dieser kann weder täuschen noch getäuscht werden. Woran aber läßt es sich erkennen, daß irgend ein in unserem Bewußtsein vorhandener Satz eine von Gott eingegebene Wahrheit sei, eine Wahrheit, die uns von ihm offenbart worden, die er uns erkläre, und die wir deshalb glauben müßten? Hier läßt die Schwärmerei die Evidenz vermissen, die sie zu haben behauptet. Denn die in ihr befangenen Menschen rühmen sich eines Lichtes, wodurch sie erleuchtet und zur Erkenntnis dieser oder jener Wahrheit gebracht zu sein behaupten. Wenn sie aber etwas als Wahrheit erkennen, so kann das nur geschehen, entweder weil es der natürlichen Vernunft von selbst unmittelbar einleuchtet, oder weil es durch vernünftige Gründe als wahr erwiesen ist. Wenn sie es auf dem einen oder dem anderen von diesen beiden Wegen als Wahrheit einsehen und erkennen, so halten sie es umsonst für eine Offenbarung, denn sie erkennen seine Wahrheit auf dieselbe Weise, wie jeder andere Mensch sie ohne Hilfe der Offenbarung mit natürlichen Mitteln erkennen mag. Denn so sind alle Wahrheiten jedweder Art, wodurch nichtinspirierte Menschen erleuchtet sind, in deren Geist hineingekommen und dort heimisch geworden. Wenn sie sagen, sie wüßten, daß etwas wahr sei, weil es von Gott geoffenbart worden, so ist das ein guter Grund; aber dann erhebt sich die Frage, woher sie wissen, daß es eine göttliche Offenbarung sei. Wenn sie sagen: durch das Licht, was es mit sich bringe, was hell in ihr Gemüt scheine und dem sie nicht widerstehen könnten, so bitte ich sie, zu erwägen, ob damit irgend etwas mehr gesagt ist, als was wir schon gehört haben, nämlich, daß es eine Offenbarung sei, weil sie an seine Wahrheit fest glauben. Denn all das Licht, wovon sie sprechen, ist nur eine starke obwohl grundlose Überzeugung ihres eigenen Geistes davon, daß es eine Wahrheit sei, weil sie zugeben müssen, daß sie für seine Wahrheit keine vernünftigen aus Beweisen entnommenen Gründe haben. Denn dann wäre es nicht als Offenbarung angenommen worden, sondern aus den gewöhnlichen Gründen, weshalb andere Wahrheiten angenommen werden; und wenn sie es für wahr halten, weil es eine Offenbarung sei, hiefür aber keinen anderen Grund haben, als weil sie ohne irgend welchen andern Grund von seiner Wahrheit vollkommen überzeugt seien, so halten sie es nur deshalb für eine Offenbarung, weil sie fest glauben, daß es eine solche sei, was ein sehr unsicherer Boden ist, um darauf, sei es mit unsern Meinungen oder mit unsern Handlungen vorzugehen. Und welchen bequemeren Weg kann es geben, um uns in die ausschweifendsten Irrtümer und Fehltritte zu verrennen, als so die Phantasie zu unserer obersten und alleinigen Führerin zu erheben und jeden Satz für wahr, jede Handlung für recht zu halten, bloß weil wir sie dafür ansehen? Die Stärke unserer Überzeugungen ist gar kein Beweis für ihre Richtigkeit; krumme Dinge können ebenso steif und unbiegsam sein wie gerade, und die Menschen können im Irrtum ebenso bestimmt und entschieden sein wie in der Wahrheit. Woher kommen sonst die halsstarrigen Eiferer bei den verschiedenen und einander entgegengesetzten Parteien? Denn, wenn das Licht, was jeder in seinem Geiste zu haben glaubt, und was in diesem Falle nur in der Stärke seiner eigenen Überzeugung besteht, ein Beweis dafür ist, daß es von Gott komme, so haben entgegengesetzte Meinungen gleichen Anspruch darauf, Inspirationen zu sein, und Gott wird nicht nur der Vater des Lichtes, sondern entgegengesetzter und einander widersprechender Lichter sein, womit er die Menschen auf verschiedene Wege leitet; und einander widersprechende Sätze werden göttliche Wahrheiten sein, wenn eine grundlose Stärke der Überzeugung beweist, daß irgend ein Satz eine göttliche Offenbarung ist.
§ 12. Die Festigkeit der Überzeugung ist kein Beweis dafür, daß irgend ein Satz von Gott herrühre. – Das kann nicht anders sein, so lange die Festigkeit der Überzeugung zur Ursache des Glaubens, und die Zuversicht, im Rechte zu sein, zu einem Beweisgrund der Wahrheit gemacht werden. Selbst der heilige Paulus glaubte wohl daran zu thun und dazu berufen zu sein, als er die Christen verfolgte, die, wie er zuversichtlich annahm, im Unrecht seien, gleichwohl war er selbst es und nicht sie, der sich im Irrtum befand. Auch gute Menschen bleiben als Menschen Mißgriffen ausgesetzt, und sind mitunter warme Anhänger von Irrtümern, die sie für göttliche mit dem hellsten Licht in ihre Gemüter scheinende Wahrheiten halten.
§ 13. Was Erleuchtung des Geistes heißt. – Licht, wahres Licht, ist im Geiste nichts anderes oder kann in ihm nichts anderes sein als die Evidenz der Wahrheit irgend eines Satzes, und wenn dieser nicht von selbst einleuchtend ist, so rührt alles Licht, was er hat oder haben kann, von der Klarheit und Triftigkeit der Beweise her, auf Grund welcher er angenommen wird. Von irgend einem anderen Lichte im Verstande zu sprechen, heißt uns selbst in das Dunkel oder in die Macht des Fürsten der Finsternis versetzen und uns aus eignem freien Willen der Täuschung eine Lüge zu glauben hingeben. Denn, wenn die Stärke der Überzeugung das Licht ist, was uns leiten soll, so frage ich: wie soll man zwischen den Blendwerken des Satans und den Eingebungen des heiligen Geistes unterscheiden? Jener kann sich zu einem Engel des Lichtes umgestalten, und die, welche dieser Sohn des Morgens D. i. Lucifer. leitet, sind ihrer Erleuchtung ebenso vollkommen gewiß, d. h. sind ebenso fest davon überzeugt, daß der Geist Gottes ihr Inneres erhelle, wie irgend jemand, bei dem dies wirklich der Fall ist; sie sind dadurch beruhigt und erfreut, sie werden davon zur That angetrieben, und niemand kann (wenn ihr eigener starker Glaube entscheiden darf) mehr seiner Sache gewiß und auf dem rechten Wege sein als sie.
§ 14. Die Offenbarung muß von der Vernunft beurteilt werden. – Wer sich deshalb nicht allen Maßlosigkeiten der Täuschung und des Irrtums hingeben will, der muß diesen Führer seines inneren Lichtes einer Prüfung unterwerfen. Wenn Gott jemanden zum Propheten macht, so entkleidet er ihn dabei nicht des menschlichen Wesens. Er läßt alle seine Fähigkeiten in ihrem natürlichen Zustande, damit er imstande sei, über seine Eingebungen zu urteilen, ob sie göttlichen Ursprungs seien oder nicht. Wenn er den Geist mit übernatürlichem Lichte erhellt, so löscht er das natürliche nicht aus. Wenn er will, daß wir der Wahrheit irgend eines Satzes beistimmen, so macht er entweder diese Wahrheit auf den gewöhnlichen Wegen der natürlichen Vernunft einleuchtend, oder aber er macht sie uns als eine Wahrheit bekannt, der wir wegen seiner Autorität beistimmen sollen, und überzeugt uns durch einige Zeichen, die die Vernunft nicht mißverstehen kann, davon, daß sie von ihm komme. Die Vernunft muß unser höchster Richter und Führer in allen Dingen sein. Ich meine nicht, daß wir die Vernunft zu Rate ziehen sollen um zu prüfen, ob ein von Gott geoffenbarter Satz aus natürlichen Prinzipien dargethan werden könne, und daß wir ihn, wenn das nicht möglich ist, verwerfen dürfen; aber zu Rate ziehen müssen wir sie und mit ihrer Hilfe prüfen, ob er eine von Gott herrührende Offenbarung sei oder nicht. Und wenn die Vernunft findet, daß er von Gott geoffenbart worden, dann erklärt die Vernunft sich für ihn ebenso sehr wie für irgend eine andere Wahrheit und nimmt ihn unter ihre Aussagen auf. Jeder Einfall, der unsere Phantasie erhitzt, muß für eine Inspiration gelten, wenn es nichts anderes als die Stärke unserer Überzeugungen giebt, um danach über diese zu urteilen; wenn die Vernunft ihre Wahrheit nicht nach etwas außerhalb der Überzeugungen selbst Liegendem prüfen darf, dann wird es für Inspirationen und Täuschungen, für Wahrheit und Falschheit nur ein und dasselbe Maß geben, und diese werden sich nicht unterscheiden lassen.
§ 15. Der Glaube ist kein Beweis für die Offenbarung. – Wenn dieses innere Licht oder irgend ein Satz, den wir unter diesem Titel als inspiriert annehmen, mit den Prinzipien der Vernunft oder dem als Offenbarung bezeugten Wort Gottes übereinstimmt, so verbürgt ihn die Vernunft, und wir dürfen ihn unbedenklich als wahr annehmen, und uns bei unserm Glauben und Handeln von ihm leiten lassen; wenn sich aber aus keiner von diesen beiden Normen ein Zeugnis oder ein Beweis für ihn ergiebt, so dürfen wir ihn nicht für eine Offenbarung oder auch nur für wahr halten, so lange wir nicht ein anderes Merkmal als unsern Glauben dafür erhalten, daß er eine Offenbarung sei. So sehen wir, daß die heiligen Männer des Altertums, denen göttliche Offenbarungen zu teil wurden, außer jenem inneren Licht in ihrem eigenen Geiste noch sonst etwas hatten, wodurch ihnen deren Herkunft von Gott bezeugt ward. Sie waren dafür, daß ihr Glaube von Gott herrühre, nicht bloß auf diesen Glauben selbst angewiesen, sondern hatten äußere Zeichen, die ihnen bewiesen, wer der Urheber dieser Offenbarungen sei. Und damit sie andere überzeugen könnten, war ihnen eine Macht gegeben, um die Wahrheit ihres himmlischen Auftrags darzuthun, und durch sichtbare Zeichen die göttliche Autorität der Botschaft, womit sie gesandt waren, zu bekräftigen. Moses sah den Busch brennen, ohne verzehrt zu werden, und hörte eine von ihm ausgehende Stimme; dies war etwas mehr, als daß er in seinem Gemüte den Antrieb fand zum Pharao zu gehen, damit er seine Brüder aus Ägypten führe, gleichwohl hielt er es noch nicht für genug, um ihn zur Überbringung dieser Botschaft zu ermächtigen, bis Gott ihm durch ein anderes Wunder der Verwandlung seines Stabes in eine Schlange die Gewißheit gegeben hatte, daß er durch Wiederholung desselben Wunders vor denen, zu welchen er gesandt war, seine Sendung werde beglaubigen können. Gideon ward durch einen Engel angewiesen, Israel von den Midianitern zu befreien, und doch verlangte er ein Zeichen, um ihn davon zu überzeugen, daß dieser Auftrag von Gott komme. Diese und mehre ähnliche unter den Propheten des Altertums zu findende Beispiele zeigen hinlänglich, daß diese ein inneres Sehen oder eine Überzeugung ihres eigenen Geistes ohne irgend welchen anderen Beweis nicht für ein genügendes Zeugnis seines göttlichen Ursprungs hielten, obgleich die Schrift nicht überall erwähnt, daß sie solche Beweise verlangt oder erhalten hätten.
§ 16. Ich bin weit davon entfernt, mit dem Gesagten leugnen zu wollen, daß Gott zuweilen durch den unmittelbaren Einfluß und Beistand des Heiligen Geistes ( spirit) den Geist ( mind) der Menschen zur Erfassung bestimmter Wahrheiten erleuchten, oder sie zu guten Handlungen anregen könne, oder beides thue, ohne daß dies von irgend welchen außerordentlichen Zeichen begleitet wäre. Aber auch in solchen Fällen haben wir in der Vernunft und der heiligen Schrift unfehlbare Normen, um zu erkennen, ob die Einwirkung von Gott komme oder nicht. Wo das als wahr Angenommene mit der Offenbarung in dem geschriebenen Wort Gottes übereinstimmt, oder die Handlung den Vorschriften der gesunden Vernunft oder der heiligen Schrift gemäß ist, da dürfen wir gewiß sein, daß wir keine Gefahr laufen, wenn wir ihm göttlichen Ursprung zuschreiben, weil auch, wenn es vielleicht keine unmittelbar von Gott durch eine außerordentliche Einwirkung desselben auf unsern Geist empfangene Offenbarung sein sollte, wir doch dessen gewiß sind, daß es durch die uns von ihm gegebene Offenbarung der Wahrheit verbürgt wird. Es ist jedoch nicht die Stärke unserer privaten inneren Überzeugung, die seine Eigenschaft als ein Licht oder einen Antrieb vom Himmel verbürgen kann, das kann vielmehr nur durch das geschriebene Wort Gottes außer uns oder durch die Norm der Vernunft geschehen, die uns mit allen Menschen gemein ist. Wo die Vernunft oder die Schrift sich ausdrücklich für eine Meinung oder Handlung erklären, da mögen wir annehmen, daß sie die göttliche Autorität für sich haben; es ist aber nicht die Stärke unserer eigenen Überzeugungen, die ihnen selbständig diesen Stempel aufdrücken kann. Der Zug unseres eigenen Gemüts mag sie, so viel uns gefällt, begünstigen; daraus ergiebt sich nur, daß sie unsere selbsterzeugten Schoßkinder sind, keineswegs aber, daß sie vom Himmel stammen und göttlichen Ursprung haben. Der Satz, den Locke in diesem Kapitel vor allem betont, daß keine Offenbarung sich selbst beglaubigen könne, hat, seiner augenscheinlichen Richtigkeit ungeachtet, auch heute – nach zweihundert Jahren – noch keine allgemeine und aufrichtige Anerkennung gefunden, weil jeder Glaube, der dem individuellen Eudämonismus der Menschen schmeichelt oder ihn schreckt, an diesem der Vernunft gegenüber einen allzufesten Rückhalt besitzt. Sollte er künftig einmal in einem weiteren Kreise der menschlichen Gesellschaft allseitig anerkannt werden, dann würden darin zugleich die Tage des Offenbarungsglaubens überhaupt gezählt sein.