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§ 1. Mehrfache Bedeutungen des Wortes Vernunft. – Das Wort Vernunft ( reason) hat im Englischen verschiedene Bedeutungen; zuweilen versteht man darunter richtige und klare Prinzipien, zuweilen klare und redliche Ableitungen aus diesen Prinzipien und zuweilen die Ursache insbesondere die Endursache. Bei der Betrachtung aber, die ich hier darüber anstellen will, nehme ich das Wort noch in einer von allen diesen verschiedenen Bedeutung, nämlich als Bezeichnung einer Fähigkeit des Menschen, der Fähigkeit, wodurch sich der Mensch vermeintlich von den Tieren unterscheidet, und worin er sie augenscheinlich weit übertrifft.
§ 2. Worin die Leistungen der Vernunft bestehen. – Wenn allgemeines Wissen, wie gezeigt worden, in einer Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer eigenen Ideen besteht, und das Wissen vom Dasein aller Dinge außer uns (mit alleiniger Ausnahme Gottes, dessen Dasein jedermann aus seinem eigenen Dasein mit Sicherheit erkennen und sich selber beweisen kann) nur durch unsere Sinne zu erlangen ist, wo bleibt da noch Raum übrig für die Ausübung einer anderen Fähigkeit als des äußeren Sinnes und der inneren Wahrnehmung? Wie kann es da noch der Vernunft bedürfen? Gar sehr, sowohl für die Vermehrung unseres Wissens wie für die Regelung unseres Beifalls, denn sie hat es sowohl mit dem Wissen wie mit der Meinung zu thun, und ist ein notwendiger Beistand für alle unsere andern intellektuellen Fähigkeiten, von denen sie in der That zwei in sich schließt, nämlich Scharfsinn und Schlußfolgerung. Durch den einen findet sie die vermittelnden Ideen auf, und durch die andere ordnet sie dieselben so, daß sich bei jedem Gliede der Kette die Verbindung erkennen läßt, wodurch die Extreme zusammen gehalten werden und hiemit die aufgesuchte Wahrheit gleichsam vor die Augen gezogen wird. Das ist es, was wir schließen oder folgern nennen, und was in nichts anderem besteht als in der Wahrnehmung des Zusammenhanges, der bei jedem Schritte der Deduktion zwischen den Ideen obwaltet, wodurch der Geist dazu gelangt, entweder die gewisse Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen zu erkennen wie bei der Demonstration, die ihn zum Wissen hinführt, oder ihren wahrscheinlichen Zusammenhang, worauf er seinen Beifall giebt oder verweigert, wie bei der Meinung. Sinneswahrnehmung und innere Anschauung reichen nicht weit. Der größte Teil unseres Wissens beruht auf Deduktionen und vermittelnden Ideen, und in den Fällen, wo wir genötigt sind, den Beifall an die Stelle des Wissens zu setzen und Sätze als wahr anzunehmen ohne dessen gewiß zu sein, ist die Auffindung, Prüfung und Vergleichung der Gründe ihrer Wahrscheinlichkeit für uns erforderlich. In diesen beiden Fällen nennen wir die Fähigkeit, welche die Mittel auffindet und richtig anwendet, um in dem einen die Gewißheit, in dem anderen die Wahrscheinlichkeit zu entdecken, Vernunft. Denn wie die Vernunft die notwendige und zweifellose Verbindung aller Ideen oder Beweisgründe untereinander auf jedem Schritte einer Demonstration wahrnimmt, die zum Wissen führt, so nimmt sie auch die wahrscheinliche Verbindung aller Ideen oder Beweisgründe untereinander auf jedem Schritte eines Vortrags wahr, dem sie Beifall schenken zu müssen glaubt. Dies ist die unterste Stufe dessen, was mit Recht Vernunft heißen kann. Denn, wo der Geist diese wahrscheinliche Verbindung nicht erkennt, wo er nicht unterscheidet, ob eine solche Verbindung vorhanden ist oder nicht, da sind die Meinungen der Menschen nicht ein Ergebnis des Urteils oder eine Folgerung der Vernunft, sondern die Wirkungen des Zufalles und des Ungefährs, entsprungen aus einem abenteuerlich ohne Wahl und ohne Leitung umhertreibenden Denken.
§ 3. Deren vier Teile. – Somit können wir folgende vier Stufen der Vernunftthätigkeit unterscheiden: Die erste und höchste ist die Entdeckung und Auffindung von Wahrheiten, die zweite die regelmäßige und methodische Verwendung derselben, indem sie in eine klare und passende Ordnung gebracht werden, um ihren Zusammenhang und ihre Kraft deutlich und leicht wahrnehmbar zu machen; die dritte besteht in der Wahrnehmung ihres Zusammenhanges und die vierte darin, einen richtigen Schluß zu ziehen. Diese verschiedenen Stufen lassen sich an jeder mathematischen Demonstration beobachten, indem es eine Sache ist, den Zusammenhang jedes Teiles der von einem anderen vorgetragenen Demonstration zu erkennen, eine zweite, einzusehen, wie der Schluß auf allen Teilen beruht, eine dritte, eine Demonstration selbst klar und rein auszuführen, und noch etwas von allem diesem Verschiedenes, die vermittelnden Ideen oder Beweisgründe, wodurch sie zustande kommt, zuerst aufgefunden zu haben.
§ 4. Der Syllogismus ist nicht das Hauptwerkzeug der Vernunft. – Noch eine weitere die Vernunft betreffende Frage bitte ich in Erwägung zu ziehen, nämlich ob der Syllogismus, wie man gewöhnlich meint, das eigentümliche Werkzeug derselben ist und die nützlichste Weise, dieses Vermögen auszuüben. Ich bezweifle das, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens, weil der Syllogismus unserer Vernunft nur bei einem einzigen der vorerwähnten Teile ihrer Thätigkeit dient, nämlich, um den Zusammenhang der Beweisgründe in jedem einzelnen Falle darzuthun, und nicht weiter. Hiebei aber ist er von geringem Nutzen, weil der Geist diesen Zusammenhang, wo er tatsächlich vorliegt, ebensoleicht, ja vielleicht besser, ohne ihn wahrnehmen kann. Wenn wir unsere eigene Geistesthätigkeit beobachten, so werden wir finden, daß wir am besten und klarsten folgern, wenn wir nur auf den Zusammenhang des Beweises achten, ohne unsere Gedanken irgend einer Regel des Syllogismus anzupassen. Und wir können deshalb bemerken, daß es viele Menschen giebt, die ungemein klar und richtig folgern, ohne zu wissen wie ein Syllogismus gemacht wird. Wer sich in manchen Teilen von Asien und Amerika umsehen will, der wird finden, daß dort Menschen vielleicht ebenso scharf wie er selbst folgern, die doch niemals von einem Syllogismus gehört haben und keinen Beweis in dessen Form bringen können, und ich glaube kaum, daß irgend jemand Syllogismen macht, wenn er stillschweigend für sich Folgerungen zieht. Allerdings läßt sich der Syllogismus gelegentlich gebrauchen, um einen in einer rhetorischen Floskel verborgenen oder listig in einer glatten Periode verhüllten Trugschluß aufzudecken und eine Absurdität in ihrer nackten Häßlichkeit zu zeigen, indem man ihr den Deckmantel des Witzes und schöner Worte entzieht. Aber er zeigt die Schwäche oder das Trügerische solch einer losen Rede durch die künstliche Form, in die sie gebracht wird, nur denen, die gründlich Modi und Figuren der Schlüsse nach aristotelischer Logik. studiert und die mancherlei Arten, wie drei Sätze sich zusammenstellen lassen, dergestalt geprüft haben, daß sie wissen, welche derselben sicher zu einem richtigen Schluß führen und welche nicht, und aus welchen Gründen sie das thun. Alle, die den Syllogismus so genau betrachtet haben, daß sie den Grund davon einsehen, weshalb, wenn drei Sätze in der einen Form zusammengestellt werden, der Schluß gewiß richtig sein wird, in einer anderen aber nicht, die sind, wie ich zugebe, des Schlusses sicher, den sie aus den Vordersätzen in den schulgerechten Modi und Figuren ziehen. Aber die, welche sich mit diesen Formen nicht so genau vertraut gemacht haben, sind nicht kraft des Syllogismus davon überzeugt, daß der Schluß aus den Vordersätzen mit Sicherheit folge, sie nehmen nur aus blinder Zuversicht zu ihren Lehrern im Vertrauen auf jene Formen der Argumentation an, daß es sich so verhalte; das heißt aber immer nur glauben, nicht Gewißheit haben. Wenn nun unter allen Menschen die, welche Syllogismen machen können, im Vergleich mit denen, die es nicht können, außerordentlich wenige sind, und wenn sich unter den wenigen, die in der Logik unterrichtet worden, nur eine sehr kleine Zahl befindet, die mehr thut als bloß glauben, daß Syllogismen in den schulgerechten Modi und Figuren richtige Schlüsse ergeben, ohne dies sicher zu wissen; so folgt, falls die Syllogismen als das einzige eigentliche Werkzeug der Vernunft und Mittel des Wissens anzusehen sind, daß es vor Aristoteles auch nicht einen Menschen gegeben hat, der etwas vermöge der Vernunft wußte oder wissen konnte, und daß seit der Erfindung der Syllogismen auch nicht einer von zehntausend dazu imstande ist.
Aber Gott ist den Menschen gegenüber nicht so karg gewesen, daß er sie nur als zweibeinige Wesen geschaffen und es dem Aristoteles überlassen hätte, sie vernünftig zu machen, d. h. die wenigen von ihnen, die er dazu bringen konnte, die Gründe der Syllogismen dergestalt zu prüfen, daß sie einsahen, es gebe unter mehr als sechzig Arten, wie sich drei Sätze zusammenstellen lassen, nur ungefähr vierzehn, wobei man der Richtigkeit des Schlusses sicher sein könne, und auf welchen Gründen es beruhe, daß in diesen wenigen der Schluß sicher sei, in den anderen aber nicht. Gott ist gegen die Menschen gütiger gewesen als nur so weit. Er hat ihnen einen Geist gegeben, der folgern kann, ohne in den Methoden der Syllogismenbildung unterrichtet zu sein; der Verstand ist nicht darauf angewiesen, nach diesen Regeln zu denken, er besitzt von Natur die Fähigkeit, den Zusammenhang oder Nichtzusammenhang seiner Ideen wahrzunehmen, und kann sie richtig ordnen ohne solche verwirrende Wiederholungen. Ich sage dies nicht, um Aristoteles irgendwie zu verkleinern, den ich als einen der größten Männer des Altertums betrachte, dem wenige an Weite des Gesichtskreises, an Schärfe und Tiefe des Denkens und an Urteilskraft gleich gekommen sind, und der sich gerade auch durch diese Erfindung von Formen der Argumentation, in denen der Schluß sich als richtig gezogen nachweisen läßt, denen gegenüber ein großes Verdienst erwarb, die sich nicht schämten alles und jedes zu leugnen. Und ich gebe bereitwillig zu, daß jede richtige Schlußfolgerung sich auf seine Formen des Syllogismus zurückführen läßt. Gleichwohl meine ich, ohne ihn irgendwie zu verkleinern, daß sie weder die einzige noch die beste Art der Beweisführung sind, wenn es gilt, solche Personen zur Wahrheit zu führen, die sie zu finden willig sind und ihre Vernunft so gut wie möglich zu gebrauchen wünschen, um zur Erkenntnis zu gelangen. Und es ist klar, daß er selbst die Schlüssigkeit gewisser Formen und die Nichtschlüssigkeit anderer nicht vermittelst dieser Formen selbst entdeckte, sondern auf dem ursprünglichen Erkenntniswege, d. h. durch die sichtbare Übereinstimmung von Ideen. Wenn man einer Dame auf dem Lande sagt, der Wind sei Südwest und das Wetter trübe und zum Regen geneigt, so wird sie leicht einsehen, daß es für sie nicht unbedenklich sei, an einem solchen Tage nach einem Fieber in dünner Kleidung auszugehen; sie sieht deutlich den wahrscheinlichen Zusammenhang von allem Folgenden, nämlich: Südwestwind und Wolken, Regen, Naßwerden, Sicherkälten, Fieberrückfall und Todesgefahr, ohne diese Dinge in jenen künstlichen und beschwerlichen Fesseln einer Anzahl von Syllogismen miteinander zu verknüpfen, die den Geist belasten und hindern, der ohne sie leichter und schneller von dem einen zu dem anderen fortschreitet; und die Wahrscheinlichkeit, die sie aus den Dingen so in deren natürlicher Lage leicht erkennt, würde ganz verloren gehen, wenn die Begründung nach gelehrter Methode behandelt und in Modi und Figuren vorgetragen würde. Denn das bringt häufig den Zusammenhang in Verwirrung, und ich denke, bei mathematischen Beweisen wird jeder leicht bemerken, daß man zu der dadurch gewonnenen Einsicht am kürzesten und leichtesten ohne Syllogismen kommt.
Schlußfolgerungen werden als die Hauptthätigkeit der Vernunft betrachtet, und das sind sie, wenn sie in rechter Weise gemacht werden; wenn aber der Geist entweder sehr wißbegierig ist oder sehr zur Begünstigung einmal angenommener Meinungen geneigt, so ist er sehr schnell mit Schlußfolgerungen bei der Hand und übereilt sich deshalb häufig, bevor er den Zusammenhang der Ideen wahrnimmt, wodurch die Extreme miteinander verknüpft werden.
Schlüsse ziehen heißt nichts anderes als kraft eines als wahr zu Grunde gelegten Satzes einen anderen als wahr herbeiziehen, d. i. einen solchen Zusammenhang der beiden Ideen des gefolgerten Satzes erkennen oder für wahrscheinlich halten. »wie ihn der Satz angiebt«, ist wohl hinzuzudenken. Es sei z. B. der zu Grunde gelegte Satz: »die Menschen werden in jener Welt bestraft werden,« und aus ihm sei folgender abgeleitet: »also können die Menschen sich selbst bestimmen«; nun fragt sich: wie erkennt man, ob der Geist hiemit einen richtigen Schluß gezogen hat oder nicht? Wenn er ihn dadurch zustande gebracht hat, daß er die vermittelnden Ideen auffand und den Zusammenhang unter ihnen ins Auge faßte, nachdem sie gehörig geordnet waren, dann ist er vernünftig verfahren und hat einen richtigen Schluß gemacht. Wenn er ihn ohne einen solchen Überblick zustande gebracht hat, so hat er nicht sowohl einen haltbaren Schluß oder einen Schluß mit rechter Vernunft gezogen als vielmehr die Absicht zu erkennen gegeben, daß er ein solcher sein oder dafür gehalten werden solle. In keinem von beiden Fällen aber ist es der Syllogismus, wodurch jene Ideen entdeckt wurden oder ihr Zusammenhang gezeigt ward, denn sie müssen sowohl aufgefunden wie auch der Zusammenhang durchweg wahrgenommen sein, bevor sie vernunftgemäß zu einem Syllogismus verwendet werden können, falls sich nicht etwa behaupten läßt, daß jedwede Idee ohne Rücksicht darauf, welchen Zusammenhang sie mit den beiden anderen hat, deren Übereinstimmung durch sie gezeigt werden soll, in einem Syllogismus guten Dienst leisten werde, und aufs Geratewohl hin zum medius terminus genommen werden dürfe, um irgend einen Schluß zu beweisen. Das wird jedoch niemand behaupten wollen, weil nur vermöge der wahrgenommenen Übereinstimmung der vermittelnden Idee mit den Extremen auf die Übereinstimmung der Extreme geschlossen werden kann, und deshalb jede vermittelnde Idee derart sein muß, daß sie in der ganzen Kette einen sichtbaren Zusammenhang mit den beiden hat, zwischen die sie gestellt worden, weil anderenfalls der Schluß daraus nicht gefolgert oder gezogen werden könnte; denn überall, wo ein Glied der Kette lose und ohne Zusammenhang ist, da geht die ganze Stärke derselben verloren, und sie hat keine Kraft mehr, irgend etwas herbeizubringen oder heranzuziehen. Was zeigt in dem vorhin angeführten Beispiel die Kraft des Schlusses und folglich dessen Vernunftgemäßheit sonst als der Anblick des Zusammenhanges aller vermittelnden Ideen, die zu dem Schlusse oder dem gefolgerten Satze hinführen? Z. B. »die Menschen werden bestraft werden«, – »Gott bestraft sie«, – »die Strafe ist gerecht«, – »der Bestrafte schuldig«, – »er hätte anders handeln können«, – »Freiheit«, – »Selbstbestimmung«; durch diese Kette von Ideen, die so sichtbar in einem Zuge miteinander verbunden sind (d. h. so, daß jede vermittelnde Idee nach beiden Seiten hin mit den beiden übereinstimmt, wozwischen sie unmittelbar eingefügt ist), zeigen sich die Ideen von »Mensch« und »Selbstbestimmung« als zusammenhängend, d. i. der Satz: »die Menschen können sich selbst bestimmen,« ist aus dem: »sie werden in jener Welt bestraft werden,« abgeleitet oder gefolgert. Denn hier sieht der Geist den Zusammenhang zwischen »Mensch« und »Selbstbestimmung«, weil er den Zusammenhang erkennt, der zwischen der Idee einer Bestrafung des Menschen in jener Welt und der Idee eines strafenden Gottes, zwischen dem strafenden Gotte und der Gerechtigkeit der Strafe, zwischen der Gerechtigkeit der Strafe und der Schuld, zwischen der Schuld und dem Vermögen anders zu handeln, zwischen dem Vermögen anders zu handeln und der Freiheit, und zwischen der Freiheit und der Selbstbestimmung besteht.
Nun frage ich, ob die Verbindung der Extreme nicht in dieser einfachen und natürlichen Anordnung klarer erkannt wird, als in den verwickelten Wiederholungen und dem Gemenge von fünf oder sechs Syllogismen? Man verzeihe mir, wenn ich solange von einem Gemenge spreche, bis jemand diese Ideen in so viele Syllogismen bringen und dann behaupten wird, sie seien weniger vermengt und ihr Zusammenhang sei deutlicher, wenn sie umgestellt und wiederholt und in künstlichen Formen zu einer größeren Länge ausgesponnen werden, als in jener kurzen und natürlich einfachen Ordnung, wie sie hier niedergeschrieben worden, worin jedermann ihn (den Zusammenhang) sehen kann, und worin sie (die Ideen) gesehen werden müssen, bevor sie in eine Reihe von Syllogismen gebracht werden können. Denn die natürliche Ordnung der verknüpfenden Ideen muß die Ordnung der Syllogismen bestimmen, und man muß den Zusammenhang jeder vermittelnden Idee mit den von ihr verknüpften erkennen, bevor man sie vernünftigerweise in einem Syllogismus verwenden kann. Und wenn alle diese Syllogismen fertig sind, werden weder die in der Logik Geschulten noch die nicht darin Geschulten die Kraft der Argumentation, d. i. die Verbindung der Extreme auch nur um ein Jota besser wahrnehmen. Denn die, denen die Schulgelehrsamkeit fehlt, können, weil sie die wahren Formen der Syllogismen und deren Gründe nicht kennen, nicht wissen, ob sie in den rechten und schlüssigen Modi und Figuren gemacht sind oder nicht, und ihnen nützen also die Formen nichts, in die sie (die Ideen) gebracht worden, vielmehr wird die Folgerung weit unsicherer als ohne diese Formen, weil durch sie die natürliche Ordnung, worin der Geist die respektive Verknüpfung der Ideen Their respective connexion; d. h. die Verknüpfung jeder vermittelnden Idee mit den beiden nächsten. beurteilen konnte, gestört worden ist. Und was die Logiker selbst anbetrifft, so sehen sie den Zusammenhang jeder vermittelnden Idee mit denen, wozwischen sie steht (worauf die Kraft der Folgerung beruht), ebensogut, bevor wie nachdem der Syllogismus gemacht ist, oder aber sie sehen ihn überhaupt nicht. Denn ein Syllogismus zeigt weder die Verknüpfung zweier unmittelbar zusammengestellter Ideen, noch verstärkt erste, sondern er zeigt nur durch den unter ihnen wahrgenommenen Zusammenhang, in welcher Verbindung die Extreme miteinander stehen. Welchen Zusammenhang aber die vermittelnde Idee im Syllogismus mit jedem von den beiden Extremen hat, das zeigt kein Syllogismus und kann keiner zeigen. Das erkennt der Geist, Das erste only hinter mind ist zu streichen. wie sie da nebeneinander gebracht vor ihm stehen, lediglich durch sein eigenes Sehvermögen, dem die syllogistische Form, worin das zufällig der Fall ist, gar keine Hilfe und kein Licht gewährt; sie zeigt nur, daß, wenn die vermittelnde Idee mit denen übereinstimmt, auf die sie zu beiden Seiten unmittelbar angewandt ist, alsdann diese beiden voneinander entfernten oder – wie sie genannt werden – Extreme gewiß übereinstimmen, und deshalb ist der unmittelbare Zusammenhang jeder Idee mit der, auf welche sie nach beiden Seiten hin angewandt wird (worauf die Kraft der Schlußfolgerung beruht), ebensogut sichtbar, bevor der Syllogismus gemacht wird, wie nachher, sonst könnte der, welcher den Syllogismus macht, ihn überhaupt niemals erkennen. Dieser Zusammenhang wird, wie schon bemerkt worden, nur mit dem Auge oder dem Wahrnehmungsvermögen des Geistes erkannt, der sie (die Ideen) betrachtet, wie sie in einer Nebeneinanderstellung zusammengefügt sind, und der irgend welche zwei immer gleichermaßen so betrachten kann, wenn sie in irgend einem Satze miteinander verbunden sind, gleichviel ob dieser Satz als major oder minor in einem Syllogismus Platz gefunden hat oder nicht.
Wozu sind denn Syllogismen nützlich? Ich antworte: sie werden hauptsächlich und vornehmlich in den Schulen gebraucht, wo es gestattet ist, auch die offenkundigste Übereinstimmung von Ideen ungescheut zu bestreiten: oder außerhalb der Schulen gegen solche Leute, die in ihnen gelernt haben, ohne Scham den Zusammenhang von Ideen zu leugnen, der sogar für sie selber ersichtlich ist. Für einen aufrichtigen Forscher nach Wahrheit, der kein anderes Ziel hat als sie zu finden, bedarf es keiner solchen Form, um die Anerkennung der Folgerung zu erzwingen, deren Wahrheit und Vernunftmäßigkeit sich besser zeigt, wenn die Ideen in eine einfache und schlichte Ordnung gebracht werden; und daher kommt es, daß niemals jemand bei seinem eigenen Forschen nach der Wahrheit Syllogismen braucht, um sich selbst zu überzeugen, noch auch beim Unterricht anderer, um willige Schüler zu belehren; weil er, bevor er dieselben in einen Syllogismus bringen kann, den Zusammenhang erkennen muß, der zwischen der vermittelnden Idee und den beiden anderen Ideen besteht, zwischen die jene gestellt und auf die sie angewendet wird, um deren Übereinstimmung zu zeigen; und wenn er den erkennt, dann sieht er, ob die Folgerung schlüssig ist oder nicht, und der Syllogismus kommt also zu spät, um hierüber zu entscheiden. Denn um mich noch einmal des früheren Beispiels zu bedienen, so frage ich, ob nicht der Geist, wenn er die Idee der Gerechtigkeit betrachtet, wie sie als vermittelnde Idee zwischen die Bestrafung der Menschen und die Schuld der Bestraften gestellt ist (und ohne sie so betrachtet zu haben, kann der Geist sie nicht als medius terminus verwenden), die Kraft und Stärke der Folgerung ebenso klar einsieht, als wenn sie in die Form eines Syllogismus gebracht wird. Um dies an einem sehr einfachen und leichten Beispiel zu zeigen, möge animal die vermittelnde Idee oder der medius terminus sein, den der Geist gebraucht, um die Verknüpfung von homo mit vivens zu zeigen; dann frage ich, ob der Geist diese Verknüpfung nicht leichter und klarer bei der einfachen und eigentlich passenden Stellung der verbindenden Idee in der Mitte, nämlich so:
Homo Animal Vivens
erkennt, als bei der verwickelten Stellung:
Animal Vivens Homo Animal,
welche die Ideen in einem Syllogismus erhalten, um die Verknüpfung von homo mit vivens durch die Dazwischenkunft von animal zu zeigen.
Allerdings glaubt man, der Syllogismus sei auch für Freunde der Wahrheit ein notwendiges Hilfsmittel, um ihnen die Trugschlüsse zu zeigen, die oft in blumenreichen witzigen oder verwickelten Reden verborgen sind. Daß dies ein Irrtum ist, wird jedoch einleuchten, wenn wir erwägen, daß der Grund, weshalb mitunter aufrichtig nach der Wahrheit trachtende Menschen sich durch solche lockere und – wie sie genannt werden – rhetorische Vorträge täuschen lassen, darin liegt, daß sie, weil ihre Phantasie durch einige lebhafte bildliche Darstellungen aufgeregt wird, darauf zu achten versäumen oder nicht leicht bemerken, was die wahren Ideen sind, worauf die Schlußfolgerung beruht. Nun bedarf es, um solchen Menschen die Schwäche einer derartigen Argumentation zu zeigen, nichts weiter als diese der überflüssigen Ideen zu entkleiden, die mit denen, worauf der Schluß beruht, gemischt und vermengt einen Zusammenhang zu zeigen scheinen, wo keiner besteht, oder wenigstens die Entdeckung seines Mangels hindern, Statt to hinder lies hinder. und alsdann bloß die Ideen, worauf die Kraft der Argumentation beruht, in die richtige Ordnung zu bringen, so daß der Geist, wenn er sie in dieser Stellung überblickt, ihren Zusammenhang erkennt und dadurch in den Stand gesetzt ist, über die Schlußfolgerung zu urteilen, ohne überhaupt einen Syllogismus nötig zu haben.
Ich räume ein, daß in solchen Fällen gewöhnlich Modi und Figuren gebraucht werden, als ob die Enthüllung der Zusammenhangslosigkeit solcher losen Reden allein der syllogistischen Form zu verdanken sei, und ich selbst habe dies früher geglaubt, finde jedoch jetzt nach genauerer Untersuchung, daß die Zusammenhangslosigkeit der Argumentation sich besser zeigen läßt, wenn man die vermittelnden Ideen unverhüllt in richtiger Ordnung aneinander reiht, als durch Syllogismen, nicht nur, weil dabei jedes Glied der Kette dem geistigen Blicke unmittelbar an seinem eigentlichen Platze dargeboten wird, was die Wahrnehmung seiner Verbindungen am besten ermöglicht, sondern auch, weil der Syllogismus die Zusammenhangslosigkeit nur denen zeigt (und das ist nicht einer von zehntausend), die sich auf Modi und Figuren und die Gründe, worauf diese Formen sich stützen, vollkommen verstehen; wohingegen eine richtig geordnete Zusammenstellung der Ideen, woraus die Schlußfolgerung sich ergiebt, jedermann, er mag ein Logiker sein oder nicht, der die Ausdrücke versteht und die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung solcher Ideen wahrzunehmen vermag (und ohnedem kann er weder mit noch ohne Syllogismen die Kraft oder Schwäche, den Zusammenhang oder die Zusammenhangslosigkeit des Vortrags wahrnehmen), den Mangel an Schlüssigkeit in der Argumentation und die Ungereimtheit der Folgerung erkennen läßt.
Dies wird dadurch bestätigt, daß ich einen der Syllogismen ganz unkundigen Mann gekannt habe, der die Schwäche und Unschlüssigkeit eines langen künstlichen und plausiblen Vortrags, wodurch andere in Syllogismen besser Erfahrene verführt wurden, beim ersten Anhören wahrnehmen konnte, und ich glaube, unter meinen Lesern werden sich wenige befinden, die nicht auch solche Leute kennen. Und in der That, wenn es sich nicht so verhielte, so würden die Debatten in den Conseils der meisten Fürsten und die Geschäfte von Versammlungen Gefahr laufen, schlecht geführt zu werden, weil diejenigen, die dort am meisten Vertrauen und gewöhnlich großen Einfluß besitzen, nicht immer das gute Glück haben, in den Formen des Syllogismus vollständig bewandert oder in Modi und Figuren erfahren zu sein. Und wenn Syllogismen der einzige oder doch der sicherste Weg zur Aufdeckung der Trugschlüsse künstlicher Reden wären, so glaube ich nicht, daß alle Menschen und sogar Fürsten in Sachen, die ihre Kronen und Würden betreffen, so große Freunde der Falschheit und des Irrtums sein würden, daß sie es überall unterlassen hätten, bei wichtigen Debatten den Syllogismus anzuwenden, oder es für lächerlich gehalten hätten, bei folgenreichen Angelegenheiten seine Anwendung auch nur in Vorschlag zu bringen; was für mich klar beweist, daß Leute von Talent und Scharfblick, die nicht Muße hatten gemächlich zu disputieren, sondern nach dem Ergebnis ihrer Beratungen handeln sollten und für ihre Irrtümer oft mit ihrem Kopfe oder ihrem Vermögen büßen mußten, fanden, daß jene scholastischen Formen von geringem Nutzen seien um Wahrheit oder Falschheit zu entdecken, während beide, die eine wie die andere, denen, die sich nicht weigern würden, das ihnen sichtbarlich Gezeigte zu sehen, ohne sie gezeigt und besser gezeigt werden könnten.
Zweitens: Ein anderer Grund, der mich daran zweifeln läßt, ob der Syllogismus das einzige eigentliche Werkzeug der Vernunft bei der Entdeckung der Wahrheit sei, ist, daß, welchen Nutzen auch immer Modi und Figuren für die Nachweisung von Trugschlüssen haben sollen (der oben in Betracht gezogen ist), diese scholastischen Redeformen Täuschungen nicht weniger ausgesetzt sind als die einfacheren Wege der Beweisführung; und hiefür berufe ich mich auf die gemeine Erfahrung, die immer diese künstlichen Methoden der Folgerung als mehr dazu geeignet befunden hat, den Geist (wie in einem Netze) zu fangen und zu verwickeln, als den Verstand zu unterrichten und zu belehren. Daher kommt es, daß die Menschen, auch wenn sie auf diesem scholastischen Wege verdutzt gemacht und zum Schweigen gebracht sind, doch selten oder niemals überzeugt und für die siegreiche Seite gewonnen werden. Sie erkennen vielleicht ihren Gegner als den geschickteren Disputanten an, bleiben aber gleichwohl bei der Ansicht, daß die Wahrheit auf ihrer Seite sei, und gehen, besiegt wie sie sind, mit derselben Meinung davon, womit sie gekommen waren, was sie nicht thun könnten, wenn diese Art der Beweisführung Licht und Überzeugung mit sich brächte, und den Menschen die Augen dafür öffnete, wo die Wahrheit liege; und deshalb steht der Syllogismus in dem Rufe, daß er sich besser dazu eigne, in einer Disputation den Sieg zu erringen, als bei redlichen Untersuchungen die Wahrheit zu entdecken oder zu bestätigen. Und wenn es gewiß ist – wie sich nicht leugnen läßt – daß Trugschlüsse in Syllogismen eingehüllt werden können, so muß das Mittel solche zu entdecken in etwas anderem als dem Syllogismus bestehen.
Die Erfahrung hat mich darüber belehrt, wie bereit gewisse Leute sind, wenn nicht der ganze Nutzen, den sie einer Sache zuzuschreiben pflegen, ihr zugestanden wird, ein Geschrei darüber zu erheben, daß ich sie völlig beiseite legen wolle. Um jedoch solchen ungerechten und grundlosen Beschuldigungen vorzubeugen, sage ich ihnen, daß ich nicht dafür bin, dem Verstande irgend welche Hilfsmittel für die Erlangung von Kenntnissen zu entziehen. Und wenn Leute, die in Syllogismen geschickt und an sie gewöhnt sind, finden, daß diese ihrer Vernunft zur Entdeckung der Wahrheit Beistand leisten, so meine ich, daß sie sich derselben bedienen sollen. Was ich im Auge habe, ist nur, daß sie diesen Formen nicht mehr zuschreiben sollen, als ihnen zukommt, und denken, daß die Menschen von ihrem Vermögen der Schlußfolgerung ohne sie keinen oder keinen vollen Gebrauch machen könnten. Einige Augen haben eine Brille nötig, um die Dinge klar und deutlich zu sehen, aber die, welche sie gebrauchen, dürfen nicht deshalb behaupten, daß niemand ohne Brille deutlich sehen könne; wenn sie das thun, so wird man glauben, daß sie zum Besten einer Kunst (der sie vielleicht sich gewidmet haben) die Natur ein wenig zu sehr hinabdrücken und diskreditieren. Wo die Vernunft stark und geübt ist, da sieht sie vermöge ihres eigenen Scharfblicks gewöhnlich schneller und klarer ohne Syllogismen. Wenn der Gebrauch dieser Brille ihre Augen so getrübt hat, daß sie ohnedem nicht sehen kann, ob eine Argumentation folgerichtig sei oder nicht, so bin ich nicht so unvernünftig, mich gegen deren Gebrauch zu erklären. Ein jeder weiß, was ihm am besten zum Sehen dient, er darf aber daraus nicht den Schluß ziehen, daß alle sich im Dunklen befinden, die nicht dieselben Hilfsmittel gebrauchen, die er für nötig findet.
§ 5. Er nützt wenig beim Beweise, noch weniger bei dem Wahrscheinlichkeitsurteil. – Wie es sich aber auch immer mit dem Wissen verhalten möge, so denke ich doch mit Sicherheit behaupten zu dürfen, daß er (der Syllogismus) bei Wahrscheinlichkeitsurteilen noch viel weniger oder gar nichts nützt. Denn, da hier der Beifall sich nach dem Übergewicht bestimmen soll, was sich aus der gehörigen Abwägung aller Beweisgründe auf beiden Seiten mit allen Nebenumständen ergiebt, so ist nichts so ungeeignet dafür, dem Geiste hiebei behilflich zu sein, wie der Syllogismus, der mit einer angenommenen Wahrscheinlichkeit oder einem topischen Argument D. i. einem für ein bestimmtes Wissensgebiet vermeintlich allgemein anerkannten Satze. seinen Lauf beginnt, und diese so lange verfolgt, bis er den Geist ganz aus dem Gesichtskreise des zu betrachtenden Dinges hinausgeführt hat, wo er ihn auf eine weit abliegende Schwierigkeit hindrängt und in der Kette von Syllogismen verwickelt – vielleicht gleichsam mit Handschellen gefesselt – festhält, ohne ihm die Freiheit zu lassen geschweige denn den Beistand zu gewähren, die erforderlich sind, um zu zeigen, auf welcher Seite alles wohl erwogen die größere Wahrscheinlichkeit liegt.
§ 6. Er dient nicht zur Vermehrung unseres Wissens, sondern um damit zu fechten. – Mag er uns aber auch (wie sich vielleicht behaupten ließe) dazu helfen, die Menschen von ihren Irrtümern und Mißgriffen zu überzeugen (obwohl ich noch den Menschen sehen möchte, der durch die Kraft von Syllogismen gezwungen wäre, seine Meinung aufzugeben), so läßt er unsere Vernunft doch bei der Angelegenheit im Stich, die, wenn auch nicht deren höchste Vollkommenheit, doch sicherlich ihr schwierigstes Unternehmen und dasjenige ist, wobei wir am meisten Hilfe nötig haben, nämlich bei dem Auffinden von Beweisgründen und dem Gelangen zu neuen Entdeckungen. Die Regeln des Syllogismus dienen nicht dazu, den Geist mit den vermittelnden Ideen zu versehen, die den Zusammenhang entfernter zeigen können. Diese Weise der Schlußfolgerung entdeckt keine neuen Beweisgründe, sondern ist nur die Kunst, die alten, die wir schon haben, zu ordnen und in Reih und Glied zu stellen. Der siebenundvierzigste Satz im ersten Buche des Euklid ist sehr wahr, seine Entdeckung ist aber, wie ich meine, keiner von den Regeln der gemeinen Logik zu verdanken. Erst sieht jemand etwas ein, und dann ist er imstande es syllogistisch zu beweisen; der Syllogismus folgt also der Erkenntnis nach, und dann bedarf man seiner kaum noch oder überhaupt nicht mehr. Durch die Auffindung von Ideen, die den Zusammenhang entfernter zeigen, wird aber hauptsächlich unser Wissensvorrat vermehrt und die Förderung nützlicher Künste und Wissenschaften bewirkt. Der Syllogismus ist bestenfalls die Kunst, mit dem geringen Wissen, was wir haben, zu fechten, ohne ihm irgend etwas hinzuzufügen, und wenn jemand seine Vernunft lediglich auf diese Weise gebrauchen wollte, so würde er ungefähr ebenso handeln wie jemand, der eine aus dem Innern der Erde gewonnene Quantität Eisen nur zu Schwertern verarbeiten ließe und diese seinen Dienern in die Hände gäbe, um damit zu fechten und einander durchzubläuen. Hätte der König von Spanien die Hände seines Volkes und sein spanisches Eisen so angewandt, so würde er nur wenig von den Schätzen, die so lange in dem Boden Amerikas verborgen lagen, an das Tageslicht gebracht haben. Und ich bin zu dem Gedanken geneigt, daß, wer alle Kraft seiner Vernunft nur zum Schwingen von Syllogismen in brandishing of syllogisms; der Syllogismus ist gleichsam das Schwert des logischen Fechters. anwenden wollte, sehr wenig aus der Menge von Kenntnissen entdecken würde, die noch in den geheimen Tiefen der Natur verborgen liegen, und die meiner Meinung nach der angeborene Bauernverstand (wie er früher schon gethan hat) viel eher zugänglich machen und dem gemeinsamen Stammkapital der Menschheit hinzufügen wird, als irgend ein scholastisches Verfahren nach der strengen Regel von Modi und Figuren.
§ 7. Andere Hilfsmittel müssen aufgesucht werden. – Gleichwohl bezweifle ich nicht, daß sich Wege finden lassen, um unserer Vernunft auf diesem nützlichsten Felde zu Hilfe zu kommen, und zu dieser Äußerung ermutigt mich der scharfsinnige Hooker, der in seiner Eccl. Pol. l.1, § 6 sagt: »Wenn die richtigen Hilfsmittel wahrer Kunst und Gelehrsamkeit hinzukämen (Hilfsmittel, wovon, wie ich offen gestehen muß, dieses Zeitalter der Welt, was den Namen eines gelehrten Zeitalters führt, nicht viel weiß, und auf die es im allgemeinen auch wenig achtet), so würde ohne Zweifel hinsichtlich der Reife des Urteils ein fast ebenso großer Unterschied zwischen den damit vertrauten Menschen und den Menschen, wie sie jetzt sind, bestehen wie zwischen den letzteren und einfältigen Leuten.« Ich beanspruche nicht, hier irgend welche von den richtigen Hilfsmitteln der Kunst gefunden oder entdeckt zu haben, die jener große und tiefdenkende Mann erwähnt; so viel ist jedoch klar, daß der Syllogismus und die jetzt gebräuchliche Logik, die in seinen Tagen ebensogut bekannt waren, nicht zu den von ihm gemeinten gehören. Mir genügt es, wenn ich durch eine vielleicht nicht ganz zur Sache gehörige, für mich wenigstens völlig neue und unerborgte Ausführung anderen Gelegenheit gegeben habe, auf neue Entdeckungen zu sinnen, und in ihren eigenen Gedanken nach jenen richtigen Hilfsmitteln der Kunst zu suchen, die sich, wie ich fürchte, kaum von solchen werden finden lassen, die sich selbst sklavisch auf die Regeln und Vorschriften anderer beschränken. Denn vielbetretene Pfade leiten diese Art von Vieh (wie ein aufmerksamer Römer sie nennt), deren Gedanken sich nur bis zur Nachahmung erstrecken, non quo eundum est, sed quo itur. Ich darf jedoch kühn behaupten, daß dieses Zeitalter mit einigen Männern von solcher Kraft des Urteils und solcher Weite des Fassungsvermögens geziert ist, daß sie, wenn sie ihre Gedanken diesem Thema zuwenden wollten, neue und unbekannte Wege zur Förderung des Wissens eröffnen könnten.
§ 8. Unsere Schlußfolgerungen betreffen einzelne Dinge. – Da ich hier Gelegenheit gehabt habe, von dem Syllogismus im allgemeinen und seinem Nutzen für Schlußfolgerungen und die Vermehrung unseres Wissens zu sprechen, so scheint es mir, bevor ich diesen Gegenstand verlasse, angemessen, auf einen offenbaren Irrtum in den Regeln des Syllogismus aufmerksam zu machen, nämlich, daß keine syllogistische Folgerung richtig und schlüssig sein könne, die nicht wenigstens einen allgemeinen Satz enthalte. Als ob wir über einzelne Dinge keine Schlüsse ziehen, und kein Wissen von ihnen haben könnten, Das folgt gar nicht aus jener Regel. Wenn auch im Obersatz Subjekt und Prädikat allgemeine Begriffe sein müssen (z. B. alle Menschen sind sterblich), so kann deshalb doch sowohl im Untersatz wie im Schlußsatz (Cajus ist ein Mensch, also ist Cajus sterblich) das Subjekt ein Individuum sein. während in Wahrheit, wenn wir die Sache recht betrachten, das unmittelbare Objekt aller unserer Schlüsse und unseres Wissens nur einzelne Dinge sind. Die Schlüsse und das Wissen jedes Menschen beziehen sich nur auf die in seinem eigenen Geiste vorhandenen Ideen, die in der That Stück für Stück einzelne Existenzen sind, D. h. jedesmal, wenn sie im Bewußtsein aktuell auftreten; aber als solche von Zeit zu Zeit stattfindende psychische Vorgänge kommen sie hier nicht in Betracht, sondern nur nach ihrem sich stets gleichbleibenden Inhalt. und in betreff anderer Dinge giebt es für uns ein Wissen und Folgern nur insoweit, wie es mit dem auf unsere partikularen Ideen bezüglichen übereinstimmt, so daß die Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer partikularen Ideen den ganzen Bestand unseres Wissens in dessen äußerstem Umfang ausmacht. Allgemeinheit kommt demselben nur beiläufig zu, und besteht nur darin, daß die partikularen Ideen, wobei sie stattfindet, derartig sind, daß mehr als ein einzelnes Ding jeder von ihnen entsprechen und durch sie repräsentiert werden kann. Mehr als eine solche Allgemeinheit wird auch durch den obigen Satz der Syllogistik nicht gefordert. Die Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen und folglich unser Wissen ist aber gleichermaßen klar und gewiß, mag nur eine, oder mögen beide, oder mag keine derselben fähig oder nicht fähig sein, mehr reale Dinge als eines zu repräsentieren. Aber wir können nicht immer aus zwei Sätzen, von denen jeder für sich klar und gewiß ist, einen dritten syllogistisch ableiten. Noch eine Bemerkung erlaube ich mir über den Syllogismus zu machen, bevor ich ihn verlasse, nämlich ob man es nicht mit gutem Grunde bezweifeln könnte, daß die bis jetzt herkömmliche Form desselben die sei, welche er vernünftigerweise haben müßte. Denn würde nicht, da der terminus medius die Extreme verknüpfen, d. h. da die vermittelnde Idee durch ihre Dazwischenkunft die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der beiden in Frage stehenden zeigen soll, die Stellung des medius terminus natürlicher sein und die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Extreme klarer und besser zeigen, wenn er mitten zwischen sie gestellt würde, was leicht geschehen könnte, wenn man die Sätze umstellte, und den medius terminus zum Prädikat des ersten und zum Subjekt des zweiten machte; wie z. B.:
Omnis homo est animal. Omne animal est vivens. Ergo, omnis homo est vivens.
Omne corpus est extensum et solidum. Nullum extensum et solidum est pura extensio. Ergo, corpus non est pura extensio.
Ich brauche meine Leser nicht mit Beispielen von Syllogismen zu belästigen, deren Schlußsätze partikular sind; derselbe Grund spricht bei ihnen so gut wie bei den generellen für dieselbe Form.
§ 9. Die Vernunft versagt uns erstens aus Mangel an Ideen. – Obgleich die Vernunft in die Tiefen des Meeres und der Erde eindringt, unsere Gedanken bis zu der Höhe der Sterne erhebt und uns durch die unermeßlichen Fernen und weiten Räume dieses gewaltigen Gebäudes führt, so bleibt sie doch weit hinter der wirklichen Ausdehnung auch nur der Körperwelt zurück, und es giebt viele Beispiele, worin sie uns versagt.
I. So läßt sie uns völlig im Stich, wo unsere Ideen ausgehen. Sie reicht weder weiter noch kann sie weiter reichen als diese, und deshalb hören unsere Folgerungen überall auf und wir sind mit unserer Rechnung zu Ende, wo wir keine Ideen mehr haben, und immer, wenn wir über Wörter, die keine Ideen vertreten, räsonnieren, dann geschieht das nur über deren Laute und nichts weiter.
§ 10. Zweitens wegen der Dunkelheit und Unvollkommenheit unserer Ideen. – II. Unsere Vernunft gerät oft in Verwirrung und Verlegenheit wegen der Dunkelheit, Konfusion oder der Unvollkommenheit der Ideen, womit sie sich beschäftigt, und wir verwickeln uns dann in Schwierigkeiten und Widersprüche. So sind wir über die Teilbarkeit der Materie im Ungewissen, da wir von der geringsten Ausdehnung derselben und von der Unendlichkeit keine vollständigen Ideen haben; weil wir dagegen von der Zahl vollkommene, klare und deutliche Ideen haben, so stößt unsere Vernunft bei den Zahlen auf keine dieser unlösbaren Schwierigkeiten, und findet sich hinsichtlich ihrer in keine Widersprüche verwickelt. So geraten wir ferner, weil wir von den Thätigkeiten unseres eigenen Geistes und von dem Beginn der Bewegung oder des Gedankens, wie der Geist diese in uns hervorruft, nur unvollkommene Ideen haben, und noch unvollkommenere von der Wirkungsweise Gottes, in große Schwierigkeiten hinsichtlich frei handelnder Geschöpfe, aus denen die Vernunft sich selber nicht wohl herauswinden kann.
§ 11. Drittens aus Mangel an vermittelnden Ideen. – III. Unsere Vernunft gerät oft in Stillstand, weil sie die Ideen nicht wahrnimmt, die dazu dienen könnten, um die gewisse oder wahrscheinliche Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von irgend einem Paar anderer Ideen zu zeigen; und hierin übertreffen die Fähigkeiten einiger Menschen bei weitem die anderer. Bevor die Algebra, dieses große Werkzeug und Beispiel menschlichen Scharfsinns erfunden war, blickten die Menschen mit Erstaunen auf einige der Demonstrationen alter Mathematiker, und konnten sich kaum des Gedankens enthalten, daß die Auffindung einiger dieser Beweise etwas Übermenschliches sei.
§ 12. Viertens, wegen falscher Prinzipien. – IV. Durch ein Vorgehen auf Grund falscher Prinzipien wird der Geist oft in Ungereimtheiten und Schwierigkeiten verwickelt, in die Enge und in Widersprüche getrieben, ohne zu wissen, wie er sich daraus frei machen solle; und in diesem Falle ist es vergeblich, die Vernunft um Hilfe anzurufen, es wäre denn, damit sie den Irrtum aufdecke und den Einfluß jener falschen Prinzipien beseitige. Die Vernunft ist soweit davon entfernt die Schwierigkeiten zu lösen, worin jemand gerät, der auf falschen Grundlagen baut, daß sie ihn, wenn er darin fortfährt, nur noch mehr verwickelt und tiefer in die Verlegenheiten hineinführt.
§ 13. Fünftens, wegen zweifelhafter Ausdrücke. – V. Wie dunkle und unvollkommene Ideen unsere Vernunft oft verwirren, ebenso und aus demselben Grunde setzen zweifelhafte Wörter und unsichere Bezeichnungen oft in Reden und Schlußfolgerungen, wenn nicht behutsam auf sie geachtet wird, die menschliche Vernunft in Verlegenheit und bringen sie zu einem Nichtweiter. Indessen sind letztere beiden unser Fehler und nicht ein Fehler der Vernunft. Gleichwohl liegen ihre Folgen auf flacher Hand, und die Verwirrungen oder Irrtümer, womit sie den menschlichen Geist erfüllen, lassen sich überall wahrnehmen.
§ 14. Die höchste Stufe unserer Erkenntnis ist die intuitive ohne Schlußfolgerung. – Einige der in unserem Bewußtsein enthaltenen Ideen sind dort in solcher Weise, daß sie sich unmittelbar miteinander vergleichen lassen, und bei diesen kann der Geist ebenso klar wahrnehmen, daß sie übereinstimmen oder nicht übereinstimmen, wie daß er sie hat. So sieht der Geist ebenso deutlich, daß ein Kreisbogen weniger ist als der ganze Kreis, wie er die Idee des Kreises auffaßt, und ich nenne deshalb, wie schon gesagt worden, diese Erkenntnis die anschauliche (intuitive); sie ist zweifellos gewiß und bedarf keines Beweises, läßt auch keinen zu, da sie die höchste dem Menschen mögliche Gewißheit giebt. Darin besteht die Augenscheinlichkeit aller Axiome, die niemand bezweifelt, vielmehr jeder als wahr erkennt (und denen er nicht bloß, wie man sagt, beistimmt), sobald sie jemals seinem Verstande vorgelegt werden. Bei der Entdeckung und Genehmigung dieser Wahrheiten kommt das diskursive Denken nicht zur Anwendung und bedarf es keiner Schlußfolgerung, vielmehr werden sie durch einen vorzüglicheren und höheren Grad von Augenscheinlichkeit erkannt. Und wenn ich über unbekannte Dinge eine Vermutung äußern darf, so bin ich geneigt zu denken, daß einen solchen Grad des Wissens die Engel gegenwärtig haben mögen, und die zur Vollendung gelangten Geister ( spirits) gerechter Menschen in einem künftigen Zustande von Tausenden von Dingen haben werden, die sich jetzt unserer Auffassung entweder ganz entziehen, oder nach denen wir im Dunklen umhertappen, da unsere kurzsichtige Vernunft einen schwachen Schimmer davon empfangen hat.
§ 15. Die nächste ist der Beweis durch Schlußfolgerung. – Obgleich uns aber hier und da ein wenig von diesem klaren Lichte zukommt, einige Funken hellen Wissens, so ist doch der größte Teil unserer Ideen derartig, daß wir ihre Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung nicht durch unmittelbare Vergleichung erkennen können. Und bei allen diesen bedürfen wir des vernünftigen Denkens und müssen unsere Entdeckungen durch Erörterung und Schlußfolgerung machen. Hievon giebt es zwei Arten, die ich mir die Freiheit nehmen werde hier nochmals zu erwähnen.
Erstens diejenigen, deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, wenn sie sich auch nicht durch unmittelbare Zusammenstellung erkennen läßt, doch durch die Dazwischenkunft anderer Ideen, die sich mit ihnen vergleichen lassen, untersucht werden kann. Wenn in diesem Falle die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der vermittelnden Ideen mit denen, die wir vergleichen wollen, nach beiden Seiten hin klar erkennbar ist, dann läuft die Untersuchung auf eine Demonstration hinaus, die ein Wissen zuwege bringt, was zwar sicher, aber doch nicht so leicht noch auch ganz so klar ist wie das intuitive Wissen. Denn dieses besteht nur in einer einfachen Anschauung, die auch nur für den geringsten Irrtum oder Zweifel keinen Raum übrig läßt; die Wahrheit wird auf einmal ganz vollständig erblickt. Die Demonstration enthält zwar auch Anschauung, aber nicht ganz auf einmal, denn von der Anschauung der Übereinstimmung des Mediums oder der vermittelnden Idee mit derjenigen, womit sie zuerst verglichen ward, muß eine Erinnerung vorhanden sein, wenn wir sie mit der anderen vergleichen; und wo die vermittelnden Ideen zahlreich sind, da ist die Gefahr eines Irrtums um so größer. Denn jede Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Ideen muß die ganze Reihe hindurch bei jedem Schritte beobachtet und wahrgenommen und gerade so, wie sie ist, im Gedächtnis behalten werden, und der Geist muß dessen gewiß sein, daß von dem zur Vollendung des Beweises Notwendigen kein Stück ausgelassen oder übersehen ist. Das macht manche Beweise lang und verwickelt und zu schwer für solche, deren Fähigkeiten nicht stark genug sind, um so viele Einzelheiten deutlich aufzufassen und geordnet im Kopfe zu behalten. Und selbst diejenigen, die imstande sind, solche intrikate Gedankenarbeit zu bemeistern, sind genötigt, sie mehrmals zu wiederholen, und es bedarf mehr als einer Revision, bevor sie zur Gewißheit gelangen können. Gleichwohl ist dort, wo der Geist die Anschauung, die er von der Übereinstimmung einer Idee mit einer anderen und dieser mit einer dritten und dieser mit einer vierten etc. hatte, klar festhält, für die Übereinstimmung der ersten und der vierten ein Beweis gegeben, der ein sicheres Wissen erzeugt, was man vernunftmäßiges Wissen nennen mag, wie das andere intuitives Wissen heißt.
§ 16. Um dessen Beschränktheit zu ergänzen, haben wir nur das Urteil nach Wahrscheinlichkeitsgründen. – Zweitens giebt es andere Ideen, deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung sich nur durch die Vermittelung solcher anderen beurteilen läßt, die keine gewisse, sondern nur eine gewöhnliche oder wahrscheinliche Übereinstimmung mit den Extremen haben, und bei diesen kommt die Urteilskraft eigentlich zur Anwendung, die darin besteht, daß der Geist sich bei der Annahme der Übereinstimmung zweier Ideen beruhigt, nachdem er sie mit solchen wahrscheinlichen Mittelgliedern verglichen hat. Obwohl dies niemals dem Wissen auch nicht einmal dessen unterster Stufe gleichkommt, so verknüpfen doch zuweilen die vermittelnden Ideen die Extreme so fest miteinander, und die Wahrscheinlichkeit ist so klar und stark, daß der Beifall so notwendig erfolgt, wie die Erkenntnis auf den Beweis. Die vorzugsweise Güte und Nützlichkeit der Urteilskraft zeigt sich darin, daß man richtig beobachtet und die Kraft und das Gewicht jeder Wahrscheinlichkeit zutreffend abschätzt und dann, nachdem man alle zusammen gehörig in Rechnung gestellt hat, die Seite wählt, auf der sich das Übergewicht befindet.
§ 17. Intuition, Demonstration und Wahrscheinlichkeitsurteil. – Intuitives Wissen ist die Wahrnehmung der gewissen Übereinstimmung zweier unmittelbar miteinander verglichener Ideen.
Vernunftmäßiges Wissen ist die Wahrnehmung der gewissen Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen durch die Dazwischenkunft einer oder mehrer anderer Ideen.
Das Wahrscheinlichkeitsurteil besteht darin, daß man die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen sich denkt oder annimmt mit Hilfe einer oder mehrer vermittelnden Ideen, deren gewisse Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit jenen man nicht wahrnimmt, aber doch als häufig und gewöhnlich vorkommend beobachtet hat.
§ 18. Folgerungen aus Worten und Folgerungen aus Ideen. – Obgleich die Ableitung eines Satzes aus einem anderen oder die Schlußfolgerung in Worten einen großen Teil des vernünftigen Denkens ausmacht und die Vernunft gewöhnlich damit beschäftigt ist, so ist es doch die Hauptaufgabe des Vernunftgebrauches, die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Ideen miteinander durch die Dazwischenkunft einer dritten aufzufinden, wie jemand mit Hilfe einer Elle ermittelt, daß zwei Häuser gleiche Länge haben, die sich nicht zusammenbringen lassen, um ihre Gleichheit durch Nebeneinanderstellung auszumessen. Aus Wörtern ergeben sich Folgerungen, insofern sie Ideen bezeichnen, und die Dinge stimmen überein oder nicht überein, je nachdem sie wirklich beschaffen sind, aber wir beobachten dies nur vermittelst unserer Ideen.
§ 19. Vier Arten der Begründung. – Bevor wir diesen Gegenstand verlassen, mag es wohl der Mühe wert sein, einen kurzen Blick auf vier Arten der Begründung zu werfen, deren sich die Menschen bei ihren Verhandlungen mit anderen gewöhnlich bedienen, um ihren Beifall zu erhalten oder ihnen wenigstens insoweit Furcht einzuflößen, daß ihr Widerspruch zum Schweigen gebracht wird.
Erstens ad verecundiam. – I. Die erste besteht darin, die Meinungen von Menschen anzuführen, denen Statt whose lies whom oder to whom. Talente, Gelehrsamkeit, hoher Rang, Macht oder eine andere Ursache einen Namen verschafft haben, und deren Ruf dadurch in der öffentlichen Meinung mit einer Art von Autorität feststeht. Wenn Personen in irgend welche Art von Würde eingesetzt sind, so gilt es bei anderen als ein Mangel von Bescheidenheit, derselben irgendwie Abbruch zu thun und die Autorität derjenigen, die sie besitzen, in Frage zu ziehen. Es pflegt als ein Zeichen von Hochmut getadelt zu werden, wenn jemand nicht bereitwillig vor der Entscheidung anerkannter Autoren zurückweicht, die von anderen regelmäßig mit Achtung und Unterwürfigkeit aufgenommen wird, und es wird als Anmaßung angesehen, gegen die mächtige Strömung der Vorzeit eine eigene Meinung aufzustellen und festzuhalten, oder diese gegen die eines gelehrten Doktors oder sonst anerkannten Schriftstellers in die Wagschale zu werfen. Jeder, der seine Behauptungen auf solche Autoritäten stützen kann, meint, daß ihm deshalb der Sieg zufallen müsse, und ist bereit, jeden, der sich ihnen widersetzen sollte, der Unverschämtheit zu beschuldigen. Dies, denke ich, könnte argumentum ad verecundiam genannt werden.
§ 20. Zweitens ad ignorantiam. – II. Ein anderer Weg, dessen sich die Menschen gewöhnlich bedienen, um andere in die Enge zu treiben und sie zur Unterordnung ihres Urteils und zur Annahme der bestrittenen Meinung zu nötigen, ist, daß sie den Gegner auffordern, entweder ihren Beweis gelten zu lassen oder einen besseren dagegen vorzubringen. Und den nenne ich argumentum ad ignorantiam.
§ 21. Drittens ad hominem. – III. Ein dritter Weg besteht darin, jemanden mit Folgerungen zu bedrängen, die aus seinen eigenen Prinzipien oder Zugeständnissen gezogen sind. Dieser ist schon unter dem Namen argumentum ad hominem Wohl eher unter dem Namen argumentum ad absurdum, während das argumentum ad hominem darin besteht, dem Gegner zu zeigen, daß die Ansicht, der er beipflichten soll, seinem eigenen persönlichen Interesse entspreche. bekannt.
§ 22. Viertens ad judicium. – IV. Die vierte Art ist die Benutzung von Beweisen, die aus einer der Grundlagen des Wissens oder der Wahrscheinlichkeit entnommen sind. Diese nenne ich argumentum ad judicium. Sie allein von allen vieren bringt wahre Belehrung mit sich und fördert uns auf unserem Wege zur Erkenntnis. Denn 1. Es folgt nicht, daß die Meinung eines anderen richtig sei, weil ich aus Achtung oder irgend welcher anderen Erwägung als der des Überzeugtseins ihm nicht widersprechen will. 2. Es beweist nicht, daß sich jemand anders auf dem rechten Wege befinde, und daß ich ihm dahin folgen müsse, weil ich keinen bessern weiß. 3. Auch ergiebt sich nicht, daß ein anderer sich auf dem rechten Wege befinde, weil er mir gezeigt hat, daß ich fehl gehe. Ich mag bescheiden sein und deshalb der Überzeugung eines anderen nicht entgegentreten, ich mag unwissend sein und keinen besseren Beweis zu liefern vermögen, ich mag mich irren und ein anderer mir meinen Irrtum nachweisen: – das macht mich vielleicht für die Aufnahme der Wahrheit empfänglich, verhilft mir aber nicht zu ihr; dazu kann ich nur gelangen durch Beweise und Gründe und das aus der Natur der Dinge selbst aufgehende Licht, nicht aber durch meine Blödigkeit, meine Unwissenheit oder meinen Irrtum.
§ 23. Über, zuwider und gemäß der Vernunft. – Nach dem, was vorhin von der Vernunft gesagt worden ist, dürften wir imstande sein, uns über die Unterscheidung der Dinge in solche, die der Vernunft gemäß, die über ihr und die ihr zuwider sind, eine Meinung zu bilden. 1. Der Vernunft gemäß sind solche Sätze, deren Wahrheit wir durch die Untersuchung und Verfolgung der Ideen entdecken können, die wir durch Sinneswahrnehmung und Selbstbeobachtung gewonnen haben, und die wir vermittelst natürlicher Ableitung als wahr oder wahrscheinlich erkennen. 2. Über der Vernunft sind solche Sätze, deren Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit wir nicht durch die Vernunft aus diesen Quellen ableiten können. 3. Der Vernunft zuwider sind solche Sätze, die mit unsern klaren und deutlichen Ideen nicht zusammen bestehen oder nicht vereinigt werden können. So ist das Dasein eines Gottes der Vernunft gemäß, das Dasein mehrer Götter der Vernunft zuwider, die Auferstehung der Toten über der Vernunft. Ferner, da »über der Vernunft« in einem doppelten Sinne verstanden werden kann, nämlich insofern es entweder »über der Wahrscheinlichkeit« oder »über der Gewißheit« bedeutet, so wird auch, glaube ich, »der Vernunft zuwider« zuweilen in jenem weiteren Sinne verstanden.
§ 24. Vernunft und Glaube sind keine Gegensätze. – Es giebt noch einen anderen Gebrauch des Wortes Vernunft, wobei sie dem Glauben entgegengesetzt wird. Das ist zwar an und für sich eine sehr unpassende Ausdrucksweise, aber der gemeine Gebrauch hat ihr solche Berechtigung verliehen, daß es thöricht sein würde, sich ihr zu widersetzen oder ihre Abstellung für möglich zu halten; indessen wird doch, denke ich, die Bemerkung am Platze sein, daß, wie auch immer der Glaube der Vernunft entgegengesetzt werden möge, er nichts anderes ist als eine feste Zustimmung unseres Geistes, die, wenn sie pflichtmäßig geregelt wird, nur auf guten Grund (reason) hin für etwas gegeben werden darf, und somit der Vernunft (reason) nicht zuwider sein kann. Wer glaubt ohne einen Grund dafür zu haben, mag in seine eigenen Einbildungen verliebt sein, aber er forscht weder nach der Wahrheit, noch zeigt er den gebührenden Gehorsam gegen seinen Schöpfer, nach dessen Willen er das ihm zur Vermeidung von Mißgriffen und Irrtümern verliehene Erkenntnisvermögen gebrauchen sollte. Wer dies nicht nach besten Kräften thut, ist, wenn er auch zuweilen auf die Wahrheit stößt, nur zufällig im Rechten, und ich weiß nicht, ob der glückliche Zufall der Ordnungswidrigkeit seines Verhaltens zur Entschuldigung gereichen wird. So viel wenigstens ist gewiß, daß er für alle Irrtümer, in die er gerät, verantwortlich sein muß; wohingegen, wer das Licht und die Fähigkeiten, die Gott ihm gegeben hat, gebraucht, und mit den Hilfsmitteln und Kräften, die er besitzt, aufrichtig die Wahrheit zu entdecken sucht, indem er so seine Pflicht als ein vernünftiges Geschöpf erfüllt, davon überzeugt sein darf, daß ihm, auch wenn er die Wahrheit verfehlen sollte, die Belohnung dafür nicht entgehen werde; denn der lenkt seinen Beifall richtig und erteilt ihn so, wie er sollte, wer in allen Fällen oder Sachen, je nachdem die Vernunft ihn anweist, glaubt oder nicht glaubt. Wer anders handelt, vergeht sich gegen seine eigene Leuchte und mißbraucht die Fähigkeiten, die ihm zu keinem anderen Zwecke gegeben waren, als um die hellere Ersichtlichkeit und die größere Wahrscheinlichkeit aufzusuchen und ihnen nachzugehen. Weil aber Vernunft und Glaube von manchen Leuten einander entgegengesetzt werden, so wollen wir sie im folgenden Kapitel in dieser Stellung in Betracht ziehen.