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Zweites Kapitel.
Über die Bedeutung der Wörter.

§ 1. Die Wörter sind für die Mitteilung notwendige sinnliche Zeichen. – Wenn auch jemand Gedanken in großer Mannigfaltigkeit hegt, und solche, woraus andere sowohl wie er selbst Vorteil und Vergnügen schöpfen könnten, so sind sie doch alle in seiner eigenen Brust eingeschlossen, für andere unsichtbar und verborgen, und können durch sich selbst nicht zum Vorschein gebracht werden. Da ohne Gedankenmitteilung die Annehmlichkeit und der Nutzen der Gesellschaft nicht zu erlangen sind, so war es für den Menschen notwendig, eine Anzahl äußerer sinnlicher Zeichen zu erfinden, mit deren Hilfe jene unsichtbaren Ideen, woraus seine Gedanken bestehen, anderen kundgethan werden möchten. Zu diesem Zwecke eignete sich nichts so gut, sowohl was die Fülle wie was die Schleunigkeit anbetrifft, wie jene artikulierten Laute, zu deren Hervorbringung mit so großer Leichtigkeit und Mannigfaltigkeit er sich imstande fand. So wird es begreiflich, wie die Menschen dazu kamen, Wörter, die von Natur für diesen Zweck so wohl geeignet waren, als Zeichen ihrer Ideen zu gebrauchen, nicht wegen eines natürlichen Zusammenhanges, der zwischen einzelnen artikulierten Lauten und gewissen Ideen bestände, denn dann würde es nur eine Sprache unter allen Menschen geben, sondern durch eine willkürliche Festsetzung, wodurch ein bestimmtes Wort beliebig zum Merkmal einer bestimmten Idee gemacht ward. Vgl. »Der Ursprung der Sprache« von Ludwig Noiré, Mainz 1877; »Logos, Ursprung und Wesen der Begriffe«, von demselben, Leipzig 1885, und »Das Denken im Lichte der Sprache« von F. Max Müller, aus dem Englischen übersetzt von Engelbert Schneider, Leipzig 1888. Der Zweck der Wörter ist also, sinnliche Merkmale von Ideen zu sein, und die Ideen, die sie vertreten, sind ihre eigentliche und unmittelbare Bedeutung.

§ 2. Wörter sind die sinnlichen Zeichen der Ideen dessen, der sie gebraucht. – Da der Nutzen, den die Menschen aus diesen Merkmalen ziehen, entweder darin besteht, daß sie ihre eigenen Gedanken zur Unterstützung ihres eigenen Gedächtnisses aufzeichnen, oder daß sie ihre Ideen gleichsam hinaustragen und sie anderen zur Ansicht vorlegen, so vertreten die Wörter in ihrer ursprünglichen oder unmittelbaren Bedeutung nur die Ideen im Sinne dessen, der sie gebraucht, wie unvollkommen oder sorglos auch immer diese Ideen aus den Dingen, die sie darstellen sollen, gezogen sein mögen. Wenn jemand zu einem anderen spricht, so geschieht es, um verstanden zu werden, und der Zweck der Rede ist, daß jene Laute als Merkmale seine Ideen dem Hörer erkennbar machen sollen. Es sind also die Ideen des Redenden, wofür die Wörter als Merkmale dienen sollen, und niemand kann sie als solche unmittelbar auf etwas anderes anwenden, als auf seine eigenen Ideen, denn das hieße sie zu Zeichen seiner eigenen Gedanken machen, und doch auf andere Ideen anwenden, was ebensoviel wäre, wie sie gleichzeitig zu Zeichen und nicht zu Zeichen seiner Ideen machen, mithin effektiv ihnen jede Bedeutung nehmen. Da Wörter willkürliche Zeichen sind, so können sie nicht willkürliche Zeichen sein, die jemand ihm unbekannten Dingen aufgedrückt hätte, das hieße sie zu Zeichen für nichts, zu Lauten ohne Bedeutung machen. Niemand kann seine Wörter zu Zeichen, sei es von Eigenschaften an Dingen, oder von Begriffen im Geiste eines anderen machen, wovon in seinem eigenen nichts zu finden ist. Bevor er gewisse eigene Ideen hat, kann er nicht voraussetzen, daß sie mit den Begriffen eines anderen übereinstimmen, und kann auch keine Zeichen für sie gebrauchen, denn dann würden sie die Zeichen von, er wüßte nicht was, sein, oder in Wahrheit die Zeichen von nichts. Wenn er sich aber die Ideen anderer Leute mit Hilfe seiner eigenen vorstellt, und darin willigt, ihnen dieselben Namen zu geben, die sie von anderen erhalten, so giebt er sie immer noch seinen eigenen Ideen, den Ideen, die er hat, und nicht solchen, die er nicht hat.

§ 3. Dies ist bei dem Gebrauch der Sprache so notwendig, daß in dieser Hinsicht der Kenntnisreiche und der Unwissende, der Gelehrte und der Ungelehrte die von ihnen (mit irgend welchem Sinne) ausgesprochenen Wörter alle in gleicher Weise gebrauchen. In jedermanns Munde vertreten sie die Ideen, die er hat, und durch sie ausdrücken will. Ein Kind, das an dem Metall, was es Gold nennen hört, nichts bemerkt hat als die hellscheinende gelbe Farbe, wendet das Wort Gold nur auf seine eigene Idee dieser Farbe und auf nichts weiter an, und nennt deshalb dieselbe Farbe in dem Schweif eines Pfauen Gold. Jemand anders, der besser beobachtet hat, fügt dem glänzenden Gelb große Schwere hinzu, und dann vertritt der Laut Gold, wenn er ihn gebraucht, eine aus glänzendem Gelb und einer sehr schweren Substanz zusammengesetzte Idee. Ein anderer fügt diesen Eigenschaften die Schmelzbarkeit hinzu, und dann bedeutet das Wort Gold für ihn einen glänzenden, gelben, schmelzbaren und sehr schweren Körper; noch ein anderer fügt die Dehnbarkeit hinzu. Jeder von diesen gebraucht gleichermaßen das Wort Gold, wenn sie Anlaß finden, die Idee, der sie es beigelegt haben, auszudrücken; es leuchtet jedoch ein, daß jeder es nur seiner eigenen Idee beilegen und es nicht zu einem Zeichen machen kann, das eine so zusammengesetzte Idee vertritt, wie er sie nicht hat.

§ 4. Die Wörter haben oft eine verborgene Beziehung: erstens, auf die Ideen im Sinne anderer Menschen. – Obgleich aber die Wörter, wie sie von den Menschen gebraucht werden, eigentlich und unmittelbar nur die im Geiste des Redenden vorhandenen Ideen bezeichnen können, so erhalten sie doch in deren Gedanken eine verborgene Beziehung auf zwei andere Dinge.

I. Sie setzen voraus, daß ihre Wörter auch Merkmale der Ideen im Sinne anderer Menschen seien, mit denen sie sich unterhalten, denn sonst würden sie vergebens reden und könnten nicht verstanden werden, wenn die von ihnen auf eine Idee angewandten Laute von dem Hörer auf eine andere bezogen würden, was soviel hieße wie zwei Sprachen reden. Hiebei halten sich die Menschen jedoch gewöhnlich nicht damit auf zu untersuchen, ob die Idee, die sie und die, mit denen sie sich unterhalten, im Sinne haben, dieselbe sei, sondern sehen es als genügend an, daß sie das Wort ihrer Meinung nach dem gemeinen Sprachgebrauch gemäß anwenden, indem sie voraussetzen, daß die Idee, zu deren Zeichen sie es machen, gerade dieselbe sei, der die verständigen Leute im Lande jenen Namen beilegen.

§ 5. Zweitens auf die Realität der Dinge. – II. Weil die Menschen nicht in den Verdacht geraten wollen, daß sie bloß von ihren eigenen Einbildungen sprächen, sondern von den Dingen, wie sie wirklich sind, Der Ausdruck ist hier auch im Original etwas nachlässig. deshalb setzen sie oft voraus, daß die Wörter auch die Realität der Dinge vertreten. Da sich dies aber vorzugsweise auf Substanzen und deren Namen bezieht wie vielleicht das vorher Gesagte auf einfache Ideen und Modi, so wollen wir von diesen zwei verschiedenen Weisen die Wörter anzuwenden ausführlicher reden, wenn wir dazu gelangen über die Namen gemischter Statt fixed lies mixed. Modi und Substanzen insbesondere zu handeln; doch möge mir hier die Bemerkung gestattet sein, daß es stets eine Verkehrung des Gebrauchs der Wörter ist, und unausbleiblich Dunkelheit und Verwirrung in ihre Bedeutung bringt, wenn wir sie zu Vertretern von irgend etwas anderem machen als den Ideen, die wir in unserm eigenen Sinne haben.

§ 6. Wörter rufen gewohnheitsmäßig leicht Ideen hervor. – Ferner muß noch in betreff der Wörter berücksichtigt werden: I. daß – weil sie unmittelbar die Zeichen der menschlichen Ideen und deshalb die Instrumente sind, wodurch die Menschen ihre Begriffe mitteilen, und füreinander die Gedanken und Einbildungen zum Ausdruck bringen, die sie in ihrer Brust tragen – infolge der beständigen Gewohnheit eine solche Verbindung zwischen gewissen Lauten und den von ihnen vertretenen Ideen zustande kommt, daß die gehörten Namen fast ebensoleicht gewisse Ideen hervorrufen, als wenn die Objekte selbst, die sie hervorzubringen vermögen, thatsächlich auf die Sinne einwirkten. Offenbar verhält sich das so bei allen augenfällig sinnlichen Eigenschaften und bei allen Substanzen, die uns häufig und in nächster Umgebung aufstoßen.

§ 7. Wörter werden häufig bedeutungslos gebraucht. – II. Daß, wenn gleich die eigentliche und unmittelbare Bedeutung der Wörter Ideen im Sinne des Redenden sind, doch – weil wir von der Wiege an im häuslichen Verkehr gewisse artikulierte Laute sehr gut lernen, und sie fertig auf der Zunge sowie im Gedächtnis stets bei der Hand haben, aber nicht immer auch deren Bedeutung sorgfältig prüfen und genau feststellen – häufig der Fall eintritt, daß Menschen, selbst wenn sie sich einer aufmerksamen Überlegung hingeben wollen, ihre Gedanken mehr auf Wörter als auf Dinge richten. Ja, weil viele Wörter gelernt werden, ehe die von ihnen vertretenen Ideen bekannt sind, deshalb sprechen manche, nicht bloß Kinder sondern auch Erwachsene, eine Anzahl von Wörtern in derselben Weise aus, wie die Papageien thun, nur weil sie sie gelernt und sich an diese Laute gewöhnt haben. Soweit jedoch Wörter von Nutzen und Bedeutung sind, ebensoweit ist ein beständiger Zusammenhang zwischen dem Laut und der Idee und die Absicht vorhanden, daß der eine die andere vertreten soll, denn ohne eine solche Anwendung zu finden würden sie nichts weiter sein als ein bedeutungsloses Geräusch.

§ 8. Ihre Bedeutung ist ganz willkürlich. – Durch langen und alltäglichen Gebrauch derselben kommt es, wie gesagt, dazu, daß Wörter gewisse Ideen so beständig und leicht in den Menschen hervorrufen, daß diese geneigt sind einen natürlichen Zusammenhang zwischen beiden anzunehmen. Daß sie aber nur die eigentümlichen Ideen der Menschen bezeichnen und zwar infolge einer ganz willkürlichen Verknüpfung, erhellt daraus, daß sie häufig bei anderen (auch solchen, die sich derselben Sprache bedienen) eben die Ideen, als deren Zeichen wir sie betrachten, nicht hervorzurufen vermögen; und jedermann steht es so unverbrüchlich frei, die Wörter nach seinem Belieben jede Idee vertreten zu lassen, daß niemand bewirken kann, daß andere dieselben Ideen im Sinne haben wie er, wenn sie dieselben Wörter wie er gebrauchen. Deshalb gab sogar der große Augustus im Besitz der Weltherrschaft zu, daß er kein neues lateinisches Wort machen könne, was ebensoviel hieß wie, daß er nicht willkürlich bestimmen könne, für welche Idee im Munde und in der gemeinsamen Sprache seiner Unterthanen irgend ein Laut das Zeichen sein solle. Freilich eignet in allen Sprachen der gemeine Gebrauch durch ein stillschweigendes Übereinkommen gewisse Laute gewissen Ideen zu, woraus sich insoweit eine Beschränkung der Bedeutung eines bestimmten Lautes ergiebt, daß niemand richtig spricht, der ihn nicht auf eben diese Idee anwendet, und, wie ich hinzufügen möchte, niemand verständlich spricht, dessen Worte nicht dieselben Ideen in dem Hörer hervorrufen, die sie nach der Absicht des Redners vertreten sollen. Was aber auch immer das Ergebnis davon sein möge, wenn jemand Wörter, sei es von ihrem allgemeinen Sinne, oder von dem besonderen Verständnis der Person, an die sie gerichtet werden, abweichend gebraucht: soviel bleibt gewiß, bei seinem Gebrauche derselben ist ihre Bedeutung auf seine Ideen eingeschränkt, und sie können nicht Zeichen für etwas anderes sein.


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