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Zehntes Kapitel.
Über den Mißbrauch der Wörter.

§ 1. Mißbrauch der Wörter. – Neben der Unvollkommenheit, die der Sprache von Natur anhaftet, und der Dunkelheit und Verwirrung, die sich bei dem Gebrauch der Wörter so schwer vermeiden läßt, giebt es noch einige absichtliche Fehler und Nachlässigkeiten, deren sich die Menschen bei dieser Art der Mitteilung schuldig machen, und wodurch sie diese Zeichen in ihrer Bedeutung weniger klar und deutlich machen, als sie der Natur der Sache nach zu sein brauchten.

§ 2. Erstens, Wörter ohne irgend welche oder ohne klare Ideen. – Zu dieser Gattung gehört als erster und handgreiflichster Mißbrauch der Gebrauch von Wörtern ohne klare und deutliche Ideen, oder, was noch schlimmer ist, Zeichen ohne alle Bedeutung. Hievon giebt es zwei Arten:

I. In allen Sprachen lassen sich gewisse Wörter auffinden, die, wie sich bei näherer Prüfung zeigt, in ihrem ursprünglichen und eigentlichen Gebrauch keine klaren und deutlichen Ideen vertreten. Größtenteils sind diese von den verschiedenen philosophischen und religiösen Sekten eingeführt worden, deren Urheber und Verbreiter, sei es nun in dem Streben nach etwas Besonderem und von den gewöhnlichen Begriffen abseits Liegendem, oder zur Unterstützung seltsamer Ansichten, oder um eine Schwäche ihrer Hypothese zu verbergen, es selten unterlassen, neue Wörter von solcher Art auszumünzen, daß sie bei genauerer Untersuchung mit Recht bedeutungslose Ausdrücke genannt werden können. Denn, da sie bei ihrer ersten Erfindung entweder mit keiner bestimmten Sammlung von Ideen verbunden wurden, oder wenigstens nur mit einer solchen, die sich wohlgeprüft als in sich widersprechend erweist, so ist es kein Wunder, wenn sie hernach im gemeinen Gebrauche derselben Partei leere Laute mit wenig oder gar keiner Bedeutung unter denen bleiben, die es für genügend halten, sie als Unterscheidungszeichen ihrer Kirche oder Schule oft im Munde zu führen, ohne sich den Kopf über die Frage zu zerbrechen, welche genau bestimmten Ideen sie vertreten. Ich habe nicht nötig, hier Beispiele aufzuhäufen; jedermanns Lektüre und Unterhaltung wird ihn hinlänglich damit versehen, oder, wenn er noch besser damit versorgt zu werden wünscht, so findet er bei den großen Münzmeistern dieser Art von Ausdrücken, ich meine den Schulgelehrten und Metaphysikern (zu denen, wie ich denke, die streitfertigen Natur- und Moralphilosophen der jüngsten Vergangenheit auch gehören), so viel, daß er dadurch über und über befriedigt sein wird.

§ 3. II. Andere giebt es, welche diesen Mißbrauch noch weiter ausdehnen, und so wenig darauf bedacht sind, Wörter abzulegen, die in ihrer ursprünglichen Bedeutung kaum mit irgend welchen klaren und deutlichen Ideen verknüpft sind, daß sie in unverzeihlicher Nachlässigkeit alltäglich Wörter, die der richtige Sprachgebrauch mit sehr wichtigen Ideen verbunden hat, überhaupt ohne einen bestimmten Sinn anwenden. Weisheit, Ruhm, Gnade etc. sind Wörter, die jedermann häufig genug im Munde führt, wenn aber sehr viele von denen, die sie gebrauchen, gefragt würden, was sie sich dabei dächten, so würden sie in Verlegenheit geraten und keine Antwort wissen; ein klarer Beweis davon, daß, obwohl sie jene Laute gelernt und sie geschwind auf der Zunge haben, doch in ihrem Sinne keine bestimmten Ideen aufbewahrt sind, die durch sie anderen gegenüber ausgedrückt werden sollen.

§ 4. Die Ursache davon ist, daß die Namen früher gelernt werden als die zugehörigen Ideen. – Da die Menschen von der Wiege auf daran gewöhnt worden sind, leicht aufzufassende und zu behaltende Wörter zu erlernen, bevor sie die komplexen Ideen kannten oder gebildet hatten, womit dieselben verbunden waren, oder die sich in den Dingen finden ließen, als deren Vertreter die Wörter galten, so fahren sie gewöhnlich fort, dasselbe ihr Lebenlang zu thun, und ohne sich die nötige Mühe zu geben, um in ihrem Bewußtsein bestimmte Ideen festzustellen, gebrauchen sie ihre Wörter für solche schwankende und verworrene Begriffe, wie sie eben haben, indem sie sich damit begnügen, dieselben Wörter wie andere Leute zu benutzen, als ob ihr bloßer Laut notwendig immer denselben Sinn mit sich brächte. Obgleich die Menschen in den gewöhnlichen Vorfällen des Lebens sich hiemit behelfen, wo sie es nötig finden verstanden zu werden, und deshalb Zeichen machen, bis das geschieht, so füllt doch diese Bedeutungslosigkeit ihrer Wörter, sobald sie dazu gelangen entweder über ihre Grundsätze oder ihre Interessen zu streiten, ihre Rede mit einem Übermaß von leerem unverständlichem Lärm und Kauderwelsch besonders bei moralischen Fragen, wo oftmals, weil die Wörter meistens willkürliche und zahlreiche Sammlungen von Ideen vertreten, die nicht regelmäßig und beständig in der Natur vereinigt sind, an deren bloße Laute gedacht wird, oder wenigstens nur sehr dunkle und unsichere Begriffe mit ihnen verbunden werden. Die Menschen nehmen die Wörter an, die sie unter ihren Nachbarn im Gebrauch finden, und verwenden sie zuversichtlich, ohne sich den Kopf viel über einen bestimmten festen Sinn zu zerbrechen, damit es nicht so scheine, als kennten sie deren Bedeutung nicht, wobei sie außer der Bequemlichkeit noch den Vorteil gewinnen, daß sie, die bei solchen Verhandlungen selten recht haben, doch des Irrtums nicht überführt werden können, weil es ganz dasselbe ist, wenn man es unternimmt, Menschen, die keine festen Begriffe haben, aus ihren Irrtümern zu befreien, als wenn man einen Landstreicher, der keinen festen Aufenthalt hat, aus seiner Wohnung vertreiben wollte. So verhält es sich meiner Meinung nach, und jeder möge an sich selbst und anderen beobachten, ob es der Fall ist oder nicht.

§ 5. Zweitens, ungleichmäßige Anwendung derselben. – Ein anderer arger Mißbrauch der Wörter ist Unbeständigkeit in ihrem Gebrauche. Nicht leicht findet man eine Abhandlung über irgend einen Gegenstand, namentlich eine Streitfrage geschrieben, worin man nicht bei aufmerksamer Lektüre bemerken wird, daß dieselben Wörter (und gewöhnlich die, welche für die Erörterung am wichtigsten sind, und worauf der Beweis sich stützt) zuweilen für eine Sammlung einfacher Ideen gebraucht werden, und zuweilen für eine andere, was ein vollständiger Mißbrauch der Sprache ist. Da die Wörter Zeichen meiner Ideen sein sollen, um sie anderen bekannt zu machen nicht vermöge einer natürlichen Bedeutung, sondern zufolge einer willkürlichen Bestimmung, so ist es ein offenbarer Betrug und Mißbrauch, wenn ich sie bald die eine Sache und bald die andere vertreten lasse, und ein absichtliches Verfahren solcher Art kann man nur großer Thorheit oder noch größerer Unehrlichkeit zuschreiben. Und bei seinen Abrechnungen mit anderen könnte jemand mit ebensoviel Redlichkeit die Zahlzeichen bald für eine und bald für eine andere Summe von Einheiten gebrauchen (z. B. das Zeichen 3 bald für drei, bald für vier und bald für acht setzen), wie in seinen Erörterungen oder Schlußfolgerungen dieselben Wörter für verschiedene Sammlungen einfacher Ideen. Wenn Menschen so in ihren Rechnungen verführen, dann möchte ich den sehen, der noch etwas mit ihnen zu thun haben wollte. Wer in den Angelegenheiten und Geschäften der Welt so reden und 8 bald sieben, bald neun nennen wollte, je nachdem, was seinem Vorteil am besten entspräche, dem würde sofort einer der beiden Namen angehängt werden, die den Menschen gewöhnlich sehr zuwider sind. Gleichwohl gilt bei Beweisführungen und gelehrten Streitigkeiten dieselbe Art des Verfahrens gewöhnlich für Witz und Gelehrsamkeit; mir jedoch erscheint es als eine größere Unehrlichkeit wie die falsche Stellung von Rechenpfennigen bei dem Ausrechnen einer Schuld, und der Betrug um ebensoviel schlimmer, wie die Wahrheit an Bedeutung den Wert des Geldes übertrifft.

§ 6. Drittens, durch unrichtige Anwendung erkünstelte Dunkelheit. – Ein fernerer Mißbrauch der Sprache ist drittens eine dadurch erkünstelte Dunkelheit, daß entweder alte Wörter in einem neuen und ungewöhnlichen Sinne gebraucht, oder neue und zweideutige Ausdrücke eingeführt werden, und zwar beides ohne Definition, oder aber durch eine solche Verbindung der Wörter, daß ihr ordentlicher Sinn verdunkelt wird. Obgleich die peripatetische Philosophie sich in dieser Methode am meisten ausgezeichnet hat, sind doch auch andere Schulen nicht ganz frei davon geblieben. Es ist kaum eine unter ihnen, die sich nicht (so unvollkommen ist das menschliche Wissen) in gewisse Schwierigkeiten verwickelt und genötigt gesehen hätte, diese unter dunklen Ausdrücken zu verbergen, und die Bedeutung der Wörter zu verwirren, damit dadurch wie durch einen Nebel vor den Augen der Leute ihre schwachen Punkte vor der Entdeckung geschützt werden möchten. Daß Körper und Ausdehnung im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwei verschiedene Ideen vertreten, ist jedem klar, der nur ein wenig nachdenken will. Denn, wenn sie genau dasselbe bedeuteten, so wäre es richtig und ebenso verständlich zu sagen: »der Körper einer Ausdehnung«, wie: »die Ausdehnung eines Körpers«; gleichwohl giebt es Leute, die es für nötig halten ihre Bedeutung zu verwirren. Diesen Mißbrauch und den Unfug, die Bedeutung der Wörter in Verwirrung zu bringen, haben die Logik und die freien Wissenschaften, so wie sie in den Schulen gehandhabt wurden, zu Ansehen gebracht, und die bewunderte Kunst des Disputierens hat die natürliche Unvollkommenheit der Sprachen sehr gesteigert, solange sie mehr dazu gebraucht und ausgebildet ward, die Bedeutung der Wörter verworren zu machen, als die wahre Erkenntnis der Dinge zu fördern; und wer in diese Art gelehrter Schriften einen Blick werfen will, der wird darin die Wörter viel dunkler, unsicherer und unbestimmter in ihrer Bedeutung finden, als sie in der gewöhnlichen Unterhaltung sind.

§ 7. Die Logik und das Disputieren haben hiezu viel beigetragen. – Dazu muß es unvermeidlich kommen, wenn die Begabung und die Gelehrsamkeit der Menschen nach ihrer Geschicklichkeit im Disputieren geschätzt wird. Und wenn Ansehen und Belohnung diese Siege begleiten, die hauptsächlich auf den Feinheiten und Spitzfindigkeiten von Wörtern beruhen, so ist es nicht zu verwundern, wenn der in solcher Weise beschäftigte Witz der Menschen die Bedeutung der Laute dergestalt verwirrt, verwickelt und zuspitzt, daß ihm niemals die Worte fehlen, um irgend eine Behauptung anzufechten oder zu verteidigen, indem nicht der als Sieger gilt, der die Wahrheit auf seiner Seite hat, sondern der im Streite das letzte Wort behält.

§ 8. Man nennt das Feinheit. – Obgleich dies eine sehr nutzlose Fertigkeit und meiner Meinung nach das gerade Gegenteil des Weges zur Erkenntnis ist, hat sie doch bisher unter dem Namen Feinheit und Scharfsinn für etwas Lobens- und Achtungswertes gegolten, und hat den Beifall der Schulen sowie Ermutigung von seiten eines Teiles der gelehrten Welt gefunden. Und das ist kein Wunder, weil die Philosophen des Altertums (ich meine die streitenden und zankenden Philosophen von der Art, die Lucian mit gutem Grunde in witziger Weise heruntermacht) und die Schulgelehrten der späteren Zeiten, die für ihr großes und allumfassendes Wissen, was sich viel leichter in Anspruch nehmen als wirklich erwerben läßt, Ruhm und Achtung erstrebten, hierin ein gutes Hilfsmittel fanden, um ihre Unwissenheit mit einem sonderbaren und unauflöslichen Gewebe verworrener Worte zu bedecken, und sich die Bewunderung anderer durch unverständliche Ausdrücke zu verschaffen, die, weil sie nicht zu verstehen waren, um so besser dazu dienten Verwunderung hervorzurufen; während der ganze Verlauf der Geschichte zeigt, daß diese tiefsinnigen Doktoren nicht weiser oder nützlicher waren als ihre Nachbarn, und dem menschlichen Leben oder den Gesellschaften, denen sie angehörten, nur wenig Vorteil brachten; es sei denn, daß die Ausmünzung neuer Wörter ohne Hervorbringung neuer Dinge, worauf sie Anwendung finden konnten, oder die Verwirrung oder Verdunkelung der Bedeutung alter, wodurch alle Dinge in Frage gestellt und bestreitbar gemacht wurden, eine für das menschliche Leben gewinnbringende oder der Empfehlung und Belohnung würdige Sache wäre.

§ 9. Diese Art von Gelehrsamkeit nützt der Gesellschaft sehr wenig. – Denn trotz dieser gelehrten Disputanten, dieser alles wissenden Doktoren verdankten die Reiche der Welt ihren Frieden, ihre Verteidigung und ihre Freiheiten den ungeschulten Staatsmännern, und die ungebildeten und verachteten Handwerker (ein Schimpfwort) brachten ihnen den Fortschritt in den nützlichen Künsten. Gleichwohl gewannen diese kunstreiche Unwissenheit und dieses gelehrte Kauderwelsch in den letzten Jahrhunderten gewaltig die Oberhand durch das Interesse und die Kunstgriffe derer, die zu der von ihnen erreichten Höhe des Ansehens und der Herrschaft keinen leichteren Weg fanden, als daß sie die erwerbsthätigen und unwissenden Leute mit schweren Wörtern unterhielten, oder die scharfsinnigen und müßigen mit häkeligen Streitigkeiten über unverständliche Ausdrücke beschäftigten, und sie in diesem endlosen Labyrinth beständig verstrickt hielten. Überdies giebt es keinen besseren Weg für seltsame und ungereimte Lehren Einlaß zu gewinnen, oder sie zu verteidigen, als sie ringsumher mit Legionen dunkler, zweifelhafter und unbestimmter Wörter zu verwahren, die aber doch diesen Rückzugsplätzen mehr Ähnlichkeit mit Räuberhöhlen oder Fuchslöchern geben als mit Festungen ehrlicher Krieger; denn, wenn es schwer ist, sie (die Lehren) daraus hervorzuholen, so liegt der Grund davon nicht in ihrer (der Rückzugsplätze) Stärke, sondern in dem Gestrüpp und den Dornen und der Dunkelheit der Dickichte, womit sie umgeben sind. Denn, da die Unwahrheit für den Geist des Menschen unannehmbar ist, so gießt es für das Ungereimte kein anderes Verteidigungsmittel als die Dunkelheit.

§ 10. Sie zerstört aber die Werkzeuge des Erkennens und der Mitteilung. – So ist die gelehrte Unwissenheit und diese Kunst, selbst wißbegierige Menschen von der wahren Erkenntnis fern zu halten, in der Welt ausgebreitet worden, und hat den Verstand sehr verwirrt, während sie vorgab, ihn zu unterweisen. Denn wir sehen, daß andere wohlgesinnte und weise Männer, deren Erziehung und Fähigkeiten nicht zu jener Schärfe gelangt waren, sich gegeneinander verständlich ausdrücken, und sich bei schlichtem Gebrauche derselben die Sprache zu nutze machen konnten. Wenn aber auch ungelehrte Leute die Wörter weiß und schwarz etc. genügend verstanden, und von den durch diese Wörter bezeichneten Ideen sich gleich bleibende Vorstellungen hatten, so fanden sich doch Philosophen, die Gelehrsamkeit und Scharfsinn genug hatten, um zu beweisen, daß der Schnee schwarz sei, d. h., daß weiß und schwarz dasselbe seien. Davon hatten sie den Gewinn, die Werkzeuge und Mittel der Rede, Unterhaltung, Belehrung und Gesellschaft zu zerstören, während sie mit großer Kunst und Feinheit nur die Bedeutung der Wörter verwirrten und vermengten, und dadurch den Nutzen der Sprache noch mehr verringerten, als deren wirkliche Mängel schon thaten; ein Geschenk, wozu die Ungelehrten es nicht gebracht hatten.

§ 11. Sie ist ebenso nützlich wie eine Verwirrung des Lautes der Buchstaben. – Diese gelehrten Leute unterrichteten den Verstand der Menschen, und nützten ihnen für das Leben ebensoviel wie jemand, der die Bedeutung bekannter Schriftzüge ändern, und durch einen feinen Kunstgriff seiner die Fassungskraft des ungebildeten dummen und gemeinen Volkes weit übersteigenden Gelehrsamkeit in seinen Schriften zeigen würde, daß er zum nicht geringen Erstaunen und Nutzen seines Lesers A statt B und D statt E setzen könne, indem es ebenso sinnlos ist, das Wort schwarz, welches anerkanntermaßen eine gewisse sinnliche Idee vertritt, dieses Wort, sage ich, für ein anderes oder die entgegengesetzte Idee zu gebrauchen, d. h. den Schnee schwarz zu nennen, als das Zeichen A, einen Schriftzug, der anerkanntermaßen eine durch eine gewisse Bewegung der Sprachorgane hervorgebrachte Modifikation des Lautes bedeutet, für B, was anerkanntermaßen eine durch eine gewisse andere Bewegung der Sprachorgane bewirkte Modifikation des Lautes anzeigt.

Dieser letzte Teil des § 11 ist nach Lord Kings life of John Locke, London 1830, Vol. II, p. 219, 222 – 225 ein von Locke beabsichtigter Zusatz, der jedoch anscheinend in die nach des Verfassers Tode veranstalteten neuen Auflagen des Essay concerning human understanding keine Aufnahme gefunden hat.Durch diese gelehrte Kunst eines Mißbrauchs der Wörter und eines Wechsels ihrer Bedeutungen sind die uns von den Alten hinterlassenen Regeln für die Leitung unserer Gedanken bei der Aufsuchung oder wenigstens der Prüfung der Wahrheit vereitelt worden. Die Logik der Schulen enthält alle gewöhnlich gelehrten Regeln der Schlußfolgerung, und sie gelten für so ausreichend, daß es wahrscheinlich als eine Anmaßung angesehen werden wird, wenn jemand meint, es sei nötig, daß noch nach einer anderen gesucht oder ausgeschaut werde. Ich gebe zu, daß die Methode des Syllogismus richtig ist, soweit sie reicht; ihre eigentliche Aufgabe besteht darin, die Kraft und den Zusammenhang irgend einer Argumentation zu zeigen, und dazu würde sie sehr gut gedient haben, und man hätte sich sicher auf die Schlüsse als notwendige Ergebnisse aus den Vordersätzen eines richtig angeordneten Syllogismus verlassen können, wenn nicht die belobte Art des Disputierens für Erkenntnis wäre gehalten worden, und das Ansehn des Sieges bei solchen Streitigkeiten zu einem trügerischen Gebrauch von Wörtern geführt hätte, wodurch selbst diese Formen der Argumentation sich eher als eine Schlinge wie als eine Hilfe für den Verstand erwiesen und so den Zweck verfehlt haben, wozu sie erfunden worden. Denn, wenn die Form des Syllogismus die Deduktion rechtfertigte, dann galt der Schluß, mochte er auch noch so falsch sein, für gut und mußte als ein solcher anerkannt werden. Dies bewog Leute, die in den Schulen eine Rolle spielen wollten, ihre Gedanken nicht mit einer Forschung nach der Natur der Dinge zu beschäftigen, sondern mit dem Studium von Ausdrücken und damit, die Bedeutung der Wörter mit aller der Feinheit und, wie es genannt ward, der Schärfe (Subtilität) umzuwandeln, wozu sie ihr Denken nötigen konnten, um den Gegner hierin zu verwickeln, der, wenn ihm die Beobachtung und Entdeckung der Sophisterei irgendwo entging, wo einer der Ausdrücke in verschiedenen Bedeutungen gebraucht ward, sicherlich verloren war ohne die Hilfe einer ähnlichen Art von Kunstfertigkeit, und der deshalb anderseits mit einem guten Vorrat von Wörtern, die sich als Unterscheidungen gebrauchen ließen, wohl ausgerüstet sein mußte. Ob diese etwas zur Sache Gehöriges oder überhaupt etwas bedeuteten, darauf kam nichts an; sie wurden dem Gegner in den Weg geworfen, und er mußte dagegen argumentieren, so daß, so lange der eine seine Wörter zweideutig gebrauchen konnte – was nichts anderes heißt wie denselben Laut als Vertreter verschiedener Ideen gebrauchen – und der andere zwei Laute verwenden, um die verschiedenen Bedeutungen eines dritten zu bestimmen – gleichviel, ob sie thatsächlich in irgend welcher Beziehung zu dessen Bedeutung standen oder nicht – der Streit nicht zu Ende kommen und die Frage nicht entschieden werden konnte. Oder wenn es vorkam, daß einer der Disputanten, dem die Munition ausging, kampfunfähig ward, so drückte das den Lorbeer auf die Stirne des Gegners, der Sieg war sein und damit das Prädikat der Wissenschaft und der Ruf eines Gelehrten. Er hat seine Belohnung und damit sein Ziel erreicht, aber die Wahrheit gewinnt nichts dadurch; jedermann sagt, er sei der bessere Disputant und habe das Feld behauptet, aber niemand erkennt oder beurteilt danach die Wahrheit; die Frage ist noch immer offen, und nachdem sie der Gegenstand vieler Kämpfe gewesen ist und vielen Streitern zum Triumph verholfen hat, indem bald die eine, bald die andere Seite die Oberhand behielt, ist sie von einer Entscheidung noch ebensoweit entfernt wie jemals. Wahrheit und Erkenntnis haben mit diesem ganzen Lärm nichts zu thun, niemand hält sie für beteiligt dabei; es handelt sich lediglich um Sieg und Triumph, so daß diese Weise, um die Wahrheit zu streiten, nichts sein kann und oft nichts ist als ein Mißbrauch von Wörtern um des Sieges willen – eine Geschicklichkeitsprobe, wobei von einer wahrhaften Erwägung des fraglichen Gegenstandes oder einer Anstrengung der Köpfe, um zu finden, wo die Wahrheit liege, nichts zum Vorschein kommt. Daran sind nicht Modi und Figuren schuld, deren Regeln von großem Nutzen für den richtigen Gang einer Argumentation und für die Prüfung des Zusammenhanges und der Kraft menschlicher Reden sind. Vielmehr ist das Unheil dadurch entstanden, daß der Kunst des Disputierens zu viel Wert und Ansehen beigelegt ward, und die Achtung und Belohnung der Gelehrsamkeit und des Wissens dem gezollt wurden, was in der That eines der größten Hindernisse dafür ist.

§ 12. Diese Kunst hat die Religion und die Rechtspflege in Verwirrung gebracht. – Auch hat dieser Unfug sich nicht auf logische Spitzfindigkeiten oder sonderbare leere Spekulationen beschränkt; er ist in die großen Interessen des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesellschaft eingedrungen, hat die wichtigen Wahrheiten der Rechtskunde und Gottesgelehrtheit verdunkelt und verwirrt, hat Konfusion, Unordnung und Ungewißheit in die Angelegenheiten der Menschheit gebracht, und die beiden großen Normen der Religion und des Rechtes, wenn nicht zerstört, so doch in erheblichem Maße nutzlos gemacht. Wozu haben der größte Teil der Kommentare und Streitigkeiten über göttliche und menschliche Gesetze gedient, als ihr Verständnis noch zweifelhafter zu machen und ihren Sinn zu verwirren? Was ist der Erfolg jener vielfachen sonderbaren Unterscheidungen und scharfen Spitzfindigkeiten gewesen als Dunkelheit und Ungewißheit, indem dadurch die Worte noch unverständlicher wurden, und der Leser noch mehr in Verlegenheit geriet? Wie geht es sonst zu, daß Fürsten bei ihren gewöhnlichen Befehlen im mündlichen oder schriftlichen Verkehr mit ihren Dienern leicht verstanden werden, nicht aber auch, wenn sie in ihren Gesetzen zu ihren Völkern reden? Und kommt es nicht, wie schon oben bemerkt, häufig vor, daß ein Mensch von gewöhnlicher Fassungskraft einen Text oder ein Gesetz, die er liest, sehr gut versteht, bis er einen Ausleger um Rat fragt, oder zu einem Rechtsanwalt geht, die während der auf ihre Erläuterungen verwendeten Zeit es dahin bringen, daß die Worte entweder nichts oder alles Beliebige bedeuten?

§ 13. Und sollte nicht für Gelehrsamkeit gelten. – Ob die Ursache hievon in irgend welchen Nebeninteressen dieser Berufszweige liegt, will ich hier nicht untersuchen, gebe jedoch der Erwägung anheim, ob es nicht für die Menschen, denen daran gelegen ist, die Dinge zu erkennen, wie sie sind, und zu thun, was ihre Pflicht erfordert, nicht aber ihre Lebenszeit mit Reden darüber oder Wortwechsel hin und her zu verbringen – ob es nicht gut sein würde, sage ich, daß der Gebrauch der Worte schlicht und recht gemacht werde, und daß die Sprache, die uns zur Vermehrung des Wissens und zu einem Band für die Gesellschaft gegeben ist, nicht angewendet werde, um die Wahrheit zu verdunkeln und die Rechte der Leute schwankend zu machen, um Nebel aufsteigen und Moral wie Religion unverständlich werden zu lassen? oder daß wenigstens, wenn dies geschieht, es nicht für Gelehrsamkeit oder Wissenschaft gelte, dahin zu wirken.

Von dem folgenden Teile dieses Paragraphen bis zu dessen Schluß gilt dasselbe, was oben von dem zweiten Teile des § 11 bemerkt worden ist; siehe Lord Kings life of John Locke etc. Vol. II, p. 225 – 229.Wir können nicht umhin zu glauben, daß alle Klassen der Engel uns an Wissen weit übertreffen, und vielleicht sind wir mitunter geneigt, sie wegen dieses Vorzugs zu beneiden, oder wenigstens zu bedauern, daß wir ihn nicht in einem größeren Maße mit ihnen teilen. Niemand aber, der die Erhebung ihres Wissens über das unsrige bedenkt, kann sich vorstellen, daß es in einem Spiel mit Worten bestehe, vielmehr wird jeder annehmen, daß ihm eine Betrachtung der Dinge zu Grunde liege, die zum Besitz wahrer Begriffe von ihnen und zur Erkenntnis ihrer Verhältnisse und Beziehungen zu einander führe. Wenn das der Fall ist, so sollte es, scheint mir, unser Ehrgeiz sein, ihnen in dieser Hinsicht so nahe wie möglich zu kommen, was zum großen Teil in unserer Macht steht; wir sollten alle Kunstgriffe und Trugschlüsse in Worten verwerfen, die einen so großen Teil der Beschäftigung und Geschicklichkeit der Disputanten dieser Welt ausmachen, die aber schon für vernünftige Menschen verächtlich sind, und uns deshalb für jene höheren Ordnungen von Geistern notwendig lächerlich machen müssen. Während wir unter dem Vorgeben, daß wir nach einer Erkenntnis der Dinge strebten, die Entdeckung der Wahrheit, soviel wir vermögen, dadurch verhindern, daß wir einander mit aller Kraft durch einen verkehrten Gebrauch der Zeichen in Verwirrung setzen, deren wir uns zur wechselseitigen Mitteilung derselben bedienen: muß es ihnen nicht Stoff zur Verachtung darbieten, wenn sie sehen, daß wir dem ausstudierten und gesteigerten Mißbrauch dieser Zeichen den Namen und das Ansehn der Gelehrsamkeit beilegen? Würden wir nicht selbst die Chinesen für höchst lächerlich halten, wenn sie die, welche Kenntnisse erwerben sollen, dadurch irre führten, daß sie ihre Fortschritte in dem lobten und belohnten, was sie ganz davon abbrächte?

Das Studium derartiger Künste ist eine unverantwortliche Verschwendung unserer Zeit, sie dienen nur dazu, um Unwissenheit und Irrtum zu erhalten oder auszubreiten, und sollten von allen Freunden der Wahrheit und Lehrern der Wissenschaft verworfen, oder wenigstens nicht dadurch gefördert werden, daß man ihnen den Namen und den Lohn der Gelehrsamkeit giebt. Die, welche sich ausschließlich der Gelehrsamkeit und der Wissenschaft gewidmet haben, hätten – wie man denken sollte – nicht das zur Hauptsache oder überhaupt zu einem Teile ihres Studiums machen dürfen, was für ihr Hauptziel – die Erkenntnis – ein Hindernis bildet. Die Formen der Argumentation sollten gelernt und benutzt werden; würde man aber wohl einen Lehrling, um ihn richtiges Abmessen zu lehren, dafür loben und belohnen, daß er durch Absetzung unechter und verfälschter Waren betrogen hatte? Es ist nicht zu verwundern, daß die Menschen niemals dazu gelangen, die Wahrheit aufrichtig zu suchen und zu schätzen, wenn sie in die Sophisterei eingeführt sind, und wenn Fragen gar nicht aufgestellt und erörtert werden, um Zweifel zu lösen und dem Geiste durch gute Gründe einen festen Stand auf der richtigen Seite zu verschaffen, sondern um mit der Wahrheit Scherz zu treiben, die nur aufgestellt wird, damit nach ihr geworfen und sie als Falschheit bekämpft werde, und wenn der den größten Beifall findet, welcher das am besten thun kann. »Wieso denn, sollen Gelehrte nicht disputieren? wie werden sie sonst imstande sein, die Wahrheit zu verteidigen, wenn sie sich nicht auf die Methoden und die Behandlung von Beweisgründen verstehen?« Hierauf antworte ich: 1. Diese Methode der Behandlung von Beweisgründen besteht nur in den Formen des Syllogismus und läßt sich rasch erlernen. 2. Wenn das Disputieren notwendig ist, um jemanden zum Meister dieser Formen zu machen, so muß zugegeben werden, daß es ungereimt ist, wenn Anfänger in irgend einer Wissenschaft disputieren, bevor sie dieselbe wohl studiert haben. Wenn sie daran gewöhnt und aufgefordert werden zu disputieren, bevor sie etwas wissen, wird das sie nicht lehren Wörter für Dinge anzunehmen, Ausdrücke der Wahrheit vorzuziehen und Disputation für Erkenntnis zu halten? 3. Wenn das Disputieren notwendig ist, so sollte jedermann ernsthaft für die Meinung streiten, die er wirklich hegt, damit ihm nicht Wahrheit und Falschheit als gleichgültig erscheinen, an der behaupteten Sache nichts liege, der Sieg alles sei, die Wahrheit in dem fraglichen Falle nichts. 4. Daß niemals jemand die Verteidigung der Wahrheit durch etwas lernen kann, was ihn nicht die Liebe zu ihr lehrt, und wenn ihm Lob nicht dafür zu teil wird, daß er an der Wahrheit festhält, sondern dafür, daß er die Falschheit gut verteidigt. Wenn es überdies Billigung findet, daß jemand mit seinen Syllogismen oder Unterscheidungen niemals zu Ende kommt, bis er das letzte Wort behalten hat, was heißt das anders als ihn überreden, daß es eine schöne wertvolle Sache sei, niemals mit Reden aufzuhören, keine Antwort anzunehmen, so lange man noch irgend welche Ausdrücke für einen Widerspruch finden kann, und niemals irgend welchen Argumenten gegenüber nachzugeben? Etwas Widerwärtigeres als dieses kann es aber für diejenigen nicht geben, die Achtung vor der Wahrheit haben, von höflicher Unterhaltung und guter Erziehung ganz zu geschweigen.

§ 14. Viertens, Verwechselung der Wörter mit den Dingen. – Noch ein anderer großer Mißbrauch der Wörter ist es viertens, wenn man sie für die Dinge ansieht. Wenn dieser auch in gewissem Maße überhaupt bei allen Namen stattfindet, so betrifft er doch vorzugsweise die der Substanzen. In diesen Mißbrauch verfallen am leichtesten Personen, die ihre Gedanken am entschiedensten auf ein gewisses System einschränken, und sich dem festen Glauben an die Vollkommenheit irgend einer überlieferten Hypothese hingeben, wodurch in ihnen die Überzeugung entsteht, es seien die Ausdrücke dieser Sekte der Natur der Dinge so angepaßt, daß sie deren realem Dasein vollständig entsprächen. Wo fände man wohl jemanden, der, in der peripatetischen Philosophie erzogen, nicht glaubte, daß die zehn Namen, denen die zehn Kategorien untergeordnet sind, der Natur der Dinge genau entsprechend seien? Wo giebt es einen Anhänger dieser Schule, der nicht überzeugt wäre, daß substantielle Formen, vegetative Seelen, Abscheu vor dem leeren Raume, die Arten als Naturzweck ( intentional species) etc. etwas Reales seien? Diese Wörter haben die Menschen bei dem ersten Beginn ihres Studiums gelernt, und gefunden, daß ihre Lehrer und Systeme großes Gewicht darauf legten; deshalb können sie von der Meinung nicht loskommen, daß sie mit der Natur übereinstimmten und etwas wirklich Existierendes darstellten. Die Platoniker haben ihre Weltseele, und die Epikureer ihr Streben nach Bewegung in ihren ruhenden Atomen. Es giebt in der Philosophie kaum eine Sekte, die nicht eine besondere Reihe von für andere unverständlichen Ausdrücken hätte, und dieses Kauderwelsch, was bei der Schwäche des menschlichen Verstandes so gut dazu dient, die Unwissenheit der Menschen zu verhüllen und ihre Irrtümer zu bedecken, gelangt doch durch den alltäglichen Gebrauch unter den Angehörigen derselben Zunft zu dem Anschein des wichtigsten Teiles der Sprache, und seine Ausdrücke erscheinen unter allen anderen als die bedeutsamsten; und wenn künftig einmal eine Lehre von Luft- und Ätherfahrzeugen zur Herrschaft gelangen, und dadurch deren Annahme irgendwo allgemein verbreitet werden sollte, so würden ohne Zweifel diese Ausdrücke auf den Sinn der Menschen solchen Eindruck machen, daß sie bei ihnen die Überzeugung von der Realität derartiger Dinge ebenso fest begründeten, wie früher die peripatetischen Formen und die Arten als Naturzweck gethan haben.

§ 15. Die Materie als Beispiel. – Wie sehr die Verwechselung der Namen mit den Dingen geeignet ist, den Verstand irre zu führen, würde eine aufmerksame Lektüre philosophischer Schriftsteller zum Überfluß offenbaren, und das vielleicht bei Wörtern, die einen solchen Mißbrauch sehr wenig erwarten lassen. Ich will nur eines als Beispiel anführen und zwar ein sehr gebräuchliches: wie viele verwickelte Streitigkeiten sind nicht über die Materie geführt worden, als ob es ein solches von dem Körper verschiedenes Ding wirklich in der Natur gebe, da ja augenscheinlich das Wort Materie eine von der Idee des Körpers verschiedene Idee vertritt? Denn, wenn die von diesen beiden Ausdrücken vertretenen Ideen genau dieselben wären, dann müßten sie überall unterschiedslos der eine für den anderen gesetzt werden können. Allein wir sehen, daß sich zwar richtig sagen läßt, es giebt eine aus allen Körpern bestehende Materie, nicht aber auch, es giebt einen aus allen Materien bestehenden Körper; es ist uns ganz geläufig zu sagen, ein Körper ist größer als der andere, es klingt aber befremdend (und kommt, meine ich, niemandem in den Sinn), zu sagen, eine Materie ist größer als die andere. Woher kommt denn dies? Es kommt davon, daß, obgleich Materie und Körper thatsächlich nicht voneinander verschieden sind, vielmehr, wo der oder die eine ist, da auch immer die oder der andere sich befindet, dennoch Materie und Körper zwei verschiedene Begriffe vertreten, von denen der eine unvollständig und nur ein Teil des anderen ist. Denn »Körper« bedeutet eine solide, ausgedehnte, gestaltete Substanz, wovon »Materie« nur eine teilweise und unklare Vorstellung ist, denn sie scheint mir für die Substanz und Solidität des Körpers gebraucht zu werden, ohne dessen Ausdehnung und Gestalt mit einzuschließen; und hierauf beruht es, daß wir, wenn wir von der Materie reden, von ihr immer nur als von einer einzigen sprechen, weil sie in Wahrheit ausdrücklich nichts enthält als die Idee einer soliden Substanz, die überall dieselbe, überall gleichförmig ist. Die qualitative oder chemische Differenz der Stoffe ist hier wie vorhin bei der Definition des Körpers unbeachtet geblieben. Unter Materie im allgemeinen verstehen wir allerdings das sinnlich Wahrnehmbare überhaupt, abgesehen von allen qualitativen wie quantitativen Unterschieden innerhalb desselben, zum Begriff des Körpers dagegen gehört auch eine qualitative Bestimmtheit des Stoffes, woraus er besteht. Räumliche Ausdehnung ohne feste Grenzen aber kann man der Materie nicht absprechen, wenn sie gleich gestaltlos ist, denn der Raum ist ja die unserer Sinneswahrnehmung wesentlich angehörige Form, mithin auch die Form des sinnlich Wahrnehmbaren überhaupt. Da dies unsere Idee der Materie ist, so stellen wir uns ebensowenig verschiedene Materien in der Welt vor oder sprechen davon, wie von verschiedenen Soliditäten, obgleich wir uns sowohl verschiedene Körper vorstellen wie davon sprechen, weil Ausdehnung und Gestalt der Abwechselung fähig sind. Weil aber die Solidität nicht ohne Ausdehnung und Gestalt existieren kann, so hat der Umstand, daß man die Materie als den Namen von etwas unter ihrem Begriffe wirklich Existierendem ansah, ohne Zweifel zu den dunklen und unverständlichen Reden und Streitigkeiten geführt, womit die Köpfe und Bücher der Philosophen über die materia prima angefüllt sind, und ich überlasse es der Erwägung meiner Leser, ob nicht dieselbe Unvollkommenheit oder derselbe Mißbrauch noch sehr viele andere allgemeine Ausdrücke betreffen mag. Soviel wenigstens glaube ich behaupten zu dürfen, daß es sehr viel weniger Streitigkeiten in der Welt geben würde, wenn die Wörter nur für das angesehen würden, was sie sind, für Zeichen unserer Ideen und nicht für die Dinge selbst. Denn, wenn wir über die Materie oder einen anderen ähnlichen Ausdruck argumentieren, so ist in der That der Gegenstand unserer Schlüsse nur die von uns durch jenen Laut bezeichnete Idee, mag eben diese Idee mit etwas in der Natur wirklich Existierendem übereinstimmen oder nicht. Und wenn die Menschen nur sagen wollten, für welche Ideen sie ihre Wörter als Stellvertreter gebrauchen, so könnte es bei der Erforschung oder dem Beweise der Wahrheit nicht halb so viel Dunkelheit oder Zank geben, wie es davon giebt.

§ 16. Dadurch werden die Irrtümer dauerhaft. – Welche Unzuträglichkeiten aber auch immer sich aus diesem Mißverständnis der Wörter ergeben mögen, dessen bin ich gewiß, daß sie durch beständigen und familiären Gebrauch die Menschen zu Vorstellungen verlocken, die von der Wahrheit der Dinge weit entfernt sind. Es würde eine schwere Aufgabe sein, jemanden davon zu überzeugen, daß Wörter, die sein Vater oder sein Lehrer, der Pfarrer seines Kirchspiels oder solch ein hochehrwürdiger Doktor gebrauchten, nichts in der Natur wirklich Existierendes bedeuteten; und dies trägt vielleicht nicht am wenigsten dazu bei, daß die Menschen selbst bei rein philosophischen Fragen, wo sie kein anderes Interesse als das der Wahrheit haben, so schwer dazu zu bringen sind, ihre Irrtümer aufzugeben. Denn, da die Wörter, an die sie lange Zeit hindurch gewöhnt worden, ihnen fest im Sinne bleiben, so ist es nicht zu verwundern, daß sich die damit verknüpften falschen Vorstellungen nicht beseitigen lassen.

§ 17. Fünftens, ihr Gebrauch für etwas, was sie nicht bedeuten können. – Ein anderer Mißbrauch der Wörter besteht fünftens darin, daß sie an die Stelle von Dingen gesetzt werden, die sie nicht bezeichnen und auf keine Weise bezeichnen können. Wenn wir die generellen Namen von Substanzen, deren nominale Wesenheiten wir allein kennen, in Sätze bringen, und irgend etwas von ihnen bejahen oder verneinen, so läßt sich bemerken, daß wir ganz gewöhnlich stillschweigend voraussetzen oder meinen, daß sie die reale Wesenheit einer gewissen Art von Substanzen vertreten sollen. Denn, wenn jemand sagt: »das Gold ist dehnbar«, so meint er etwas mehr und will etwas mehr zu verstehen geben als: »das, was ich Gold nenne, ist dehnbar« (obgleich seine Worte in der That nicht mehr sagen); er will nämlich dahin verstanden werden, daß Gold, d. i. etwas, dem die reale Wesenheit des Goldes zukomme, dehnbar sei, was soviel bedeutet wie, daß die Dehnbarkeit auf der realen Wesenheit des Goldes beruhe und von ihr untrennbar sei. Da aber niemand weiß, worin diese reale Wesenheit besteht, so ist in seinen Gedanken die Dehnbarkeit in Wahrheit nicht mit einer ihm unbekannten Wesenheit verbunden, sondern nur mit dem Laut Gold, den er an deren Stelle setzt. Ebenso, wenn wir sagen: animal rationale sei eine gute Definition des »Menschen«, animal implume, bipes, latis unguibus dagegen nicht, so ist klar, daß wir in diesem Falle voraussetzen, der Name »Mensch« vertrete die reale Wesenheit einer Art, und andeuten wollen, daß »ein vernünftiges Tier« diese reale Wesenheit besser beschreibe als ein zweibeiniges Tier mit breiten Nägeln und ohne Federn«. Denn warum könnte sonst nicht Plato ebenso füglich das Wort ἄνθρωπος oder »Mensch« seine komplexe Idee vertreten lassen, die in der Idee eines von anderen durch eine gewisse Gestalt und andere äußere Merkmale unterschiedenen Körpers bestand, wie Aristoteles die komplexe Idee, der er den Namen ἄνθρωπος oder »Mensch« gab, aus dem Körper und der Fähigkeit vernünftigen Denkens zusammensetzen, wenn man nicht voraussetzt, daß der Name ἄνθρωπος oder »Mensch« etwas anderes vertrete, als was er bedeute, und an die Stelle eines anderen Dinges gesetzt werde als der Idee, die jemand durch ihn ausdrücken zu wollen erkläre.

§ 18. Z. B. wenn sie an Stelle der realen Wesenheiten von Substanzen gesetzt werden. – Allerdings würden die Substanznamen viel nützlicher sein, und aus ihnen gebildete Sätze viel sicherer, wenn die realen Wesenheiten der Substanzen mit den durch jene Wörter bezeichneten Ideen in unserem Geiste identisch wären. Und in dem Mangel dieser realen Wesenheiten liegt der Grund davon, daß in unseren Reden über sie (die Substanznamen ) unsere Worte so wenig Erkenntnis oder Gewißheit mit sich bringen, weshalb der Geist, um dieser Unvollkommenheit so viel wie möglich abzuhelfen, sie durch eine heimliche Unterschiebung zu Stellvertretern für ein Ding macht, das jene reale Wesenheit habe, als ob er dadurch dieser etwas näher käme. Denn, mag auch das Wort »Mensch« oder »Gold« in Wahrheit nichts bedeuten als eine komplexe Idee von miteinander zu einer Art von Substanzen verbundenen Eigenschaften, so giebt es doch kaum jemand, der nicht bei dem Gebrauch dieser Wörter häufig voraussetzte, daß jeder dieser Namen ein Ding vertrete, dem die reale Wesenheit, worauf diese Eigenschaften beruhten, zukomme. Weit entfernt davon aber, die Unvollkommenheit unserer Wörter zu vermindern, vermehrt es sie vielmehr durch einen offenbaren Mißbrauch, wenn wir dieselben zu Stellvertretern von etwas machen wollen, was in unserer komplexen Idee nicht enthalten ist, und dessen Zeichen somit der von uns gebrauchte Name auf keine Weise sein kann.

§ 19. Daher glauben wir, daß bei Substanzen eine Veränderung unserer Ideen keine Veränderung der Art mit sich bringe. – Dies zeigt uns den Grund dafür, weshalb man bei gemischten Modi zugiebt, daß, wenn eine der Ideen, woraus die zusammengesetzte besteht, ausgelassen oder verändert wird, ein anderes Ding, d. h. ein Ding von anderer Art da sei, wie aus den Unterschieden von zufälliger Tötung, Totschlag, Mord, Vatermord etc. erhellt. Das geschieht, weil die mit einem solchen Namen bezeichnete komplexe Idee sowohl die reale wie die nominale Wesenheit ausmacht, und der Name nicht im geheimen noch auf eine andere Wesenheit bezogen wird. Bei Substanzen verhält sich die Sache jedoch anders, denn, wenn auch bei der, die Gold heißt, der eine in seine komplexe Idee etwas aufnimmt, was der andere ausläßt, und umgekehrt, so nimmt man doch gewöhnlich nicht an, daß deshalb ein Wechsel der Art stattfinde, weil beide insgeheim in ihrem Sinne jenen Namen auf die reale unveränderliche Wesenheit eines existierenden Dinges, wovon dessen Eigenschaften abhängen, beziehen und als dieser angehörig betrachten. Wer seiner komplexen Idee von Gold die der Feuerbeständigkeit und Lösbarkeit in aqua regia hinzufügt, die er vorher in sie nicht aufgenommen hatte, von dem nimmt man nicht an, daß er die Art verändert, sondern nur, daß er seine Idee vervollkommnet habe durch Hinzufügung einer neuen einfachen Idee, die thatsächlich immer mit den übrigen, woraus seine frühere komplexe Idee bestand, verbunden sei. Allein diese Beziehung des Namens auf ein Ding, wovon wir keine Idee haben, nützt uns so wenig etwas, daß sie nur dazu dient, uns tiefer in Schwierigkeiten zu verwickeln; denn durch diese stillschweigende Beziehung auf die reale Wesenheit jener Art von Körpern verliert das Wort Gold (welches, indem es eine mehr oder weniger vollständige Sammlung einfacher Ideen vertritt, im bürgerlichen Verkehrsleben zur Bezeichnung jener Art von Körpern gut genug dient) alle und jede Bedeutung, weil es für etwas, wovon wir überhaupt keine Idee haben, gebraucht wird, mithin überhaupt nichts bezeichnen kann, wenn der Körper selbst nicht zur Stelle ist. Denn, wiewohl es für eins und dasselbe gehalten werden mag, wird man doch nach reiflicher Überlegung es als zwei ganz verschiedene Dinge befinden, über das nur namhaft gemachte Gold und über einen Teil davon in körperlicher Gestalt, z. B. ein Stück vor uns liegendes Blattgold, zu argumentieren, obgleich wir bei der Unterredung genötigt sind, den Namen für das Ding zu setzen.

§ 20. Die Ursache dieses Mißbrauchs ist die Voraussetzung, daß die Natur beständig nach einer Regel arbeite. – Was meiner Meinung nach die Menschen sehr geneigt macht, ihre Namen an die Stelle der realen Wesenheiten der Arten zu setzen, ist die oben erwähnte Annahme, daß die Natur bei der Hervorbringung der Dinge nach einer Regel arbeite, und jeder dieser Arten ihre Grenzen vorschreibe, indem sie jedem Individuum, das wir unter einen generellen Namen einreihen, genau dieselbe reale innere Beschaffenheit verleihe. Wohingegen jeder, der ihre verschiedenen Eigenschaften beobachtet, kaum daran zweifeln kann, daß viele der mit demselben Namen bezeichneten Individuen ihrer inneren Beschaffenheit nach ebenso verschieden voneinander sind, wie manche der unter verschiedene specifische Namen eingeordneten. Gleichwohl macht die Annahme, daß genau dieselbe innere Beschaffenheit beständig denselben specifischen Namen begleite, die Menschen nur allzu geneigt, die Namen für Repräsentanten der realen Wesenheiten gelten zu lassen, obgleich sie in der That nichts weiter bedeuten als die komplexen Ideen, welche die Menschen im Sinne haben, wenn sie sie gebrauchen. Indem sie somit, wenn ich so sagen darf, ein Ding bezeichnen, während sie für ein anderes angenommen oder an dessen Stelle gesetzt werden, können die Namen bei einer solchen Gebrauchsweise nicht umhin, sehr viel Ungewißheit in den Reden der Menschen zu bewirken, namentlich bei denen, die die Lehre von den substantiellen Formen gründlich in sich aufgenommen haben, und die feste Überzeugung hegen, daß die verschiedenen Arten der Dinge danach bestimmt und unterschieden sind.

§ 21. Dieser Mißbrauch enthält zwei falsche Voraussetzungen. – So widersinnig und ungereimt es aber auch sein mag, unsere Namen für Ideen zu gebrauchen, die wir nicht haben, oder (was ganz dasselbe ist) für Wesenheiten, die wir nicht kennen, da es in der That heißt, unsere Wörter zu Zeichen von nichts zu machen, so ist es doch für jeden, der nur ein wenig auf den Gebrauch achtet, den die Menschen von ihren Wörtern machen, einleuchtend, daß es nichts Gewöhnlicheres giebt. Wenn jemand fragt, ob dies oder jenes Ding, was er sieht – sei es ein Pavian oder eine Mißgeburt –, ein Mensch sei oder nicht, so will er augenscheinlich nicht wissen, ob dieses besondere Ding mit seiner durch den Namen »Mensch« ausgedrückten komplexen Idee übereinstimme, sondern ob es die reale Wesenheit einer Art von Dingen in sich trage, die er als die Bedeutung seines Namens »Mensch« ansieht. In dieser Art und Weise, die Namen von Substanzen zu gebrauchen, sind folgende falsche Voraussetzungen enthalten:

1. Daß es gewisse genau bestimmte Wesenheiten gebe, nach deren Maßstab die Natur alle einzelnen Dinge bilde, und wonach diese in Arten eingeteilt würden. Daß jedes Ding eine reale Beschaffenheit hat, wodurch es das ist, was es ist, und worauf seine sinnlichen Eigenschaften beruhen, ist außer Zweifel; ich denke aber, es ist bewiesen, daß dies nicht den Unterschied der Arten, so wie wir dieselben aufstellen, begründet, noch auch ihren Namen die Grenzen vorschreibt.

2. Darin liegt auch stillschweigend die Andeutung, daß wir von jenen vorausgesetzten Wesenheiten Ideen hätten. Denn, was hätte die Frage, ob dieses oder jenes Ding die reale Wesenheit der Art »Mensch« habe, sonst für einen Zweck, wenn wir nicht annähmen, daß diese specifische Wesenheit etwas Bekanntes sei? was doch völlig falsch ist; und deshalb muß ein solcher Gebrauch von Namen, wobei sie Ideen vertreten sollen, die wir nicht haben, in den sie betreffenden Reden und Schlußfolgerungen notwendigerweise große Unordnung zuwege bringen, und für unsere Gedankenmitteilung durch Worte ein großes Hindernis sein.

§ 22. Sechstens die Annahme, daß Wörter eine feststehende und offenkundige Bedeutung haben. – Es erübrigt sechstens noch ein weiterer, mehr allgemeiner, obwohl vielleicht weniger beachteter Mißbrauch der Wörter, der darin besteht, daß die Menschen, weil sie mit ihnen durch langen und familiären Gebrauch gewisse Ideen verbunden haben, geneigt sind, sich zwischen den Namen und der Bedeutung, worin sie sie gebrauchen, eine so nahe und notwendige Verbindung vorzustellen, daß sie mit Übereilung voraussetzen, man könne unmöglich ihren Sinn nicht verstehen, und müsse sich deshalb bei den gehörten Worten beruhigen, als ob es über jeden Zweifel hinausläge, daß bei dem Gebrauch dieser allgemein angenommenen Laute der Sprecher und der Hörer notwendig genau dieselben Ideen hätten. Indem sie deshalb annehmen, daß, wenn sie in der Unterredung irgend einen Ausdruck gebraucht haben, sie dadurch gleichsam das besprochene Ding selbst anderen vor Augen hingestellt hätten, und indem sie gleichermaßen die Worte anderer so auffassen, als ob sie natürlich gerade den Sinn hätten, den sie selbst gewohnt sind ihnen beizulegen, geben sie sich niemals die Mühe, ihre eigene Meinung zu erläutern, oder die Meinung anderer klar und deutlich zu verstehen. Daraus entstehen gewöhnlich Lärm und Zank ohne bessere Erkenntnis oder Belehrung, so lange die Menschen in den Wörtern, die in Wahrheit nur die willkürlichen und veränderlichen Zeichen ihrer eigenen Ideen sind, beständige regelmäßige Zeichen allbekannter Begriffe erblicken. Und doch finden die Menschen es sonderbar, wenn man bei der Unterhaltung oder (wobei es oftmals absolut notwendig ist) einer Disputation zuweilen nach dem Sinn ihrer Ausdrücke fragt, obgleich die Folgerungen, die man tagtäglich bei der Unterhaltung zu hören bekommt, es einleuchtend machen, daß es wenig Namen von komplexen Ideen giebt, die von je zwei Menschen genau für gerade dieselbe Sammlung gebraucht werden. Schwerlich läßt sich ein Wort namhaft machen, was nicht ein deutliches Beispiel hievon liefern würde. »Leben« ist ein so geläufiger Ausdruck wie nur sonst einer; jedermann würde sich fast beleidigt fühlen, wenn man ihn fragte, was er darunter verstehe. Und doch, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob eine Pflanze, die in dem Samenkorn fertig vorgebildet liegt, Leben habe; ob der Embryo in einem Ei vor der Bebrütung oder ein ohnmächtiger Mensch ohne Sinn oder Bewegung lebendig seien oder nicht, so läßt sich leicht einsehen, daß der Gebrauch eines so bekannten Wortes wie »Leben« nicht immer eine klare, deutliche, feststehende Idee im Gefolge hat. Einige grobe und verworrene Vorstellungen haben die Menschen allerdings gewöhnlich, worauf sie die gemeingebräuchlichen Wörter ihrer Sprache anwenden; und solch ein loser Gebrauch ihrer Wörter leistet ihnen bei ihren alltäglichen Unterredungen oder Geschäften ausreichende Dienste. Für philosophische Untersuchungen genügt dies aber nicht, Erkenntnis und Beweis erfordern genau bestimmte Ideen. Und wenn auch die Menschen nicht so beschwerliche Dummköpfe sein wollen, daß sie das von anderen Gesagte nicht verständen, ohne eine Erläuterung ihrer Ausdrücke zu fordern, und nicht so störende Kritiker, daß sie andere in dem Gebrauch der Wörter, die sie von ihnen hören, zurechtwiesen, so weiß ich doch nicht, warum es da, wo Wahrheit und Erkenntnis in Frage stehen, Tadel verdienen könnte, eine Erklärung von Wörtern zu verlangen, deren Sinn als zweifelhaft erscheint, oder warum man sich schämen sollte, seine Unwissenheit darüber einzugestehen, in welchem Sinne jemand anders seine Wörter gebrauche, da man zu einer sicheren Kunde hievon auf keinem anderen Wege als dem der Belehrung gelangen kann. Dieser Mißbrauch, die Wörter auf Treu und Glauben anzunehmen, hat nirgends einen so großen Umfang angenommen oder so üble Folgen gehabt, wie unter den Gelehrten. Die Vermehrung und die Hartnäckigkeit der Streitigkeiten, wodurch die intellektuelle Welt so verwüstet worden, ist keiner Ursache mehr als diesem Mißbrauch der Wörter zu verdanken. Denn, obwohl allgemein geglaubt wird, daß eine große Verschiedenheit der Ansichten in den Bänden über die vielfachen, die Welt aufregenden Streitigkeiten enthalten sei, so besteht doch das Meiste, was – so viel ich sehe – die streitenden Gelehrten der verschiedenen Parteien bei ihren Argumentationen gegeneinander thun, darin, daß sie verschiedene Sprachen reden. Denn ich bin geneigt, zu glauben, daß, wenn jeder von ihnen mit Beiseitesetzung der Kunstausdrücke über die Dinge nachdenken und wissen würde, was sie dächten, sie alle dasselbe denken würden, wenn sie es auch vielleicht als etwas Verschiedenes wollten angesehen wissen.

§ 23. Die Zwecke der Sprache. Erstens, Mitteilung unserer Ideen. – Um mit dieser Betrachtung über die Unvollkommenheit und den Mißbrauch der Sprache zum Schlusse zu kommen: Da die Zwecke der Sprache bei unserer Unterredung mit anderen hauptsächlich folgende drei sind: 1. Die Gedanken oder Ideen des einen Menschen einem anderen bekannt zu machen; 2. dies so leicht und rasch wie möglich zu thun; und 3. dadurch die Kenntnis von Dingen mitzuteilen, so wird die Sprache entweder gemißbraucht oder sie ist mangelhaft, wenn sie irgend einen dieser drei Zwecke verfehlt.

I. Die Wörter verfehlen den ersten dieser Zwecke, und legen die Ideen eines Menschen nicht für den Einblick eines anderen offen, 1. wenn die Menschen Namen im Munde führen, ohne bestimmte Ideen im Sinne zu haben, deren Zeichen jene sind; oder 2. wenn sie die gewöhnlichen hergebrachten Namen einer Sprache auf Ideen anwenden, worauf der gemeine Gebrauch jener Sprache sie nicht anwendet; oder 3. wenn sie dieselben sehr ungleichmäßig gebrauchen, indem sie sie jetzt die eine und gleich darauf eine andere Idee vertreten lassen.

§ 24. Zweitens, Schnelligkeit derselben. – II. Es gelingt den Menschen nicht, ihre Gedanken mit der möglichsten Schnelligkeit und Leichtigkeit mitzuteilen, wenn sie komplexe Ideen haben, nicht aber auch bestimmte Namen dafür. Zuweilen ist das ein Mangel der Sprache selbst, der noch ein Laut fehlt, dem eine solche Bedeutung beigelegt wäre, und zuweilen ein Mangel in dem Menschen, der den Namen der Idee, die er einem anderen mitteilen möchte, noch nicht gelernt hat.

§ 25. Drittens, um dadurch eine Kenntnis von Dingen zu überliefern. – III. Durch die Wörter der Menschen wird keine Kenntnis von Dingen überliefert, wenn ihre Ideen mit der Realität der Dinge nicht übereinstimmen. Obgleich dieser Mangel seinen Ursprung in unseren Ideen hat, die der Natur der Dinge nicht so angemessen sind, wie sie durch Aufmerksamkeit, Studium und Fleiß werden könnten, so dehnt er sich doch auch auf unsere Wörter aus, wenn wir diese als Zeichen für (vermeintlich) wirkliche Dinge gebrauchen, die niemals irgend welche Realität oder Existenz gehabt haben.

§ 26. Wie die Wörter der Menschen in allen diesen Rücksichten ihren Zweck verfehlen. – Erstens, wer sich die Wörter einer Sprache angeeignet hat ohne deutliche Ideen im Sinne zu tragen, worauf er sie anwendet, macht, sofern er sie in seiner Rede gebraucht, nur ein Geräusch ohne Sinn oder Bedeutung, und wie gelehrt er auch wegen des Gebrauchs schwieriger Wörter oder schulmäßiger Kunstausdrücke scheinen mag, wird er sich dadurch doch in der Erkenntnis nicht mehr gefördert finden, wie in der Gelehrsamkeit jemand, dessen Studium sich nicht über die bloßen Titel der Bücher hinaus erstreckt, und ihm von deren Inhalt keine Kunde verschafft hätte. Denn alle solche Wörter, mögen sie auch der richtigen Konstruktion grammatischer Regeln oder der Harmonie wohl abgerundeter Perioden gemäß in die Rede eingefügt sein, laufen doch nur auf leere Laute und nichts anderes hinaus.

§ 27. Zweitens, wer komplexe Ideen ohne eigentümliche Namen dafür hat, würde sich in keiner besseren Lage befinden wie ein Buchhändler, der in seinem Laden Bücher ungebunden und ohne Titel liegen hätte, womit er deshalb andere nur bekannt machen könnte, indem er die losen Druckbogen vorzeigte, und die er ihnen nur stückweise übergeben könnte. Ein solcher Mensch ist in seiner Rede durch den Mangel von Wörtern zur Mitteilung seiner komplexen Ideen behindert, die er deshalb durch Auszählung der einfachen, woraus sie zusammengesetzt sind, bekannt machen muß, so daß er oft genötigt ist, zwanzig Wörter zu gebrauchen, um etwas auszudrücken, was ein anderer mit einem einzigen bezeichnet.

§ 28. Drittens, wer nicht beständig dasselbe Zeichen für dieselbe Idee setzt, sondern dieselben Wörter bald in einer und bald in einer anderen Bedeutung gebraucht, der sollte in den Schulen und bei der Unterhaltung für einen ebenso ehrlichen Mann gelten, wie auf dem Markte und in der Börse der, welcher verschiedene Dinge unter demselben Namen verkauft.

§ 29. Viertens, wer die Wörter einer Sprache auf Ideen anwendet, die von den damit nach dem gemeinen Sprachgebrauch des Landes bezeichneten verschieden sind, der wird, so erfüllt auch sein eigener Verstand von Wahrheit und Licht sein mag, nicht imstande sein, viel davon durch solche Wörter auf andere zu übertragen, ohne seine Ausdrücke zu definieren. Denn, wenn auch die Laute jedermann wohlbekannt sind, und leicht in das Ohr derer Eingang finden, die sich an sie gewöhnt haben, so können sie doch, weil sie andere Ideen als die vertreten, womit sie gewöhnlich verbunden sind, und die sie im Geiste der Hörer hervorzurufen pflegen, die Gedanken dessen, der sie in solcher Weise gebraucht, nicht erkennbar machen.

§ 30. Fünftens, wer sich Substanzen vorstellt, die es niemals gegeben hat, und seinen Kopf mit Ideen anfüllt, die der wirklichen Natur der Dinge in keiner Weise entsprechen, denen er jedoch feste und bestimmte Namen giebt, der mag seine Reden und vielleicht auch anderer Leute Köpfe mit den phantastischen Einbildungen seines eigenen Gehirns erfüllen, aber er wird sehr weit davon entfernt bleiben, dadurch in sachlicher und wahrer Erkenntnis auch nur um ein Jota weiter zu kommen.

§ 31. Wer Namen ohne Ideen hat, dessen Wörtern fehlt der Sinn, und er spricht nur leere Laute. Wer komplexe Ideen ohne Namen dafür hat, dem fehlt Freiheit und Schnelligkeit im Ausdruck, und er ist genötigt, sich Umschreibungen zu bedienen. Wer seine Wörter in loser und unsteter Weise gebraucht, wird entweder unbeachtet bleiben oder nicht verstanden werden. Wer seine Namen auf Ideen anwendet, die von ihrem gewöhnlichen Sprachgebrauch abweichen, dessen Redeweise ist inkorrekt, und er spricht kauderwelsch. Und wer Ideen von Substanzen hegt, die mit der realen Existenz der Dinge nicht übereinstimmen, dessen Verstand gebricht es insoweit an den Materialien wahrer Erkenntnis, und er befaßt sich statt dessen mit Chimären.

§ 32. Wie sie ihn bei Substanzen verfehlen. – Bei unsern Begriffen von Substanzen sind wir allen den erwähnten Übelständen ausgesetzt. 1. Wer z. B. das Wort tarantula gebraucht, ohne eine Vorstellung oder Idee von dessen Bedeutung zu haben, spricht ein gutes Wort aus, meint aber einstweilen ganz und gar nichts damit. 2. Wer in einem neu entdeckten Lande verschiedene ihm bisher unbekannte Arten von Tieren und Pflanzen erblickt, mag ebenso wahre Ideen von ihnen haben, wie von einem Pferde oder einem Hirsche, allein reden kann er von ihnen nur mit Hilfe einer Beschreibung, bis er sich entweder die Namen aneignet, womit die Eingeborenen sie benennen, oder ihnen selbst Namen giebt. 3. Wer das Wort Körper manchmal bloß für Ausdehnung und manchmal für Ausdehnung und Solidität zusammengenommen gebraucht, redet in einer sehr irreführenden Weise. 4. Wer den Namen Pferd der Idee beilegt, die nach gemeinem Sprachgebrauch Maultier heißt, drückt sich unpassend aus, und wird nicht verstanden werden. 5. Wer da glaubt, daß der Name Centaur ein reales Wesen bezeichne, täuscht sich selbst, und verwechselt Wörter mit Dingen.

§ 33. Und wie bei Modi und Relationen. – Bei Modi und Relationen sind wir im allgemeinen nur den vier ersten dieser Übelstände ausgesetzt, nämlich: 1. Ich kann die Namen von Modi z. B. Dankbarkeit oder Wohlthätigkeit im Gedächtnis haben und doch in meinen Gedanken mit ihnen keine bestimmten Ideen verknüpfen. 2. Ich kann Ideen haben, ohne die zugehörigen Namen zu kennen, z. B. die Idee davon, daß jemand trinkt, bis seine Gesichtsfarbe und seine Gemütsstimmung sich ändern, bis seine Zunge stammelt, seine Augen rot werden und seine Füße ihn nicht mehr tragen, und doch nicht wissen, daß dieser Zustand Trunkenheit heißt. 3. Ich kann die Ideen von Tugenden oder Lastern und auch deren Namen haben, aber sie unrichtig miteinander verbinden; z. B. wenn ich den Namen Sparsamkeit auf die Idee anwende, welche andere mit dem Laut »Habgier« benennen und bezeichnen. 4. Ich kann jeden dieser Namen ungleichmäßig gebrauchen. 5. Aber bei Modi und Relationen kann ich keine von der Existenz der Dinge abweichenden Ideen haben, denn, da die Modi vom Geiste nach Belieben zusammengesetzte Ideen sind, und die Relation nur in der Betrachtung oder Vergleichung zweier Dinge neben oder miteinander besteht, also auch eine von mir selbstgeschaffene Idee ist, so ist es kaum möglich, eine Nichtübereinstimmung dieser Ideen mit etwas Existierendem aufzufinden, weil sie im Bewußtsein nicht als Kopien von Dingen bestehen, die von der Natur nach einer Regel gebildet wären, noch auch als Eigenschaften, die unausbleiblich aus der inneren Beschaffenheit oder Wesenheit einer Substanz hervorgingen, sondern gleichsam als im Gedächtnis aufbewahrte und mit Namen versehene Muster, wonach Handlungen und Verhältnisse, wenn solche zur Existenz gelangen, benannt werden sollen. Vielmehr liegt der Irrtum gewöhnlich darin, daß ich nicht verstanden werde, weil ich meinen Vorstellungen einen verkehrten Namen gebe, und somit Wörter in einem anderen Sinne wie andere Leute gebrauche, und daß man deshalb meint, ich habe unrichtige Ideen davon, von dem, was die Wörter bezeichnen. während ich ihnen meinen Ideen. unrichtige Namen gebe. Nur wenn ich in meinen Ideen von gemischten Modi oder Relationen miteinander unverträgliche Ideen zusammenbringe, erfülle ich meinen Kopf auch mit Chimären, weil solche Ideen, wohl geprüft, nicht einmal im Geiste existieren können, geschweige denn, daß sich jemals irgend ein reales Wesen nach ihnen benennen ließe.

§ 34. Siebentens, auch bilderreiche Reden sind ein Statt and lies an. Mißbrauch der Sprache. – Da Witz und Phantasie in der Welt leichter Aufnahme finden als trockene Wahrheit und sachliches Wissen, so wird man schwerlich zugeben, daß bilderreiche Reden und Anspielungen in der Sprache eine Unvollkommenheit oder ein Mißbrauch derselben seien. Ich räume ein, daß, insoweit wir bei der Unterredung mehr Erheiterung und Vergnügen als Belehrung und vermehrtes Wissen im Auge haben, solcher Schmuck wie der aus jenen Quellen entlehnte kaum als ein Mangel angesehen werden kann. Wenn wir aber von den Dingen, wie sie wirklich sind, reden wollen, so müssen wir zugeben, daß, abgesehen von Ordnung und Klarheit, alle Kunst der Rhetorik, alle von der Beredsamkeit erfundene künstliche und bildliche Anwendung der Wörter nur dazu dienen, falsche Ideen einzuflößen, die Leidenschaften aufzuregen und dadurch das Urteil irre zu führen, in der That also ein vollständiger Betrug sind. Für wie lobenswert oder statthaft die Redekunst sie deshalb auch erklären mag, wenn es gilt, das Volk zu haranguieren und anzureden, so müssen sie Aber nicht jede bildliche Ausdrucksweise, deren sich Locke selbst oft genug bedient. doch sicherlich bei allen Vorträgen, die belehren oder unterrichten sollen, gänzlich vermieden werden, und können, wo es sich um Wahrheit und Erkenntnis handelt, nur für einen großen Fehler entweder der Sprache oder der Person gelten, die sie gebraucht. Worin sie bestehen und wie mannigfaltig sie sind, würde überflüssig sein hier in Betracht zu ziehen; die überreichlich in der Welt vorhandenen Bücher über Rhetorik werden die belehren, die sich darüber zu unterrichten wünschen; ich kann nur nicht umhin zu bemerken, wie wenig die Bewahrung und Förderung der Wahrheit und des Wissens den Menschen am Herzen liegt, da die Künste der Täuschung gepflegt und vorgezogen werden. Es leuchtet ein, wie sehr die Menschen es lieben zu hintergehen und hintergangen zu werden, da die Rhetorik, dieses mächtige Werkzeug des Irrtums und Betruges, ihre festangestellten Professoren hat, öffentlich gelehrt wird, und allzeit in hoher Achtung gestanden hat; und ich bezweifle nicht, daß es mir als eine große Vermessenheit wenn nicht gar Roheit angerechnet werden wird, soviel gegen sie gesagt zu haben. Die Beredsamkeit besitzt, wie das schöne Geschlecht zu überwiegende Reize, als daß sie irgend welchen Tadel ihrer selbst gestatten sollte, und es ist vergeblich Ausstellungen gegen die Künste der Täuschung zu erheben, wodurch die Menschen sich nur allzu gerne täuschen lassen.


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