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Elftes Kapitel.
Über unser Wissen von dem Dasein anderer Dinge.

§ 1. Das erlangen wir nur durch Sinneswahrnehmung. – Die Kenntnis unseres eigenen Daseins erlangen wir durch Intuition. Das Dasein Gottes wird uns, wie gezeigt worden, durch die Vernunft klar bewiesen. Von dem Dasein anderer Dinge können wir nur durch sinnliche Wahrnehmung etwas erfahren, denn, da keine notwendige Verbindung zwischen dem realen Dasein und irgend einer Idee, die jemand im Gedächtnis hat, besteht, noch auch zwischen irgend einer anderen Existenz als der Gottes und der Existenz eines einzelnen Menschen, so kann ein einzelner Mensch das Dasein eines anderen Wesens nur dann erkennen, wenn dieses thatsächlich auf ihn einwirkt und sich ihm dadurch bemerkbar macht. Denn, daß wir die Idee von irgend etwas in unserm Bewußtsein haben, beweist die Existenz dieses Dinges nicht mehr, als das Gemälde eines Menschen dessen Dasein in der Welt darthut, oder die Visionen eines Traumes ein wirkliches Geschehen bilden.

§ 2. Die Weiße dieses Papiers als Beispiel. – Daß wir thatsächlich Ideen von außen empfangen, ist es deshalb, was uns Kunde von dem Dasein anderer Dinge verschafft, und uns zum Bewußtsein bringt, daß zu derselben Zeit etwas außer uns existiert, was die Ideen in uns verursacht, obgleich wir vielleicht weder wissen noch danach fragen, wie das geschehe; denn es vermindert nicht die Gewißheit unserer Sinneswahrnehmung und der durch sie empfangenen Ideen, daß wir die Art und Weise der Entstehung dieser nicht kennen. Z. B. während ich dieses schreibe, wird durch eine Einwirkung des Papiers auf meine Augen in meinem Bewußtsein die Idee hervorgebracht, die ich, welches Objekt sie auch verursachen möge, weiß nenne, und daraus erkenne ich, daß diese Eigenschaft oder dieses Accidens (d. i. dessen Erscheinung vor meinen Augen beständig diese Idee verursacht) tatsächlich existiert und ein Dasein außer mir hat. Und die größte Gewißheit hievon, die ich möglicherweise haben und durch meine Fähigkeiten erlangen kann, beruht auf dem Zeugnis meiner Augen, die die eigentlichen und alleinigen Richter hierüber sind, auf deren Zeugnis ich mich mit Grund als so sicher verlassen darf, daß ich, während ich dieses schreibe, nicht mehr daran zweifeln kann, daß ich weiß und schwarz sehe, und daß diese Sinneswahrnehmung von etwas tatsächlich Existierendem in mir hervorgebracht wird, als daß ich schreibe oder meine Hand bewege, was eine so große Gewißheit ist, wie die menschliche Natur von dem Dasein irgend eines Dinges außer dem Menschen selbst und Gott erlangen kann.

§ 3. Wenn dies auch nicht so sicher ist wie eine Demonstration, so kann es doch Wissen heißen, und beweist die Existenz von Dingen außer uns. – Wenn auch die Kunde, die wir durch unsere Sinne von dem Dasein von Dingen außer uns erhalten, nicht ganz so gewiß ist wie unsere intuitive Erkenntnis oder die Deduktionen unserer Vernunft bei ihrer Beschäftigung mit den klaren abstrakten Ideen unseres eigenen Geistes, so ist sie doch eine Zuversicht, die den Namen »Wissen« verdient. Wenn wir uns davon überzeugt halten, daß unsere Sinnesorgane bezüglich des Daseins der auf sie einwirkenden Gegenstände richtig funktionieren und uns unterrichten, so kann das nicht für ein schlecht begründetes Zutrauen gelten; denn ich denke, niemand kann im Ernst so skeptisch sein, daß er über die Existenz der Dinge, die er sieht und fühlt, ungewiß wäre. Wenigstens kann jemand, dessen Zweifel soweit reichen (wie er sich auch zu seinen eigenen Gedanken stellen möge), niemals einen Streit mit mir führen, weil er niemals davon vergewissert sein kann, daß ich etwas seiner eigenen Meinung Entgegengesetztes sage. Was mich betrifft, so denke ich, daß Gott mir über die Existenz von Dingen außer mir Gewißheit genug gegeben hat, weil ich durch verschiedene Anwendungsweisen derselben in mir sowohl Freude wie Schmerz hervorbringen kann, was ein Hauptinteresse meines dermaligen Zustandes ist. So viel ist gewiß, die Zuversicht, daß unsere Sinne uns hierin nicht täuschen, ist die größte Sicherheit, die wir bezüglich der Existenz materieller Wesen erlangen können. Denn wir können keine Handlung anders als durch unsere Geisteskräfte Faculties. Dasselbe Wort ist vorher in diesem Paragraphen zweimal mit »Sinnesorgane« und »Sinne« übersetzt worden, weil es dort dem Zusammenhänge nach nichts anderes bedeuten kann. Hier dagegen kann es nicht füglich denselben Sinn haben, obwohl im nächsten Satz wieder ausdrücklich von our senses die Rede ist. vollbringen, und vom Wissen selber nur mit Hilfe dieser Geisteskräfte reden, die fähig sind sogar zu begreifen, was Wissen ist. Abgesehen aber von der Versicherung, die wir durch unsere Sinne selbst darüber erhalten, daß sie bei der Auskunft nicht irren, die sie uns über das Dasein von Dingen außer uns geben, wenn sie Einwirkungen von ihnen empfangen, werden wir in dieser Überzeugung noch durch andere hinzukommende Gründe weiter bestärkt.

§ 4. Erstens, weil wir sie Die durch Sinneswahrnehmung zu erlangenden einfachen Ideen sind gemeint. nur durch die Eingangspforte der Sinne erhalten. – I. Daß diese Wahrnehmungen in uns durch äußere auf unsere Sinne einwirkende Ursachen hervorgebracht werden, ist klar, weil im Bewußtsein solcher Menschen, denen die Organe irgend eines Sinnes fehlen, die diesem Sinne angehörigen Ideen niemals entstehen. Dies ist zu einleuchtend, als daß es sich bezweifeln ließe, und wir dürfen deshalb überzeugt sein, daß sie durch die Organe dieses Sinnes Eingang finden, und auf keinem anderen Wege. Die Organe selbst – das ist klar – bringen sie nicht hervor, denn dann würden die Augen eines Menschen im Dunkeln Farben erzeugen und seine Nase im Winter Rosenduft riechen; wir sehen aber, daß niemand den Wohlgeschmack einer Ananas kennen lernt, der nicht nach Indien geht, wo sie wächst, und sie kostet.

§ 5. Zweitens, weil eine von tatsächlichem Sinneseindruck herrührende Idee und eine aus dem Gedächtnis entnommene ganz verschiedene Wahrnehmungen sind. – II. Weil ich zuweilen finde, daß ich die Entstehung dieser Ideen in meinem Bewußtsein nicht vermeiden kann. Denn ich kann mir zwar, wenn meine Augen geschlossen oder die Fenster verhängt sind, die Idee des Lichtes oder der Sonne, die nach früheren Sinneswahrnehmungen in meinem Gedächtnis zurückgeblieben waren, beliebig wieder vergegenwärtigen, aber ich kann auch diese Idee nach Belieben fallen lassen, und die des Geruches einer Rose oder des Geschmacks des Zuckers in Betracht ziehen. Wenn ich aber meine Augen zur Mittagszeit auf die Sonne richte, so kann ich die Ideen nicht fernhalten, die das Licht oder die Sonne dann in mir hervorbringen. So daß offenbar ein Unterschied besteht zwischen den in meinem Geiste aufbewahrten Ideen (über die ich, wenn sie sich nur dort befänden, beständig dieselbe Macht haben würde, sie nach Belieben zu benutzen oder beruhen zu lassen) und denen, die sich mir aufdrängen, und die ich nicht vermeiden kann zu haben. Deshalb muß es notwendig eine äußere Ursache sein und die lebhafte Thätigkeit gewisser Objekte außer mir, deren Einwirkung ich nicht widerstehen kann, die jene Ideen in meinem Bewußtsein hervorruft, ich mag wollen oder nicht. Überdies giebt es niemand, der nicht in sich selbst den Unterschied zwischen einer Betrachtung der Sonne, so wie er deren Idee im Gedächtnis hat, und ihrem thatsächlichen Anblick bemerken sollte; zwischen diesen beiden Wahrnehmungen besteht eine so große Verschiedenheit, daß wenige seiner Ideen leichter voneinander zu unterscheiden sind. Und deshalb weiß er gewiß, daß nicht beide Erinnerungen oder Geistesthätigkeiten und nur in ihm bestehende Phantasiebilder sind, sondern daß das thatsächliche Sehen eine äußere Ursache hat.

§ 6. Drittens, Freude oder Schmerz, womit die thatsächlichen Sinneswahrnehmungen verbunden sind, begleiten nicht die Rückkehr derselben Ideen ohne die äußeren Gegenstände. – III. Dazu kommt, daß viele dieser Ideen in uns mit Schmerz entstehen, deren wir uns hernach ohne die geringste Unannehmlichkeit erinnern. So quält uns der Schmerz von Hitze und Kälte nicht, wenn deren Ideen in unserem Bewußtsein wieder belebt werden, der doch, als er empfunden ward, sehr beschwerlich war, und es wieder sein wird, wenn sich jene wiederholen, wovon die Ursache in der Störung liegt, die der äußere Gegenstand, wenn er mit unserem Leibe in Berührung kommt, in diesem veranlaßt. Und wir erinnern uns der Schmerzen des Hungers, Durstes oder Kopfwehs ohne alle und jede Schmerzempfindung, die uns entweder niemals belästigen würde oder jedesmal, wenn wir an sie dächten, falls es nichts weiter gäbe als in unserem Bewußtsein schwebende Ideen und unsere Phantasie unterhaltende Scheinbilder ohne das reale Dasein von Dingen, die von außen her auf uns einwirken. Dasselbe läßt sich von der Freude sagen, die manche thatsächliche Sinneswahrnehmungen begleitet, und wenn auch mathematische Demonstrationen nicht auf der Sinneswahrnehmung beruhen, so giebt doch ihre Prüfung mit Hilfe von Zeichnungen dem, was unser Gesichtssinn uns zeigt, große Glaubwürdigkeit und anscheinend eine sich der des Beweises selbst annähernde Gewißheit. Denn es wäre sehr sonderbar, wenn jemand es als eine unbestreitbare Wahrheit anerkennen sollte, daß von zwei Winkeln einer Figur, die er mit Hilfe der Linien und Winkel einer Zeichnung mißt, der eine größer als der andere sei, und doch an der Existenz dieser Linien und Winkel zweifeln, die er zur Ausmessung des Größenunterschieds benutzt, indem er sie mit seinen Augen betrachtet.

§ 7. Viertens, unsere Sinne unterstützen wechselseitig ihr Zeugnis von der Existenz äußerer Dinge. – IV. Unsere Sinne bezeugen in vielen Fällen wechselseitig die Wahrheit ihrer Auskunft in betreff des Daseins sinnlich wahrnehmbarer Dinge außer uns. Wer ein Feuer erblickt, der mag, wenn er zweifelt, ob es mehr als bloße Phantasie sei, es außerdem fühlen, und sich überzeugen, indem er seine Hand hineinsteckt, der sicherlich niemals durch eine bloße Idee oder ein Phantom ein so heftiger Schmerz zugefügt werden könnte, es sei denn, daß auch der Schmerz nur eine Phantasie wäre, den er sich doch nicht, wenn er sich tüchtig verbrannt hat, dadurch, daß er sich ihn vorstellt, nochmals zufügen kann. So sehe ich, während ich dieses schreibe, daß ich das Aussehen des Papiers verändern und, indem ich die Buchstaben hinzeichne, voraussagen kann, welche neue Idee es im nächsten Moment bloß deshalb darbieten werde, weil ich meine Feder darüber hinführe, die sich (ich mag sie mir vorstellen, so viel ich will) weder zeigen wird, wenn meine Hand stillsteht, noch auch, wenn meine Augen geschlossen sind, obgleich ich meine Feder bewege; und wenn diese Schriftzeichen einmal auf dem Papier gemacht sind, dann kann ich hernach nicht umhin, sie so zu sehen, wie sie sind, d. h. die Ideen eben der Buchstaben zu haben, die von mir hingeschrieben sind. Hienach ist offenbar, daß sie nicht bloß eine Belustigung und ein Spiel meiner eigenen Einbildungskraft sind, indem ich finde, daß die nach dem Belieben meiner Gedanken gemachten Schriftzüge diesen nicht gehorchen und nicht verschwinden, wenn ich mir das vorstelle, sondern fortfahren, nach Maßgabe der Figuren, die ich ihnen gegeben habe, beständig und regelmäßig auf die Sinne einzuwirken. Nehmen wir dazu noch, daß ihr Anblick einem anderen Menschen eben die Laute entlocken wird, die sie meiner voraufgegangenen Absicht nach vertreten sollten, so wird kaum ein Grund zum Zweifel daran übrigbleiben, daß die von mir geschriebenen Worte thatsächlich außer mir existieren, wenn sie bewirken, daß eine lange Reihe regelmäßiger Laute meine Ohren trifft, die nicht ein Erzeugnis meiner Einbildungskraft sein können, und die mein Gedächtnis in dieser Ordnung nicht festhalten konnte. In den Ausführungen dieses elften Kapitels wird es durchweg als selbstverständlich vorausgesetzt, daß zwischen den Vorgängen in unserem Bewußtsein und denen in unserem großen Gehirn, dem Endpunkte unserer Sinnesorgane, ein Kausalnexus bestehe; während der Doppelsinn der Worte »außer uns« – d. h. außer unserem Gehirn oder außer unserem Bewußtsein – unbeachtet geblieben ist. Indessen richtet sich die Polemik dieses Kapitels nicht gegen den Idealismus (auch Lockes eigene Erkenntnistheorie ist ja durchaus immanent; siehe die Anmerkung zu Kapitel 4, § 12), sondern gegen eine Skepsis, die den Unterschied der sinnlichen Wahrnehmungen von den Erinnerungen, Vorstellungen, Phantasie- und Traumbildern leugnen möchte. Selbstverständlich wäre eine solche Skepsis zu verwerfen, da sie eine der handgreiflichsten Bewußtseinsthatsachen verkennen würde, aber man brauchte deshalb Locke nicht bis in die hier sich wiederholenden Fehlschlüsse zu folgen, auf die schon in der dritten und vierten Anmerkung zu Kapitel 2, § 14 und in den beiden Anmerkungen zu Kapitel 4, § 4 des vierten Buches aufmerksam gemacht worden ist. Das sicherste Schutzmittel gegen diese Fehlschlüsse besteht darin, sich völlig klar zu machen, daß Raum und Zeit gerade als Bewußtseinsformen auch die allgemeinen Formen des objektiven Daseins sind, und daß es ebenso unmöglich ist, sie im Denken von dem Bewußtsein abzutrennen, wie sich (nach Kants Anweisung) eine den Dingen der objektiven Welt Stück für Stück entsprechende Welt von Dingen an sich vorzustellen, der die Formen von Raum und Zeit fehlten. Vgl. übrigens, wenn's beliebt, die Anmerkungen zu Buch II, Kapitel 8, § 15, Kapitel 9, § 3, Kapitel 10, § 2, Kapitel 13, § 21, Kapitel 14, § 2, Kapitel 17, § 5, und zu Buch IV. Kapitel 2, § 14 (vierte und fünfte Anmerkung), Kapitel 9, § 3.

§ 8. Diese Gewißheit ist so groß, wie unser Zustand erfordert. – Wenn aber nach alledem jemand so skeptisch sein will, daß er seinen Sinnen mißtraut, und versichert, alles, was wir während unserer ganzen Lebensdauer sehen und hören, fühlen und schmecken, denken und thun, sei nur eine Reihenfolge täuschender Scheinbilder eines langen Traumes, denen jede Realität fehle, und wenn er deshalb die Existenz aller Dinge oder unser Wissen von irgend etwas in Frage stellen will, so bitte ich ihn, zu erwägen, daß, wenn alles ein Traum ist, er auch nur träumt, daß er diese Frage stelle, weshalb nicht viel daran gelegen ist, ob ein wachender Mensch ihm antworte. Gleichwohl möge er, wenn es ihm gefällig ist, träumen, daß ich ihm folgende Antwort gebe: Die Gewißheit, daß Dinge in rerum natura existieren, ist, wenn wir das Zeugnis unserer Sinne dafür haben, nicht nur so groß, wie unsere Organisation gestattet, sondern auch wie unsere Lage erforderlich macht. Denn da unsere Sinnesvermögen nicht dem vollen Umfange des Daseins, noch auch einer vollkommenen klaren umfassenden Erkenntnis der Dinge, die frei von allen Zweifeln und Bedenken wäre, angepaßt sind, sondern nur uns, die wir sie besitzen, zur Selbsterhaltung dienen und dem Bedürfnis des Lebens entsprechen, so reichen sie für unsere Zwecke aus, wenn sie uns nur eine gewisse Kunde von den Dingen geben, die für uns zuträglich oder unzuträglich sind. Denn, wer eine brennende Kerze sieht und die Kraft ihrer Flamme erfahren hat, indem er seinen Finger hinein hielt, der wird schwerlich bezweifeln, daß hier etwas außer ihm da sei, was ihm Schaden zufüge und großen Schmerz verursache, und das ist Gewißheit genug, wenn niemand für das, was seine Handlungen leiten soll, eine größere Sicherheit verlangt als die, welche seinen Handlungen selbst zukommt. Und wenn es unserm Träumer gefällig wäre, dadurch, daß er seine Hand hineinsteckte, zu versuchen, ob die Gluthitze eines Glasschmelzofens bloß eine unstete Einbildung in der Phantasie eines schlaftrunkenen Menschen sei, so würde er vielleicht zu einer seine Wünsche übersteigenden Gewißheit davon aufgeweckt werden, daß sie etwas mehr als bloße Einbildung sei, weshalb die Augenscheinlichkeit hievon so groß ist, wie wir nur verlangen können, indem sie für uns ebenso gewiß ist, wie unsere Freude oder unser Schmerz, d. h. unser Glück oder Elend, über welche hinaus weder das Wissen noch das Sein für uns ein Interesse hat. Eine solche Gewißheit von der Existenz von Dingen außer uns genügt, um uns bei der Erlangung des Guten und der Vermeidung des Schlimmen, die aus ihnen entspringen, zu leiten, und zu dem Ende ist es für uns von Interesse und Bedeutung, Kenntnis von ihnen zu erhalten.

§ 9. Sie reicht aber nicht über die gegenwärtige Sinneswahrnehmung hinaus.In fine also: wenn unsere augenblicklich thätigen Sinne in unser Bewußtsein eine Idee einführen, so dürfen wir überzeugt sein, daß zu derselben Zeit etwas thatsächlich außer uns existiert, was auf unsere Sinne einwirkt, sich durch sie unserm Auffassungsvermögen bemerkbar macht und die alsdann von uns wahrgenommene Idee in der That hervorbringt, und wir können ihrem Zeugnis nicht soweit mißtrauen, daß wir bezweifelten, ob solche Sammlungen einfacher Ideen, wie wir mit unsern Sinnen als vereinigt beobachtet haben, wirklich zusammen existieren. Aber dieses Wissen reicht so weit wie das gegenwärtige Zeugnis unserer Sinne, die mit einzelnen auf sie einwirkenden Gegenständen beschäftigt sind, und nicht weiter. Denn, wenn ich eine solche Sammlung einfacher Ideen, die gewöhnlich Mensch genannt wird, vor einer Minute zusammen bestehend sah und jetzt allein bin, so kann mir die Existenz desselben Menschen nicht gewiß sein, weil zwischen seiner Existenz vor einer Minute und seiner gegenwärtigen Existenz kein notwendiger Zusammenhang besteht, vielmehr sein Dasein, seitdem ich das Zeugnis meiner Sinne dafür hatte, auf tausendfache Weise ein Ende genommen haben kann. Und wenn ich nicht gewiß sein kann, daß ein Mensch, den ich heute zuletzt sah, jetzt noch existiere, so kann ich hievon noch weniger mit Bezug auf jemanden gewiß sein, der schon länger dem Bereich meiner Sinne fern geblieben ist, und den ich seit gestern oder seit dem vorigen Jahre nicht gesehen habe, und noch viel weniger kann mir die Existenz von Menschen gewiß sein, die ich niemals gesehen habe. Obgleich es deshalb höchst wahrscheinlich ist, daß Millionen von Menschen im gegenwärtigen Augenblick existieren, so habe ich davon doch, während ich im Alleinsein dieses schreibe, nicht die Gewißheit, die wir im strengen Sinne Wissen nennen, obwohl die große Wahrscheinlichkeit davon mich jedes Zweifels überhebt, und es für mich vernünftig ist, in dem Verlaß darauf, daß es zur Zeit Menschen in der Welt gebe (und auch solche, die ich kenne, und mit denen ich in Verkehr stehe), manche Dinge zu thun; allein das ist nur Wahrscheinlichkeit und nicht Wissen.

§ 10. Es ist thöricht, für alles einen Beweis zu erwarten. – Hieran mögen wir noch die Bemerkung knüpfen, wie thöricht und eitel es für einen Menschen von beschränkter Erkenntnis ist, dem die Vernunft gegeben worden, um das verschiedene Maß der Erwiesenheit und Wahrscheinlichkeit der Dinge zu beurteilen und sich demgemäß leiten zu lassen – wie eitel, sage ich, es ist, einen Beweis und Gewißheit bei Dingen zu verlangen, die deren nicht fähig sind, sehr vernünftigen Sätzen seinen Beifall zu versagen und ganz schlichten und klaren Wahrheiten zuwider zu handeln, weil sie nicht so einleuchtend gemacht werden können, daß man auch über den geringsten (ich will nicht sagen Grund, sondern) Vorwand des Zweifels hinwegkäme. Wer in den alltäglichen Angelegenheiten des Lebens nichts zulassen wollte, als einen direkten klaren Beweis, für den würde in dieser Welt nichts gewiß sein, als daß er schleunigst umkommen werde. Die Gesundheit seiner Speise und seines Getränks würde ihm nicht sicher genug sein, um es damit zu versuchen, und ich möchte wohl wissen, was er aus solchen Gründen, die keinen Zweifel und keinen Einwurf gestatten, überhaupt noch thun könnte.

§ 11. Vergangenes Dasein wird durch das Gedächtnis erkannt. – Gleichwie wir das Dasein eines Gegenstandes erkennen, wenn unsere Sinne gegenwärtig mit ihm beschäftigt sind, so vergewissert unser Gedächtnis uns davon, daß früher einmal Dinge, die auf unsere Sinne einwirkten, existiert haben. Und auf diese Weise haben wir ein Wissen von dem vergangenen Dasein mancher Dinge, deren Ideen unser Gedächtnis behält, nachdem unsere Sinne uns von ihnen unterrichtet haben, und dasselbe ist ganz zweifellos, so lange unsere Erinnerung fest bleibt. Aber auch dieses Wissen reicht nicht weiter, als unsere Sinne uns früher Bürgschaft geleistet hatten. So ist es, wenn ich in diesem Augenblick Wasser sehe, eine unbestreitbare Wahrheit für mich, daß Wasser existiert, und wenn ich erinnere, es gestern gesehen zu haben, so wird es auch beständig wahr und, so lange mein Gedächtnis treu bleibt, beständig ein für mich unzweifelhafter Satz bleiben, daß am 10. Juli 1688 Wasser existierte, wie es auch gleichermaßen wahr sein wird, daß eine gewisse Anzahl sehr schöner Farben existierte, die ich zur selbigen Zeit auf einer Blase jenes Wassers sah; da ich mich aber jetzt ganz außerhalb des Anblicks sowohl des Wassers wie der Blase befinde, so weiß ich nicht sicherer, daß das Wasser jetzt existiert, als daß die Blasen oder die Farben darin das thun, indem es nicht notwendiger ist, daß das Wasser heute existiere, weil es gestern da war, als daß die Farben oder Blasen heute existieren, weil sie gestern da waren, wenn es auch außerordentlich viel wahrscheinlicher ist, weil man eine lange fortdauernde Existenz von Wasser schon beobachtet hat, während Blasen und die Farben in ihnen rasch zu verschwinden pflegen.

§ 12. Das Dasein von Geistern ist nicht erkennbar. – Welche Ideen wir von Geistern ( spirits) haben, und wie wir dazu gelangen, habe ich bereits gezeigt. Im Buch III, Kapitel 6, § 11. Obgleich wir aber diese Ideen in unserm Kopfe haben und uns dessen bewußt sind, so läßt der Besitz der Ideen von Geistern uns doch nicht erkennen, daß solche Dinge außer uns existieren, oder daß es irgend welche endliche Geister giebt oder irgend ein anderes geistiges Wesen als nur den ewigen Gott. Wir haben aus der Offenbarung und verschiedenen anderen Ursachen Grund für den zuversichtlichen Glauben, daß es solche Geschöpfe gebe, da aber unsere Sinne nicht imstande sind, sie zu entdecken, so fehlen uns die Mittel, ihre individuelle Existenz zu erkennen. Denn durch die Idee, die wir von solchen Wesen in unserm Kopfe haben, können wir ebensowenig erkennen, daß es endliche Geister in thatsächlicher Existenz giebt, wie jemand durch die Ideen, die er von Feen oder Centauren hat, zu der Kenntnis des wirklichen Daseins von diesen Ideen entsprechenden Dingen gelangen kann. Und deshalb müssen wir uns, was die Existenz endlicher Geister sowohl wie verschiedene andere Dinge betrifft, mit dem Zeugnis des Glaubens begnügen, während allgemeine gewisse Sätze über diesen Gegenstand für uns unerreichbar sind. Denn wie wahr es z. B. auch sein mag. daß alle vernünftigen Geister, die Gott jemals geschaffen hat, noch gegenwärtig existieren, so kann dieser Satz doch niemals einen Bestandteil unseres sicheren Wissens ausmachen. Diesem und ähnlichen Sätzen mögen wir als höchst wahrscheinlich beistimmen, ein Wissen im eigentlichen Sinne aber können wir, fürchte ich, in unserem dermaligen Zustande von ihnen nicht haben. Wir müssen deshalb in allen solchen Dingen, wovon wir keine andere Kenntnis haben können, als wir in diesem oder jenem einzelnen Falle durch unsere Sinne erhalten, weder von anderen einen Beweis verlangen noch auch selbst nach allgemeiner Gewißheit suchen.

§ 13. Partikulare das Dasein betreffende Sätze lassen sich wissen. – Hieraus erhellt, daß es zwei Arten von Sätzen Statt of propositions ist wahrscheinlich zu lesen: of knowable propositions, d. h. von Sätzen, deren Inhalt wir im eigentlichen Sinne wissen können. giebt: 1. Eine Art von Sätzen giebt es, die sich auf das Dasein von etwas einer gewissen Idee Entsprechendem beziehen; wenn ich z. B. die Idee eines Elefanten, eines Phönix, einer Bewegung oder eines Engels im Sinne habe, so ist die erste und natürliche Frage, ob solch ein Ding irgendwo existiere? Und dieses Wissen betrifft nur Einzelheiten. Das Dasein keines Dinges außer uns mit alleiniger Ausnahme Gottes läßt sich mit Gewißheit über die uns von unseren Sinnen erteilte Auskunft hinaus erkennen. 2. Eine andere Art von Sätzen giebt es, worin die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer abstrakten Ideen und ihre Abhängigkeit voneinander ausgedrückt ist. Solche Sätze können allgemein und gewiß sein. Wenn ich z. B. die Ideen von Gott und mir selbst, von Furcht und Gehorsam habe, so wird es für mich unfehlbar gewiß sein, daß ich Gott fürchten und ihm gehorsam sein muß; und dieser Satz wird für die Menschen im allgemeinen Gewißheit haben, wenn ich mir von einer solchen Art, der ich selbst als ein Individuum angehöre, eine abstrakte Idee gebildet habe. Gleichwohl beweist mir dieser Satz, daß die Menschen Gott fürchten und ihm gehorchen müssen, so gewiß er auch ist, nicht das Dasein von Menschen in der Welt; er wird jedoch von allen solchen Geschöpfen, wann immer sie existieren mögen, wahr sein, und die Gewißheit solcher allgemeinen Sätze beruht auf der Übereinstimmung oder Nichtüberstimmung, die sich zwischen ihren abstrakten Ideen entdecken läßt.

§ 14. Und allgemeine auf abstrakte Ideen bezügliche Sätze ebenfalls. – In dem ersteren Falle ist unser Wissen das Ergebnis des Daseins von Dingen, die vermittelst unserer Sinne Ideen in unserem Bewußtsein erzeugen; in dem letzteren ist das Wissen das Ergebnis der Ideen (mögen sie sein, welche sie wollen), die sich in unserm Bewußtsein befinden, und hier allgemeine gewisse Sätze zustande bringen. Viele von diesen heißen aeternae veritates, und das sind sie in der That alle, nicht weil alle oder einige von ihnen dem Geiste aller Menschen eingeschrieben wären, oder weil irgend welche von ihnen im Geiste eines Menschen schon als Sätze vorhanden wären, bevor er nach dem Erwerb der abstrakten Ideen diese bejahend oder verneinend miteinander verknüpfte oder voneinander trennte. Sondern überall, wo wir solch ein Geschöpf, wie der Mensch ist, voraussetzen können, begabt mit solchen Vermögen und dadurch mit solchen Ideen versehen, wie wir besitzen, da müssen wir zu dem Schlusse kommen, daß es notwendig, wenn es sein Denken der Betrachtung seiner Ideen zuwende, die Wahrheit gewisser Sätze erkennen müsse, die aus der von ihm an seinen eigenen Ideen wahrzunehmenden Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung entstehen werden. Solche Sätze werden deshalb ewige Wahrheiten genannt, nicht weil sie von Ewigkeit her als Sätze thatsächlich formuliert wären und dem Verstande, der sie zu gewisser Zeit bildet, voraufgingen, auch nicht, weil sie dem Geiste nach irgend welchen außer ihm und vor ihm existierenden Mustern aufgeprägt wären, sondern weil sie, einmal der Wahrheit gemäß über abstrakte Ideen aufgestellt, immer thatsächlich wahr sein werden, so oft sich annehmen läßt, daß sie zu irgend einer vergangenen oder zukünftigen Zeit von einem Geiste, der jene Ideen besitzt, wiederum aufgestellt werden. Denn, da man annimmt, daß die Namen beständig dieselbe Idee vertreten, und da dieselben Ideen unwandelbar dieselben Verhältnisse zu einander haben, so müssen auf irgend welche abstrakte Ideen bezügliche Sätze, wenn sie einmal wahr sind, notwendig ewige Wahrheiten sein.


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