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Neuntes Kapitel.
Über die Unvollkommenheit der Wörter.

§ 1. Die Wörter dienen dazu, unsere Gedanken aufzuzeichnen for recording. Unter »aufzeichnen« ist hier und weiterhin keine schriftliche Aufzeichnung zu verstehen, sondern überhaupt eine Fixierung der Ideen durch für sie gewählte Zeichen. und mitzuteilen. – Aus dem in den voraufgehenden Kapiteln Gesagten läßt sich leicht erkennen, welche Unvollkommenheit der Sprache anhaftet und wie die eigene Natur der Wörter es für viele von ihnen fast unvermeidlich macht, in ihrer Bedeutung zweifelhaft und unsicher zu sein. Um die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der Wörter zu prüfen, ist es notwendig, zunächst ihren Gebrauch und Zweck in Betracht zu ziehen, denn, je nachdem sie mehr oder weniger geeignet sind diesen zu erreichen, sind sie mehr oder weniger vollkommen. Wir haben in den früheren Teilen dieser Abhandlung öfters gelegentlich einen doppelten Gebrauch der Wörter erwähnt: 1. zur Aufzeichnung unserer eigenen Gedanken, und 2. um unsere Gedanken anderen mitzuteilen.

§ 2. Zur Aufzeichnung sind alle und jede Wörter dienlich. – Was den ersten dieser Gebrauchszwecke anbetrifft, die Aufzeichnung unserer Gedanken zur Unterstützung unseres Gedächtnisses, wobei wir gewissermaßen mit uns selbst reden, so würden sich dafür alle und jede Wörter dienlich erweisen. Denn, da Laute willkürliche und gleichgültige Zeichen für irgend welche Ideen sind, so kann jeder alle beliebigen Wörter gebrauchen, um seine eigenen Ideen für sich selber zu bezeichnen, und ihnen wird keine Unvollkommenheit anhaften, wenn er nur beständig dasselbe Zeichen für dieselbe Idee gebraucht, denn dann kann er nicht verfehlen, seine Meinung verständlich zu machen, worin der rechte Gebrauch und die Vollkommenheit der Sprache bestehen.

§ 3. Bürgerliche oder philosophische Mitteilung durch Worte. – Zweitens, die Mitteilung durch Worte betreffend, so hat auch diese eine doppelte Anwendung: 1. die bürgerliche und 2. die philosophische. Erstens, unter bürgerlicher Anwendung verstehe ich solch eine Mitteilung von Gedanken und Ideen durch Worte, wie sie dienlich sein mag, um die gewöhnliche Unterredung und den Verkehr wegen der regelmäßigen Angelegenheiten und Erfordernisse des bürgerlichen Lebens in den Gesellschaften der Menschen untereinander aufrecht zu erhalten. Zweitens, unter dem philosophischen Gebrauch der Worte verstehe ich solch einen Gebrauch derselben, wie er dienen mag, um genaue Begriffe von den Dingen mitzuteilen, und in allgemeinen Sätzen sichere und zweifellose Wahrheiten auszudrücken, worauf der Geist bei seinem Forschen nach wahrer Erkenntnis sich verlassen und wobei er sich beruhigen kann. Diese beiden Gebrauchsweisen sind sehr verschieden, und wir werden in dem Folgenden sehen, daß die eine einen weit geringeren Grad von Genauigkeit erfordert als die andere.

§ 4. Die Unvollkommenheit der Wörter besteht in der Zweifelhaftigkeit ihrer Bedeutung. – Da der Hauptzweck der Sprache bei der Mitteilung darin besteht verstanden zu werden, so dienen die Worte dazu nicht gut, weder bei der bürgerlichen noch bei der philosophischen Unterredung, wenn irgend ein Wort bei dem Hörer nicht dieselbe Idee erweckt, die es in dem Bewußtsein des Redenden vertritt. Da nun die Laute in keiner natürlichen Verbindung mit unseren Ideen stehen, sondern ihre ganze Bedeutung nur durch willkürliche Beilegung seitens der Menschen erhalten, so haben die Zweifelhaftigkeit und Unsicherheit ihrer Bedeutung, die die hier besprochene Unvollkommenheit ausmachen, ihren Grund mehr in den Ideen, die sie (die Laute) vertreten, als darin, daß ein Laut zur Bezeichnung irgend einer Idee weniger geeignet wäre als ein anderer, denn in dieser Hinsicht sind alle gleich vollkommen. Was die Bedeutung einiger Wörter mehr zweifelhaft und unsicher macht als die anderer, ist demnach die Verschiedenheit der von ihnen vertretenen Ideen.

§ 5. Ursachen ihrer Unvollkommenheit. – Da die Wörter von Natur keine Bedeutung haben, so muß die von einem jeden vertretene Idee von denen, die ihre Gedanken austauschen und sich in irgend einer Sprache verständlich miteinander unterreden wollen, gelernt und behalten werden. Dies aber läßt sich dort am schwierigsten thun, wo

1. die von ihnen vertretenen Ideen sehr komplex und aus einer großen Anzahl zusammengefügter Ideen gebildet sind;

2. wo die von ihnen vertretenen Ideen keinen festen Zusammenhang in der Natur haben, und deshalb in dieser nirgendwo ein bestimmtes Muster existiert, wonach sie berichtigt und in Ordnung gebracht werden könnten.

3. Wenn die Bedeutung des Wortes sich auf ein Muster bezieht, womit man sich nicht leicht bekannt machen kann.

4. Wenn die Bedeutung des Wortes und die reale Wesenheit des Dinges nicht genau übereinstimmen.

Dies sind die Schwierigkeiten, womit die Bedeutung verschiedener an sich verständlicher Wörter verknüpft ist. Die, welche an sich überhaupt nicht verständlich sind, wie Namen für irgend welche einfache Ideen, die der andere wegen Mangels der dazu nötigen Organe oder Fähigkeiten nicht erlangen kann, z. B. die Namen der Farben für einen Blinden oder der Töne für einen Tauben, brauchen hier nicht erwähnt zu werden. In allen diesen Fällen werden wir in den Wörtern eine Unvollkommenheit finden, die ich in ihrer besonderen Anwendung auf die verschiedenen Arten unserer Ideen ausführlicher erläutern werde; denn, wenn wir diese prüfen, so werden wir finden, daß die Namen der gemischten Modi der Zweifelhaftigkeit und Unvollkommenheit am meisten wegen der beiden ersten dieser Gründe ausgesetzt sind, und die Namen der Substanzen hauptsächlich wegen der beiden letzten.

§ 6. Die Namen der gemischten Modi sind zweifelhaft. Erstens, weil die von ihnen vertretenen Ideen so sehr zusammengesetzt sind. – Die zweimalige Wiederholung des »Erstens«, die sich hier in dem englischen Texte findet, ist als überflüssig unterblieben. Viele von den Namen der gemischten Modi sind deshalb großer Unsicherheit und Dunkelheit ihrer Bedeutung unterworfen, Siehe die Anmerkung auf Seite 104. weil diese komplexen Ideen oft aus einer großen Anzahl von Bestandteilen zusammengesetzt sind. Um die Wörter für den Zweck der Mitteilung dienlich zu machen, ist es, wie gesagt, notwendig, daß sie in dem Hörer genau dieselbe Idee erwecken, die sie im Bewußtsein des Redenden vertreten. Ohne dieses erfüllen die Menschen einander die Köpfe mit Geräusch und Tönen, übertragen aber dadurch nicht ihre Gedanken, und legen einander nicht ihre Ideen vor, worin der Zweck der Unterredung und der Sprache besteht. Wenn aber ein Wort eine sehr komplexe Idee vertritt, die zusammengesetzt und nochmals zusammengesetzt ist, so ist es für die Menschen nicht leicht, diese Idee so genau zu formieren und zu behalten, daß sie den gemein gebräuchlichen Namen immer präcise dieselbe Idee vertreten lassen, ohne irgend welche, auch nur die geringste, Abweichung. So geht es zu, daß die üblichen Namen für sehr zusammengesetzte Ideen, wie z.B. moralische Ausdrücke meistens sind, selten im Munde zweier verschiedenen Menschen genau dieselbe Bedeutung haben, indem die komplexe Idee des einen selten mit der eines anderen übereinstimmt, und oft von seiner eigenen abweicht – von der, die er gestern hatte, oder morgen haben wird.

§ 7. Zweitens, weil sie keine Muster haben. – Weil es für die Namen der gemischten Modi größtenteils in der Natur keine Muster giebt, wonach die Menschen ihre Bedeutung berichtigen und zutreffend machen könnten, deshalb sind sie sehr schwankend und zweifelhaft. Sie sind Sammlungen von Ideen, nach dem Belieben des Geistes, der seine eigenen Redeziele verfolgt, einander zugesellt und dessen eigenen Begriffen angepaßt, womit der Geist nicht irgend etwas wirklich Existierendes nachzubilden beabsichtigt, sondern wonach er die Dinge, jenachdem sie mit den von ihm aufgestellten Vorbildern oder Formen übereinstimmen möchten, benennen und ordnen will. Wer zuerst die Wörter: Trug, Schmeichelei, Spott, gebräuchlich machte, fügte die Ideen, die er damit bezeichnete, nach seinem Gutdünken zusammen; und wie es sich mit jedem neuen Namen eines Modus verhält, der jetzt in eine Sprache eingeführt werden möchte, so verhielt es sich auch mit den alten, als sie zuerst in Gebrauch kamen. Deshalb müssen Namen, die nach Belieben vom Geiste gemachte Sammlungen von Ideen vertreten, notwendigerweise von zweifelhafter Bedeutung sein, wenn solche Sammlungen sich nirgends in der Natur dauernd verbunden vorfinden, und sich keine Muster aufzeigen lassen, wonach man sie in Ordnung bringen könnte. Was das Wort »Mord« oder »Kirchenraub« u. s. w. bedeute, läßt sich niemals aus den Dingen selbst erkennen; unter den Bestandteilen dieser komplexen Ideen giebt es manche, die in der Handlung selbst nicht sichtbar werden; die Absicht des Gemütes oder das Verhältnis heiliger Geräte, die einen Bestandteil des Mordes oder Kirchenraubes ausmachen, stehen in keiner notwendigen Verbindung mit der äußeren und sichtbaren Handlung dessen, der den einen oder den anderen begeht, und das Anziehen des Drückers an dem Gewehre, womit der Mord ausgeführt wird, was vielleicht die ganze sichtbare Handlung ausmacht, steht in keinem natürlichen Zusammenhang mit den übrigen Ideen, woraus die »Mord« genannte komplexe Idee besteht. Sie erhalten ihre Vereinigung und Kombination nur vom Verstande, der sie unter einem Namen zusammenfaßt; da er sie aber nicht nach einer Regel oder einem Muster verbindet, so kann es nicht anders sein, als daß die Bedeutung des Namens, der solche willkürliche Sammlungen vertritt, oft ungleich im Sinne verschiedener Menschen ist, die bei solchen nach Gutdünken gebildeten Ideen kaum irgend eine feste Norm haben, wonach sie sich richten und ihre Begriffe regeln könnten.

§ 8. In dem Passenden Oder »dem eigentlichen Sinne« – propriety. liegt kein genügendes Heilmittel. – Allerdings läßt sich erwarten, daß der gemeine Gebrauch (d. i. die Regel für das Passende) uns hier etwas zu Hilfe komme, um die Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks zu bestimmen; und es läßt sich nicht leugnen, daß er das in gewissem Maße thut. Der gemeine Gebrauch regelt den Sinn der Wörter gut genug für die gewöhnliche Unterhaltung; da aber niemand eine Autorität dafür besitzt, die genaue Bedeutung der Wörter festzusetzen, oder vorzuschreiben, mit welchen Ideen jedermann sie verknüpfen solle, so reicht der gemeine Gebrauch nicht aus, um sie für philosophische Erörterungen geeignet zu machen, indem es kaum irgend einen Namen für eine sehr komplexe Idee giebt (um von den übrigen nicht zu reden), der im gemeinen Gebrauch nicht einen weiten Umfang hätte, und der nicht auch innerhalb der Grenzen des Passenden zum Zeichen für sehr voneinander abweichende Ideen gemacht werden könnte. Außerdem entsteht, weil die Norm und das Maß für das Passende nirgends selbst aufgestellt sind, oft Streit darüber, ob diese oder jene Art ein Wort zu gebrauchen eine passende Ausdrucksweise sei oder nicht. Aus alledem erhellt, daß die Namen solcher Art von sehr komplexen Ideen ihrer Natur nach der Unvollkommenheit unterliegen, von zweifelhafter und unsicherer Bedeutung zu sein, und selbst bei Personen, die einander zu verstehen wünschen, nicht immer in dem Redner und Hörer dieselbe Idee vertreten. Wenn auch die Namen Ruhm und Dankbarkeit durch ein ganzes Land hindurch in jedermanns Munde dieselben sind, so ist doch die komplexe Sammelidee, woran jeder bei diesem Namen denkt, oder die er damit bezeichnen will, augenscheinlich bei Menschen, die sich derselben Sprache bedienen, sehr verschieden.

§ 9. Die Art und Weise, wie diese Namen erlernt werden, trägt auch zu ihrer Zweifelhaftigkeit bei. – Auch die Art und Weise, wie die Namen von gemischten Modi gewöhnlich erlernt werden, trägt nicht wenig zu der Zweifelhaftigkeit ihrer Bedeutung bei. Denn, wenn wir darauf achten, wie Kinder das Sprechen lernen, so finden wir, daß man, um ihnen die Namen von einfachen Ideen oder Substanzen verständlich zu machen, ihnen gewöhnlich das Ding zeigt, dessen Idee man ihnen beibringen will, und ihnen dann den dafür geltenden Namen wiederholt, wie z. B. weiß, süß, Milch, Zucker, Katze, Hund. Was aber die gemischten Modi anbetrifft – und besonders die wichtigsten derselben, die moralischen Ausdrücke – so werden gewöhnlich die Laute zuerst gelernt, und dann sind, um die damit bezeichneten komplexen Ideen kennen zu lernen, die Kinder entweder an die Erklärung anderer gebunden, oder (was am meisten vorkommt) ihrer eigenen Beobachtung und Lernbegierde überlassen; da aber diese wenig auf die Erforschung des wahren und genauen Sinnes von Namen gerichtet werden, so sind die moralischen Wörter im Munde der meisten Menschen wenig mehr als bloße Laute, oder, wenn sie irgend eine Bedeutung haben, so ist diese meistens nur sehr schwankend, unbestimmt und folglich dunkel und verworren. Und selbst diejenigen, die mit mehr Aufmerksamkeit ihre Begriffe gebildet haben, vermeiden doch kaum den Übelstand, daß sie komplexe Ideen vertreten, die von denen verschieden sind, zu deren Zeichen andere gleichfalls intelligente und nachdenkende Menschen sie machen. Wo könnte man wohl, sei es eine wissenschaftliche Debatte, oder eine vertrauliche Unterredung über Ehre, Glauben, Gnade, Religion, Kirche u. s. w. finden, worin es nicht leicht wäre, die Verschiedenheit der Begriffe zu bemerken, die die Menschen davon haben? was nichts anderes heißt, als daß sie hinsichtlich der Bedeutung dieser Wörter nicht gleicher Meinung sind, und nicht dieselben komplexen Ideen im Sinne haben, wofür sie sie gebrauchen, so daß aller darauf folgende Streit sich nur um den Sinn eines Wortlautes dreht; und daher sehen wir, daß bei der Auslegung der Gesetze, seien es göttliche oder menschliche, nicht ans Ende zu gelangen ist, Kommentare erzeugen Kommentare, und Erläuterungen liefern neuen Stoff zu Erläuterungen, und für die Begrenzung, Unterscheidung, Abänderung der Bedeutung dieser moralischen Wörter giebt es kein Ende. Diese von den Menschen geschaffenen Ideen werden, weil die Menschen immer noch dasselbe Vermögen dazu besitzen, in infinitum vervielfältigt. Mancher, der beim ersten Lesen den Sinn eines Textes in der heiligen Schrift oder einer Klausel im Gesetzbuch sehr gut zu verstehen glaubte, hat dadurch, daß er Kommentatoren zu Rate zog, das Verständnis derselben ganz verloren, und durch deren Erläuterungen seine Zweifel hervorgerufen oder vermehrt und die Stelle mit Dunkelheit überzogen. Ich sage dies nicht, weil ich Kommentare für nutzlos hielte, sondern um zu zeigen, wie unsicher die Namen gemischter Modi selbst im Munde derjenigen sind, die sowohl die Absicht wie die Fähigkeit hatten, so deutlich zu reden, wie sich ihre Gedanken nur in der Sprache ausdrücken ließen.

§ 10. Daraus ergiebt sich für die Schriftsteller des Altertums unvermeidlich Dunkelheit. – Welche Dunkelheit dies unvermeidlich über die Schriften von Männern verbreitet hat, die in entfernten Zeitaltern und fremden Ländern gelebt haben, darauf braucht man nicht noch besonders aufmerksam zu machen, weil die zahlreichen Bände, die gelehrte Leute mit ihren Gedanken hierüber angefüllt haben, mehr als ausreichende Beweise dafür liefern, wie viel Aufmerksamkeit, Studium, Scharfsinn und Schlußfolgerungen erforderlich sind, um die wahre Meinung der Schriftsteller des Altertums ausfindig zu machen. Weil es aber keine Schriften giebt, um deren Verständnis wir uns aus wichtigen Ursachen sorgfältig bekümmern müßten, abgesehen von denen, die entweder Wahrheiten enthalten, die wir glauben, oder Gesetze, denen wir gehorchen müssen, wenn wir uns nicht im Falle eines Irrtums oder einer Übertretung Unannehmlichkeiten aussetzen wollen, so brauchen wir wegen des Sinnes anderer Schriftsteller nicht so ängstlich zu sein, deren Meinungen, da sie nur ihnen selbst angehören, wir zu kennen nicht nötiger haben als sie die unsrigen. Da unser Wohl oder Wehe nicht von ihren Vorschriften abhängt, so können wir ohne Schaden über ihre Gedanken in Unwissenheit bleiben, und wenn sie ihre Wörter nicht mit gehöriger Klarheit und Durchsichtigkeit gebrauchen, so mögen wir deshalb bei ihrer Lektüre sie beiseite legen, und ohne ihnen Unrecht zu thun für uns die Entscheidung treffen: si non vis intelligi, debes negligi.

§ 11. Substanznamen von zweifelhafter Bedeutung. – Wenn die Bedeutung der Namen von gemischten Modi unsicher ist, weil es keine in der Natur existierenden realen Muster giebt, worauf diese Ideen sich beziehen und denen sie angepaßt werden könnten, so sind die Namen von Substanzen aus dem entgegengesetzten Grunde von zweifelhafter Bedeutung, nämlich weil die von ihnen vertretenen Ideen für übereinstimmend mit der Realität der Dinge gehalten werden, und man sich auf sie als von der Natur dargebotene Muster beruft. Bei unseren Ideen von Substanzen haben wir nicht wie bei den gemischten Modi die Freiheit, nach unserem Gutdünken Kombinationen zu bilden, damit sie als charakteristische Merkmale für die Ordnung und Benennung der Dinge dienen möchten. Bei ihnen müssen wir der Natur folgen, unsere komplexen Ideen den realen Existenzen anpassen, und die Bedeutung ihrer Namen nach den Dingen selbst regeln, wenn wir wollen, daß unsere Namen als Zeichen für diese dienen und sie vertreten sollen. Hier haben wir allerdings Muster zu befolgen, aber Muster, die die Bedeutung ihrer Namen sehr unsicher machen werden, denn der Sinn der Namen muß sehr unbeständig und wechselnd sein, wenn die von ihnen vertretenen Ideen auf außer uns befindliche Muster bezogen werden, die entweder völlig unerkennbar oder nur unvollkommen und unsicher erkennbar sind.

§ 12. Beziehung der Substanznamen: erstens auf unerkennbare reale Wesenheiten. – Die Substanznamen haben, wie gezeigt worden, in ihrem gewöhnlichen Gebrauche eine doppelte Beziehung. I. Zuweilen sollen sie die wirkliche Beschaffenheit der Dinge, woraus alle ihre Eigenschaften wie aus einem Mittelpunkt entspringen, vertreten, und man nimmt also an, daß ihre Bedeutung mit dieser übereinstimme. Da jedoch diese reale Beschaffenheit oder (wie man zu sagen pflegt) Wesenheit uns völlig unbekannt ist, so muß jeder Laut, der sie vertreten soll, in seiner Anwendung sehr ungewiß sein, und es wird unmöglich sein zu wissen, welche Dinge ein Pferd oder Antimon seien oder heißen sollen, wenn diese Wörter für reale Wesenheiten gesetzt werden, von denen wir überhaupt keine Idee haben. Deshalb kann bei dieser Voraussetzung, da die Substanznamen auf unerkennbare Muster bezogen werden, deren Bedeutung niemals diesen Mustern angepaßt und nach ihnen festgestellt werden.

§ 13. Zweitens auf zusammen bestehende Eigenschaften, die nur unvollständig bekannt sind. – II. Da die einfachen Ideen, die in den Substanzen als zusammen bestehend vorgefunden werden, dasjenige sind, was durch deren Namen unmittelbar bezeichnet wird, so sind sie, als in den verschiedenen Arten der Dinge vereinigt, die eigentlichen Muster, worauf die Namen dieser sich beziehen, und wonach sich deren Bedeutung am besten berichtigen läßt; aber auch diese Urbilder werden für diesen Zweck nicht so gut dienen, daß jene Namen von sehr mannigfachen und unsicheren Bedeutungen frei blieben, weil diese einfachen Ideen, die in demselben Objekt zusammen bestehen und vereinigt sind, eine große Anzahl ausmachen, und, da sie alle gleiches Recht zur Aufnahme in die komplexe specifische Idee haben, die der Artname vertreten soll, die Menschen, obwohl sie dasselbe Objekt betrachten wollen, doch davon sehr verschiedene Ideen bilden, und somit der von ihnen dafür gebrauchte Name unvermeidlich dazu kommt, bei verschiedenen Menschen sehr verschiedene Bedeutungen zu haben. Da die einfachen Eigenschaften, aus denen die komplexen Ideen bestehen, größtenteils Kräfte sind und sich au Veränderungen beziehen, die sie in anderen Körpern zu bewirken oder durch solche zu erleiden vermögen, so ist ihre Anzahl fast unendlich groß. Wer nur darauf achten will, eine wie große Mannigfaltigkeit von Veränderungen eines der unedleren Metalle bloß durch die verschiedene Anwendung des Feuers zu erleiden vermag, und wieviel größer noch die Anzahl der Veränderungen ist, die jedes derselben in den Händen eines Chemikers durch die Anwendung anderer Körper erfährt, den wird es nicht befremden, daß ich es für schwierig halte, die Eigenschaften irgend einer Art von Körpern auf den Wegen der Untersuchung, die uns offen stehen, zu sammeln und vollständig kennen zu lernen. Da sie deshalb wenigstens so zahlreich sind, daß niemand ihre Menge genau und bestimmt angeben kann, so werden sie nach Maßgabe des Unterschieds ihrer Geschicklichkeit, Aufmerksamkeit und Verfahrungsweisen von verschiedenen Leuten in verschiedenem Umfange entdeckt, die deshalb nicht umhin können, von derselben Substanz verschiedene Ideen zu haben, und somit die Bedeutung ihres allgemein üblichen Namens sehr schwankend und unsicher machen. Denn, da die komplexen Ideen von Substanzen aus solchen einfachen gebildet werden, die vermeintlich in der Natur zusammen bestehen, so hat jedermann das Recht in seine komplexe Idee eben die Eigenschaften aufzunehmen, die er miteinander vereinigt gefunden hat. Denn, obgleich für die Substanz des Goldes dem einen Farbe und Gewicht genügend erscheinen, so meint doch ein anderer, daß in seiner Idee vom Golde die Lösbarkeit in aqua regia ebensogut mit jener Farbe verbunden werden müsse, wie sonst jemand die Schmelzbarkeit damit verbindet, weil die Lösbarkeit in aqua regia eine mit der Farbe und dem Gewicht desselben ebenso beständig verbundene Eigenschaft sei wie die Schmelzbarkeit oder irgend sonst welche; noch andere nehmen die Dehnbarkeit oder die Feuerbeständigkeit darin auf, je nachdem die Überlieferung oder der Versuch sie belehrt haben. Wer von allen diesen hat die richtige Bedeutung des Wortes Gold festgestellt, oder wer soll als Richter hierüber entscheiden? Jeder hat in der Natur sein Muster, worauf er sich beruft, und denkt mit gutem Grunde, daß er ebensoviel Recht habe, in seine mit dem Worte Gold bezeichnete komplexe Idee die Eigenschaften, die er bei angestelltem Versuche vereinigt gefunden hat, aufzunehmen, wie ein anderer, der nicht so gut geprüft hat, sie auszulassen, oder ein dritter, der andere Versuche angestellt hat, andere aufzunehmen. Denn wer kann sagen, daß zur Aufnahme oder Auslassung der einen von ihnen mehr Grund vorliege, als zu der einer anderen, da die natürliche Vereinigung dieser Eigenschaften der wahre Grund für ihre Vereinigung zu einer komplexen Idee ist? Hieraus folgt unvermeidlich, daß die komplexen Ideen von Substanzen bei Menschen, die sich für sie derselben Namen bedienen, sehr mannigfach, und somit die Bedeutungen dieser Namen sehr unsicher sein müssen.

§ 14. Das Rubrum: »Drittens auf zusammen bestehende Eigenschaften, die nur unvollkommen bekannt sind,« welches im englischen Texte hier folgt, ist zu streichen. Vgl. den Schluß des § 11 und das Rubrum des §13. Außerdem existiert kaum ein einzelnes Ding, das nicht in einigen seiner einfachen Ideen mit einer größeren und in anderen mit einer kleineren Anzahl einzelner Wesen übereinstimmte: wer soll in diesem Falle diejenigen bestimmen, die gerade die durch den Artnamen zu bezeichnende Sammlung ausschließlich bilden sollen? oder wer kann mit irgendwie maßgebender Autorität vorschreiben, welche offenkundigen oder gewöhnlichen Eigenschaften ausgelassen, oder welche verborgenere oder eigentümlichere in die Bedeutung des Namens irgend einer Substanz aufgenommen werden sollen? Alles dies zusammengenommen verfehlt selten oder niemals die wechselvolle und zweifelhafte Bedeutung der Namen von Substanzen hervorzubringen, die so viel Unsicherheit, Streit oder Mißverständnis verursacht, wenn wir zu einem philosophischen Gebrauch derselben übergehen.

§ 15. Mit dieser Unvollkommenheit können sie zum bürgerlichen, aber nicht wohl zum philosophischen Gebrauch dienen. – Allerdings genügen in der bürgerlichen und alltäglichen Unterhaltung die generellen Namen der Substanzen, deren ordentliche Bedeutung sich nach gewissen augenfälligen Eigenschaften richtet (wie nach der Gestalt und Figur bei Dingen von bekannter Fortpflanzung durch Samen, und bei anderen Substanzen meistens nach der Farbe in Verbindung mit einigen anderen sinnlichen Eigenschaften), zur Bezeichnung der Dinge, worauf die Leute ihre Rede bezogen wissen wollen, und sie verstehen daher die mit den Wörtern Gold oder Apfel gemeinten Substanzen gewöhnlich gut genug, um sie voneinander zu unterscheiden. Aber bei philosophischen Untersuchungen und Verhandlungen, wo allgemeine Wahrheiten festgestellt, und aus zu Grunde gelegten Sätzen Folgerungen gezogen werden sollen, da zeigt sich, daß die genaue Bedeutung der Substanznamen nicht nur einer guten Festsetzung entbehrt, sondern sie auch sehr schwer erhalten kann. Zum Beispiel: wer die Dehnbarkeit oder einen gewissen Grad von Feuerbeständigkeit zu einem Teile seiner komplexen Idee des Goldes macht, der mag das Gold betreffende Sätze aufstellen, und daraus Folgerungen ziehen, die aus Gold in dieser Bedeutung genommen sich in Wahrheit und augenscheinlich ergeben, dennoch aber von solcher Art sind, daß jemand anders nie zu ihrer Annahme genötigt oder von ihrer Wahrheit überzeugt werden kann, der die Dehnbarkeit oder denselben Grad von Feuerbeständigkeit nicht zu einem Bestandteil der komplexen Idee macht, die der Name Gold, so wie er ihn gebraucht, vertritt.

§ 16. Flüssigkeit als Beispiel. – Dies ist eine natürliche und beinahe unvermeidliche Unvollkommenheit von fast sämtlichen Substanznamen in allen und jeden Sprachen, die man leicht entdecken wird, sobald man nur einmal über verworrene oder schwankende Begriffe hinausgelangt und zu strengeren und genaueren Untersuchungen fortgeschritten ist. Denn dann wird man sich davon überzeugen, wie zweifelhaft und dunkel in ihrer Bedeutung solche Wörter sind, die im alltäglichen Gebrauch als sehr klar und bestimmt erschienen. Ich befand mich einmal in einer Versammlung sehr gelehrter und geistreicher Ärzte, wo sich zufällig die Frage erhob, ob eine Flüssigkeit die Fasern der Nerven durchdringe. Nachdem die Debatte für und wider eine gute Weile mit mancherlei Gründen geführt worden war, bat ich (dem die Vermutung schon geläufig geworden war, daß der größte Teil der Streitigkeiten sich mehr um die Bedeutung der Wörter drehe als um einen sachlichen Unterschied in der Auffassung der Dinge), daß sie, bevor sie in ihrem Hin- und Widerreden fortführen, zunächst erörtern und unter sich feststellen möchten, was das Wort Flüssigkeit bedeute. Sie waren über diesen Vorschlag anfangs ein wenig erstaunt, und wären sie weniger geistreiche Leute gewesen, so hätten sie ihn vielleicht für sehr frivol oder überspannt gehalten, weil niemand da war, der nicht geglaubt hätte, die Bedeutung des Wortes »Flüssigkeit« vollkommen zu verstehen, was auch meiner Meinung nach nicht zu den verworrensten Substanznamen gehört. Indessen waren sie bereit, meinem Antrag zu willfahren, und fanden bei näherer Prüfung, daß die Bedeutung jenes Wortes nicht so feststehend oder sicher sei, wie sie alle geglaubt hatten, sondern daß jeder von ihnen es zum Zeichen einer anderen komplexen Idee mache. Das führte sie zu der Einsicht, daß die Bedeutung dieses Ausdrucks den Kernpunkt ihres Streites bilde, und daß ihre Ansichten über einen die Röhren der Nerven durchlaufenden flüssigen ( fluid) und feinen Stoff sehr wenig voneinander abwichen, während es nicht so leicht war, zu einem Einverständnis darüber zu gelangen, ob derselbe eine Flüssigkeit ( liquor) heißen könne oder nicht – eine Frage, worüber sie, wohlerwogen, es nicht für der Mühe wert hielten zu streiten.

§ 17. Gold als Beispiel. – In welchem Umfange dies bei dem größten Teile der Streitigkeiten der Fall ist, worin die Menschen mit so vieler Hitze begriffen sind, das werde ich vielleicht an einer anderen Stelle Gelegenheit haben zu bemerken. Laßt uns hier nur das vorhin erwähnte Beispiel des Wortes Gold ein wenig genauer in Betracht ziehen, und wir werden sehen, wie schwer es ist, dessen Bedeutung genau zu bestimmen. Alle sind, denke ich, darüber einverstanden, daß es einen Körper von einer gewissen glänzend gelben Farbe bezeichne, und da dies die Idee ist, womit die Kinder jenen Namen verbunden haben, so ist der glänzend gelbe Teil eines Pfauenschweifes für sie im eigentlichen Sinne Gold. Andere, die in gewissen Stoffstücken die Schmelzbarkeit mit jener gelben Farbe verbunden gefunden haben, bilden aus dieser Kombination eine komplexe Idee, der sie den Namen Gold geben, um eine Art von Substanzen zu bezeichnen, und schließen so alle glänzend gelben Körper, die durch Feuer in Asche verwandelt werden, davon aus Gold zu sein, indem sie nur solchen Substanzen, die im Besitz jener glänzend gelben Farbe durch Feuer zum Schmelzen gebracht, aber nicht in Asche verwandelt werden, gestatten, der Art »Gold« anzugehören und unter diesem Namen begriffen zu sein. Ein anderer fügt aus demselben Grunde das Gewicht hinzu, denn, da dieses eine mit der Farbe ebenso eng verbundene Eigenschaft ist wie seine Schmelzbarkeit, so meint er, daß es mit demselben Rechte in die Idee des Goldes aufgenommen, und durch dessen Namen bezeichnet werden müsse, und daß deshalb die andere nur aus Körper, solcher Farbe und Schmelzbarkeit gebildete Idee unvollständig sei; und so weiter mit allen übrigen Eigenschaften, wobei niemand einen Grund dafür nachweisen kann, weshalb einige der untrennbaren Qualitäten, die in der Natur beständig verbunden sind, in die nominale Wesenheit aufgenommen, andere dagegen ausgelassen werden sollten, oder warum das Wort Gold, welches die Körperart bezeichnet, woraus der Ring an seinem Finger gemacht ist, diese Art eher durch ihre Farbe, Schwere und Schmelzbarkeit als durch ihre Farbe, Schwere und Lösbarkeit in aqua regia bestimmen sollte; weil ihre Auflösung durch diese Flüssigkeit ebenso untrennbar von ihr ist wie ihre Schmelzung durch Feuer, und beide nur das Verhältnis sind, worin diese Substanz zu zwei anderen Körpern steht, denen die Kraft innewohnt, in verschiedener Weise auf sie einzuwirken. Denn mit welchem Rechte geschieht es, daß die Schmelzbarkeit einen Teil der mit dem Worte Gold bezeichneten Wesenheit ausmachen, die Lösbarkeit aber nur eine Eigenschaft desselben sein soll? Oder warum ist seine Farbe ein Teil der Wesenheit, seine Dehnbarkeit dagegen nur eine Eigenschaft? Was ich sagen will, ist: da alle diese nur Eigenschaften sind, die auf der realen Beschaffenheit des Goldes beruhen, und nichts als aktive oder passive Kräfte desselben mit Bezug auf andere Körper, so ist niemand befugt, die Bedeutung des Wortes Gold (als bezogen auf solch einen in der Natur existierenden Körper) mehr für eine Sammlung von in diesem Körper zu findenden Ideen zu bestimmen als für eine andere, weshalb die Bedeutung dieses Namens unvermeidlich sehr unsicher sein muß, weil, wie gesagt, verschiedene Leute verschiedene Eigenschaften an derselben Substanz beobachten, und, wie ich glaube sagen zu dürfen, niemand alle. Statt nobody at all lies nobody all. Und darum haben wir nur sehr unvollkommene Beschreibungen der Dinge, und die Wörter haben sehr unsichere Bedeutungen.

§ 18. Am wenigsten zweifelhaft sind die Namen der einfachen Ideen. – Aus dem Gesagten ist leicht zu entnehmen, was schon oben bemerkt worden, nämlich daß die Namen der einfachen Ideen unter allen übrigen am wenigsten Mißverständnissen ausgesetzt sind und zwar aus folgenden Gründen. Erstens, weil die von ihnen vertretenen Ideen, da jede nur eine einzelne Wahrnehmung ausmacht, viel leichter zu erlangen und deutlicher zu behalten sind als die komplexeren, und deshalb nicht der Unsicherheit unterworfen sind, die gewöhnlich jenen zusammengesetzten Ideen von Substanzen und gemischten Modi anhaftet, wobei über die genaue Anzahl der einfachen Ideen, die sie ausmachen, nicht so leicht Einverständnis herrscht, auch diese Anzahl nicht so gut im Sinne behalten wird; und zweitens, weil sie niemals auf eine andere Wesenheit bezogen werden, sondern lediglich auf die Wahrnehmung, die sie unmittelbar bedeuten, jene Beziehung aber das ist, was die Bedeutung der Substanznamen natürlich so verworren macht und Anlaß zu so vielen Streitigkeiten giebt. Menschen, die ihre Wörter nicht verkehrt gebrauchen oder absichtlich auf Spitzfindigkeiten ausgehen, irren sich selten in einer ihnen bekannten Sprache über den Gebrauch und die Bedeutung der Namen einfacher Ideen. Weiß und süß, gelb und bitter haben einen sehr deutlichen Sinn, den jedermann genau auffaßt, oder bezüglich dessen er seine Unwissenheit leicht erkennt und unterrichtet zu werden sucht; welche genaue Sammlung einfacher Ideen aber jemand anders als Bescheidenheit oder Mäßigkeit zu bezeichnen pflegt, läßt sich nicht so sicher erkennen, und so geneigt wir auch sind zu glauben, daß wir sehr gut wissen, was unter Gold oder Eisen zu verstehen sei, so ist doch die genaue komplexe Idee, zu deren Zeichen andere diese Wörter machen, nicht so gewiß, und ich glaube, es kommt sehr selten vor, daß sie für den Sprecher und den Hörer genau dieselbe Sammlung vertreten, woraus notwendig Mißverständnisse und Streitigkeiten entstehen müssen, wenn sie in Unterredungen gebraucht werden, wobei es sich um allgemeine Sätze handelt, und die Redenden in ihrem Geiste allgemeine Wahrheiten feststellen und die sich daraus ergebenden Folgerungen erwägen wollen.

§ 19. Und demnächst die der einfachen Modi. – Aus demselben Grunde sind die Namen der einfachen Modi nächst denen der einfachen Ideen am wenigsten dem Zweifel und der Unsicherheit ausgesetzt, namentlich die der Gestalt und der Zahl, von denen wir so klare und deutliche Ideen haben. Wer hat jemals, wenn er ihn nur verstehen wollte, den ordentlichen Sinn von sieben oder einem Dreieck mißverstanden? Und überhaupt haben die am wenigsten zusammengesetzten Ideen jeder Art die am wenigsten zweifelhaften Namen.

§ 20. Am zweifelhaftesten sind die Namen von sehr zusammengesetzten gemischten Modi und Substanzen. – Deshalb haben gemischte Modi, die nur aus wenigen und zu Tage liegenden einfachen Ideen gebildet sind, gewöhnlich Namen von nicht sehr unsicherer Bedeutung. Dagegen sind die Namen gemischter Modi, die eine große Anzahl einfacher Ideen umfassen, wie gezeigt worden, gewöhnlich von sehr zweifelhaftem und unbestimmtem Sinn. Da die Substanznamen mit Ideen verknüpft sind, die weder für die realen Wesenheiten noch für genaue Darstellungen der Muster, worauf sie sich beziehen, gelten können, so sind sie noch größerer Unvollkommenheit und Unsicherheit unterworfen, besonders wenn wir zu einem philosophischen Gebrauch derselben übergehen.

§ 21. Warum dieser Vorwurf der Unvollkommenheit gegen die Wörter erhoben wird. – Da die große Verwirrung, die bei unseren Namen von Substanzen eintritt, größtenteils daraus entsteht, daß uns eine Kenntnis ihrer realen Beschaffenheit und die Fähigkeit in diese einzudringen fehlt, so wird man sich wahrscheinlich darüber wundern, daß ich sie vielmehr unseren Wörtern als eine Unvollkommenheit zur Last lege wie unserem Verstande. Dieser Einwurf hat einen so großen Anschein der Gerechtigkeit, daß ich mich für verpflichtet halte, einen Grund für das von mir beobachtete Verfahren anzugeben. Ich muß demnach gestehen, daß ich bei dem ersten Beginne dieser Abhandlung über den Verstand und noch eine gute Weile hernach nicht im geringsten dachte, daß dafür irgend welche Inbetrachtnahme der Wörter überhaupt notwendig sei; als ich aber über den Ursprung und die Zusammensetzung unserer Ideen hinausgekommen war, und den Umfang sowie die Sicherheit unseres Wissens zu prüfen anfing, da fand ich, daß dieses in einem so nahen Zusammenhang mit den Wörtern stehe, daß, wenn nicht deren Kraft und Bezeichnungsweise zunächst wohl in Obacht genommen worden, sich sehr wenig klar und zutreffend über das Wissen werde sagen lassen, wobei es sich um die Wahrheit handle, und deshalb Sätze beständig das Objekt bildeten; und (ich fand) daß, obwohl die Dinge sein Endziel seien, doch die Wörter dabei so sehr als Vermittler dienten, daß sie im allgemeinen von unserem Wissen kaum trennbar erschienen; wenigstens stellen sie sich so sehr zwischen unseren Verstand und die Wahrheit, welche dieser betrachten und erfassen will, daß wie bei dem Medium, wodurch wir sichtbare Objekte erblicken, ihre Dunkelheit und Unordnung nicht selten einen Nebel vor unseren Augen ausbreiten und unsern Verstand täuschen. Wenn wir erwägen, ein wie großer Teil der Trugschlüsse, die die Menschen sich selber nicht minder wie anderen aufbinden, und der Irrtümer in ihren Verhandlungen und Meinungen auf Rechnung der Wörter und deren ungewisser und mißverstandener Bedeutung kommt, so werden wir hierin mit gutem Grunde kein geringes Hindernis auf dem Wege zur Erkenntnis erblicken, vor dem wir, wie ich meine, um so sorgfältiger gewarnt werden müssen, als man bisher in ihm so wenig eine Unzuträglichkeit erkannt hat, daß die Kunst, es zu steigern, zu einer Aufgabe des menschlichen Studiums gemacht worden ist, und den Ruf der Gelehrsamkeit und des Scharfsinns erlangt hat, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Ich bin jedoch geneigt, zu glauben, daß, wenn die Unvollkommenheiten der Sprache als des Werkzeuges der Erkenntnis gründlicher erwogen würden, sehr viele von den Streitigkeiten, die solchen Lärm in der Welt machen, von selbst aufhören würden, und der Weg zur Erkenntnis, sowie vielleicht auch der zum Frieden weit offener vor uns liegen würde, als er jetzt thut.

§ 22. Dies sollte uns bei der Geltendmachung unseres eigenen Verständnisses alter Schriftsteller Mäßigung lehren. – Dessen bin ich gewiß, daß die Bedeutung der Wörter, da sie in allen Sprachen sehr von den Gedanken, Begriffen und Ideen dessen abhängt, der sie gebraucht, unausbleiblich für Menschen desselben Sprachgebiets und Landes von großer Unsicherheit sein muß. Dies ist bei den griechischen Schriftstellern so einleuchtend, daß, wer ihre Werke durchliest, fast bei jedem von ihnen eine besondere Sprache, obgleich dieselben Wörter, finden wird. Wenn aber zu dieser in jedem Lande obwaltenden natürlichen Schwierigkeit eine Verschiedenheit der Länder und entfernte Zeiten hinzukommen, worin die Redenden und Schreibenden sehr verschiedene Begriffe, Gemütsarten, Gewohnheiten, Redeschmuck und Redefiguren etc. hatten, die alle von Einfluß auf die damalige Bedeutung ihrer Wörter waren, während sie für uns jetzt verloren gegangen und unbekannt sind, dann würde es uns geziemen, nachsichtig gegeneinander bei unseren Auslegungen oder Mißverständnissen jener alten Schriften zu sein, deren Verständnis zwar von großer Wichtigkeit, aber den unvermeidlichen Schwierigkeiten der Sprache unterworfen ist, die (mit Ausnahme der einfachen Ideen und einiger sehr augenfälliger Dinge) ohne eine beständige Definition der Ausdrücke nicht imstande ist, den Sinn und die Meinung des Redenden frei von jeder Art des Zweifels und der Ungewißheit dem Hörer zu überliefern. Und in eben dem Maße, wie Religion, Gesetze und Moral Dinge der höchsten Wichtigkeit sind, wird in Abhandlungen über diese die größte Schwierigkeit liegen.

§ 23. Die Bände von Auslegungen und Kommentaren über das alte und neue Testament sind nur zu klare Beweise hiefür. Obgleich alles im Text derselben Gesagte unfehlbar wahr sein mag, so kann doch der Leser bei dessen Verständnis sehr dem Irrtum ausgesetzt sein, ja er ist das notwendigerweise. Auch darf man sich nicht darüber wundern, daß Gottes Wille in Worte eingekleidet dem Zweifel und der Ungewißheit ausgesetzt sei, die diese Art der Mitteilung unvermeidlich begleiten, da sogar sein Sohn, während er im Fleische wohnte, allen Gebrechen und Beschwerden der Menschennatur mit Ausnahme der Sünde unterworfen war. Und wir sollten seine Güte preisen, weil er vor aller Welt so leserliche Charaktere seiner Werke und Vorsehung ausgebreitet, und allen Menschen ein so genügendes Licht der Vernunft gegeben hat, daß die, zu denen sein geschriebenes Wort nie gelangt ist (wenn sie nur danach forschten), weder über das Dasein eines Gottes noch über den ihm schuldigen Gehorsam im Zweifel bleiben konnten. Weil demnach die Vorschriften der natürlichen Religion für alle Menschen klar und sehr verständlich sind und selten bestritten werden, während andere geoffenbarte Wahrheiten, die uns mit Hilfe von Büchern und Sprachen überliefert sind, den mit Wörtern verknüpften allgemeinen und natürlichen Dunkelheiten und Schwierigkeiten unterliegen, so würde es uns meines Bedünkens geziemen, in der Beobachtung der ersteren sorgfältiger und fleißiger zu sein, unser eigenes Verständnis und unsere Auslegungen der letzteren aber weniger anderen in herrischer, absprechender und gebieterischer Weise aufzuerlegen.


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