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Viertes Kapitel.
Über die Realität des Wissens.

§ 1. Einwurf: Das aus Ideen bestehende wissen könne seinem ganzen Umfange nach bloße Einbildung sein. – Gewiß wird mein Leser nachgerade zu der Ansicht geneigt sein, daß ich diese ganze Zeit hindurch nur ein Luftschloß gebaut habe, und es wird ihm auf der Zunge liegen, mir zu sagen: »Wozu so viele Umstände? Du sagst, Wissen sei nur die Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer eigenen Ideen; wer weiß denn aber, was diese Ideen sein mögen? Giebt es etwas so Ausschweifendes wie die Einbildungen des menschlichen Gehirns? Wo ist ein Kopf, der keine Chimären enthielte? Oder, wenn wir einen besonnenen und weisen Mann annehmen, wie werden sich nach deinen Regeln dessen Wissen und das des ausschweifendsten Phantasten in der Welt voneinander unterscheiden? Beide haben ihre Ideen und nehmen deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung miteinander wahr. Wenn ein Unterschied zwischen ihnen besteht, so wird der Vorrang auf seiten des hitzköpfigen Menschen liegen, weil er zahlreichere und lebhaftere Ideen hat, also wird er nach deinen Regeln derjenige sein, der am meisten weiß. Wenn es richtig ist, daß alles Wissen nur in der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer eigenen Ideen besteht, dann werden die Visionen eines Enthusiasten und die Schlüsse eines besonnenen Mannes gleiche Gewißheit haben. Es kommt nichts darauf an, wie die Dinge beschaffen sind, wenn jemand nur die Übereinstimmung seiner eigenen Einbildungen beobachtet und demgemäß redet, so ist alles Wahrheit, alles Gewißheit. Solche Luftschlösser werden ebensogut Burgen der Wahrheit sein wie die Demonstrationen des Euklid. Daß eine Harpyie kein Centaur ist, ist hienach ebenso gewiß und ebenso wahr, wie daß ein Quadrat kein Kreis ist. Was nützt aber all dieses schöne Wissen von den eigenen menschlichen Einbildungen jemandem, der nach der Realität der Dinge fragt? Darauf kommt nichts an, was die Menschen sich einbilden, nur die Erkenntnis der Dinge hat einen Wert; das allein giebt unseren Schlußfolgerungen Bedeutung und dem Wissen des einen Menschen einen Vorzug vor dem eines anderen, daß sie sich auf die Dinge, so wie sie thatsächlich da sind, und nicht auf Träume und Phantasien beziehen.«

§ 2. Antwort: Das ist es nicht, wo die Ideen mit den Dingen übereinstimmen. – Hierauf antworte ich, daß, wenn unser Wissen von unseren Ideen mit diesen abschlösse und nicht weiter reichte, wo etwas Weiteres beabsichtigt ist, unsere ernsthaftesten Gedanken wenig besser sein würden als die Träumereien eines verrückten Gehirns, und die darauf gebauten Wahrheiten wenig mehr Gewicht haben würden, als die Reden eines Menschen, der im Traume deutlich Dinge sieht und sich darüber mit großer Zuversicht äußert. Ich hoffe jedoch, bevor ich zum Schluß komme, es einleuchtend zu machen, daß diese Methode, durch Kenntnis unserer eigenen Ideen Gewißheit zu erlangen, ein wenig weiter führt als bloße Einbildung, und ich glaube, es wird sich zeigen, daß alle Gewißheit, die wir von allgemeinen Wahrheiten haben, auf nichts anderem beruht.

§ 3. Offenbar erkennt der Geist die Dinge nicht unmittelbar, sondern nur vermittelst der Ideen, die er von ihnen hat. Unser Wissen ist deshalb nur insoweit real, als eine Übereinstimmung zwischen unseren Ideen und der Realität der Dinge besteht. Was soll aber hiefür als Kriterium (entscheidendes Merkmal) dienen? Woran soll der Geist, wenn er nichts als seine eigenen Ideen wahrnimmt, deren Übereinstimmung mit den Dingen selbst erkennen? Obgleich dies schwierig genug zu sein scheint, so glaube ich doch, daß es zwei Arten von Ideen giebt, deren Übereinstimmung mit den Dingen wir als gewiß betrachten dürfen.

§ 4. Erstens, alle einfachen Ideen thun das. – I. Die ersten sind die einfachen Ideen, die, weil der Geist sie, wie gezeigt worden, auf keine Weise selbst in sich hervorbringen kann, notwendigerweise das Erzeugnis von Dingen sein müssen, die auf natürlichem Wege auf den Geist einwirken und in ihm eben die Wahrnehmung hervorbringen, wofür sie durch die Weisheit und den Willen unseres Schöpfers bestimmt und eingerichtet sind. Vgl. Buch II, Kapitel 2, § 2. Wenn Locke sagt, der Geist könne die einfachen Ideen nicht selbst in sich hervorbringen, so meint er offenbar damit, daß wir sie nicht willkürlich in unserem Bewußtsein erzeugen können, und zwar bezieht sich dieser Ausschluß der Willkür nicht auf den einzelnen Wahrnehmungs akt, der uns eine einfache Idee liefert, sondern auf den durch unsere Sinne gewonnenen Bewußtseins inhalt, oder die Beschaffenheit der wahrgenommenen Dinge, die sich in lauter einfache Ideen auflösen läßt. Vgl. Kapitel 13, § 2. Daraus, daß diese in keiner Weise von unserer Willkür abhängt, folgt aber nicht, daß sie auf einer Einwirkung von außerhalb unseres Bewußtseins vorhandenen Dingen-an-sich auf unsere Sinnesorgane beruhen müsse. Der für diesen Schluß stillschweigend vorausgesetzte Obersatz müßte lauten: »unser Bewußtseinsinhalt kann nur entweder willkürlich erzeugt, oder von außen hineingebracht sein«, ein Satz, der sich doch gewiß ebensowenig aus einem von selbst einleuchtenden Axiom ableiten, wie induktiv beweisen läßt. In dem Schluß von der Unwillkürlichkeit der einfachen Ideen auf ihre Abstammung von Dingen-an-sich steckt die schon in der vierten Anmerkung zu Buch IV, Kapitel 2, § 14 als unstatthaft bezeichnete Übertragung der Kausalität von der Oberfläche in die Tiefe, d. h. aus der objektiven Welt des Bewußtseins auf dessen Verhältnis zu seinem transcendenten Realgrunde; wir verfallen aber auf diesen Fehlschluß um deswillen so außerordentlich leicht, weil wir uns nur sehr schwer von der Vorstellung loszumachen vermögen, daß die Reihe von Ursachen und Wirkungen, die zwischen einem von uns wahrgenommenen Dinge und unserem großen Gehirn verläuft, von letzterem aus in unser Bewußtsein übergehe und hier die Wahrnehmung des wahrgenommenen Dinges bewirke; und daß wir dann – weil doch das wahrgenommene Ding nicht füglich zum zweitenmal wahrgenommen werden kann – die vorerwähnte Kausalkette gewissermaßen aus unserm Bewußtsein hinausdenken, wodurch aus ihrem Anfangsgliede, dem wahrgenommenen Dinge, ein Ding-an-sich wird. Vgl. die Anmerkungen zu Buch II, Kapitel 8, § 15 und Kapitel 9, § 3. Daraus folgt, daß die einfachen Ideen nicht Erdichtungen unserer Phantasie, sondern die natürlichen und regelmäßigen Erzeugnisse von Dingen außer uns Hier fragt sich wieder, soll »außer uns« heißen: »außerhalb unseres Gehirns«, oder »außerhalb unseres Bewußtseins?« Ohne Zweifel meint Locke das letztere; der Unterschied von Phantasien und Sinneswahrnehmungen ist jedoch nicht dadurch bedingt, daß man diese als Wirkungen außerbewußter (transcendenter) Dinge-an-sich betrachte, er bleibt vollkommen bestehen, auch wenn man in den Sinneswahrnehmungen oder, genauer gesagt, in den Sinneseindrücken (denn die Wahrnehmungen sind schon großenteils ein Werk des unwillkürlich und unbewußt mitwirkenden Verstandes) nur den uns unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhalt erblickt, dessen wahren Ursprung wir nicht kennen, während der scheinbare die objektive Welt des Bewußtseins schon voraussetzt. Denn die Phantasie entsteht erst, wenn dieser ursprüngliche und unmittelbare Bewußtseinsinhalt durch seine Erinnerung, seine Reproduktion als Vorstellung und die damit stets verknüpfte Verallgemeinerung wesentlich umgestaltet worden ist. Vgl. die Anmerkung zu Buch II, Kapitel 10, § 2. sind, die thatsächlich auf uns einwirken, und daß sie also die ganze beabsichtigte oder für unseren Zustand erforderliche Ähnlichkeit an sich tragen; denn sie stellen uns die Dinge unter solchen Erscheinungen dar, wie diese in uns hervorzubringen vermögen, wodurch wir in den Stand gesetzt werden, die Arten der eigentümlichen Substanzen zu sondern, die Zustände, worin sie sich befinden, zu unterscheiden, und sie für unsere Bedürfnisse in Anspruch zu nehmen und für unsere Zwecke zu verwenden. So besitzen die Ideen der Weiße oder der Bitterkeit, so wie sie im Bewußtsein vorhanden sind, weil sie genau der Kraft eines Körpers sie dort hervorzubringen entsprechen, alle die tatsächliche Angemessenheit zu Dingen außer uns, die sie haben können oder sollen. Und diese zwischen unsern einfachen Ideen und den existierenden Dingen bestehende Gleichförmigkeit ist für ein reales Wissen ausreichend.

§ 5. Zweitens, auch alle komplexen Ideen mit Ausnahme derer von Substanzen. – Da alle unsere komplexen Ideen mit Ausnahme derer von Substanzen vom Geiste selber geschaffene Urbilder sind, die nicht Kopien von irgend etwas sein und sich nicht auf die Existenz von etwas als auf ihre Originale beziehen sollen, so kann ihnen keine zu realer Erkenntnis erforderliche Angemessenheit fehlen. Denn, was nicht dazu bestimmt ist, irgend etwas anderes als sich selbst darzustellen, kann niemals zu einer falschen Repräsentation imstande sein, und uns nicht von der wahren Auffassung irgend eines Dinges durch seine Unähnlichkeit damit ableiten; von dieser Art aber sind alle unsere komplexen Ideen mit Ausnahme derer von Substanzen, indem sie, wie ich an einem anderen Orte gezeigt habe, Ideenverbindungen sind, die der Geist nach freier Wahl zusammensetzt, ohne Rücksicht auf eine Verknüpfung, die sie in der Natur hätten. Daher kommt es, daß bei allen diesen Arten die Ideen selbst als die Urbilder betrachtet werden, und auf die Dinge nur insoweit Rücksicht genommen wird, als sie mit ihnen übereinstimmen. Wir wissen deshalb mit unfehlbarer Sicherheit, daß jede Erkenntnis, die wir hinsichtlich dieser Ideen erwerben, real ist und die Dinge selbst betrifft, weil wir bei allen unseren Gedanken, Folgerungen und Reden dieser Art die Dinge nicht weiter im Auge haben, als sie zu unseren Ideen passen. Hiebei können wir also eine sichere und unzweifelhafte Realität nicht verfehlen.

§ 6. Daher kommt die Realität des mathematischen Wissens. – Man wird ohne Zweifel bereitwillig zugeben, daß unsere Kenntnis der mathematischen Wahrheiten nicht nur ein sicheres, sondern auch ein reales Wissen ist und nicht die bloße leere Vision eitler und bedeutungsloser Chimären des Gehirns; gleichwohl werden wir bei näherer Betrachtung finden, daß es nur unsere eigenen Ideen betrifft. Der Mathematiker betrachtet die wahren Verhältnisse eines Rechtecks oder Kreises und die ihnen zukommenden Eigenschaften nur so, wie sie als Ideen in seinem eignen Bewußtsein bestehen, denn es ist möglich, daß er in seinem Leben keines von beiden jemals in mathematischer, d. h. genau richtiger Existenz vorgefunden hat. Nichtsdestoweniger ist die Kenntnis, die er von irgend welchen auf einen Kreis oder sonst eine mathematische Figur bezüglichen Wahrheiten oder ihnen zukommenden Eigenschaften hat, selbst von thatsächlich existierenden Dingen richtig und gewiß, weil reale Dinge von solchen Sätzen nicht weiter betroffen werden, und an sie dabei nicht weiter gedacht werden soll, als insofern sie thatsächlich mit den Urbildern im Geiste des Mathematikers übereinstimmen. Ist es von der Idee eines Dreiecks wahr, daß dessen Winkel gleich zwei rechten sind, so ist dasselbe auch von jedem irgendwo thatsächlich existierenden Dreiecke wahr. Keine andere sonst existierende Figur, die der in seinem Geiste enthaltenen Idee eines Dreiecks nicht genau entspricht, wird irgendwie von jenem Satze berührt, und deshalb ist er sicher, daß sein ganzes solche Ideen betreffendes Wissen reales Wissen sei. Denn, da er die Dinge nicht weiter meint, als sie mit jenen seinen Ideen übereinstimmen, so ist er dessen gewiß, daß alles, was er über jene Figuren weiß, wenn sie bloß ein ideelles Dasein in seinem Geiste haben, auch von ihnen gültig bleiben werde, wenn sie materiell thatsächlich existieren, da seine Betrachtung es lediglich mit jenen Figuren zu thun hat, die dieselben bleiben, wo immer und wie immer sie auch existieren mögen.

§ 7. Und die des moralischen. – Und hieraus ergiebt sich, daß das moralische Wissen der realen Gewißheit ebenso fähig ist wie die Mathematik; denn, da die Gewißheit nur auf der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer Ideen beruht, und die Demonstrationen nur aus der Wahrnehmung solcher Übereinstimmung mit Hilfe der Dazwischenkunft anderer Ideen oder vermittelnder Begriffe, so wird jede Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, die wir zwischen unsern moralischen Ideen entdecken, ebensogut wie bei mathematischen Figuren reales Wissen hervorbringen, weil sie ebensogut wie mathematische, selbst Urbilder also genaue (adäquate) und vollständige Ideen sind.

§ 8. Das Dasein ist kein Erfordernis für dessen Realität. – Um Erkenntnis und Gewißheit zu erlangen, ist der Besitz bestimmter Ideen erforderlich, und damit unser Wissen Realität gewinne, müssen die Ideen ihren Urbildern entsprechen. Auch darf es nicht befremden, daß ich die Sicherheit unseres Wissens auf die Betrachtung unserer Ideen gründe, ohne mich (wie es scheinen mag) um das reale Dasein der Dinge viel zu bekümmern und darauf Wert zu legen; denn ich glaube, daß die meisten Aussprüche, welche die Gedanken der Menschen auf sich ziehen und Stoff für die Disputationen derer darbieten, die sich die Forschung nach Wahrheit und Gewißheit zum Beruf machen, bei genauer Prüfung sich als allgemeine Sätze und Begriffe erweisen werden, wobei das Dasein gar nicht in Betracht kommt. Alle Erörterungen der Mathematiker über die Quadratur des Kreises, die Kegelschnitte oder irgend einen anderen Teil der Mathematik beziehen sich nicht auf das Dasein irgend einer dieser Figuren, vielmehr bleiben ihre Demonstrationen, die auf ihren Ideen beruhen, dieselben, gleichviel ob ein Quadrat oder ein Kreis in der Welt existieren möge oder nicht. Ebenso ist die Wahrheit und Gewißheit moralischer Erörterungen unabhängig davon, ob in der Welt Menschen leben und die Tugenden existieren, worauf sie sich beziehen. Auch thut es der Wahrheit von Ciceros Pflichtenlehre keinen Abbruch, daß es niemand in der Welt giebt, der seinen Vorschriften genau nachkäme und dem uns von ihm gegebenen Musterbild eines tugendhaften Mannes entsprechend lebte, ein Muster, das auch, als er schrieb, nur in der Idee existierte. Wenn es theoretisch, d. h. in der Idee wahr ist, daß der Mord mit dem Tode bestraft zu werden verdient, so wird das auch in der Wirklichkeit für jede Handlung wahr sein, die ihrer Existenz nach der Idee des Mordes entspricht. Andere Handlungen bleiben von der Wahrheit jenes Satzes unberührt. Und ebenso verhält es sich mit allen anderen Arten von Dingen, die keine anderen Wesenheiten haben als nur die im menschlichen Geiste vorhandenen Ideen.

§ 9. Auch vermindert es seine Wahrheit und Gewißheit nicht, daß die moralischen Ideen von uns selbst gebildet und benannt sind. – Hier wird man jedoch einwenden: wenn das moralische Wissen in die Betrachtung unserer eigenen moralischen Ideen gesetzt werde, und diese wie andere Modi unser eigenes Werk seien, was für sonderbare Begriffe werde es da von Gerechtigkeit und Mäßigkeit geben! Welche Vermischung von Tugend und Laster, wenn jeder sich seine Ideen von ihnen nach seinem Belieben gestalte! In den Dingen selbst und den Folgerungen über sie entsteht keine Verwirrung oder Unordnung, ebensowenig wie es in der Mathematik eine Störung in der Demonstration oder eine Veränderung in den Eigenschaften der Figuren und ihrer Verhältnisse zu einander abgeben würde, wenn jemand ein Dreieck mit vier Winkeln oder ein Trapez mit vier rechten Winkeln zeichnen sollte, d. h. in schlichtem Englisch, wenn er die Namen der Figuren vertauschen und der einen einen Namen beilegen sollte, der die Mathematiker gewöhnlich einen anderen geben. Denn, mag sich auch jemand die Idee einer Figur mit drei Winkeln, worunter ein rechter, bilden und sie, wenn es ihm beliebt, equilaterum oder trapezium oder sonstwie nennen, so werden doch die Eigenschaften dieser Ideen und die Demonstrationen darüber dieselben bleiben, als wenn er sie ein rechtwinkliges Dreieck genannt hätte. Ich gebe zu, daß der Namenswechsel wegen der Unrichtigkeit des Sprachgebrauchs anfangs den in Verwirrung setzen wird, der nicht weiß, welche Idee gemeint ist, sobald aber die Figur gezeichnet worden, sind die Folgerungen und Demonstrationen einfach und klar. Gerade ebenso verhält es sich mit dem moralischen Wissen; nehmen wir an, jemand habe die Idee davon, daß er anderen ohne deren Zustimmung wegnehme, was sie durch ehrlichen Fleiß erworben haben, und nenne das nach seinem Belieben Gerechtigkeit. Wer nun hier den Namen ohne die damit verbundene Idee auffaßt, der wird dadurch in Irrtum verfallen, daß er eine andere Idee von seinen eigenen mit jenem Namen verknüpft; wird aber die Idee jenes Namens entkleidet, oder dieser im Sinne dessen, der ihn gebraucht, verstanden, dann stimmen damit dieselben Dinge überein, wie wenn er »Ungerechtigkeit« lautete. Allerdings erzeugen falsche Namen bei moralischen Verhandlungen gewöhnlich mehr Verwirrung, weil sie nicht so leicht Berichtigung finden wie in der Mathematik, wo die Figur, wenn sie einmal gezeichnet und betrachtet worden ist, den Namen unnötig und kraftlos macht. Denn wozu noch ein Zeichen, wenn das bezeichnete Ding gegenwärtig und vor Augen ist? Bei moralischen Namen aber ist das nicht so leicht und kurzweg gethan wegen der vielen doppelten Zusammensetzungen, die dazu gehören, um die komplexen Ideen dieser Modi zustande zu bringen. Bei alledem hindert uns jedoch diese Mißbenennung von irgend welchen dieser Ideen, die der üblichen Bedeutung der Wörter dieser oder jener Sprache zuwiderläuft, nicht daran, eine sichere und demonstrative Erkenntnis ihrer mancherlei Übereinstimmungen und Nichtübereinstimmungen zu erlangen, wenn wir ebenso sorgfältig wie in der Mathematik präcise dieselben Ideen festhalten und sie in ihren verschiedenen Beziehungen aufeinander verfolgen, ohne uns durch ihre Namen irreführen zu lassen. Wenn wir nur die in Betracht gezogene Idee von dem sie vertretenden Zeichen sondern, so schreitet unser Wissen in der Entdeckung realer Wahrheit und Gewißheit gleichmäßig weiter fort, welche Laute wir auch dabei gebrauchen mögen.

§ 10. Falsche Benennungen stören die Sicherheit des Wissens nicht. – Zu beachten bleibt noch, daß, wo Gott oder ein anderer Gesetzgeber irgend welche moralische Namen definiert haben, sie ebenda die Wesenheit der Art, der ein solcher Name zukommt, geschaffen haben; und hier ist es nicht ungefährlich, sie in einem anderen Sinne anzuwenden oder zu gebrauchen, während es in anderen Fällen nur ein unrichtiger Sprachgebrauch ist, sie abweichend von dem gemeinen Herkommen des Landes anzuwenden. Aber auch dies stört nicht die Sicherheit des Wissens, was sich gleichwohl durch gehörige Betrachtung und Vergleichung der wenn auch falsch benannten Eigentlich: »mit einem Spottnamen belegten« ( nicknamed). Ideen gewinnen läßt.

§ 11. Drittens, die Ideen von Substanzen haben ihre Urbilder außer uns. – III. Es giebt eine andere Art komplexer Ideen, die, weil sie sich auf Urbilder außer uns beziehen, von diesen abweichen können, so daß unser Wissen von ihnen nicht für real gelten kann. Das sind unsere Ideen von Substanzen, die aus einer Sammlung einfacher vermeintlich von Naturprodukten hergenommener Ideen bestehen, von diesen jedoch abweichen können, indem sie mehr oder andere Ideen in sich vereinigt enthalten, als in den Dingen selbst vereint zu finden sind. Deshalb geschieht es, daß sie die genaue Übereinstimmung mit den Dingen selbst verfehlen können und oft wirklich verfehlen.

§ 12. Soweit sie mit denen übereinstimmen, ebensoweit ist unser Wissen von ihnen real. – Ich sage also, daß es, um Ideen von Substanzen zu haben, die uns durch ihre Übereinstimmung mit den Dingen reales Wissen liefern, nicht genügt, wie bei den Modi solche Ideen zusammenzufassen, die einander nicht widersprechen, wenn sie auch bisher noch niemals so zusammen existiert haben (z. B. die Ideen von Kirchenraub oder Meineid etc. waren ebenso reale und wahre Ideen vor der Existenz irgend einer solchen That wie nachher). Vielmehr müssen unsere Ideen voll Substanzen, da sie für Kopien gelten und sich auf Urbilder außer uns beziehen, immer von etwas, was existiert oder existiert hat, entnommen werden, und dürfen nicht aus Ideen bestehen, die ohne ein reales Muster, wovon sie entnommen wären, nach dem Belieben unseres Verstandes zusammengesetzt sind; auch darin nicht, wenn wir in einer solchen Kombination nichts Unvereinbares wahrnehmen können. Der Grund hievon liegt darin, daß, weil wir die wirkliche Beschaffenheit der Substanzen nicht kennen, wovon unsere einfachen Ideen abhängen, und die thatsächlich die Ursache der festen Vereinigung einiger von ihnen miteinander sowie des Ausschlusses anderer bildet, es nur sehr wenige darunter giebt, von denen wir über den Bereich der Erfahrung und sinnlichen Beobachtung hinaus versichert sein können, daß sie in der Natur unvereinbar sind oder nicht sind. Die Realität unseres Wissens von den Substanzen beruht also darauf, daß alle unsere komplexen Ideen von ihnen derart sein müssen und nur derart sein dürfen, daß sie aus solchen einfachen Ideen zusammengesetzt sind, die in der Natur als koexistent entdeckt worden. Und da unsere Ideen sonach wahre, wenn auch vielleicht nicht sehr genaue Kopien sind, so bilden sie die Grundlage für ein reales Wissen von ihnen – soweit wir ein solches überhaupt haben – was (wie schon gezeigt worden) sich zwar nicht als ein sehr weit reichendes herausstellt, aber doch, so weit es reicht, immer ein reales Wissen bleibt. Welche Ideen wir auch haben, immer wird es ein Wissen sein, wenn wir die Übereinstimmung finden, die sie mit anderen haben. Sind diese Ideen abstrakt, so wird es ein allgemeines Wissen sein. Um es aber mit Bezug auf Substanzen real zu machen, müssen die Ideen aus dem realen Dasein der Dinge entnommen sein. Alle einfachen Ideen, die als zusammen bestehend in irgend einer Substanz gefunden worden sind, Die Realität unseres Wissens von Substanzen oder Dingen »außer uns« besteht also nach Locke nicht etwa in irgend welcher Übereinstimmung unserer Ideen mit außerhalb unseres Bewußtseins liegenden Dingen-an-sich, sondern in ihrer Übereinstimmung mit den von uns außerhalb unseres Gehirns wahrgenommenen Dingen oder mit unseren Sinneswahrnehmungen im objektiven Sinne dieses Wortes. Diese Wahrnehmungen sind aber selbst schon »Ideen« im Sinne Lockes, also ist die Realität unseres Wissens von Substanzen – die nur darin besteht, daß unsere Erinnerungen, Vorstellungen und Begriffe, sowie deren Verknüpfungen untereinander im Denken, mit unseren Sinneswahrnehmungen und den Verhältnissen, die wir unter diesen beobachten, im Einklang bleiben – lediglich eine innere Angelegenheit unserer Ideenwelt oder ein durchaus immanentes nicht über die Schranken unseres Bewußtseins hinausgreifendes Verhältnis. Die »Natur« ist nichts anderes als derjenige Teil unseres Bewußtseinsinhalts, den wir als unmittelbargegeben in uns vorfinden. mögen wir zuversichtlich wieder miteinander verknüpfen und so abstrakte Ideen von Substanzen bilden; denn, was einmal in der Natur vereinigt gewesen ist, kann auch wieder vereinigt werden.

§ 13. Bei unseren Untersuchungen über Substanzen müssen wir die Ideen in Betracht ziehen, und unsere Gedanken nicht auf Namen oder vermeintlich durch Namen abgegrenzte Arten beschränken. – Wenn wir dieses wohl erwägen und unsere Gedanken und abstrakten Ideen nicht auf Namen einschränken, als ob es keine anderen Arten von Dingen gäbe und geben könne, als die bereits durch bekannte Namen bestimmt und gleichsam abgesteckt worden, so werden wir mit größerer Freiheit und weniger Verwirrung über die Dinge nachdenken, als vielleicht bisher geschieht. Es würde möglicherweise für ein kühnes Paradoxon, wenn nicht für einen sehr gefährlichen Irrtum gehalten werden, falls ich sagte, daß gewisse Wechselbälge, die vierzig Jahre lang ohne einen Anschein von Vernunft gelebt haben, ein Mittelding zwischen Mensch und Tier seien – ein Vorurteil, das sich auf nichts anderes gründet, als auf die falsche Voraussetzung, daß die beiden Namen Mensch und Tier verschiedene Arten bezeichneten, die durch reale Wesenheiten dergestalt Statt to set out lies: so oder thus set out. abgegrenzt seien, daß es zwischen ihnen keine andere Art geben könne; wohingegen, wenn wir von diesen Namen und der Annahme solcher von der Natur gemachten Wesenheiten, woran alle Dinge desselben Namens genau und gleichmäßig teilhätten, absähen, wenn wir uns nicht einbildeten, daß es eine gewisse Anzahl solcher Wesenheiten gebe, worin alle Dinge wie in Formen gegossen und gestaltet würden: wir finden würden, daß die Idee der Gestalt, der Bewegung und des Lebens eines Menschen ohne Vernunft ebensogut eine bestimmte Idee sei, und ebensogut eine vom Menschen und vom Tiere verschiedene Art von Dingen ausmache, wie die Idee der Gestalt eines Esels mit Vernunft sowohl von der des Menschen wie von der des Tieres verschieden, und eine Tierart zwischen oder abweichend von beiden sein würde.

§ 14. Beantwortung der Einwendungen dagegen, daß ein Wechselbalg ein Mittelding zwischen Mensch und Tier sei. – Hier wird jedermann die Frage auf der Zunge haben: »Wenn Wechselbälge etwas zwischen Mensch und Tier sein sollen, bitte, was sind sie dann?« Daraus antworte ich: »Wechselbälge«, ein Wort, womit ebensogut etwas von der Bedeutung der Wörter »Mensch« und »Tier« Abweichendes bezeichnet werden kann, wie den Namen »Mensch« und »Tier« voneinander abweichende Bedeutungen gegeben werden. Wohlerwogen würde damit diese Frage erledigt und meine Meinung ohne weitere Umstände dargethan sein. Mir ist jedoch der Eifer gewisser Leute, der sie befähigt Folgerungen zu ziehen und die Religion überall bedroht zu sehen, wo jemand wagt ihre Ausdrucksweise zu verlassen, nicht so unbekannt, daß ich nicht voraussähe, mit welchen Namen ein Satz wie der obige wahrscheinlich belastet werden wird; und ohne Zweifel wird gefragt werden: »Wenn Wechselbälge Mitteldinge zwischen Mensch und Tier sind, was wird aus ihnen in jener Welt werden?« Meine Antwort darauf lautet: Erstens, das zu wissen oder danach zu fragen interessiert mich nicht. Ihr Stehen oder Fallen ist Sache ihres Herrn Siehe den Brief Pauli an die Römer XIV, 4.. Ob wir etwas darüber bestimmen oder nicht, wird ihre Lage weder verbessern noch verschlimmern. Sie sind in den Händen eines getreuen Schöpfers und gütigen Vaters, der über seine Geschöpfe nicht nach unseren beschränkten Gedanken oder Meinungen verfügt, und zwischen ihnen nicht nach Maßgabe der von uns erfundenen Namen und Arten unterscheidet. Und wir, die von der Welt, worin wir gegenwärtig leben, so wenig kennen, sollten uns, denke ich, zufrieden geben, ohne die verschiedenen Zustände peremtorisch bestimmen zu wollen, worin die Geschöpfe, wenn sie von dieser Bühne abtreten, übergehen werden. Für uns genügt es, daß er allen denen, die der Belehrung, Unterredung und Schlußfolgerung fähig sind, bekannt gemacht hat, daß sie Rechenschaft werden geben müssen und ihren Lohn empfangen nach dem, was sie in diesem Leibe gethan haben.

§ 15. Zweitens aber antworte ich: Die Haltbarkeit der von diesen Leuten aufgeworfenen Frage (nämlich: willst du den Wechselbälgen das künftige Leben absprechen?) gründet sich auf eine der folgenden beiden Voraussetzungen, die beide falsch sind. Die erste ist, daß alle Wesen, die die äußere Gestalt und Erscheinung eines Menschen haben, notwendig für ein unsterbliches künftiges Dasein nach diesem Leben bestimmt sein müssen; die andere, daß alles, was von menschlicher Geburt ist, dies sein müsse. Sobald man diese Einbildungen beseitigt, sind solche Fragen grundlos und lächerlich. Ich bitte deshalb die, welche glauben, daß zwischen ihnen selbst und Wechselbälgen nur ein zufälliger Unterschied bestehe, die Wesenheit in beiden aber genau dieselbe sei, zu erwägen, ob sie sich vorstellen können, daß die Unsterblichkeit an irgend welche äußere Körperform gebunden sei? Ich denke, es bedarf nur der Aufwerfung dieser Frage, um sie zu deren Verneinung zu bestimmen. Soviel mir bekannt, hat noch niemand, wie materialistisch er auch gesinnt sein Wörtlich: »wie tief er auch in die Materie untergetaucht sein mochte«, how much soever immersed in matter. mochte, irgend einer Gestalt der groben sinnlichen äußeren Teile einen solchen Vorzug eingeräumt, daß er behauptet hätte, dieser komme das ewige Leben zu oder ergebe sich notwendig aus ihr, oder eine materielle Masse werde nach ihrer Auflösung hienieden demnächst zu einem ewig dauernden Zustand der Empfindung, Wahrnehmung und Erkenntnis bloß deshalb wiederhergestellt werden, weil sie zu dieser oder jener Figur gestaltet gewesen sei und einen gewissen eigentümlichen Bau ihrer sichtbaren Teile gehabt habe. Eine Meinung dieser Art, die die Unsterblichkeit einer gewissen oberflächlichen Figur zuschriebe, würde jede Berücksichtigung der Seele oder des Geistes zur Thüre hinauswerfen, um derentwillen allein bisher gewisse körperliche Wesen für unsterblich gehalten worden sind und andere nicht. Das hieße auf das Äußere der Dinge mehr Gewicht legen als auf das Innere, und den Vorzug des Menschen mehr in die äußere Form seines Leibes als in die inneren Vollkommenheiten seiner Seele setzen, was nur wenig besser wäre, als wenn jemand den großen und unschätzbaren Vorteil der Unsterblichkeit und des ewigen Lebens, den er vor anderen materiellen Wesen voraus hat, wenn jemand – sage ich – diesen mit dem Schnitt seines Bartes oder der Façon seines Rockes in Verbindung setzen wollte. Denn dieses oder jenes äußere Merkmal unserer Leiber bringt die Hoffnung ewiger Dauer nicht mehr mit sich, als der Zuschnitt der Kleidung eines Menschen ihm einen vernünftigen Grund zu der Einbildung giebt, daß sie sich niemals abnutzen, oder daß sie ihn unsterblich machen werde. Vielleicht wird man sagen, daß die Gestalt irgend etwas unsterblich mache, glaube niemand, aber die Gestalt sei das Zeichen einer vernünftigen Seele in ihrem Inneren, und diese sei unsterblich. Mich wundert, wer sie zum Zeichen von etwas Derartigem gemacht hat; denn die bloße Behauptung, sie sei das, wird sie nicht dazu machen, es würde einige Beweise erfordern, damit man sich davon überzeuge. Soviel ich weiß, redet keine Figur eine solche Sprache. Denn man könnte mit ebenso gutem Grunde schließen, daß der Leichnam eines Menschen, worin kein Lebenszeichen und keine Lebensthätigkeit mehr zu finden sind als in einer Statue, gleichwohl wegen seiner Gestalt eine lebende Seele enthalte, als daß in einem Wechselbalg eine vernünftige Seele wohne, weil er äußerlich einem vernünftigen Wesen gleicht, während seine Handlungen sein ganzes Lebenlang viel weniger Anzeichen der Vernunft mit sich bringen, als sich bei manchem Tiere entdecken lassen.

§ 16. Mißgeburten (Monstra). – »Aber er ist von vernünftigen Eltern erzeugt, und daraus folgt, daß er eine vernünftige Seele hat.« Ich weiß nicht, welche Logik euch zu diesem Schlusse berechtigt. Gewiß ist das ein Schluß, dessen Richtigkeit nirgends anerkannt wird. Denn, wenn das der Fall wäre, so würde man sich nicht erkühnen – wie man doch überall thut – übelgebildete und mißgestaltete Geburten zu töten. »Freilich, aber das sind Monstra.« Mögen sie das sein, was ist dann euer faselnder, verstandloser, unbändiger Wechselbalg? Soll ein körperlicher Mangel ein Monstrum ausmachen, ein Mangel im Geiste (dem weit edleren und, wie man gewöhnlich sagt, weit wesentlicheren Teile) dagegen nicht? Soll der Mangel einer Nase oder eines Nackens eine Geburt zum Monstrum machen und von der menschlichen Gattung ausschließen, der Mangel an Vernunft und Verstand dagegen nicht? Das heißt, die ganze Frage wieder aus das soeben Verworfene zurückführen, alles von der Gestalt abhängig machen, und den Maßstab dafür, was ein Mensch sei, nur von seiner Außenseite entnehmen. Um zu zeigen, daß man bei der gewöhnlichen Weise der Beurteilung dieses Gegenstandes alles Gewicht auf die Gestalt legt, und das ganze Wesen der menschlichen Art (wie man sie eben auffaßt) auf die äußere Gestalt reduziert, so unvernünftig das auch ist, und so wenig man das auch zugeben will, brauchen wir bloß den Gedanken und Handlungen der Menschen ein wenig weiter nachzugehen, und es wird klar zu Tage kommen. Der wohlgestaltete Wechselbalg ist ein Mensch und besitzt eine vernünftige Seele, obgleich sie nicht zum Vorschein kommt; das – sagt man – unterliegt keinem Zweifel. Stellt man sich die Ohren ein wenig länger und mehr zugespitzt und die Nase ein wenig platter als gewöhnlich vor, dann fängt man an zu schwanken; wird das Gesicht noch schmäler, platter und länger, dann gerät man ins Ungewisse; denkt man sich die Ähnlichkeit mit einem Tiere mehr und mehr zunehmend, bis der Kopf völlig das Aussehen irgend eines Tierkopfes hat, dann ist sofort das Monstrum da und man hält es für erwiesen, daß es keine vernünftige Seele besitzt und getötet werden muß. Wo liegt nun, frage ich, das richtige Maß für die äußersten Grenzen der Gestalt, die eine vernünftige Seele in sich trägt? Denn, da es menschliche Geburten gegeben hat, die halb Tier und halb Mensch waren, und andere, die zu drei Viertel das eine und zu einem Viertel das andere waren, so daß sie sich möglicherweise in allen Abstufungen der einen oder der anderen Gestalt nähern und verschiedene Mischungsgrade der Ähnlichkeit mit einem Menschen oder einem Tiere haben können, so möchte ich gerne genau die Gesichtszüge (Lineamente) kennen lernen, die gemäß dieser Hypothese der Vereinigung mit einer vernünftigen Seele fähig oder nicht fähig sind. Welche Beschaffenheit der Außenseite ist das sichere Anzeichen dafür, daß sich ein solcher Bewohner im Inneren befindet oder nicht? Denn so lange dies nicht entschieden ist, sprechen wir vom Menschen aufs Geratewohl, und wir werden das, fürchte ich, immer thun, solange wir uns gewissen Lauten und der Einbildung hingeben, daß die Natur wer weiß was für fest bestimmte und unveränderliche Arten enthalte. Nach alledem aber bitte ich zu erwägen, daß die, welche der Schwierigkeit begegnet zu sein glauben, wenn sie uns sagen, eine mißgestaltete Geburt sei ein Monstrum, in denselben Fehler verfallen, wogegen sie argumentieren, indem sie eine Art zwischen Mensch und Tier annehmen. Denn, was ist ihr Monstrum im gegebenen Falle anders (wenn das Wort überhaupt etwas bedeutet) als ein Wesen, was weder Mensch noch Tier ist, aber in gewissem Maße an der Natur von beiden teil hat? Und gerade dasselbe ist der vorhin erwähnte Wechselbalg. So notwendig ist es, die gewöhnlichen Begriffe von Art und Wesenheit fallen zu lassen, wenn wir wirklich in die Natur der Dinge einen Einblick gewinnen und sie daraufhin untersuchen wollen, was unsere Fähigkeiten in ihnen, so wie sie existieren, entdecken können, und nicht nach grundlosen Einbildungen, die von ihnen aufgekommen sind.

§ 17. Wörter und Arten. – Ich habe dies hier angeführt, weil ich glaube, daß wir nicht vorsichtig genug sein können, um uns durch Wörter und Arten in ihren gewöhnlichen uns geläufig gewordenen Bedeutungen nicht täuschen zu lassen. Denn ich bin zu der Annahme geneigt, daß hierin ein Haupthindernis für unser klares und deutliches Erkennen liegt, namentlich mit Bezug auf Substanzen, und daß hieraus ein großer Teil der Schwierigkeiten für Wahrheit und Gewißheit sich erhoben hat. Wenn wir uns daran gewöhnen wollten, unsere Betrachtungen und Folgerungen von Wörtern los zu machen, so würden wir dieser Unzuträglichkeit innerhalb unseres eigenen Denkens in bedeutendem Maße abhelfen; gleichwohl würde sie uns bei unsern Unterredungen mit andern noch solange ferner stören, wie wir an der Meinung festhielten, daß die Arten und ihre Wesenheiten irgend etwas anderes seien als unsere abstrakten Ideen (wie sie eben sind), denen zu ihrer Bezeichnung Namen beigelegt worden.

§ 18. Rekapitulation. – Überall, wo wir die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung irgend welcher von unseren Ideen wahrnehmen, da ist sicheres Wissen, und überall, wo wir gewiß sind, daß diese Ideen mit der Realität der Dinge übereinstimmen, da ist sicheres, reales Wissen. Da ich für diese Übereinstimmung unserer Ideen mit der Realität der Dinge hier die Merkmale angegeben habe, so glaube ich gezeigt zu haben, worin Gewißheit, sachliche (reale) Gewißheit besteht, was, wie ich gestehe, bisher – gleichviel wie es mit anderen stehen mag – für mich zu den Desiderata (gesuchten Dingen) gehörte, die ich gar sehr vermißte.


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