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§ 1. Einige Arten von Sätzen vermehren unser Wissen nicht. – Ob die in dem vorigen Kapitel behandelten Axiome für ein reales Wissen den Nutzen haben, der ihnen gewöhnlich zugeschrieben wird, gebe ich der Erwägung anheim. Soviel, glaube ich, darf man zuversichtlich behaupten, daß es allgemeine Sätze giebt, die zwar gewiß wahr sind, aber doch unseren Verstand nicht erleuchten und unser Wissen nicht vermehren. Dahin gehören:
§ 2. Nämlich erstens identische Sätze. – I. Alle rein identischen Sätze. Diese zeigen sich handgreiflich und auf den ersten Blick als solche, die keine Belehrung in sich enthalten; denn, wenn wir den gebrauchten Ausdruck – mag er nun ein bloßes Wort sein oder eine klare und sachliche Idee enthalten – von sich selber bejahen, so zeigt er uns nichts, als was wir schon vorher sicher gewußt haben müssen, gleichviel ob wir einen solchen Satz aufstellen oder hören. Freilich mag jener allergemeinste: »was ist, das ist,« mitunter dazu dienen, jemandem die Absurdität zu zeigen, deren er sich schuldig macht, wenn er in besonderen Beispielen durch Umschreibungen oder zweideutige Ausdrücke dasselbe Ding von sich selber verneint, weil niemand dem gesunden Menschenverstande so offen Trotz bieten wird, daß er sichtliche und direkte Widersprüche in schlichten Worten behaupten sollte, oder, wenn er das thäte, es jedermann gestattet sein müßte, alle weitere Unterredung mit ihm abzubrechen. Dennoch glaube ich sagen zu dürfen, daß weder jenes anerkannte Axiom noch irgend ein anderer identischer Satz uns irgend etwas lehrt; und wenn auch bei solcher Art von Sätzen dieses große und gepriesene Axiom, was als die Grundlage jedes Beweises gerühmt wird, zu ihrer Bestätigung gebraucht werden kann und oft gebraucht wird, so läuft doch alles, was es beweist, auf nicht mehr als darauf hinaus, daß dasselbe Wort mit großer Gewißheit ohne den leisesten Zweifel an der Wahrheit eines solchen Satzes und, wie ich hinzufügen darf, auch ohne irgend welche sachliche Erkenntnis von sich selber ausgesagt werden kann.
§ 3. Denn auf diese Weise kann jeder noch so unwissende Mensch, der bloß einen Satz bilden kann und weiß, was er meint, wenn er ja oder nein sagt, eine Million von Sätzen ausstellen, deren Wahrheit ihm unfehlbar gewiß ist, und doch auch nicht ein Ding in der Welt dadurch erkennen; z. B.: »was eine Seele ist, das ist eine Seele,« oder: »eine Seele ist eine Seele, ein Geist ist ein Geist, ein Fetisch ist ein Fetisch« etc. Da alle diese mit dem Satze: »was ist, das ist,« d. h. »wem Dasein zukommt, dem kommt Dasein zu, wer eine Seele hat, der hat eine Seele,« gleichbedeutend sind, was enthalten sie denn mehr als ein Spiel mit Worten? Sie sind dasselbe, als wenn ein Affe seine Auster aus einer Hand in die andere nähme, und wenn er sprechen könnte, so möchte er ohne Zweifel dabei gesagt haben: »die Auster in der rechten Hand ist das Subjekt und die Auster in der linken Hand ist das Prädikat,« und möchte so einen von selbst einleuchtenden Satz über die Auster aufgestellt haben, nämlich: »die Auster ist die Auster,« und doch bei alledem nicht um einen Deut klüger oder einsichtiger geworden sein; und diese Art die Sache zu behandeln würde den Hunger des Affen ebensogut befriedigt haben wie den Verstand des Menschen, und beide würden an Wissen und an Körperumfang gleichermaßen zugenommen haben.
Ich weiß, es giebt Leute, die für identische Sätze, weil sie von selbst einleuchten, eine große Vorliebe haben, und meinen, daß sie der Philosophie einen wesentlichen Dienst leisten, wenn sie dieselben hoch rühmen, als ob alles Wissen in ihnen enthalten wäre, und der Verstand nur durch sie in alle Wahrheit geführt werde. Ich gebe so bereitwillig wie nur sonst jemand zu, daß sie alle wahr und von selbst einleuchtend sind; ich gebe ferner zu, daß die Grundlage alles unseres Wissens in unserem Vermögen liegt, dieselbe Idee als dieselbe zu erkennen und sie von denen, die von ihr abweichen, zu unterscheiden, wie ich im vorigen Kapitel gezeigt habe. Aber wie das den Gebrauch identischer Sätze zur Förderung des Wissens vor der Beschuldigung, ein leeres Spiel zu sein, schützen soll, sehe ich nicht ein. Mag jemand, so oft es ihm beliebt, wiederholen, der Wille sei der Wille, oder hierauf so viel Gewicht legen, wie ihm gut dünkt, was nützen dieser und zahllose ähnliche Sätze zur Erweiterung unserer Kenntnisse? Wenn jemand so sehr, wie die Fülle seiner Wörter gestattet, an Sätzen wie die folgenden reich ist: »ein Gesetz ist ein Gesetz, Verbindlichkeit ist Verbindlichkeit, Recht ist Recht und Unrecht ist Unrecht,« werden diese und ähnliche ihm jemals zu einer Bekanntschaft mit der Ethik verhelfen oder ihn und andere in der Kenntnis der Moral unterweisen? Leute, die nicht wissen und vielleicht niemals wissen werden, was Recht und was Unrecht ist und was hiefür als Maßstab dient, können diese und alle solche Sätze mit ebenso großer Sicherheit aufstellen und deren Wahrheit unfehlbar erkennen wie der, welcher in der Moral am besten unterrichtet ist. Welchen Fortschritt aber bewirken solche Sätze in der Kenntnis von irgend etwas für ihren Lebenswandel Notwendigem oder Nützlichem?
Man würde es für wenig mehr als Spielerei halten können, wenn jemand, um den Verstand auf irgend einem Gebiete des Wissens zu erleuchten, sich mit identischen Sätzen beschäftigen und bei solchen Axiomen wie diese: »die Substanz ist die Substanz und der Körper ist der Körper, ein leerer Raum ist ein leerer Raum und ein Wirbel ist ein Wirbel, ein Centaur ist ein Centaur und eine Chimäre ist eine Chimäre« etc., stehen bleiben wollte. Denn diese und alle solche sind gleich wahr, gleich gewiß und gleich selbstverständlich; allein sie können doch nur als leere Spielereien angesehen werden, wenn sie als Prinzipien des Unterrichts dienen sollen und auf sie als Hilfsmittel der Erkenntnis Gewicht gelegt wird, weil sie nichts weiter lehren, als was jeder, der zu einer Unterredung fähig ist, weiß, ohne daß es ihm gesagt wird, nämlich, daß dasselbe Wort dasselbe Wort und dieselbe Idee dieselbe Idee seien. Und aus diesem Grunde habe ich die Darbietung und Einschärfung solcher Sätze, um dem Verstande irgend ein neues Licht oder einen Zugang zur Erkenntnis der Dinge zu geben, früher für nichts Besseres als eine Spielerei gehalten und halte sie auch noch dafür.
Die Belehrung liegt in etwas hievon sehr Verschiedenem, und wer sein eigenes Wissen oder das eines anderen mit ihm noch unbekannten Wahrheiten bereichern will, der muß vermittelnde Ideen auffinden, und sie dann in eine solche Ordnung zusammenstellen, daß der Verstand die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der in Frage stehenden erkennen kann. Sätze, welche dies leisten, sind belehrend, sie sind aber weit von solchen entfernt, die denselben Ausdruck von ihm selber bejahen, was nicht der Weg ist, um sich selbst oder anderen in irgend einer Art von Kenntnissen weiter zu helfen. Dazu dient es nicht besser, als es jemandem beim Lesenlernen nützen würde, wenn ihm die Sätze: A ist A und B ist B, eingeprägt würden, was jemand ebensogut wie jeder Schullehrer wissen kann, und doch sein Leben lang niemals fähig sein wird ein Wort zu lesen. Diese oder andere solche identische Sätze werden ihm, welchen Gebrauch er auch davon machen möge, in der Kunst des Lesens nicht um ein Jota weiter helfen.
Wenn die, welche es tadeln, daß ich sie gehaltlose Sätze nenne, nur gelesen und sich die Mühe gegeben hätten zu verstehen, was ich oben in ganz schlichtem Englisch geschrieben habe, so hätte ihnen nicht entgehen können, daß ich unter identischen Sätzen nur solche verstehe, worin dasselbe Wort, das dieselbe Idee ausdrückt, von sich selber bejaht wird, was ich für die eigentliche Bedeutung von identischen Sätzen halte; und mit Bezug auf alle solche glaube ich unbedenklich wiederholen zu dürfen, daß es nichts Besseres als Spielerei ist, wenn man sie als belehrende hinstellt. Denn niemandem, der den Gebrauch seiner Vernunft hat, können sie da fehlen, wo es nötig ist auf sie Rücksicht zu nehmen, oder zweifelhaft erscheinen, wenn er sie in Betracht zieht.
Wenn aber jemand Sätze identisch nennen will, worin nicht dasselbe Wort von sich selber bejaht wird, so mögen andere beurteilen, ob er sich passender ausdrückt als ich; soviel ist gewiß, daß alles, was er über Sätze sagt, die nicht in meinem Sinne identisch sind, mich nichts angeht und meine Auslassungen nicht trifft, da alles, was ich gesagt habe, sich auf solche Sätze bezieht, worin dasselbe Wort von sich selber bejaht wird; und ich möchte wohl ein Beispiel dafür sehen, daß ein solcher zur Förderung und Vermehrung der Kenntnisse irgend eines Menschen dienen könne. Beispiele anderer Art, wozu sie auch immer nützlich sein mögen, gehen mich nichts an, da sie nicht zu denen gehören, die ich identische nenne.
§ 4. Zweitens, wenn ein Teil einer komplexen Idee von dem Ganzen ausgesagt wird. – II. Eine andere Art gehaltloser Sätze ist es, wenn ein Teil einer komplexen Idee von dem Namen des Ganzen ausgesagt wird oder ein Teil der Definition von dem definierten Wort. Dahin gehören alle Sätze, worin die Gattung ( genus) von der Art ( species) ausgesagt wird, oder der umfassendere Ausdruck von dem weniger umfassenden; denn, welche Belehrung, welche Erkenntnis bringt der Satz: »Blei ist ein Metall,« für jemanden mit sich, der die von dem Namen Blei vertretene komplexe Idee kennt, da alle einfachen Ideen, die zu der mit dem Worte Metall bezeichneten komplexen gehören, nichts sind, als was er vorher unter dem Namen Blei zusammengefaßt und damit bezeichnet hatte. Um jemandem, der die Bedeutung des Wortes Metall kennt, aber nicht die des Wortes Blei, die des letzteren zu erklären, ist es allerdings ein kürzerer Weg, zu sagen, Blei sei ein Metall, womit verschiedene seiner einfachen Ideen auf einmal ausgedrückt sind, als sie eine nach der anderen aufzuzählen, indem man ihm sagte, es sei ein sehr schwerer, schmelzbarer, und dehnbarer Körper.
§ 5. Oder ein Teil Statt as part lies a part. der Definition von dem definierten Worte. – Ebenso gehaltlos ist es, irgend einen anderen Als den, der den Gattungsbegriff ausmacht. Teil der Definition von dem definierten Worte auszusagen, oder irgend eine der einfachen Ideen einer komplexen von dem Namen der ganzen komplexen Idee zu bejahen, wie z. B.: »alles Gold ist schmelzbar.« Denn, da die Schmelzbarkeit eine der einfachen Ideen ist, die dazu gehört, um die von dem Laute Gold vertretene komplexe auszumachen, was kann es denn anders als ein Spiel mit Lauten sein, wenn man sie von dem in seiner herkömmlichen Bedeutung verstandenen Namen Gold bejaht? Es würde für wenig besser als lächerlich gelten, wenn jemand ernsthaft als eine gewichtige Wahrheit versicherte, daß Gold gelb sei, und ich sehe nicht ab, wie es um ein Iota wesentlicher sein könnte, zu sagen, es sei schmelzbar, es wäre denn, daß diese Eigenschaft in der komplexen Idee fehlte, wofür der Laut Gold in der gewöhnlichen Sprache als Zeichen dient. Welche Belehrung kann darin liegen, wenn man jemandem das sagt, was ihm schon einmal gesagt worden, oder wovon man annimmt, daß er es schon wisse? Denn man nimmt an, daß ich die Bedeutung des Wortes kenne, dessen sich ein anderer mir gegenüber bedient, sonst muß er sie mir mitteilen. Und wenn ich weiß, daß der Name Gold die komplexe Idee von: Körper, gelb, schwer, schmelzbar, dehnbar, vertritt, so werde ich nicht viel Neues lernen, wenn man hernach einen förmlichen Satz daraus bildet und ernsthaft sagt: »alles Gold ist schmelzbar.« Solche Sätze können nur dazu dienen, die Unredlichkeit eines Menschen zu zeigen, der von der Definition seiner eigenen Ausdrücke abweichen will, indem man ihn ab und zu daran erinnert, sie bringen aber keine weitere Erkenntnis mit sich als die der Bedeutung von Wörtern, so gewiß diese auch sein mögen.
§ 6. Mensch und Zelter als Beispiele. – »Jeder Mensch ist ein animalisches Wesen« oder »ein lebendiger Körper«, ist ein Satz von möglichster Gewißheit; er trägt aber zur Kenntnis der Dinge nicht mehr bei, als wenn man sagte: »ein Zelter ist ein paßgehendes Pferd« oder »ein wieherndes paßgehendes Tier«, weil beide sich nur auf die Bedeutung von Wörtern beziehen, und mich nur wissen lassen, daß Körper, Sinnesempfindung und Bewegung, oder das Vermögen der Sinnesempfindung und Bewegung, drei von den Ideen seien, die ich beständig unter dem Namen Mensch begreife und damit bezeichne, und daß der Name Mensch keinem Dinge zukomme, an dem sie nicht zusammen vorgefunden würden; so wie andernteils, daß Körper, Sinnesempfindung und eine gewisse Gangart nebst einer gewissen Art von Stimme einige der Ideen seien, die ich immer unter dem Worte Zelter begreife und damit bezeichne, und daß der Name Zelter keinem Dinge zukomme, an dem sie nicht zusammen vorgefunden würden. Ebenso verhält es sich und hat denselben Zweck, wenn irgend ein Ausdruck, der eine oder mehre der einfachen Ideen vertritt, die zusammen die »Mensch« genannte Idee ausmachen, von dem Worte »Mensch« ausgesagt wird. Angenommen z. B., ein Römer bezeichnete mit dem Worte homo alle diese in einem Subjekt vereinigten unterschiedenen Ideen: corporietas, sensibilitas, potentia se movendi, rationalitas, risibilitas, so könnte er ohne Zweifel mit großer Gewißheit eine, mehre oder alle derselben miteinander von dem Worte homo allgemein bejahen, aber er würde damit nichts weiter sagen, als daß das Wort homo in seinem Lande alle diese Ideen in seine Bedeutung einschließe. Ebenso könnte auch ein romanischer Ritter, der mit dem Worte Zelter folgende Ideen bezeichnete: einen Körper von gewisser Gestalt, vierbeinig, mit Sinnesempfindung, Bewegung, Paßgänger, wiehernd, weiß, gewohnt eine Dame auf seinem Rücken zu tragen – einige von diesen oder alle von dem Worte Zelter allgemein bejahen, aber er lehrte uns dadurch nicht mehr, als daß das Wort Zelter in seiner oder der romanischen Sprache alle diese Ideen vertrete, und auf kein Ding angewendet werden dürfe, woran eine davon fehle. Wer mir dagegen sagte, daß jedes Wesen, in dem sich Sinnesempfindung, Bewegung, Vernunft und Lachen vereinigt fänden, thatsächlich eine Kenntnis von Gott habe oder durch Opium eingeschläfert werde, der würde in der That einen belehrenden Satz aufstellen; denn da weder der Besitz einer Kenntnis Gottes noch die Fähigkeit, durch Opium eingeschläfert zu werden, in der mit dem Worte »Mensch« bezeichneten Idee enthalten ist, so lernen wir aus solchen Sätzen etwas mehr als bloß die Bedeutung des Wortes »Mensch«, und deshalb ist das darin enthaltene Wissen mehr als ein bloß verbales.
§ 7. Denn dadurch lernt man nur die Bedeutung von Wörtern kennen, – Es wird erwartet, daß jemand, bevor er einen Satz bilde, die dabei gebrauchten Ausdrücke verstehe: andernfalls würde er reden wie ein Papagei, der nur nachahmungsweise ein Geräusch macht und gewisse von anderen erlernte Laute hervorbringt, nicht aber wie ein vernünftiges Wesen, das sie als Zeichen für Ideen gebraucht, die es im Sinne hat. Auch von dem Hörer wird erwartet, daß er die Ausdrücke so verstehe, wie der Redende sie gebraucht, sonst spricht dieser Kauderwelsch und macht ein unverständliches Geräusch. Und deshalb spielt der mit Worten, wer einen Satz bildet, der, wenn er fertig ist, nicht mehr sagt, als einer der in ihm enthaltenen Ausdrücke und nur etwas schon als bekannt Vorausgesetztes; z. B. »ein Dreieck hat drei Seiten«, oder: »der Saffran ist gelb.« Das ist aber nur soweit erträglich, wie jemand seine Ausdrücke einem anderen erklären will, von dem er annimmt, oder der ihm sagt, daß er ihn nicht verstehe, und dann lehrt es nur die Bedeutung des unbekannten Wortes und den Gebrauch dieses Zeichens.
§ 8. erlangt aber kein sachliches Wissen. – Wir können demnach die Wahrheit zweier Arten von Sätzen mit vollkommener Gewißheit erkennen; die eine ist die jener gehaltlosen Sätze, die zwar eine Gewißheit in sich tragen, allein das ist nur eine verbale Gewißheit, keine belehrende. Und zweitens können wir die Wahrheit erkennen und so Gewißheit erlangen bei Sätzen, die etwas von einem anderen Dinge aussagen, was eine notwendige Folge aus dessen genau bestimmter komplexer Idee, aber nicht in dieser enthalten ist; wie z. B., daß der Außenwinkel aller Dreiecke größer ist als jeder der beiden gegenüberliegenden inneren Winkel. Da das Verhältnis des Außenwinkels zu jedem der beiden gegenüberliegenden inneren Winkel keinen Teil der mit dem Namen »Dreieck« bezeichneten komplexen Idee ausmacht, so ist dieser Satz eine reale Wahrheit und bringt ein belehrendes sachliches Wissen mit sich.
§ 9. Allgemeine Sätze über Substanzen sind oft gehaltlos. – Da wir außer der durch unsere Sinne erhaltenen wenig oder gar keine Kenntnis davon haben, welche Kombinationen von einfachen Ideen es giebt, die zusammen in Substanzen existieren, so können wir keine allgemeinen gewissen Sätze über sie weiter aufstellen, als unsere nominalen Wesenheiten uns dazu Anleitung geben; und da dies nur für sehr wenige und unbedeutende Wahrheiten der Fall ist im Vergleich mit denen, die auf ihrer realen Beschaffenheit beruhen, so sind die über Substanzen aufgestellten allgemeinen Sätze, wenn sie gewiß sind, meistenteils nichtssagend, und wenn sie belehrend sind, dann sind sie ungewiß und solche, deren reale Wahrheit wir nicht erkennen können, wie sehr auch beständige Beobachtung und Analogie unserm Urteil zu Vermutungen behilflich sein mögen. Daher kommt es vor, daß man oft sehr klaren und zusammenhängenden Ausführungen begegnet, die doch auf nichts hinauslaufen. Denn es ist einleuchtend, daß Namen substantieller Dinge, so weit ihnen relative Bezeichnungen gegeben sind, so gut wie andere mit vollkommener Wahrheit verneinend und bejahend in Sätzen so verbunden werden mögen, wie ihre relativen Definitionen sie dazu geeignet machen, und daß aus dergleichen Ausdrücken bestehende Sätze mit derselben Klarheit voneinander abgeleitet werden können wie solche, die höchst reale Wahrheiten enthalten, und alles das ohne irgend welche Kenntnis der Natur oder Realität von außer uns existierenden Dingen. Nach dieser Methode kann man Beweise und zweifellose Sätze in Worten aufstellen, und dabei doch in der Erkenntnis der Wahrheit der Dinge nicht um ein Jota weiter kommen; z. B. wer folgende Wörter: »Substanz, Mensch, Tier ( animal), Form, Seele, vegetativ, sensitiv, vernünftig,« mit dem ihnen gewöhnlich beigelegten wechselseitig relativen Verständnis gelernt hat, der kann verschiedene zweifellose Sätze über die Seele aufstellen, ohne überhaupt zu wissen, was die Seele thatsächlich ist; und von dieser Art kann man eine endlose Anzahl von Sätzen, Folgerungen und Schlüssen in Büchern über Metaphysik, Schultheologie und eine gewisse Art von Naturwissenschaft finden, nach alledem aber von Gott, den Geistern ( spirits) oder Körpern ebensowenig wissen, als man wußte, bevor man nach Auskunft darüber suchte.
§ 10. Und warum das. – Wem es freisteht, die Bedeutung seiner Substanznamen zu definieren, d. h. zu bestimmen (was sicherlich jeder effektiv thut, der sie zu Vertretern seiner eigenen Ideen macht), und wer dann ihre Bedeutung aufs Geratewohl hin feststellt, indem er sie aus seiner eigenen oder anderer Leute Phantasie entnimmt und nicht aus einer Untersuchung oder Erforschung der Natur der Dinge selbst, der kann sie mit geringer Mühe voneinander beweisen je nach den verschiedenen Hindeutungen und wechselseitigen Beziehungen, die er ihnen aufeinander gegeben hat, wobei er sich, wie immer auch die Dinge ihrer eigenen Natur nach übereinstimmen oder nicht übereinstimmen mögen, um nichts zu bekümmern braucht als um seine eigenen Begriffe und die diesen beigelegten Namen. Allein er vermehrt sein Wissen dadurch nicht mehr, als seine Reichtümer der, welcher einen Beutel mit Rechenpfennigen nimmt, den einen an einer bestimmten Stelle ein Pfund nennt, einen anderen an einer andern Stelle einen Schilling, einen dritten an einer dritten Stelle einen Pfennig, und, indem er so weiter verfährt, zweifellos richtig rechnen, und nach Maßgabe der Stellung seiner Rechenpfennige, sowie des ihnen beliebig beigelegten größeren oder geringeren Wertes eine beträchtliche Summe herausbringen mag, ohne um ein Jota reicher zu werden oder auch nur zu wissen, wie viel ein Pfund, Schilling oder Pfennig ist, sondern nur, daß der eine in dem andern zwanzigmal enthalten ist, während er den andern zwölfmal enthält. Ebenso mag jemand mit der Bedeutung von Wörtern verfahren, indem er sie im Verhältnis zu einander mehr oder weniger oder gleich umfassend macht.
§ 11. Drittens, Wörter in verschiedenen Sinne gebrauchen, heißt mit ihnen spielen. – III. Was indessen die meisten Wörter anbetrifft, die sowohl in beweisenden wie in Streitschriften gebraucht werden, so ist dabei dies noch mehr zu beklagen und die schlimmste Art von Spielerei, die uns von der Sicherheit des Wissens, die wir durch sie (die Wörter) zu erlangen hoffen, noch weiter abbringt: nämlich, daß die meisten Schriftsteller so weit davon entfernt sind, uns über die Natur und die Kenntnis der Dinge zu belehren, daß sie sogar ihre Wörter nachlässig und unsicher gebrauchen, und nicht durch einen beständigen und festen Gebrauch derselben in gleichem Sinne schlichte und klare Deduktionen von einem Worte auf das andere zustande bringen, und ihre Abhandlungen zusammenhängend und klar machen (so wenig belehrend sie auch sein mögen), was doch nicht schwer zu thun sein würde, wenn sie es nicht bequem fänden, für ihre Unwissenheit oder Hartnäckigkeit unter der Dunkelheit und Verworrenheit ihrer Ausdrücke eine Zuflucht zu suchen, wozu vielleicht Unachtsamkeit und schlechte Angewohnheit bei manchen Leuten viel beitragen.
§ 12. Kennzeichen von verbalen Sätzen. – Um zum Schlusse zu kommen, so lassen sich bloß verbale Sätze an folgenden Merkmalen erkennen:
Die Beilegung abstrakter Prädikate. – I. Alle Sätze, worin zwei abstrakte Ausdrücke voneinander bejaht werden, beziehen sich ausschließlich auf die Bedeutung von Lauten. Denn, da keine abstrakte Idee mit einer anderen als sich selbst identisch sein kann, so kann, wenn ihr abstrakter Name von einem anderen Ausdruck bejaht wird, dies nicht mehr heißen, als daß sie mit diesem Namen bezeichnet werden dürfe oder müsse, oder daß diese beiden Namen dieselbe Idee bedeuten. Wenn z. B. jemand sagen sollte: Sparsamkeit sei Mäßigkeit, Dankbarkeit sei Gerechtigkeit, diese oder jene Handlung sei oder sei nicht gelassen – so werden wir, ein so gutes Ansehen diese und ähnliche Sätze auch beim ersten Blick zu haben scheinen, doch, wenn wir sie pressen und scharf auf ihren Inhalt prüfen, finden, daß alles nur auf die Bedeutung jener Ausdrücke hinausläuft.
§ 13. Zweitens, wenn ein Teil seiner Definition von einem Worte ausgesagt wird. – II. Alle Sätze, worin ein Teil der komplexen Idee, die ein Wort vertritt, von diesem ausgesagt wird, sind nur verbal: z. B. wenn man sagt, Gold sei ein Metall oder schwer. Somit sind alle Sätze nur verbal, worin Wörter von umfassenderer Bedeutung, die man Genera (Gattungen) nennt, von untergeordneten oder weniger umfassenden, die Species (Arten) oder Individuen heißen, bejaht werden.
Wenn wir nach diesen beiden Regeln die Sätze prüfen wollten, aus denen die Reden bestehen, die wir gewöhnlich sowohl in Büchern wie außerhalb derselben antreffen, so würden wir vielleicht finden, daß ein größerer Teil von ihnen, als man gewöhnlich annimmt, lediglich die Bedeutung von Wörtern betrifft, und nichts enthält als den Gebrauch und die Anwendung dieser Zeichen.
Soviel glaube ich als eine unfehlbare Regel aufstellen zu können, daß überall, wo die von irgend einem Worte vertretene bestimmte Idee nicht bekannt und berücksichtigt ist, und wo nicht etwas in dieser Idee nicht Enthaltenes von ihr bejaht oder verneint wird, dort unsere Gedanken völlig an Lauten hängen bleiben und außer stande sind, zu einer realen Wahrheit oder Falschheit zu gelangen. Vielleicht würde dieses, wohl beachtet, uns einen guten Teil nutzlosen Zeitvertreibs und Wortwechsels ersparen, und unsere Bemühungen und das Umherschweifen bei dem Suchen nach realer und wahrer Erkenntnis sehr abkürzen.